Wirtschaft 40 13. September 2015 | sonntagszeitung.ch Weniger Geld für Schweizer Unternehmen: Recycling von Elektro-Haushaltsgeräten Foto: Keystone Recycling von Haushaltsgeräten schlittert ins Minus Zuständige Stiftung macht Einkaufstourismus verantwortlich. Jetzt senkt sie Beiträge an Schweizer Unternehmen für die Wiederverwertung – diese befürchten den Verlust von Hunderten von Jobs Jürg Meier Zürich Wer in der Schweiz ein elek- trisches Gerät kauft, bezahlt einen vorgezogenen Recyclingbeitrag. Bei einem normal grossen Kühlschrank beträgt dieser 30 Franken, bei einem Smartphone 10 Rappen. Das Rücknahmesystem steht auf zwei Säulen: Die Stiftung Sens eRecycling ist für die Entsorgung von elektrischen und elektronischen Hauhaltsgeräten zuständig – zum Beispiel Kühlschränken, Föhns oder Toastern. Swico Recycling kümmert sich um Computer, Smartphones oder Stereoanlagen. Nun gerät dieses System ins Wanken. 2015 werden bei der Stiftung Sens die Ausgaben für das Einsammeln, den Transport und das Recycling höher sein als die Einnahmen – zum dritten Jahr in Folge. Allein 2014 mussten 5,7 Millionen Franken aus den Reserven gedeckt werden. Dies bestätigt Geschäftsführerin Heidi Luck. Elektronik wird selten im grenznahen Ausland gekauft Zentrale Gründe für die Entwicklung sind der Einkaufstourismus und der stetig zunehmende Onlinehandel. Werden Geräte jenseits der Grenze oder bei einem ausländischen Onlinehändler gekauft, fällt keine vorgezogene Recyclinggebühr an. Trotzdem landen sie im hiesigen Entsorgungssystem. Eine von der Stiftung in Auftrag gegebene Studie kam zum Schluss, dass ihr Jahr für Jahr 2 Millionen Franken entgehen, dies bei Einkünften von derzeit rund 37 Millionen. Laut Heidi Luck ist diese Schätzung eher zu vorsichtig. «Wir gehen davon aus, dass uns bei vielen Grossgeräten heute 10 bis 20 Prozent der vorgezogenen Recyclinggebühr entgehen.» Händler aus dem grenznahen Ausland liefern ganze Küchen- oder Ba dezimmer ausstattungen in die Schweiz. Die Folge: «Konsumenten, die in der Schweiz kaufen, müssen die Entsorgungskosten der Einkaufstouristen querfinanzieren», sagt Luck. Anders ist die Situation bei Swico, wie Geschäftsführer JeanMarc Hensch sagt. Der Grund: «Elektronikgeräte wie Tablets oder Smartphones sind die einzige Produktekategorie, die in der Schweiz günstiger ist als im Ausland.» Ein Einkauf jenseits der Grenzen lohne sich kaum. Allerdings behält auch Swico das Thema im Auge. «Es ist uns bewusst, dass das Problem auch uns irgendwann betreffen kann», sagt Hensch. Die Stiftung Sens hat aus Spargründen beschlossen, auf nächstes Jahr die Entschädigung für das Rezyklieren zu senken. Damit verärgert sie die rund zwei Dutzend Betriebe, die in der Schweiz Geräte in grossen Maschinenparks in ihre Einzelteile zerlegen. «Mit den neuen Tarifen kann ich nicht überleben», sagt ein kleiner Entsorger, der nicht genannt werden will. Laut einem Vertreter eines grösseren Betriebs, der ebenfalls anonym bleiben möchte, gefährde die Stiftung mit den neuen Preisen «die Existenz der Schweizer Recyclingbran- che». Es ständen «Hunderte Arbeitsplätze» auf dem Spiel. Dies nicht nur in den Betrieben, sondern auch in vielen Sozialfirmen, in denen Dutzende Arbeitslose in einem ersten Schritt einfachere Zerlegearbeiten ausführen. Die Preissenkung kommt für die Recycler zu einem äusserst ungünstigen Zeitpunkt. Sie leiden schon so – unter dem starken Franken, aber auch unter zerfallenden Rohstoffpreisen. «Stahl, Kupfer oder Aluminium sind in den letzten zwölf Monaten um 35 bis 40 Prozent billiger