PBP Unternehmensführung VERMÖGENSPLANUNG Vorzeitiger Bezug von Rente aus dem Versorgungswerk mit 62 Jahren lohnt sich von Sönke Liebig, YPOS Consulting, Darmstadt | Die Versorgungswerke der Ingenieure und Architekten bieten bei vergleichbarem Beitrag ein wesentlich höheres Versorgungsniveau als die gesetzliche Rentenversicherung. Und trotzdem – insbesondere im Umfeld niedriger Zinspolitik – kann es sich lohnen, die Rente aus dem Versorgungswerk zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Erfahren Sie, warum das so ist und wie sich ein vorzeitiger Abruf der Rente und eine alternative Anlage der gesparten Beiträge für Sie rentiert. | Analyse am konkreten Praxisfall So stellt sich die Lage für den Inhaber eines Planungsbüros ... Grundlage der Analyse ist ein konkreter Praxisfall. An ihm wird deutlich, welche Überlegungen und Berechnungen Architekten und Ingenieure anstellen müssen, um eine gute Entscheidung treffen zu können. ◼◼Beispiel Architekt M (Jahrgang 1952) hat Rentenansprüche aus dem Architektenversorgungswerk erworben. In das Versorgungswerk zahlt er einen Monatsbeitrag von 1.265 Euro. M stellt sich im Rahmen seiner privaten Finanzplanung die Frage, ob sich ein vorzeitiger Abruf der Rente aus dem Versorgungswerk für ihn rechnet. Eine Anfrage bei der Architektenversorgung ergibt folgende Rentenalternativen: Beitrag Versorgungswerk Altersrente brutto Rentenbeginn mit 62 Rentenbeginn mit 67 entfällt 1.265 Euro 1.932 Euro 2.567 Euro Auf den ersten Blick scheint sich der vorzeitige Rentenabruf für M nicht zu rechnen. Schließlich muss er mit monatlich 635 Euro (rund 25 Prozent insgesamt bzw. 0,4 Prozent pro Monat) weniger auskommen, wenn er die Rente ab dem 62. Lebensjahr abruft. Eine überschlägige Rechnung (ohne Berücksichtigung einer Rentendynamik) ergibt bis zum 92. Lebensjahr eine Rentendifferenz von 228.600 Euro (30 Jahre x 635 Euro monatlich). ... beim vorzeitigen Abruf der Rente aus dem Versorgungswerk mit 62 dar 20 Ruft M die Rente mit 62 ab, erhält er aus der Rente insgesamt 695.520 Euro (30 Jahre x 1.932 Euro monatlich). Bei Abruf ab 67 sind es dagegen 770.100 Euro (25 Jahre x 2.567 Euro monatlich). Die Berechnung, die auf der statistischen Lebenserwartung (hier 92 Jahre) und den Annahmen der Versicherungswirtschaft basiert, signalisiert auf den ersten Blick also eine Schlechterstellung bzw. Rentenlücke. PLANUNGSBÜRO PROFESSIONELL 09-2014 Unternehmensführung PBP Aktuelle Finanzmarktlage in Überlegungen einbeziehen Gänzlich unberücksichtigt blieb bis hier die aktuelle Finanzmarktsituation. Das ist aber zu kurz gedacht. Diese Fragen sollten Sie sich zusätzlich stellen M muss sich vielmehr drei Fragen stellen, um ein klares Ergebnis zu haben: Ab welcher Lebenserwartung und welchem Anlagezins rechnet sich die monatliche Beitragszahlung weiterer 75.900 Euro (1.265 Euro x 12 x 5 Jahre) bis zum 67. Lebensjahr ins Versorgungswerk? Wichtige Determinanten einer guten Entscheidung Kann eine alternative Anlage der ersparten Beiträge ins Versorgungswerk und die früher bezogenen Rentenbezüge im Privatvermögen die Rentenkürzung auf lange Sicht ausgleichen? Gibt es weitere Gründe, die dafür sprechen könnten? Um diese Fragen zu beantworten, ist eine detaillierte Vergleichsrechnung mit Hilfe eines