Die Wirksamkeit von Long Dan Xie Gan Tang in der Behandlung

Schwerpunkt
Die Wirksamkeit von Long Dan Xie
Gan Tang in der Behandlung von
Hitze-Stagnation in der Leber-Leitbahn
bei Patienten mit Psoriasis capitis
Sabine Schmitz
Im Anfangsstadium manifestiert sich Psoriasis in vielen Fällen am Kopf. Mit einer ausführlichen Beschreibung über
die Pathologie der Psoriasis und die Behandlung mit Long Dan Xie Gan Tang (Gentianae Radix Dekokt, das die
Leber entlastet) bei „Kopfhaut-Psoriasis“ (Kopfhaut-Psoriasis) präsentiert Sabine Schmitz eine praktische Anleitung.
Einleitung
Psoriasis (Bai Bi, ⲭ⯅ oder im üblichen Sprachgebrauch
Niu Pi Xuan, ⢋Ⳟⲓ ist eine häufige chronische, wiederkehrende entzündliche Erkrankung der Haut, gekennzeichnet durch schuppige rötliche Plaques. Sie ist in der
Praxis sehr häufig anzutreffen. Von all den Hauterkrankungen, die ich in meiner Praxis sehe, ist Psoriasis eine der
häufigsten. Die Häufigkeit von Psoriasis variiert in der allgemeinen Bevölkerung verschiedener Länder zwischen
0,1% und 8%. Der Durchschnitt liegt bei etwa 2–3% der
Weltbevölkerung. Mit anderen Worten leiden etwa 120–
180 Millionen Menschen an Psoriasis und die Anzahl der
betroffenen Patienten steigt. Nach klinischer Beobachtung
beginnen bis zu 50% der Psoriasis-Fälle an der Kopfhaut.
Nach mehreren Monaten oder vielen Jahren können die
Läsionen sich über den ganzen Körper ausbreiten. Im späteren Stadium können auch der Rumpf und die Gliedmaßen betroffen sein, findet keine adäquate Behandlung statt.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Frühdiagnose von
Psoriasis capitis geschenkt werden, da diese Erkrankung
oftmals als einfach Kopfhautschuppung, seborrhoische
Dermatitis oder andere pathologische Hautleiden fehldiagnostiziert wird. Sie ist dann schwieriger zu behandeln,
die Behandlungsdauer verlängert sich und sie hat ernste
Auswirkungen auf die Lebensqualität des Patienten. Im
Vorfeld meiner Dissertation habe ich eine ausführliche Literaturrecherche zu diesem Thema durchgeführt. Interessanterweise sind Artikel, Texte oder Bücher über Kopfhaut-Psoriasis selten zu finden. Die Quellen, die ich
gefunden habe, äußern sich lediglich über Psoriasis im
Allgemeinen, nicht über Kopfhaut-Psoriasis im Speziellen.
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Des Weiteren sind die in der Literatur genannten Syndrome der Chinesischen Medizin fast immer dieselben, aber
niemals das, welches ich in der Praxis am häufigsten beobachte: „Hitze-Stagnation in der Leber-Leitbahn“. Für neue
Ansätze und daraus abgeleitete Behandlungsoptionen von
Kopfhaut-Psoriasis besteht daher dringender Bedarf.
Eine kurze Zusammenfassung der Definition
und Geschichte der Psoriasis (Bai Bi) in der
Chinesischen Medizin
Die Chinesische Medizin verfügt über eine lange Geschichte und gute Wirksamkeit in der Behandlung komplexer Hauterkrankungen, insbesondere bei Psoriasis. War
Ihnen bekannt, dass viele der alten Bücher im Bereich chinesischer Dermatologie Psoriasis bereits beschrieben haben? Seit dem Altertum bis zum heutigen Tag haben die
Chinesen Psoriasis mit vielen Namen benannt wie Bai Bi
(ⲭ⯅, weiße Kruste), Niu Pi Xuan (Pinienhaut-Flechte
oder alternativ Kuhhaut-Ekzem), Song Pi Xuan (ᶮⳞⲓ,
eine Art Flechte), Gan Xuan (trockene Flechte), Feng Xuan
(Wind-Flechte), She Feng (Schlangenwind) und Wan Xuan
(ausgedehnte Flechte). Abgesehen von all diesen Namen
erschienen auch Bezeichnungen wie Bai Ke Chuang (benannt nach den silberfarbenen Schuppen) oder Yin Qian
Feng (die Größe der Hautläsionen ist so groß wie eine
Kupfermünze und die Farbe ist silbern). Heutzutage wird
es jedoch meist als Bai Bi bezeichnet, da es in der Form
von Punkten mit weißer Zeichnung auftritt.
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Die Wirksamkeit von Long Dan Xie Gan Tang in der Behandlung von Psoriasis capitis
Die früheste altertümliche Beschreibung von Psoriasis aus
Sicht der Chinesischen Medizin entstammt dem Zhu Bing
Yuan Hou Lun (䄨⯵৏‫ן‬䄆; General Treatise on the Etiology and Symptomology of Diseases, 610), verfasst von
Chao Yuanfang (550–630) während der Daye-Periode der
Sui-Dynastie1.
Er beschrieb eine Erkrankung namens Gan Xian (Xian =
Flechte). Die Manifestation der Erkrankung wurde wie
folgt beschrieben: „Die Begrenzung der Hautläsion ist
deutlich erkennbar. Die Oberhaut wird dicker, sie ist runzelig, reißt und juckt. Die silbrigen Schuppen lösen sich
ab, wenn die Oberhaut gekratzt wird.“2 Die vermutlich
früheste Bezugnahme auf den Begriff „Bi“ ist im Wu Shi Er
Bing Fang (Prescriptions for Fifty-two Diseases, ca. 1065–
771 v. Chr.) zu finden. Dieses Buch berichtete über Shen Bi
(„Bi“ über dem Rumpf). Das Schriftzeichen „Bi“ bezeichnete zu dieser Zeit vornehmlich äußere Verletzungen.
