Ari Shavit, Mein Gelobtes Land, Triumph und Tragödie Israels München 2015 (Rezension von Ruth R. Wisse, Professor für Jiddisch und vergleichende Literaturwissenschaft in Harvard. (Übersetzung: BK) Englisches Original: http://mosaicmagazine.com/observation/2013/12/their-tragic-land/ Shavit macht sich auf, um, wie er es sagt, „die Geschichte Israels zu erzählen“, und zwar auf der Basis von Familienzeugnissen, persönlichen Erfahrungen und Interviews. Sein Weg beginnt mit der Ankunft seines Urgroßvaters Herbert Bentwich, der 1897 eine Erkundungsreise durch Israel unternahm, in eben jenem Jahr, als Theodor Herzl in Basel die Zionistische Bewegung ins Leben rief. Dann führt uns Shavit durch Landschaft und Geschichte des Landes, wobei er jene Orte wählt, in der sich seine Familie einst niedergelassen hatte. Ein Harod, 1921 im Jezreeltal angelegt, wird dadurch im Buch zum beispielhaften Kibbuz, und die Stadt Rehovot, wo Shavit einen Teil seiner Jugend verbrachte, dient als Kulisse für die unterschiedlichsten Geschichten, wie etwa Israels Zitrusindustrie und sein Atomprojekt. Diese Auswahl soll jedoch nicht dazu dienen, eine Familiensage zu schreiben. Nur selten erwähnt Shavit beispielsweise Norman, den ältesten Sohn von Herbert Bentwich, der britischer Zionist und Aktivist war, sowie Autor des Buches „Israel resurgent“ (1952), der aber die eindrucksvollere Persönlichkeit von beiden war. Shavit zeigt von seiner Familie wie auch von seinem Land nur das, was er zeigen will. Das ist völlig legitim. Aber was will er denn zeigen? „Solange ich mich erinnern kann, erinnere ich mich an Angst. Existentielle Angst“. Dieser Satz konfrontiert uns mit der zunehmenden Bewusstwerdung eines neunjährigen Kindes beim Ausbruch der Sechstagekrieges, das später den Schrecken des Jom-Kippur-Krieges, die vom Irak auf Israels Zivilbevölkerung abgeschossenen SCUD-Raketen im Ersten Golfkrieg, die Schießereien, das Steinewerfen und die Selbstmordattentate von zwei palästinensischen Intifadas erleben wird. Alles in allem, so Shavit, dienen Israels Siege und seine Vitalität nur dazu zu verschleiern, „wie exponiert und ständig bedroht wir waren.“ Er projiziert seine Angst auf die nationale Psyche und sagt den Tag voraus, an dem das Leben im Gelobten Land „erlöschen wird wie das von Pompeji“, wenn einst arabische Horden oder überlegene islamistische Streitkräfte die israelische Abwehr überrennen. Im Alter von neun Jahren hat jedes einigermaßen gebildete jüdische Kind gelernt, dass die Kundschafter, die Moses ins Gelobte Land Kanaan aussandte, eine Todsünde begingen, als sie die Israeliten in Panik versetzten, weil sie von Riesen berichteten, die sie dort angeblich getroffen hatten. („Wir fühlten uns wie Heuschrecken, und so müssen wir auf sie gewirkt haben.“) Die vierzigjährige Wanderschaft durch eine Wüste, die man in ein paar Wochen hätte durchqueren können, war göttliche Strafe für den ängstlichen Unglauben dieser ehemaligen Sklaven und ihrer feigen Anführer. Entweder ist Shavit die Bedeutung der jüdischen Tradition nicht klar oder die Botschaft lässt ihn kalt. Gewiss, Furcht ist die verständliche Reaktion einer Minderheit, die von feindlichen Nachbarn umgeben ist – aber genau deshalb rufen jüdische Anführer immer wieder diese biblische Szene in Erinnerung um vor dem Untermininieren der öffentlichen Moral zu warnen. Das einzige nicht-jiddische Sprichwort, das zum täglich wiederholten Repertoire meiner Mutter gehörte, war Franklin D. Roosevelts Satz: „Wir brauchen nichts zu fürchten als die Furcht selbst“. Obwohl „Mein gelobtes Land“ die Geschichte einer eindrucksvollen nationalen Leistung erzählt, greift der Autor immer wieder die literarische Technik des Vorausschauens zurück, um auf drohendes Verhängnis hinzuweisen. „Ich denke an das heftige Feuer im Leib, ein Feuer, das notwendig war, um das Tal zu kultivieren, das Land zu erobern, den Jüdischen Staat zu gründen. Aber ich weiß, dass das Feuer außer Kontrolle geraten wird. Es wird das Tal der Palästinenser verbrennen und sich selbst verzehren. Seine schwelenden Überreste werden vielleicht das Rufzeichen von Ein Harod in ein Fragezeichen verwandeln.