KOMPRESSIONSSTRÜMPFE 50 TOUR 2 | 2009 Von den Socken Wohl kaum ein anderes Accessoire hat in der zurückliegenden Saison die Ausdauersportler mehr polarisiert als Kompressionsstrümpfe. Doch sind die langen Socken wirklich sinnvoll oder nur eine vorübergehende Modeerscheinung? TOUR hat sie unter die Lupe genommen ǺǫǾǺ Eva Stammberger ǬǵǺǵǹ Daniel Kraus T rends entwickeln sich immer nach dem gleichen Schema: Sie werden von wenigen Vorreitern gesetzt, erleben eine Hochphase und verlieren sich irgendwann wieder. Ein gutes Beispiel im Ausdauersport ist das Nasenpflaster. Ursprünglich vor allem gegen Schnarchen entwickelt, machten sich Anfang der 90er-Jahre einige Athleten den Effekt dieser Pflaster zunutze – nämlich, dass sie die Atmung erleichtern sollen. Schnell wurden zahlreiche Marathonläufer und Radsportler mit gepflasterten Nasen gesichtet, einer der prominentesten Träger war und ist Radprofi Andreas Klöden. Die neueste Trendwelle, die vor einigen Monaten auch den Radsport erreicht hat, heißt Kompressionstrümpfe. In der Medizin werden sie schon seit langem zur Thrombosevorbeugung nach Operationen und bei Menschen mit schwachen Venen eingesetzt. Doch welchen Nutzen haben solche Strümpfe für Ausdauersportler? Um das zu verstehen, muss man wissen, wie die Venen in den Beinen arbeiten: „Der venöse Rückfluss des verbrauchten und sauerstoffärmeren Blutes aus den Beinen zurück zum Herzen wird durch die sogenannte Muskelpumpe unterstützt“, erklärt der Sportwissenschaftler Dr. Björn Stapelfeldt. Die Beinvenen sind mit Venenklappen ausgestattet. Sie funktionieren wie Ventile, die das Blut nur in Richtung Herz fließen lassen und nicht zurück in die Beine. Das Blut wird also nach oben transportiert. Wenn es durch die Schwerkraft wieder nach unten gezogen wird, schließt sich die Klappe und verhindert so den Rückstrom. „Die Venen sind von Muskeln umschlossen. Wenn die Muskulatur beim Radfahren oder Laufen aktiv ist, drücken die Muskeln die Venen zusammen. Das Blut muss dann nach oben fließen – so funktioniert die Muskelpumpe“, erläutert der TOUR-Experte. Ist die Venenklappe ausgeleiert, kann ein Teil des Blutes in den Beinen bleiben; man spricht dann von Venen-Insuffizienz. Kompressionsstrümpfe wurden ursprünglich für dieses Phänomen entwickelt. Die Strümpfe drücken die Venen zusammen und unterstützen so die körpereigene Muskelpumpe bei ihrer Arbeit. Diesen Effekt wollen Ausdauersportler nun nutzen. Denn unter hoher sportlicher Belastung sind auch gesunde Venenklappen oft überfordert und kommen mit dem Rücktransport des verbrauchten Blutes nicht nach. Die Folge: schwere, angeschwollene Beine. Zuerst entdeckten ̔Auch Sportler mit gesunden Venen haben sich mit Kompressionsstrümpfen schneller erholt als ohne.̓ Dr. Anneliese Berbalk Marathonläufer die Kompressionsstrümpfe, bald darauf gingen auch Triathleten mit dem Trend, und im vergangenen Sommer kam er bei den Radfahrern an. Die Hersteller der Socken machen vielversprechende Aussagen: So sollen die Strümpfe nicht nur den venösen Rückstrom des Blutes unterstützen, sondern auch die arterielle Durchblutung und somit die Sauerstoffversorgung verbessern. Auch bei der Regeneration sollen sie den Körper unterstützen und durch den auf die Beine ausgeübten Druck den Abbau von Laktat und anderen Stoffwechsel- 2 | 2009 TOUR 51 KOMPRESSIONSSTRÜMPFE endprodukten in der Muskulatur beschleunigen. Manche Firmen bieten sogar für Wettkampf und Regeneration verschiedene Modelle an (etwa 2xU mit dem „Race Sock“ und dem „Recovery Sock“). Studien, die sich mit dem Nutzen von Kompressionsstrümpfen im Ausdauersport befassen, geben sich noch zurückhaltend, sprechen dem Accessoire aber durchaus eine positive Wirkung zu – vor allem nach dem Sport: Auf einem kürzlich abgehaltenen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in Bochum wiesen Venenexperten darauf hin, dass das Tragen von Kompressionsstrümpfen nach dem Sport Beschwerden wie schwere, geschwollene Beine lindern kann. Untersuchungen vom Institut für angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig stützen diese These: „Auch Sportler mit gesunden Venen haben sich bei unseren Versuchen mit Kompressionsstrümpfen schneller Dass die Socken auch die Leistung während des Wettkampfes steigern, konnte noch nicht wissenschaftlich belegt werden. erholt als ohne“, erklärt Dr. Anneliese Berbalk, die die Studie betreut. Viele Sportler berichten außerdem von einem äußerst angenehmen Tragegefühl. Durch die eng anliegenden Socken werde die Muskulatur gestützt, Erschütterungen beim Laufen oder Radfahren würden deutlich abgemildert. Dass die Socken aber tatsächlich, wie von vielen Herstellern angepriesen, auch die Leistung während des Wettkampfes steigern, konnte noch nicht wissenschaftlich belegt werden. „Dazu liegt aktuell keine verlässliche Studie vor“, bestätigt Dr. Stapelfeldt. „Empfehlenswert sind die Strümpfe aber auf jeden Fall für Sportler mit Venenleiden und zur Regeneration“, fasst er zusammen. Einer der Hauptgründe, warum der Trend Kompressionsstrümpfe Radsportler polarisiert, ist die Optik. Radler präsentieren gerne ihre rasierten, gebräunten und definierten Waden; jetzt sieht man nur noch weißen oder schwarzen engmaschigen Stoff, und gerade mal das Knie bleibt frei. In Kombination mit engen Radhosen sehen die bis kurz unters Knie reichenden, knalleng sitzenden Strümpfe gewöhnungsbedürftig aus. Hinzu kommen die Kosten: Wer ein Paar Kompressions- INTERVIEW ̕Wenn die Funktion stimmt, ist mir die Optik egal!