Jahrhunderte später, in einem anderen von Qi Kun geschriebenen Buch mit dem Titel Wai Ke Da Cheng (ཆ、
བྷᡀ; Great Compendium of External Medicine, 1665,
Qing-Dynastie3), wurde Bai Bi erstmals als Bezeichnung
für eine Erkrankung gebraucht. Die Beschreibung in diesem Buch lautet wie folgt: „Die Hautläsionen bei einem
Patienten mit Bai Bi sind wie diejenigen von Masern und
Krätze, weißlich und juckend, mit silbrigen Schuppen,
auch bekannt als She Feng (Schlangenwind).“4 Später, im
Yi Zong Jin Jian (䟛ᇇ䠁䪁; The Golden Mirror of Ancestral Medicine, veröffentlicht 1749), dem berühmten Kompendium der Medizin der Qing-Dynastie, wurde Psoriasis
detailliert als unabhängige Erkrankung erörtert. Dort wird
geschrieben: „Die Pinienhautflechte ist benannt nach ihrer
Ähnlichkeit mit der rot und weiß gesprenkelten Haut der
Pinienbaumrinde. Der Juckreiz ist anhaltend. Bai Bi erhebt sich aus trockener weißer Haut in Form juckender
Flecken und Verschorfungen. Die schuppige weiße Haut
ist auf Kratzen zurückzuführen…“5
Zusammenfassend versteht das antike Konzept der Chinesischen Medizin die Pathogenese und Manifestation von
Psoriasis als Kombination interner und externer pathogener Faktoren. Externe pathogene Faktoren wurden zumeist zusammengefasst als „Wind“ (仾, Feng), „Trockenheit“ (⠕, Zao), „Hitze“ (✝, Re) und „Toxin“ (∂, Du), die
in die äußere Haut eindringen. Die moderne Chinesische
Medizin versteht Psoriasis jedoch meist im Sinne von
Blut-Hitze, die sich in der Folge zu Blut-Trockenheit und
Blut-Stase, Hitze oder Feuer-Toxin entwickelt. Meine Untersuchungen haben ergeben, dass altertümliche und moderne Bücher über Chinesische Medizin Psoriasis meist in
einem allgemeinen Sinne erörtern, nicht jedoch die Unterarten wie beispielsweise Kopfhaut-Psoriasis. Außerdem
wurde das in meiner Praxis am häufigsten auftretende
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Muster der Chinesischen Medizin, „Hitze-Stagnation in
der Leber-Leitbahn“, nicht ein einziges Mal erwähnt. Dies
stellt meiner Meinung nach einen klaren Informationsmangel dar, denn dieses Muster ist heutzutage recht häufig
zu beobachten.
Kopfhaut-Psoriasis (ཤ䜘䬦ኁ⯵; Tou Bu Yin
Xie Bing)
Psoriasis capitis (Kopfhaut-Psoriasis) ist eine besondere
Form der Psoriasis. Sie ist meist am Scheitel, am seitlichen
Kopf oder in Ohrennähe zu beobachten. Sie manifestiert
sich in Form roter hypertrophierter Plaques mit dicken
mehrschichtigen silbrig-weißen Schuppen. Kopfhaut-Psoriasis hat eine komplexe Ätiologie und in der westlichen
Medizin gilt ihre Ursache noch als unbekannt. Im Allgemeinen stellen Untersuchungsergebnisse einen Zusammenhang zwischen Psoriasis und einem entzündlichen
und immunologischen Mechanismus her, welcher höchstwahrscheinlich mit einer genetischen Prädisposition zusammenhängt, jedoch ist auch dies bis dato noch nicht
vollständig bestätigt worden. Bestätigt worden ist bislang,
dass Psoriasis durch Stress, Umweltfaktoren oder Infektionen wie beispielsweise gewöhnliche Erkältungen ausgelöst
werden kann. Besondere Faktoren wie z.B. bestimmte
Nahrungsmittel, Alkohol, Rauchen, abruptes Absetzen
von starken systemisch wirksamen topischen Kortikosteroiden und blutdrucksenkenden Arzneimitteln können
die Erkrankung verschlimmern. Auch bestimmte Arten
von Fertigrezepturen gegen Gelenkschmerz können die
Erkrankung verschlimmern, da sie häufig Arzneimittel
mit warmer Charakteristik enthalten. Die Haut wird häufig im Sommer besser und im Winter schlechter.
In der westlichen Medizin gibt es bis heute kein Heilmittel
für Kopfhaut-Psoriasis. Die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren verschiedenen Behandlungen zielen darauf ab, die
Intensität der Symptome zu lindern und sind nicht zufriedenstellend. Die derzeitigen Behandlungsverfahren reichen von topischen Anwendungen über systemische Therapie bis hin zu UV-Phototherapie. Sie sind für die Patienten oftmals belastend oder unangenehm. Orale Medikation
ist wegen der potenziellen unerwünschten Nebenwirkungen üblicherweise schweren Fällen vorbehalten. Die Einnahme von oralem MTX (Methotrexat) 6 oder Retinsäure
verursacht eine Vielzahl unerwünschter Nebenwirkungen
bezüglich des physischen und psychischen Zustandes des
Patienten.7 Äußerliche Anwendung von Salben, die Bestandteile wie Glukokortikoide beinhalten, haben nach
Absetzen der Hautbehandlung nur geringe Wirksamkeit
gezeigt und Rezidive und Verschlimmerungen sind beobachtet worden. Fast alle der genannten Methoden werden
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in der Behandlung von Psoriasis im Allgemeinen angewendet, aber da sie die betroffene Kopfhaut nicht erreichen können, scheinen sie weder vorteilhaft, noch nutzbringend oder effektiv für Patienten mit Kopfhaut-Psoriasis zu sein. Die Patienten sind frustriert und beginnen,
nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten zu suchen.
Eine geeignete Therapie, die weder Rezidive noch Verschlimmerungen verursacht, ist für diese Patienten wünschenswert. Chinesische Arzneimitteltherapie kann dieses
bieten und scheint eine vielversprechende Alternative in
der Behandlung von Kopfhaut-Psoriasis zu sein. Ein großer Vorteil der Chinesischen Medizin mit all ihren Methoden besteht darin, eine individuelle Behandlung zu ermöglichen, die vollkommen an die Bedürfnisse des Individuums angepasst ist, und die verschiedene Stadien und
Unterarten ihrem Erscheinungsbild entsprechend behandelt. Wie die klinische Erfahrung zeigt, bietet sie darüber
hinaus eine Vielfalt von Behandlungsmethoden, flexiblen
Gebrauch von Arzneimitteln, hohe Wirksamkeit, geringe
Rückfallquoten und wenige Nebenwirkungen. Weitere
Vorteile der Chinesischen Arzneimitteltherapie bestehen
darin, dass sie nicht nur eine effektive, sondern auch eine
sichere Behandlungsmethode für die meisten Patienten
darstellt.8 Außerdem scheint die Remission dauerhafter zu
sein. Zunächst ist es jedoch von größter Bedeutung, in den
Frühstadien eine korrekte Diagnose zu stellen, um eine
wirkungsvolle Therapie zu gewährleisten und eine Ausbreitung zu verhindern.
