Das „Wiegenlied der Sionitin“ von Johann Theile (1646-1724) Das am 24.12.2015 um 22h in der Hagellocher Kirche dargebotene Wiegenlied ist weitgehend unbekannt wie auch der Komponist Johann Theile selbst; und das Stück ist derzeit weltweit nur einmal auf Tonträger eingespielt. Wer es aber auch nur einmal gehört hat, wird begeistert sein. Seine scheinbar einfache Bauweise ist musikalisch nett gewoben und auch der Text enthält hintergründige Feinheiten, auf die hier aufmerksam gemacht wird. Die Motivation für diese Sammlung ist das Interesse des Ensemblemitglieds für das vom musikalischen Leiter Jonathan Hiese angebotene Werk. Der Ersteller dieser Information ist kein Musikwissenschaftler, aber das Interesse an der Musik und diesem Werk speziell führte zu dieser Recherche. Die einzelnen Herkunftsnachweise wurden an vielen Stellen unterlassen. Wo nicht genannt, ist Wikipedia die Auskunftei. Die auf diesen Seiten enthaltenen Druckfehler bitte ich einfach nicht mal überhaupt zu ignorieren. ( ... der werfe den ersten Stein, gell ). Das Vorwort von Ekkehard Krüger gehört zu der CD mir der einzigen Aufnahme des Wiegenlieds. Reinhard Feiler, 20. Dez 2015. Aus dem Vorwort von Ekkehard Krüger zu Theiles Kantate Durch die jüngste Erschließung des Archivs der Sing-Akademie zu Berlin nach der glücklichen Rückkehr aus der kriegsbedingten Verlagerung in Kiew wurde deutlich, welchen unschätzbaren Wert die älteren Quellenhandschriften für die Erforschung der Kirchenmusik in Berlin haben. Längst sind nicht alle Fragen beantwortet oder gestellt. Zu den dem Umfang nach unauffälligsten Quellen gehören zehn kleine Blätter, die eine reizvolle Komposition für ein Vokal- und Instrumentalensemble von Johann Theile (1646–1724) überliefern. Durch die kirchenjahreszeitliche Einordnung zum Weihnachtsfest von der Hand des Nikolaikantors (als Substitut des Vaters seit 1726) Jacob Ditmar d. J. (1702–1781) ist sie mit der Kirchenmusik an der alten Hauptkirche Berlins verbunden. Doch auch der Komponist, Johann Theile, ist eine Figur der Berliner Musikgeschichte. Der 1646 in Naumburg als Sohn eines Schneiders geborene Theile erhielt seine gymnasiale Schul- und damit verbundene Kantoreiausbildung in Magdeburg. Von Leipzig aus, wo Theile Jura studierte, konnte er noch beim greisen Heinrich Schütz in dessen Weißenfelser Refugium Unterricht erhalten. Nach Stationen in Stettin und Lübeck berief ihn 1673 Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Holstein als Kapellmeister nach Gottorf. Noch in Lübeck erschien während des Umzuges seine Komposition der Matthäuspassion im Druck. Seit Anfang 1675 lebte Theile ohne feste Anstellung in Hamburg und kam hier mit dem Opernbetrieb im Remter des Domes und vor allem mit dem neuen Opernunternehmen am Gänsemarkt in Berührung. 1685 trat Theile die Nachfolge Johann Rosenmüllers als Hofkapellmeister bei Herzog Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbüttel an. Damit war er auch für die Kirchenmusik in der großen Wolfenbütteler Schlosskirche zuständig. Danach blieb Theile trotz Kapellreduktionen dem 1691 angetretenen Amt als Vizekapellmeister beim Herzog von Sachsen-Weißenfels offenbar wenigstens nominell bis zu seinem Tod verbunden, da er einen entsprechenden Titel noch nach dem Tod Christians II. 1694 führte und mindestens bis 1720 eine Jahrespension bezog. Die Jahre der Merseburger Administraturregierungen für minderjährige Prinzen zwangen Theile sicher zur Suche nach anderen Wirkungsmöglichkeiten. Eine Orientierung nach Berlin mag ihm aussichtsreich erschienen sein, da die erste Königin in Preußen, die außerordentlich gebildete Sophie Charlotte, aus dem ihm schon vertrauten Braunschweig-Lüneburger Herzogshaus kam. Durch die „die Gottseel. Königinn von Preussen“ wurde Theile „Ao. 1701. reichlich beschenkt“. Eine frühere Verbindung mit Berlin ist nicht bekannt. Sie habe ihm nach Aussage des Nekrologs, „die Capellmeister-Charge in Berlin“ versprochen – Seite 1 von 6 eine Zusage, die durch den Tod der Königin am 2. Februar 1705 hinfällig wurde. In der undatierten Dedikation der Andächtigen Kirchen-Music an König Friedrich I. gibt Theile an, „über 2. Jahre Ew: Königl: Mayest: Hautbois, wie auch andere Liebhaber der Music in Composition unterrichtet“ zu haben. Zum Werk Die Herkunft des Textes ist unbekannt. Alle sechs Strophen folgen demselben Reimschema (ababcc). Die Sionitin, die Tochter Zion, die Bewohnerin Zions kann als Personifizierung Jerusalems aufgefasst werden, dem Ort der kommenden Offenbarung des Gottes Israels. Die messianische Verheißung vom Kommen des Friedenskönigs aus Sacharja 9, mit der im Neuen Testament Jesu Einzug in Jerusalem gedeutet wird (Mk 10,1-9 par.), wird hier auf die Weihnachtsgeschichte