Elias und Mohamed. Wie die Ermittlungen verlaufen sind und welche Erkenntnisse es gibt – Seite 2 Täter, Opfer Tatorte. Eine Spurensuche in Kaltenborn, am Schlaatz, am Lageso in Berlin – Seite 3 POTSDAM, SONDERAUSGABE E–PAPER VOM 31. OKTOBER 2015 Schmerz, Entsetzen, Wut. Wie Potsdam um Elias trauert – Seite 4 WWW.PNN.DE Mohamed und Elias Die Täter – und wir Von Caroline Fetscher A Mohamed (l.) und Elias. Fotos: Manfred Thomas, Tobias Schwarz / AFP Traurige Gewissheit 쮿 32-Jähriger gesteht auch Tötung von Elias aus Potsdam 쮿 Flüchtlingsjunge Mohamed wurde sexuell missbraucht 쮿 Ermittler prüfen auch Fall Inga aus Sachsen-Anhalt 쮿 Henkel kritisiert Debatte um Situation am Lageso Von Sandra Dassler und Thorsten Metzner Berlin/Potsdam/Luckenwalde - Der 32-jährige Silvio S., in dessen Auto am Donnerstag die Leiche des vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed gefunden wurde, hat auch die Tötung des sechsjährigen Elias aus Potsdam gestanden. Das gaben Polizei und Staatsanwaltschaft aus Berlin und Brandenburg am Freitag auf einer Pressekonferenz bekannt. Der Tatverdächtige hatte angegeben, Elias Leichnam auf seinem Grundstück in Luckenwalde vergraben zu haben. Am Freitagnachmittag wurde dort eine Kinderleiche entdeckt. Sie befand sich in einem Paket, das in der Erde lag. Das bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Potsdam am Abend dieser Zeitung. Ob es sich bei dem toten Kind um Elias handelt, sei noch unklar. Eine DNA-Analyse solle Klarheit bringen. Man habe das Paket dafür in die Gerichtsmedizin Berlin gebracht, weil dort auch schon Mohameds Leiche obduziert worden sei. Der Tatverdächtige habe sich in einer mehrstündigen Vernehmung zunächst „umfänglich“ zu der Entführung des kleinen Mohamed geäußert, berichtete Oberstaatsanwalt Michael von Hagen auf der Pressekonferenz. Danach sei er dem Jungen am 1. Oktober vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) begegnet, wo er angeblich Spielzeug und Kleidung für Flüchtlinge spenden wollte. Er habe Mohamed ein Plüschtier in die Hand gedrückt und den Jungen an die Hand genommen, als dieser ihm folgte. Dann sei er mit dem Vierjährigen zunächst durch die Straßen und dann nach Niedergörsdorf bei Luckenwalde gefahren. Dort lebt S. in Obergeschoss seines Elternhauses. In seiner Wohnung sei es zu sexuellen Handlungen an dem Vierjährigen gekommen. Als dieser später anfing zu quengeln, habe er befürchtet, dass seine im Erdgeschoss lebenden Eltern etwas hören könnten und das Kind mit einem Gürtel erwürgt. Diese Schilderung des Tathergangs decke sich mit den Ergebnissen der Obduktion des Jungen, sagte von Hagen. Dabei habe man Spuren von dumpfer Gewalt am Hals des Opfers festgestellt und auch der Todeszeitpunkt stimme mit den Aussagen des Tatverdächtigen überein. Danach musste der kleine Mohamed bereits am 2. Oktober sterben – zu einem Zeitpunkt, als die Suchaktion nach ihm noch gar nicht richtig angelaufen war. Möglicherweise ist es bei Elias, der am 8. Juli beim Spielen vor der elterlichen Wohnung in Potsdam verschwunden war, ähnlich gelaufen. Am Ende der Vernehmung habe man Silvio S. ein Bild von Elias gezeigt und er habe gestanden, einen Jungen aus Potsdam entführt und getötet zu haben, sagte der Potsdamer Oberstaatsanwalt Heinrich Junker. Der Tatverdächtige habe den Ermittlern eine Skizze von dem Ort angefertigt, wo er den Jungen begraben hat. Weitere Details habe er zunächst nicht genannt, sagte Junker. Da Elias ebenso wie der Tatverdächtige Silvio S. aus Brandenburg kommt Grauen im Grünen. Polizeibeamte durchsuchten am Freitag eine Kleingartenanlage in Luckenwalde nach der Leiche von Elias. und auch Mohamed in Brandenburg getötet wurde, wird die Staatsanwaltschaft Potsdam nun die Ermittlungen in beiden Fällen übernehmen. Sie geht davon aus, dass Silvio S., der zuletzt bei einem Wachschutzunternehmen in Teltow beschäftigt war, keine Komplizen hatte. Man prüfe auch einen möglichen Zusammenhang mit dem Fall der seit Anfang Mai vermissten Inga aus Sachsen-Anhalt. Noch am Freitagnachmittag wurde Haftbefehl gegen Silvio S. erlassen. Der entscheidende Hinweis zu seiner Ergreifung sei der Anruf seiner Mutter gewesen, betonten die Ermittler. Sie hatte ihren Sohn auf den veröffentlichten Fotos erkannt, ihn zur Rede gestellt und ihn gebeten, sich zu stellen. Als er dies nicht tat, habe sie die Polizei informiert (PNN berichteten). Innensenator Frank Henkel (CDU) verwahrte sich gegen Vorwürfe der Berliner Grünen, das Chaos am Lageso habe die Entführung des kleinen Mohamed erleichtert. Es sei abstoßend, wenn nicht einmal ein paar Stunden abgewartet werde, „um aus einem eiskalten Verbrechen politisches Kapital schlagen zu wol- len“, sagte Henkel auf einer Pressekonferenz mit Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) zur Polizeikooperation beider Länder in Potsdam, die von den aktuellen Fällen überschattet wurde. Der Mord an den Kindern sei eine „doppelte Horrornachricht, hier blicken wir in tiefschwarze Abgründe der menschlichen Seele“, sagte Henkel. Schröter sagte, es sei gut, „dass ein Serientäter gestoppt wurde“. Dies sei an diesem Tag bei aller Trauer „auch eine gute Botschaft, dass Menschen nicht mehr in Angst und Schrecken versetzt werden. Manchmal ist traurige Gewissheit besser als unendliches Leben im Ungewissen.“ Die Eltern von Mohamed und Elias werden nach Aussagen der Polizei seelsorgerisch betreut. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erklärte, ihn habe die Nachricht vom Geständnis des mutmaßlichen Mörders „fassungslos und bestürzt“ gemacht. Solche Taten seien brutal und menschenverachtend. „Wir müssen jetzt zusammenstehen und zusammenhalten und unser Mitgefühl ausdrücken, wenn es dann tatsächlich so kommen sollte,“ so Jakobs mit Verweis auf den Umstand, dass die Identität der in Luckenwaldegefundenen Kinderleiche noch nicht bestätigt ist. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zeigte sich erschüttert. „Mein Mitgefühl gilt jetzt den Familien der Jungen. Ich wünsche den Angehörigen für die schwere Zeit sehr viel Kraft“, sagte Woidke am Freitag in Potsdam. Er dankte zugleich nachdrücklich den Polizeibeamten und den vielen Freiwilligen, die sich in Potsdam wochenlang an der Suche nach Elias beteiligt hatten. Unterdessen nahmen am Freitagnachmittag dieersten undPotsdamer undBesucher der Stadt die Möglichkeit wahr, im Gedenken an die beiden Jungen in der Nikolaikirche am Alten MarktKerzen zu entzünden. Nur kurz nach Bekanntwerden der Nachricht vom Geständnis hatte die Kirche im Seitenschiff einen der großen gusseisernen Kerzenständer dem gedenken an Mohamed und Elias gewidmet. Am Abend kamen am Bürgerhaus am Schlaatz rund 150 Menschen zusammen, um an Elias zu erinnern. Sie entzündeten Kerzen und umarmten sich. (mit sen, mat) Foto: Tobias Schwarz/AFP C IN EIGENER SACHE D Liebe Leserin, lieber Leser, angesichts der furchtbaren Ereignisse haben wir uns entschieden, erstmals eine Sonderausgabe der Potsdamer Neueste Nachrichten als E-Paper zu produzieren. Am Montag erscheint die nächste reguläre Ausgabe der Potsdamer Neueste Nachrichten. Über das aktuelle Geschehen informieren wir Sie auf www.pnn.de 쮿 Ende der Suche: Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Fällen Mohamed und Elias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 쮿 Der mutmaßliche Täter, die Tatorte und was dort am Freitag geschah . