bremer kirchenzeitung - Bremische Evangelische Kirche

bremer kirchenzeitung
D a s e v a n ge l ische Ma g a zin M ä r z - Ju n i 2 0 1 6
Frühlingszwitschern
Lebensfest Ostern
„Werkopa“ in der Kita
Frohe & gesegnete
Ostern
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Inhalt
3 Christian Jeltsch: Das Böse nach der Tagesschau
4 Vogel-Entdeckertour: Das große Frühlingszwitschern
6 „Bei Null“: Frau & Arbeit brachte die Wende
8 Trauerfeiern in Mexiko und Afrika: „Geweint wird natürlich auch“
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10 Lebensfest inmitten der Trauer? – Gedanken zu Ostern
12 Im Einklang mit der Schöpfung: Alles öko im Frühlingsgarten
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14 Straßen-Praktikant: Zwei Wochen bei der Aufsuchenden Seelsorge
16 Paarberatung: Wenn das Fundament rissig wird
18 Ausstellung in der Kulturkirche: Apokalypse
19 In Bewegung: Angebote für die Pilgersaison 2016
20 Durststrecke: Wasser für alle ist in der City Mangelware
22 Ehrenamtlicher „Werkopa“: Stapellauf in der Kita
24 Frei denken, frei glauben, frei leben: Anne Wizorek
Unser Titelbild
Impressum
Rainer Oettel (epd-Bild),
Familiengottesdienst zu Ostern
in der Dorfkirche Lohmen (Sachsen)
am 5. April 2015.
Die bremer kirchenzeitung erscheint vier Mal im Jahr als Beilage zum Weser-Kurier
und den Bremer Nachrichten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen
nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion dar.
Herausgeber: Bremische Evangelische Kirche (Mitglied im Gemeinschaftswerk
der Evangelischen Publizistik), Franziuseck 2-4, 28199 Bremen
Redaktion: Sabine Hatscher & Matthias Dembski
Titelfoto: epd-Bild
Grafische Realisation: Rank - Grafik-Design
Druck, Vertrieb & Anzeigen: Bremer Tageszeitungen AG,
Hagen Röpke; Tanja Bittner und Vincent Koss (verantwortlich)
Telefon 0421/36 71 – 41 40 oder [email protected]
Die nächste Ausgabe der bremer kirchenzeitung erscheint am 11. Juni 2016.
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Christian Jeltsch zu Gast in der Kirche Unser Lieben Frauen
Donnerstag, 28. April, 19.30 Uhr
„Immer wieder sonntags: Das Böse nach der Tagesschau“
in der Reihe „Die Macht des Bösen – was das Böse macht“
Das Böse
nach der Tagesschau
Christian Jeltsch über Politik im Tatort,
das Böse in der Bibel und guten Stoff für Drehbücher
Tatort „Der hundertste Affe“
Pfingstmontag, 16. Mai, 20.15 Uhr, im Ersten
Manchmal habe er das Gefühl, die Tagesschau sei viel böser als der Tatort danach,
meint Christian Jeltsch. Er muss es wissen, denn er schreibt für die Radio Bremen-Krimis Drehbücher. „Der hundertste Affe“, sein fünfter Bremer Tatort, läuft am Pfingstmontag. „Schwarz-Weiß gibt es im Tatort nicht mehr. Die Figuren sind nicht mehr so
einfach zu durchschauen. Was Böse ist, lässt sich nicht so einfach sagen. Der Grat
zwischen dem Guten und dem Bösen ist oft schmal.“ Manchmal starten die bösen
Figuren mit einer guten Absicht, so wie in Jeltschs neuestem Tatort, bei dem es um
Gentechnik geht. „Wer kein Gehör für seine guten Anliegen findet, driftet vielleicht
ab und versucht es mit bösen Methoden.“ Jeltschs Tatorte haben meist einen politischen Hintergrund. „Politische Themen sind als Einzelstücke im Fernsehen kaum noch
unterzubringen. Investigativer Journalismus, der politische Missstände aufdeckt und
hinterfragt, ist teuer und findet heute leider viel zu selten Gehör. Politische Stoffe
unter dem Label Tatort zu transportieren ist leichter. Da sind sechs bis acht Millionen
Zuschauer dabei, die mit keinem dokumentarischen Format zu erreichen sind.“ Die
Kunst eines Drehbuchs liege darin, eine Botschaft zu haben, ohne belehrend zu sein.