Die Pathogenese von Kopfhaut-Psoriasis nach der
Chinesischen Medizin
Die zugrundeliegende Ätiologie und Pathogenese von
Kopfhaut-Psoriasis sind recht kompliziert. In der Chinesischen Medizin geht man davon aus, dass Psoriasis durch
eine Interaktion äußerer und innerer pathogener Faktoren
(⯵䛚, Bing Xie) verursacht wird. Psoriasis im Allgemeinen muss den verschiedenen Stadien entsprechend durch
„Austreiben“ der pathogenen Faktoren während der aktiven und progressiven Phase sowie durch Unterstützung
und Stärkung während der regressiven (stabilen) Phase
behandelt werden. Es wird angenommen, dass Stress und
emotionale Faktoren wie Ärger oder Wut für den Krankheitsausbruch verantwortlich sind. Es ist auch häufig zu
beobachten, dass eine enge Beziehung zwischen Stress und
dem Konsum von Tabak und Alkohol besteht, insbesondere bei Männern. Durch meine ausgedehnte Literaturrecherche und klinischen Beobachtungen auf Basis der
TCM-Organ- und Meridian-Theorie fand ich heraus, dass
solche Manifestationen und Symptome der Kopfhaut-Psoriasis, wie sie am Scheitel zu finden sind, in enger Beziehung zu „Hitze-Stagnation in der Leber-Leitbahn“ stehen.
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Gemäß Chinesischer Medizin sind Leitbahnen grundlegende Bestandteile des menschlichen Körpers. Sie können
aber auch gleichermaßen diagnostische Hinweise auf die
beteiligten inneren Organe geben. Einerseits dienen die
Leitbahnen physiologisch als Transportwege für Qi und
Blut. Unter pathologischen Bedingungen können sie andererseits auch pathogenen Faktoren, z.B. Hitze, als Transportwege dienen. Die betroffene Leitbahn wird in der Folge auffällige Charakteristika aufweisen, beispielsweise
Hautveränderungen entlang des Leitbahn-Verlaufs wie im
Falle von Kopfhaut-Psoriasis. Der Hinterkopf (ཤ, Tou)
scheint der herkömmliche Bereich zu sein, in dem sich
Psoriasis manifestiert. Klinischen Beobachtungen zufolge
ist Kopfhaut-Psoriasis jedoch meistens am Haaransatz der
Stirn zu finden und dehnt sich manchmal leicht über den
Haaransatz hinaus aus. Gemäß der Meridiantheorie der
Chinesischen Medizin endet die Leber-Leitbahn am Scheitel und verbindet sich mit dem Lenkergefäß (Du Mai). Daher ist anzunehmen, dass an diesem Prozess mit großer
Wahrscheinlichkeit ein Leber-Muster beteiligt ist. Da die
Hautläsionen meist sehr rot sind, ist Hitze zu vermuten.
Die Leber-Leitbahn (Fuß-Jue Yin: 䏣৕䱤㛍㓿; Zu Jue Yin
Gan Jing) beginnt am dorsalen Bereich des Nagels des großen Zehs, kreuzt den Fußrücken, zieht am inneren Knöchel
entlang an der Innenseite des Beines hinauf durch Mi 6 (Sanyinjiao) hinter dem Rand des Knochens. Dann steigt sie
kontinuierlich an der medialen Seite des Unterschenkels entlang des medialen Bereichs des Knies und Oberschenkels
auf. Sie verläuft weiter entlang des medialen Bereichs des
Schenkels in die Lenden- und Schamregion, wo sie die äußeren Genitalien umkreist. Sie setzt sich dann aufwärts fort
in Richtung des unteren Abdomens, durch Le 13 (Zhangmen) und Le 14 (Qimen), tritt ins Abdomen ein und verläuft
am Magen entlang, um in Leber und Gallenblase einzutreten. Die Leber-Leitbahn steigt weiter zum Kranium auf, taucht
ins Diaphragma ein und verzweigt sich in der Rippenregion
und im Hypochondrium, verläuft dann aufwärts durch den
Hals zum Nasopharynx und erreicht schließlich das Auge,
von wo aus sie zum Scheitel (Krone) aufsteigt. Sie verbindet
sich dann mit dem Lenkergefäß (Du Mai) im Kreuzungspunkt Du 20 (Baihui).
Der Verlauf der Leber-Leitbahn macht die Beziehung zur
Lokalisation der Hautläsionen von Kopfhaut-Psoriasis auf
der Stirn und auf dem Oberkopf deutlicher. Die Hautläsionen sind am Haaransatz auf der Stirn lokalisiert und sie
sind gewöhnlich rot. Da sie oftmals durch Stress oder heftigen Ärger ausgelöst werden, wird angenommen, dass sie
durch Hitze in der Leber-Leitbahn verursacht werden. Die
Wurzel dieses Mechanismus liegt oft in einer Le-
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Die Wirksamkeit von Long Dan Xie Gan Tang in der Behandlung von Psoriasis capitis
Physiologie, Charakteristika und Pathologie der Leber
und des Qi
Abb. 1 Der Verlauf der Leber-Leitbahn (Abb. aus Deadman „Handbuch
Akupunktur” S. 466)
ber-Qi-Stagnation, durch welche Feuer entsteht, welches
später überschießend noch oben lodert. Fülle-Syndrome
der Leber-Leitbahn können zu zahlreichen klinischen
Symptomen führen, in jedem Fall jedoch führen sie aufgrund der aufsteigenden Richtung der Leber-Leitbahn zu
einem „Fülle-Zustand“ im Kopf. Da Feuer (in gemäßigter
Form: Hitze) ein Yang-Pathogen ist und es in der Natur
des Feuers liegt, nach oben zu lodern, werden Qi und Feuer immer in der Leitbahn nach oben steigen und sich im
Kopf stauen. Berücksichtigt man diesen Pathomechanismus bei der Behandlung von Kopfhaut-Psoriasis und/oder
der Verhinderung der Ausbreitung von Psoriasis über den
ganzen Körper, erzielt man gute Ergebnisse. Die Beruhigung des auflodernden Leber-Yang und die Klärung von
Leber-Hitze sind in diesem Zusammenhang ein vielversprechender Ansatz. Einfach ausgedrückt, muss das, was
nach oben steigt, nach unten gebracht werden, dann werden die Hautläsionen verschwinden.
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Die physiologischen Funktionen der Leber (㛍, Gan) bestehen u.a. darin, den freien Fluss des Qi zu gewährleisten, das
Blut zu speichern und die Geist-Seele Hun zu beherbergen.
Physiologisches Aufsteigen und ein feuriger Charakter
kennzeichnen die Leber und sie liebt es, frei und ohne einschränkende Barrieren zu agieren. Die Leber liebt außerdem Bewegung und Ausdehnung, sie bevorzugt Widerstandslosigkeit und hat eine Abneigung gegen
Unterdrückung, insbesondere die Unterdrückung von
Emotionen. Im Fall von Funktionsstörungen neigt die Leber zu Hyperaktivität und Rebellion. Pathologisch betrachtet, ist die Leber empfindlich gegen Yang-Hyperaktivität
und aufsteigenden Wind. Die Leber liegt im Abdomen auf
der rechten Seite des Hypochondriums und die Gallenblase
ist an sie gekoppelt. Beide Organe sind in einer Innen-Außen-Beziehung über ihre Leitbahnen verbunden. Als Folge
dieser engen Verbundenheit können pathologische Leber-Prozesse, die Gallenblase in Mitleidenschaft ziehen und
umgekehrt, was sich in der Klinik häufig beobachten lässt.