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 쮿 Wie Potsdam trauert ............... 4 ABONNENTENSERVICE (0331) 2376 - 100 ANZEIGENSERVICE . . . . . . (0331) 2376 - 111 REDAKTION . . . . . . . . . . . . . . . . . (0331) 2376 - 132 uf Schock und Zorn folgen die Fragen. Ein junger Mann raubt kleine Jungen, benutzt sie als lebendige Sexspielzeuge und ermordet die Objekte seiner Lust. Wie konnte es dazu kommen? War doch etwas auffällig an dem „unauffälligen“ Mann? Ist er klinisch krank? Manifestiert sich in seiner gestörten Persönlichkeit „das Böse“? Anfang Oktober verschleppte Silvio S. aus Brandenburg den unbeaufsichtigten, vier Jahre alten Mohamed vom Gelände einer Berliner Behörde – die zuständig ist für Gesundheit und Soziales. Im Juli hatte derselbe Mann in Potsdam den sechsjährigen Elias beim Spielen abgefangen. An beiden Kindern beging er Sexualmorde. Jedes Jedes Verbrechen dieser Art erzählt Verbrechen eine lange, traumati- dieser Art sche Geschichte. Sie mit der Kategorie erzählt eine des „Bösen“ zu mys- lange, tifizieren führt statt zur Klärung in die traumatische Irre. Auch im Fall Sil- Geschichte vio S. wird wohl teils ans Licht kommen, wie die massive Störung entstand, und wie der Kriminelle sein Vorgehen vor sich selber rechtfertigte. „Ich wusste nicht, was ich tat“, „das Kind hat gar nichts gespürt“, „es ist einfach passiert.“ So sprechen die Täter. Noch im Maßregelvollzug und in Therapiesitzungen werden derlei typische Legitimationsstrategien sichtbar, wie die Studie „Tat-Sachen: Narrative von Sexualstraftätern“ belegt, mitverfasst von Michael Buchholz, Professor an der International Psychoanalytic University in Berlin. Der Fremde aus dem Nirgendwo greift sich ein unschuldiges Kind: Das bietet Gruselfaktor und Empörungsgenuss. Es führt ebenfalls in die Irre, dass Fälle wie die von Silvio S. ablenken von den weitaus gravierenderen gesellschaftlichen Fakten. Im Durchschnitt werden 500 Kinder pro Tag in Deutschland schwer misshandelt, im Durchschnitt stirbt jeden Tag ein Kind an Misshandlung, meist durch Erwachsene aus dem engsten, familiären Umfeld. Diese alarmierenden Fakten präsentierten zwei Rechtsmediziner der Charité, Michael Tsokos und Saskia Guddat 2014 in ihrer Streitschrift „Deutschland misshandelt seine Kinder“. Präzise forderten sie von der Politik Programme zur Prävention. Wenig ist seither geschehen. Leo Indes geht das Misshandeln und wurde nur Morden weiter. An 19 Tage alt. dem Tag, an dem Silvio S. den Jungen Sein Vater Mohamed getötet hat ihn hat, am 2. Oktober, kam in Mönchen- zu Tode gladbach Leo zur gefoltert Welt. Leo wurde 19 Tage alt. Sein Vater hat ihn zu Tode gefoltert. Der Säugling wurde gequetscht, geschüttelt, geschlagen, missbraucht und mit heißer Milch verbrüht. Die Mutter sah zu, ohne einzugreifen, und sitzt wie der Vater wegen Totschlags durch Unterlassung in Haft. Und in Münster steht seit gestern eine Mutter vor Gericht, die ihre drei Kinder im Alter von elf, vier und drei mit Abgasen vergiftet und getötet hat. Fälle wie diese, die gar nicht alle an die Öffentlichkeit gelangen, wühlen die Gemüter weit weniger auf als die des „bösen Mannes“, der von außen kommt. Jahrzehntelang wurde im Bundestag über das elterliche Recht gestritten, Kindern Schmerzen zufügen zu dürfen, vulgo, das „Züchtigungsrecht“. Erst Ende des Jahres 2000 trat das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung in Kraft. Das gesellschaftliche Verleugnen, Bagatellisieren und Tabuisieren der Gewalt gegen Kinder aber hält an, belegt von verschleiernder Wortwahl wie „tragisches Familiendrama“, „schwierige Lebenssituation“, „überforderte Eltern“ – „da ist das einfach passiert.“ Da ist das einfach passiert? Das hört sich an wie die Sprache der Täter. 2 FRAGEN DES TAGES POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN DIE FÄLLE MOHAMED UND ELIAS Die SONNABEND, 31. OKTOBER 2015 Trauer um die Jungen 10 km Mohamed verschwindet am 1. Oktober HAVELLAND BERLIN Lageso Elias wird seit dem 8. Juli vermisst 113 Potsdam 10 Schlaatz 2 9 Zossen POTSDAMMITTELMARK TELTOWFLÄMING Belzig Luckenwalde 13 Polizei sucht in Kleingartenkolonie nach der Leiche von Elias Jüterbog Wohnort des Täters Niedergörsdorf SACHSEN-ANHALT Tsp/Schilli Tatorte. Sämtliche Orte der Verbrechen von Silvio S. liegen in Brandenburg und Berlin. Am Lageso in Berlin-Moabit trauerten am Freitag die Menschen um Mohamed (oben) und Elias. Fotos: Gregor Fischer/dpa, Polizei Berlin/dpa (2) „Offen reden, sich umarmen und trauern“ Foto: Mike Wolff Wie soll man damit umgehen, wenn Kinder von solchen Verbrechen erfahren und nachfragen? Wenn ein Kind alt genug ist, um zu fragen, ist es auch alt genug für eine offene Antwort. Wenn es fragt „Warum ist das Kind gestorben?“, muss man darüber reden, dass es solche großen Unglücke gibt, dass sich Menschen manchmal morden. Soll man Kinder dann davor warnen, mit fremden Menschen mitzugehen? Unbedingt! Unbedingt! Dr. Peter Hauber ist Kinderarzt in BerlinLichterfelde. Er engagiert sich bei der Initiative „Ärzte gegen den Atomkrieg“ und richtet Benefizkonzerte aus. Die Fragen stellte Gerd Appenzeller. Was tut man, wenn ein kleines Kind nach solchen Ereignissen Angst hat? Nimmt man es mit sich ins Bett? Ja, ja, wenn das Kind Angst hat, muss man sich um das Kind kümmern. Mit ihm sprechen, muss es drücken, muss ihm Nähe vermitteln. Empfiehlt es sich, in Kindergarten oder Schule auf das Thema einzugehen? Nein. Keine Ängste schüren. Man sollte Kindern auch generell verbieten, im Fernsehen Kriegsfilme und Krimis anzuschauen. Und noch eins: Nehmen Sie die eigene Familie in den Arm, Eltern und Kinder zusammen, weinen Sie, wenn ihnen danach ist. Und aktivieren Sie möglichst viele Menschen, dass alle zu einem öffentlich verabredeten Termin abends Kerzen in die Fenster stellen, als eine Lichterkette des Mitfühlens und Gedenkens. Ende einer Suche Lange wurde das Verschwinden der beiden vermissten Kinder nicht miteinander in Verbindung gebracht. Doch als die Polizei den Entführer des kleinen Mohamed am Donnerstag festgenommen hatte, gab er entscheidende Hinweise auf den Verbleib des sechsjährigen Elias. Am Freitagnachmittag wurde eine zweite Kinderleiche gefunden. Wie verlief die Suche nach Elias? Das Grundstück, auf dem der Tatverdächtige angeblich den Leichnam von Elias vergraben hat, wird von Polizisten und Kriminaltechnikern komplett abgegraben, sagte ein Ermittler: „Wir gehen äußerst vorsichtig vor, wir wissen ja nicht, ob dort noch mehr zu finden ist.