Rezension Anke Hahn, Braunschweig, August 2015 Kontext Thema: Dilemma & Sinn In: Systemische Professionalität Vorträge von Bernd Schmid, 11/2008 Worum geht es? In diesem Vortrag erläutert Bernd Schmid die Entstehung des Dilemma-Konzeptes und leitet den Dilemma- und Sinn-Zirkel sowie deren Logiken, Dynamiken und Wechselwirkungen her. Ferner stellt er sie in den beraterischen Zusammenhang. Aus welchem Grund ist der Inhalt wichtig? Menschen können in für sie unlösbaren Konflikt- und Zwickmühlen-Mustern feststecken. Diese Dilemmata sind innere Wirklichkeiten, deren „Landkarten“ oft nicht nur von außen, als Berater, uneinsehbar sind. Auch in Unternehmen können Dilemma-Inszenierungen stattfinden. Als Berater ist es von unschätzbarem Wert diese, durchaus komplexen, Dynamiken frühzeitig zu erkennen, deren Atmosphäre zu erspüren und mit professioneller Haltung und Kompetenz darauf zu reagieren. Welche wesentlichen Inhalte des Themas werden behandelt? Dilemmata sind Herausforderungen, in deren Logik Unlösbarkeiten eingebaut sind. Das kann daran liegen, dass Menschen in innerseelischen Prozessen falsche Gleichungen angenommen haben. Diese Gleichsetzungen sind derart miteinander verwickelt und gleichzeitig wesentlich relevant, dass dadurch eine Lösungslogik unmöglich oder höchst unbefriedigend wird. Beispiel: Trete ich dominant auf bin ich ein Unmensch. Verzichte ich auf Dominanz bin ich ein Schwächling. Sofern auf derselben Bühne zur gleichen Zeit Inszenierungen nach unverträglichen Gesichtspunkten gestaltet werden oder mit denselben Ressourcen Verschiedenes inszeniert wird spricht Bernd von Dilemma-Inszenierungen. Beispiel: Ein Weinbauer erhält von ein und derselben Person den Auftrag einerseits langfristig sowie nachhaltig die Produktion zu sichern, was zur Folge hätte überalterte Rebstöcke durch junge, neue zu ersetzen zu müssen, und andererseits kontinuierlich mindestens die gleiche Menge Wein herzustellen. Im Versuch dennoch eine Lösung herbeizuführen, kommt es zu folgenden Haltungen und Dynamiken im Dilemma-Zirkel: Vermeiden/Leugnen Strampeln Erschöpfung/Abschalten Verzweifeln Das Wegschieben durch Vermeiden oder Leugnen lässt sich auf Dauer nicht durchhalten. Beispielsweise werden wichtige Aufträge oder innere Entwicklungsthemen wiederkehren. Strampeln meint eine Aktivität ohne Sinn und Zuversicht. Die vielfältigen Bemühungen und Aktivitäten im Strampeln führen in einen Erschöpfungszustand, der ein Abschalten, eine Auszeit erfordert. Das 1 Entscheidende daran ist, dass nach dieser Auszeit keine Veränderungen eintreten. Es ist vielmehr ein „Ausgleich“ ohne seelische Neubelebung. Sofern zwischen Strampeln und Erschöpfung sehr lange hin- und hergependelt wird, besteht die Gefahr des allmählichen inneren Ausbrennens, aktiver oder passiver Depression, indem sich Menschen mehr und mehr in die Sinnlosigkeit verwickeln. Bernd spricht von Verzweiflung als eine (mehr oder minder intensive) Emotion, die anzeigt, dass wir es mit einer Unlösbarkeit im bisherigen Weltbild zu tun haben und einem (sich schleichend einstellenden) Gefühl der Sinnlosigkeit. Aufgrund der existenziellen, schmerzhaften Verlustgefühle, die mit ihr einhergehen, wird sie oft vermieden. Eine echte Verzweiflung ist daran zu erkennen, dass wirkliches Loslassen stattfindet – auch wenn große Verluste befürchtet oder erlebt werden. Mit dieser (echten) Verzweiflung umzugehen, ist jedoch entscheidend, um dilemmahafte Situationen aufzulösen, die Logik der Lösungsversuche zu verändern und wieder Sinn zu erleben. Chancenreiche Haltungen hierbei sind: Verzweiflung annehmen, Distanz gewinnen und trotzdem in Beziehung bleiben, mögliche Verluste akzeptieren, örtliche und zeitliche Zusammenhänge entzerren, zum Wesentliche sowie zum menschlichen Maß zurückfinden. In Anlehnung an den Dilemma-Zirkel hat Bernd den Sinn-Zirkel entwickelt und dazu hilfreiche Haltungen aus der vita aktiva und der vita kontemplativa genutzt (siehe auch 10 Stationen im SinnZirkel): Loslassen Sinn Erleben Ringen Sich Erholen … in einem „gesunden“ Rhythmus Ringen wird hier als Pendant zum Strampeln in der „guten“ Version verstanden. Beim Ringen bin ich bei meinem Tun auch nicht immer voller Zuversicht, dennoch gibt es eine seelische Qualität. Auch das Ringen erfordert ein Sich erholen. Beim Ringen und zwischendurch loslassen - ohne Gefühle verlustreicher Verzweiflung, ohne dass meine Identität Schaden nimmt -, besteht der erlebbare Unterschied zum Dilemma-Zirkel darin, dass - im Vergleich zum erschöpft Abschalten – wirkliche Erholung im Sinne von Regeneration stattfindet. Den Sinnzirkel zeichnen Gewinne an Integration und Integrität als Person oder in Organisationen aus. Menschen brauchen die Möglichkeit sich immer wieder zu finden, sich selbst zu begegnen, Sinn zu erleben. Dadurch können sich dilemmahaft verknüpfte Themen lösen oder gar vermieden werden. Die von Bernd am Rande erwähnten Gesichtspunkte wie Dilemmata und Widersprüchlichkeit, Kontrolldynamik oder Wirtschaften binden das Thema noch einmal anders ein. Persönliches Fazit Die intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept ist m.E. sehr dienlich. Bernd beleuchtet in seinen Ausführungen immer wieder die Ebene des Beraters und Meta-Dilemmata, die sich ergeben können. Sein Fundus an Erfahrung drückt sich durch viele Beispiele und Bezüge, die ich als hilfreich empfand, aus. Verzweiflung als professionelle Kompetenz und Dienstleistung - Verzweifeln können, andere in Verzweiflung bringen und zu begleiten und dadurch Räume für Sinnfindung, Sinnerleben zu öffnen war mir in diesem Kontext besonders wertvoll. Ich bin davon überzeugt, dass das Bewusstsein und die Sensibilität für dilemmahafte Konstellationen sowie die professionelle Einbindung dieses Wissens in der beraterischen Praxis in verschiedensten Zusammenhängen von großem Nutzen sind. 2
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