Wie zuvor erwähnt, kennzeichnen aufsteigende und bewegende Funktionen das Leber-Qi. Es ist sehr aktiv und
entschlossen. Die Leber reguliert und harmonisiert die
Bewegung des Qi im ganzen Körper. Das Qi ist im Allgemeinen sehr aktiv und in ständiger Bewegung. Die Bewegung des Qi ist bekannt als Qi Ji (≄ᵪ, Qi-Aktivität)9. Qi Ji
umfasst Aufsteigen (Aufwärtsbewegung) und Absteigen
(Abwärtsbewegung), Eintreten und Austreten. Es ist ein
fortwährender Zyklus von Bewegung und Veränderung
bis ans Ende des Lebens. Wenn diese Aktivitäten des Qi
harmonisch und frei von Behinderung sind, werden die
Funktionen der Zang Fu und der mit ihnen verbundenen
Leitbahnen normal sein. Grundlegende Prozesse wie
Transport und Verteilung von Qi und Blut, Essenz und
Körperflüssigkeiten, das Auf- und Absteigen von Milzund Magen-Qi sind normal. Alle inneren Organe werden
ihren physiologischen Funktionen nachgehen, die Emotionen sind harmonisiert und das Individuum fühlt sich
glücklich. Wenn diese Funktionen behindert sind und
vom Normalen abweichen, werden die Funktionen der
Zang Fu und der mit ihnen verbundenen Leitbahnen gestört. Würde man den Fluss des Qi mit Vorgängen in der
Natur vergleichen, so käme es dem Wachstum von Holz
gleich. Bäume wollen wachsen und ohne Hindernisse aufwärts streben. Sie wollen so hoch wie möglich in den
Himmel schießen. Sobald Hindernisse im Wege stehen,
stagnieren Wachstum und Aufsteigen. Das Wachstum ist
behindert und der Baum wird in der Regel versuchen, einen anderen Weg zu finden. Dies wird in den meisten Fällen nicht die natürliche Wuchsrichtung sein. Genauso ver-
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hält es sich mit dem Fluss des Qi. Sobald das Qi nicht
geschmeidig fließt, wird es blockiert und es stagniert. Das
Qi wird ebenfalls versuchen, seinen eigenen Weg zu finden. Im menschlichen Körper wird folglich jede unnatürliche Bewegung oder Veränderung die Gesundheit des Individuums beeinträchtigen.
Hitze-Stagnation in der Leber-Leitbahn (㛍㓿䛱✝, Gan
Jing Yu Re)
Die vorherrschende Pathologie der Leber manifestiert sich
als Unvermögen, den freien Fluss des Qi aufrechtzuerhalten, besser bekannt unter der Bezeichnung Leber-Qi-Stagnation. Dies ist sehr häufig zu beobachten, besonders
heutzutage als Folge von verstärkten Stressfaktoren, Umweltfaktoren und Überarbeitung. Leber-Qi-Stagnation
manifestiert sich üblicherweise in mentalen und emotionalen Symptomen wie Depression und Traurigkeit. Aber
auch physische Symptome wie ausstrahlender oder wandernder Schmerz im Hypochondrium, in der Brust oder
dem unteren Abdomen können beobachtet werden, da
sich Symptome meist entlang des Leitbahnverlaufs manifestieren. Die Leber-Leitbahn hat eine aufsteigende Flussrichtung. Daher werden Qi und Hitze dieser Richtung in
den oberen Bereich des Körpers und den Kopf folgen.
Lang andauernde Qi-Stagnation, als Ergebnis unterdrückter Emotionen, verwandelt sich zunächst in Hitze und später in Feuer. Dies vollzieht sich auf folgende Weise: Wenn
Qi für lange Zeit unterdrückt wird, kann es Feuer erzeugen, ganz ähnlich der steigenden Temperatur in einem
Motorgetriebe, das durch irgendetwas blockiert ist. Im
menschlichen Körper verhält es sich ebenso – Zeichen von
aufsteigender Hitze oder gar Feuer können häufig bei Patienten beobachtet werden, die für lange Zeit unter emotionalen Problemen leiden.
Abb. 2 Kopfhaut-Psoriasis zu Beginn der Behandlung
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Generell kann man sagen, dass Hitze das gemäßigte Stadium von Feuer ist und dass Feuer das Extremstadium von
Hitze ist. Beide sind Yang-Pathogene und es liegt in ihrer
Natur, emporzulodern. Leber-Hitze und Leber-Feuer unterscheiden sich lediglich in ihrem Schweregrad.10 Da Hitze dem Yang zuzurechnen ist, neigt sie dazu, Yin-Flüssigkeiten (Körper-Flüssigkeiten) zu konsumieren und das Qi
zu erschöpfen. Große Hitze treibt üblicherweise Yin-Flüssigkeiten aus dem Körper heraus und resultiert so in
Schwitzen, Durst mit einer Vorliebe kaltes Wasser zu trinken, einem trockenen Hals und trockener Zunge, dunklem
spärlichem Urin und Obstipation als Folge von Verbrauch
und Schädigung der Yin-Flüssigkeiten. Andere klinische
Manifestationen von Hitze-Stagnation in der Leber-Leitbahn betreffen Symptome in der Brust, dem seitlichen
Rippenbereich, Kopf, Gesicht, Augen und Ohren. Dies bedeutet, dass Fülle-Hitze sich in aufwärtsgerichteten Symptomen manifestiert und sie wird sich entlang des Verlaufs
der Leber-Leitbahn zeigen. Fülle-Hitze und emporloderndes Leber-Feuer insbesondere sind extrem komplex in ihren Erscheinungsbildern und führen zu zahlreichen anderen klinischen Symptomen wie roten oder gereizten
Augen, Zungengeschwüren, Zahnfleischentzündungen,
Zahnschmerzen, einem rotem Gesicht, Zorn, Wut, Unruhe, Reizbarkeit, Bluthochdruck und Schwindel, Kopfschmerzen, Tinnitus, Gehörproblemen, einem bitteren
Mundgeschmack und trockenen Hals, Schmerzen im Hypochondrium, Herpes, Schlaflosigkeit und lebhaften Träumen. Die Symptome an Augen, Ohren, Gesicht und Kopf
sind Zeichen, dass das Leber-Feuer innerlich lodert und
die Augen, Ohren, das Gesicht und den Kopf attackiert.
