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RahmenProgramm
Audi R8
24h-Projekt 2008 Das Puzzlespiel des Rennwagenaufbaus hat
begonnen: Der Audi R8 von sport auto hat sein stabilisierendes
Korsett erhalten. Doch vor dem Schrauben stand das Nachdenken
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Da ist es natürlich gut, wenn man sich auf seine
Projektpartner verlassen kann. Wie beispielsweise
die Firma Heggemann im beschaulichen Büren nahe
Paderborn. „Die haben beim Käfigbau richtig Gas
gegeben und waren drei Tage früher fertig als geplant“, freut sich Düchting über das im Rennsportwinter höchst seltene Gut des Zeitgewinns, als der
Audi R8 ein letztes Mal auf der Vermessungsrampe
von Heggemann zum Fotoshooting posiert.
„So jungfräulich wird man das Chassis nie mehr
wiedersehen“, orakelt Thomas Casey, Chef von Heggemann autosport – der 67 Mann starken auf Motorsport spezialisierten Abteilung eines Unternehmens,
das mit zwei weiteren Sparten auch als Zulieferer
der Automobilindustrie und der Flugzeugindustrie
tätig ist. Gesamtumsatz 2007: 35 Millionen Euro mit
fast 300 Mitarbeitern. Die Kundenreferenzliste ist
ungefähr so dick wie das Telefonbuch einer mittelgroßen Stadt: Vom Toyota F1-Team bis zum Flugzeuggiganten Boeing, von der Rüstungsindustrie bis
Fotos: HERZOG
eit ist die zentrale Komponente im Rennsport.
Auf der Strecke entscheiden Hundertstelsekunden über Sieg und Niederlage. Aber auch hinter
den Kulissen vollziehen sich in den Wintermonaten
dramatische Kämpfe gegen die tickende Uhr: Bei
allen Motorsportteams fliegen die Schraubenschlüssel im Akkord, um die neuen Rennwagen für die
bevorstehende Saison fertig zu bekommen.
Nur wer den Vorhang ein Stück zur Seite schiebt
oder sich selbst darauf einlässt, Teil eines größeren
Rennprojekts zu sein, kann ermessen, unter welchem
Zeitdruck gearbeitet wird. „Das Schlimme ist die
Gleichzeitigkeit der Handlungsstränge“, sagt Michael Düchting, Mitinitiator und Teamchef des 24hProjekts von sport auto. „Wenn du nicht im Dezember deine Überlegungen zum Getriebe abgeschlossen
und die Gangräder geordert hast, überrollt dich das
Thema im April.“ Vorausschauende Planung ist das
eine, Kontrolle der Zeitlimits das andere. „Wenn
jemand was verpennt, dann hängst du am Baum.“
sport auto 3/2008
Passgenau: Mit aufwendiger Messtechnik wurde das R8-Chassis komplett
vermessen, um exakte Daten für die weiteren Arbeitsschritte zu erhalten.
Grundsatzentscheidungen wie die Position der Pedalerie (unten) oder die
Lage der Lenksäule wurden zwischen Teamchef Michael Düchting (links)
und Heggemann autosport-Chef Thomas Casey abgesprochen
www.sportauto-online.de
zur Sportwagenmanufaktur Bugatti. „Wir sind bei allen großen Automobilherstellern im Bereich der Hochtechnologiekomponenten engagiert“, verrät Casey. „Entwicklung und
Produktion“, schiebt er stolz nach. Besonders im metallverarbeitenden Sektor wie bei der Zerspantechnologie und der
Schweißtechnik ist das Unternehmen ein Schwergewicht der
Branche. Fast alle Metallteile des Bugatti Veyron werden in
Büren gefertigt, von Querlenkern bis zu den Motorträgern
aus Edelstahl, aber auch die komplexe Hydraulik.
Es könnte also gar keine bessere Referenz geben, um beim
Audi R8 von sport auto Hand anzulegen, zumal sein Chassis
aus Aluminium besteht, einem Werkstoff, dessen Bearbeitung
intime Kenntnisse bei Material und Verarbeitung voraussetzt.
„Bei Aluminium muss man genau wissen, was man machen
kann und was nicht“, sagt Casey. Nachdem der R8 in der
Werkstatt von Michael Düchting gestrippt und von allem
überflüssigen Material befreit wurde, kam er auf den Vermessungsprüfstand bei Heggemann. Dort wurde mit Hilfe
der Faro-Messtechnik das Chassis abgetastet, alle relevanten
Messpunkte erfasst und in Computer übertragen. Diese Daten
dienen zur weiteren Konstruktionsberechnung.