“ Einige Seiten weiter schildert er das Frühjahr von 1935, als die Zitronenernte Wohlstand in die Dörfer um Rehovot gebracht hatte, als „jüdische Medizin“ Fortschritt in „elende palästinensische Dörfer“ gebracht hatte. „Gewissermaßen“, schreibt er,“hatten die Zionisten von Rehovot sich selbst überzeugt“, dass dank ihres Engagements für andere „der Zusammenprall zweier Völker vermeidbar sei.“ Doch das war eine Täuschung. „Sie können mit der drohenden unausweichlichen Tragödie noch nicht rechnen.“ So heftig ist sein Angstgefühl, dass Shavit schon der Anblick von urbanen Entwicklungsmaßnahmen genügt, um die erfreuliche Integration jüdischer Flüchtlinger aus arabischen und europäischen Ländern nur in dunklen Farben zu schildern: „1957 ist Bitzaron noch von atemberaubend schönen Feldern voller Wiesenblumen umgeben: Herbstkrokusse, Narzissen, Glockenblumen und Anemonen. Aber sie verschwinden langsam. Sie werden durch immer mehr Grundstücke und Häuser verdrängt, die in einem wahren Entwicklungsschub entstehen, und in die dann Einwanderer einziehen, die schnell Israelis werden.“ Israels Triumph – sein Mut, sein Unternehmensgeist, seine natürliche Schönheit – dienen nur als Kulisse für Israels Tragödie, um die es Shavit eigentlich geht, trotz des Ausgewogenheit vortäuschenden Untertitels. Seiner ganzen Erzählung fehlt es an Humor oder Leichtigkeit – und das in einem Land, dass im Jahre 2013 auf dem 11. Platz des „World Happiness Report“ stand. Selbst sein ausführlicher Bericht über Sex, Drogen und die Schwulenszene im modernen Tel Aviv dient nur zum Auftakt für ein Lamento über die Kluft zwischen dem sicheren und dem gefährdeten Sektor des Landes – eine Kluft, die seinem Urteil nach Israel im 70. Jahr seines Bestehens als weniger gefestigt dastehen lässt als im Alter von zehn Jahren (als die Blumen von Bitzaron verschwanden). Worum geht es eigentlich? Es ist nachvollziehbar schwierig, auf die Geschichte der europäischen Juden in den dreißiger Jahre einzugehen, ohne angesichts dessen, was wir von ihrem Schicksal wissen ein Prophet zu sein,. Aber warum sollte ein erfolgreicher Israeli in einem erfolgreichen (wenn auch bedrohten) Israel einen Erzählfaden von Untergang und Katastrophe abspulen, der bis in das Jahr 1890 reicht, und mit einem Leichentuch winken, in das er die unbestreitbaren Erfolge seines Landes einwickeln will? Eine naheliegende Antwort würde der ununterbrochene Krieg der Araber gegen Israel liefern, der lange vor der Entstehung des Staates Israel begann und der in der innerarabischen und innermuslimischen Politik eine immer wichtiger Rolle spielen sollte, in den Hetzreden ihrer religiösen Führer, in der Ideologie ihrer Terroristen, und heutzutage zunehmend in der Ausrichtung der Linken und der Internationalen überall in der Welt. In dieser Lesart scheint der Paukenschlag der Aggression, der Shavit als Kind in Schrecken versetzte, ihn noch lange Zeit danach traumatisiert zu haben. Aber das Naheliegende greift hier nicht. Denn, nach Shavits eigenen Worten, hat er weniger Angst vor dem, was Araber und muslimische Führer Israel antun wollen, sondern vor dem, was Israel ihnen angetan hat. Die Angst, angegriffen zu werden, die gleich zu Beginn des Buches zum Ausdruck kommt, ruft sofort ein von Furcht geprägtes Echo hervor: „Solange ich denken kann, erinnere ich mich an die Besatzung“ – und diese letztere Angst überlagert die erste. Die zwanghaften Vorahnungen resultieren gänzlich aus dem Schlimmen, das die Juden den Arabern angetan haben