Rechtswissenschaftliches Institut Übungen im Personenrecht im HS 2015 16.12.2015 Seite 1 Rechtswissenschaftliches Institut Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich Assessmentstufe des Bachelor-Studiengangs Gruppe 5 Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler, LL.M. Rechtsanwältin 16.12.2015 (Titel der Präsentation), Lehrstuhl Prof. Dr. iur.Tanja Domej, (Autor) Seite 2 Rechtswissenschaftliches Institut Behandelte Themen Übungen zum Personenstand - Anfang und Ende der Persönlichkeit - Verwandtschaft und Schwägerschaft - Heimat und Wohnsitz 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 3 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Anfang und Ende der Persönlichkeit Fall 1 Der Australier David arbeitet seit rund fünf Jahren bei einer internationalen Organisation in der Schweiz. Seine Frau hat vor wenigen Wochen erfahren, dass er seit längerem eine Affäre mit einer Arbeitskollegin unterhält und diese nun ein Kind von ihm erwartet. Fragen: Wie ist die Rechtsstellung des noch ungeborenen Kindes? Genau erklären, was dies bedeutet. (Weiterführend: Was kann David zur rechtlichen Absicherung des Kindes vorkehren? Was könnte die Kindesschutzbehörde allenfalls vorkehren? 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 4 Rechtswissenschaftliches Institut Beginn der Rechtspersönlichkeit Art. 31 Abs. 1 ZGB „Die Persönlichkeit beginnt mit dem Leben nach der vollendeten Geburt…“. = Beginn der Rechtsfähigkeit (Art. 11 ZGB) Bestimmung des Beginns der Persönlichkeit: Vollendete Geburt: Zeitpunkt, in welchem das Kind den Körper der Mutter vollständig verlassen hat Erfordernis des „Lebens“ nach vollendeter Geburt: «Leben» als Rechtsbegriff; Lebenszeichen, insbesondere Herzschlag, Lungenatmung des Neugeborenen während kurzer Dauer; Erfordernis der Lebensfähigkeit? Bestimmter Reifegrad des Kindes ZStV: Art. 9 Eintragung nach 6. Monat im zentralen Zivilstandsregister 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 5 Rechtswissenschaftliches Institut Rechtsstellung des Nasciturus Art. 31 Abs. 2 ZGB: Das ungeborene Kind ist unter dem Vorbehalt rechtsfähig, dass es lebendig geboren wird. Bedingte Rechtsfähigkeit (vgl. Art. 151 ff. OR) Konsequenz: Wird das Kind lebend geboren, war es bereits seit seiner Zeugung rechtsfähig Beginn der Rechtsfähigkeit des Nasciturus: Zeitpunkt der Zeugung (bei natürlicher Befruchtung: Verschmelzung der Keimzellen) Praktische Auswirkungen (Beispiele): Familienrecht: Kindesanerkennung (Art. 260/263 ZGB) Erbrecht: Bedingte Erbfähigkeit (Art. 544 Abs. 1 ZGB); Aufschiebung der Teilung (Art. 605 ZGB) Schuldrecht: Schadenersatzanspruch (Art. 41 ff. OR) und Versorgerschaden (Art. 45 Abs. 3 OR) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 6 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Anfang und Ende der Persönlichkeit Fall 2 Am 16. Oktober 2015 berichtet die Tagesschau folgendes: Nach dem Verschwinden eines Flugzeugs in Indonesien wollen Bewohner der Gegend in Papua einen Absturz beobachtet haben. Der Kontakt zu der Maschine war kurz vor der Landung abgebrochen. An Bord befanden sich 49 Passagiere und fünf Crew-Mitglieder. Die Maschine war bei schlechtem Wetter von der Provinzhauptstadt Jayapura im Osten Indonesiens in Richtung Oksibil unterwegs, etwa 50 Flugminuten entfernt. Der Ort ist schwer erreichbar. Die Umgebung ist bergig und besteht hauptsächlich aus Dschungel. Eine ältere Nachbarin kommt aufgelöst zu Ihnen und erzählt Ihnen, dass ihre Tochter und deren Familie in Indonesien in den Ferien seien und gemäss Reiseprogramm genau am Tag des vermutlichen Absturzes diese Route geflogen seien und sich vermutlich unter den Opfern befänden, wie ihr bereits mitgeteilt worden sei. Frage: 16.12.2015 Was können Sie ihr aus rechtlicher Sicht erklären (inkl. mögliches weiteres Vorgehen; mögliche rechtliche Alternativen; wahrscheinlichste rechtliche Zuordnung)? Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 7 Rechtswissenschaftliches Institut Ende der Rechtspersönlichkeit Art. 31 Abs. 1 ZGB: Die Rechtspersönlichkeit endet mit dem Tod. Auswirkungen der Todesfeststellung: Mit dem Todeseintritt geht die Rechtsfähigkeit einer Person verloren (vgl. BGE 129 I 302). Allerdings: vermögensrechtliche Ansprüche sind kraft Universalsukzession grundsätzlich vererblich. „Tod“ als Rechtsbegriff, keine Legaldefinition des Todes im ZGB, Verweis seitens der Privatrechtsordnung auf medizinische Wissenschaft Vgl. Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW; <www.samw.ch>) Aktualität bei Organentnahmen: vgl. Transplantationsgesetz, Art. 9 Abs. 1: „Der Mensch ist tot, wenn die Funktionen seines Hirns einschliesslich des Hirnstamms irreversibel ausgefallen sind.“ 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 8 Rechtswissenschaftliches Institut Ende der Rechtspersönlichkeit: aktuell Zeitungs-Fall «Arzt holt Frau zurück ins Leben»: «42 Minuten, nachdem sie für klinisch tot erklärt wurde, ist eine Australierin erfolgreich wiederbelebt worden. Die 41-jährige Vanessa Tanasio war vergangen Woche nach einem Herzstillstand aufgrund einer verstopften Arterie in ein Spital in Melbourne gebracht worden. Kurz nach ihrem Eintreffen wurde sie für klinisch tot erklärt, wie die behandelnden Ärzte des Monash Medical Centre gestern mitteilten. Die Ärzte wollten allerdings nicht aufgeben und setzten die Herzmassage (...) fort. (…) Als der Blutfluss wiederhergestellt gewesen sei, habe Tanasios Herz begonnen, wieder normal zu schlagen (…) Quo vadis aus rechtlicher Sicht? 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 9 Rechtswissenschaftliches Institut Beweis von Leben und Tod Art. 32 Abs. 1 ZGB: Beweisvorschrift „Wer zur Ausübung eines Rechtes sich darauf beruft, dass eine Person lebe oder gestorben sei […], hat hiefür den Beweis zu erbringen.“ Allgemeine Regel von Art. 8 ZGB: In der Regel hat diejenige Partei das Vorhandensein einer Tatsache zu beweisen, die aus ihr Rechte ableitet. Art. 33 Abs. 1 ZGB: Primäres Beweismittel = Zivilstandsurkunden (ZStV), welche vollen Beweis erbringen nach Art. 9 ZGB Kommorientenvermutung (Art. 32 Abs. 2 ZGB) (widerlegbare gesetzliche Tatsachenvermutung): Mehrere Personen gelten als gleichzeitig verstorben, wenn nicht bewiesen werden kann, dass die eine die andere überlebt hat. 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 10 Rechtswissenschaftliches Institut Todeserklärung Indizienbeweis des Todes bei Nichtauffinden der Leiche Todeserklärung im Sinne von Art. 34 ZGB Voraussetzung: Tod einer Person muss als sicher angenommen werden, ohne dass jemand die Leiche gesehen hat -> Todeseintritt absolut sicher BGE 56 I 550 E. 1b: … „wenn für das Leben einer Person bei der Art ihres Verschwindens … nicht nur eine grosse Gefahr bestanden hat, sondern wenn die Person nachgewiesenermassen von einem Ereignis betroffen worden ist, das notwendig ihren Tod zur Folge haben musste“. -> Anforderungen sehr hoch Folge: unmittelbare Registrierung -> erbrechtliche und