Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte Bierkultur in

Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte
Bierkultur in Deutschland
Bier kann im Jahr 2016 ausgiebig gefeiert werden. Es ist das älteste
Kulturgetränk der Menschheit, das meistverkaufte alkoholische Getränk, das
wichtigste Kulturgetränk in vielen Gesellschaften und zudem jährt sich das
deutsche Reinheitsgebot zum 500sten Mal! Seit 500 Jahren muss sich der
Brauer in bayerischen Gefilden an dieses Lebensmittelgesetz, das später auch
in das deutsche Recht überging, halten. Es ist somit die älteste noch geltende
Lebensmittelgesetzgebung der Welt!
Das deutsche Reinheitsgebot besagt nun, dass nur Rohstoffe verwendet
werden dürfen, wenn man das fertige Produkt Bier nennen will. Diese
Rohstoffe sind bekanntlich das Wasser, das Malz, der Hopfen und die Hefe.
Aus diesen Rohstoffen werden Zehntausende verschiedene Biere weltweit
gebraut. 1300 Brauereien widmen sich allein in Deutschland dieser Aufgabe.
An vielen Orten entdeckt man heute die Vorzüge und die Vielfalt des Biers neu.
Ein gutes Bier zeichnet sich durch das anregende Wechselspiel zwischen der
Süße des Malzes, den Aroma- und Bittereigenschaften des Hopfens und der
Fruchtigkeit der Hefe aus. Aus ihrer Verbindung ergibt sich eine Vielzahl von
Geschmacksrichtungen.
Die Anfänge der Bierbrauerei gehen wohl zurück zu den Sumerern, welche in
Mesopotamien seit 7000 v. Chr. lebten. In einer der ältesten Erzählungen der
Welt, dem Gilgamesch-Epos (cirka 2000 Jahre v. Chr.), steht zu lesen: „Er trank
Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich. Er wurde ausgelassen. Sein
Herz war froh und sein Gesicht strahlte.“ Die Babylonier im 2. Jahrtausend v.
Chr. hatten schon 25 verschiedene Bierstile und drakonische Strafen für
„Bierpanscher“. Im alten Ägypten war Bier das wichtigste Zahlungsmittel,
wurde in Krügen aus rotem Ton exportiert und gar mit ins Grab gegeben. Auch
aus Ägypten sind viele Schriften zum Bier überliefert. Ein bekanntes Sprichwort
damals lautete: „Der Mund eines glücklichen Mannes ist mit Bier gefüllt.“
Als Heilmittel war Bier bei den Griechen und später bei den Römern beliebt, als
Getränk wohl weniger. Hippokrates erwähnte Bier schon als „Gerstensud“ und
heilend bei Schlaflosigkeit und Fieber. Das Thema „Bier und Gesundheit“ spielt
auch heutzutage noch eine Rolle, wie das Buch „Gesund mit Bier“ von Ellen
Heidböhmer belegt.
Aus dem Jahr 766 n. Chr., also 1250 Jahre zurück, stammt die erste
Bierurkunde der Welt. Diese beurkundete eine Lieferung Bier aus Geisingen a.
d. Donau ins Kloster St. Gallen. Man kann sich also vorstellen, wie viele
Geschichten über Bier geschrieben werden können. Eine historische und
spannende Form hat der Autor Günther Thömmes gefunden. In seiner Reihe
historischer Kriminalromane dreht sich vieles ums Bier und verdeutlicht, welch
wichtige Rolle Bier im Mittelalter in Deutschland schon spielte.
Damals war in Deutschland das Bierbrauen vor allem in Klöstern heimisch. Seit
650 n. Chr. haben Mönche ihre eigenen Brauereien betrieben. Es galt: Liquida
non frangunt ieiunum – Flüssiges bricht das Fasten nicht. Über 200 Fastentage
pro Jahr musste ein Mönch damals mit „flüssigem Brot“ überbrücken! Dadurch
lag der Gedanke nahe, in guter Qualität das Bier selbst zu brauen. Das hat sich
bis heute gehalten, etwa in den Klöstern Andechs, Ettal und dem Weltenburger
Kloster, der ältesten und zudem wunderschönen Klosterbrauerei der Welt.
