KUNSTSTOFF XTRA FORSCHUNG & ENTWICKLUNG Integrative Barrieresimulation PET-Flaschen für lange Haltbarkeit Auch verderbliche Lebensmittel wie Saft oder Milch werden zunehmend in PET-Flaschen abgefüllt. Da schon geringe Mengen Sauerstoff die Haltbarkeit dieser Produkte stark beeinträchtigen, werden hohe Anforderungen an die Barriere der Flasche gestellt. Damit diese Anforderungen bereits in der Entwicklungsphase berücksichtigt werden können, wurde in einem Forschungsprojekt am IKV in Aachen untersucht, wie genau die Barriereeigenschaften simulativ ermittelt werden können. Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET) etablieren sich zunehmend als Verpackung für aseptisch abgefüllte Produkte wie Säfte und Milch. Bei diesen Produkten dürfen wegen der starken Beeinträchtigung der Haltbarkeit durch die Sauerstoffaufnahme strenge Grenzwerte nicht überschritten werden [1]. Für nicht beschichtete PET-Flaschen gilt der Zusammenhang: Je dicker die Flaschenwand, desto besser die Barriere. Dieses Vorgehen steht allerdings im Gegensatz zu dem Bestreben, den Materialeinsatz und somit die Kosten der Flasche zu reduzieren (Lightweighting). Bei dem Design und der Auslegung neuer Flaschen für Saft oder Milch ist somit eine Balance zwischen Lightweighting und Barriere zu finden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurde am Institut für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen (IKV) eine integrative Simulation zur Berechnung der Barriereeigenschaften gegen Sauerstoff von PET-Flaschen bestehend aus einer gekoppelten Prozess- und Permeationssimulation entwickelt. Die Prozesssimulation bildet den zweistufigen Streckblasprozess ab. Dieser hat sich für die Herstellung von qualitativ hochwertigen KunstProf. Dr. Ing. Christian Hopmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung an der RWTH Aachen und Leiter des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) 2 Benjamin Twardowski, M.Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im IKV und arbeitet auf dem Gebiet Streckblasformen/CAE 3 Stefan Oertel studiert Maschinenbau mit der Vertiefung Kunststofftechnik an der RWTH Aachen Quelle: IKV Christian Hopmann1, Benjamin Twardowski2 , Stefan Oertel3 Bild 1: Permeationskoeffizienten bei verschiedenen Temperaturen und Verstreckgraden. stoffhohlkörpern aus PET mit guten mechanischen und optische Eigenschaften bewährt [1]. Die neu hinzugefügte Barrieresimulation nutzt die Wanddicke und die Verstreckgrade der Prozesssimulation, um die Sauerstoffpermeation vorherzusagen. Im Vergleich zu empirischen Versuchen verspricht die Simulation im Entwicklungsstadium neuer Verpackungen eine schnellere und kostengünstigere Vorhersage der Barriereeigenschaften, so dass weder die Fertigung eines möglichen Kandidaten der Flasche, noch zeitauf- 1 1–2/2015 Bild 2: Integrative Simulationskette zur Bestimmung der Barriereeigenschaft. 31 KUNSTSTOFF XTRA FORSCHUNG & ENTWICKLUNG Bild 3: Ergebnisse der integrativen Barrieresimulation wendige Permeationsversuche nötig sind. In den folgenden Abschnitten werden die Theorie der Permeation, die Messung der Stoffwerte und die Simulation beschrieben. Modellierung des Permeationsvorgangs Permeation ist die Bewegung eines Fluids durch einen Feststoff, die durch ein Konzentrationsgefälle hervorgerufen wird [2]. Grundsätzlich fasst Permation die folgenden Phänomene zusammen. • Adsorption und Absorption: Transport von Gasmolekülen durch die Grenzfläche in die Barriere • Diffusion: Stofftransport durch die Barriere • Desorption: Transport von Gasmolekülen durch die Grenzfläche aus der Barriere. Das Fluid wird an der Grenzfläche adund absorbiert, mittels Diffusion durch das Material transportiert und an der gegenüberliegenden Grenzfläche desorbiert. Die Diffusion wird durch das erste Fick’sche Gesetz in (1) beschrieben. J = - D · dc/dx (1) J: Stoffstrom, D: Diffusionskoeffizient, c: Konzentration, x: Wanddicke Der Diffusionskoeffizient D beschreibt die Geschwindigkeit des Transportvorgangs. Die Sorption und Desorption werden über das Henry-Gesetz in (2) beschrieben. 