25 Jahre Abitur – Rede von Dr. Tobias Möller

25 Jahre Abitur – Rede von Dr. Tobias Möller-Bertram, San Diego
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, stolze Eltern und Familienangehörige, liebe Lehrerinnen und
Lehrer und Unterstützer unseres Ev. Gymnasiums Werther, liebe Abi-Veteranen!
Als mich Ulrike Schilling vor ein paar Monaten bat, bei der Abifeier ein paar Worte zu sagen, habe
ich gerne zugesagt – obwohl man sich ja in der Regel nicht unbedingt freut, wenn man von einer
Lehrerin gefragt wird, an der Schule etwas zu wiederholen…
Trotzdem – es ist mir eine besondere Freude, heute vor Ihnen zu stehen, um den anwesenden
Schulabgängern gebührend zu gratulieren. Ich freue mich, viele alte Bekannte und Freunde wiederzusehen, die Hauptbestandteil meines Alltags vor 25 Jahren in dieser so prägenden Zeit für mein
weiteres Leben waren. Ich rede hier hauptsächlich von meinen Mitschülern und den Oberstufenpartys, aber auch von den Lehrern und zu einem kleinen Teil von den Inhalten, die in der Schulzeit
vermittelt wurden.
Apropos Lehrer – ich habe mich in Vorbereitung auf die 25-Jahresfeier natürlich erst einmal auf der
EGW-Webpage umgeguckt, um zu schauen, wen es denn noch so gibt. Und habe mich erstmal doll
erschrocken, wie groß das Lehrerkollegium geworden ist. Da waren viel zu viele neue Gesichter –
als ich dann aber meine Taktik geändert habe und nur noch nach Fotos mit grauen oder keinen
Haaren suchte, habe ich prompt die wenigen Übriggebliebenen gefunden.
Und ich habe zwei weitere Feststellungen gemacht:
Zum einen muss unser Herr Koch eine so einschneidende Lücke im EGW hinterlassen haben, dass
gleich zwei neue Kochs eingestellt wurden. Und – die Exschüler Olaf Wöhrmann und Kerstin Becker
sind zur dunklen Seite der Macht übergelaufen.
Aber im Ernst – es ist schön zu sehen, dass diese Schule so konstant gewachsen ist. Zu unserer
Abi-Zeit ist sie ja hauptsächlich von den Gebäuden her gewachsen – ich erinnere an den legendären
Neubau…, obwohl ich nicht weiß, ob er noch so heißt…, der müsste ja sicher auch bald unter Denkmalschutz stehen.
Es ist ein besonderer Tag heute für alle hier Anwesenden. Das EGW kann stolz auf 25 Jahre Oberstufe zurückblicken, wir Ehemaligen darauf, dass wir von Anfang an dabei waren und ihr Abiturienten
auf eine erfolgreich abgeschlossene Schullaufbahn, die eine gute Grundlage für euer weiteres Leben sein soll.
Aber im Hinblick auf den Wunsch eines jeden Menschen, Glück und Zufriedenheit im Leben zu finden, liegt die Frage in der Luft: Was habt ihr mit dem heutigen Tag wirklich erreicht?
Das Abitur ist ein solides Fundament, welches euch von keinem mehr genommen werden kann. Es
ist ein Zeichen, dass ihr wichtige Fähigkeiten besitzt, die man im Leben braucht: Zum einen, sich
einer Aufgabe zu stellen und Herausforderungen anzunehmen, und zum anderen, Lösungsstrategien zu finden, um die Herausforderungen zu meistern.
Ihr habt entweder effektiv gelernt oder effektiv gespickt – egal: das Ergebnis zählt… – ich weiß gar
nicht, ob man das heutzutage eigentlich noch macht: Spickzettel mit kleinstgekritzelten Lösungen
drauf – oder macht man das alles elektronisch…?
Also – das Fundament steht. Aber was man nun darauf baut, um Glück und Zufriedenheit im Leben
zu finden, dafür gibt es im heutigen Schulsystem leider keinen Kurs! Sicherlich bekommt man eine
gute Ahnung, was einem liegt, was man im Prinzip gerne macht oder nicht gerne macht – ich sage
nur Sport oder Latein… aber die Grundprinzipien für ein glückliches und zufriedenes Leben werden
nicht direkt vermittelt. Denn erstaunlicherweise existiert dieses Wissen, welches trotz der vielen individuellen Unterschiede des Einzelnen universell Geltung hat.
