Fachtag - Landratsamt Nürnberger Land

Fachtag „Migrationssensibler Kinderschutz“
7. Mai 2015
Reichswaldhalle
Feucht
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“
Herzlich Willkommen!
ab 09.00 Uhr
Ankommen, Infostände, Kaffee
10.00 Uhr
Einführung, Grußwort
10.30 Uhr
Migrationssensibler Kinderschutz – warum ein Thema?
11.00 Uhr
Fachblick: Kinderschutz migrationssensibel gestalten
12.00 Uhr
Fragen und Diskussion
12.30 Uhr
Mittagspause mit Imbiss
13.30 Uhr
Einblicke in die Praxis, anschl. Ausblick in die Regionen
16.00 Uhr
Veranstaltungsende
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“
Einblicke in die
Praxis
Vorstellung des Arbeitsfeldes
„Wo haben Sie in Ihrer
alltäglichen Arbeit
Berührungspunkte mit dem
Thema Migration?“
„Wo erleben Sie andere
kulturelle Werte und
Einstellungen? – Welche
Konsequenzen hat dies für
Ihre berufliche Praxis?“
Dr. Rezarta Reimann,
Integrationsbeirat Schwabach
Ella Schindler,
Krisendienst Mittelfranken
Gisela Woitzik-Karamizadeh,
Beratungszentrum für Integration und
Migration in Nürnberg, BIM
Andrea Hopperdietzel,
Frauenhaus “Anna-Wolf”
Ottilie Tubel-Wesermeyer,
Landratsamt Roth
Servet Mimaroglu,
Integrationsbeauftragte der Städte Lauf
und Röthenbach
Einblicke in die Praxis
Dr. Rezarta Reimann
Integrationsbeirat Schwabach
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“
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Viele Namen haben eine Bedeutung. Rezarta bedeutet z. B.: „goldene, strahlende Sonne“.
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Ein Hauptziel ihrer Arbeit ist es, Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen; ein weiterer Bereich ist der interreligiöse
Dialog.
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Wenn Migranten/innen, die schon lange hier leben, neu dazu Kommenden helfen, heißt das auch: Auseinandersetzung mit
der eigenen Identität.
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Wichtig ist zu erkennen, welche Ressourcen die Menschen mitbringen und haben – die muss man nutzen.
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„Wir verstehen uns nicht nur kognitiv, wir haben auch viele Gemeinsamkeiten. Ich musste auch meine Großfamilie verlassen
und eine neue Sprache lernen. Ich zeige auch meine Zweifel.“
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„Ich versuche klarzumachen, welche Vorteile sie haben, z. B. die Bildungschancen der Kinder.“
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„Ich führe die Gespräche nicht in einem Büro sondern privat, bei einer Tasse Kaffee. Oder ich lasse mich zum Essen
einladen.“
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Die Heterogenität erschwert die Arbeit: Sprache, Kultur, Erfahrungen … aber auch Generationen. Nicht jede
Migrationsgeschichte ist gleich. „Um beraten zu können, brauche ich Informationen über die Erfahrungen.“