oder antun werden, angefangen bei seinem Urgroßvater, der sich weigerte, ihre Dörfer bei seiner ersten Reise ins Land Israel zu „sehen“, über die Kibbuzniks von Ein Harod, die die „Palästinenser des Tales verbrennen“, bis hin zum Krieg von 1948 und so weiter bis heute. In seinem chronologischen Gang durch Israel, 1897,1921,1936,1942, verlegt Shavit das Jahr der Gründung Israels, 1948, nicht die Stadt Tel Aviv, wo David Ben Gurion unter dem Bild Herzls die Unabhängigkeitserklärung verlas, und auch nicht nach Jerusalem, wo die Juden gerade mit einem Angriff bedroht wurden, (übrigens spielt sich nichts eines seiner Kapitel in der Hauptstadt ab, in der Shavit auch einen Teil seines Lebens verbracht hat), sondern nach Lydda (Lod), und zwar während des Kampfes gegen die arabischen Palästinenser, wobei er die Geburt Israels als Beispiel für die „naqba“ umdeutet, die „Katastrophe, die den Mythos der arabischen Palästinenser begründet: „Lydda war ahnungslos. Lydda hatte keine Vorstellung von dem, was geschehen würde. Seit 44 Jahren sah die Stadt den Zionismus im Tal Einzug halten: zunächst die Firma Atod, dann die Kiryat-Sefer-Schule, dann den Olivenhain, die Handwerkersiedlung, das winzige Arbeiterdorf, die Versuchsfarm und das seltsame Jugenddorf mit dem exzentrischen deutschen Doktor als Leiter, der zu den Bewohnern von Lydda so freundlich war und ihnen medizinische Hilfe zukommen ließ. Die Bewohner von Lydda sahen nicht, dass der Zionismus, der in das Tal kam, um einer Nation von Waisen Hoffnung zu geben, eine entschieden grausame Bewegung geworden war, die unbeirrbar plante, das Land mit Gewalt zu nehmen. Wie Frauen, die ein blutiges Stück Stoff herzeigen, um die Jungfräulichkeit der Braut zu beweisen, so wedelt Shavit vor den Augen des Lesers mit jedem blutigen Akt, den Juden in dem so genannten Unabhängigkeitskrieg begingen. Dieses Kapitel wurde herausgepickt, um noch vor der Veröffentlichung des Buches im New Yorker abgedruckt zu werden, eine Plattform, auf der Israels blutige Stücke Stoff ständig an Stelle der blauweißen Fahne gehisst werden. Und was ist nun „Lydda“? Der Forscher Alex Safian hat sich die Mühe gemacht, Fakten und Propaganda in Shavits Darstellung des angeblichen Massakers in jener Stadt voneinander zu trennen, das an zweiter Stelle nach dem angeblichen sehr viel bekannteren Massaker von Deir Jassin steht. Er nimmt sich als erstes das „riesige bewaffnete und mit Kanonen bestückte Fahrzeug“ der Israeli vor, - das eigentlich ein längst wiederentdeckter leicht bewaffneter Panzerspähwagen der Jordanier war und die Größe eines Ford SUV hatte - und widerlegt Shavits feuriges Bild durch das folgende: Zunächst hatten sich die arabischen Bewohner von Lydda den jüdischen Soldaten ergeben, dann aber, als es schien, dass die Jordanischen Streitkräfte die Oberhand gewonnen hatten, nahmen sie die Kapitulation zurück und schwirrten aus, um israelische Kämpfer zu töten und zu verstümmeln. Das allein könnte schon als Grund für eine „grausame“ Antwort auf dem Höhepunkt eines Kriegs angesehen werden, den fünf Invasionsarmeen gegen Juden angezettelt hatten, welche von den Briten daran gehindert worden waren, eine Verteidigung aufzubauen, und die sich auf paramilitärische junge Volontäre stützen mussten. Als die Stadt erobert war, ließen die Juden die Araber abziehen, was, wie beide Seiten zugeben, niemals der Fall gewesen wäre, hätte der Sieg bei der anderen Seite gelegen. Nichts von dem, was geschieht, betrifft allein die Juden, deshalb lohnt es sich, hier einmal innezuhalten und zu überlegen, was es bedeutet, den Begriff „naqba“ an die Stelle von Israels Unabhängigkeitskrieg zu setzen. In ihrem kürzlich erschienenen einbändigen Werk „Israel: A History“ schildert die Historikerin Anita Shapira die totale Überforderung der jüdischen Kämpfer angesichts der