„Die Zuschauer kommen selber ins Nachdenken, aber sie sind mit Recht sensibel,
wenn ihnen vorgegeben wird, was sie glauben sollen. Ein Tatort ist dann gut, wenn
man wahrhaftige, nachvollziehbare Figuren erzählt. Das gilt auch für die ‚Bösen‘, die
faszinierend und spannend erzählt werden müssen.“
Das Ermittlerteam und ein paar Hauptpersonen stehen vorher fest, ansonsten ist er
frei, seine Geschichte zu entwickeln. Die Drehorte sucht später der Regisseur aus.
Jeltsch wohnt mittlerweile in Bayern, hat aber lange Zeit in Bremen gelebt und als Regieassistent gearbeitet. „Ich mag die Stadt, die sehr offen und gleichzeitig übersichtlich ist. Bei Radio Bremen ist die Zusammenarbeit fast familiär und sehr vertrauensvoll. Ich werde informiert und wir reden zum Beispiel darüber, wie die Rollen besetzt
werden und der Film umgesetzt wird.“ Drehbuchautoren brauchen eine Botschaft,
ist Jeltsch überzeugt: „Wer nur danach fragt, was die Sender wollen, liegt falsch.
Hierzulande wird eher der Regisseur mit dem Film verbunden, nicht der Autor.“ Die
verkauften sich oft unter Wert: „Denn unser Job als Autoren ist es, nicht nur die Geschichten zu schreiben, sondern auch die Sender davon zu überzeugen, sie überhaupt
zu erzählen.“
Gespräch: Matthias Dembski | Foto: privat
„Gott hat dem Menschen Freiheit und Verantwortung gegeben“
Mit dem Baum der Erkenntnis sei der biblischen Erzählung nach das Böse bereits im
Paradies in die Welt gekommen: „Man kann das auch als großes Geschenk sehen,
denn damit haben die Menschen die freie Entscheidung bekommen, zwischen Gut
und Böse zu wählen. Gott ist wahnsinnig großzügig, den Menschen diese Freiheit und
damit eine große Verantwortung zu geben. Das finde ich toll.“ Er sei „kein kirchlicher
Christ“, meint Jeltsch, aber er habe eine große Bewunderung für Menschen mit einem tiefen Glauben,. „Der hilft ihnen im Leben.“ Doch das berechtige niemanden zu
agressiver Mission. „Die Kunst einer Religion liegt in der Toleranz, egal an wen und
was man glaubt. Es gibt unterschiedliche Wege, und es geht nicht um richtig oder
falsch. Wer einen anderen Glauben bekämpft, hat wahnsinnige Angst, der andere
könnte mehr recht haben als man selbst.“ Dass weltweit das Pendel des Fundamentalismus gerade ausschlage, findet er ebenso spannend wie beängstigend. „Menschen
sind noch immer leicht mit einfachen Botschaften und Schlagworten zu erreichen.“
Christian Jeltsch,
Tatort-Autor
Bei der Gentechnik verschwimmt die Grenze von Gut und Böse
Seine Stoffe findet der Drehbuchautor auch bei der täglichen Zeitungslektüre. „Man
muss aufmerksam auch ausländische Presse lesen und wach durch die Welt gehen. Auf den Stoff des jetzigen Tatorts bin ich durch eine Dokumentation über den
Agrotechnik-Konzern Monsanto gekommen, die auf Arte lief. Um das
Böse möglichst plastisch darzustellen, recherchiert Jeltsch auch, wie Verbrechen technisch und organisatorisch funktionieren. „Das sind Grenzbereiche, denn der Tatort soll ja keine Anleitung zur Kriminalität sein.“
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung März 2016
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Das große Frühlings-Zwitschern
Kommt ein Vogel geflogen...
Buchtipp
Was fliegt denn da? 346 Vogelarten Europas
(Kosmos-Naturführer) von Detlef Singer,
12,99 Euro. Passender Ting-Hörstift
zum Anhören der Vogelstimmen ca. 36 Euro
Blaumeise
Mit Eberhard Gutjahr auf
Mittwoch, 27. April, 10 Uhr
Sonnabend, 30. April, 7 Uhr
Treffen jeweils vor dem Hauptgebäude (Verwaltung)
der Stiftung Friedehorst
Rotdornallee 64, 28717 Bremen-Lesum
www.friedehorst.de
Eberhardt Gutjahr hört den Kleiber und die Mönchsgrasmücke im Friedehorst-Park sofort aus dem großen Vogelkonzert heraus. „Da hinten sitzen sie alle“, sagt der HobbyVogelkundler und zeigt auf den Rand des Parks. „Hecken und Sträucher sind für die
Vogelbeobachtung gerade im Frühjahr besonders geeignet, weil sie noch kein dichtes
grünes Blattwerk tragen.“ Denn dort brüten die gefiederten Freunde. Im Schutz des
Buschwerks stimmen sie ihren Gesang an, um ihr Revier abzustecken oder Partner
anzulocken.
