38 Im Fokus Intellectual Property (IP), Teil 1 / 10 Geistiges Eigentum – Aschenputtel unter den Vermögenswerten Immaterielle Güter wie Erfindungen, Marken und Designs sind wesentliche Wettbewerbsfaktoren und beträchtliche Vermögenswerte. Der Schutz des geistigen Eigentums ist daher zwingend, stellt jedoch eine komplexe Materie dar. Mit der Serie «Intellectual Property (IP)» fokussiert das «KMU-Magazin» Grundlagen und praxisnahe Fragestellungen zum Thema. ››Louis Lagler, Dr. Simone Brauchbar Birkhäuser Die Schweiz gehört zu den innovativsten Ländern Europas, als auch der Welt. Dies geht unter anderem aus dem Jahresbericht des Europäischen Patentamtes hervor: 2014 lag die Schweiz mit 850 europäischen Patentanmeldungen je eine Million Einwohner einsam an der Spitze. An zweiter Stelle steht Finnland mit 460 europäischen Patentanmeldungen pro Million Einwohner. Deutschland und Österreich folgen auf den Plätzen sechs und sieben mit 316 beziehungsweise 238 europäischen Patentanmeldungen pro Million Einwohner. Die Schweiz ist zudem die Heimat von Unternehmen mit weltweit bekannten Marken wie Nescafé oder Lindt. Schweizer Unternehmen gewinnen schliesslich regelmässig internationale Anerkennung für ihr Produktdesign. Der Unternehmenswert Patente, Marken und Designs zählen mit den Urheberrechten zu den sogenannten Immaterialgüterrechten. Sie schützen das Ergebnis eines geistigen Schaffens, weshalb man auch von geistigem Eigentum spricht. Mit ihnen wird den Inhabern für eine geistige Schöpfung ein zeitlich befristetes privates Monopol gewährt, was KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016 diesen einen Wettbewerbsvorteil verleiht. Zu weit gehende Rechte an immateriellen Gütern verhindern allerdings das Schaf- ! ›› kurz & bündig In einem Unternehmen geschaffene Werte wie Marken, Erfindungen oder Designs können als sogenanntes geistiges Eigentum geschützt werden und stellen zusammen mit dem Know-how insbesondere bei Industrieunternehmen einen wesentlichen Aspekt des Unternehmenswertes dar. Unternehmen sind stets gefordert, einerseits selbst keine entsprechenden Rechte Dritter zu verletzen und andererseits die eigene Innovation und Kreativität vor unberechtigter Nutzung durch Dritte vorausblickend zu schützen und zu verteidigen. Know-how ist in vielen Aspekten mit den Immaterialgüterrechten verwandt, muss aber vertraglich mit einer Geheimhaltungsvereinbarung geschützt werden. ›› ›› fen von Neuem, da solches meist auch auf dem bereits Existierenden aufbaut. Das Recht sieht deshalb neben einer zeitlichen Begrenzung eine Reihe von Ausnahmen des Schutzes von Immaterialgüterrechten vor, wie zum Beispiel das Zitatrecht im Urheberrecht oder das Forschungsprivileg im Patentrecht. Zudem kann eine ausufernd ausgeübte Monopolstellung zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wogegen die Gesetze ebenfalls Behelfe sowie Grenzen der Rechtsausübung vorsehen. Vor allem bei Industrieunternehmen stellen Patente zusammen mit dem Ertrag aus deren Lizenzierung einen wesentlichen Aspekt des Unternehmenswertes dar, was den Inhabern oft erst im Rahmen eines Unternehmensübergangs oder bei Patentstreitigkeiten richtig bewusst wird. Der wirtschaftliche Wert der jedes Jahr in den OECD-Ländern neu erteilten Patente wird von Experten auf über 100 Milliarden Euro geschätzt. Nicht zu vernachlässigen ist auch der unternehmerische Wert von Marken und Designs. Insbesondere Marken können als Einzelschutzrechte astronomische Werte errei- 39 Im Fokus Geistiges Eigentum schützen Schutztitel Schutzgegenstand Schutzvoraussetzung Schutzdauer Art des Schutzes Schutzrechtsvermerk Marke Kennzeichen für Waren und Dienstleistungen Eintragung eines unterscheidungskräftigen Zeichens für