John, das Krokodil - Dr. Sissi Paersch

Interview
John, das Krokodil
1000 Kilometer Nonstop, eine Million Dollar Preisgeld. Das MungaRace wollte 2014 für Furore sorgen, wurde aber abgesagt.
Nun, ein Jahr später, wurde das Rennen doch noch ausgetragen.
Millionär wurde Sieger John Ntuli aber leider nicht.
Interview: Sissi Pärsch
John, Du hast The Munga gewonnen,
das letztes Jahr ein Preisgeld von einer
Million Dollar ausgeschrieben hatte –
bis der Sponsor absprang. Für Deinen
Sieg hast Du jetzt nur 2000 Euro eingeheimst. Denkst Du manchmal: Mensch,
ich könnte jetzt Millionär sein?
Oh ja, da habe ich tatsächlich dran gedacht.
Des Öfteren. Ich als Million-Dollar-Man. Das
wär’s. Man muss dazu sagen, dass ich nicht
gerade mit viel Geld aufgewachsen bin.
Wie bist Du aufgewachsen?
Ich komme aus Empangeni, einer Stadt in
der Provinz KwaZulu-Natal an der Ostküste
Südafrikas. Wir hatten nicht viel. Aber Sport
war schon immer meins. Ich weiß nicht, was
sonst aus mir geworden wäre. 2010 stieß ich
dann bei einem Lauf-Event in der Nähe von
Durban auf die Organisation Change a Life,
die benachteiligte Kids in einer Sportakademie fördert. Über sie kam ich aufs Rad, und
heute ist das mein Beruf. Ich bin Coach des
Change-a-Life-MTB-Teams mit inzwischen
elf Fahrern. Es ist mein Traum-Job. Ich liebe
das Biken, trainiere selbst sechs Tage die
Woche und fördere dabei Jungs, die so sind
wie ich: Einige von ihnen haben zu Hause
keinen Strom oder fließend Wasser, aber sie
haben einen Willen und eine Begeisterung in
sich. Wenn sie mal eine Chance bekommen,
dann tun sie alles, um sie auch zu nutzen.
Für die wenigen
»Chancen
im Leben, die
Fotos: Erik Vermeulen
man bekommt, muss man
alles geben.
92 BIKE 02-16
Diese Einstellung war sicherlich auch
prägend für das Rennen?!
Absolut. Ich will immer das Beste aus mir
herausholen, setze mir ein Ziel und beiße
mich fest. Mein Spitzname ist Ngwenya, das
Krokodil. Für die wenigen Chancen, die man
im Leben bekommt, muss man alles geben.
Ebenfalls sehr hilfreich für The Munga war,
dass ich weiß, wie es ist, allein auf sich gestellt
zu sein. Es gab lediglich Verpflegungs- und
Schlafstationen, sonst keinerlei Unterstützung. Ich habe für mich selbst gekämpft –
und für meinen Förderer Martin Dreyer.
Wie hast Du Dein Bike für den MungaDauereinsatz gerüstet?
Ich fahre ein südafrikanisches Bike, ein Pyga,
das ich noch ein wenig getuned habe. Dazu
ein paar Packtaschen mit Tools und ErsatzAkkus. Ich hatte eine Stirnlampe und eine
Lampe vorne am Lenker. Mein Reserve-Akku
war am zweiten Tag um 3 Uhr morgens
alle. Aber ich konnte mit der Helmlampe
gut sehen.
Hast Du über die 1000 Kilometer, die
69 Stunden und 10 Minuten überhaupt
geschlafen?
Ja, allerdings nicht so, wie ich es geplant
hatte. Ich hatte am ersten Tag heftige Kopfschmerzen und musste pausieren. Ich wollte
mich nur 15 Minuten ausruhen. Daraus
wurde dann ein zweistündiger Tiefschlaf.
Alle anderen waren weit vor mir, aber ich
fuhr weiter, als sie ihre Pausen machten und
sammelte einen nach dem anderen ein. Ich
schlief in der zweiten Nacht noch einmal für
15 Minuten am Wegesrand. Gegen Ende sagte
man mir, dass ich 70 Kilometer Vorsprung
habe und alle meinten: John, schlaf jetzt!
Aber ich war zu aufgeregt und wollte nur
noch ins Ziel.
Was tat am meisten weh?
Der Po. Auf den letzten 270 Kilometern war
das ganz grausam. Ich habe aus Verzweiflung
mein Shirt und meine Armlinge um den Sattel
drumgewickelt, um eine Po-Pufferzone zu
schaffen. Es blieb eine Qual, aber eigentlich
die einzige.
Gehst Du nächstes Jahr wieder an den
Munga-Start?
Aber sicher, ich habe ja einen Titel zu verteidigen und will meine Zeit auch verbessern.
Ein Traum wäre es natürlich, wenn ich mit
einem der Jungs aus meinem Team starten
könnte. Dieses Rennen ist speziell. In den
Tagen und Nächten auf dem Sattel wird dir
bewusst, was du leisten kannst. Vom Körper
her, aber auch vom Geist.
Hast Du den Schlafentzug trainiert?
Nein, den nicht. Aber das Biken im Dunkeln.
Ich hab mich des Öfteren um Mitternacht
von meiner Frau verabschiedet und bin zum
Training gestartet.
Im Dunkeln zu fahren, ist das Eine.
Aber die Strecke an sich war ja auch
eine Herausforderung, oder?
1070 Kilometer und durchgehend anspruchsvoll. Ein ständiger Wechsel. Einmal frisst
sich dein Rad in den Sand, dann polterst
du über Steine. Viele Höhenmeter, der Wind
prescht dir entgegen oder haut dich manchmal
von der Seite fast um. Dazu kommen heiße
Temperaturen und Schlafmangel – und ein
Hintern, der zu schmerzen beginnt.
The Munga
The Munga ist ein Nonstop-Selbstversorgerrennen
über 1000 Kilometer von Bloemfontein, im Herzen
Südafrikas, nach Stellenbosch im Südwesten. Die
Einzelstarter haben für die harte Strecke fünf Tage
Zeit, können selbst entscheiden, ob und wann sie
schlafen und essen. Hilfe von außen gibt es nicht,
allerdings fünf Verpflegungsstationen. An den Start
gingen Anfang Dezember 43 Biker, ins Ziel kamen
32. Sieger John Ntuli brauchte 69 Stunden und 10
Minuten. Organisiert wird das Ganze von Alex Harris,
einem Extremsportler mit extremen Ambitionen:
Er will für das Rennen ein Preisgeld von 1 Million
Dollar ausschreiben. http://themunga.com
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