32 c = S · p (2) S: Sorptionskoeffizient, p: Partialdruck Der Sorptionskoeffizient S gibt die Löslichkeit des Fluids in der Barriere an. Die Kombination von Diffusion und Sorption zu (3) liefert die Grundlage zur Berechnung der Permeation. P = - J · dx/dp P: Permeationskoeffizient (3) Der Permeationskoeffizient P ist das Produkt von Diffusions- und Sorptionskoeffizienten und beschreibt den Stoffstrom bezogen auf die Dicke des Materials und das vorherrschenden Partialdruckgefälle [3]. Charakteristisch für den Permeationskoeffizienten ist, dass dieser eine von den Prüfbedingungen unabhängige Kennzahl darstellt. Messung der Stoffeigenschaften Die Barriereeigenschaften von Kunststoffen sind temperaturabhängig [4]. Zudem induziert die Verstreckung des Materials während des Streckblasprozesses die Orientierung der Molekülketten, so dass die Durchlässigkeit gegenüber Gasen sinkt [4]. Daher werden die Stoffeigenschaften in Abhängigkeit von Verstreckgrad und Temperatur ermittelt. Die Probekörper werden mit verschiedenen Verstreckgraden hergestellt. Die Messung der Stoffeigenschaften erfolgt für verschiedene Temperaturen in einem Klimaschrank. Die Probekörper werden aus streckblasgeformten PET-Flaschen hergestellt. Zur Induzierung verschiedener Verstreckgrade werden Flaschenformen verwendet, die sich nur in der Höhe und dem Durchmesser unterscheiden. Auf der Laborstreckblasanlage Contiform LB1 (Krones AG, Neutraubling) werden unter Verwendung gleicher Preforms Flaschen mit verschiedenen Verstreckgraden hergestellt, aus denen die Probekörper herauspräpariert werden. Messungen der Probendicke an verschiedenen Stellen ergeben eine homogene Dickenverteilung, so dass die Probekörper für eine Messung der Stoffeigenschaften geeignet sind und der Permeationskoeffizient nicht durch Dünnstellen in der Probe verfälscht wird. Die Koeffizienten für Permeation, Sorption und Diffusion werden in Permeationskammern mit einem optisch-cemischen Prototyp-Sensor der PreSens Precision Sensing GmbH, Regensburg, ermittelt. Diese bestehen aus zwei Kammern, von denen eine mit Stickstoff und eine mit Sauerstoff gefüllt ist. Zwischen den Kammern wird eine PET-Probe eingespannt. Durch das daraus entstehende Partialdruckgefälle permeieren die Gase in die jeweils andere Kammer. In der Stickstoffkammer wird die Sauerstoffkonzentration gemessen und so der Konzentrationsverlauf aufgezeichnet und die Koeffizienten über die Gleichungen 1 bis 3 berechnet. Die gemessenen Permeationskoeffizienten in Abhängigkeit von Temperatur und Verstreckgrad sind in Bild 1 zu sehen. Der Permeationskoeffizient nimmt mit steigender Temperatur deutlich zu. Zudem sinkt der Stofftransport mit steigendem Verstreckgrad. Simulation des Materialverhaltens Die Berechnung der Barriereeigenschaften einer PET-Flasche erfolgt über eine integrative Simulationskette bestehend aus einer Prozesssimulation nach [5] und der Barrieresimulation. Die Einzelsimulationen sind in der Software Abaqus von Dassault Systems SA, Vélizy-Villacoublay, Frankreich, implementiert. Die Prozessimulation bildet die Aufheizung des Preforms und den Streckblasformprozess in 3D ab. Das Resultat sind die Wanddicken 1–2/2015 KUNSTSTOFF XTRA FORSCHUNG & ENTWICKLUNG nes Beschlusses des Deutschen Bundestags gefördert. Allen