Freilich hat man in früheren Zeiten auch zu Hause gebraut. Zumeist wurde das
von der Frau am heimischen Herd gemacht. Bis ins späte Mittelalter war dies
eine übliche Praxis. Noch heute kann man Kommunbrauereien in der Oberpfalz
und Franken besuchen, in denen die Bürger im von der Gemeinde zur
Verfügung gestellten Brauhaus ihr eigenes Bier brauen dürfen.
Genau an diesem Punkt setzen die vielen Hobby- oder Heimbrauer an. Die Zahl
der Privatpersonen in Deutschland, die ihr eigenes Bier herstellen, wächst
rapide. Bücher wie jene von Klaus Kling, Hubert Hanghofer und Hagen
Rudolph zum Thema „Selber Bier brauen“ machen die einzelnen
Arbeitsschritte für Laien verständlich. Von der Ausstattung wie zum Beispiel
geeigneten Kochtöpfen und Gasbrennern oder Elektroplatten, über
Wissenswertem zu den Braurohstoffen bis hin zu Informationen über
Braumethoden und Bierrezepten erlangt man so ausreichendes Wissen, um
bald sein erstes eigenes Bier trinken zu können.
Der Trend hin zum eigenen Herstellen von Bier ist weltweit zu erkennen. Es ist
die Freude am Selbstgemachten, die international die Welle der Neueröffnung
von Kleinbrauereien, die „Craft Beer“-Bewegung, trägt. Für den aus den USA
stammenden Begriff „Craft Beer“ hat Sylvia Kopp in ihrem Craft-Bier-Buch eine
gute Definition dieses Begriffs gefunden: „Craft Beer ist am besten mit
‚kunstfertig Gebrautes‘ zu übersetzen, ein Gegenentwurf zu den
homogenisierten Massenprodukten der Industrie.“ Genau dies trifft den
Geschmack der Zeit, David gegen Goliath, kleine Handwerksbetriebe gegen
große Massenproduktionsstätten. Craft-Bier ist eine Bewegung von unten. Es
werden wieder Biere mit Ecken und Kanten gebraut, Biere mit Charakter!
In einigen hier versammelten Titeln kann der angehende Heimbrauer neben
Wissenswertem zu Bierstilen und ihrer Geschichte auch Neues zur
internationalen Craft-Beer-Szene finden. Bei Oliver Wesseloh „Bier leben: Die
neue Braukultur“ wird man ebenso wie bei Sylvia Kopp durch die neue Welt
der Biere geführt und lernt viel über die unglaubliche Vielfalt, die Bier zu
bieten hat.
Dazu gibt es auch ein Buch für Hobbybrauer von Biersommelier und
Deutschlands Craftbrauer der ersten Stunde Fritz Wölfing („Craft-Bier selber
brauen“).
Bier diente jedoch nicht nur als Speiseersatz, sondern wird auch zum Kochen
benutzt. Weltweit bringen kreative Köche in der Spitzengastronomie ihre
Gäste zum Staunen, wenn sie ihnen Bierspeisen servieren. Einerseits ist Bier
selbst nahrhaft, ein Bierteig wird zudem schön flauschig durch die
Kohlensäure, das mit Bier gebeizte Fleisch wird weich und zudem wird die
Kruste eines Bratens mit Bier knusprig. Erst abschließend mögen die
Geschmacksvorteile des Bieres dann noch zusätzlich punkten. Wie Wein sorgt
Bier für Sinnlichkeit in der Küche und ist ein versierter Begleiter zum Essen.
Von der traditionellen bis hin zur modernen Küche gewinnen viele Gerichte
erst durch ein Bier an wahrem Glanz („Bierspatzen und Brauergulasch“, „Craft
Beer Kochbuch“).
Bier lässt sich am besten dort entdecken, wo es gebraut wird. Ob man nun
nach Köln reist und das heimische Kölsch genießt, nach Düsseldorf, um dem
Altbier zu frönen oder nach Bayern, um Bier zu erwandern („Weißbiertouren:
31 erfrischende Wanderungen in den Bayrischen Alpen“). Die Biergärten in
Bayern muss man als kulturelle Einrichtungen natürlich auch hervorheben.