Der Schmerz im Hypochondrium ist ein Zeichen dafür,
dass die Leber nicht mehr in der Lage ist, den geschmeidigen Fluss des Qi gewährleisten zu können; dieses stellt die
zugrunde liegende Ursache der Störung dar. Die Qi-Dyna-
Abb. 3 Selber Patient wie in Abb. 2 nach 5 Wochen Behandlung
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Die Wirksamkeit von Long Dan Xie Gan Tang in der Behandlung von Psoriasis capitis
mik ist behindert und resultiert in aufgebläht sein, Brustschmerz und Schmerz im seitlichen Rippenbereich. Wut,
Zorn, Unruhe und Reizbarkeit sind Zeichen emotionaler
Stagnation, die die normalen Funktionen der Leber behindert, was letztendlich in Hitze resultiert. Tinnitus und ein
bitterer Mundgeschmack deuten darauf hin, dass das Leber-Feuer die Gallenblase angreift. Verstopfung und dunkler Urin zeigen an, dass Hitze die Körperflüssigkeiten verbraucht. Bei Frauen ist häufig zu beobachten, dass der
Menstruationszyklus verkürzt ist, zur Unregelmäßigkeit
neigt und dann meist von Schmerzen, Krämpfen und
Brustspannen begleitet ist, insbesondere an den Tagen vor
Menstruationsbeginn. Die Zunge ist rot, was auf Hitze im
Innern hindeutet. Abhängig davon, ob im Inneren mehr
oder weniger Feuchte-Hitze vorliegt, kann der Zungenbelag mehr oder weniger dick und gelb sein. Der Puls ist gespannt, schnell und kraftvoll, was auf Fülle-Hitze in der
Leber-Leitbahn hinweist.
Meiner Erfahrung nach wird Kopfhaut-Psoriasis hauptsächlich durch Hitze verursacht, insbesondere durch Hitze
in der Leber-Leitbahn. Wegen der aufsteigenden Richtung
von Hitze als Yang-Pathogen neigt sie dazu, in erster Linie
den Kopf zu attackieren. Da der Kopf der Sammelpunkt
aller Yang-Leitbahnen im Körper ist, werden die Psoriasisläsionen auf dem Kopf und/oder am Haaransatz am
schwerwiegendsten sein. Die Läsionen sind in der Regel
sehr rot, heiß, dick und sehr schuppig; oftmals begleitet
von Brennen und Jucken der Läsionen. Die rote Farbe, die
erhöhte Temperatur und das Brennen zeigen allesamt Fülle-Hitze an. Das Jucken ist das Ergebnis inneren Windes,
welcher durch Trockenheit und Blut-Mangel verursacht
wird. Fülle-Hitze verletzt das Yin und die Körperflüssigkeiten. Das Blut gerät in Mangel und die Haut wird nicht
mehr mit Feuchtigkeit versorgt. Auf diese Weise entsteht
eine ausgeprägte Schuppenbildung. Die Läsionen können
auch Rumpf und Beine erfassen. Aber nach meiner klinischen Beobachtung beginnen sie vorzugsweise auf der
Kopfhaut, bevor sie sich über den ganzen Körper ausbreiten. Daher ist es von größter Bedeutung, die Erkrankung
in einem frühen Stadium zu behandeln, bevor sie sich ausbreiten kann.
Psycho-emotionale Faktoren bei Patienten mit
Kopfhaut-Psoriasis
Die Chinesische Medizin verfolgt einen ganzheitlichen
Ansatz und der Mensch wird als Einheit von Körper und
Geist gesehen. Gemäß der Theorie der Chinesischen Medizin sind Emotionen äußere Manifestationen von funktionellen Aktivitäten der inneren Organe, und das essentielle
Qi der Organe ist die materielle Basis für die Entstehung
von Emotionen. Normalerweise machen Emotionen nicht
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krank, sie sind ein normaler und natürlicher Teil unserer
menschlichen Existenz. Nur wenn emotionale Stimuli und/
oder Veränderungen zu stark, zu überschießend oder zu
andauernd sind, können sie sich in pathogene Faktoren,
nämlich „endogene (innere) pathogene Faktoren“ verwandeln. Nur dann können sie Krankheiten verursachen.
Die Chinesische Medizin geht davon aus, dass ein ungehinderter und freier Fluss des Qi in direkter Beziehung zu
emotionalen Funktionen steht. Wenn die Funktionen des
Qi normal sind, können Qi und Blut sich harmonisch bewegen und das Individuum ist heiter und kann Glück und
Freude genießen. Leber-Qi-Stagnation bringt das Leber-Qi
leicht zum Aufsteigen und stört die harmonische Interaktion zwischen Körper und Geist. Wutausbrüche können
dann eine Folge sein. Andererseits kann extremer Ärger
und Wut auch Leber-Qi-Stagnation verursachen. Wie zuvor erwähnt, vollzieht sich dies wie eine Kettenreaktion.
Sobald die Leber behindert ist, wird die betreffende Person Ärger und Zorn empfinden. Der gesteigerte Ärger
oder sogar Wut wird die Leber weiter schädigen, was in
noch mehr Ärger, Zorn oder Wut resultiert, welche dann
weiter die Leber schädigt, und so geht es immer weiter.
Diese Abfolge muss unterbrochen werden, um dem Patienten helfen zu können.
Wenn man über die Leber spricht, scheinen die negativen
Attribute oftmals im Vordergrund zu stehen. Es gibt auch
viele positive psycho-emotionale Aspekte der Leber, die für
die Persönlichkeit des Individuums förderlich sein können.
