Die Kesb stellt einen Fortschritt dar

Zug
Sonntag, 20. Dezember 2015 / Nr. 51 Zentralschweiz am Sonntag
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«Die Kesb stellt einen Fortschritt dar»
FÜRSORGE Der Zuger
Unternehmer Guido Fluri verteidigt die Institution Kesb –
und erklärt, wie diese dank
einer Ombudsstelle besser
funktionieren könnte.
Fällen ins Ausland flüchten.
Flur: Es gibt diverse Ombudsstellen in
verschiedenen Gebieten, und dabei zeigt
sich immer wieder: Ombudsstellen sind
hilfreich und erfolgreich. In den meisten
Fällen können sie vermitteln und dadurch
zu einer vernünftigen Lebenssituation
beitragen. Und nochmals: Die Behörden
haben einen Gesetzesauftrag, sie müssen
für den Kindes- und Erwachsenenschutz
einstehen.
INTERVIEW ERNST MEIER
[email protected]
Sie haben Ihre Kindheit in Heimen und
bei Pflegeeltern verbracht. Damals
gab es die Kesb noch nicht. Was denken Sie über die heutige Lösung?
Fluri: Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, wo man in einem kleinen Dorf von
einer Laienbehörde als uneheliches Kind
abgeurteilt wurde, dann weiss ich: Die
Kesb stellt keinen Rückschritt dar, sondern
grundsätzlich einen Fortschritt. Trotzdem
sollten heute die Gemeinden durch ihre
Nähe zu den betroffenen Familien stärker
in den Entscheidungsprozess der Kesb
eingebunden werden. Dies verbessert insgesamt die Beurteilung. Aber durch die
psychologischen Fachkräfte hat sich die
Situation gegenüber früher massiv verbessert. Heute ist man sich sehr wohl
bewusst, was gewisse Einflüsse in der
Entwicklung des heranwachsenden Kindes
für Auswirkungen haben. Dieses Bewusstsein war früher eher untergeordnet.
Die immer wieder kritisierte Kinderund Erwachsenenschutzbehörde Kesb
kann auf prominente Unterstützung
zählen. Der Wohltäter Guido Fluri erklärte Anfang Dezember, dass es zwingend nötig sei, das Vertrauen in die
Behörde zurückzubringen. Dafür hat er
vorgeschlagen, eine Ombudsstelle für
die Kesb zu finanzieren (wir berichteten). Seine Idee soll schon bald Realität
werden und nachhaltig wirken.
Guido Fluri, wollen Sie mit der Schaffung einer Ombudsstelle die umstrittene Kesb retten?
Guido Fluri*: Mir geht es einzig und allein
um den Kinder- und Erwachsenenschutz,
um die Betroffenen also. Für diese ist die
Kesb zuständig, weshalb man hier auch
ansetzen muss. Man kann die Abschaffung
einer Behörde fordern oder aber auf Verbesserungen hinarbeiten. Ich bin vom
zweiten Weg überzeugt und versuche
deshalb, meinen Beitrag hier zu leisten.
Weshalb braucht es eine Ombudsstelle für die Kesb?
Fluri: Jede Woche erhält meine Stiftung
Post von Dutzenden von hilfesuchenden
Menschen, die aufgrund eines KesbVerfahrens in eine scheinbar ausweglose Situation geraten und verzweifelt
sind. Hier geht es nicht nur um Kinder-,
sondern auch um Erwachsenenschutz.
Oftmals ist die Situation so verfahren,
dass die Kesb und die Betroffenen nicht
mehr zusammenarbeiten können. Es
findet keine Kommunikation mehr statt.
Dadurch erhöhen sich Risiken einer
Eskalation, da viele keinen Ausweg mehr
sehen. Deshalb braucht es in solchen
Fällen eine neutrale, nichtstaatliche
Stelle, die im Gespräch die Situation
entschärfen kann. Dies wäre die zentrale Arbeit dieser Fachstelle.
Was erhoffen Sie sich durch eine Ombudsstelle?
Fluri: Die Ombudsstelle soll bei Konfrontation oder Resignation so vermitteln
können, dass eine vernünftige Lösung
erarbeitet werden kann. Vor allem wenn
Kinder und ihre Rechte involviert sind,
ist ein solches Angebot meines Erachtens
nicht nur hilfreich, sondern auch zwingend angebracht.
Wie gehen Sie in der Sache weiter vor?