qualifizierten Finanzplaners erforderlich. Denn neben dem Monatsbeitrag von 1.265 Euro sind die steuerlichen Auswirkungen in der Anspar- und Rentenphase, die voraussichtliche Beitrags- und Rentendynamik zu berücksichtigen und das aktuelle wirtschaftliche Umfeld einzubeziehen. Vergleichsrechnung anstellen lassen ◼◼Steuerliche Auswirkungen in der Spar- und Rentenphase Rentenbeginn mit 62 Rentenbeginn mit 67 Steuerwirkung Beitragszahlung entfällt 78 % steigend auf 88 % Steuerpflichtiger Anteil Rente 68 % 78 % Bei einem Rentenbeginn mit 62 ergibt sich mangels Beitragszahlung ins Versorgungswerk (Ansparphase) keine steuerliche Auswirkung mehr. Demgegenüber wirken sich die Beiträge, die bis zum Rentenbeginn mit 67 an das Versorgungswerk gezahlt werden, steuerlich aus, und zwar steigend von 68 Prozent im Jahr 2014 bis auf 78 Prozent im Jahr 2019. Wichtig | Die Steuerersparnis, die M durch die Beitragszahlung bis zum 67. Lebensjahr in der Ansparphase erzielt, bekommt er aber nicht „geschenkt“. Er muss sie dadurch „bezahlen“, dass der Besteuerungsanteil der Bruttorente von 68 Prozent auf 78 Prozent steigt. Denn bei einem Rentenbeginn mit 62 im Jahr 2014 sind nur 68 Prozent der Rente steuerpflichtig, im Jahr 2019 sind es schon 78 Prozent. Die Alternative: Abruf der Rente mit 62 Jahren Ruft M die Rente mit 62 ab, kann er sowohl die monatliche Versorgungswerksrente minus Steuern als auch den bisherigen monatlichen Nettoaufwand für das Versorgungswerk in alternative Anlagen ansparen, um eine deutlich höhere Rendite zu erzielen. Zugeflossene Mittel besser anlegen 09-2014PLANUNGSBÜRO PROFESSIONELL 21 PBP Unternehmensführung Nettoliquidität bei Rentenbeginn Die Nettoliquidität bei Rentenbeginn mit 62 beträgt bei M 1.380 Euro monatlich. Sie errechnet sich wie folgt (Grenzsteuersatz: 42 Prozent): Geld aus Rente aus dem Versorgungswerk ... Versorgungswerksrente: M bezieht mit 62 eine Rente aus dem Versorgungswerk von monatlich 1.932 Euro brutto. Der private Rentenfreibetrag errechnet sich auf 425 Euro und wird lebenslang festgeschrieben. Netto verbleiben M somit monatlich 1.380 Euro. Der steuerpflichtige Anteil beträgt 1.507 Euro (1.932 Euro ./. privater Rentenfreibetrag von 425 Euro). Wichtig | Grundsätzlich führt jegliche Erhöhung der Renten – durch die Festschreibung des individuellen Rentenfreibetrags – nicht direkt zu einer höheren Nettorente, sondern zu einer Erhöhung des zu versteuernden Einkommens. Die Nettorente wird somit geringer als die eigentliche Rentenerhöhung. ... und ersparte Beiträge können alternativ angelegt werden Versorgungswerkbeitrag: Der Beitrag zum Versorgungswerk von 1.265 Euro brutto fällt weg. Steuerlich ausgewirkt hätte sich dieser mit 78 Prozent im Jahr 2014, somit hier individuell 850 Euro Nettoaufwand. Kapitalaufbau bis zum 67. Lebensjahr (5 Jahre) Investiert M seine monatliche neue Nettoliquidität von 2.230 Euro (Nettoersparnis des Beitrags von 850 Euro zuzüglich Nettorente von 1.350 Euro) in den nächsten fünf Jahren, steht ihm zum 67. Lebensjahr ein Kapital von 132.570 Euro zur Verfügung bei einer Beitrags-/Rentendynamik von 0,0 Prozent und einer Nettorendite von 0,0 Prozent nach Berücksichtigung der Abgeltungsteuer bzw. 140.000 Euro bei einer Bruttorendite von nur 3,0 Prozent und nach