Simone Knapp I Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika I Heidelberg I Juli 2015 Südafrika debattiert über einen Mindestlohn Die Einführung eines nationalen Mindestlohns in Südafrika zählt zu Präsident Zumas Wahlversprechen. Die Diskussion wird im Land auf verschiedenen Ebenen geführt und reicht vom Mindestlohn über ein Existenzminimum, einer menschenwürdigen Entlohnung bis hin zu einem universellen Grundeinkommen. Die zentrale Frage dabei ist nach wie vor, mit welchen Mitteln Armut und Ungleichheit behoben werden können. Bisher existieren in Südafrika sektorale Mindestlöhne, die in ihrer Höhe und Implementierung eine enorme Disparität aufzeigen. So verdient derzeit eine Hausangestellte theoretisch mindestens 1.800 Rand, ein Minenarbeiter hingegen rund 4000 Rand. Je prekärer die Beschäftigung und je größer die gesellschaftliche Kluft zwischen Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in desto unsicherer die Einhaltung dieser staatlichen Vorgabe und desto schwieriger die Einklagbarkeit. Bereits im vergangenen Jahr setzte darüber hinaus auch im Parlament eine heftige Debatte ein, die in ihren Argumentationslinien vergleichbar ist mit der Diskussion in Deutschland. Sie umfasst sowohl Stimmen aus Wirtschafts- und Oppositionskreisen (im Falle Südafrikas die Democratic Alliance), die einen Mindestlohn kategorisch ablehnen, als auch Stimmen von Gewerkschafts- und zivilgesellschaftlicher Seite, die der Debatte mit ihrer Forderung nach einer menschenwürdigen Entlohnung einen Impuls zu neuen Überlegungen und Diskussionen gaben. Für Südafrika ist die Debatte schwierig und emotional extrem aufgeladen, weil Niedriglöhne ein Teil des Apartheiderbes sind und weder der Arbeitsmarkt noch die Wirtschaft bisher eine grundlegende Transformation erfahren haben. Die ILO empfiehlt in ihren global wage reports einen Mindestlohn in Höhe von zwei Dritteln des Durchschnittsgehalts, was für Südafrika aufgrund der hohen Einkommensungleichheit nicht wirklich eine Verbesserung darstellen würde - der Durchschnittslohn liegt derzeit bei rund 3000 Rand. Etwa zwei Drittel der Arbeiter*innen verdienen 3300 Rand. Neil Coleman SAWID Roundtable in Pretoria vom Gewerkschaftsdachverband COSATU erklärte bei einer Video1 konferenz , an der auch das KASA-Team teilnehmen konnte, dass diese damit weit unter dem für Südafrika angenommenen Existenzminimum von 4500 Rand verdienen und somit trotz Arbeit zu den Armen des Landes zählen. Die Ursachen für die Armut in Südafrika liege demzufolge nicht, wie oft behauptet, in der hohen Arbeitslosigkeit, sondern vor allem in der 1 SAWID (South African Women in Dialog) Roundtable national Videoconference on a Decent National Minimum Wage, 29.4.2015 Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika KASA im WeltHaus Heidelberg Willy-Brandt-Platz 5 | 69115 Heidelberg | Germany 06221-4333612 | www.kasa.woek.de | [email protected] schlechten Bezahlung der Beschäftigten. Ein Mindestlohn müsste also deutlich über dem Durchschnittseinkommen von 3000 Rand liegen – in den Diskussionen hört man Zahlen, die sich zwischen der ILO-Empfehlung für Südafrika von 4800 Rand und der Idee eines existenzsichernden Lohns in Höhe von 9700 Rand bewegen, den SPII2. Schaut man sich die Zahlen der arbeitenden Bevölkerung Südafrikas etwas genauer an, so stellt man fest, dass die Bevölkerung von rund 54 Millionen Menschen von nur 28 Prozent finanziell unterstützt werden, die eine Arbeit haben. Noch dramatischer wird die Situation, wenn zwischen der weißen und schwarzen Bevölkerung unterschieden