/ TRADITION VS. STORYTELLING /

M A N AG EM EN T
/
TRADITION
VS.
STORYTELLING
/
DIE WIRKUNG VON TRADITIONSMERKMALEN WIRD GRUNDLEGEND UNTERSCHÄTZT. DABEI SIND ES EHER
DIE UNSCHEINBAREN EIGENHEITEN EINES UNTERNEHMENS, PRODUKTES ODER EINER DIENSTLEISTUNG,
DIE DAZU BEITRAGEN, POTENTIALE FREI ZU SETZEN UND MEHRWERTE ZU GENERIEREN. UND WAS KÖNNTE
SPANNENDER SEIN ALS DIE EIGENE FIRMENGESCHICHTE „NEU“ ZU ERZÄHLEN.
TEXT: MICHAEL S. BECK
M A N AG EM EN T
beinhaltet, um nicht nur Kindheitserinnerungen zu speichern.
Es ist vielmehr die Fähigkeit, die zu vermarktende Sache in
den Synapsen der Zielgruppe zu verankern und damit erste
Verbindungen herzustellen.
Am Anfang steht die Überlieferung, also jene Weitergabe
von positivem Gedankengut an die Folgegeneration, welches
aus Erfahrungen der Person oder des Unternehmens in der
ersten Generation erwächst. Doch ist zu diesem Zeitpunkt
noch nicht von Tradition die Rede. Das überlieferte Wissen
wird hierbei einer genauen Prüfung unterzogen. Positive
Aspekte­werden verbessert und negative Erfahrungen in diesem Zusammenhang eliminiert. Ein Lernprozess beginnt und
damit­die erste Stufe der Entwicklung. Dieses verbesserte Wissen – auch als Know-How zu beschreiben – ist es, welches an
die nächste und damit dritte Generation weitergegeben wird.
Hier wird aus Überlieferung die eigentliche Tradition begründet
und damit der erste Zyklus eines Lernprozesses, der über viele­
­Generationen hinweg Produkte, Dienstleistungen und in der
Folge das gesamte Unternehmen verbessern soll bzw. wird.
Im Laufe der Zeit findet eine Spezifikation des Verbesserungsprozesses statt. Die eigentlichen Unternehmensinhalte
werden fokussiert, was zum Aufbau eines Wertesystems führt.
Das Unternehmen erfährt dadurch die Betrachtung unter einem
völlig neuen Gesichtspunkt, der über alle Entscheidungs­
ebenen hinweg kommuniziert wird. Das Bindungspotential
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird bestärkt und
dahingehend der Unternehmenszusammenhalt sowie das
eigentliche­interne Standing. Ein starkes Unternehmen durch
klare und gewachsene Unternehmenswerte.
bilden. Und nicht nur das: Die in der Vergangenheit gewachsenen Mehrwerte können in diesem Zusammenhang als Tradi­
tionspotentiale bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund
stellt sich nunmehr die Frage, wie diese zu nutzen sind und in
welchen Facetten sie wirken, um eine trennscharfe Abgrenzung zu konkurrierenden Unternehmen, Dienstleistungen und
Produkten zu schaffen. Der Einfluss, der als Traditions-Komponente bezeichnet werden kann, resultiert aus der Schnittmenge jener Wirkungsweisen, die sowohl der Kunde als auch
der Mitarbeiter als Orientierung, Differenzierung und Authentizität wahrnimmt.
ORIENTIERUNG
AUTHENTIZITÄT
TK
DIFFERENZIERUNG
Die Wirkungsweisen der Traditionskomponente
Quelle: M. Beck
ÜBERLIEFERUNG
LERNPROZESS
WERTESYSTEM
PHILOSOPHIE
REPUTATION
Der Weg zur Unternehmensreputation
Quelle: M. Beck
„ICH WEISS NOCH GANZ GENAU, ALS ICH DAS
ERSTE BONBON VON MEINEM GROSSVATER BEKAM –
ES WAR WEHRTERS ECHTE, UND ICH WAR VIER.“
//
„JETZT BIN ICH DER GROSSVATER – UND WAS
SONST WÜRDE ICH MEINEM ENKEL GEBEN
ALS MEINE WEHRTERS ECHTE – ER IST NÄMLICH
AUCH WAS GANZ BESONDERES“.