Daraufhin wurde die Sicherheitszelle in aufwendiger Detailarbeit angepasst. Besonderes Augenmerk galt den Anlenkpunkten der Käfigstruktur an das Chassis: Da der Stahl-
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Das Alu-Chassis des Audi R8
knausert zwar beim Gewicht,
erfordert aber beim Käfigeinbau
eine kundige Hand. Da der leichte
R8 das durchs Reglement bedingte
Gewicht von 1250 Kilo locker
erreicht, können die serienmäßigen
Türen im Rennbetrieb weiterverwendet werden. Dort, wo beim Serienwagen das Vorderachsdifferenzial des Allradantriebs saß (rechts),
finden beim heckgetriebenen Rennwagen die Pumpen für die Lenkung
und der vordere Stempel der Schnellhebeanlage ihren Unterschlupf
käfig nicht einfach mit der Aluminiumstruktur verschweißt
werden kann, mussten an den Verbindungsstellen Buchsen eingepasst werden, über die die Käfighalteplatten mit der Chassisstruktur verschraubt werden. „Dafür muss man wissen, wie es an
exakt diesen Positionen um das Material und seine Bearbeitung
bestellt ist“, erläutert Casey die Finessen des Geschäfts.
Zweifel an der Steifigkeit sind trotz Verschraubung nicht erlaubt. „Wir kennen das R8-Chassis aus der Entwicklungsarbeit
mit Audi sehr gut“, offenbart Casey. „Wenn man die Werte bei
Torsions- und Biegesteifigkeit für ein Stahl- und ein Aluminiumchassis mit Sicherheitszelle vergleicht, dann gibt es heute faktisch
keinen Unterschied mehr.“ Die Jungs bei Heggemann autosport
müssen es wissen, schließlich gehören sie zu den nur fünf Firmen
weltweit, die für die FIA Berechnungen von Käfigstrukturen
durchführen – und zu den nur drei Firmen, die im Auftrag der
FIA Drucktests für Sicherheitszellen erledigen.
Parallel zum Einbau des meterlangen Käfiggeflechts kümmert
sich Heggemann bereits um die Vorbereitung der Alu-Achsen
und der benachbarten Bauteile. „Achsen und Lenker entsprechen
prinzipiell der Serie und wurden im Detail für den Rennsporteinsatz modifiziert“, erklärt Düchting. So kommen verstärkte und
größere Radlager zum Einsatz, und natürlich werden die Räder
mittels Zentralverschluss befestigt. Extrem viele Details des Fahr-
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zeugaufbaus müssen frühzeitig bedacht werden: „So haben wir
die Lenksäule versetzt, was wiederum eine geänderte Zahnstangenlenkung bedingt. Ohne die Hilfe beispielsweise von Herbert
Staudenmaier vom Rennsportzulieferer BSA können solche Details große Kopfschmerzen bereiten“, erläutert Düchting.
Mit wie viel Akribie man jeden Arbeitsschritt planen sollte,
illustriert ein weiteres Beispiel des R8-Aufbaus: Die für den
Rennmotor zuständige Firma Lehmann Motor verlangt vom Technikpartner Eisenmann Exhaust Systems eine Auspuffanlage, die
im Krümmerbereich bestimmte Rohrlängen aufweist, um bei der
Leistung des Vier-Liter-V8-Motors das optimale Fenster zu treffen.
„Gerade im Heck ist der Platz aber ziemlich beengt“, erklärt
Düchting. „Wir reden da von Millimetern, die über Wohl und
Wehe entscheiden.“ Solche Probleme müssen vor dem Käfigbau
abgeklopft werden, weil dieser Arbeitsschritt logischerweise
Konsequenzen für alle weiteren Maßnahmen hat. Das gilt auch
beim Thema Tank: Weil der Kardantunnel durch den Umbau auf
Heckantrieb leer steht, wird der frei gewordene Raum zur Integration des 120 Liter fassenden Renntanks genutzt.
All diese Details mussten vor dem Beginn der Chassis-Arbeiten
eingetütet werden. Das Ineinandergreifen und gezielte Verzahnen der Arbeitsschritte kostet vor allem eins: Zeit. Und davon hat
man im Rennsport nie genug.
Marcus Schurig
sport auto 3/2008