bestens trainierten jordanischen Truppen in einer Schlacht wie der von Lydda. Im Vergleich zu Shapiras gut recherchierter Schilderung dessen, was sie richtigerweise eine „arabische Invasion“ nennt, so scheint es den Arabern bei Shavit an Kraft, Kampfmoral und Willen zu mangeln. Sie organisieren sich nicht, sie entwickeln keine Pläne, sie haben keine Strategie und denken nicht über Konsequenzen nach, sie gestatten sich keine moralischen Bedenken oder Schuldgefühle. „Sie ahnen nichts“, „sie können sich nicht vorstellen, was passieren wird“ usw. Ihre beschränkte Selbstwahrnehmung in Verbindung mit unbewusstem Rassismus lässt sie zu Statisten in einem Drama werden, dessen Schuld bei den Juden liegt. Shavits Vorfahren, die sich in Israel niederließen, sahen sehr wohl die Araber und ihre Dörfer; nur konnten sie sich nicht vorstellen, dass Menschen wie sie selbst, die lange Zeit unter der Herrschaft anderer gelebt und gelitten hatten (im Fall der Araber waren es die Türken), bereit gewesen wären, andere bei sich leben zu lassen. Einige allerdings konnten es. Aber genau das kann Shavit nicht sehen. Er will den Arabern und Muslimen nicht das gleiche Maß an Anstand zubilligen wie den Juden, also darf er von ihnen nicht erwarten, dass sie für alle ihre Entscheidungen, ihre Politik, ihr Verhalten Verantwortung übernehmen. Wenn Shavit von seinen Treffen mit Vertretern der jüdischen Religion oder anderen, deren Einstellung er nicht teilt, berichtet, so will er deutlich zeigen, dass er aufsteht, um sie zu verteidigen. In dem Kapitel „In Galiläa“ ist das allerdings nicht der Fall; als sein arabischer Freund ihm versichert, dass sie Israelis zum Scheitern verurteilt seien, beteuert er als Antwort seine Liebe zu ihnen und fragt klagend: „Was soll aus uns werden, Mohammed?“. Kein Wunder, dass die Antwort verächtlich ausfällt. Ein weiteres Problem dieses Buches liegt in der Verpflichtung des Journalisten zur Objektivität. Auffälligerweise fehlen die Vorhersagen einer Katastrophe immer genau dann, wenn sie notwendig wären – und zwar gerade in jenem Teil, in dem Shavit die frühen 90er Jahre beschreibt, als er und sein linkes politisches Lager beschlossen, „Peace now“ ins Leben zu rufen, aber die offen ausgesprochenen Absichten der Feinde Israels verschleierten. 1992 hatten die Israelis eine Regierung unter Yitzak Rabin gewählt, dessen Parteiprogramm Verhandlungen mit Yassir Arafats Terrororganisation ablehnte, die zehn Jahre zuvor aus dem Libanon verjagt worden war und ihren Sitz nun in Tunesien hatte. Unter Missachtung demokratischer Prinzipien nahmen israelische Linke heimlich, mit finanzieller Unterstützung durch einen amerikanischen Millionär, Kontakt zu Arafat auf, um ihn zum Chef einer „palästinensischen Behörde“ zu machen, wobei dessen Gegenleistung nur in dem Versprühen bestand, den Frieden zu wahren. Sie überredeten, wiederum mit amerikanischer Unterstützung, Rabin, diesen Vertrag anzuerkennen, was dieser gegen sein besseres Wissen dann tat. Dadurch übertrug Israel die Wahrung seines primären Zieles einem der führenden Terroristen der Welt, um ihn dann zu unterstützen und zu bewaffnen. Yossi Beilin, einer derjenigen, die das Treffen mit Arafat in Norwegen arrangierten, gibt heute zu, dass sie das Risiko einer Nichteinhaltung durch die PLO nie in Betracht gezogen hatten. Wenn Shavit also schreibt, „Frieden war unsere Religion“, dann meint er wohl, dass sie der Selbsttäuschung erlagen und wie Idiotien handelten. Als er dieses Geschehen erzählt, sieht er immer noch nicht, wo der Hund begraben liegt. Es hilft jetzt auch nicht mehr, dass Shavit das Scheitern des „Osloer Friedensabkommens“ von 1993 eingesteht. In dieser Hinsicht allerdings unterschied er sich frühzeitig von seinen Kollegen bei Ha’aretz. Nichtsdestoweniger ist er immer noch überzeugt, „dass es richtig