̔ FREY Timo Bracht zählt zu den besten deutschen Langstrecken-Triathleten. Er wurde 2007 mit seinem Sieg beim Ironman Frankfurt Europameister. Bracht trug als einer der ersten Athleten Kompressionsstrümpfe im Wettkampf – und ist von deren positiver Wirkung überzeugt TOUR: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Kompressionsstrümpfe zu tragen? BRACHT: Kurz vor dem Ironman Hawaii 2006 habe ich nach einer Methode gesucht, meine Beine besser zu kühlen. Wir Triathleten schütten uns während des Wettkampfes immer Wasser über den Kopf, um uns abzukühlen. Ich probierte Kompressionsstrümpfe aus, und sie kühlten wunderbar. Das Wasser lief in die Strümpfe und blieb dort. Den eigentlichen Effekt, die Kompression, bemerkte ich erst nebenbei. Und wie fühlte sich dieser Effekt an? Erst ein bisschen ungewohnt, weil diese Strümpfe wirklich sehr eng sitzen, aber 52 TOUR 2 | 2009 ich habe mich schnell daran gewöhnt. Die Muskulatur wird besser gestützt, die Beine fühlen sich beim Laufen deutlich stabiler an. 2006 auf Hawaii wurde ich von vielen Athleten belächelt, als sie mich mit den Socken sahen – damals waren genau sechs Athleten mit Kompressionsstrümpfen am Start. Beim Ironman Hawaii 2008 – das haben Zählungen ergeben – trug jeder sechste Triathlet Kompressionsstrümpfe. Irgendwas muss also dran sein an den Dingern! Tragen Sie die Strümpfe auch beim Radfahren? Das habe ich auch schon gemacht. Es hat funktioniert, für meinen persönlichen Geschmack sind sie aber auf dem Rad etwas zu eng. Allerdings tragen viele Radprofis und Triathleten die Socken nach dem Wettkampf zur Regeneration und sind begeistert davon. Die Beine lagern weniger Wasser ein und fühlen sich nicht so schwer an. Ich trage die Socken mittlerweile auch bei vielen Gelegen- heiten außerhalb des Sports – auf langen Flügen zum Beispiel. Gibt es für Radfahrer eine Alternative zu Kompressionsstrümpfen? Ich experimentiere gerade mit einer Kompressionshose herum. Also einer kurzen Radhose, die das gleiche Material enthält wie die Socken. Und das fühlt sich super an. Der Oberschenkel, der auf dem Rad die meiste Arbeit leisten muss, wird gestützt und besser durchblutet – ich denke, diese Hosen werden für Radler ein große Hilfe sein, vor allem auf langen Strecken. Viele Athleten haben mit der Optik der langen Socken Probleme – Sie auch? Beim Laufen überhaupt nicht, da sind sie ja auch so weit verbreitet, dass es gar nicht mehr auffällt. Auf dem Rad – naja, das schaut schon seltsam aus. Aber wenn die Funktion stimmt, ist mir das doch als Sportler egal, oder? Interview: Eva Stammberger strümpfe für Sportler haben möchte, muss 50 Euro und mehr dafür ausgeben. Sind Kompressionsstrümpfe für Radler also sinnvoll? Jein. Während der Belastung konnten bisher objektiv keine leistungssteigernden Effekte festgestellt Kompression für alle(s) Ist ein Trend erst einmal in Schwung gekommen, springen die Hersteller rasch auf, um schnellstmöglich maximal davon zu profitieren. Daher gibt es neben den klassischen Kompressionsstrümpfen mittlerweile auch Tights, Unterhemden, Trikots – eigentlich jedes Kleidungsstück, das man zum Rennradfahren braucht – in einer Kompressionsvariante. Auch hier berichten Sportler von einem angenehmen Tragegefühl – man fühlt sich „in shape“. Eine leistungssteigernde Wirkung der Kleidung konnte aber auch hier bisher nicht nachgewiesen werden. Fazit: Wer sich mit den Produkten gut fühlt, kann sie ohne Bedenken tragen. Allerdings kosten Kompressionsklamotten deutlich mehr als reguläre Trikots und Hosen. werden, die Socken schaden aber auch nicht. Nach der Belastung können sie die Regeneration durchaus positiv beeinflussen. Besonders, wer nach dem Training oft schwere Beine hat, wird den komprimierenden Effekt schätzen. Ob Stützstrümpfe Bringt den Body in Form – und vielleicht auch die Leistung. X-Bionic „Energizer“ T-Shirt Mid Impact, Preis: ca. 60 Euro HER S TELLER ̌2̍, KR AUS Komprimierte Erholung: Die „CompressRx Recovery Tight“ von Zoot soll müde Beine schneller wieder munter machen. Preis: 110 Euro optisch und finanziell vertretbar sind, ist eine subjektive Entscheidung. Und ob sie – ähnlich wie das Nasenpflaster Mitte der 90er-Jahre – ein kurzfristiger Modehype sind oder sich auch langfristig durchsetzen, wird sich zeigen. ■ depuis 1949
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