Können Sie sich noch daran erinnern, wann Sie das erste Mal
mit Tradition, als Mittel zur Vermarktung, konfrontiert wurden? – Nicht? – Ich schon: Das erste, bewusst wahrgenommene­
Unternehmen war der Süßwarenhersteller Storck mit seinen
Sahne-Bonbons „Werther’s Echte“, heute „Werther’s Original“.
Die Offenbarungen des damaligen Werbespots – ich war gerade
6 Jahre alt – begleiten mich seit ich denken kann. Und wenn
ich das Produkt sehe, sind diese sofort präsent. Tradition par
excellence! Eine Überlieferung von positiven Attributen,
welche­an die Folgegeneration weitergegeben werden. Dieses
Verhalten ist es, was ein hochgradiges Know-How-Potential
LUXURY BUSINESS REPORT 2013
/ 76
Diese Werte führen in der Folge zur eigentlichen Unternehmensphilosophie. Im Verlauf der Zeit werden unumstößliche
Grundwerte definiert, die nicht nur das Unternehmensge­
schehen beeinflussen, sondern auch die Wirkung des Unternehmens nach außen bedingen. Die Zielgruppe beziehungsweise der Kunde selbst wird zum ersten Mal detailliert Zeuge
jener Unternehmensanstrengungen, um seinen Bedürfnissen
gerecht zu werden. Die Kommunikation der Unternehmensphilosophie nach außen, in Kombination mit der angestrebten
Kundenzufriedenheit, sollte das eigentlich angestrebte Ziel
sein, um als Quintessenz die Unternehmensreputation zu
etablie­ren.
Nach genauerer Betrachtung kann gesagt werden, dass
Wissen, Werte und Wirkung das Fundament von Traditionen
Die Verkörperung einer Signalwirkung mit Wiedererkennungswert kann grundlegend mit der Orientierung verknüpft
werden. Sie stellt damit eine richtungsweisende Markierung
im Wahrnehmungsfeld der Öffentlichkeit dar. Der Einbezug
des geschichtlichen Hintergrundes soll einen prägnanten Kurs
weisen und eine Positionierung des Unternehmens und/oder
deren Produkte und Dienstleistungen schaffen. Ziel ist es,
diese­gegenüber anderen Unternehmen am Markt hervorzuheben, um für potentielle Kunden die Komplexität der Entscheidungsvielfalt zu reduzieren. Die Wirkungsweise als Allein­
stellungsmerkmal ist jene der Differenzierung, welche für das
Unternehmen und dessen Produkte als trennscharfe Abgrenzung gegenüber den Wettbewerbern fungiert. Die Fokussierung liegt hier auf den Wettbewerbsbedingungen der Märkte,
die vermehrt austauschbare Produkte und Leistungen hervorbringen. Ziel soll es sein, das wenig aussagekräftige Profil
durch den geschichtlichen Einfluss, zumindest teilweise, aufzu­
lösen und sich indes von Produkten/Unternehmen der gleichen
Sparte abzuheben. Um den Kreis zu schließen, muss ein Konstrukt geschaffen werden, dem Unternehmen eine Identität zu
verleihen. In diesem Zusammenhang gilt es authentisch aufzutreten, um ein Bindungspotential für Mitarbeiter, Kunden und
Öffentlichkeit zu schaffen, welches einen Handlungsspielraum
für Vertrauen in das Unternehmen/Produkt aufleben lässt.
LUXURY BUSINESS REPORT 2013
/ 77
M A N AG EM EN T
Gerade beim Konsum wird vermehrt Priorität auf Produkte
gelegt, die ein authentisches und ehrliches Ansehen verkörpern. Man kann hierbei erwähnen, dass bestimmte Qualitätsmerkmale, Konstruktionsprinzipien und Vermarktungsformen, welche sich etabliert haben, und die auch heute noch als
verbindlich angesehen werden, auch und gerade dann, wenn
sie möglicherweise im Gegensatz zu wirtschaftlichen Interessen stehen, oft das „Zünglein an der Waage“ verkörpern.