„Manchmal ist der gleiche Hintergrund auch hinderlich. Es kann Misstrauen und Angst entstehen, dass ich etwas weiter
erzähle.“ Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, mit wem sie es zu tun haben.
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Bitte bedenken: Ehrenamtliche Helfer haben oft auch einen Beruf und sind nicht immer zeitlich flexibel.
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Ehrenamtliche Betreuer brauchen auch fachliche Unterstützung.
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Im Albanisches gibt es den Begriff „Grenzen setzen“ nicht.
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Die Rolle der Mädchen in Albanien ist immer noch sehr traditionell. „Es reicht, wenn sie schreiben und lesen kann.“
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Familien haben die Befürchtung, dass Kinder, wenn sie eine Förderschule kommen, noch weitere Nachteile bekommen. Sie
kennen keine Förderschulen.
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Aktuelle Projekte: Integrationspaten in Stadtteilen – Zusammenarbeit für sozialempirische Forschung: Ermittlung der Familien
und Strukturen / Netzwerke, …. Für ein besseres und passgenaueres Angebot. – Letzter Punkt: „SPRACHE!“
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An die Politik: „Bildungsgutscheine können auch ein Keil sein.“
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Praxistipp: Wenn Eltern aus religiösen Gründen ihre Kinder nicht mitschicken, z.B. ins Schullandheim, dann schicken Sie sie
in die Moschee. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die sie verunsichern.
Einblicke in die Praxis
Ella Schindler
Krisendienst Mittelfranken
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“
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Ella ist ein urdeutscher Name. Frau Schindler ist in der Ukraine groß geworden. In der Ukraine war sie Deutsche,
erst in Deutschland wurde sie zur Ukrainerin.
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An den Krisendienst kann sich jeder wenden, dem des schlecht geht. „Wir arbeiten niederschwellig: Telefon,
Beratungsgespräche beim Krisendienst, Hausbesuche.“
Rolle: „Seelische Feuerwehr. – Wir ‚löschen‘, wieder aufbauen müssen andere.“
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Seit 2005 gibt es eine russischsprachige Beratung, seit 2009 auch türkische Angebote.
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„Es gibt Menschen, die sich an uns wenden, auch wenn sie gut deutsch können. Die Menschen haben eine
‚Feindvorstellung‘ von Institutionen/Behörden. Mit Behörden haben sie früher schlechte Erfahrungen gemacht. –
Wir müssen das System hier in Deutschland erklären, die Funktion der Behörden ist vielen nicht bekannt. Sie
scheuen sich, Angebote anzunehmen. Oft wissen sie auch gar nichts davon.“
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Kinderschutz: Wir erleben bei diesen Eltern Unsicherheit mit ihren Kindern: „Wir verstehen sie nicht. Sie duzen z.
B. Erwachsene.“ Sie verstehen nicht, wie es läuft und warum es hier so läuft. – z. B. Bereich Erziehung zu
Eigenständigkeit. Die Eltern brauchen Informationen.
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Beispiel: „Meine Tochter droht mir: ‚Wenn Du mir keine Jeans der Marke … kaufst, dann gehe ich zum
Jugendamt und sage, dass du mich schlägst.“ – Die Frau weiß nicht, dass sie nicht ausgewiesen werden kann
und dass man ihr so schnell das Kind nicht entziehen kann.
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Wenn wir nicht nachfragen, sondern die Menschen zu vorschnell in eine Schublade stecken, dann kann das ein
„Rausschmeißer“ sein. Die Menschen spüren das.
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Russischsprachige Klienten brauchen manchmal mehr Hilfe und Unterstützung als deutsche, bevor sie selbst
aktiv werden können. Sie kommen aus einem System, wo es nicht erwünscht war, selbst initiativ zu werden.
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Was Kindern zugute kommt, sind „Kümmerer“. Viele haben negative Glaubenssätze, die an die Kinder weiter
gegeben werden; Kinder brauchen gerade am Anfang Menschen, die für sie da sind und die an sie glauben.
Mütter können das manchmal einfach nicht. – Mutmacher.
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Viele Kinder sind zwar scheinbar gut integriert, müssen aber trotzdem zu Hause viele Spannungen aushalten.
Einblicke in die Praxis
Gisela Woitzik-Karamizadeh
Beratungszentrum für Integration und
Migration in Nürnberg, BIM
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“
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Name: Woitzik ist polnisch (Woit = Dorfvorsteher), Gisela ist deutsch, Karamizadeh ist ein persischer Name und
bedeutet „gutmütig“.
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Das BIM ist für wochentags geöffnet und arbeitet eng mit anderen Stellen zusammen.
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Die Beratung ist individuell im Sinne eines „Case Managements“: vor, während und nach d. ersten Sprachkurse(n).
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Öffentlichkeitsarbeit
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Zielgruppen: Aussiedler, EU-Bürger, Resettlement-Bürger, anerkannte Asylbewerber , Erwachsene ab 27 Jahren

Zeitraum: „In den ersten drei Jahren nach ihrer Ankunft“, danach sollen sie sich an die Regeldienste wenden. –
„Das ist nicht praxistauglich.“

Wenn Neuzuwanderer kommen: Eignungstest, Integrationskurse, Jobcenter, … Während dieser Zeit brauchen die
Familien Kinderbetreuung. Gerade bei kommunalen Anbietern ist es oft nur möglich, Kinder zu Stichtagen
anzumelden.