Institutionen gilt unser Dank. Bild 4: Wanddicken der Prozessimulation und Wanddickenmessungen. und die lokalen Verstreckgrade der PETFlasche, wie in Bild 2 zu sehen. Auf Basis der Verstreckgrade werden der PET- Flasche in der Barrieresimulation lokal die korrespondierenden Permeationskoeffizienten zugewiesen. Unter der Annahme, dass die Flasche von Luft umgeben ist, die Flasche Umgebungstemperatur hat und das verpackte Medium frei von Sauerstoff ist, wird der Aussenseite der F lasche der Sauerstoffanteil 21 % und der Innenseite der Sauerstoffanteil 0 % zugewiesen. Das Ergebnis der Simulation ist ein Sauerstoffvolumenstrom, aus dem die Sauerstofftransportrate (OTR) berechnet werden kann. Bewertung der Simulationsergebnisse Zwecks Bewertung der Simulationsergebnisse wurden Simulation und Versuch verglichen. Auf der Laborstreckblasanlage wurde die in Bild 3 abgebildete PET-Flasche gefertigt, über einen Aufsatz mit Stickstoff gespült und gasdicht verschlossen. Analog zu den Messkammern wurde der Anstieg der Sauerstoffkonzentration in der Stickstoffatmosphäre aufgezeichnet und die Sauerstofftransportrate berechnet. Parallel dazu wurde über eine Prozesssimulation aus den vorgegebenen Preform- und Prozessdaten eine virtuelle Flasche berechnet, an der die Permeationssimulation wie im vorherigen Abschnitt beschrieben durchgeführt wurde. Die Wanddicken der simulierten und der 1–2/2015 gefertigten PET-Flasche sind in Bild 4 zu sehen. Der gewichtete mittlere Fehler der Prozessimulation liegt bei ca. 5,4 %. Das Ergebnis der Permeationssimulation ist in Bild 3 zu sehen. Die Abweichung zwischen Experiment und Simulation liegt hier bei ca. 6,5 %. Der Fehler ist grössten Teils auf Unterschiede in der Wanddickenverteilung und den Verstreckgraden der Prozesssimulation und der realen Flasche zurückzuführen. Ausserdem können Leckageströme in der Permeationssmessung nicht ausgeschlossen werden. Literatur [1] Hartwig, K.: Massgeschneidert. Anforderungen an eine PET-Flasche und deren Herstellungsweise. Getränkeindustrie 6 (1999), S. 337-341 [2] Barrer, R. M.: Diffusion in and through solids. Cambridge, University Press, 1941 [3] Baur, E.; Brinkmann, S.; Osswald, T.; Rudolph, N.; Schmachtenberg, E.: Saechtling Kunststoff Taschenbuch. München: Carl Hanser Verlag, 2013 [4] Vieth, R.: Diffusion in and Through Polymers: Principles and Applications. München, Wien: Carl Hanser Verlag, 1991 [5] Papst, W.: Durchgängige dreidimensionale Simulation des Streckblasprozesses RWTH Aachen Dissertation, 2005 – ISBN 3861305062 Kontakt Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) Benjamin Twardowski Seffenter Weg 201 D-52074 Aachen Telefon: +49 (0)241 80-27271 [email protected] www.ikv-aachen.de n Fazit Der Permeationsvorgang von Sauerstoff durch teilkristalline Kunststoffe wie PET lässt sich somit simulativ mit einer geringen Abweichung darstellen. Auf Basis der gemessenen Koeffizienten kann die Sauerstoffaufnahme einer PET-Flasche simuliert und die daraus resultierende Haltbarkeit des Verpackungsinhaltes berechnet werden. Dies ermöglicht eine zeitnahe Bewertung der Flaschengeometrie in Hinblick auf die Permeationseigenschaften, so dass eine erste Einschätzung ohne langwierige Prüfungen an realen Prüfkörpern möglich ist. Das Forschungsvorhaben 17670 N der Forschungsvereinigung Kunststoffverarbeitung wird über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund ei- ERP auf den Punkt gebracht für chargenorientierte Prozesse OPAG INFORMATIK AG Fabrikmattenweg 11 CH-4144 Arlesheim Tel. +41 (0)61 716 92 22 Fax +41 (0)61 716 92 29 [email protected] www.opag.ch www.casymir.ch 33
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