“ Die Arbeiten würden in jedem Fall auch nach Einbruch der Dunkelheit und auch am Sonnabend fortgesetzt. Am Freitagnachmittag wurde an der von Silvio S. beschriebenen Stelle auf seinem Grundstück in Luckenwalde ein verschnürtes Paket gefunden. Nach Tagesspiegel-Information befand sich darin eine Kinderleiche, die jedoch noch nicht identifiziert ist. Die Polizei gehe aber davon aus, dass es sich dabei um Elias handele. Die Ergebnisse der DNA-Analyse werden am Samstag erwartet. Wie wurde nach dem Verschwinden von Elias im Juli ermittelt? Am 8. Juli ist der sechsjährige Elias beim Spielen vor dem Fenster der Elternwohnung im Potsdamer Ortsteil Schlaatz verschwunden. Die Polizei hatte sofort mit einer groß angelegten Suchaktion mit Hubschraubern, Wärmebildkameras, Booten und Tauchern nach dem Jungen gesucht. Mehr als 150 Beamte hatten das Wohnumfeld durchstreift und das sumpfige Gelände am nahegelegenen Fluss Nuthe überprüft. Zahlreiche Freiwillige beteiligten sich an der Suche. Mitte August hatte die Polizei schließlich mitgeteilt, dass sie nicht mehr damit rechne, dass der Junge noch lebe. Erst bei der Vernehmung des Silvio S. am Donnerstag, Wie wurde nach dem Verschwinden von Mohamed im Oktober ermittelt? Am 1. Oktober ist Mohamed Januzi vom Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Turmstraße in Moabit verschwunden. Bereits am Abend durchsuchten dort Bereitschaftspolizisten das Gelände. Am nächsten Tag wurde mit Plakaten auf dem Lageso-Gelände gesucht. Erst am 4. Oktober hat die Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung nach Mohamed eingeleitet und am Tag darauf ein Bild von dem Jungen veröffentlicht, um Hinweise aus der Bevölkerung entgegenzunehmen. Warum wurde das qualitativ bessere Video, das schließlich zum Täter führte, erst so spät gefunden? Waren/Müritz 12/7 Prenzlau 13/7 Schwedt 13/7 Berlin Rathenow 14/5 Berlin 14/1 Frankfurt/Oder 14/7 Brandenburg 14/6 Luckenwalde 15/7 Lübben 15/8 Finsterwalde 15/8 Cottbus 15/7 HEUTE IN BERLIN Am Sonnabend in der Früh gibt es in Berlin und Umgebung noch ein paar Hochnebelschwaden, tagsüber setzt sich dann aber sehr rasch weitgehend ungestörter Sonnenschein durch. Über Mittag zeigt sich der Himmel oft sogar wolkenlos. Die Temperaturen erreichen Höchstwerte um 14 Grad. Wind: Der Wind weht mäßig mit Stärke 3 aus Südost, gegen Mo Di Mi Kiel 12/4 Abend lässt er etwas nach. Biowetter: Der Hochdruckeinfluss sorgt für allgemeines Wohlbefinden und eine ausgewogene Stimmungslage. Der Schlaf bringt meist die gewünschte Erholung und die meisten Menschen können sich tagsüber gut konzentrieren und sind voller Tatendrang. Bewegung im Freien hilft diesen positiven Wettereinfluss noch weiter zu verstärken. 12/-1 Hamburg 13/3 Bremen 13/3 Hannover 14/5 Magdeburg 14/5 Dortmund 17/5 11/0 5/2 Köln 16/6 GESTERN IN BERLIN Ozon um 13 Uhr 13 bis 15 µg/m3 (Grenzwert 180) Tegel Tempelhof Dahlem Schönefeld Potsdam 4.6 4.4 4.1 4.3 4.3 10.5 9.4 10.6 8.2 8.5 0 0 0 0 0 6.8 6 7.1 6.4 2.9 Berlin 14/7 Leipzig 15/4 Frankfurt 15/7 Erfurt 13/4 Dresden 15/9 Nürnberg 16/6 Stuttgart 15/4 Saarbrücken 14/5 München 14/3 Freiburg 15/9 11˚C 11˚C 11˚C 11˚C 11˚C SONNE & MOND 25.11. 20:10 11.11. 11:13 Namenstage: Wolfgang, Quentin 03.11. 19.11. HEUTE IN DEUTSCHLAND Verbreitet setzt sich strahlender Sonnenschein durch. In der Früh gibt es noch ein paar Nebel- oder Hochnebelfelder, die sich aber recht bald auflösen. Am zähsten sind die Nebelfelder im Süden, hier bleibt es stellenweise bis Mittag trüb. Im Bergland scheint Hochdruckeinfluss bestimmt im Großteil Europas das Wettergeschehen. Dafür verantwortlich ist das Hoch Tomoka über Russland und hoher Luftdruck in höheren Schichten über Mitteleuropa. Die Luftmassen sind sehr trocken und damit bleibt sogar die Nebelwahrscheinlichkeit eher gering, so dass überwiegend die Sonne scheint. Über dem Atlantik dreht sich das Tief Yorsch und bringt vor allem in Portugal und Westspanien unbeständiges Wetter. Auch über Sizilien dreht sich ein Tiefdruckwirbel und sorgt von Süditalien bis zur libyschen Küste für teils kräftigen Regen und stürmischen Wind. Nach Osten zu erstreckt sich das Regengebiet bis Griechenland. Warum hat sich der Tatverdächtige nicht ausführlicher zur Entführung und zum Tod von Elias geäußert? Nach Aussagen der Ermittler hatte er erst am Ende einer stundenlangen Vernehmung gestanden, auch einen Jungen in Potsdam entführt zu haben. Der habe ihm auch erzählt, dass er Elias heiße. Er habe auch diesen Jungen getötet. Zu weiteren Aussagen sei Silvio S. nach Absprache mit seinen Anwälten nicht bereit gewesen, hieß es. Alle schauen auf den Täter. Wer kümmert sich um die Eltern der Opfer? Die Polizei hat die Angehörigen der Opfer wie immer in solchen Fällen informiert, bevor die schlimmen Nachrichten über ihre Kinder an die Öffentlichkeit gegeben wurden. Dabei wurde, so die zuständigen Polizisten und Staatsanwälte, auch sofort Hilfe angeboten. So sei im Fall des vierjährigen Mohamed ein Imam gebeten worden, der aus Bosnien stammenden Mutter und ihrem Lebensgefährten seelsorgerischen Beistand zu leisten. Auch um die Angehörigen von Elias kümmern sich Notfallseelsorger und Polizisten. „Das unsägliche Leid, das sie in diesen Stunden ertragen müssen, kann ihnen aber letztlich niemand abnehmen“, sagte ein Ermittler. Reisewetter die Sonne von der Früh an weitgehend ungestört. Der Wind weht schwach, tagsüber teils auch mäßig aus Ost bis Südost. Die Temperaturen erreichen 12 bis 18 Grad mit den höchsten Werten am Alpennordrand, am kühlsten bleibt es im Norden. DEUTSCHLAND Reykjavik 4 T XANDRE Oslo 9 Kopenhagen 11 Dublin 16 London 16 Paris 18 T YORSCH Stockholm Helsinki St. Petersburg 8 9 3 Bordeaux 22 Lissabon Madrid 20 16 Malaga 21 Las Palmas 20 Palma 21 Algier 21 Riga 4 TOMOKA Wilna 6 H Moskau 0 Berlin Warschau 14 11 Brüssel Kiew 16 5 Zürich Wien 13 13 Budapest Venedig 13 Bukarest 17 Cannes 10 Dubrovnik 21 Rom Sofia Istanbul 19 21 8 14 Tunis 20 T Athen 17 In den nächsten Tagen zieht das Hoch Tomoka weiter Richtung Süden, in der Höhe wirkt aber weiterhin Hochdruckeinfluss in ganz Mitteleuropa. Tief Yorsch zieht von der Biskaya Richtung Süden und die Regenfälle breiten sich erst auf die gesamte Iberische Halbinsel aus, später Richtung Osten. Ab Montag regnet es auch in Frankreich. Das Tief über Süditalien zieht Richtung Süden. H Hochdruckzentrum Warmfront Kaltfront Mischfront Antalya 24 Schauerlinie WASSERTEMPERATUREN Nordsee Ostsee Biskaya Adria Ägäis Schwarzes Meer 12˚ 11˚ 16˚ 20˚ 24˚ 17˚ Westliches Mittelmeer Östliches Mittelmeer Algarve Kanarische Inseln Karibik Thailand Auf unserer Internetseite: Das Potsdam-Wetter – mit der Wetterlage und den Aussichten für Brandenburg und ganz Deutschland. Zu finden unter: www.pnn.de Aachen Bonn Brocken Düsseldorf