Eltern müssen vieles neu lernen, vor allem die deutsche Haltung zum Thema „Respekt“ (Erwachsene duzen,
Eigenständigkeit etc.).

Das deutsche Schulsystem muss gut erklärt werden. Es gibt viele Wege zum Abitur. Das wissen die
Neuzuwanderer nicht. Sie kommen mit der Forderung „Mein Kind muss aufs Gymnasium“ und wissen nicht, dass
man auch über die Mittelschule und Realschule zum Abitur kommen kann.

Wenn Akademiker kommen, haben sie hohe Vorstellungen davon, in ihrem Beruf zu arbeiten und weiter zu
kommen. Das wird erst jetzt mit dem neuen Gesetz leichter.

„Wenn es den Eltern gut geht, dann geht es auch den Kindern gut. – Dazu gehört auch eine berufliche
Positionierung.“

Es gibt auch einen Jugendmigrationsdienst. Dort gibt es z. B. viele Freizeitangebote. Auch hier ist es wichtig, die
Berufswelt zu erklären.
Einblicke in die Praxis
Andrea Hopperdietzel,
Frauenhaus Anna-Wolf, Schwabach
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“

Anna Wolf war im dreißigjährigen Krieg eine Frau, die einem Bürgermeister Unterschlupf gewährt hat. „Wir arbeiten für
die Frau, aber nicht gegen den Mann.“

Das Frauenhaus hat Broschüren auch in russischer und türkischer Sprache: Es ist wesentlich leichter, einer Frau zu
helfen, wenn sie ihre Papiere dabei hat.

Praxiserfahrung: Migrantinnen sind stärker abhängig vom Partner, finanziell, gesellschaftlich, finanziell.

Oft ist Schwangerschaft Auslöser von Gewalt. 1/3 der Gewalt fängt während dieser Zeit an. – Besonders bei
nichtehelichen Schwangerschaften.

Für Migrantinnen ist es schwerer, ein eigenes Leben zu gründen, als für Frauen, die in Deutschland aufgewachsen
sind.

Im Frauenhaus lernen viele Frauen noch besser deutsch – und auf einmal haben sie Kontakte und können sich
austauschen.

Sprache: für den ersten Kontakt hilft der Google-Übersetzer. Die Frau kann sich einen Übersetzungsdienst anfordern:
Über das „Hilfe-Telefon“ (bundesweites Angebot).

Die rechtliche Situation ist sehr unterschiedlich: Asylbewerberinnen, EU-Bürgerinnen (mit und ohne eigenständiges
Aufenthaltsrecht), bis hin zu Seniorinnen.

„Wie viel zählt das ICH, wie viel zählt das WIR?“ Frauen mit Migrationshintergrund haben oft keine eigenen Kontakte,
nur die Kontakte ihres Mannes.

Fallbeispiel einer Kindesentführung nach Tunesien – sie konnte die Kinder erst wieder mitnehmen, als sie auch die
Pässe hatte.

Weiteres Fallbeispiel: Frau ist verzweifelt: Für jedes Kind, das sie der Familie des Mannes entzieht, muss sie damit
rechnen, dass ein Mitglied aus ihrer Familie getötet wird.

Es ist nicht die Frage, ob wir damit zu tun haben – nur, wie wir damit umgehen.

Appell aus dem Plenum: In München gibt es einen Dolmetscherdienst, der heißt „Gemeindedolmetscher“. Es wäre
schön, wenn es dies auch in Mittelfranken gäbe.

Zusatzinformation Region Nürnberg: Es gibt drei Dolmetscherdienste: ZAB (Zentrum Aktiver Bürger), Gesundheitsamt
Nürnberg und die Stadtmission Nürnberg.
Einblicke in die Praxis
Ottilie Tubel-Wesermeyer,
Landratsamt Roth
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“

Sie ist Leiterin des Sozialamts in Roth; ihr Hauptthema heute: Flüchtlinge

Vieles im Landkreis musste für die Asylbewerber/innen möglichst schnell wieder neu aufgebaut werden.