Diese umfassen Freundlichkeit, Güte, Mitgefühl und
Großzügigkeit. Negative Attribute sind Ärger, Reizbarkeit,
Frustration, Neid, Zorn und sogar Depression. Der Begriff
„Ärger“ sollte jedoch genauer interpretiert werden. Viele
artverwandte Gefühlszustände stehen dazu in Beziehung
wie beispielsweise unterdrückter Ärger, Frustration, Zorn,
Empörung oder Verbitterung. Sowohl Ärger wie auch die
Leber repräsentieren das Holz-Element. Gemäß der Theorie der Chinesischen Medizin bringt Holz stets Feuer hervor. Auch langanhaltender oder unterdrückter Ärger bringt
das Qi stets zum Aufsteigen und schädigt die Leber. Das
bedeutet, dass Ärger das Leber-Feuer zum Emporlodern
bringt. Feuer hat aufgrund seiner aufsteigenden Natur keine andere Wahl. Das Huang Di Nei Jing (哳ᑍ‫ޗ‬㏃; Der
Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin) aus der
Zeit zwischen der späten Periode der Streitenden Reiche
und der frühen Han-Periode stellt beispielsweise fest: „Ärger korrespondiert mit der Leber/Holz und exzessiver Ärger schädigt die Leber“ (Su Wen, Kapitel 5 und 67). Die
„Abhandlung über Krankheit“ im Su Wen stellt fest: „Wenn
das Qi eines Menschen, beispielsweise durch Hass oder Ärger gegenläufig aufsteigt und nicht absteigen kann, schädigt dies die Leber.“11 Und die „Abhandlung über Schmerz“
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im Su Wen erklärt: „Ärger erzeugt gegenläufiges Qi.“12 Die
klassische Literatur hat viele Arbeiten über Emotionen und
deren Beziehung zu den korrespondierenden Organen
hervorgebracht. Die Emotion „Ärger“ ist in negativem Sinne sehr kraftvoll. So mächtig Ärger ist, so stark kann er den
geordneten und freien Fluss der Qi-Dynamik beeinträchtigen. Wenn die auf- und abwärtsgerichtete Qi-Dynamik
gestört wird, wird das Qi eingeengt und stagniert, was üblicherweise in eine Transformation in Feuer mündet. Die
negativen Folgen können im individuellen Fall schwerwiegend sein. Da schnelle Bewegungen ein Kennzeichen pathogener Hitze sind, zeichnen sich durch Hitze verursachte
Symptome durch plötzliches Einsetzen und schnelle Ausbreitung aus. Dies kann bei Patienten mit Kopfhaut-Psoriasis, die eine schwere Episode von Stress oder Phasen wiederkehrenden Ärgers durchleben, häufig beobachtet
werden. Die Hautläsionen auf der Kopfhaut entwickeln
sich sehr schnell und sind unmittelbar nach einem heftigen
Ausbruch feuerrot. Die Haut ist warm und die Läsionen
sind feuerrot und juckend, unter Umständen begleitet von
Brennen. Als Folge der Hitze im Blut neigt die Haut nach
dem Kratzen zum Bluten, was als „Auspitz-Phänomen“ (㹰
䵢⧠䊑, Xue Lu Xian Xiang) bekannt ist.
Wie zuvor erwähnt, geht die Chinesische Medizin davon
aus, dass Kopfhaut-Psoriasis durch Stress oder emotionale
Faktoren wie Ärger oder Zorn ausgelöst wird. Ärger und
Funktionen der Leber beeinflussen sich stets gegenseitig.
Übellaunigkeit und Emotionen wie Zorn behindern stets
zuerst die Leber und sollten unter allen Umständen vermieden werden. Außerdem konsumieren Patienten oftmals
Alkohol oder Zigaretten, um Stress-Situationen oder Überarbeitung zu kompensieren. Alkohol, Zigaretten und scharf
gewürzte Speisen gelten als negative Faktoren, die zusätzlich
Hitze in der Leber verschlimmern oder auslösen und Psoriasis aufflackern lassen können. Patienten berichten auch,
dass sich Läsionen nach Weinkonsum röten und stärker
jucken. Daher sollten Alkohol, Zigaretten (Alkohol mehr
als Zigaretten), ölige und scharf gewürzte Nahrungsmittel
sowie Stress unter allen Umständen gemieden werden. Oftmals sind mehrere Faktoren präsent, doch der entscheidende Faktor ist Hitze. Man muss sein Augenmerk immer auf
innere Hitze richten. Daher besteht das folgerichtige Behandlungsprinzip in der Ausleitung der Hitze aus der Leber-Leitbahn, um die Haut von der Entzündung zu befreien.
anae Radix Dekokt, das die Leber entlastet). Warum jedoch ist diese Rezeptur so wirkungsvoll in der Behandlung
von Kopfhaut-Psoriasis? Meiner Ansicht nach ist diese Rezeptur die beste und passendste für Patienten mit Kopfhaut-Psoriasis mit dem Muster „Hitze-Stagnation in der
Leber-Leitbahn“, gekennzeichnet durch folgende Symptome: rote, entzündliche Plaques auf dem Oberkopf und/
oder am Haaransatz, Ausschläge und Flecken unterschiedlicher Größe, mehrschichtig aufliegende silbrig-weiße
Schuppen; Auspitz-Phänomen positiv, jedoch nicht obligat. Die Hautläsionen können auch, wie oben beschrieben,
von Symptomen emporlodernden Leber-Feuers begleitet
sein. Die Zunge ist üblicherweise rot und der Puls gespannt, schnell und kraftvoll. Die Patienten berichten unter Umständen über eine Verschlimmerung der Hauterkrankung nach Aufregung, Ärger/Wut oder Stress-Situationen. In der täglichen Praxis werden Ärger und Stress als
auslösende Faktoren jedoch häufig bestätigt – dann kann
man sicher sein, dass die Verwendung dieser Rezeptur angemessen ist.
Schauen wir uns diese Rezeptur genauer an. Long Dan Xie
Gan Tang ist eine relative „junge“ Rezeptur. Die erste Erwähnung der Rezeptur findet sich im Yï Fang Jí Jiê (䟛ᯩ
䳶䀓; Medical Formulas Collected and Analyzed, 1682,
Qing-Dynastie), verfasst von Wáng Áng (⦻ᰲ). Mehr als
700 Rezepturen sind in diesem Buch verzeichnet. Der Autor schrieb über die Rezeptur, dass sie Hitze aus den Organen klären kann und listete die folgenden Syndrome auf,
bei denen Long Dan Xie Gan Tang Anwendung findet:
1. Fülle-Hitze in Leber und Gallenblase
2. Aufsteigendes Leber-Feuer und
3. Feuchte-Hitze in der Leber.
„Long Dan Xie Gan Tang kühlt Hitze ohne Stase zu erzeugen, zerstreut pathogenes Qi und lässt es absteigen, ohne
das normale Qi zu verletzen. Es ist eine hervorragende Rezeptur zur Behandlung der Symptome und der zugrunde
liegenden Mechanismen, die mit Fülle-Hitze in Leber und
Gallenblase verbunden sind…”13 Die Rezepturbestandteile
sind:
Long Dan Cao (喽㟭㥹; Gentianiae Radix et Rhizoma)
Huang Qin (哳㤃; Scutellariae Radix)
Zhi Zi (Ễᆀ; Gardeniae Fructus)
Chai Hu (Ḥ㜑; Bupleuri Radix)
Mu Tong (ᵘ䙊; Akebiae Caulis)
Che Qian Zi (䓺ࡽᆀ; Plantaginis Semen)
Long Dan Xie Gan Tang (喽㟭☹㛍⒟;
Gentianae Radix Dekokt, das die Leber
entlastet)
Die Rezeptur der Wahl zur Klärung von Hitze-Stagnation
aus der Leber-Leitbahn ist Long Dan Xie Gan Tang (Genti-
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Ze Xie (◔☹; Alismatis Rhizoma)
Sheng Di Huang (⭏ൠ哳; Rehmanniae Radix)
Dang Gui (⮦↨; Angelicae Sinensis Radix)
Gan Cao (⭈㥹; Glycyrrhizae Radix et Rhizoma)
Die Hauptbestandteile der Rezeptur und die wichtigsten
zur Behandlung von Kopfhaut-Psoriasis sind: Long Dan
Qi · Zeitschrift für Chinesische Medizin
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Die Wirksamkeit von Long Dan Xie Gan Tang in der Behandlung von Psoriasis capitis
Cao, Huang Qin und Zhi Zi. Wenn Fülle-Hitze in der Leber emporlodert, erzeugt es typische Läsionen, die u.a. rot,
heiß, dick, brennend sind. Wenn die Fülle-Hitze der Leber
aus der Leber-Leitbahn ausgeleitet ist, werden die Läsionen verschwinden. Die Methode des Klärens und Ausleitens bedient sich bitter-kalter Arzneimittel wie Long Dan
Cao, Huang Qin und Zhi Zi, begleitet von nährenden, besänftigenden und zerstreuenden Arzneimitteln in Übereinstimmung mit der Natur der Leber, welche dem Charakter nach Yin und der Funktion nach Yang ist.
