Kommentar Beschluss VG Stade - Flüchtlingsrat Niedersachsen

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Hildesheim, 28.01.2016
Kommentar zum Beschluss des VG Stade vom 29.12.2015, Az 6B 2338/15
Mit einem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versucht der Antragssteller bis zu einer
Entscheidung im Hauptverfahren sicherzustellen, dass er vor einer Dublin-Überstellung nach Ungarn
sicher ist. Der irakische Staatsangehörige stellte am 12. Nov. 2015 einen Asylantrag in Deutschland,
welcher am 8.12.2015 als unzulässig abgelehnt worden ist, da auf der Grundlage der Dublin III
Verordnung (Dublin III-VO) nicht Deutschland, sondern Ungarn für die Prüfung seines Asylantrages
zuständig sei.
In seinem Antrag an das VG Stade macht der Antragsteller geltend, dass die Antragsgegnerin – die
Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das BAMF- ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Dublin III
VO ausüben und sich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig erklären müsse. Wie die
Analyse des Beschlusses es jedoch zeigen wird, hat der Einzelrichter diesem Anliegen des
Antragstellers nicht viel Beachtung geschenkt und den Schwerpunkt seiner Argumentation nicht auf
Art. 17, Abs.1, S. 1 Dublin III VO1, sondern auf die Ablehnung des Vorliegens einer Konstellation gem.
Art. 3 Abs. 2 S. 2 Dublin III VO2 gestützt.
Ein markanter Grund, warum die Ablehnung einer Konstellation nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 Dublin III VO
im vorliegenden Fall besonders fragwürdig ist, besteht darin, dass viele benachbarte niedersächsische
Verwaltungsgerichte3 in praktisch identischen Fällen ohne viel zu zögern angenommen haben, dass
keine Dublin-Überstellungen nach Ungarn stattfinden sollen. Hinzu kommt, dass die eigentlich
1
2
3
Art. 17, Abs. 1, S. 1 Dublin III VO: „ Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei
ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch
wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.“.
Art. 3 Abs. 2 S. 2 Dublin III VO: „Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zu nächst als zuständig
bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und
die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine
Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit
sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien
fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.“.
Siehe Sammlung von Dublin-Entscheidungen auf asyl.net: Bundesland: NDS; „Dublin-Staat“: Ungarn,
http://www.asyl.net/index.php , Stand vom 26.1.2016.
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aufgeworfene Frage, „ob das Asyl- und Aufnahmesystem in Ungarn grundlegende, d.h. systemische
Mängel aufweist, die zwangsläufig eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesen
Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber befürchten lässt […] bislang nicht einheitlich beantwortet
[worden ist]“4, wobei das OVG Lüneburg schon festgestellt hat, dass dies eine Frage „von
grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG“5 ist.
Angesichts dieser noch nicht obergerichtlich geklärten Rechtslage, könnte man im Hinblick auf den
vorliegenden Fall annehmen, dass man sich damit begnügen muss zu sagen, dass der Beschluss einfach
nur von der Menge6 „negativ heraussticht“. Im Rahmen einer tiefer gehenden Untersuchung des
Beschlusses ist es jedoch möglich festzustellen, dass sowohl der Umgang mit den unterschiedlichen in
Frage kommenden Artikeln der Dublin III VO, als auch die Auswertung der gewählten Quellen zur
Lage in Ungarn auch unabhängig von dem „negativ Herausstechen“ Anlass zur Kritik geben.