Roth arbeitet jetzt mit der Diakonie Roth-Schwabach zusammen; diese macht Verfahrensberatung.

Inzwischen gibt es 11 hauptamtliche Mitarbeiter/innen für die Asylbewerber/innen.

Roth hat inzwischen eine Dependance der zentralen Anlaufstelle Zirndorf (ZAE). Die Menschen dort
sind im Schnitt nur 1 – 6 Wochen da. Dort gibt es keinen Zugriff auf Kinder.

In Roth ist eine große Gemeinschaftsunterkunft mit 75 Menschen.

Der Landkreis präferiert kleinere Gebäude, die dezentrale Unterbringung. Insgesamt sind dies im
Landkreis 500 Personen. Davon 224 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Sie leben in Familien, 30
Kinder und Jugendlich sind allein da – ohne Eltern.

Der große Unterschied zu Kindern ohne Migrationshintergrund sind vor allem die prekären
Lebensverhältnisse.

Wir brauchen mehr Offenheit der anderen Dienste. Wir betreuen Menschen, die teilweise schon 3-4
Jahre da sind und z.B. Duldungsstatus haben.

Kinder werden von ihren Eltern „benutzt“ (Parentisierung) – die Folgen können wir noch gar nicht
abschätzen.

Von den Menschen, die jetzt da sind, sind 2/3 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.

„Die Ehrenamtlichen sind der Transfer in die Gesellschaft.“
Einblicke in die Praxis
Servet Mimaroglu,
Integrationsbeauftragte der Städte
Lauf und Röthenbach
FACHTAG
„MIGRATIONSSENSIBLER KINDERSCHUTZ“

Servet bedeutet „Reichtum“.

„Ich möchte erzählen, wie es sich anfühlt, ein Grenzgänger zu sein.“

„Viele finden den Weg zu mir, weil ich eine von ihnen bin.“ – Geschichte: „Bringt mich zu jemandem der auch vom Esel
gefallen ist.“

Respekt, Empathie und Verständnis

„Manchmal bin ich auch Erzieherin oder Tante.“

„Ich ermutige die Menschen, sich zu öffnen, ihren Kindern Mut zu machen; sich nicht zurückzuziehen; immer wieder
nachzufragen.“ Mut Machen hilft mehr als Belehrungen.

„Oft bin ich Dolmetscherin der Kulturen.“

Beispiel: Ein Mutter, der Sohn geht auf das Gymnasium, fragt: „Warum werden die Eltern nicht informiert?“ – Die
Schule verwies auf die Homepage und das E-Mail-System. Den Eltern war nicht klar, dass sie sich selbst informieren
müssen. Sie verstehen die Sprache nicht (gut genug). Sie müssen erst lernen, eigenverantwortlich und selbständig zu
handeln. Die Schulen haben hier nicht so einen Erziehungsauftrag wie im Herkunftsland. Für Migranten ist dies eine
komplett neue Situation.

Beispiel: Treffen mit Lehrern wegen eines Vorschülers. Die Eltern fühlten sich nicht informiert, die Pädagogen waren
darüber überrascht und meinten, die Eltern hätten nichts getan. Diese sagten: „Uns niemand gesagt, dass wir tun
sollen.“ Auflösung: die Pädagogen haben informiert, was das Kind alles (noch) nicht kann – aber nicht, dass es
Ergotherapeuten gibt, die hier helfen können. „Der Sender hat den Empfänger nicht erreicht.“

Menschen, die etwas nicht wissen, haben Angst etwas falsch zu machen. Es ist wichtig, ihnen die Scham zu nehmen.

Sie brauchen Informationen über die kulturellen Werte hier. Sie brauchen Herzlichkeit und Wärme.

Praxisbeispiele: Sprachstammtische, Neubürgerempfänge, Vorbereitungskurse für Kinder im Schulübertritt;
Sprachkurse „Mama spricht auch Deutsch“

Es spielt keine Rolle, woher jemand kommt.

„Ich schätze den Austausch mit Menschen verschiedener Kulturen untereinander.“
Einblicke in die Praxis