Berücksichtigung der Abgeltungsteuer. Rentenlücke aus vorzeitigem Bezug ... Rentenlücke mit 67 Jahren M hat eine Rentenlücke von 486 Euro netto (1.380 Euro ab 62 zu 1.866 Euro ab 67), wenn er die Rente aus dem Versorgungswerk im Alter von 62 Jahren abruft. Diese errechnet sich wie folgt: Würde M mit 67 Jahren in Rente gehen, würde der steuerpflichtige Anteil der Rente aus dem Versorgungswerk von 2.567 Euro 78 Prozent betragen. Bei einem Steuersatz von 35 Prozent in der Verrentungsphase ergäbe sich nach Abzug des privaten Rentenfreibetrags eine Nettorente von 1.866 Euro. Bei einem Bezug der Rente aus dem Versorgungswerk mit 62 Jahren und einem steuerpflichtigen Anteil von „nur“ 68 Prozent würde M im Alter von 62 Jahren eine Rente aus dem Versorgungswerk von 1.932 Euro beziehen. Bei einem Steuersatz von 35 Prozent ergäbe sich für ihn eine Nettorente von 1.380 Euro. 22 PLANUNGSBÜRO PROFESSIONELL 09-2014 Unternehmensführung PBP Ausgleich der Rentenlücke M müsste also eine Differenz von anfangs 486 Euro mit dem bis zum 67. Lebensjahr angesparten Kapital in Höhe von 132.570 Euro ausgleichen. Das ist leicht zu schaffen. Auch ohne Zinsertrag aus diesem Kapitalstock reicht es aus, um die Rentenlücke – abgestimmt auf die durchschnittliche Lebenserwartung – zu schließen. Bei einem Kapital von 132.570 Euro und einer Bruttorendite von 3,0 Prozent wäre der Kapitalstock selbst unter Berücksichtigung der Abgeltungsteuer bis zum 92. Lebensjahr auf rund 140.000 Euro angewachsen. Dem Kapitalkonto können bis zum 92. Lebensjahr monatlich 486 Euro entnommen werden, um die Rentenlücke zu schließen, die sich durch den vorgezogenen Rentenbezug ergibt. Bei einer Bruttorendite von 3,0 Prozent verblieben auf dem Kapitalkonto am Ende der Laufzeit sogar noch rund 83.000 Euro. ... wird selbst bei Null-Prozent Verzinsung geschlossen Überraschende und überzeugende Modellrechnung ZWISCHENFAZIT | Die Ansammlung des Kapitals mit oder ohne Zinsertrag reicht, um die Rentenlücke auszugleichen; der Kapitalstock wächst weiter bzw. wird nur teilweise aufgezehrt. Selbst bei einer Verzinsung von null Prozent wären zum 92. Lebensjahr noch rund 12.000 Euro auf dem Kapitalkonto vorhanden. Der vorzeitige Versorgungswerk-Ausstieg lohnt sich Nachfolgend fassen wir die konkreten Empfehlungen für M und anschließend für alle anderen Mitglieder von Versorgungswerken zusammen. Die Anlage-Strategie im konkreten Fall des M Für die Zeit ab dem vorgezogenen Rentenbeginn bis zum Regelaltersbeginn wird der Beitrag zum Versorgungswerk gespart und anderweitig angelegt. Bei M sind dies in Summe 75.900 Euro brutto oder 49.760 Euro netto. Die vorgezogene Altersrente fließt mit einem geringeren Besteuerungsanteil von 68 Prozent bereits ab Alter 62 Jahre zu statt mit einem Besteuerungsanteil von 78 Prozent ab 67 Jahre. Dieses sind in Summe 82.000 Euro netto. Exit-Strategien für alle Mitglieder in Versorgungswerken Aus beiden Komponenten (ersparte Beiträge plus bezogene Rente) wird die verfügbare Nettoliquidität nach Steuern ermittelt. Diese Beiträge werden in der Vergleichsrechnung verzinslich oder Null auf einem beliebigen Kapitalkonto angelegt. Die aufgelaufene Nettoliquidität beträgt bis zum Regelaltersbeginn 132.000 Euro. Diese Argumente sprechen für einen vorzeitigen Ausstieg bei M 1. Für Freiberufler lohnt es sich, die Rente aus dem Versorgungswerk zum frühesten möglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. 