geworden», sagt ein Recycler. Weil die Firmen mit dem Verkauf Hohe Rücklaufquote Die Stiftung Sens war vor 25 Jahren mit dem Ziel gegründet worden, ein freiwilliges, breit abgestütztes Entsorgungssystem aufzubauen. Dieses System funktionierte bisher sehr gut. Die Schweizer Recycler machen «auf einem hohen Stand der Technik eine sehr gute Arbeit», sagt Marco Buletti vom Bundesamt für Umwelt. Die Rücklaufquote ist mit 80 bis 85 Prozent sehr hoch. In der EU landet hingegen nur rund ein Drittel der Geräte in den offiziellen Sammlung einrichtungen. Grosse Mengen werden exportiert, zum Teil gar illegal: In manchen Ländern ist das organisierte Verbrechen an der Verschiebung von Elektroschrott beteiligt, wie eine Studie kürzlich belegte. der zurückgewonnenen Rohstoffe immer weniger einnehmen, drücke dies stark auf ihre Wirtschaftlichkeit. Bisher wurden die grössten Schwankungen in den Rohstoffpreisen durch ein komplexes Indexmodell abgefedert. Dieses will die Stiftung Sens nun aber abschaffen. «Das verschärft unsere Lage zusätzlich», sagt der Unternehmer. Unnötige Ausgaben und arrogantes Auftreten Sens-Stiftungspräsident Andreas Röthlisberger wehrt sich gegen die Vorwürfe. «Wir bezahlen im Vergleich zum Ausland noch immer faire Preise.» Im Moment müssen sich die Recycler um einen neuen Entsorgungsvertrag mit der Stiftung Sens bewerben. «Bisher haben wir noch von niemandem gehört, der nicht mehr mitmachen will», sagt Röthlisberger. Die Branche ärgert sich über solche Aussagen. Unternehmen kritisieren, die Stiftung habe sich unnötige Ausgaben geleistet – darunter eine Partnerschaft mit der Eishockeynationalmannschaft –, und sie trete zunehmend arrogant auf. Auch das weist Röthlisberger zurück. Die Eishockey-Partnerschaft sei beendet worden. «Und wir haben mit allen Unternehmen gesprochen. Aber irgendwann mussten wir angesichts der finanziellen Situation einen Entscheid fällen.» Die Stiftung habe zudem ihre Personalund Verwaltungskosten gesenkt. In der Branche geht nun die Angst um, dass die Stiftung die Recyclingarbeiten ins Ausland vergibt. Rö- thlisberger beruhigt. «Wir wollen, dass es weiterhin eine schweizerische Recyclingindustrie gibt.» Verschiedene Schweizer Recyclingsysteme haben darum vor kurzem eine Studie in Auftrag gegeben. Sie soll belegen, dass höhere Entsorgungskosten in der Schweiz durchaus gerechtfertigt sind. Etwa darum, weil es in der Schweiz besonders viele Rückgabestellen gibt oder weil die Lohnkosten in der Schweiz rund doppelt so hoch liegen dürften wie in Deutschland. Allerdings belege die Studie auch, dass sich nicht die gesamte Preisdifferenz durch unterschiedliche Standortkosten belegen lasse. «Darum müssen sich die Recycler bei den Preisen auch bewegen», sagt Röthlisberger. Die Recycler sehen das angesichts ihrer angespannten finanziellen Lage als illusorisch und fordern andere Lösungen. «Das Beste wäre eine Erhöhung der vorgezogenen Recyclinggebühr», sagt ein Unternehmer. Diese Lösung favorisiert auch Marco Buletti, Chef der Sektion Abfallbewirtschaftung beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Andere Massnahmen – etwa ein Einfordern des Entsorgungsbeitrags durch den Zoll – hätten sich als viel zu aufwendig erwiesen. «Wenn die Kunden die Gewissheit haben, dass die Geräte in der Schweiz gemäss höchstem technischen Standard entsorgt werden, würden sie einer Erhöhung zustimmen», ist er überzeugt. Eine Abwanderung des Recyclings in andere Länder sähe das Bafu jedenfalls mit Sorge, sagt Buletti.
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