1. Eine im Hinblick auf das Schutznachsuchen des Antragsstellers extrem restriktive Würdigung
der in Frage kommenden Artikel der Dublin III VO
Die für die Bewertung der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Überstellung nach Ungarn erfolgen
kann, einschlägigen Artikel der Dublin III VO sind zum einen Art. 3, Abs. 2, S. 2 Dublin III VO und
zum anderen Art. 17, Abs. 1, S. 1 Dublin III VO. Um die im Beschluss vorzufindende unausgeglichene
und restriktive Würdigung dieser Artikel darstellen zu können, soll die Funktion der Letzteren
innerhalb der Dublin III VO kurz skizziert werden. Hierbei ist es wichtig im Bewusstsein zu haben,
dass sich diese Vorschriften auf einer gewissen Weise ergänzen und deshalb gemeinsam in den Blick
genommen werden sollten. Im Rahmen der in der Dublin III VO festgelegten Logik kommen immer
dann zum Tragen, wenn die Anwendung der Zuständigkeitskriterien nach Art. 7-15 Dublin III VO zu
keinem (akzeptablen) Ergebnis führt.
So beschreiben Dominik Bender und Maria Bethke7, dass in Art. 3 Abs. 2 S. 2 und 3 Dublin III VO
eine „Zuständigkeitsprüfungsfortsetzungspflicht“8 verankert worden ist. Mit dieser Regel wird also
versucht der einschlägigen Rechtsprechung des EMGR und des EuGH gerecht zu werden und eine
spezifische Vorgehensweise anzugeben, wie mit dem Vorliegen systemischer Schwachstellen im
Asylsystem eines Mitgliedstaates umzugehen ist 9. Insbesondere wenn keine systemischen Mängel
vorliegen, für deren Annahme verständlicherweise hohe Anforderungen gesetzt werden, gilt es aber zu
beachten, dass „stets auch die Möglichkeit eines Selbsteintritts gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO zu
4
5
6
7
8
9
Siehe: OVG Lüneburg, 8. Senat, Beschluss vom 15.5.2015, 8 LA 85/15.
Siehe: OVG Lüneburg, 8. Senat, Beschluss vom 15.5.2015, 8 LA 85/15.
Also insbesondere von den Beschlüssen und Urteile, die unter asyl.net zu finden sind [Sammlung von DublinEntscheidungen auf asyl.net: Bundesland: NDS; „Dublin-Staat“: Ungarn, http://www.asyl.net/index.php , Stand vom
26.1.2016].
Dominik Bender und Maria Bethke, Beitrag aus dem ASYLMAGAZIN 11/2013, S. 358–367:
http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2013/AM201311_beitragbenderbethke.pdf .
Siehe Dominik Bender und Maria Bethke, Beitrag aus dem ASYLMAGAZIN 11/2013, S. 366 und Hinweis auf die
interessante Anmerkung der Autoren auf der gleichen Seite, dass diese Zuständigkeitsprüfungsfortsetzungspflicht just an
der Stelle der Verordnung, an der früher das Selbsteintrittsrecht geregelt war, eingefügt worden ist.
Auch dargestellt im: Nomos Kommentar zum Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 27a AsylG, Rn. 56.
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prüfen ist, [bzw., dass] jeder Staat unabhängig von den genannten Kriterien den Selbsteintritt
vornehmen [kann]“10. Vor dem Hintergrund dieses Zusammenhangs zwischen den zwei Vorschriften,
fallen hinsichtlich des vorliegenden Beschlusses jedoch problematische und bedauernswerte Aspekte
auf.
Zunächst handelt es darum, dass angesichts der oben schon erwähnten Tatsache, dass die Frage, ob das
Asyl- und Aufnahmesystem in Ungarn systemische Mängel aufweist, noch nicht einheitlich
beantwortet worden ist, es besonders kritikwürdig erscheint, dass der hier tätige Einzelrichter unter
Verweis auf den Beschluss des BverwG 10 B 35,14 vom 6.6.2014 (S.6) 11 alle mit einer Überstellung
einhergehenden Risiken zur Seite schiebt. Hierzu beruft er sich also darauf, dass das BverwG in dem
genannten Beschluss ausgeführt hat, dass es „unerheblich [ist], ob unterhalb der Schwelle systemischer
Mängel in Einzellfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Art. 4
GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK [kommt]“. Da es hinsichtlich Ungarn jedoch nicht klar ist, ob die
Mängel diese Schwelle übersteigen oder nicht, ist es gefährlich sich von diesem Zitat leiten zu lassen.