Fluri: Wir werden nun gemeinsam mit
unseren Partnerorganisationen in einer
ersten Arbeitssitzung im Januar die Konturen für eine neutrale, nichtstaatliche
Ombudsstelle schärfen. Dabei wird auch
Das Trinkwasser
ist einwandfrei
ZUG red. Das im Netz der Wasserwerke Zug (WWZ) verteilte Wasser
ist bedenkenlos trinkbar, wie das
Werk meldet. Zwischen dem 1. Juni
und 31. Oktober haben die WWZ dem
Wassernetz des Kantons Zug Proben
entnommen. Diese wurden vom zuständigen kantonalen Laboratorium
analysiert. Alle Proben entsprachen
den chemischen und mikrobiologischen Anforderungen der Lebensmittelgesetzgebung. Die Analyseergebnisse sind auf wwz.ch aufgeschaltet und werden in den amtlichen
Publikationsorganen veröffentlicht.
Eine ausführliche Aufstellung aller
mikrobiologischen und chemischen
Messwerte für das gesamte Jahr 2015
ist auf trinkwasser.ch einsehbar.
Die WWZ versorgen im Kanton Zug
die Stadt Zug, die Gemeinden Cham
und Hünenberg sowie Teile der Gemeinde Baar mit Wasser; im Kanton
Luzern Hochdorf sowie Teile von
Römerswil.
Guido Fluri am Sitz
der GF Holding in
Cham. Er erlebte
als Heimkind
selber, was es
heisst, wenn die
Behörden bestimmen, wo und bei
wem man aufzuwachsen hat.
Bild Stefan Kaiser
die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes) ihre Inputs geben. Die
Ombudsstelle soll breit abgestützt sein.
spritze das Projekt wieder abgebrochen wird?
Fluri: Selbstverständlich braucht es langfristig eine Lösung, und da es keine ähnSie wollen die Stelle in einer ersten liche staatliche Institution gibt, braucht es
Phase durch Ihre Stiftung finanzieren. private Träger. Als Unternehmer denke ich
Wie hoch wird die finanzielle Unter- nachhaltig, auch hier, wenn es um eine
Ombudsstelle beim
stützung sein?
Fluri: Die Kosten sind
Kinder- und Erwachsenenschutz geht. Ein
wir erst noch am Be«Es braucht eine
rechnen, denn sie sind
Abbruch kommt für
langfristige Lösung.
mich nicht in Frage!
von der Ausgestaltung
Ein Abbruch kommt
und vom Angebot der
nicht in Frage!»
geplanten Stelle abSie kritisieren, dass
die Entscheide der
hängig. Wenn man
G U I D O F LU R I ,
eine professionelle
Kesb in einer Sprache
UNTERNEHMER
abgefasst sind, die
Ombudsstelle
mit
viele Eltern bezieFachkräften in drei
Landesteilen aufbauen will, sprechen wir
hungsweise Familienmitglieder nicht
in einer ersten Phase von mehreren hunverstehen. Müsste man da nicht die
derttausend Franken.
Kesb reformieren, statt eine Ombudsstelle zu schaffen?
Besteht nicht die Gefahr, dass ohne Fluri: Wir haben zusammen mit der Kokes
Ihre oder eine andere private Finanz- in diesem Monat eine Tagung zur Frage
N
un ist klar: Der Zuger Regierungsrat soll von sieben auf fünf
Mitglieder verkleinert werden. Damit
einher geht auch eine Reform der Verwaltung. Der heute noch siebenköpfige
Regierungsrat hat einer Projektgruppe,
die vornehmlich aus den Generalsekretärinnen und -sekretären der Direktionen besteht, den Auftrag erteilt,
diese Reformen anzugehen und eine
Vorlage für den Kantonsrat auszuarbeiten.
Zwar sind die Fakten, wie diese Verkleinerung vonstattengehen wird, momentan äusserst dürr und das endgültige Resultat daher nicht absehbar. Dennoch regt sich bereits lautstarker
Widerstand – von den politischen Polen
rechts und links der Mitte. Sieben sei
das Minimum an Mitgliedern, neun
Magistraten in Teilzeit wären besser, sagt
beispielsweise die SVP. Oder Zug müsse
regiert, nicht verwaltet werden, meldet
die Alternative-die Grünen (ALG). Und
der Kommunikation zwischen zerstrittenen Parteien durchgeführt. Dass es hier
Verbesserungspotenzial gibt, hat man
auch bei der Kokes eingesehen. Aus diesem Grund will man hier nun einen Effort
leisten, weniger schriftlich und mehr
mündlich kommunizieren. Ein Schritt in
die richtige Richtung, denn die juristisch
abgefassten Briefe mit ihren Verfügungen
empfinden viele Betroffene als Stigmatisierung. Es braucht selbstverständlich in
einem Verfahren den juristischen Teil.
Trotzdem sind solche Eingriffe mit grosser Tragweite verbunden und verändern
das Leben der Betroffenen schlagartig. Es
braucht nebst der formellen Zwangsmassnahme unabdingbar auch eine gute Betreuung danach.