bezogen und führt sogar zur Verschmelzung der „Sionitin“ mit der Mutter Jesu. In den vier Binnenstrophen, dem eigentlichen Wiegenlied, wird das angesprochene Jesuskind nacheinander in Anlehnung an Verse aus Offenbarung 21 mit edlen Pflanzen, Schmucksteinen und Getränken verglichen. Hinter der äußeren Form eines scheinbar harmlosen Wiegenliedes wird daher durch die Verschränkung der zugrundeliegenden Bibelstellen auf eine durchaus traditionelle Zusammenschau von passionszeitlichem Einzug Jesu in Jerusalem und adventlichweihnachtlichem Kommen Jesu, von Advent/Ankunft und Kirchenjahresende/Wiederkunft angespielt. Obwohl der Text in der Ich-Form gehalten ist, entschied sich der Komponist für einen vierstimmigen Vokalsatz. Die vier Binnenstrophen mit der wiederholten Aufforderung „schlaf“ enthalten allerdings in sublimierter Form ein Solo, da der Canto nicht an der Deklamation des Textes beteiligt wird, sondern mit dem üblicherweise eine Textwiederholung markierenden „ÿ“ versehen ist, das in dem gegebenen Kontext wohl die Wahl von Vokalen offen lassen soll. Die Form aus instrumentaler Symphonia und rahmenden vokalen Ensemblesätzen um ein chorisches Strophenlied, jedoch ohne vokalen Solo-Abschnitt, lässt sich kaum in die Schemata von geistlichem Konzert, Motette oder Concerto-Aria-Kantate einordnen. Für eine Strophenaria fehlt das regelmäßig wiederkehrende Ritornell. Stattdessen wird vorgeschlagen, den im 17. Jahrhundert noch nicht auf das solistische Gesangsstück mit Instrumentalbegleitung eingeengten Begriff „aria“ anzuwenden, mit dem Theile auch die vielfältigen Formmodelle seiner Arien und Canzonetten zu fassen suchte. Mit „aria“ wird letztlich nur das schon im Begriff „Wiegenlied“ angesprochene, als Gattungsterminus in der Zeit aber noch ungebräuchliche „Lied“ assoziiert. (zitiert aus Vorwort von Ekkehard Krüger zur CD) Mittelteil der Kantate – der Text Der Text der Kantate kommt sehr einfach daher. Schaut man aber genauer nach, dann stellt man fest, dass er sehr Zeit bezogen ist. Interessant ist die Auswahl der verwendeten Pflanzen, Schmucksteine, Kleinodien und Getränke, an denen er das Lied aufbaut. Was wird verwendet? Pflanzen Zu den in der Bibel vorkommenden Pflanzen gibt es recht umfangreiche Artikel, wie zB http://www.garten-literatur.de/Leselaube/abc/bibelgarten.html In diesem „Bibelgarten“ gibt es natürlich zB die Tulpe noch nicht, da selbige erst mit der orientalischen Blumenwelle nach Europa geschwappt ist. Das geschah erst nach 1550, dann aber rasant. Tulpen: seit dem 13ten Jhd von Dichtern erwähnt. Seit Mitte des 16ten Jahrhunderts dienten sie bei Liebhabern als Gartenpflanze – war also um die Zeit der Entstehung der Kantate bekannt als Blume der Reichen. Das Seite 2 von 6 machte sie zusätzlich wertvoll. Erst Ende des 16ten Jahrhunderts fand sie weitere Verbreitung bei weiter steigenden Preisen. Einige Kirchenlieder jener Zeit heben die Schönheit der Tulpen hervor, so Paul Gerhardt mit „Narzissen und die Tulipan“ (in „Geh aus mein Herz und suche Freud“). Ebenso Theile mit seinen Tulpen. Beide Komponisten erlebten den auf den Preisverfall der Tulpen zurückgehenden ersten Börsenkrach der Geschichte (1737) nicht mehr. Theile lebte also in einer Zeit, als die Tulpe nicht nur optisch sehr geschätzt wurde, sondern wo sie ein Wertgegenstand war. Nelken: Staude mit spitzen, grasähnl.[ichen] Blättern. Die Form von Blatt und Frucht wurde bildhaft als „Nagel“ gedeutet (daher der Name „Nägelein“, „Nagerl“), u.[nd] die N.[elke] deshalb zum Symbol der Passion Christi. Die Pflanze erscheint häufig auf Darstellungen der Madonna mit dem Kinde. (Anderes Zitat:) Im Christentum wurde so die Nelke zu einem Mariensymbol, gerade wegen ihres nagelförmigen Samens zum Symbol der Passion Christi. Ein Beispiel ist Leonardo da Vincis Gemälde „Die Madonna mit der N.[elke] (um 1473 – 78; München, Alte Pinakothek) Amarinth: damit dürfte Amarant(h) (der Fuchsschwanz) https://de.wikipedia.org/wiki/Amarant_%28Pflanzengattung%29#/media/File:2006-10-18Amaranthus01.jpg gemeint sein, denn Amarynth ist ein Farbstoff. Tausendschönchen: Gänseblümchen. In der Volksheilkunde u.a. als Schlafmittel verwendet – ideal für ein Wiegenlied. Feldviolen: Veilchen, (hano, isch klar: Veilerchen!) – da vallen dann auch die Stiefmütterchen drunter (echt jetzt) – aberaber (noch ein Schlenkerchen) wo sollte Stiefmütterchen herkommen bei Maria? Jasmin: Duftpflanze. Name arabisch: jasamin steht für „wohlriechendes Öl“ (Ohne Bedeutung ist in unserem Zusammenhang, aber interessant ists doch: Jasmin ist die Nationalblume Tunesiens und Pakistans) Der Jasmin wurde (wiki) „ 1561 in Deutschland erwähnt “ „Er kam aus der Türkei über Italien nach Mitteleuropa“. Lorbeer: altgr. Daphne, Der Lorbeer ist Siegerkranzbaumaterial und Gewürz – welch grandiose Kombination! Das Silberne Lorbeerblatt ist die höchste sportliche Auszeichnung in Deutschland - sie wird vom Bundespräsidenten vergeben und wurde ursprünglich von Theodor Heuss (1950) gestiftet: „nun siegt mal schön!