Feldberg/Schw. Fichtelberg Garmisch-P. Hof Karlsruhe Konstanz Passau Schwerin Sylt Trier Weimar Würzburg Zugspitze sonnig sonnig sonnig sonnig heiter sonnig sonnig sonnig sonnig wolkig sonnig sonnig sonnig sonnig heiter sonnig sonnig 17˚ 15˚ 12˚ 16˚ 10˚ 13˚ 19˚ 13˚ 15˚ 13˚ 17˚ 13˚ 12˚ 13˚ 14˚ 13˚ 9˚ EUROPA UND DIE WELT T Tiefdruckzentrum AUSSICHTEN WASSERTEMPERATUREN Wannsee Müggelsee Ruppiner See Müritz Halensee 07:01 16:38 Ist der Tatverdächtige schon einmal bei der Polizei in Erscheinung getreten? Ja, aber nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht einschlägig. Das heißt, nicht im Zusammenhang mit pädophilen Handlungen oder gar Tötungsdelikten. Europa Rostock 12/5 Eberswalde 13/7 Potsdam 14/7 14/7 So Sonnenstunden vorgestern Wittenberge 13/6 Am Sonntag scheint die Sonne von der Früh an ungestört. Die Temperaturen erreichen rund 15 Grad. Ab Montag gibt es wieder etwas mehr Wolken, es bleibt aber auch an den Folgetagen trocken. Die Temperaturen gehen etwas zurück, bis Mittwoch nur noch 10 Grad. Niederschlag bis 12 Uhr (mm) Neuruppin 14/6 Welche anderen Fälle verschwundener Kinder gibt es, mit denen ein Zusammenhang denkbar ist? Die Ermittler prüfen einen Zusammenhang zum Fall der Vermissten Inga aus Stendal in Sachsen-Anhalt. Die Fünfjährige verschwand am 2. Mai in einem nahegelegenen Wald. Bisher sehen die Ermittler aber keine Hinweise auf einen Zusammenhang, sagte ein Polizeisprecher. WETTERLAGE Temperatur um 14 Uhr Pritzwalk 13/6 Deutschland Tiefstwert bis 8 Uhr Schwerin 13/5 Heringsdorf 11/8 Rostock 12/5 Die Ermittler haben einen zunächst kleineren Ermittlungsradius Stück für Stück nach außen verbreitert. Zunächst wurde das Videomaterial des Lageso gesichtet, dann das Videomaterial von der Turmstraße. Erst ab dem 22. Oktober wurden auch Gaststättenbesitzer aus dem weiteren Umkreis von der Polizei nach Aufnahmen von Überwachungskameras gefragt. Die Videoaufnahmen sind illegal entstanden. Eigentlich dürfen Private nur ihren Privatbesitz und nicht den öffentlichen Raum filmen. Polizei und Staatsanwaltschaft ließen am Freitag keine Zweifel daran, dass dies nicht strafrechtlich verfolgt wird. Wahrscheinlich handele es sich ohnehin nur um eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat. Das Video ist aber ein Glücksfund für die Ermittler gewesen, nur durch die Veröffentlichung ging der entscheidende Hinweis auf Silvio S. durch seine Mutter ein, der dazu führte, dass die Leiche des kleinen Mohamed am Donnerstag gefunden wurde. „Die scharfen Aufnahmen wurden mehrere hundert Meter vom Lageso entfernt gemacht – ohne diese Aufnahmen wäre heute nichts geklärt“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin. Hätten die Tode der beiden Kinder durch schnellere Ermittlungen verhindert werden können? Im Fall des Mohamed Januzi eher nicht, das Kind wurde nach derzeitigem Ermittlungsstand nur einen Tag nach seiner Entführung vom Lageso-Gelände am 1. Oktober getötet. Wie der Oberstaatsanwalt Michael von Hagen bei einer Pressekonferenz am Freitag mitteilte, habe die Obduktion des Vierjährigen ergeben, dass das Kind schon seit ein paar Wochen tot ist. Das bestätigte die Angaben des Beschuldigten Silvio S, der angab, dass er das Kind nach Verlassen des Lageso-Geländes gleich mit nach Hause genommen hatte und es dort sexuell missbraucht und getötet habe. Im Fall von Elias ist aber noch nicht geklärt, ob schnellere Ermittlungen seinen Tod verhindert hätten. AUSSICHTEN 31. 10. 2015 Kühlungsborn 12/7 Von Sandra Daßler und Ronja Ringelstein Wieso liefen im Fall Mohamed die Ermittlungen so schleppend an? Ein Sprecher der Berliner Polizei gab an, dass es gewisse „Widersprüche“ in den ersten Aussagen der Mutter gegeben habe, die anfangs die Fahndung nach dem Jungen verzögert hätten. Außerdem hatte die von der Polizei am 10. Oktober veröffentlichte kurze Videosequenz aus einer Überwachungskamera, in der zu sehen ist, wie Mohamed am 1. Oktober gegen 14.40 Uhr an der Hand eines unbekannten Mannes das Lageso-Gelände verlässt, eine relativ schlechte Qualität. Erst am 27. Oktober wurde ein neues Video von besserer Qualität veröffentlicht, das den mutmaßlichen Entführer deutlich zeigt. Die Videoaufnahmen waren schärfer als die bislang bekannten – sie stammten von einem Lokal, etwa 700 Meter von der Turmstraße entfernt. Brandenburg, Berlin und die Ostsee Göhren 11/9 Am Donnerstag wurde die Leiche von Mohamed gefunden. Kurz darauf gestand Silvio S. auch die Tötung von Elias. Am Freitag fanden die Ermittler eine zweite Kinderleiche. Wie sind die Ermittlungen verlaufen und welche Erkenntnisse gibt es? dem 29. Oktober, zum Fall des vierjährigen Mohamed Januzi, kam es zu entscheidenden Hinweisen im Fall Elias: Silvio S. räumte ein, ein weiteres Kind getötet zu haben, das Elias heiße. Als die Polizei ihm ein Bild von Elias zeigt, bestätigt er, dass das der Junge sei, den er getötet habe. 22˚ 26˚ 21˚ 24˚ 29˚ 29˚ Amsterdam Barcelona Bern Djerba Eilat Genf Hongkong Innsbruck Jerusalem Kapstadt Kairo Korfu Kreta Larnaca Los Angeles Mailand Malta Miami New York Palermo Peking Prag Reykjavik Salzburg St. Moritz Sydney Tel Aviv Tokio Zermatt sonnig heiter heiter sonnig sonnig sonnig heiter sonnig heiter stark bewölkt heiter wolkig heiter heiter sonnig wolkig leichte Regenschauer leichte Regenschauer sonnig starke Regenschauer sonnig sonnig wolkig sonnig sonnig Regenschauer heiter Regen sonnig Quelle: mowis GmbH / www.mowis.com 14˚ 18˚ 16˚ 22˚ 25˚ 17˚ 25˚ 22˚ 20˚ 18˚ 26˚ 20˚ 20˚ 24˚ 31˚ 15˚ 20˚ 28˚ 11˚ 19˚ 15˚ 15˚ 4˚ 19˚ 7˚ 22˚ 24˚ 14˚ 9˚ DIE DRITTE SEITE DIE FÄLLE MOHAMED UND ELIAS Auf F rüh am Vormittag liegt der Nebel so dicht über den Brandenburger Äckern, wie es das Klischee vom November verlangt. Dabei ist doch noch Oktober. An Tagen wie diesen können nicht mal die bunt gefärbten Ahornblätter Trost spenden, man sieht sie ja auch kaum. Der Mann, von dem später bekannt wird, dass er Harald heißt, steht in einem grobgestrickten Pullover und Filzpantoffeln vor der Tür. „Mich wundert das nicht, was da passiert ist“, sagt er, und dass er jetzt schon ein paar Stunden vor seinem Haus stehe. „Ist schon seltsam, dass auf einmal so viele Leute herkommen, hier ist doch noch nie was passiert.“ Die Gemeinde Niedergörsdorf im Fläming südwestlich von Potsdam hat schon bessere Tage gesehen. Tage, an denen noch kein Gestrüpp vor dem Eingang zur stillgelegten Ziegelei wucherte, im Einkaufszentrum noch eingekauft wurde und in den Straßen zwischen Bahnhof und Gokartbahn womöglich noch Menschen zu sehen waren. Vom Bahnhof Niedergörsdorf ist es zu Fuß eine halbe Stunde zum Ortsteil Kaltenborn. Allerlei wild parkende Autos und Menschen mit Kameras und Fotos weisen den Weg zum Haus, in dem Silvio S. mit seinen Eltern gewohnt hat. Der So viele Mann, der mutmaßKerzen – lich zwei kleine Jungen entführt und geman spürt tötet hat, den Flüchtdie Wärme lingsjungen Mohamed aus Berlin und der kleinen Elias aus Potsdam. Flammen Zwei Jungen, vier und sechs Jahre alt, die Berlin und Brandenburg, ja ganz Deutschland einen Sommer und einen beginnenden Herbst lang in Atem halten. Die Spur führt nach Kaltenborn, 84 Einwohner, eine Feldsteinkirche und das graubraun verputzte Haus der Familie S. Auf dem Gehweg brennt ein Lichtlein im Glas, jemand hat eine weiße Rose abgelegt. Ein paar Meter weiter vorn steht der Mann mit den Filzpantoffeln. „Mein Name tut nichts zur Sache“, und sein Alter will er auch nicht verraten, „ich bin Rentner, den Rest können Sie sich denken.