Das Schweizer Schnaps Forum präsentiert den Kartoffelbrand – «Härdöpfler» Dine and Destillat im Restaurant Brücke, Niedergösgen, 20. Feb. 2016 Alkohol ist ein immer wiederkehrendes Thema in der Schweizer Demokratiegeschichte. Nicht weniger als 17 Mal musste sich der Schweizer Souverän seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1848, zu diesem Thema äussern. Zudem gab es auch noch weitere Abstimmungen auf kantonaler oder Gemeindeebene1). Auslöser war die sogenannte Kartoffelschnapspest. Geschichte des Kartoffelbrandes Die erste industrielle Revolution ab Mitte des 18. Jh. und im 19. Jh. führte zu einer rasanten Entwicklung von Technik und Produktivität. Die Dampfmaschine, der mechanisch betriebene Webstuhl und die Spinnereimaschine wurden erfunden. Man hatte gelernt die Wärmeenergie in Bewegungsenergie umzusetzen. Ausgehend von England, entstanden überall in Europa Fabriken. Diese zogen die arme Landbevölkerung – zweit-, dritt- oder viertgeborene Söhne sowie Töchter ohne Aussicht auf ein Erbe – an, wie der Honig die Fliegen. Die starke Bevölkerungszunahme in den neu entstandenen Industriezentren führten zu schweren sozialen Missständen, verursacht durch niedrige Löhne, Wohnungsnot, Hunger und Krankheiten. Im Alkohol fanden die Armen einen billigen Nahrungsersatz und zugleich ein Betäubungsmittel für ihre Sorgen. Europaweit brachte der Alkoholismus viele Familien ins Elend und verursachte grosse soziale und volkswirtschaftliche Schäden. In der Schweiz wurde billiger Schnaps aus Kartoffeln gebrannt. Auch hier war das Elend unter den Arbeitern und der ärmeren Landbevölkerung gross, wie die Erzählungen von Jeremias Gotthelf zeigen. Die ziemlich unbekannte Erzählung „Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen“ ist im November 1838 durch die Wagnersche Buchhandlung in Bern publiziert worden 2). Der Alkoholismus wurde zu einer wahren Volksseuche. Die Kantone waren überfordert und so versuchte 1887 der Bund durch das erste Alkoholgesetz das Problem in den Griff zu bekommen. Geregelt wurden darin Produktion und Absatz von Kartoffelbrand, der als das Hauptübel betrachtet wurde3). Das Brennen von Wein, Obst und Beeren wurde vorerst ausgeklammert und erst 1932 ins Alkoholgesetz integriert. Produktionsbeschränkungen und Steuern erbrachten rasch eine deutliche Verminderung des Alkoholangebotes und damit eine Verbesserung der üblen Zustände. Während und zwischen den beiden Weltkriegen waren Kartoffeln ein wichtiges Grundnahrungsmittel und wurden rationiert. Besonders während Alter, holzbefeuerter Brennhafen ohne Destillationskolonne, aber dem 2. Weltkrieg spielte die Kartoffel eine mit Wasserbad. wichtige Rolle in der sogenannten Anbauschlacht. Das Brennen von Kartoffeln war nicht mehr erlaubt. Erst viel später, im Zug einer Liberalisierung wurde 1997 das Kartoffelbrennen wieder zugelassen. Früher als Schnaps der armen Leute bezeichnet, findet sich heute Kartoffelbrand auch auf den Getränkekarten renommierter Gastrobetriebe. Sein Aroma wird als blumig, herbal, würzig und erdig beschrieben. Das Destillat wird aber auch aus gesundheitlichen Gründen konsumiert. Es soll das Blutbild und die Zuckerwerte positiv beeinflussen. Manche Leute, besonders ältere Personen, schwören deshalb auf den Kartoffelschnaps als Mittel gegen Diabetes. Herstellung Das Einmaischen von Kartoffeln ist nicht so einfach wie bei Früchten, denn der Zucker liegt in Kartoffeln in Form von Stärke vor. Diese besteht aus gefalteten Ketten von Glukosemolekühlen. Diese Stärkepakete befinden sich in den Zellen der Kartoffelknolle. Damit die Hefe die Stärke verwerten kann, muss diese verzuckert werden. Dazu werden die Kartoffeln gekocht und anschliessend zerkleinert. Durch diesen Prozess werden die Zellwände zerstört und die Stärkeketten entfaltet (Verkleisterung). Beim Abkühlen werden der Kartoffelsuppe zwei Enzyme zugesetzt. α-Amylase zerhackt bei Temperaturen von 65-95°C die Stärkeketten in Teilstücke (Dextrine). Bei 55-60°C spaltet Glucoamylase die Dextrine in Glukosemolekühle. Diese können nun von der Hefe verwertet und in Alkohol und Kohlensäure umgewandelt werden4). Pro Jahr werden in der Schweiz zwischen 6‘000 und 12‘000 Liter Kartoffelbrand (100 Vol.