Hasret Drawers

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Neue türkische Filme - TürkFilmFestivali
Die Geister vom Bosporus
Hasret
Sehnsucht
Furcht vor der Vergangenheit
Drawers
Çekmeceler
125 Min, Türkei / Originalfassung mit englischen Untertiteln
Böse Mädchen kommen in die Hölle heißt es. Aber davor steht bekanntlich
noch die Vorhölle, auch Leben genannt. Andererseits ist es ja die Frage, ob Deniz
überhaupt ein böses Mädchen ist? Oder doch nur ein ganz normaler Teenager, der
die Freuden des Lebens kennen lernen und sich selbst entdecken will?
Allemal ist sie erkennbar verwundbar durch all die kleineren und größeren Katastrophen, die die Erwachsenen um sie herum anstellen. Zugleich treibt sie selbst es
bunt und gefährlich: Deniz probiert harte Drogen aus, probiert Sex aus, hüpft von
einer Party zur nächsten – auch sie spürt,
dass ihr das nicht gut tut. Aber warum
macht sie dann dies alles? Deniz Schicksal wird in Form von Rückblicken erzählt,
nachdem ihre selbstzerstörerische Art
sie in eine Klinik geführt hat. Im Zentrum
eines Wechsels aus Selbstbezichtigungen
und Anklagen steht ein junger Mensch,
der gerade beginnt zu begreifen, was Leben bedeutet. Stück für Stück tun sich
neue Abgründe auf. „Drawers“, auf Deutsch „Schubladen“, ist ein Film über Menschen, die versuchen gut und liebevoll zu sein und daran scheitern. Das Portrait
einer Familie, die aus den Fugen gerät. Die Regisseure interessiert das Repräsentative ihrer Geschichte, der Bezug zur türkischen Kultur und ihre Verdrängungen:
An den frühen Pedro Almodovar erinnert der Film in seiner Liebe zum Schrillen,
zum Theatralischen, zu einem Kino der Echtheit. RS
M. CANER ALPER Der 1970 im türkischen Izmir geborene M. Caner Alper arbeitet als Drehbuchautor und Regisseur. Mit seinem Erscheinen wurde sein Spielfilm „Zenne Dancer“ (2012), für den er mit seinem Kollegen
Mehmet Binay Regie führte, mehrfach ausgezeichnet. Das Duo arbeitete
auch 2014 gemeinsam am Spielfilm „Çekmeceler“ (2015).
MEHMET BINAY Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent Mehmet
Binay, geboren 1972 in Istanbul, veröffentlichte seinen ersten Dokumentarfilm „Anadolu’dan fisiltilar“ im Jahr 2008. „Zenne Dancer“ (2012) war auch
Binays Spielfilmdebüt, gefolgt von „Çekmeceler“(2015).
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82 Min, Türkei, Deutschland / Originalfassung mit englischen Untertiteln
Ein Filmteam in Istanbul, es soll eines jener glitzernden 08/15-Portraits
einer flirrenden Metropole werden. Doch bald fallen dem Regisseur auf
seinen Filmbildern Dinge und Menschen auf, die er beim Drehen kaum bemerkt
hat. Wie Geister tauchen sie auf, schattenhaft. Ein zweiter Film hat sich in den
ersten eingeschlichen. Diese Entdeckung fasziniert den Regisseur und er beginnt
gezielt nach jenen Geistern zu suchen. So zeigt er uns das Istanbul, das wir nicht
kennen: Es ist gleichzeitig verborgen und alltäglich, es ist das Istanbul jenseits der
Touristenattraktionen, aber auch jenseits der Nachrichtenbilder. Wir begegnen in
den abgeschiedenen nächtlichen Gassen der Altstadt den Ausläufern der GeziProteste ebenso, wie den Müllmännern, die die Stadt sauber halten und das, was
sie aufsammeln, zu Geld machen. Wir erleben zahllose Facetten dieser faszinierenden Brückenstadt zwischen Orient und Okzident, der einzigen Metropole der
Welt, die auf zwei Kontinenten liegt. Hasret ist das türkische Wort für Sehnsucht.