“ Der Mann sagt, niemand im Dorf habe Kontakt zur Familie S.,„mit denen will keiner was zu tun haben“, und der Sohn sei ihm schon immer komisch vorgekommen, „der war bereits als Kind nicht ganz richtig im Kopf, wenn Sie verstehen was ich meine“. Nein, eigentlich nicht. „Na, der war geistig ein bisschen zurückgeblieben, das hat hier doch jeder gewusst.“ Von der anderen Straßenseite nähert sich ein anderer Mann in Jeans und dunkler Jacke, er führt seinen Hund spazieren. „Gestatten, Christian Laiblin, ich bin der Ortsvorsteher“, und dann eilt er auch schon weiter zu dem Mann mit den Filzpantoffeln. „Harald, hör jetzt sofort auf damit, solchen Unsinn zu erzählen!“ – „Ich sag doch gar nichts!“ In der allgemeinen Erregung fällt das Wort „Redeverbot“, aber das mag der Ortsvorsteher nun auf keinen Fall so stehen lassen. „Hier kann jeder sagen, was er will, ich verwahre mich nur dagegen, dass dieser Mann für den Ort spricht.“ Es gehe hier um eine schreckliche Tragödie. Es gehe um Anstand und Respekt, vor den Eltern der toten Kinder, aber auch vor denen des Verdächtigen Silvio S. Der Mann in den Pantoffeln schlurft zurück in sein Haus. Zurück bleibt der Ortsvorsteher, er kommt gerade von Angehörigen der Familie S., „fragen Sie bitte nicht nach Einzelheiten, ich werde keine nennen.“ Nur so viel: „Es gibt für uns hier eine Fürsorgepflicht im Umgang mit den Eltern. Wir alle im Ort stehen zu den beiden, sie trifft keine Schuld an dem, was passiert ist, wir werden normal mit ihnen umgehen.“ Ob er schon mit ihnen gesprochen habe? „Nein, die beiden arbeiten gerade. Aber ich habe einen Brief hinterlassen.“ Ansonsten hätten sich alle im Ort darauf geeinigt, nichts zu sagen. Die selbst auferlegte Omerta wirkt. Mit einem Mal ist Kaltenborn wieder menschenleer und schweigt. Auch Harald lässt nicht mehr blicken. In der Einfahrt vor dem Haus der Familie S. parkt ein Polizeiauto. Im Briefkasten steckt die „Märkische Allgemeine“, die Rollläden sind heruntergelassen. Silvios Wohnung liegt unter dem Dach. Was ist da oben passiert? Aber will man das wirklich wissen, in allen furchtbaren Einzelheiten? Über Silvio S. ist bislang wenig bekannt. Er ist 32 Jahre alt, arbeitete in einem Teltower Wachschutzunternehmen, er stand im Ruf eines Einzelgängers und ist polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten. Er soll sogar noch ein Geburtstagsgeschenk für seine Cousine gekauft haben, bevor er am Donnerstag vor dem graubraun verputzten Haus in Kaltenborn festgenommen wurde. Angeblich hatte er eine Parzelle in einer Kleingartenkolonie im nahe gelegenen Luckenwalde gepachtet, aber davon will man bei den Schrebergärtnern nichts wissen. „Der Täter ist hier nicht bekannt und hat auch keinen Garten gepachtet“, sagt Werder Fränkler, er steht dem „Kreisverband Luckenwalde der Gartenfreunde“ vor. Und doch verdichtet sich nach der Vernehmung von Silvio S. schnell das Gerücht, der seit dem 8. Juli vermisste Elias aus Potsdam sei in der Lu- Silvio S. war schon als Kind schwer gestört, behauptet einer aus seinem Heimatdorf. Die anderen haben beschlossen zu schweigen. In Potsdam und Berlin reagieren die Menschen fassungslos. Und ein Forensiker glaubt: Dieser Täter hätte weitergemacht Von Sven Goldmann, Kaltenborn, Torsten Hampel, Potsdam, und Sebastian Leber Täter. Das von der Polizei herausgegebene Bild aus einer Überwachungskamera zeigt den 32-jährigen Silvio S.. Er soll die Leiche von Elias in der Kleingartensparte Eckbusch in Luckenwalde versteckt haben. Fotos: dpa (2), AFP zen, möge dich Gott schützen“, hat jemand auf ein Stück Pappe geschrieben. Immer wieder bleiben Menschen stehen, einige knieen sich hin, es wird geflüstert und auch gebetet. Es spricht sich schnell herum, dass der Täter einen zweiten Mord gestanden hat. Vielleicht sollte man noch ein Foto von Elias ausdrucken und es dazulegen, schlägt einer der Umstehenden vor. Petra Kühn, eine Frau aus der Nachbarschaft, sagt, wie gern sie Mohameds Eltern ihr Beileid aussprechen würde. „Sie hatten es eh schwer im Leben, sie sind immerhin hierher geflüchtet.“ Und nun sei ihnen ausgerechnet dort, wo sie sich Sicherheit erhofften, der Sohn genommen worden. Mohameds Mutter stammt aus dem Kosovo, kam vor drei Jahren nach Berlin, lebte mit ihrem neuen Freund und drei kleinen Kindern in Reinickendorf. Nach Bekanntwerden von Mohameds Verschwinden waren Mutter und Stiefvater zunächst selbst in Verdacht geraten: Womöglich, so hieß es, hätten sie das Verschwinden des Jungen bloß vorgetäuscht, umihre eigene drohende Abschiebung zurück ins Kosovo zu verhindern. Erst als die Aufnahmen aus der Überwachungska- 3 den Spuren des Täters Das doppelte Grauen ckenwalder Kolonie Eckbusch verscharrt worden. Schon zur Mittagsstunde hat die Brandenburger Polizei das Gelände im Süden der Stadt weiträumig abgeriegelt. Ein ältere Frau steht vor dem rot-weißen Absperrband an der Schwalbenstraße. „Komme ich denn heute nicht mehr in meinen Garten?“ – „Tut mir leid, gute Frau, aber das wird heute wohl nichts mehr.“ Am frühen Nachmittag transportieren die Polizisten jedenfalls ein Paket ab. Auf dem Lageso-Gelände in Moabit, dem Ort, an dem Mohamed entführt wurde, ist die Trauer schon seit Donnerstag nicht zu übersehen. Gleich rechts neben dem Haupteingang Turmstraße – in Sichtweite zu der Überwachungskamera, die den Jungen vor 30 Tagen an der Hand des Täters beim Verlassen des Areals filmte – haben Passanten und Flüchtlinge mittlerweile hunderte Kerzen angezündet. Es sind so viele, dass man die Wärme der kleinen Flammen sogar aus ein paar Metern Entfernung spürt. Inmitten des Lichtermeers liegen Blumen, Briefe, winzige Engelsfiguren und eine Menge Stofftiere: ein Pinguin, ein Panda, mehrere Teddys. „Wir konnten dich nicht beschüt- POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN mera auftauchten, verstummten die bösen Gerüchte. Bald hieß es stattdessen, bei dem Fremden handele es sich um einen ehrenamtlichen Helfer – oder jedenfalls einen Menschen, der sich wiederholt auf dem Gelände als solcher ausgegeben habe. Womöglich ist das nicht einmal falsch. Wie Winfrid Wenzel, Kriminaloberrat beim LKA Berlin, am Freitag auf der Pressekonferenz mit versteinerter Miene feststellt, hat Silvio S. im Rahmen seines Geständnisses eine kaum zu