“ Der lateinische Name Laureus Nobilis steht Pate für den Sport-Oscar, den Laureus World Sports Awards. Insgesamt steht also Lorbeer seit den Römern für „Sieger“. In Abwandlung des Heuss-Ausspruchs kann man dem Weihnachtsprojektchor nur auf den Weg geben: „Nun singt mal schön!“ Röschen: Die Rose ist eine alte Kulturblume mit Hochzeiten wie zur Zeit der Römischen Herrschaft übers Mittelmeer – die Römer verehrten diese Blume, die bei den alten Griechen Aphrodite zugesprochen wurde, bei den Seite 3 von 6 Römern der Venus. Sie initiierten die Nutzung der Rose zur Parfümherstellung, die in Bulgarien bis heute ein produktionsstarkes Zentrum hat, im „Rosental“. Rosengewächse symbolisieren in der christlichen Ikonographie Maria. Maria reiht sich also bei Aphrodite und Venus ein. Rosmarin: Die Legende sagt, dass die Maria auf ihrer Flucht nach Ägypten ihren Mantel über einem Rosmarinbusch ausbreitete. Die weißen Blüten des Strauches färbten sich zu Ehren der Jungfrau in himmlischem Blau und seitdem blüht der Rosmarin blau. Schmucksteine Allgemeine Hinweise auf die Edelsteine der Hlg Schrift sind hier zu finden: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/dasbibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/edelsteine/ch/b837e5bc636af6b92c6ae7e45eb2869a/ ein schöne Sammlung gips auch hier: www.bibelkommentare.de/get/cmt.266.pdf Perle: Wikipedia zur Perle: Im Mittelalter erhielt sie … einen sakralen Charakter. Perlen galten als Zeichen der Liebe zu Gott. So finden sie auch im Neuen Testament der Bibel Erwähnung: Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, je eines der Tore war aus einer Perle, und die Straße der Stadt reines Gold, wie durchsichtiges Glas (Offenbarung des Johannes). Sie waren nicht zuletzt durch die Erwähnung in der heiligen Schrift unverzichtbarer Teil der Machtdemonstration christlicher Herrscher, die sie vorwiegend im Sinne der Zahlensymbolik einsetzten. Siehe auch: Rosenkranz Jaspis: vielfarbige Variante des Quarz Rubin: Siehe Karfunkel Demant: alter Name für Diamant Sardis: Ist ein Karneol, also ein Quarz, genauer: ein rötlicher Quarz in faseriger Form. Das Rot kommt vom enthaltenen Eisenoxid, dessen Intensität früher (Theiles Zeit) durch Sonnenbestrahlung verstärkt wurde. Chrysolin: Farbstoff, im 16ten Jahrhundert sehr wertvoll, da nur in geringen Mengen herstellbar Karfunkelstein: Mineralgesteine wie Granat, Rubin, Spinell Seite 4 von 6 Amethyst: violette Variante des Quarz Getränke Nektar: aus dem altGr.: Nahrung für die Götter Alicant: Spanische Verwandte des Marzipans und Nougats. Unter Alicant wird auch der Wein aus Alicante verstanden. Aber, bitteschön, was soll ein Wein aus Alicante am Bett eines Säuglings. Also ehrlich. Der Zahnarzt würde Süßzeugs am Kinderbett natürlich auch nicht empfehlen, wenn man aber bedenkt, dass vor einigen Jahrhunderten süße Sachen wirklich so selten waren, dass sie praktisch mit einer Unbedenklichkeitsbescheinigung über den Ladentsch gingen, dann hat Theile eher einen Marzipan gemeint als einen Wein. Reben: naja, Württemberger Reben halt. Württemberger ist kein Wein. Der ist eine Institution. Bodenständig. Keine Diskussion. Punkt. Musikinstrument Dulzian: Holzblasinstrument, Hirtenflöte, seit 15tem Jhd, verwandt mit Schalmei (iranisch surnay, "Festrohr"), Sordune (ital. sordone= "leise" ) und Kortholt (dt "Kurzholz"), allesamt damals übliche Blasinstrumente mit einer breiten Abdeckung verschiedener Tonlagen. Eine damals außergewöhnliche Sammlung hat Michael Praetorius 1619 in Syntagma musicum zusammengestellt: Dort hat er alle gebräuchlichen Musikinstrumente sowie die Musikpraxis der Zeit zusammengestellt. In der Lichterkirche kommt übrigens dieser Komponist und Musikwissenschaftler Michael Praetorius auch zu Wort: „Es ist ein Ros entsprungen“ wir nach einem Satz von ihm gesungen. Schlußbemerkung Sodele, das wars. Es würde mich freuen, wenn diese Sammlung manchen Lesern ähnlichen Spaß bereitet hat wie dem Sammler dieser Information. Fragen an [email protected] Inhalt Inhaltsverzeichnis Das „Wiegenlied der Sionitin“ von Johann Theile (1646-1724) ........................................................................ 1 Aus dem Vorwort von Ekkehard Krüger zu Theiles Kantate .......................................................................... 1 Zum Werk ................................................................................................................................................... 