Die fünf Säulen der Identität nach HG Petzold

Die fünf Säulen der Identität nach H. G. Petzold
Hilarion Petzold ist 1944 in Deutschland geboren, er gilt als eine der Leitfiguren in der
modernen Psychotherapie. Seinen Schwerpunkt legte er auf die „Integrative Therapie“
(integrative Leib- und Bewegungstherapie, integrative Suchttherapie du integrative
Supervision). Wenn verschiedene methodische Anliegen, verschiedene methodische
Ansätze und unterschiedliche Theorieansätze aus verschiedenen Wissenschaften in einem
nach allen Seiten hin offenen Gespräch verbunden werden, könnte dies als
„Integrative Therapie“ umschrieben werden.
Identität
Identität ist die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit jedes Menschen. Unter Identität
(v.lat.: Wesenseinheit, gleich, Gleichheit) verstehen wir die Verhaltensweisen, welche wir
uns aneignen oder wieder ablegen. Es bezeichnet unsere einzigartige Persönlichkeitsstruktur; wer bin ich, auf wen beziehe ich mich, wer bezieht sich auf mich, worüber definiere
ich mich und was macht mich aus.
Identität hat zwei Komponenten, welche das Gedicht von H. G. Petzold (1982) aufzeigt
(siehe Anhang).
Komponenten des Selbst
Auf wenn beziehe ich mich?
Ich sehe mich selbst (Identifikation) =
Wer bezieht sich auf mich?
das personale Selbst
Ich werde von anderen gesehen (Identifizierung) =
das soziale Selbst
Wer bin ich?
Worüber definiere ich mich?
Was macht mich aus?
Identität ist ein lebenslanger Prozess und zeigt sich in Auftreten, Mimik, Gestik, Sprache und
körperlichen Stärken und Schwächen und natürlichen im Innern, Bild/ Selbstbild,
Selbstgefühl und Glauben an sich, etc.
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Identitätsfindungsprozess:
Identität entwickelt und verändert sich im Lebenslauf eines Menschen. Es ist eine
Wechselwirkung zwischen Identitätsentwicklung und Identitätskrise. Es steht in der
Zusammenwirkung zwischen dem Mensch und der Umwelt. Dieser interaktionale Aspekt
erfordert eine andauernde Auseinandersetzung mit dem Zeitkontinuum (Gegenwart –
Biographie, Gegenwart - Hier und jetzt; Zukunft - Lebensentwurf), dem sozialen (andere
Menschen, Familie, Freunde, Peergroups) und ökologischen Umfeld (Umgebung, Wohnort,
und Lebensraum).
Unser Identitätsprozess ist nicht abhängig von Situationen, sondern er vollzieht sich in
verschieden Kontexten und spezifischen Bereichen. Er ist einerseits ein zeitlich
überdauerndes Konzept, der sich andererseits aber lebenslang in Entwicklung und
Veränderung befindet. Diese Bereiche teilt Petzold in verschiede Säulen ein. Diese
Säulen stützen, tragen oder bauen (oder auch nicht) die Identität des Menschen. In der
ganzheitlichen psychotherapeutischen Arbeit werden alle fünf Säulen berücksichtigt und
sowohl in die Arbeit, als auch in die Interventionen einbezogen.
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Leib / Leiblichkeit (Säule 1)
Mein Leib als Gefäss, das ich bin - in dem ich lebe - meine Gesundheit, meine
Beweglichkeit, mein Wohlbefinden, meine Sexualität, meine Belastungsfähigkeit, meine
Psyche, meine Gefühle, meine Lüste, meine Sehnsüchte, Glaubenssysteme, und Träume ...
(Meine medizinische Gesundheit, meine Psyche, meine Kondition und Fitness, meine
Ausstrahlung, etc.).
In diesen Bereich gehört alles, was mit meinem Leib zu tun hat, "in mir drin" ist, mit seiner
Gesundheit, seinem Kranksein, seiner Leistungsfähigkeit, seinem Aussehen, mit der Art und
Weise, wie sich der Mensch mag und "in seiner Haut" wohl oder eben auch unwohl fühlt.
Auch wie der Mensch von anderen in seiner Leiblichkeit wahrgenommen wird, ob sie ihn
anziehend finden oder ablehnen, schön finden oder hässlich, als gesund und vital oder als
krank und gebrechlich erleben, etc.
Soziales Netzwerk / soziale Bezüge (Säule 2)
Mein soziales Netzwerk, meine Freunde, Familie, Arbeitsplatz, Beziehungen, Ehe,
Freizeitgestaltung, Verein ...
Persönlichkeit und Identität werden nachhaltig bestimmt von den sozialen Beziehungen, dem
sozialen Netzwerk, also den Menschen, die für jemanden wichtig sind, mit denen er
zusammen lebt und arbeitet, auf die er sich verlassen kann und denen er etwas bedeutet.