glaubende Aussage gemacht: Am Tattag habe er sich zum Lageso begeben, um Gutes zu tun. Er habe den notleidenden Flüchtlingen helfen und Kindern Spielzeug schenken wollen. Frank Häßler, forensischer Psychiater am Universitätsklinikum Rostock, ist überzeugt, „dass dieser Mann nicht unauffällig war in seiner Biografie“. Häßler hat, wie er sagt, für Gerichte etwa 70 Mörder begutachtet. Er vermutet, dass Silvio S. früher in einem Heim oder in der Psychiatrie gewesen ist oder wegen irgendwelcher Auffälligkeiten in Behandlung und ambulant betreut worden ist. Dass Silvio S. mit seinen Eltern zusammenlebt, deute auf eine „Abhängigkeitsbezie- hung“ hin. Vermutlich habe Silvio S. die Erfahrung gemacht, dass er das Selbstständigwerden nicht schaffe, den „Sprung in die Autonomie“, den normale Jugendliche in der Pubertät vollziehen. „Wenn man den Absprung nicht schafft, leidet man“, sagt Frank Häßler. Damit verbunden sei ein Mangel an sozialer Kompetenz. Womöglich habe der Mann auch „eigene Gewalterfahrung“ in Kindheit oder Jugend erleben müssen. Doch auch wenn er missbraucht worden sei, folge daraus nicht zwangsläufig eine kriminelle Entwicklung. Viele Kinder machten Erfahrung mit Gewalt, so Häßler, „nur ganz wenige von ihnen werden straffällig“. Für den Gewaltausbruch des Silvio S. könne es verschiedene Ursachen geben. Womöglich sei S. vor Monaten in eine Krisensituation geraten, zum Beispiel durch eine Trennung. Menschen wie S. seien manchmal durchaus in der Lage, ihre Impulse oder Triebe über lange Zeit im Griff zu haben. Eine Krise könne das ändern und dazu führen, dass jemand Gewalttaten in kürzeren Abständen begehe. „Nicht außergewöhnlich“ sei, dass Silvio S. von seiner Mutter angezeigt worden sei. Sie habe vielleicht einfach Angst gehabt, dass ihr Sohn ein weiteres Kind töten könnte. Jedenfalls, so Häßler, sei es gut, dass die „Odyssee dieses Mannes ein Ende hat“ – weil er sonst wahrscheinlich noch andere Kinder ermordet hätte. Was den Täter im Sommer zum Ort seines ersten Verbrechens verschlug, ist derzeit noch völlig unklar. Elias lebte im Potsdamer Ortsteil Schlaatz, und dort ist es Freitagmittag nahezu menschenleer. Im Bürgerhaus, wo sich im Sommer die Freiwilligen trafen, die bei der Suche nach dem Jungen halfen, haben sich die Nachrichten bereits herumgesprochen. Eine Frau aus der Gruppe von damals hat angerufen, völlig aufgelöst sei sie gewesen, sagt der Büroleiter. Er sagt auch: „Wer weiß, was da noch kommt. In Sachsen-Anhalt ist ja auch ein Kind verschwunden, so weit weg von hier ist das nicht.“ Auch Janine Lucas hat damals bei der Suche geholfen. Sie arbeitet hinterm Tresen der Gaststätte „Full House“, die im Erdgeschoss eines Hochhauses untergebracht ist. Die Tische sind gut besetzt, Lucas kommt mit dem Bedienen kaum hinterher. Ob sie, da nun der mutmaßliche Mörder des Jungen gefasst ist, auch etwas erleichtert sei an diesem Tag? „Nee, bestimmt Silvio S. nicht.“ Dann behauptet, schweigt sie lange. „Ist ja keine schöne er habe Nachricht. Und unam Tattag sere Befürchtung traurige Gewissnur Gutes heit.“ tun wollen Eineinhalb Wochen hatte Janine Lucas mitgesucht, von jenem Mittwoch an, an dem Elias verschwunden war. „Ich hatte das an dem Abend auf Facebook gelesen und sofort den Impuls: ‚Ich will da unbedingt helfen gehen.‘“ Es war der 8. Juli, Elias und seine Mutter lebten damals seit einem Jahr im Schlaatz, vier Wochen zuvor hatten sie eine neue Wohnung im Hochparterre bezogen. Halb sieben am Abend, der Junge war vom Spielen nicht nicht heimgekommen, bat die Mutter Freunde darum, beim Suchen zu helfen. 19 Uhr 11 ging der Notruf bei der Polizei ein. 21 Uhr war Lucas, die in Teltow wohnt, im Schlaatz eingetroffen und half mit. Zehn Tage lang, dann sei „die Luft raus“ gewesen, „und irgendwann mussten wir es hinnehmen, dass wir nichts mehr machen können.“ Genauer gesagt: Es hatte Ärger gegeben. Hunderte von Helfern hatten sich gelbe Warnwesten angezogen und waren durch das Viertel gelaufen, durch die Wiesen, immer auf der Suche nach Elias. Erst später merkten Helfer und Polizei selbst, dass das ein Problem werden könnte. Der Polizeidirektor, der selbst 170 Beamte täglich im Einsatz hatte, lobte die Freiwilligen ausdrücklich. Und er formulierte einen Satz, der allenfalls andeutete, dass es Probleme gab beim Koordinieren des breiten Engagements. „Die Helfer waren in der euphorischen Phasen etwas jenseits dessen, wie man suchen sollte.“ Andere Kritiker sprachen von „einem peinlichen Happening mit Volksfestcharakter“. Die Stimmung kippte,als ein Flugblatt auftauchte, es war überschrieben mit „Einsatzleitung. Team Soko Elias“, listete drei Telefonnummern auf und die Forderung „Bitte alle Hinweise ERST an die Einsatzleitung per Telefon durchgeben und NICHT die Polizei anrufen!!“ „Da ist was dran“, sagt David Krause, einer der Suchhelfer von damals. „Wütend“ sei er jetzt, sagt er, „traurig“, „ein gemischtes Gefühl, sprachlos“. Krause steht vorm Bürgerhaus, nicht weit von hier wohnt er. Elias’ Mutter ist weggezogen, ein Hausmeister bestätigt das. Wohin, weiß hier keiner. Auch der Spielplatz, auf dem Elias zum letzten Mal gesehen wurde, ist in der Nähe. Er ist leer. „Er ist ständig leer seit dem Julimittwoch“, sagt Krause. Kaum ein Kind habe er seitdem dort noch spielen sehen. Von dem Spielplatz gehe etwas Gespenstisches aus, sagt er. Es ist ein böser Ort. — Mitarbeit: Steffi Pyanoe, Werner van Bebber, Thorsten Metzner, Stefan Engelbrecht CHRONIK DER BEIDEN FÄLLE 8. Juli 17 Uhr: Elias spielt am Nachmittag auf dem Innenhof des Plattenbaus im Potsdamer Wohngebiet Am Schlaatz. 18 Uhr: Die Mutter will Elias zum Abendessen holen, der Junge ist aber nicht mehr da. 18.30 Uhr: Seine Mutter bittet über Facebook im Freundes- und Bekanntenkreis um Mithilfe bei der Suche. 19:11 Uhr: Elias’ Mutter alarmiert die Polizei. 9. Juli Noch in der Nacht beginnt eine groß angelegte Suchaktion. In den folgenden Tagen suchen 150 Polizeibeamte und hunderte freiwillige Helfer das Wohngebiet, das angrenzende Waldstück und die Nuthe ab. 14. Juli Die Suche wird auf Berlin erweitert. 15. Juli Am Abend läuft eine 30-sekündige Meldung bei der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“. 16. Juli Die Nuthe wird erneut abgesucht. Dafür wird der Wasserstand um 20 Zentimeter abgesenkt. Foto: Ralf Hirschberger / dpa SONNABEND, 31. OKTOBER 2015 27. Juli Die eigens eingerichtete mobile Wache am Schlaatz wird abgezogen. 3. August Die Soko „Schlaatz“ wird verkleinert. Fast alle 900 Hinweise sind überprüft. Im Laufe des August stellen auch die freiwilligen Helfer die Suche nach und nach ein. 4. September Die erste Spur: Die Soko „Schlaatz“ sucht nach einem dunklen Pkw-Kombi. 1. Oktober Der vier Jahre alte Mohamed Januzi aus Bosnien-Herzegowina ist mit seiner Mutter und seinen Geschwistern auf dem Lageso-Gelände; offenbar während seine Mutter in einem Beratungsgespräch ist, verschwindet er plötzlich. 