wird. Ein schwarzer Arbeiter verdient im Durchschnitt nur etwa 25 Prozent dessen, was ein weißer Arbeitnehmer erhält3, obwohl sein Lohn für die Versorgung von mindestens vier Familienmitglieder - und nicht nur einer weiteren Person - ausreichen muss. Ein höheres Familieneinkommen würde an den meisten Abhängigkeitsverhältnissen nichts ändern, da Frauen in Südafrika weitaus häufiger erwerbslos sind als Männer - obwohl sich diese Lücke in den letzten Jahren etwas geschlossen hatte4 - und weitaus mehr unbezahlte Arbeit in Haus und Familie erledigen. Hier wäre ein universelles Grundeinkommen wohl nach wie vor die beste Alternative. Interessant könnte ein Mindestlohn allerdings auch für Frauen sein: Suraya Bibi Khan wies im Rahmen der SAWID-Konferenz darauf hin, dass (Ehe)Frauen aufgrund der immer noch vorherrschenden niedrigeren Bezahlung eher eine Arbeit finden als ihre Männer, mit Folge, dass diese ihr Versagen in der traditionellen Rolle als Ernährer der Familie daraufhin oft mit Gewaltausbrüchen gegenüber ihren Frauen und Kindern reagieren. Vom Lebensmittelpreis-Barometer zum Mindestlohn Seit 2006 veröffentlicht PACSA (Pietermaritzburg Agency for Community Social Action) monatlich Zahlen, die die Lebenshaltungskosten für eine Familie in KwaZulu-Natal beziffern. So braucht eine vierköpfige Familie allein 2170 Rand, um sich zu ernähren. Darin nicht enthalten sind Miete, Transportkosten oder etwa kommunale Kosten wie Strom, Wasser und Bildung. Eine Erhöhung der Energiekosten für Haushalte um rund 25 Prozent, wie sie derzeit von südafrikanischen Energiekonzern Eskom angekündigt wird5, würde in den meisten Familien die Mittel, die momentan für Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, noch weiter reduzieren. Nicht ohne Grund wies Mervyn Abrahams in einem Gespräch mit dem KASA-Team in Pietermaritzburg darauf Protestmarsch gegen Eskom hin, dass der Zugang zu ausreichend Nahrung erst die Grundlage dafür sei, dass Menschen ihre Kräfte und Potentiale wirklich ausschöpfen können. Als Folge von der Beschäftigung mit den Lebenshaltungskosten rückte für PACSA die Frage in den 2 http://www.spii.org.za/ http://beta2.statssa.gov.za/publications/Report-02-11-02/Report-02-11-022013.pdf 4 ebd 5 http://www.pacsa.org.za/pacsa-media/news-archive/item/pacsa-opposes-eskom-s-application-for-25-3-increasein-electricity-tariffs 3 2 Vordergrund, wie Familien überhaupt in der Lage sind, diese Kosten zu decken. Wie hoch müsste dann ein Mindestlohn - also das Einkommen für eine vierköpfige Familie - sein, damit ein menschenwürdiges Leben gesichert wäre? PACSA kam dabei auf einen Betrag von rund 8000 Rand. „Da ist auch mal ein Feierabend-Bier oder eine Freizeitaktivität mit drin, denn wir reden von einem Einkommen, das ein Leben in Würde und die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht“, erläutert Abrahams. Dabei, so Abrahams, birgt der Mindestlohn eher die Chance in sich, die Wirtschaft aus ihrem Apartheid-Erbe herauszulösen und zu verändern. Ein universelles Grundeinkommen hingegen setze eher am Aspekt der sozialen Sicherheit an und sei derzeit einfach weniger durchsetzbar als ein Mindestlohn. Angesichts von den Streikwellen um bessere Löhne in Südafrika seit der Demokratisierung 1994 und besonders seit dem Massaker von Marikana, bei dem 34 streikende Minenarbeiter von der Polizei regelrecht hingerichtet worden waren, um ein Exempel zu statuieren, scheint für Südafrika in der Tat die Priorität in der Transformation der Wirtschaft vorranging. 3
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