bestimmte Waren oder Dienstleistungen 10 Jahre, unbeschränkt verlängerbar Markenrecht: Ausschliessliches Kennzeichnungsrecht für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen ® für eingetragene Marken Patent Erfindung Erteilung eines Patents für eine Erfindung (techn. Regel), welche neu, nicht naheliegend und gewerblich anwendbar ist maximal 20 Jahre ab Anmeldetag (Ausnahme: Patentanmeldungen im Bereich der Arznei- oder Pflanzenschutzmittel können ggf. um weitere 5 Jahre auf insgesamt 25 Jahre Laufzeit verlängert werden) Patentrecht: Ausschliessliche Verwertungsrechte und Recht auf Erfindernennung Pat. Pend. / Patentnummer Design Design Eintragung eines Designs (Gestaltung von gewerblichen Erzeugnissen), welches neu ist und eine Eigenart aufweist 5 Jahre ab Anmeldetag, maximal viermal um weitere 5 Jahre auf insgesamt 25 Jahre verlängerbar Designrecht: Ausschliessliche Verwertungsrechte Mod. Dep. Urheberrecht Werke der Literatur und Kunst sowie Computerprogramme Schaffung einer wahrnehmbaren geistigen Schöpfung mit individuellem Charakter (keine Eintragung erforderlich) 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers oder der Urheberin (50 Jahre bei Computerprogrammen) Urheberrecht: Ausschliessliche Verwertungsrechte sowie Ansprüche aus «droit moral» © Urheberrecht «kulturelle Leistungen»: Leistungserbringung (keine Eintragung) 50 Jahre nach Leistungserbringung Urheberrecht: Ausschliessliche Verwertungsrechte ››Darbietungen durch ausübende Künstler Herstellen von Tonträgern und Tonbildträgern Sendungen ›› ›› chen: Eine aktuelle Studie der Markenberatung «Interbrand» schätzt den Wert der Marke «Apple» auf rund 170 Milliarden US-Dollar, von «Google» auf 120 Milliarden US-Dollar, von «Coca-Cola» auf 78 Milliarden US-Dollar und den Mar- kenwert von «Nescafé» noch auf immerhin 12 Milliarden US-Dollar (Quelle: www.interbrand.com/best-brands/bestglobal-brands/2015/ranking/). Nicht als geistiges Eigentum schützbar und dennoch für Unternehmen von grossem Wert ist das Know-how, wie es zum Beispiel im Zusammenhang mit dem praktischen Wissen bei Produktionsabläufen zutage tritt. Das Know-how ist in vielen Aspekten mit den Immaterialgüterrechten verwandt, muss aber vertraglich mit- KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016 40 tels Geheimhaltungsvereinbarung geschützt werden. Herausforderungen Diesem Wert gilt es auch im Unternehmensalltag Sorge zu tragen. Im Unterschied zum Urheberrecht handelt es sich bei Patenten, Marken und Designs um sogenannte Registerrechte, welche ihre Wir kung nur entfalten, wenn sie nach der erfolgreichen Prüfung der entsprechenden Voraussetzungen durch die zuständige staatliche Stelle in ein öffentliches Register eingetragen worden sind. Diese Rechte sind zeitlich und territorial begrenzt (d. h. KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016 Im Fokus an eines oder mehrere Länder geknüpft) und existieren nur so lange, wie die Verlängerungsgebühren bezahlt werden oder bis im Fall von Patenten und Designs die maximal gesetzlich erlaubte Laufzeit erreicht wird. Trotz der Bedeutung, welche Immaterialgüterrechten in der heutigen Zeit zukommt, tun sich viele KMU schwer beim Schutz und der Verteidigung ihres geistigen Eigentums. Zum einen liegt dies sicher daran, dass sich im Zeitalter der Digitalisierung Informationen mit grosser Geschwindigkeit verbreiten, was ein zeitnahes Reagieren erschwert. Zum ande- ren ist auch die Materie sehr komplex. Dies führt insbesondere im Patentrecht zu langwierigen und kostspieligen Prozessen. Es dauert zum Beispiel gut und gerne drei bis fünf Jahre, bis aus einer Patentanmeldung ein erteiltes Patent wird. Das Immaterialgüterrecht hat zudem eine starke internationale Dimension. Eine