4. Oktober Die Polizei leitet eine Öffentlichkeitsfahndung ein. Später sagt ein Polizeisprecher, „Widersprüche“ in den Aussagen der Mutter hätten die Fahndung verzögert. 8. Oktober Elias wird seit drei Monaten vermisst. 300 Stunden Filmmaterial und 1000 Fotos werden erneut überprüft. 10. Oktober Die Polizei veröffentlicht eine kurze Videosequenz aus einer Überwachungskamera, in der zu sehen ist, wie Mohamed am 1. Oktober an der Hand eines unbekannten Mannes das Lageso-Gelände verlässt. 13. Oktober Die Polizei richtet eine 50-köpfige Sonderkommission ein. 27. Oktober Ein neues Video des mutmaßlichen Entführers taucht auf. 29. Oktober Bei der Polizei meldet sich eine Frau und gibt an, dass ihr Sohn der Gesuchte ist. In seinem Auto findet die Polizei die Leiche Mohameds und nimmt den 32-Jährigen fest. In der Nacht gesteht dieser, sowohl Mohamed als auch Elias getötet zu haben. 30. Oktober Die Polizei sucht in einer Kleingartenkolonie in Luckenwalde nach der Leiche von Elias. Der Täter hat die Stelle auf einer Skizze eingezeichnet. 4 POTSDAM POTSDAMER NEUESTE NACHRICHTEN DIE FÄLLE MOHAMED UND ELIAS Die SONNABEND, 31. OKTOBER 2015 Trauer in Potsdam Ein Abschied „Nun ist es traurige Gewissheit“ 150 Menschen gedachten am Freitagabend im Potsdamer Stadtteil Schlaatz Elias und Mohamed. Kerzen wurden angezündet, es flossen viele Tränen Woidke und Jakobs tief erschüttert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat am Freitag „mit großer Bestürzung“ auf den Tod des kleinen Elias und des aus Bosnien-Herzegowina stammenden Mohamed reagiert. „Nun ist es traurige Gewissheit, jede Hoffnung ist zerstört. Beide Kinder sind tot“, erklärte Woidke. Solche Verbrechen seien einfach unfassbar. „Ich bin zutiefst erschüttert. Mein Mitgefühl gilt jetzt den Familien der Jungen. Ich wünsche den Angehörigen für die schwere Zeit sehr viel Kraft“, sagte D. Woidke Woidke am Freitag in Potsdam. Woidke dankte zugleich nachdrücklich den Polizeibeamten und den vielen Freiwilligen, die sich in Potsdam wochenlang an der Suche nach Elias beteiligt hatten. Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) zeigte sich erschüttert. Er sei „fassungslos und bestürzt“ ob des Geständnisses des mutmaßlichen Mörders. „Sollte sich das bewahrheiten, ist das eine schreckliche Tat, die verabscheuungswürdig ist“, erklärte Jakobs den PNN. Solche Taten J. Jakobs seien „brutal und menschenverachtend“. „Wir müssen jetzt alle zusammenstehen und zusammenhalten und unser Mitgefühl ausdrücken, wenn es tatsächlich so kommen sollte“, erklärte Jakobs mit Verweis auf den Umstand, dass die Identifizierung der gefundenen Leiche nicht abgeschlossen sei. mat Foto: Andreas Klaer Am Schlaatz – Anja Berger fällt es sichtlich schwer, ihre Tränen zu verbergen. Dennoch steht die junge Frau tapfer oberhalb der kleinen Treppe vor dem Bürgerhaus im Potsdamer Stadtteil Schlaatz und spricht zu den rund 150 Trauernden auf der Gedenkveranstaltung für Elias. Sie danke allen, die mitgeholfen hätten, zu suchen. „Wir und die Familie sind euch unendlich dankbar dafür. Ihr habt uns geholfen, jeder von euch.“ Nun sei es leider Gewissheit, dass man Elias nicht mehr in die Arme schließen könne. Der sechs Jahre alte Junge war am 8. Juli spurlos verschwunden. Anja Berger ist eng befreundet mit dessen Mutter und ihrem Lebenspartner. Sie spricht auch für die Familie, die verständlicherweise an Tag nicht Viele legten diesem hier vor Ort ist. Stofftiere Ihre Trauer und ihren Schmerz über und Rosen den grausamen Tod in Gedenken des Jungen teilten am Abend viele Anan die wohner und NachKinder ab barn. Immer mehr Kerzen wurden auf der Treppe vor großen Plakaten mit den Bildern von Elias, dem vierjährigen Mohamed und auch von Inga platziert, dem Mädchen, das im Mai nahe Stendal in Sachsen-Anhalt verschwand und noch immer vermisst wird. Direkt vor dem Foto von Elias legte jemand einen weißen Plüschhasen ab, weitere Stofftiere kamen hinzu sowie rote und weiße Rosen. Dann legte sich wie auf ein unsichtbares Zeichen Stille über den Platz zwischen den Plattenbauten, nur das Bellen eines Hundes in der Ferne störte kurz die Ruhe. Immer wieder hielten sich Trauernde fest in den Armen. Seelsorger standen bereit, um zu helfen. Eine ältere Frau schaute gedankenverloren auf das Lichtermeer der Kerzen. Sie habe damals im Juli mitgeholfen und für die freiwilligen Helfer Brötchen geschmiert und Kaffee gekocht, sagte sie. Die meisten Anwesenden waren bei der Suche nach dem Jungen aktiv dabei und durchkämmten im Sommer gemeinsam mit der Polizei die Plattenbausiedlung tagelang ergebnislos. Jetzt haben sie Gewissheit, immerhin. „Was geht in einem solchen Menschen vor? Wie kann man einem kleinen Jungen so etwas nur antun?“, hieß es immer wieder unter den zusammengekommenen Menschen. Trauer, sprachloses Entsetzen, Wut - und doch auch bei dem ein oder anderen Erleichterung, dass jetzt klar ist, was mit Elias passierte. Er habe selbst eine kleine Tochter, sagte ein früherer Nachbar von Elias und dessen Mutter, die schon vor Monaten aus dem Stadtteil wegzog, den PNN. „Wir lassen die Kinder nicht mehr aus den Augen.“ Dennoch sei er erleichtert. „Aber man weiß ja nicht, wie viele solcher Täter es noch gibt.“ Am Schlaatz verbreitete sich die Nachricht, dass Elias mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso wie der vierjährige Moha- Foto: Thilo Rückeis Von Stefan Engelbrecht VERMISSTE POTSDAMER LKA-Akten zu sechs ungelösten Fällen seit 1977 Abschied nehmen. Vor dem Bürgerhaus am Schlaatz brannten am Abend unzählige Kerzen. Auch Seelsorger waren vor Ort. Die Menschen trauerten um Elias, der am 8. Juli auf einem Spielplatz (rechts unten) spurlos verschwand und vermutlich ermordet wurde. Rechts oben durchsucht die Polizei ein Grundstück in Luckenwalde. Fotos: M. Thomas, Patrick Pleul/dpa, Tobias Schwarz/ AFP medvon Silvio S., einem32-jährigen Brandenburger aus Kaltenborn bei Niedergörsdorf ermordet worden ist, am Vormittag in Windeseile. Anja Berger war gerade an ihrem Arbeitsplatz, als sie davon hörte. „Ich habe die Zeit und alles um mich herum vergessen. Ich musste weinen, fing an zu zittern“, sagte sie. Dann habe sie den Lebenspartner der Mutter von Elias angerufen. „Der wusste noch nichts. Das war schlimm.“ Aber immerhin besser als es über die Medien zu erfahren, sagte Berger. Im Juli habe sie wochenlang Elias’ Mutter beigestanden und die Familie un- terstützt. Die Polizei hatte am Freitag jedoch versichert, die Mutter von Elias sei informiert worden, bevor die Nachricht an die Öffentlichkeit gegeben worden sei. Nun bleibe nur, Abschied zu nehmen, sagt die Pfarrerin Auch die Stadtteilpfarrerin vom Schlaatz, Ute Pfeiffer, reagierte betroffen auf die Nachricht im Fall von Elias. Eigentlich habe sie am Freitag in den Ur- laub fahren wollen. Stattdessen nahm sie an der Trauerfeier in ihrem Kiez teil. „Wir haben so lange verzweifelt gesucht, gehofft, manche haben gebetet. Das ist jetzt für uns natürlich ein Schock“, sagte Pfeiffer. „Unsere schlimmsten Befürchtungen sind jetzt offensichtlich eingetreten.