Aber es gehören auch Leute zum sozialen Netzwerk, die ihm nicht wohlgesonnen sind,
feindselig gegenüberstehen oder auch schaden.
Arbeit und Leistung (Säule 3)
Tätigkeiten, Arbeit, mein "Tätig-sein", mit denen ich mich identifiziere und mit denen ich
identifiziert werde (wichtig ist hier auch die allgemein gehaltene Formulierung "Tätig-Sein",
denn auch Erwerbslose, RentnerInnen und Invalide / Berufsunfähige haben sehr wohl
Chancen, tätig zu sein oder wieder tätig zu werden...).
Arbeitsleistungen, Arbeitszufriedenheit, Erfolgserlebnisse, Freude an der eigenen
Leistung, aber auch entfremdete Arbeit, Arbeitsüberlastung, überfordernde sowie erfüllte
oder fehlende Leistungsansprüche bestimmen die Identität nachhaltig.
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Materielle Sicherheit (Säule 4)
Die Identität wird weiterhin beeinflusst von den materiellen Sicherheiten, dem Einkommen,
Geld, Nahrung, Kleidung, Lebensbedarf, Weiterbildungsmöglichkeiten, den Dingen, die
jemand besitzt, seiner Wohnung oder sein Haus, aber auch dem ökologischen Raum, dem er
sich zugehörig fühlt, dem Stadtteil in dem er sich beheimatet fühlt oder fremd ist.
Fehlende materielle Sicherheiten belasten das Identitätserleben schwer.
Werte & Normen (Säule 5)
Moral, Ethik, Religion, Liebe, Hoffnungen, Traditionen, Glauben, Sinnfragen
(gesellschaftliche und persönliche sowie ihr Verhältnis zueinander).
Persönlichen Werte und Normen, sie sind der fünfte Bereich, welcher meine Persönlichkeit
und Identität trägt.
Das, was jemand für richtig hält, von dem er überzeugt ist, wofür er eintritt und wovon er
glaubt, dass es auch für andere Menschen wichtig sei. Dies können religiöse oder politische
Überzeugungen sein, die "persönliche Lebensphilosophie", oder wichtige Grundprinzipien.
Zur Identitätskrise kommt es wenn eine oder mehrere Säulen wegbrechen und sich plötzlich
stark verändern (z.B.: Tod, Krankheit, Trennung des Partners). Dann können die Säulen
könnten die Identität nicht mehr ausreichend stabilisieren.
Sabine Kugler / 11.10.2011 /
Literaturquellen:
Petzold G. Mathias, Rollenentwicklung und Identität: von den Anfängen der Rollentheorie zur
sozialpsychiatrischen Rollenkompetenz
Unterlagen auf dem Modul A3 Konflikt und Krisenmanagement der FHS St. Gallen, Vorlesung Christine
Windisch Lehrmittel Fachfrau/ Fachmann Betreuung Allgemeine Berufskunde 1; Psychologie und Mensch
http://therapiedschungel.ch/content/5_saeulen_der_identitaet.htm
Homologie:
Als Homologie (griech. ὁμολογέω, homologeo „übereinstimmen“) bezeichnet man in der biologischen Systematik
und der vergleichenden Anatomie die grundsätzliche Übereinstimmung von Organen, Organsystemen,
Körperstrukturen, physiologischen Prozessen oder Verhaltensweisen zweier Taxa aufgrund ihres gemeinsamen
evolutionären Ursprung
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Komponenten des Selbst
Ich schaue in den Spiegel … und sehe mich selbst.
Ja, ich selbst bin es! It`s me.
Du siehst mich an. Ich sehe, dass du mich siehst,
Wie du mich siehst, mich erkennst, mich kennst.
Ich sehe dein Erkennen, weiss mich erkannt.
Dein Gesicht ist mein Spiegel.
Du hast dir ein Bild von mir gemacht.
Es prägt das Bild, das ich von mir habe,
Dennoch, das Bild, das ich von mir habe,
Unterscheidet sich von dem Bild, das ich von dir habe.
Ich schaue in den Spiegel und sehe kein ich.
Ohne Zweifel, das bin ich selbst. Es ist niemand Anderes.
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So kenne ich mich und so kennt man mich.Ich sehe dich an. Das bist du.
Ja, du selbst bist es, kein Anderer.
Ich bin ich selbst. Du bist ein Anderer.
Weil ich weiss, dass die Anderen anders sind,
Weiss ich, dass ich selbst bin.
Der Spiegel auf Glas zeigt die Homologie.
Der eines Gesichtes zeigt Gleichheit u n d Differenz.
Beides führt zu mir selbst und zu dir.
nach Petzold, 1982
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