Sehnen tun sich die Menschen hier nach
Freiheit, nach Frieden. Ben Hopkins, ein
Brite, der in Hongkong geboren wurde, hat
schon mehrere Filme in der Türkei gedreht
– sein Blick ist keiner von außen, sondern
der eines Liebhabers. Sein melancholischsehnsuchtsvoller Filmessay zeigt uns
auch die gespaltene Seele der türkischen
Gegenwart. RS
BEN HOPKINS Drehbuchautor, Filmemacher und Schriftsteller wurde in Hong
Kong geboren. Er studierte am Royal College of Art Oxford und lebt seitdem in
London und Istanbul. Zu seinem Repertoire gehören Kurzfilme, ebenso wie Dokumentar- und Spielfilme, die ihm bereits mehrere Auszeichnungen eingebracht
haben. Neben mehreren Romanveröffentlichungen schreibt er als Drehbuchautor in den unterschiedlichsten Genres für verschiedene Regisseure.
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Sa 10. Okt. 19.30 Uhr Kino Atlantis
Fr 16. Okt. 19.30 Uhr Kino Atlantis
Fr 16. Okt. 23.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Sa 17. Okt. 23.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Di 20. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
Fr 23. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
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Neue türkische Filme – TürkFilmFestivali
Zu Fuß ins neue Leben
A Good Fellow
İyi Biri
Wenn einen die Vergangenheit nicht los lässt
The Human Within Me
İçimdeki İnsan
109 Min, Türkei / Originalfassung mit englischen Untertiteln
100 Min, Türkei / Originalfassung mit englischen Untertiteln
Eigentlich ist Sabri ein ganz normaler braver Staatsbeamter. Eines
Tages jedoch begeht der ältere Herr mitten in seinem Büro einen Mord. Die Tat
geschieht unvermittelt, sie hat keinen offensichtlichen Grund, und ist auch ihm selber ein Rätsel, als
er von der Polizei verhört wird. „Ich habe eine Ratte
getötet“, sagt Sabri zu sich selbst, und auch zu dem
Schriftsteller Nuri, der ihn im Gefängnis besucht
und ausfragt. Am Tag nach dem Besuch begeht
Sabri Selbstmord. Nuri lässt das nicht los. Er sucht
Sabris Verwandtschaft, seine Freunde und Berufskollegen auf und versucht, der rätselhaften Tat auf den Grund zu gehen. Jeder
der Befragten hat seine eigene Version von Sabris Charakter und seiner Tat.
Aber ganz allmählich kommt Licht in die Angelegenheit und zu seiner Überraschung entdeckt Nuri, dass auch er selbst eine Rolle in dem Geschehen spielt...
„İçimdeki İnsan" ist ein psychologischer Thriller, der mit den Stilmitteln des
Genrefilms spielt, aber über die Frage der Auflösung der Tat weit hinausgeht.
Bald entwickelt sich daraus ein Panorama der türkischen Gesellschaft und ihrer
Geschichte während der letzten Jahrzehnte. Ein auch in seiner Inszenierung
sehr spannendes Drama über Schuld und Sühne, über Erinnerungen, die einen
lebenslang verfolgen, das aus mehreren Perspektiven erzählt wird und viele
überraschende Wendungen bereit hält. RS
AYDIN SAYMAN Sayman wurde im Februar 1953 im türkischen Malatya
geboren. Bereits als Student arbeitete er als Redaktions- und Regieassistent,
bis er 1976 die Werbeindustrie für sich entdeckte. Bisher wirkte er bei diversen Filmprojekten als Drehbuchautor, Produzent oder Regisseur mit. Mit
dem Drama „Icimdeki Insan“ (2014) brachte Aydin Sayman im vergangenen
Jahr seinen ersten Spielfilm heraus.