Long Dan Cao dient als Hauptarzneimittel, da es die wichtigsten Funktionen erfüllt. Huang Qin, Zhi Zi und Chai Hu
sind die drei Minister in dieser Rezeptur. Mu Tong, Che
Qian Zi, Ze Xie, Sheng Di Huang und fungieren als Assistenten. Gan Cao fungiert als Botschafter und wird in der
Rezeptur als Botenarzneimittel verwendet. Long Dan Cao
ist von extrem bitterem Geschmack und von extrem kaltem Charakter. Dies macht das Arzneimittel höchst wirkungsvoll, nicht nur hinsichtlich der Ausleitung von Feuer
aus Leber und Gallenblase, sondern auch bezüglich der
Ausleitung von Feuchte-Hitze aus der Leber-Leitbahn.
Huang Qin und Zhi Zi helfen Long Dan Cao als Hauptarzneimittel der Rezeptur bei der Ausleitung von Feuer und
dem Austreiben von Feuchtigkeit. In der Behandlung der
Leber ist es wichtig, bittere und kalte Arzneimittel einzubeziehen. Bitteren Arzneimitteln wie Long Dan Cao, Zhi Zi
und Huang Qin, werden üblicherweise Hitze ausleitende
und Hitze klärende Wirkungen zugeschrieben. Gemeinhin wird gesagt, dass das durch Ärger entzündete Leber-Feuer mit Arzneimitteln wie Huang Qin geklärt werden muss. Bei Kopfhaut-Psoriasis wäre Huang Qin sicher
nicht ausreichend. Long Dan Cao muss hinzugefügt werden, um die Feuer eliminierende Wirkung zu maximieren.
Um die bitteren und kalten Eigenschaften von Long Dan
Cao, Huang Qin und Zhi Zi zu minimieren, können sie als
Pao Zhi (präparierte Arzneimittel) verwendet werden. Die
Arzneimittel werden dann trocken geröstet (Chao). Ich
verordne diese Zubereitungsmethode oft bei Huang Qin
und Zhi Zi, wenn ich lang bestehende Hauterkrankungen
behandele.
Der Leber wohnt das Verlangen nach Ausbreitung und
Zerstreuung inne. Chai Hu zerstreut durch behindertes
Leber-Qi entstandene Hitze. Es besänftigt das Leber-Qi
und leitet die anderen Arzneimittel zur Leber-Leitbahn.
Da Chai Hu ein scharf-bitteres Aroma hat, kann es Stagnation direkt zerstreuen. Daher wird es im Allgemeinen für
eine Störung empfohlen, die durch eine Stagnation des Leber-Qi gekennzeichnet ist. Wenn es mit Huang Qin kombiniert wird, kann es Leber-Feuer klären, welches durch
Leber-Qi-Stagnation verursacht ist. Mu Tong, Che Qian Zi
und Ze Xie leiten Hitze aus dem Oberen Erwärmer ab und
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Qi · Zeitschrift für Chinesische Medizin
eliminieren Feuchte-Hitze über den Urin. Da das Leber-Feuer einen Weg benötigt, auf dem es den Körper verlassen kann, wird ihm dies durch Kombination harntreibender Arzneimittel ermöglicht. Man kann ausleitende
Arzneimittel wie Mu Tong und Ze Xie aus dieser Rezeptur
entfernen und sie so geeigneter für die Behandlung von
Feuer machen, ohne das Yin zu sehr zu schädigen. Wenn
mehr Feuchte-Hitze anwesend ist, kann man diese Arzneimittel wieder hinzufügen. Man würde die Lokalisation der
Läsionen wegen des schweren Charakters von Feuchtigkeit eher in den unteren Bereichen des Körpers erwarten.
Dies schließt sich jedoch aus, wenn von „Kopfhaut“-Psoriasis die Rede ist. Blut und Yin werden leicht verbraucht,
wenn Feuer-Hitze in der Leber in Fülle ist. Außerdem sind
die Bestandteile dieser Verschreibung von bitterer, kalter
und trocknender Natur und Arzneimittel wie Chai Hu
neigen dazu, das Yin zu verletzen. Daher werden Dang Gui
und Sheng Di Huang zum Nähren von Blut und Yin hinzugefügt, um Blut und Yin zu schützen, während die Feuer-Hitze eliminiert wird. Gan Cao rundet die Verschreibung ab und es tonisiert und harmonisiert den Magen.
Long Dan Xie Gan Tang lindert und bessert die Hautläsionen, da es Feuer in der Leber-Leitbahn aus dem Oberkörper, besonders aus dem Kopf, eliminiert. Diese einfache
Erklärung reicht aus um zu verstehen, warum diese Rezeptur in der Behandlung von Kopfhaut-Psoriasis so wirkungsvoll ist. Da die aufsteigende Hitze die Symptome am
Kopf verursacht, ist es von größter Wichtigkeit, die zugrundeliegende Ursache zu eliminieren, dann kann Hitze
(in schwereren Fällen Feuer) verschwinden. Das Behandlungsprinzip lautet demnach: Eliminierung der Wurzel,
dann kann das Feuer nicht länger aufsteigen und Symptome verursachen. Je röter und heftiger die Läsionen auf der
Kopfhaut sind, desto mehr sollte der Schwerpunkt mit bitteren und kalten Arzneimitteln wie Long Dan Cao, Huang
Qin und Zhi Zi auf Ausleitung von Hitze und Feuer gelegt
werden. Sobald das Feuer reduziert ist, kann die Dosierung von Long Dan Cao vermindert und später aus der
Rezeptur entfernt werden, um das Verdauungssystem zu
schützen. Xia Ku Cao (Prunellae Spica Vulgaris) könnte
dann stattdessen hinzugefügt werden, um das Leber-Qi zu
bewegen und die Leber-Hitze zu kühlen. Xia Ku Cao bewegt sich zur Leber-Leitbahn und ist in der Lage, Leber-Hitze zu vermindern wie auch das Leber-Qi zu bewegen.