Der aktuellen Situation und dem konkreten Fall viel angemessener wäre es gewesen, sich auf das Urteil
des VG Braunschweig12 zu stützen, welches auch im Hinblick auf eine Dublin-Überstellung nach
Ungarn ausgesprochen worden ist. Dort wird nämlich ausgeführt, dass „eine ´ungefähre` Umsetzung
[des gemeinsamen europäischen Asylsystems] unter bloßer Vermeidung ´systemischer Mängel` nicht
der [ rechtlich verbürgten Erwartung entspricht, dass die Mitgliedstaaten die in den Richtlinien
verbindlich vorgeschriebenen Mindestgarantien nationalstaatlich umsetzen]“. Darüber hinaus wird
klargestellt, dass „sich ein Mitgliedstaat den ihn aus den Richtlinien folgenden Verpflichtungen nicht
dadurch entziehen [kann], dass er Anspruchsberechtigte in einen anderen Mitgliedsstaat überstellt, der
seinen diesbezüglichen Umsetzungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist“. In einem weiteren
Schritt wird dann gefolgert, dass um „die Mindestgarantien der Richtlinien zur Geltung zu bringen und
die eigenen Verpflichtungen zu erfüllen […] vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen [ist] (effet
utile)“.
Im Vokabular des deutschen Rechts führt z.B. Marco Bruns zum Selbsteintritt aus, dass „der
Selbsteintritt [...] im Ermessen der Behörde [steht]“ 13 und dass es hierbei „ermessensleitende
Gesichtspunkte“14 gibt. Diese Elemente deuten also darauf hin, dass obwohl die Behörde ein hohes
Maß an Freiheit hat, um ihr Ermessen im Rahmen von Art. 17, Abs. 1, S. 1 Dublin III VO auszuüben,
sie dennoch nicht in ein „Ermessensnichtgebrauch“ fallen sollte, in dem sie annimmt sie wäre völlig
frei zu entscheiden, ob sie vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen möchte oder nicht. In diesem
Sinne besagt § 114, S. 1 VwGO auch, dass „soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem
Ermessen zu handeln, [...] das Gericht auch [prüft], ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder
Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist [...]“. Von dieser Überprüfung der
Ermessensentscheidung des Bundesamts ist im vorliegenden Beschluss jedoch fast nichts sichtbar. Im
10
11
12
13
14
Nomos Kommentar zum Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 27a AsylG, Rn. 59, 60.
Beschluss des BverwG 10 B 35,14 vom 6.6.2014; der Kläger in bei diesem Verfahren war ein Marokkaner der Italien
überstellt werden sollte; dieser BverwG- Beschluss wird auf S. 5 des Beschlusses des VG Stade zitiert.
Urteil des VG Braunschweig 1 A 35/14 und 1A 109/14 vom 8.4.2015.
Nomos Kommentar zum Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 27a AsylG, Rn. 61.
Nomos Kommentar zum Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 27a AsylG, Rn. 61.
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einzigen Absatz auf S. 4, welchen der Einzelrichter der Frage eines möglichen Selbsteintritts widmet,
schreibt er nur, dass „die Antragsgegnerin […] nicht verpflichtet ist, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach
Art. 17 Abs. 1 Dublin III VO Gebrauch zu machen“.
Unter Berufung auf Francesco Maiani15 wird zudem im Urteil des VG Braunschweig darauf
aufmerksam gemacht, dass „ das gemeinsame europäische Asylsystem Art. 3 EMRK naturgemäß nicht
ändern, sondern nur, wie geschehen, übernehmen konnte“ und dass „Art. 3 EMRK [jedoch] keine
´systemischen Mängel`, sondern nur ein ´real risk` [verlangt]“. Obwohl dieser Aspekt noch nicht dazu
geführt hat, dass sich die Rechtsprechung des BverwG oder die der europäischen Gerichten zu den
Voraussetzungen für die Annahme „systemischer Mängel“ entsprechend ändert oder lockert, wäre es im
vorliegenden Fall zweifellos angemessen gewesen entweder den hier angedeuteten „niedrigeren
Maßstab“ des „real risk“ oder die schon erprobte Option des Selbsteintritts anzuwenden.