Wird also ein Produkt/Unternehmen als authentisch wahrgenommen, kann diese/s mit Prinzipienfestigkeit und Idealismus
gleichgesetzt werden, der für ein Unternehmen unabdingbarer
Wettbewerbsvorteil ist und nicht an Priorität verlieren darf.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Traditions-Komponente ein einflussnehmendes Element ist, welches
zur Verbindung der geschichtlichen Retrospektive, der Gegenwart und Zukunftsperspektive eines Unternehmens werden
kann. Konzentriert man die gewachsenen und etablierten
Werte zu einer Tradition, so ist es möglich, diese in jegliche
Bereiche des Unternehmens bereichernd einzusetzen. Für das
Unternehmen und dessen Produkte kann dadurch eine Sonder­
stellung am Markt entstehen, die einerseits abgrenzend,
anderer­seits aber vielfältig und letztlich beständig wirkt.
M A N AG EM EN T
kann. Das Bestreben soll es sein, für den Kunden eine Gefühlswelt zu generieren, welche in der Vergangenheit letztlich nur
durch Märchen und deren Erzählung durch eine vertraute
Person­möglich war.
Doch wie sehen die Geschichten derjenigen Luxusunternehmen aus, welche dieses historische Potential nutzen? Eine
Welt voller „Aha-Erlebnisse“, die den Kunden in die Zeit versetzten, als er selbst noch mit Erstaunen jenen Abenteuern
gebannt verfiel, die ihm dieses „Leuchten in den Augen“
zurück­bringen. An dieser Stelle möchte ich zwei ganz bestimmte Situationen ansprechen, deren geschichtlicher Hintergrund nicht nur ein „Aha-Erlebnis“ verkörperte, sondern
auch ein einschneidendes Erlebnis für den Fortschritt der
gesamten­Menschheit darstellte.
// //
//
//
//
//
//
Die Tauchfahrt der „Trieste“
Quelle: National Geographic Channel
quetschen jegliche Gegenstände in Bruchteilen von Sekunden.
Doch hier kam Rolex ins Spiel. Die Aussage war, dass das
Unternehmen eine Uhr herstellen wird, welche den Begebenheiten in diesen Tiefen trotzt – eine Taucheruhr der Superlative.­
So wurde die Uhr an der Außenseite der Trieste angebracht
und die Tauchfahrt nahm ihren Lauf. Das Ergebnis war identisch mit den Aussagen – die Uhr war tadellos und voll funktionsfähig. Ein klares Statement zu einer einzigartigen Handwerkskunst. Die Übertragung in die Gegenwart wurde mit
dem Modell der Rolex „Sea Dweller – Deep Sea“ begründet,
welche als Nachfolger jener legendären Uhr gilt, die vor über
50 Jahren in die Tiefe abtauchte.
Bally Herrenschuhe aus der Kollektion 2013
Quelle: Bally
Abdruck des original Moon-Boot von Buzz Aldrin
Quelle: Alamy
Der Brückenschlag hin zum Luxussegment fällt an dieser Stelle
sehr leicht. Da in diesem Segment bereits eine Sonderstellung
am Markt vorherrscht, liegen erschwerte Bedingungen vor.
Dahingehend ist zu eruieren, wie eine Sonderstellung noch
spezifischere Abgrenzung erfahren kann. So bedienen sich viele
etablierte Luxusgüterunternehmen gerade dem TraditionsMarketing, um diese Trennschärfe zu untermauern. Es ist beruhigend zu wissen, dass Wissen, Werte und Wirkung bereits
vorhanden sind. Und es ist ersichtlich, dass hier auch die Wirkung der historischen Mehrwerte Einfluss nimmt. Doch fehlt
das Gedankenkonstrukt, welches dem Kunden eindeutig das
Gefühl vermittelt, dass dieser eine Vertrauensbasis mit dem
Unternehmen, dem Produkt oder der Dienstleistung eingehen
Bally erzählt die Geschichte der „Mondlandung“ neu. Doch
glaubt man fast nicht, dass, als am 21. Juli 1969 Neil Arm­
strong als erster Mensch den Mond betrat, genau dieses
Unter­nehmen eine tragende Rolle spielte. „One small step for
man, one giant leap for mankind“ waren die Worte, als der
Moon Boot der Marke Bally einen Abdruck in dem feinen
Sand des Erdtrabanten hinterließ. Damals war für Herrn Armstrong die Wahl der Marke wohl eher zweitrangig. Heute
jedoch­ist das Zeitgeschehen ein Meilenstein der Unternehmensgeschichte. Das Wissen, einen Schuh herzustellen, welcher
den Gegebenheiten anderer Himmelskörper trotzt, kann nicht
so schlecht sein, um Schuhe des täglichen, terrestrischen Gebrauchs anzufertigen.