Beispiele für Modifikationen
Bei sehr dicken und roten Plaques auf der Kopfhaut ist Bai
Xian Pi (Dictamni Cortex) oder Bai Hua She She Cao (Hedyotis Diffusae Herba) hinzuzufügen. Diese Pflanzen werden oft bei Hauterkrankungen mit dicken, roten Läsionen
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Schwerpunkt
verwendet. Sie haben eine stark Hitze klärende Wirkung
und lösen Toxizität auf; sie sind ebenso in der Lage Abszesse zu verkleinern. Tu Fu Ling (Smilacis Glabrae Rhizoma) ist wegen seiner kühlenden und entgiftenden Wirkung ebenfalls häufig in der Behandlung von
Kopfhaut-Psoriasis anzutreffen. Auch Tu Fu Ling klärt
wirkungsvoll Hitze und beseitigt Toxizität. Man kann es
bei deutlich hypertrophierten Plaques verwenden. Bei
(chronischen) juckenden Kopfhautläsionen haben
„Wind-Arzneimittel“ erfahrungsgemäß selten eine gute
Wirkung. „Wind-Arzneimittel“ wie Fang Feng (Saposhnikoviae Radix) und Jing Jie (Schizonepetae Herba) sind trocken und verschlimmern manchmal sogar die Symptome
wegen schon bestehender Trockenheit und Blut-Mangel.
In diesem Fall sind den Geist beruhigende Arzneimittel
wie Ye Jiao Teng (Polygoni Multiflori Caulis; Alternativename Shou Wu Teng) oft effektiver. Alternativ kann Bai
Xian Pi gegeben werden, um den durch Inneren Wind
verursachten Juckreiz zu lindern. Es klärt Hitze, treibt
Wind aus und trocknet Feuchtigkeit. Diese Pflanze wird
oftmals mit Quan Xie (Scorpio) – falls erhältlich – kombiniert, um die Wirkung zu verstärken.
Patienten beklagen sich manchmal über den bitteren Geschmack dieser Rezeptur. Aber sobald sie eine Besserung
ihrer Erkrankung feststellen, tolerieren sie den Geschmack. Müssen wir nicht alle ab und an eine bittere „Pille“ Abkochung schlucken, um das erwünschte Resultat zu
erlangen?
Schlusswort
Die Anwendung Chinesischer Medizin bei Patienten mit
Kopfhaut-Psoriasis zeichnet sich durch zahlreiche Vorzüge aus. Chinesische Medizin und insbesondere Chinesische Arzneimitteltherapie, als Ergänzung oder als eigenständige Therapie, zeigt in der Behandlung von
Kopfhaut-Psoriasis große Wirksamkeit. Long Dan Xie Gan
Tang bietet eine sichere und wirksame Behandlungsmethode bei Kopfhaut-Psoriasis mit dem Syndrom stagnierter Hitze in der Leber-Leitbahn.14 Meiner Ansicht nach ist
Hitze in der Leber-Leitbahn die Hauptursache in der Pathogenese von Kopfhaut-Psoriasis. Durch Anwendung
Chinesischer Medizin kann man die Erkrankung in einem
frühen Stadium kontrollieren und die Ausbreitung neuer
Läsionen vom Kopf über den ganzen Körper verhindern
und die Lebensqualität des Patienten somit verbessern.
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Persönliche Anmerkung
Ich möchte meiner ehemaligen Tutorin Prof. Ma Lili (傜
ѭ‫ )؀‬in China danken. Ihr Wissen und ihre Kompetenz
sind für meine Arbeit im Bereich der Chinesischen Dermatologie von unschätzbarem Wert gewesen.
Sabine Schmitz,
praktiziert Akupunktur und Chinesische
Arzneimitteltherapie in Köln. Ihre Praxisschwerpunkte sind Chinesische Gynäkologie und Chinesische Dermatologie.
www.chinamed-koeln.de
Der Artikel erschien auf Englisch in der „Lantern – Journal of Traditional Chinese Medicine“ (Vol. 12 No. 2). Wir
danken für die freundliche Abdruckgenehmigung.
Übersetzung ins Deutsche von Alanis Lux.
Anmerkungen
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4
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7
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13
14
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Sui-Dynastie, 䲻 (581-618 n. Chr.)
Zhu Bing Yuan Hou Lun (General Treatise on the Etiology and Symptomology of Diseases), verfasst von Chao Yuanfang
Wai Ke Da Cheng (Great Compendium of External Medicine), verfasst
von Qi Kun
Wai Ke Da Cheng (Great Compendium of External Medicine), verfasst
von Qi Kun
Yi Zong Jin Jian (The Golden Mirror of Ancestral Medicine)
Methotrexate data sheet, US Food and Drug Administration (FDA), Ref.
3033070, rev. October 2011
Medication Guide for Non-Steroidal Anti-Inflammatory Drugs
(NSAIDS): US Food and Drug Administration (FDA), August 2007
Über den gesamten Verlauf meiner Studie verfolgten wir den Psoriasis
Scalp Severity Index (PSSI score) von 35 Patienten mit Kopfhaut-Psoriasis mit dem Syndrom stagnierter Hitze in der Leber-Leitbahn. Die statistische Wirksamkeit vor und nach der Behandlung und alle unerwünschten Nebenwirkungen von Long Dan Xie Gan Tang wurden ermittelt.
http://www.tcmwiki.com/wiki/the-Liver
Shi Lin Yan: Pathomechanisms of the Liver (Gan Bing Zhi Bing Ji), S. 174
“Treatise on Sickness” (Abhandlung über Krankheit), Su Wen – gefunden auf www.paradigm-pubs.com
“Treatise on Pain”(Abhandlung über Schmerz), Su Wen – gefunden auf
www.paradigm-pubs.com
Scheid V., Bensky D., Ellis A. and Barolet R.: Formulas & Strategies (2nd
Ed., 2009), S. 200
Ich beobachtete fünf vollständige Fallgeschichten von Kopfhaut-Psoriasis. Nach Anwendung von Long Dan Xie Gan Tang über zwei bis vier
Wochen zeigten alle fünf Patienten eine Besserung ihrer Läsionen. Die
Läsionen wurden heller, juckten weniger und hatten weniger Schuppen.
35 Patienten wurden vor und nach der Behandlung unter Anwendung
des PSSI beurteilt. Bei allen Patienten wurde ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt. Nach oraler Gabe von modifiziertem Long Dan Xie Gan
Tang während 8 aufeinanderfolgender Wochen senkte sich der PSSI-Score signifikant. Das zeigt, dass diese Rezeptur in der Behandlung von
Kopfhaut-Psoriasis über gute Wirksamkeit verfügt.
Qi · Zeitschrift für Chinesische Medizin
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