Befürchten Sie nicht, dass eine Ombudsstelle keinen Nutzen bringt? Die
Behörden werden sich am Schluss
immer durchsetzen. Verzweifelte Betroffene werden wohl wie in früheren
Fälle aus jüngster Zeit brachten die
Kesb weitherum in die Kritik. Die Autorin Zoë Jenny gilt als vehemente
Gegnerin der Behörde. Verstehen Sie
die Kritik der Kesb-Gegner?
Fluri: Ohne auf Personen einzugehen –
wenn ich die Fälle sehe, die bei uns in
der Stiftung landen, dann versteht man
sehr wohl, warum die Kritik entstanden
ist. Die Kesb hat über 130 000 Fälle pro
Jahr; in den allermeisten Fällen arbeitet
die Behörde gut. Es gibt aber auch Entscheide, die schlicht nicht verstanden
werden. Da verstehe ich die aufgestaute
Wut der betroffenen Familien. Hier ist
wichtig, diese Fehlentscheide zu filtern
und nochmals einer Beurteilung zu unterziehen. Auch hier kann eine Ombudsstelle unterstützen und vermitteln. Kinder
gehören grundsätzlich zur Familie! Es
muss nach einem Entzug der Obhut auch
wieder eine Perspektive aufgezeigt werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen das Kind wieder bei seinen Eltern
oder einem Elternteil sein kann. Dies im
Gespräch aufzuzeigen und daran zu arbeiten, benötigt sehr gut geschultes Fachpersonal im psychosozialen Bereich. Dazu
braucht es aber auch die nötigen Ressourcen. Viele Beistände haben teils über
100 Fälle, die sie betreuen. Eine gute
Betreuung für einen Vertrauensaufbau ist
so praktisch nicht möglich.
HINWEIS
* Guido Fluri (49) setzt sich neben seinen
unternehmerischen Tätigkeiten (Immobilien,
Mode- und Schuhkette Pasito-Fricker u. a.) mit
eigenen Stiftungen für karitative Aufgaben ein.
Fluri ist Vater der Wiedergutmachungs-Initiative,
die einen Solidaritätsbeitrag für Verdingkinder und
Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen fordert.
Die GF-Stiftungen haben ihren Sitz in Cham.
Viel Lärm ums blosse Nachdenken
Harry Ziegler
zur geplanten
Zuger Regierungsund Verwaltungsreform
ZUG UM ZUG
für die SP ist die regierungsrätlich verordnete Schrumpfkur nichts anderes als
ein verkapptes weiteres Sparprogramm.
Man reibt sich als Beobachter ob
solcher Aussagen verwundert die Augen. Wird man tatsächlich fürs blosse
Nachdenken über vielleicht veraltete
Strukturen oder das Abklären allfälliger
Anpassungsmöglichkeiten öffentlich
abgewatscht?
Mein Schwiegervater – ein weiser
Mann – pflegt in solchen Fällen zu sagen, man müsse den Bären zuerst erlegen, bevor man dessen Fell waschen
könne. Vorliegend jedoch haben die
Bärentöter von SP, ALG und SVP zu
früh zur Jagd auf den meines Erachtens
durchaus vernünftigen Bären geblasen.
Der ist den Jägern mittlerweile bereits
weit voraus. Der regierungsrätliche Bär
treibt also die Meute vor sich her.
Hektik, Hype, Hysterie. Viel Lärm ums
blosse Nachdenken. Trotz des Getöses,
das nun von links und rechts erschallt –
völlig abwegig ist die Reaktion der Polparteien nicht. Mit einer Verkleinerung
des Regierungsrats sähen kleine Parteien wie die ALG oder die SP ihre heute
aufgrund der Mehrheitsverhältnisse ohnehin bereits beschränkte Relevanz in
Frage gestellt. Und die SVP, die nicht
nur in Zug mit dem Majorzwahlsystem
Schwierigkeiten bekundet, fürchtet um
ihre hart erkämpften Pfründe.
Und das vorderhand völlig unnötig.
Denn: Erstens, ob eine Regierungsund Verwaltungsreform überhaupt
durchgeführt wird, entscheidet der
Kantonsrat. Und, falls nötig, das Volk.
Zweitens, seien wir doch ehrlich mit
uns selber: Wo stünde der Kanton Zug
heute, wenn Nachdenken durch Politiker jeweils Grund für vorauseilende
öffentliche Schelte gewesen wäre?
Eben. «Zerscht liefere, denn lafere»,
heisst es umgangssprachlich so schön.
Momentan ist es bei den Polparteien
umgekehrt. Im Falle einer allfälligen
Regierungs- und Verwaltungsreform
ist ja noch gar nichts geliefert. Also
gibts auch noch nichts Substanzielles
zu «lafere». Richtig ist hingegen, was
CVP und FDP propagieren: Das Projekt
wird sorgfältig geprüft und diskutiert,
wenn es in den Kantonsrat kommt.
Punkt.
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