%) destilliert. Die Alkoholausbeute liegt bei rund 7 % 5). Die Menge an gebrannten Kartoffeln, gemessen an der schweizerischen Kartoffelproduktion, ist verschwindend klein. Degustation von Kartoffelbränden Das Schweizer Schnaps Forum präsentierte an einem Anlass den Liebhabern schöner Schweizer Destillate 10 verschiedene Kartoffelbrände. Dabei wurde die Degustation in den Rahmen eines Essens mit verschiedenen Kartoffelsorten und Schwein „Von der Schnauze bis zum Schwanz“ gestellt. Das viergängige Menu hatte die Küchencrew des Restaurants „Brücke“ in Niedergösgen komponiert. Vor jedem Gang wurden reinsortige Dazu schmeckt ein Kartoffelbrand: Wollschweinkotelette mit kleiner Kartoffelbrände oder solche aus Blutwurst, Bergkartoffel-Speckterrine, Wildbroccoli und Kartoffelgemischen eingeschenkt. Wurzelgemüse. (Bild: Gabi Perret) Dabei zeigten sich zwischen den reinsortigen Bränden erstaunlich grosse sensorische Unterschiede. Bei den Destillaten aus Sortengemischen waren diese naturgemäss kleiner. Als sehr gut wurde der Brand aus der Sorte Ostara befunden: Grüne Banane, Eisbonbon, würzig. Die alte Lokalsorte Röseler aus dem Kanton Glarus ergab einen Brand, der zwar wenig in die Nase brachte, dafür umso wuchtiger im Gaumen empfunden wurde: fruchtig, blumig, würzig, lang anhaltend. Die Brände aus den Sorten Ostara, Granola, Ackersegen und Röseler wurden von der Forschungsanstalt Agroscope für ein Projekt mit alten Kartoffelsorten in Zusammenarbeit mit der Stiftung Pro Specie Rara destilliert. Weitere sortenreine Destillate waren aus den Kartoffelsorten Bintje und Agria gebrannt. Zum Abschluss der Degustation und als Gegensatz zu den Kartoffelbränden konnte ein Topinamburbrand verkostet werden. Topinambur ist ein naher Verwandter der Sonnenblume. Zur Überwinterung produziert die Pflanze wie die Kartoffeln Rhizome, welche im Frühling auskeimen. Im Rhizom wird Zucker in Form von Inulin gespeichert. Inulin besteht aus Fruktosemolekülketten, welche durch das Enzym Inulase in einzelne Fruktosemolekühle aufgespalten werden. Die können von den Hefen vergoren werden. Der Topinamburbrand hatte ein würziges, leicht harziges und blumiges (Rosen) Aroma. Die Verkostung dieser doch eher seltenen Brände war für alle Teilnehmer ein spannendes Erlebnis. Sensorik Kartoffelbrände Alkohol Bezeichnung/Hersteller sensorische Beschreibung Urgenta, Penta, Charlotte, Agria 40 Vol.% Ueli’s Herdöpfler, DIWISA, Willisau/LU Herbal, würzig, Lakritze, erdig, süss Versch. Speisesorten 43 Vol.% Härdöpfler, Brennerei Schwab, Oberbüren/BE Kartoffelig, erdig, kräftig, süss Agria, Bintje 41 Vol.% Kartoffel/Pommes de Terre, Spezialitätenbrennerei Zürcher, Port/BE Süsslich, Kartoffelschalen, herbal, fein, weich Granola 42 Vol.% Agroscope/Pro Specie rara Kartoffelig, herbal, würzig, Eisbonbon, lang Ackersegen 42 Vol.% Agroscope/Pro Specie rara Kartoffelig, erdig, fein, mild, süss Ostara 42 Vol.% Agroscope/Pro Specie rara Banane, Eisbonbon, vegetabil, würzig, lang Röseler 42 Vol.% Agroscope/Pro Specie rara (alte Lokalsorte/CH) Sehr dezente Nase, fruchtig, blumig,und würzig im Gaumen, lang anhaltend Bintje 41 Vol.% Härdöpfler Bintje, Brennerei Erismann, Bachenbülach/ZH Kartoffelig, erdig, herbal, würzig, fein, weich Agria 40 Vol.% Häpiara, Weingut & Destillerie Lipp, Maienfeld/GR Kartoffelig, erdig, fein, süss Agria 45 Vol.% Hardöpfeler, Brennerei Langatun, Aarwangen/BE Kartoffelig, erdig, kräftig, voll, süss Topinamburbrand 43 Vol.% Topinambur, Brennerei Kunz-Walder, Forch/ZH Würzig, leicht harzig, blumig (Rose), weich, süss Gemischtsortig Sortenrein Quellen 1) Eidg. Alkoholverwaltung (EAV), Alkohol - ein politisches Thema, www.eav.admin.ch 2) Jeremias Gotthelf : Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen, November 1838, Wagnersche Buchhandlung, Bern. 2009 neu aufgelegt durch die Eidg. Alkoholverwaltung (EAV), Bern. 3) EAV, Historischer Überblick, www.eav.admin.ch 4) Agroscope Merkblatt 2b, 2015: Einmaischen stärkehaltiger Rohstoffe am Beispiel von Kartoffeln 5) Angaben EAV 22.02.2016 / ze
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