18. Juni 2015 Erstattungsbetragsverhandlungen nach § 130b SGB V

Dr. Christina Diessel
Apothekerin
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18. Juni 2015
Erstattungsbetragsverhandlungen nach § 130b SGB V
Im Anschluss an die frühe Nutzenbewertung wird zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer
(pU) und dem GKV-Spitzenverband ein Erstattungsbetrag verhandelt. Entscheidet sich der pU innerhalb von vier Wochen nach Veröffentlichung des G-BA-Beschlusses die Verhandlung mit dem GKVSpitzenverband nicht durchzuführen, verpflichtet er sich sein neues Arzneimittel in Deutschland aus
dem Verkehr zu nehmen. Dieses Vorgehen wird als „opt-out“ bezeichnet und verfolgt die Strategie,
dass kein Erstattungsbetrag in Deutschland gelistet ist. Damit können andere Länder ihren Arzneimittelpreis nicht auf den ermäßigten deutschen Erstattungsbetrag referenzieren. Entscheidet sich der
pU für eine Verhandlung, enthält die Vereinbarung Angaben zu Zweckmäßigkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Verordnung des neuen Arzneimittels. Mit dem 14. SGB V Änderungsgesetz wurde
zum 1. Januar 2015 der Verhandlerkreis auf Seiten der GKV erweitert. An den Erstattungsbetragsverhandlungen nimmt nun auch ein Vertreter einer gesetzlichen Krankenkasse teil. Der Gesetzgeber
möchte so versorgungsrelevante Inhalte aus erster Hand mit in die Verhandlung eingebracht wissen.
Der verhandelte Erstattungsbetrag gilt ab dem 13. Monat nach erstmaligem Inverkehrbringen für alle
Arzneimittel, die den betreffenden Wirkstoff enthalten. Bringt z. B. ein Reimporteur ein Arzneimittel
erstmalig auf den deutschen Markt, gilt der Nutzenbeschluss und der verhandelte Erstattungsbetrag
des Originalpräparates auch für das Reimport-Arzneimittel. Die Grundlage für die Verhandlung bilden
der G-BA-Beschluss (Zusatznutzen), in dem auch die Höhe der Kosten der zVT (meist Generika) aufgeführt ist, die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel und der tatsächliche Abgabepreis im
europäischen Ausland. Neben dem Erstattungsbetrag einigen sich die Vertragsparteien auch auf weitere Inhalte. Die Verhandlungen sind streng vertraulich. Am Ende einer abgeschlossenen Verhandlung wird lediglich der verhandelte Erstattungsbetrag in dem Preisverzeichnis (Lauer-Taxe®) veröffentlicht.
Wenn sich pU und GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs Monaten nach der Veröffentlichung des
Beschlusses nicht einigen können, beginnt ein Schiedsstellenverfahren. Die Schiedsstelle nach § 130b
SGB V wird vom GKV-Spitzenverband und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Industrie gebildet und thematisiert und verhandelt ausschließlich die ungeeinten Sachverhalte.
Die Schiedsstelle beschließt innerhalb von drei Monaten. Der festgesetzte Erstattungsbetrag gilt
rückwirkend ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen des neuen Arzneimittels. Die Schiedssprüche können von jedermann bei der Schiedsstelle eingesehen werden. Eine Veröffentlichung z. B.
auf einer Homepage erfolgt nicht.
Im folgenden Abschnitt wird auf die verhandelbaren Inhalte einer Vereinbarung nach § 130b SGB V
näher eingegangen. Alle Angaben hierzu finden sich in der Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9
SGB V.
Erstattungsbetrag
In erster Linie wird ein Erstattungsbetrag als neuer Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) zwischen den Vertragsparteien vereinbart. Hierbei sind drei Kriterien relevant, die die
Höhe des Erstattungsbetrages von Arzneimitteln mit belegtem Zusatznutzen beeinflussen: der G-BABeschluss mit dem festgestellten Zusatznutzen, in dem auch die Höhe der Kosten der zweckmäßigen
Vergleichstherapie (meist Generika) aufgeführt ist, die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel und der tatsächliche Abgabepreis im europäischen Ausland. Dazu werden folgende Konkretisierungen in der Rahmenvereinbarung benannt. Der pU muss Informationen über die tatsächlichen
Abgabepreise im europäischen Ausland (in der Rahmenvereinbarung sind die entsprechenden Länder
gelistet) und die Unterlagen von vergleichbarer Arzneimittel vorab dem GKV-Spitzenverband melden.
Wichtiger Kritikpunkt der Industrie ist, dass der Erstattungsbetrag als Zuschlag auf die Kosten der zVT
berechnet wird und somit oftmals der Preis der Generika als so genannter „Preisanker“ fungiert.