Diese urbayrischen Begegnungsstätten bezeugen die dortige Lebensqualität
(„Mir san Bier“).
Bierkultur aus Deutschland beinhaltet nicht nur das größte Bierfest der Welt,
das Oktoberfest in München, sondern auch eigene Bierstile wie zum Beispiel
das Weizen, Bockbier, Märzen, Alt oder das fast vergessene Gose aus Goslar,
eine eigene Glaskultur beim Pils oder Kölsch, berühmte Hopfenanbaugebiete
in der Hallertau oder um Tettnang und auch Hersteller von Brauanlagen.
Neben den traditionellen Bierstädten Köln, Düsseldorf und vielen in Bayern
findet man in Berlin heute die dynamischste Szene. Zahlreiche
Mikrobrauereien bieten dort mittlerweile Gerstensaft aus eigener Herstellung
an. Sie alle eint der Gedanke, dass die Konzentration auf dem Biermarkt die
Vielfalt verringert hat. Dieser Vernichtung von Kulturgut treten die Neubrauer
hopfend und maischend entgegen („Bierhauptstadt Berlin – Berlin Beer
Guide“).
Bier aus Deutschland ist weltweit beliebt. Immer wieder heißt es außerhalb
unserer Grenzen, dass es nirgendwo so gutes Bier wie in Deutschland gäbe.
Nun ja, ist das nun wahr? Und woran liegt das? Sicherlich sind die deutschen
Bierstile alle leicht zugänglich, wenn man sie zum Beispiel mit den meist sehr
alkoholreichen Bieren in Belgien vergleicht oder den traditionellen britischen
Real Ales, welche für Bierfreunde außerhalb der Insel wegen fehlender
Kohlensäure eher schal schmecken. Deutsches Bier als das beste zu
bezeichnen, hat aber nicht nur mit der „drinkability“ zu tun, sondern eben
auch mit der lebendigen deutschen Bierkultur. Wer schon einmal in Bamberg
oder in Düsseldorf in einer Biergaststätte saß, neben Japanern, Brasilianern,
Amerikanern und Australiern, weiß, wovon die Rede ist.
Wie kein anderes Getränk bringt Bier die Menschen zusammen. Bier gilt als
Bindeglied zwischen den sozialen Klassen und Kulturen. Nirgendwo sonst
verschwinden die Gräben oder Hierarchien zwischen Menschen schneller als
bei einem Glas Bier in geselliger Runde.
Das Reinheitsgebot ist wohl eines der weltweit bekanntesten Gesetze und
doch wird es an seinem 500-jährigen Geburtstag immer öfter in Frage gestellt.
Die kreativen Craft-Brauer in Deutschland liebäugeln mit zusätzlichen
natürlichen Rohstoffen, die sie ihrem Bier gerne zusetzen würden. Koriander,
Kirschen, Chili, Salz, Kaffee, Holunderblüten, Rohgetreide wie Hirse und andere
werden dem Bier in anderen Ländern hinzugegeben. Diese Freiheit in der
Verwendung von Rohstoffen haben deutsche Brauer nicht, beziehungsweise ist
es ihnen nicht erlaubt, ihr Produkt Bier zu nennen, wenn sie sie verwenden. Es
bleibt spannend, wie sich die deutsche Bierkultur weiter entwickeln wird.
Bier ist nicht nur ein Getränk. Bier ist Genuss, Leidenschaft und multikulturell,
denn es verbindet Völker und Kulturen.
Die hier gelisteten Bücher laden ein, viele spannende Lesetage zu verbringen
und nicht nur zum Bierexperten zu werden, sondern auch die deutsche
Geschichte und Kultur besser kennenzulernen. Die Auswahl der Bücher soll
dazu anregen, Bier zu genießen und seine Vielfalt neu zu entdecken.
Jan Czerny
Der Autor ist Brauer und Mälzer in einer kleinen Spezialitätenbrauerei in Basel,
er lebt in Freiburg im Breisgau. Seit 2008 arbeitet er als Biersommelier und
nahm an drei Biersommelier-Weltmeisterschaften teil. Er bietet
Bierverkostungen an und gab schon über 400 Braukurse. Jan Czerny schreibt
für Zeitschriften und Zeitungen über Bierkultur.