Vögel kennenlernen mit Humor und Anekdoten
„Das ist ein Rotkehlchen“, erkennt der Vogelkundler sofort am Gesang. „Das reiht seine Töne wie einen Perlenschnur.“ Sagt‘s und zieht sein Bestimmungsbuch mit einem
elektronischen Audio-Stift heraus. Ein Tippen auf die Buchseite, und schon ist das
Rotkehlchen aus der Ton-Konserve zu hören. „Mal schauen, ob das Rotkehlchen dahinten auf unseren Freund aus der Ton-Aufnahme antwortet.“ Tatsächlich nimmt das
eben verstummte Rotkehlchen seinen Gesang sofort wieder auf. „Dieses Buch nehme
ich auf meinen Führungen immer mit, denn damit lässt sich der Gesang der einzelnen
Vogelarten wunderbar noch einmal vorführen“, sagt Gutjahr. Zur Vogelbestimmung
braucht er es nicht mehr, denn seit seiner Jugendzeit ist er Vogelkundler aus Leidenschaft. Ende April führt er durch den Friedehorst-Park – mitten in der Brutsaison der
vielen Singvogelarten, die auch hier zu Hause sind. Dabei erfahren die Teilnehmer
auch, wie schwer beispielsweise Weidenmeise- und Sumpfmeise auseinanderzuhalten
sind, und wie man die Tannenmeise erkennt, die nur die Größe einer Blaumeise hat.
Wer mit Eberhard Gutjahr unterwegs ist, entdeckt die Vielfalt heimischer Singvögel
mit Humor und vielen kleinen Geschichten.
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Amsel
Kohlmeise
Vogel-Entdeckertour
„Der Zaunkönig ist das Wappentier aller Baufirmen, die Einfamilienhäuser hochziehen.
Denn er baut gleich mehrere Nester und führt sein auserwähltes Weibchen von Musterhaus zu Musterhaus. Aber nur ein Nest wird bezogen.“ Wenn der Vogelkundler den
schlagenden Gesang der Buchfinken einmal vorgemacht hat, vergisst man ihn nicht
mehr. „Die Finken erweitern ihr typisches Schlagen im Laufe des Frühjahrs. „Erst mit
der letzten Silbe ist ihr Gesang vollständig.“ Dann hat der Frühling Einzug gehalten.
Rauchschwalbe
Top-Ten
Sperling
unserer Gartenvögel
Buchfink
Rotkehlchen
Zaunkönig
Hausrotschwanz
Die Vogeluhr läuft ab zwei Uhr morgens
Gutjahrs Herz schlägt neben selbstgemachter Jazz-Musik seit Kindesbeinen für die
Natur. So forstete er mit Jugendlichen nach den großen Waldbränden im niedersächsischen Wendland in den 1970er Jahren den Wald wieder auf. „In sechs Jahren haben
wir 1,12 Millionen Bäume neu gesetzt.“ Seit langem hat er bei Rotenburg ein eigenes,
vier Hektar großes Waldstück im Moor gepachtet, das er ökologisch bewirtschaftet
und renaturiert hat. „Auch dort habe ich natürlich Nistkästen aufgehängt“, sagt der
Vogelfreund, der schon in Kindertagen in den Truper Blänken hinter Borgfeld mit einem selbstgebastelten Feldstecher aus Pappröhren auf Entdeckungstour ging. „Damit
konnte man zumindest das Sichtfeld besser fokussieren, auch wenn er nichts vergrößert hat.“ Heute streift er mit seinen Enkeln oder bei Führungen immer noch durch
die Natur. „Die Vogeluhr beginnt im Frühjahr bereits um zwei Uhr morgens zu laufen:
Dann ist zunächst einsam der Gartenrotschwanz zu hören, der nachts fast aktiver ist
als die Nachtigall.“ Mit jeder Stunde wird das Vogelstimmenkonzert vielstimmiger. „Bis
zu den Spätaufstehern wie den Amseln, die erst ab 10 Uhr zu hören sind.“
Text/Fotos: Matthias Dembski/Panthermedia
Illustrationen: Ulrike Rank
Vogelfreundlicher Garten: Tipps & Tricks
Nistkästen aufhängen:
Auf unterschiedlich große Einfluglöcher für verschiedene Arten achten.