war, Frieden zu versuchen“. Anstatt mit professionellem Scharfsinn seine Rolle und die seiner Freunde in dem nun folgenden Desaster zu untersuchen, welches eine erschreckend hohe Zahl Israelis das Leben kostete, verssucht er jämmerlich, sich durch seine Motive zu rechtfertigen. Shavit lässt sein Buch enden, wie er es begonnen hat: mit dem Bild konzentrischer Kreise aus Islamisten, Arabern und Palästinensern, die sich um Israel schließen. Aber Gefahr und Tragödie müssen unterschieden werden, und die gesunde Angst vor Feindseligkeit ist etwas anderes als die krankhafte Angst vor dem Gedanken, man sei schuld an dieser Feindseligkeit. Shavit kann zwischen dem Triumph Israels und der Tragödie des arabisch-muslimischen Krieges gegen das Land nicht unterscheiden – ein Krieg, der vor 1948 längst begonnen hatte und in dem es nie um Konzessionen bei der Grenzziehung oder in der Politik ging. Der einzige Schaden, den die Israelis den Arabern zugefügt haben – ich betone nochmals: der einzige! – lag darin, den Palästinensern einen Terroristen als Anführer zu verpassen, von dem sie selbst sich niemals hätten regieren lassen. Yossi Klein wanderte als Jude nach Israel ein. Ebenso taten es Shavits Vorfahren. Aber man fragt sich unweigerlich, warum Shavit sich mehr zum Judentum verdammt als stolz darauf fühlt. Seiner Beschreibung der „hebräischen Identität“ – wie er es nennt – fehlt jeder Hinweis auf das starke Gefühl von Identität, das Juden Jahrhunderte lang befähigt hat, der Verfolgung durch andere zu widerstehen. Vom Reichtum der zeitgenössischen jüdischen Kultur Israels, - Dichtung und Gesang, das Revival der beliebten Piyyut (vertonte liturgische Texte), Theaterproduktionen, das blühende akademische und intellektuelle Leben, oder ganz einfach gesagt, das jüdische religiöse Leben – taucht im Buch kaum etwas auf. Kein Wort davon, dass die Davidstadt und der Zweite Tempel wiedergefunden wurden, dass die enge Beziehung zur heimatliche Erde viele Israelis zu Hobbyarchäologen werden lässt; die Ruinen von Massada werden nur als Mittel erwähnt, das Pflichtgefühl und die Loyalität der Rekruten künstlich hochzuputschen. Aber wie, wenn nicht durch die ununterbrochene Verbindung der Juden zu ihrer Heimat, könnte man heute Hebräisch als erste Sprache sprechen? Da Shavit von seinen jüdischen Wurzeln abgeschnitten ist, findet sein Israel Rechtfertigung nur noch im Leiden und der angeblich beklemmenden Angst seiner Juden. Aber Leiden ist keine jüdische Tugend, es ist nur manchmal der notwendige Preis, der für das Privileg, als Jude zu leben, gezahlt werden muss. Mehr noch: wie es können die wohlhabenden Juden einer „Start-Up-Nation“ mit den ständig benachteiligten Palästinensern aufnehmen, wenn sie ständig zwischen Furcht und Elend hin- und hergerissen sind? In diesem Buch tun sie es jedenfalls nicht. Will man der Geschichte des modernen Israel gerecht werden, so muss man über mit sicherem moralischem Gespür unterscheiden können zwischen einer Kultur, die aufbauen will und einer Kultur, die zerstören will, was andere gebaut haben. Muss man immer wiederholen, dass sich die Gründung des Jüdischen Staates auf mehr moralische und politische Legitimierung stützen kann als jede andere Nation, oder dass die Juden ihr ursprüngliches Recht auf das Land Israel aufrechterhalten haben, sowohl als sie in Zion wie zu anderen Zeiten anderswo lebten? In der modernen Zeit und in modernen Worten sind diese Worte oft bestätigt worden, durch das internationale Recht wie auch durch die gigantischen Leistungen der Juden selbst, die große Landparzellen kauften, der Wüste und dem Sumpf große Flächen abtrumpften, Industrie und Städte anlegten und das Land durch eine beispiellose Sammlung und Ansiedlung von Flüchtlingen, das Land von neuem bevölkerten.
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