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rkFilmFestivali
. Tü
Eröffnungsfilm des 24
Wie wird man eigentlich erwachsen, wenn einem keiner erklärt, wie
das geht? Mizrap wirkt auf die Freunde und Bekannten der Familie wie „ein
guter Junge“. Für seine Eltern und Geschwister ist er aber eine einzige riesige
Enttäuschung. Denn auch mit 40 Jahren lebt
der Mann noch immer bei seinen Eltern und
immer noch hat er keine richtige Arbeit – und
er macht auch nicht den Eindruck, als sei er
von irgendeinem Ehrgeiz getrieben. Irgendwann wirft ihn sein Vater hochkant aus dem
Elternhaus heraus und seinen Hund gleich
mit dazu. Was tun? Mizrap beschließt, erst
einmal Salim zu besuchen, seinen alten Freund aus Armeezeiten. Der lebt in einer
malerischen, von Feldern umgebenen Kleinstadt bei Mersin – und Mizrap träumt
bereits von einer beschaulichen Zukunft „mit einem kleinen Häuschen, Frau
und Kindern“. Bloß: Wie stellt man das an? Erst einmal muss er aber zu Salim
kommen. Auf der langen Wanderung nach Mersin, zu Fuß mit seinem Hund, wird
er viele Überraschungen erleben, merkwürdigen Mitmenschen begegnen und eine
Menge lernen. Dieser Film, ein poetisches Roadmovie ohne Autos enthält nach
Angaben des Regisseurs und Drehbuchautors Ayhan Sonyürek „viele mehr oder
weniger autobiographische Elemente“. 2014 gewann er den Publikumspreis bei
den „türkischen Oscars“ in Antalya. RS
AYHAN SONYÜREK wurde 1968 im türkischen Adana geboren und war lange
Zeit als Drehbuchautor tätig. Im Jahre 2006 führte er bei seinem Spielfilm „Unutulmayanlar“, von dem er auch das Drehbuch schrieb, erstmals Regie. Seine
zweite Regiearbeit „İyi Biri“ (2014) feierte ihre Weltpremiere beim 51. International Antalya Golden Orange Film Festival.
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Sa 10. Okt. 15.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Di 13. Okt. 19.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Do 15. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
Mi 14. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
Sa 17. Okt. 13.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Fr 23. Okt. 23.00 Uhr Kino im Stadthaus II
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Neue türkische Filme – TürkFilmFestivali
Von früher und von heute
Song of my Mother
Annemin Șarkısı / Klama Dayika Min
Abschied von der Kindheit
Snow Pirates
103 Min., Türkei, Frankreich, Deutschland
Originalfassung mit englischen Untertiteln
Kar Korsanları
83 Min, Türkei / Originalfassung mit englischen Untertiteln
Es ist ein harter Winter im Nordosten der Türkei. Der Schnee bleibt hier
lange liegen – und das ist auch ein Sinnbild der erkalteten, starren politischen
Verhältnisse. Denn der Militärputsch von 1980 liegt noch nicht lange zurück.