Reihe von internationalen Abkommen, wie die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums sind bei der Rechtsanwendung neben dem nationalen Recht zu beachten. Immaterialgüterrechte stellen eine Chan ce für Unternehmen dar, aber auch ein 41 Im Fokus Risiko; dann nämlich, wenn es sich um die Rechte Dritter handelt: Häufig wird bei der Entwicklung eines neuen Produkts oder der Einführung einer neuen Marke gar nicht oder nicht ausreichend geprüft, ob allenfalls ein Konkurrent nicht schon ein Schutzrecht auf diesem Gebiet hält. Sind dann gleichzeitig noch Kunden involviert, gegenüber denen man Verpflichtungen, zum Beispiel über einen Entwicklungsvertrag eingegangen ist, kann dies zu unangenehmen Situationen führen. Unternehmen sind stets gefordert, einerseits selber keine Rechte Dritter zu verletzen und andererseits die eigene Innovation und Kreativität vor unberechtigter Nutzung durch Dritte vorausblickend zu schützen und zu verteidigen. Die Verletzung von geistigem Eigentum Dritter, aber auch der mangelnde Schutz der eigenen Innovationen kann für ein Unternehmen weitreichende Folgen haben, was auch der Presse immer wieder zu entnehmen ist. Die Serie «Geistiges Eigentum» 01 – 02 /16 Grundlagen 03 / 16 IP (Intellectual Property) Compliance 04 / 16 Patent 05 / 16 Marken 06 / 16 Design 07 – 08 / 16 Bewertung von Immaterialgüterrechten 09 / 16 Know-how 10 / 16 Geistiges Eigentum im Arbeits- und Auftragsverhältnis 11 / 16 Verteidigung von IP-Rechten um die Welt, insbesondere in der USA 12 / 16 «Freedom to Operate» Porträt Louis Lagler Patentanwalt Ausblick Um die Themen rund um das Asset geistiges Eigentum aus professioneller Sicht zu beleuchten, soll im Verlauf des Jahres unter der Rubrik «Im Fokus» ein praxisnaher und vertiefter Einblick in ausgewählte Fragen dieser komplexen Materie gegeben werden. In einem ersten Beitrag soll aufgezeigt werden, wie ein Unternehmen auf Handlungsbedarf im Gebiet des geistigen Eigentums geprüft werden kann. Weiter werden die Does and Dont’s im Patent-, Marken- und Designrecht aufgezeigt und das verwandte Thema des Schutzes von Know-how erläutert. Später wird in einem Schwerpunkt auf die unternehmerische Bewertung von Immaterialgüterrechten eingegangen. Abschliessend soll aufgezeigt werden, worauf bei der Schaffung von Immaterialgüterrechten zu achten ist, insbesondere wie sich Unternehmen die Rechte an diesen sichern und wie diese Rechte rund um den Globus zu verteidigen sind, aber auch wie sichergestellt werden kann, dass keine Rechte Dritter verletzt werden. « Louis Lagler, Dipl. Maschineningenieur ETH, Europäischer und Schweizer Patentanwalt, arbeitet als Patentanwalt bei der Rentsch Partner AG. Die Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen in den Bereichen Mechanik, Kunststoff-Spritzgusstechnologie, Elektrotechnik, Computersoftware, insbesondere Computer-Aided Design (CAD), sowie Finite Elemente Anwendungen (FEM). Louis Lagler ist Gründungspartner der Kanzlei Rentsch Partner AG und Präsident des Verbands Schweizerischer Patent- und Markenanwälte. Dr. Simone Brauchbar Birkhäuser Rechtsanwältin Dr. Simone Brauchbar Birkhäuser ist Counsel bei Rentsch Partner AG. Sie ist seit bald 20 Jahren als Rechtsanwältin auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts, insbesondere Kennzeichen- und Designrecht sowie im Werbe- und Lauterkeitsrecht tätig. Zudem publiziert und unterrichtet sie auf diesen Gebieten. Frau Brauchbar Birkhäuser berät vorwiegend Schweizer KMU aus unterschiedlichen Wirtschaftszweigen. Kontakt lagler@rentschpartner, [email protected] www.rentschpartner.ch, www.expertsuisse.ch KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
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