sonstige Folgen des Todes treten von Gesetzes wegen und unwiderruflich ein 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 11 Rechtswissenschaftliches Institut Verschollenheit und Verschollenerklärung Verschollenerklärung nach Art. 35 ff. ZGB: Wenn der Tod nicht sicher, aber höchst wahrscheinlich erscheint Wirkungen der Verschollenerklärung: – Rechte, wie wenn Tod bewiesen – Erbgang wird eröffnet (Art. 537 Abs. 1 ZGB) – Ehe wird aufgelöst (Art. 38 Abs. 3 ZGB) – Sozialversicherungsrechtliche Folgen (z.B. Witwenrente) Verfahren: Gesuch bei zuständigem Gericht, Feststellungsentscheid 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 12 Rechtswissenschaftliches Institut Verschollenheit und Verschollenerklärung Voraussetzungen (Art. 35 ZGB) Verschwinden in hoher Todesgefahr (z.B. Tsunami, Flugzeugabsturz): nach 1 Jahre (Fristen: Art. 36 ZGB) – Umstände des Verschwindens müssen Tod als höchst wahrscheinlich erscheinen lassen – Beurteilung nach konkreten Umständen des Einzelfalles Lange nachrichtenlose Abwesenheit: nach 5 Jahren (Art. 36 ZGB) – Unbekannter Aufenthaltsort der vermissten Person, keine Informationen und Nachrichten seit langer Zeit, Tod höchst wahrscheinlich 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 13 Rechtswissenschaftliches Institut Beweis von Leben und Tod (Repetitionsfall aus der Praxis) Fall 3 Am 2. August 2015 reichte Frau Aerni beim Bezirksgericht Zürich Klage auf Verschollenerklärung ihres Vaters Tadeus Aerni, geb. 12.10.1946, ein. (…) : „Unser Vater unternahm seit Jahren jeden Sommer längere Fahrradtouren durch die Schweiz und Europa. (…) Im Herbst 2009 kam er von seiner Reise nicht zurück. Sein Reiseziel war uns nicht bekannt. Sein Beistand stellte fest, dass seit seinem Verschwinden keine Kontobewegungen mehr stattfanden. (…)“ Frage: Was muss das Bezirksgericht prüfen? Wie wird das Bezirksgericht entscheiden? Was sind die Rechtsfolgen? 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 14 Rechtswissenschaftliches Institut Beweis von Leben und Tod (Fortsetzung) Prüfung der Voraussetzungen von Art. 35 ff. ZGB Voraussetzung: „Tod höchst wahrscheinlich“ „hohe Todesgefahr verschwunden“ oder „seit langem nachrichtenlos abwesend“ – i.c. Variante 2 Gesuch nach 5 Jahren (Art. 36 Abs. 1 ZGB) Aufforderung an Öffentlichkeit, innert min. 1 Jahr Meldung (Art. 36 Abs. 2 ZGB) Nach Ablauf: Verschollenerklärung; der Abwesende vom Gericht für verschollen erklärt (Art. 38 ZGB) Wirkungen: „wie wenn der Tod bewiesen wäre“; auf den Zeitpunkt der letzten Nachricht bezogen (Art. 38 Abs. 1 und 2 ZGB) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 15 Rechtswissenschaftliches Institut Beweis von Leben und Tod (Fortsetzung) Wenn der ehemals Verschollene wieder auftaucht: Wenn der Verschollene nach erfolgter Verschollenerklärung wieder auftaucht, muss diese vom Gericht wieder rückgängig gemacht werden. Erbrechtliche Folgen: Art. 547 ZGB. Die Ehe lebt nicht wieder auf: Art. 38 Abs. 3 ZGB 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 16 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Verwandtschaft und Schwägerschaft Beim Weihnachtsessen im Familienkreise sind die Grosseltern (Eva und Heinz Lipp), deren Tochter Rahel mit Ehemann David (mit ihren Kindern Samuel und Hanna) sowie der Sohn Thomas mit Partnerin Pascale (mit ihrem gemeinsamen Kind, Laura, und den Kindern aus früherer Ehe von Thomas, Tim und Stephanie) anwesend. Fragen: Die Grosseltern fragen sich, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie eigentlich zu den einzelnen Anwesenden stehen. Weiter fragen sie sich, wie das Verhältnis zur geschiedenen Frau von Thomas und zur neuen Partnerin rechtlich einzustufen sei und wie das Verhältnis von Stephanie und Tim zu Laura sei. 