Allerdings hat die Industrie dies gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband in der Rahmenvereinbarung festgelegt. Konnte ein neues Arzneimittel im AMNOG-Verfahren keinen Zusatznutzennachweis
erbringen und nicht in eine Festbetragsgruppe eingeordnet werden, verbleibt für die Verhandlung
nur das Kriterium der Kosten der zVT als Preisobergrenze. Der tatsächliche Abgabepreis im europäischen Ausland, der in der Verhandlung ebenfalls eine Rolle spielt, wird mittels der Kaufkraftparität
bereinigt. So kann es durchaus möglich sein, das ein EB aus einem anderen Land dadurch auf- oder
abgewertet wird. In der konkreten Umsetzung verlangt dieses Vorgehen den beteiligten Akteuren
einiges ab. Teilweise werden neue Arzneimittel zum relevanten Zeitpunkt nur in wenigen anderen
Ländern vermarktet, die tatsächlichen Abgabepreise können vertraulich sein oder aus strategischen
Entscheidungen werden die entsprechenden Angaben nicht zur Verfügung gestellt. Im Zuge dessen
kann sich die Anzahl der zur Verfügung stehenden tatsächlichen Abgabepreise stark reduzieren. Da
die Vertragsverhandlungen vertraulich sind, können keine genauen Zahlen hierzu evaluiert werden.
Lediglich aus den öffentlich zugänglichen Unterlagen des Schiedsspruches können Hinweise darauf
abgeleitet werden.
Zusätzlich kann durch die Verhandlung der Herstellerrabatt nach § 130a Abs. 1 SGB V abgelöst werden.
Mengenvereinbarung
Für den G-BA-Beschluss wird die Größe der maximalen Zielpopulation innerhalb der GKV-Population
gemäß der Angaben der Arzneimittelzulassung ermittelt. Dabei wird die Konkurrenz zu anderen Arzneimitteln oder therapeutischen Verfahren nicht berücksichtigt. Als Grundlage für die Erstattungsbe-
tragsverhandlung muss der pU zusätzlich Informationen über die erwartete jährliche Absatzmenge
des Arzneimittels differenziert nach den Anwendungsgebieten des G-BA-Beschlusses dem GKVSpitzenverband vor der Verhandlung übermitteln. Zusätzlich zur Mengenvereinbarung, die sich theoretisch als Mindest- und Maximalgrenze realisieren lässt, werden Konsequenzen bei Über- bzw. Unterschreitung vereinbart. Dieses kann z. B. ein Sonderkündigungsrecht sein.
Praxisbesonderheit
Bei Arzneimitteln mit belegtem Zusatznutzen soll eine bundeseinheitliche Anerkennung als Praxisbesonderheit vereinbart werden. Von dieser Kann-Regelung wurde bis dato nur in vier Verhandlungen
Gebrauch gemacht (Ticagrelor – Brilique ®, Pirfenidon – Esbriet ®, Enzalutamid – Xtandi ®, Abirateronacetat – Zytiga ®, Ruxolitinib – Jakavi ®, Stand: 12. Juni 2015). Hier ist zu vermuten, dass diese Anerkennung den pU einige Prozentpunkte in der Verhandlung kostet, der Erstattungsbetrag etwas niedriger ausfallen dürfte. Im Allgemeinen wird angenommen, dass die Anerkennung als Praxisbesonderheit die Diffusion eines neuen Arzneimittels in den Markt erleichtert. Daneben kann sich Folgendes
hemmend auf die Bereitschaft zur Vereinbarung einer Praxisbesonderheit auswirken. Einige neue
Arzneimittel sind schon in den bestehenden regionalen Anhängen der Prüfvereinbarung als Praxisbesonderheit berücksichtigt. Von Seiten der GKV ist eine Anerkennung als Praxisbesonderheit immer
mit dem Risiko einer Mengenzunahme verbunden.
Vertragslaufzeit
Die Mindestvertragslaufzeit eines Vertrags nach § 130b SGB V beträgt ein Jahr. Im Falle eines neuen
Beschlusses einer weiteren Nutzenbewertung oder Kosten-Nutzenbewertung oder der Voraussetzung zur Bildung einer Festbetragsgruppe kann vor Ablauf der Frist gekündigt werden. Damit unterscheiden sich Verträge nach § 130b maßgeblich von denen nach § 130a Abs. 8 SGB V. Die Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 haben eine Laufzeit von zwei Jahren und bringen so ein höheres Maß an
Planungssicherheit für den pU. In den Schiedssprüchen wird deutlich, dass bei Streitigkeiten in diesem Punkt immer die gesetzliche Mindestanforderung umgesetzt wird. Damit will man den beteiligten Akteuren ein Höchstmaß an Flexibilität einräumen.
Grafische Übersicht: Erstattungsbetragsverhandlungen, Schiedsspruch nach § 130b SGB V und Kosten-Nutzenbewertung nach § 35b SGB V