Vor diesem Hintergrund erzählt der Film die Geschichte von Serhat, Gurbuz und
Ibo. Die drei Jungen sind 12 Jahre alt, dicke Freunde, besuchen die gleiche Schule. Ihre Nachmittage sind unbeschwert,
geprägt vom Schlittenfahren und Fußballspielen im Schnee. Aber das Leben der
Erwachsenen, mit ihren Sorgen, mit den
sozialen Verwerfungen und politischen
Gefahren wirft düstere Schatten auf die
Kinder. Zum Beispiel die Kohle: Das Militär beschlagnahmt die angelegten Vorräte,
aber weil die Menschen selbst dringend Heizstoff benötigen, werden die Jungens
losgeschickt, um irgendwo etwas aufzutreiben. Schnell begreifen sie: Not kennt
kein Gebot. Das Kohleklauen beginnt als ein bisschen abenteuerliches Kinderspiel,
aber es wird schnell auch bitterer Ernst, und das bleibt den Dreien natürlich nicht
verborgen. In seinem packenden Debüt gelingt Regisseur Faruk Hacıhafızoğlu
eine Geschichte vom Abschied von der Kindheit. Bei allen offenen Anleihen an den
italienischen Neorealismus ist „Kar Korsanları“ zugleich ein sehr origineller Film:
Neben bezaubernden Kinderdarstellern trägt dazu auch die wunderbare Kulisse
der schneebedeckten Berglandschaft um Kars das ihre bei. RS. ç
FARUK HACIHAFIZOĞLU wurde 1965 im türkischen Kars geboren. Bevor er
sich einem Studium der Contemporary Media Practices an der University of
Westminster widmete, hatte er bereits Agrartechnik und Fotografie studiert.
Währenddessen arbeitete er als freier Journalist, Fotograf, Produzent und Regisseur. Das historische Drama „Kar Korsanları“ (2015) ist sein erster Spielfilm, der dieses Jahr auf der Berlinale Premiere feierte.
Der Schullehrer Ali lebt immer noch bei seiner alten Mutter Nigar im
traditionellen Tarlabașı-Viertel von Istanbul. Aber die Stadt verändert sich,
ganze Straßenblöcke mit Wohnungen werden abgerissen und durch ShoppingMalls oder Yuppie-Appartements ersetzt. So geht es auch Ali und seiner Mutter:
Sie müssen ihre alte Wohnung verlassen und in die seelenlosen Betonwüsten
der Vorstadt ziehen. Die alte Frau ist überzeugt, dass ihre ehemaligen Nachbarn
alle zurück in ihre Dörfer gegangen sind.
Nachts träumt sie ständig von einem Lied
aus ihren Jugendtagen. Jeden Morgen
packt sie ihre Sachen und durchstreift die
Stadt, um ihr altes Dorf wiederzufinden.
Sohn Ali kann nicht viel tun, er umsorgt
sie ständig, kauft ihr Geschenke und
Naschwerk. Oder er nimmt sie mit auf
Spazierfahrten mit seinem Motorrad. So sehr, dass seine Freundin Zeynep langsam Angst bekommt, ob er sich irgendwann noch von der Übermutter lösen und
erwachsen werden kann. Eines Tages erfährt Ali, dass Zeynep schwanger ist. Ist
er bereit, Vater zu werden, oder bleibt er ein ewiges Muttersöhnchen? Ali ist nicht
nur zerrissen zwischen den beiden Frauen seines Lebens, sondern auch zwischen
Tradition und Moderne, Stadtflucht und Landsehnsucht. Wie sehr vererben sich die
Träume der Eltern auf die Kinder? Das Filmdebüt von Erol Mintas gewann bei den
„türkischen Oscars“ von Antalya die Auszeichnung für das beste Erstlingswerk. RS
EROL MINTAȘ Der 1983 im türkischen Kars geborene Erol Mintaș studierte
zunächst Informatik an der Marmara University, bevor er sein Filmstudium
begann. Währenddessen arbeitete er bereits als Regisseur von verschiedenen
Filmprojekten, bis 2008 sein erster eigener Kurzfilm „Butimar” auf Festivals
gezeigt und für mehrere türkische Awards nominiert wurde. „Klama Dayika
Min” (2014) gewann das Heart of Sarajevo als Bester Film und hat bereits
weitere Auszeichnungen ergattert.
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Mo 19. Okt. 19.30 Uhr Kino Atlantis
Sa 10. Okt. 23.00 Uhr Kino im Stadthaus II
Mi 21. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
So 18. Okt. 19.30 Uhr Kino Atlantis
Sa 24. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
Di 20. Okt 19.30 Uhr Kino Atlantis
Do 22. Okt. 17.30 Uhr Kino Atlantis
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