“ Nun bleibe nur, Abschied zu nehmen. Es werde aber noch dauern, bis die Menschen hier einen Schlussstrich ziehen könnten, meinte Pfeiffer. Elias sei ein „Kind von uns hier im Kiez“ gewesen, sagte sie. Man habe gemeinsam nach dem Kind gesucht und so wie der Schlaatz gesucht habe, trauere der Schlaatz auch – zusammen. Schlimm sei vor allem, wie der Junge gestorben sei. „Da fehlen sogar mir als Pfarrerin die Worte“, so Pfeiffer. Wenn das Grauen etwas Gutes in sich tragen kann, dann ist es vielleicht der Zusammenhalt im Kiez. Darauf spielte auch Anja Berger in ihrer kurzen Rede vor den Trauernden an. Was sie persönlich aus den vergangenen Monaten seit dem Verschwinden von Elias mitnehme sei, dass man Zusammenhalt und Hilfe finden könne, auch bei Fremden. „Und dass man jeden Tag mit seinen Liebsten genießen sollte, als wäre er der letzte.“ Im stillen Gedenken In der Nikolaikirche werden Kerzen entzündet für Mohamed und Elias. Doch auch den Pfarrern fällt es schwer, Trost zu finden Innenstadt - Zunächst waren es neun Kerzen, nur eine gute Stunde später brannten bereits knapp 20 Lichter. Als erste Reaktion auf die schreckliche Nachricht, dass der mutmaßliche Entführer und Mörder des Berliner Flüchtlingsjungen Mohamed, Silvio S., auch die Ermordung des sechsjährigen Elias gestanden hat, wurde am gestrigen Freitagmittag spontan in der Nikolaikirche am Alten Markt die Möglichkeit für ein stilles Gedenken an die beiden Kinder eingerichtet. Ein schlichtes weißes Papierschild mit dem Hinweis „Im stillen Gedenken an Mohamed und Elias“ liegt seitdem auf einem der großen gusseisernen Kerzenständer im Seitenschiff, die Spendenbox ist zugeklebt. Auch Solveig Gröbner nutzte am gestrigen Nachmittag kurz vor Schließung der Kirche um 17 Uhr noch die Gelegenheit, mit ihren beiden Kindern zwei Kerzen für Mohamed und Elias anzuzünden. „Dass wir hier sind, ist Zufall. Wir sind zu Besuch aus Ludwigsfelde und wollten uns eigentlich vor allem die Kirche an- D schauen“, sagte Gröbner. Die Nachricht vom Geständnis habe sie während der Fahrt erhalten. „Meine Schwiegermutter hat mich im Auto angerufen.“ Viel Hoffnung, dass Elias noch leben könnte, habe sie allerdings aufgrund der langen Zeitspanne seit dem Verschwinden des jungen Potsdamers ohnehin nicht mehr gehabt, räumte die Mutter aus Ludwigsfelde sichtlich bewegt ein. „Das war zu lange.“ Auch am heutigen Samstag und am Sonntag bestehe selbstverständlich weiterhin die Möglichkeit, an dem eigens ausgewiesenen Kerzenständer seine Anteilnahme auszudrücken und der beiden Jungen zu gedenken, sagte der Pfarrer der Nikolaikirche, Matthias Mieke, gestern den PNN. Selbstverständlich würden die furchtbaren Taten auch am heutigen Samstag um 10 Uhr Thema im Gottesdienst anlässlich des Reformationstages sein. Am Montag allerdings bleibt die Kirche wie berichtet geschlossen. Er selbst habe von der Nachricht am frühen Mittag erfahren, sagte Mieke. „Ein Anteilnahme. In der Nikolaikirche am Alten Markt wurden im Gedenken an Mohamed und Elias Kerzen entzündet. Foto: Manfred Thomas Bekannter hat mir eine SMS geschrieben, dass die Meldung gerade in den Nachrichten gelaufen war“, so der Pfarrer. „Ich bin tief erschüttert und betrübt.“ Bei seiner spontanen Idee, im Seitenschiff eine ent- sprechende Gedenkstelle zu schaffen, hatte sich Mieke mit dem Pfarrer der Stern-Kirchengemeinde, Andreas Markert, abgesprochen, zu dessen Einzugsgebiet auch der Stadtteil Schlaatz gehört, in dem Elias mit seiner Mutter gelebt hat. Er habe den Vorschlag sehr begrüßt, so Markert. Die Nikolaikirche sei aufgrund ihrer Lage eine zentrale Anlaufstelle für alle Potsdamer und Besucher der Stadt. Selbstverständlich werde aber auch in der Stern-Kirche umgehend ein Ort für eine stille Anteilnahme eingerichtet, sagte der Gemeindepfarrer. Geplant sei, dass zum Gottesdienst am Sonntag ein entsprechender Bereich für Gedenkkerzen ausgewiesen werde. „Und zwar ebenfalls für Elias und für Mohamed“, betonte Markert. Schließlich sei das Entzünden einer Kerze eine angemessene Geste, ob man nun Christ, Moslem oder Atheist sei. Die Nachricht von Elias’ Tod werde mit Sicherheit eine große Betroffenheit innerhalb seiner Gemeinde auslösen, sagte Markert. Er selbst habe durch einen Anruf davon erfahren, so der Pfarrer. Noch allerdings sei die Nachricht so frisch, dass ihm die Worte fehlen würden. „Wir sind alle einfach nur tief bewegt und sprachlos.“ Matthias Matern Ungelöste Vermisstenfälle beschäftigen die Polizei noch Jahre später. Ein Beispiel: 1977 verschwand der 15 Jahre alte Gerd Berthold. Auf der damals gerade im Bau befindlichen Humboldtbrücke wurde noch der leere Sportbeutel des Jungen gefunden, eine Suchaktion blieb ohne Erfolg. Wegen dieser letzten Spur hielt sich lange Zeit ein Verdacht: Der Junge könnte getötet und der Leichnam in die Humboldtbrücke einbetoniert worden sein. Erst 1996 hat es die Potsdamer Staatsanwaltschaft nach einem Antrag des Landeskriminalamts (LKA) abgelehnt, die Brücke nach einem Kinderleichnam zu durchleuchten: Zu teuer und zu unverhältnismäßig sei die Methode, hieß es. Zu insgesamt sechs Potsdamern, die seit 1977 vermisst werden, lagern beim LKA in Eberswalde die alten Akten – die bei Bedarf, sollten sich neue Spuren oder Erkenntnisse ergeben, wieder herausgeholt werden können. Dazu gehört auch ein Fall von 1985: Seit dem 1. Februar 1985 wird der 1938 geborene Wolfgang Faustmann vermisst – laut Akten hatte er ein Nervenleiden und Orientierungsprobleme. Das letzte Mal sah ihn seine Mutter, als er auf die Außentoilette der gemeinsamen Wohnung in der Geschwister-Scholl-Straße gehen wollte. Weitere Fälle: Am 27. Dezember 1996 verschwand die Potsdamerin Edeltraut Hoffmann. Die Frau soll gegen 16 Uhr ihre Neubauwohnung verlassen haben. Gesehen wurde sie noch einmal in einer Kneipe. Hans-Peter Scheemann, geboren 1952, gilt seit dem 7. Februar 1995 als vermisst. Der Erzieher arbeitete auf dem damaligen Wohnschiff „Rostock“, einer Art Sozialprojekt, das an der Marquardter Chaussee ankerte. Er setzte sich in seinen Lada Samara und fuhr weg – niemand sah ihn je wieder. Seit dem 30. Oktober 1995 vermisst wird Andreas Ehlert, der damals mit seinem Auto von dem Haus einer Freundin in der Behlertstraße wegfuhr. Seitdem ist er verschollen. Für die Ermittler blieb unklar, ob er sich wegen diverser Straftaten absetzte oder Opfer eines Verbrechens wurde. 2008 verschwand die Potsdamerin Brigitte B. während einer Segelreise durch die Karibik, sie sie mit ihrem Mann unternommen hatte (PNN berichteten). Zwischenzeitliche Ermittlungen wegen Mordverdachts hat die Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellt. HK
© Copyright 2024 ExpyDoc