Und da ich immer schon mal am EGW unterrichten wollte, werde ich dieses Elementarversäumnis
eurer Ausbildung jetzt hier und gleich beheben:
Willkommen zu eurer letzten Unterrichtseinheit am EGW! (Und Gilli – schön Notizen machen, es gibt
am Ende einen Test!)
Für viele von euch Abiturienten ist die Erfolgsformel für ein glückliches und zufriedenes Leben sicherlich eine Variation von der folgenden: Erfolgreiches Studium – damit dann viel Geld verdienen
– führen zu einem glücklichen und zufriedenen Leben…
Gut, dass ich euch grade noch erwischt habe – die Formel geht so nämlich erstaunlicherweise nicht
auf!
Die erste Annahme, dass eine gute Ausbildung zu Glück und Zufriedenheit im Leben führt, ist falsch.
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman, ein Psychologe, der sich mit Glück und Zufriedenheit des
Menschen befasst, hat gezeigt, dass mehr Ausbildung zwar eine höhere Selbsteinschätzung seines
Lebens bedingt, aber nicht zu mehr Glück oder Zufriedenheit im Leben führt.
Annahme 2: Gute Ausbildung bedeutet gutes Geld, ist nur bedingt richtig. Wenn man sich die unteren Bereiche der Einkommenspyramide anguckt, dann steigt das individuelle Einkommen mit dem
Ausbildungsgrad. Wenn man sich aber die Spitze der Pyramide anguckt, die finanziell extrem erfolgreichen Menschen, stimmt diese Korrelation nicht mehr. Also – welches Studium / welche Ausbildung sollte man wählen, um finanziell sehr erfolgreich zu werden?
Wenn man die aktuell reichsten 100 Menschen der Erde ihren Ausbildungsbereichen zuordnet –
Ingenieure, Master in Business usw. – spricht das Ergebnis eine klare Sprache: Die mit 1/3 mit
Abstand größte Gruppe dieser Menschen: Kein Studium!
Um sich die Dimension dieser Tatsache klarzumachen: Die reichsten 85 Menschen auf diesem Planeten verfügen über mehr Reichtum als die Hälfte der Weltbevölkerung zusammen!
Die eigentliche Frage ist aber: Bedeutet überhaupt viel Geld ein glückliches und zufriedenes Leben
zu finden? Auch diese Frage ist beantwortet und sicherlich überraschend: Einer Umfrage der Princeton University zu Folge, die knapp eine halbe Million Menschen befragte, steigt Glück und Zufriedenheit ab einem Jahreshaushaltseinkommen von umgerechnet 60.000 Euro nicht mehr. Diese Zahl
stammt von Befragungen in Bereichen mit sehr hohen Lebenshaltungskosten – ist also in mehr erschwinglichen Gegenden sicher deutlich niedriger!
Wenn nicht Ausbildung oder Einkommen – worauf kommt es dann also im Leben an, um glücklich
und zufrieden zu sein?
Die Antwort ist simple und wissenschaftlich bewiesen:
Tue, was du gerne tust, in einem Umfeld, in dem du gerne bist.
Und hier meine letzte und ernüchternde Statistik, die einem zu denken geben sollte:
Der durchschnittliche Mensch verbringt über 80% seines erwachsenen Lebens mit Tätigkeiten, die
ihn nicht interessieren und die er nicht tun würde, wenn er nicht müsste…!!
Was sollte also das Wichtigste sein, was ihr aus eurer abgeschlossenen Schulzeit mitnehmt, um
euch aufs Leben vorzubereiten: Die ehrliche Erkenntnis, wer ihr seid. Die meisten Menschen denken, sie tun es, aber die wenigsten nehmen sich wirklich die Zeit, um in sich hineinzuhören und zu
analysieren, warum einem etwas nicht passt oder man nicht zufrieden ist. Ihr solltet den nächsten
Abschnitt in eurem Leben dazu nutzen, ehrlich und frei von äußeren Einflüssen oder Umständen
euch eure Wünsche, Träume, Talente und Fähigkeiten bewusst zu machen und darauf eure Zukunft
ausrichten.
Euch stehen mit dem Abitur alle Türen der Zukunft offen – nun ist die alles entscheidende Frage –
welche ist die richtige für jeden von euch, die zu einem glücklichen und zufriedenen Leben führt?
Ich schließe mit dem Wunsch, dass jeder hier im Raum diese Klarheit findet und den nötigen Mut
hat, diese Tür zu öffnen.
So… und jetzt: Hefte raus – Klassenarbeit. (Helge Schneider)