Rolex hingegen begeht auf der Suche nach den legendären
Geschichten um Traditionswirkung den gänzlich gegenteiligen
Weg. Es geht unter die Wasseroberfläche. Denn am 23. Januar
1960 tauchte das Unterseeboot mit dem Namen „Trieste“ ab.
Nicht irgendwo, sondern im West-Pazifik, genauer in den Mariannengraben. Die Umgebung dieses Tiefseegrabens hat nur
wenig mit einem freundlichen Lebensraum zu tun. Druckverhältnisse von mehreren Tonnen pro Quadratzentimeter zer-
LUXURY BUSINESS REPORT 2013
/ 78
Die Rolex „Submariner“ – Modell 2008
Quelle: M. Beck
Nur zwei Erfolgsgeschichten von Unternehmen, die auf eine
glanzvolle Firmenvergangenheit zurückblicken können. Dabei
gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, die genutzt werden können, um längst vergessene Unternehmenswerte wieder
aufleben­zu lassen. Und hier ist nicht nur die Rede von Unternehmen des Luxus-Segments. Eine Firmengeschichte kann zur
Firmentradition und damit in ein Reputationspotential umgewandelt werden. Nutzen Sie vorhandene Möglichkeiten, um
hier nur einige Beispiele aufzuführen.
Die Gründungsgeschichte eines Unternehmens
Die in einer Organisation begründeten Wertprinzipien
Die Lebensgeschichte eines Konstrukteurs
Die Geschichte eines akzeptierten Vorbildes
Mythen, die sich um Produkte / Erfolge ranken
Historische Innovationen ihres Unternehmens
Historische Essentials eines Führungsleitbildes
Doch ist es auch möglich, auf historische Werte zurückzu­
greifen, ohne dass das Unternehmen selbst über eine lange
Firmengeschichte zurückblickt. Das Unternehmen Vertu ist
ein relativ junges Unternehmen, das aber mittlerweile immerhin schon auf mehr als ein Jahrzehnt Unternehmensgeschichte
zurückblicken kann. Der Luxus-Mobilfunkgerätehersteller
schuf vor über 10 Jahren einen bis dahin nicht erschlossenen
Markt, vor dem Hintergrund der Vision, ein Mobiltelefon im
Luxussegment zu platzieren und zu produzieren.
Logotype des Luxus-Mobilfunkgeräteherstellers
Quelle: Vertu
Die Vision bestand aus einer Symbiose aus stets ausgesuchten
Materialien wie High-Tech-Keramik oder Displays aus SaphirKristallen und traditioneller Handwerkskunst wie Manufaktur-Fertigung, die bis zu einer Woche dauern kann. Um die
fehlende Tradition zu kompensieren, bediente sich Vertu einer
Traditions-Auszeichnung. So bewarb sich das Unternehmen
bei der Schweizer Edelmetallkontrolle für den sogenannten
„Feingehaltsstempel“. Diese Kontrollinstanz mit jahrhunderte­
langer Tradition verlieh Vertu aufgrund der Qualitätsmerkmale­
diese Auszeichnung, die sonst nur Schmuckstücken und Uhren
zuteil wurde, und übertrug dadurch das Traditionsbewusstsein auf deren Unternehmensreputation. Damit war ein
weiterer­Symbolcharakter konstituiert, der für Vertrauen und
Basis für Wertschöpfung steht.
Tradition im Allgemeinen stellt wohl eines der höchsten
Kulturgüter unseres Strebens nach Fortschritt dar. Diese Symbiose aus Erfahrungen und Zeit überliefert nicht nur Wissen,
sondern beschreibt ein ungeahntes Potential, um Produkte,
Dienstleistungen und damit Unternehmen positiv zu begründen und diesen langfristig einen einzigartigen Stellenwert zu
verleihen. Die Tage der Geschichten, welche mit „Es war einmal...“ begannen, gehören wohl langsam der Vergangenheit
an. Jedoch war es der Anfang eines jener Gedankenkonstrukte,
die uns seit unseren Kindheitstagen begleiten. Nun gilt es
erneut­diese Gefühle zu wecken, uns auf unsere Vergangenheit
zu besinnen und eine neue Zukunft – unter dem Einfluss
unseres­Seins – zu begehen. ///
LUXURY BUSINESS REPORT 2013
/ 79