2.Ein vorzeitiger Abruf ist selbst bei einer Rendite von null Prozent sinnvoll. Es bildet sich bei vorzeitigem Rentenbeginn „vererbbares Kapital“ (zum Beispiel bei schlechter gesundheitlicher Diagnose). 3.Auf keinen Fall sollte das Geld in eine Basis-Rente (Rürup-Rente) umgeschichtet bzw. ein solcher Vertrag neu abgeschlossen werden. Eine Ausnahme gilt, wenn die Versorgungsansprüche für den Ehepartner anders 09-2014PLANUNGSBÜRO PROFESSIONELL Freie Liquidität nicht in RürupRente investieren 23 PBP Unternehmensführung gestaltet werden sollen (zum Beispiel 100 Prozent statt 60 Prozent). Dann kann man aber auch gleich einen Rentenvertrag auf den Partner abschließen. 4.Bestimmen Sie in unsicheren Zeiten selbst Ihre individuelle Anlage und ergänzen Sie das, was Ihnen fehlt. Inflationsgeschützte Investitionen in Sachwerte sind zu empfehlen 5.Das Versorgungswerk hat nominelle Verpflichtungen und nominelle Anlagen – Freiberufler sollten aber in Kaufkraft denken! Deshalb sind inflationsgeschützte Sachwertinvestitionen zu empfehlen, um eine erneute Fehlallokation zu vermeiden. 6.Es gilt, die Versorgungsansprüche als Barwert in die Gesamtstruktur des Vermögens einzustellen, um möglichst diversifiziert aufgestellt zu sein (Schuldenkrise = Guthabenkrise). 7.Die Demografie und die Verlängerung der Lebenserwartung führen dazu, dass die künftige Dynamisierung von Rentenanwartschaften und Leistungen geringer ausfallen werden als in der Vergangenheit – bei steigenden inflationsbedingten Lebenshaltungskosten im Alter. Diese Argumente können zusätzlich für einen Abruf der Rente sprechen Neben dem errechneten Vorteil im konkreten Fall können auch weitere Gründe für den vorzeitigen Abruf der Rente sprechen. Das sind unter anderem: Auch die Familiensituation kann Grund für Ausstieg sein Die persönliche Familiensituation: Kein Partner vorhanden oder Partner verloren (= keine Kapitalisierung im Versorgungswerk möglich; somit auch kein vererbbares Kapital) Eine schlechte Arztdiagnose; kurze Lebenserwartung (unter Durchschnitt), somit kein Bedarf an lebenslanger Rente; Folge: frühere Entnahme Minderung der Ansprüche der Hinterbliebenen ... Beachten Sie | Der vorzeitige Abruf der Rente aus dem berufsständischen Versorgungswerk führt dazu, dass die Rentenansprüche der Hinterbliebenen beim Tod des Rentenempfängers gekürzt werden. In der Regel sind dies 60 Prozent der Differenz der Anwartschaft bei Regelrentenbeginn und dem vorgezogenen Rentenbeginn. Unverbindlich geschätzt würde die Kürzung bei M 381 Euro brutto vor Steuern monatlich ausmachen (2.567,00 Euro ./. 1.932,00 Euro) x 60 Prozent. ... ist einziger Nachteil des vorzeitigen Ausstiegs Ebenfalls von der Kürzung betroffen sind Hinterbliebenenansprüche auf Halb- bzw. Vollwaisengeld. Bei Wahl der vorgezogenen Altersrente aus dem Versorgungswerk entfällt ferner der weitere Versicherungsschutz für die Erwerbsminderungsrente, die sonst in der Regel bei 100 Prozent Aufhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit gezahlt würde. 24 PLANUNGSBÜRO PROFESSIONELL 09-2014
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