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 17 Rechtswissenschaftliches Institut Familienaufstellung Eva David Rahel Heinz Ex-Frau Thomas Pascale ??? Samuel 16.12.2015 Hanna Tim Stephanie Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Laura Seite 18 Rechtswissenschaftliches Institut Verwandtschaft / Schwägerschaft Verwandtschaftslinien: Art. 20 ZGB In gerader Linie sind zwei Personen miteinander verwandt, wenn die eine von der anderen abstammt (z.B. Mutter – Kind, Grosseltern - Enkel) In der Seitenlinie miteinander verwandt sind Personen, die von derselben Drittperson abstammen (z.B. Geschwister, Cousins) Schwägerschaft: Art. 21 ZGB Rechtliche Beziehung zum Ehegatten eines Verwandten Ehegatten von zwei Geschwister sind nicht miteinander verschwägert Schwägerschaft wird durch die Auflösung der Ehe, die sie begründet hat, nicht aufgehoben (Art. 21 Abs. 2 ZGB) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 19 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Heimat und Wohnsitz Fall 1 Am Weihnachtstisch (Fall oben) wird im Familienkreis die Frage aufgeworfen, was eigentlich der gemeinsame Heimatort im Emmental noch für eine Bedeutung habe. – Können Sie helfen? 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 20 Rechtswissenschaftliches Institut Wohnsitz Fall 2 Die Ehegatten Karin und Andreas leben in Zürich. Karin arbeitet in leitender Stelle in der Pharmaindustrie in Basel. Da sie nicht jeden Abend nach Hause zurückkehren kann, mietet sie in Basel eine Einzimmerwohnung, wo sie während der Woche meistens übernachtet. Das Ehepaar hat sich auseinander gelebt. Karin will nach fünfzehn Ehejahren die Scheidung einreichen, ist sich aber nicht sicher, an welchem Ort / bei welchem Gericht sie dies machen soll. (Zuständig für die Scheidungsklage ist das Gericht am Wohnsitz; vgl. Art. 23 Abs. 1 ZPO.) Fragen: Welche Sachverhaltselemente sind bedeutsam? Was würden Sie Karin fragen; was würden Sie ihr raten? Was für Überlegungen wird sich das Gericht anstellen? 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 21 Rechtswissenschaftliches Institut Heimat und Wohnsitz Wohnsitz = Örtliche Verknüpfung einer Person Gesetzliche Grundlagen: Art. 23 – 26 ZGB Funktionen des Wohnsitzes: Anknüpfungspunkt für verschiedene privatrechtliche Tatbestände Begründung der örtlichen Zuständigkeit bestimmter Behörden (vgl. ZPO, Art. 538 ZGB) Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des anwendbaren Rechts (vgl. IPRG) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 22 Rechtswissenschaftliches Institut Grundsätze des Wohnsitzrechts Einheit des Wohnsitzes: Art. 23 Abs. 2 ZGB (niemand kann mehr als einen Wohnsitz haben) Notwendigkeit des Wohnsitzes: Art. 24 Abs. 1 ZGB (keine Aufgabe des Wohnsitzes ohne Begründung eines neuen) Zu beachten: Aufenthaltsort als Wohnsitz: Art. 24 Abs. 2 ZGB (wenn kein früherer Wohnsitz nachgewiesen werden kann) Abweichender Wohnsitzbegriff in anderen Gesetzen möglich (z.B. Art. 20 IPRG, Steuerrecht) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 23 Rechtswissenschaftliches Institut Bestimmung des Wohnsitzes Massgebende Kriterien Objektives Element: Aufenthalt (faktisches Verweilen, Benutzung bewohnbarer Räume; vgl. BGE 96 I 145) „Subjektives“ Element: Absicht dauernden Verbleibens – Nicht rein subjektive Tatbestandselement: die Absicht des dauernden Verbleibens muss für Dritte erkennbar sein – Mittelpunkt der Lebensbeziehungen – … wo eine Person ihre intensivsten familiären, gesellschaftlichen und beruflichen Beziehungen unterhält (h.L., Respr.) 