32 | Materialinnovationen Aus einem Guss: Haus in Mönchhof von ad2 architekten, Fassade: Flexiskin, Polyurea SO DÜNN Die jüngsten Empfehlungen der Ernährungswissenschaftler verweisen auf Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte. Daraus folgt der Trend zu neuen Superfoods und plötzlich findet man Chia Samen in Beeren Limonade (gesehen bei Joseph Brot). Das wirft die Frage auf, ob wir in der Architektur ebensolche Ingredienzen für das Bauen finden können, Produkte und Systeme mit hoher Material effizienz, dünn und leistungsstark. TEXT CHRISTINE BÄRNTHALER D a steht dieses Haus in Mönchhof, mitten in einem Schwimmteich. Es ist formal ein bisschen eigenwillig, hat eine skulpturale Sprache und ist ganz in Weiß gepackt. Kanten und Flächen heben sich mit deutlichen Kontrasten voneinander ab. Erst auf den zweiten Blick begreift man, dass diese Akzentuierung durch Licht und Schatten nur über die homogene Materialität so zum Ausdruck kommen kann. Es ist alles weiß. Ungeachtet der Lage oder Neigung einer Fläche, auch horizontal und über Kopf, alles ist aus einem Guss. Verblechungen fehlen, Dachrinnen sieht man nicht, als hätten die Architekten – ad2 architekten – versucht, auf sämtliche Details schlichtweg zu verzichten. Möglich ist dies durch ein relativ junges Elastomer. Polyurea, Polyharnsäure. Erst in den 1990er-Jahren wurde dafür ein Patent angemeldet. Es ist eine Zweikomponentenbe- schichtung, die im Spritzverfahren aufgetragen wird und eine dicht vernetzte Folie bildet. Mit ihren ausgezeichneten Eigenschaften kommt sie bevorzugt bei industriellen oder infrastrukturellen Anwendungen zum Einsatz. Sie ist hochreaktiv, härtet binnen Sekunden aus, ist lösungsmittelfrei, UV-beständig, chemisch resistent, wasserdicht, leicht diffusionsoffen, schwerentflammbar, nichttropfend und vor allem dauerhaft elastisch, mit einer Dehnfähigkeit von bis zu 500 Prozent und einer Reißfestigkeit bis zu 30 N/mm2. Vor allem bei komplexen oder organischen Formen gibt die Spritzfolie die Möglichkeit einer fugenlosen, homogenen Fassadenhaut. In Österreich hat sich das Unternehmen Flexiskin auf die Anwendung an Fassade und Dach spezialisiert, wobei der Anspruch einer gleichmäßigen Schichtstärke mit schönem Erscheinungsbild und garantierter SKIN SEP.15 | 33 innovation Fotos: ad2 architekten ohne Verlust verhalten, könnten sich insbesondere in heißen Regionen neue Märkte auftun, die der OPV zum Durchbruch verhelfen. Richtig interessant wird das Thema der schlanken Gebäudehaut allerdings dort, wo nicht mehr nur die äußerste Membran betrachtet wird, sondern die gesamte Außenwand auf ihre minimalste Stärke reduziert wird. Wir hier in Österreich leben in einem Raumluxus. Eine Außenwand zur Einhaltung von Energiesparverordnungen mit 50 LEISTUNGSSTARK Zentimetern und mehr zu errichten, erscheint nicht sonIn der Kategorie dünn für Fassaden zieht eine weitere derlich tragisch. Nimmt man jedoch Paris zum Vergleich, leistungsstarke Folie derzeit Aufmerksamkeit auf sich: wo 18 Quadratmeter in der Vermietung zum selben Preis HeliaFilm®, eine organische Fotovoltaikfolie. Heliatek ist angeboten werden wie in Wien 80 im Sozialen Wohnbau, so mit einer Zelleffizienz von zwölf Prozent marktführend im wird der Gedanke, eine drastische Reduktion der DämmBereich der organischen Fotovoltaik (OPV). Damit hält das stärken zu erzielen, relevant. Drastisch meint: von 50 auf Unternehmen die Hoffnungen aufrecht, zukünftig translu12 Zentimeter. Bei einer Außenwandlänge von drei Metern zente oder sogar transparente PV unkompliziert und frei entspräche dies