Der Verzicht im vorliegenden Urteil intensiver auf die Selbsteintrittsmöglichkeit einzugehen stellt also
eine große Schwäche des vorliegenden Beschlusses dar. Im Folgenden soll es darum gehen zu zeigen,
wie der hier tätige Einzelrichter sich an ganz konkreten Stellen von den Erkenntnissen anderer Richter
„abgeschottet“ hat.
2. Eine Abschottung gegenüber den Erkenntnissen der benachbarten Verwaltungsgerichte
Es steht außer Frage, dass es seit Beginn der Flüchtlingskrise sehr schwierig geworden ist mit Abstand
und Ruhe die Qualität der Asylsysteme in europäischen Staaten zu bewerten. So hat Ungarn im Laufe
der Krise gezeigt, inwieweit es schnell neue Fakten schaffen kann (s. Beispiel Anbringung von Zäunen)
und auch nicht davor scheut seine Asylgesetze zu verändern/ zu verschärfen (s. am 1.8.2015 in Kraft
getretene Gesetz). Für Richter, die gerade über Dublin-Überstellungen nach Ungarn entscheiden
müssen, folgt daraus, dass sie sich nicht auf „nicht alt wirkende“ (also: vielleicht von 2012, 2013 oder
teilweise sogar 2014) aber dennoch im aktuellen Kontext „schon nicht mehr dem letzten Stand
entsprechenden“ Quellen stützen können.
Vor diesem Hintergrund macht es stutzig, dass der hier tätig gewordene Richter des VG Stade sich
nicht ersichtlich16 mit den für diese Fragestellung einschlägigen Beschlüsse oder Urteile der
benachbarten Gerichte beschäftigt hat. In diesem Sinne könnte man sagen, dass er sich dadurch einer
wichtigen Erkenntnisquelle entzogen hat. Die Diskrepanz zwischen seinen Rechercheergebnissen und
Bewertungen zu den Rechercheergebnissen und Bewertungen anderer Richter, welche im Ergebnis
entscheidend dazu beigetragen hat, dass es als nicht notwendig erachtet worden ist dem Antragssteller
Eilrechtsschutz zu gewähren, sollen im Folgenden anhand einiger Beispiele illustriert werden.
a) Während mehrere Beschüsse wie etwa die des VG Hannover vom 4.1.2016 (6. Kammer) oder vom
23.9.2015 (Az 6 B 4549/15) sagen, dass Dublin - Überstellte „praktisch ausnahmslos“ einer Haft
unterstellt werden, wird auf S. 6/unten des hier untersuchten Beschluss angenommen, dass die
15
16
Francesco Maiani, „Establishing a Common European Asylum System by Leaving European Human Rights Standards
Behind: Is this the Way Forward?“, in: http://www.reflaw.org .
Keins der in der Sammlung von Dublin-Entscheidungen auf asyl.net ( Bundesland: NDS; „Dublin-Staat“: Ungarn,
http://www.asyl.net/index.php , Stand vom 26.1.2016) erwähnten Beschlüße oder Urteile wird zitiert.