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 24 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Heimat und Wohnsitz Fall 3 Christine stammt aus Chur und studiert Jus in Zürich. Sie hat ein Zimmer in einer Studenten-WG gemietet. Fast jedes Wochenende verbringt sie mit ihrem Freund in Chur und wohnt dann bei den Eltern bzw. beim Freund in Chur. Nun möchte sie ein Stipendium einer Zürcher Stiftung beantragen. Gemäss Stiftungsreglement wird verlangt, dass sie in Zürich Wohnsitz hat. Frage: 16.12.2015 Was würden Sie raten? Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 25 Rechtswissenschaftliches Institut Wohnsitz / Sonderfall Anstaltsaufenthalt Art. 23 Abs. 1 2. Halbsatz ZGB: Aufenthalt zu Sonderzwecken in Anstalt u. dgl. (…) «der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt begründet für sich allein keinen Wohnsitz». Die Gesetzesbestimmung hat per 1.1.2013 aArt. 26 ZGB ersetzt; ohne Änderung der materiellen Rechtslage; Präzisierung von Art. 23 Abs. 1 1. Halbsatz durch 2. Halbsatz. i.c.: Möglichkeit der Wohnsitzverlegung nach Zürich prüfen; Rat den Lebensmittelpunkt verlegen; Indizien zu schaffen 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 26 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Heimat und Wohnsitz (Repetitionsfall) Fall 4 Der an MS leidende Herr Althaus (geb. 1955) aus Aarau entschliesst sich freiwillig und selbstbestimmt zu einem Anstaltsaufenthalt unbeschränkter Dauer in einem Wohnheim für Schwerstbehinderte und MS-Patienten in Zürich und tritt am 1. September 2014 in dieses Wohnheim ein. Fragen: Wo befindet sich sein zivilrechtliche Wohnsitz? Würde sich etwas ändern, wenn Herr Althaus unter umfassender Beistandschaft stände? – Vgl. BGE 133 V 309. 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 27 Rechtswissenschaftliches Institut Wohnsitz / Anstaltsaufenthalt Sonderfall Anstaltsaufenthalt Aufsuchen eins Ortes zu Sonderzweck Bsp: Lehr-, Erziehungs-, Versorgungs-, Heil-, Strafanstalt Abgrenzung > widerlegbare Vermutung Selbständiger Wohnsitz = betroffene Person erfüllt die Wohnsitzkriterien selbständig (Art. 23 f. ZGB) Unselbständiger Wohnsitz (abgeleiteter Wohnsitz) – 16.12.2015 für Unmündige gilt der Wohnsitz der Eltern bzw. bei Volljährigen unter umfassender Beistandschaft der Sitz der Erwachsenenschutzbehörde als Wohnsitz (vgl. Art. 25 und 26 ZGB) Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 28 Rechtswissenschaftliches Institut Übungen: Personenstand Heimat und Wohnsitz (2. Repetitionsfall) Fall 5 Dieter Gsell, geb. 1992, war ab September 2011 an der islamischen Universität Medina, Saudi-Arabien, für ein zweijähriges Studium immatrikuliert. Im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall stellt sich die Frage nach seinem Wohnsitz. Frage: Wie prüfen Sie diese Frage systematisch? (Vgl. BGE 137 II 122 E. 3.6). 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 29 Rechtswissenschaftliches Institut 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 30 Rechtswissenschaftliches Institut 16.12.2015 Übungen im Personenrecht, Prof. Dr. iur. Barbara Graham-Siegenthaler Seite 31
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