bereits mehr als einen Quadratmeter Raumgestaltbar an Gebäuden zu integrieren. Dies geschieht derzeit in Singapur auf einer Testfläche von zirka 220 Quadrat- gewinn. Die FKN-Gruppe zeigt hier ein erstes Modul vor mit einer Aufbaustärke zwischen 9 und 12 Zentimetern, einem metern in einer Art, dass die Folien direkt auf bestehende U-Wert zwischen 0,13 bis 0,20 W/m2K, einem Schallschutz Bauteile geklebt werden. Das Nachrüsten geschieht also nicht, wie man vermuten möchte, über einen großflächigen von 41–49 dB, schwerentflammbar, C s1 d0 und vor allem: Fassadentausch, sondern über eine Applikation am Bestand. einem außerordentlichen Schutz vor sommerlicher ÜberhitDas Pilotprojekt soll Erfahrungswerte über Haftung, UVzung. Das Fassadensystem bedient sich HochleistungsmateResistenz, Dauerhaftigkeit und natürlich Messwerte zur rialien, die – jedes für sich – leistungsstark sind, jedoch erst Effizienz liefern. Eine besondere Herausforderung stellt im Zusammenspiel das gewünschte Ergebnis erzielen. Kern das tropische Klima dar. Bei konventioneller Siliziumtechdes Systems – und Wärmedämmbooster – ist ein Vakuuminologie leidet die Effizienz unter den hohen Temperaturen. solationspaneel (VIP). Bei einer fünffachen WärmedämmleiWenn sich die Solarfolien von Heliatek hier wie erwartet stung gegenüber einem herkömmlichen Dämmstoff fallen Dichtheit nur über eine jahrelange Spezialisierung der Arbeiter auf diese besondere Spritztechnik erfüllt werden kann. Erst wenige Fassaden wurden mit Polyurea in Österreich ausgeführt, und experimentelle Ansätze, wie sie PPAG vor vielen Jahren am Haus mit der Elefantenhaut in PU vorzeigten, sind noch unangetastet. 34 | Materialinnovationen Transluzente organische Photovoltaik (OPV) und „normale“ OPV von Heliatek, gesehen auf der Glasstec, Düsseldorf 2012. Fotos: OFROOM Singapur, Cleantech Park 1, an dessen Fassade die OPV von Heliatek, HeliaFilm®, appliziert ist. Foto: Heliatek Seletar Walkway beim Flughafen-Gebäude – Baustellenfotos vom Aufkleben der Heliatek Solarfolien, Foto: Heliatek CT-Hochleistungsfassaden-Paneel. Bei einer Aufbaustärke von 12 cm ergibt sich so ein U-Wert von 0,13 W/m2K (Plexiglas® Mineral (Evonik), Calostat® (Evonik), VIP – Vakuumisolationspaneel (Porex therm), Calostat® (Evonik), Plexiglas® Mineral (Evonik). Foto: FKN bereits wenige Zentimeter ins Gewicht. Gebettet werden diese in die neuartige Dämmmatte Calostat®. Auch sie trägt mit einer Wärmeleitfähigkeit von =0,019 W/(mK) gut zur Gesamtleistung bei, bringt allerdings noch weitere relevante Vorzüge mit sich. Calostat ist hydrophob. Es nimmt keine Feuchtigkeit auf. Daraus ergibt sich eine temperaturunabhängige konstante Dämmleistung. Sie ist es, die selbst bei fehlender Masse vor sommerlicher Überhitzung schützt. Darüber hinaus ist sie rein mineralisch (Siliziumdioxid), also recycelbar, nichtbrennbar und frei von Fungiziden, Pestiziden usw. Das Fassadenelement schließt seitlich mit einem Alurahmen ab, innen und außen mit Plexiglas®-Mineral. Eine Variante des sogenannten CT-Paneels der FKN-Gruppe mit nur einseitig angebrachtem Plexiglas®-Mineral zur Sanierung von Bestandsfassaden wurde in Basel bereits erfolgreich baulich eingesetzt. Der Tausch einer bestehenden Dämmung in einem hinterlüfteten Fassadensystem ergab einen neuen U-Wert von 0,17 W/m2K bei nur 7,2 Zentimetern Dämmstärke. Die Lage der Außenhaut blieb unverändert. Das sind erstaunliche Leistungen, die andeuten, wie sehr sich das Bauen im Kontext des Klimawandels von Altbekanntem wegbewegen kann.
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