2 Seite 5 von 6 Mittelteil der Kantate – der Text.................................................................................................................... 2 Pflanzen .......................................................................................................................................................... 2 Tulpen: ........................................................................................................................................................ 2 Nelken: ........................................................................................................................................................ 3 Amarinth: .................................................................................................................................................... 3 Tausendschönchen: .................................................................................................................................... 3 Feldviolen: .................................................................................................................................................. 3 Jasmin: ........................................................................................................................................................ 3 Lorbeer: ...................................................................................................................................................... 3 Röschen: ..................................................................................................................................................... 3 Rosmarin: .................................................................................................................................................... 4 Schmucksteine ............................................................................................................................................... 4 Perle: ........................................................................................................................................................... 4 Jaspis: .......................................................................................................................................................... 4 Rubin: .......................................................................................................................................................... 4 Demant: ...................................................................................................................................................... 4 Sardis: ......................................................................................................................................................... 4 Chrysolin: .................................................................................................................................................... 4 Karfunkelstein: ............................................................................................................................................ 4 Amethyst: ................................................................................................................................................... 5 Getränke ......................................................................................................................................................... 5 Nektar: ........................................................................................................................................................ 5 Alicant: ........................................................................................................................................................ 5 Reben: ......................................................................................................................................................... 5 Musikinstrument ............................................................................................................................................ 5 Dulzian: ....................................................................................................................................................... 5 Schlußbemerkung........................................................................................................................................... 5 Inhalt .................................................................................................................................................................. 5 Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................................... 5 Seite 6 von 6
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