Neue Ausstellung im alten Rathaus „Steinfeld - Endmoränenschotter” Die ungewohnten Klänge in der Rathaus-Galerie, die nach außen dringen, lassen aufhorchen. Aus einem steinernen Meer, das auf dem Boden der Galerie ruht, schöpfen Stephanie Menacher, Annette Kotschi und Johannes Beer große Kieselsteine, füllen sie in Siebe aus Metall, Weidengerten, Holz und lassen sie kreisen. Die ungewöhnliche Musik schwillt an, steigert sich zu einem Crescendo, das Bilder einer Steilküste hervorruft, an der mit lautem Tosen Wellen eines Ozeans brechen. Dann werden die Klänge leiser, um schließlich zu verebben. Nun greifen die Musiker zu kleinen Steinkugeln, die unter ihnen in Muscheln ruhen, und zu Schlägeln, um auf einem ungewöhnlichen Xylofon zu spielen: Statt aus hölzernen Stäben besteht es aus Grünschieferplatten. Mit drehenden, kreisenden, rollenden und streichenden Bewegungen entlocken sie dem Stein fremde Klänge. Zunächst ganz weich und zart, wird der Anschlag härter, wird er zu einem trommelartigen Hämmern, zu einem donnernden Tumult, um wieder in die Stille zurückzukehren. Rhythmik und Melodik lassen das Spiel auf dem Instrument zu einem visuellen Erlebnis werden, das Bilder von Klanglandschaften Afrikas, der Wiege der Menschheit, hervorruft, während sich draußen vor dem Rathaus immer mehr die Sonne gegen die Wolken behauptet. Und dann die Überraschung: Dr. Claudia Schlürmann liest aus einem Gedicht Franz Hohlers, das die Welterschaffung beschreibt, - und eben diese Verse haben zuvor die Musiker auf den Ton genau mit ihrem Spiel klanglich und visualisierend vorweggenommen: „Galaktischer Donner. Zeitgeburt. Etwas wurde herausgeschleudert. Etwas ballte sich. Etwas drehte sich. Etwas kreiste ... Die Erde zog sich einen steinernen Mantel an. Er wurde vom Ozean überflutet, doch Sockel und Platten stießen nach oben, breiteten ihre Küsten aus unter dem Licht der Sonne und luden zum Leben ein.” Mit ihrer Installation „Steinfeld - Endmoränenschotter” möchte die Künstlerin Wahrnehmungsprozesse anregen: „Die innere Aktivität, die einsetzen kann, ist individuell und unsichtbar zunächst. Angeregt durch die Präsenz der Steine, können Fragen auftauchen nach dem Erstarrten, Geronnenen, Verfestigten im eigenen Leben, nach Gedankenformen, die vielleicht zu starr geworden sind”, veranschaulicht die Künstlerin in ihren einführenden Worten. „Jeder Stein”, so zitiert Dr. Claudia Schlürmann den Geophysiker R. Buchholz, „hat seine eigene Lebensgeschichte”, steht für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zwei Tonnen Steine liegen zu Füßen der Besucher. Während der letzten Eiszeit hat sie der Rheingletscher aus den Alpen in den Linzgau gebracht, Sandstein, Gneis, Basalt, Porphyr, Kalkstein, Radiolarith. Manche stammen aus dem Montafon, vom Splügenpass; sie haben ihren Kosmos verlassen, um über 10 000 Jahre im Niederterrassenschotter bei Pfullendorf auf ihre Entdeckung zu warten. Von dort fanden sie den Weg nach Owingen. Mit Unterstützung des Bauhofmitarbeiters Rudolf Allweyer hat Dr. Claudia Schlürmann diese Installation im alten Rathaus realisiert. „Schon in den Tagen des Aufbaus hörte ich Fragen danach, was denn wohl ein Schotterhaufen in einer schönen Galerie soll. Das Material, das wir im Alltag nicht beachten, das wir benutzen, um Kieswege, Gartenwege zu belegen, dieses Material begegnet uns nun in einer Galerie und wird zum ´Stein des Anstosses`.” Die Reaktion von Unverständnis und Ärger könne aber auch zu dem Entschluss führen, sich für dasjenige zu interessieren, was man ständig um sich herum habe. Erst dann entsteht nach Worten der Bildhauerin die Möglichkeit, die über das Alltägliche hinausgehenden Aspekte zu entdecken, größere Beziehungen herzustellen, aufmerksam dem gegenüber zu werden, was sich im eigenen Inneren spiegelt. So wie sich in den Steinen die Erdgeschichte enthüllt, braucht auch der Betrachter die Zeit(losigkeit), sich in die Installation zu versenken. Hocker ringsherum laden dazu ein, sich niederzulassen, zur Ruhe zu kommen, seiner selbst gewahr werden. Die Galerie im Rathaus bietet sich mit der derzeitigen Ausstellung als Zufluchtsort an, der Hektik zu entkommen, sich mit Kunst, mit dem Alltäglichen, mit sich selbst auseinanderzusetzen und schließlich im Betrachten dessen, was Jahrtausende überlebt hat, Gelassenheit zu gewinnen und Stille zu erleben. In dieser Versenkung, die im Chinesichen „Zen” heißt, verlieren Vergangenheit und Zukunft ihren Einfluss auf das Bewusstsein. Claudia Schlürmanns Dank richtete sich an Christa Jüppner und an Bürgermeister Henrik Wengert. Die Galerie, die sehr ernsthaft betrieben werde, sei ein Kleinod. „Ich appelliere an die Gemeindeverwaltung, dies so weiterzupflegen”, bat die Sozialpädagogin und Bildhauerin. „Mit dieser Ausstellung leisten wir einen öffentlichkeitswirksamen Beitrag – ist 2015 doch das internationale Jahr des Bodens”, sagte Bürgermeister Henrik Wengert zu Beginn der Vernissage. In seiner Begrüßungsrede stellte er die Biographie und Verdienste der Künstlerin vor, die aus Iserlohn im Sauerland stammt. Seit fast 20 Jahren wohnt sie in Taisersdorf. „Dank ihrer Kreativität und ihres genialen Ideenreichtums erhielt Frau Dr. Schlürmann Auftragsarbeiten von Architekten. So hat sie mehrfach Siedlungsmittelpunkte, Schulhöfe, Brunnen und vieles mehr gestaltet - nicht zu vergessen den Kreisverkehrsplatz in Überlingen”, unterstrich Henrik Wengert. Am Emerson-College in der Nähe von London hatte Claudia Schlürmann eine feste Dozententätigkeit, erfuhren die etwa 60 Gäste. Deshalb verbrachte die Künstlerin jedes Jahr mehrere Wochen in England. Bis zum 31. Juli 2015 kann die Ausstellung besucht werden. Während dieser Zeit bietet die Bildhauerin jeweils an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Workshops an, in denen die Teilnehmer in einen eigenen künstlerischen Arbeitsprozess mit den Steinen kommen können (9./10., 16./17., 23./24. und 30./31. Juli). Angelika Thiel (Bilder: Dr. Werner Schmidt)
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