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Betroffenen nur „mit erhöhter Wahrscheinlichkeit“ in Haft kommen.
b) Auf S. 7/unten, bzw. S. 8/ oben des hier untersuchten Beschlusses wird angeführt, dass „die
Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern […] keine willkürliche Freiheitsberaubung dar[stellt]“ und dass
„die ungarische Asylhaft […] nicht im Widerspruch zu den europäischen Vorgaben [steht]“, während
in anderen Beschlüssen, wie etwa bei den Beschlüssen des VG Braunschweig vom 3.11.2015 (Az. 2B
367/15) oder vom 4.11.2015 (Az. 1B 177/ 15)- unter Verweis auf den Beschluss des VG Düsseldorf
vom 20.8.2015 8Az 15 L 2556/15) - davon ausgegangen wird, dass „das ungarische Asylrecht seit dem
1.8.2015 […] die in Ungarn Schutzsuchenden auch in Rechten verletzt, die ihnen auf europäischer
Ebene grundrechtlich verbürgt sind“.
c) Am Ende der S. 9 des hier untersuchten Beschlusses wird erwähnt, dass „Empfehlungen des
UNHCR [...], die einen Überstellungssstopp nach Ungarn fordern [nicht bekannt sind]“, während auf
S. 7 des Beschlusses des VG Lüneburg vom 9.9. 2015 (Az 4B 153/15) der Sache weiter nachgegangen
und festgestellt wird, dass obwohl das UNHCR bisher noch keine Empfehlung abgegeben hat von
Überstellungen nach Ungarn abzusehen, es die Entwicklung in Ungarn dennoch kritisch sieht, was sich
an verschiedenen Äußerungen seiner Vertreter äußert (und es werden Beispiele solcher Äußerungen
aufgeführt).
d) Auch was die Frage der Durchführbarkeit der Abschiebung angeht, kommt der Richter des VG Stade
am Ende von S. 12 zu dem Ergebnis, dass „ eine dauerhafte Unmöglichkeit der Überstellung im Sinn
des §34a AsylG aus anderen Gründen […] nicht festzustellen [ist]“, während diese Frage in anderen
Beschlüssen viel kritischer behandelt wird, wie etwa im Beschluss des VG Lüneburg vom 9.9. 2015
(Az 4B 153/15) oder des VG Braunschweig vom vom 4.11.2015 (Az. 1B 177/ 15) und im Urteil des
VG Hannover vom 3.9.2015 (Az 10 A 2195/15)17.
3. Fazit
Sowohl die insgesamt extrem restriktive Auslegung der Regelungen der Dublin III VO- und
insbesondere der Verzicht auf einen Selbsteintritt hinzuwirken -, als auch die Bewertung des Zustandes
des ungarischen Asylsystems, das nicht mit den Bewertungen vieler benachbarter Richter im Einklang
steht, sind Aspekte, die eindeutig zeigen, inwieweit der vorliegende Beschluss so nicht stehen gelassen
werden sollte.
An dieser Stelle geht es darum mit Zuversicht darauf zu hoffen, dass die Richter im Hauptverfahren
von §80 Abs. 7 VwGO Gebrauch machen 18 und - wie es so viele Richter erfreulicherweise schon getan
haben19- sich gegen eine Überstellung des Betroffenen nach Ungarn aussprechen.
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18
19
Hier wurde schon im Sept. letzten Jahres z.B. ausgeführt, dass „ es […] jedoch nicht fest[steht], dass die Abschiebung
im Sinne von §34 a Abs. 1 AsylVfG tatsächlich durchgeführt werden kann […].“.
Wie es z.B. die Richter des VG Braunschweig im Beschluss 1 B 177/15 vom 4.11.2015 oder des VG Hannover im
Beschluss 2B 4828/15 vom 14.10.2015 gemacht haben.
Siehe erneut: Sammlung von Dublin-Entscheidungen auf asyl.net: Bundesland: NDS; „Dublin-Staat“: Ungarn,
http://www.asyl.net/index.php, Stand vom 26.1.2016.
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Des Weiteren sollte es so schnell wie möglich zu einer obergerichtlichen Abklärung der Rechtslage
kommen, um Beschlüsse wie den vorliegenden zu verhindern. Diese obergerichtliche Klarstellung
sollte die Zweifel und Sorgen vieler Richter und Menschenrechtsorganisationen ernst nehmen und
feststellen, dass das ungarische Asylsystem systemische Mängel aufweist.
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