Nisthilfen für Katzen unzugänglich aufhängen. Freie Flugöffnung möglichst auf
Ost/Südost ausrichten (Morgensonne!). Jungvögel brauchen beim Ausfliegen
Bäume / Sträucher in der Nähe. Nistkästen spätestens im Februar reinigen!
Tränken und Badeschalen aufstellen.
Sandhaufen für ein Sandbad aufschütten.
Heimische Heckenpflanzen setzen:
Wildrose, Heimbuche, Hagebutte, Pfaffenhütchen oder Kornelkirsche
sind vogelfreundliche Pflanzen. Hecken dürfen zwischen
März und September nicht zurück geschnitten werden (Nist- & Brutzeit).
Vermeintlich elternlose (unverletzte) Jungvögel auf der Straße
nicht „aufsammeln“. Sie werden von den Elterntieren weiter versorgt.
Winterfütterung: In unserem Klima unnötig.
Der Winter ist die Auslese der Natur für kranke und alte Vögel.
Wer dennoch füttert, kann die gefiederten Freunde aber gut beobachten.
Weitere Infos zum Vogelschutz im eigenen Garten:
www.nabu.de
www.bund.net
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„Bei Null“
Heike S. drohte die Altersarmut –
hier beschreibt sie, wie mit
„Frau & Arbeit“ die Wende kam
Stark, stolz, stur:
Fragen an die Frau des Jahres
Inge Danielzick,
Frau des Jahres
Als mein Mann 1992 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, stand ich als 36-jährige Mutter mit drei minderjährigen Kindern plötzlich allein da – mein jüngster
Sohn war erst zwei Jahre alt. Ich habe nur noch funktioniert, erst die Beerdigung organisiert, später Renten- und Versicherungspapiere zusammengesucht – für
Trauer blieb wenig Raum, vor allem, weil ich für meine
Kinder stark sein wollte. Ich fühlte mich, als säße ich in
einem Zug, der immer schneller fährt und die Ereignisse
am Bahnsteig zurücklässt, deretwegen ich in diesen Zug
überhaupt einsteigen musste. Man fährt von Aufgabe
zu Aufgabe und funktioniert, kann sich aber mit dem
Verlust und der Trauer kaum auseinandersetzen.
Große Sprünge sind nicht drin
Sehr früh begann ich nachzudenken, wie es für mich
finanziell und damit beruflich weitergeht. Ich hatte
glücklicherweise Anspruch auf eine „große Witwenrente“, die es damals noch gab, weil ich ein Kind unter 10
Jahren hatte und selbst noch keine 40 Jahre alt war. Mit
Kindergeld, Waisenrente und Wohngeldzuschuss hätte
ich mich finanziell noch einige Zeit über Wasser halten
können. Große Sprünge wie ein Urlaub waren nicht drin.
Aber was wäre meine Perspektive, wenn die Kinder kein
Kindergeld mehr bekämen, weil sie aus dem Haus gehen? Mein ältester Sohn war schon 15. Es musste sofort etwas passieren. Ich hatte eine Ausbildung bei der
Bundespost gemacht, die aber längst überholt war. Mit
21 Jahren hatte ich geheiratet, dann kamen bald die
Kinder, und ich bin aus dem Berufsleben ausgestiegen.
„Ich stehe beruflich bei Null“, dachte ich damals. Welche Kompetenzen sollte ich schon haben, so lange, wie
ich aus dem Erwerbsleben raus war? Ich hatte unsere
Familie organisiert, zwischendurch verschiedene MiniJobs als Serviceassistentin, in einem Modehaus, in der
Gastronomie und an der Tankstellenkasse gehabt. Wie
vielfältig meine Erfahrungen waren, war mir nicht bewusst.
Entdeckt, was in mir steckt
In der Kirchengemeinde, wo ich mit meinem Sohn zum
Spielkreis ging, stieß ich auf einen Flyer von „Frau & Arbeit“, einem kirchlichen Coachingprogramm für Frauen,
die eine Perspektive für den beruflichen Wiedereinstieg
suchen. Der Kurs „mittendrin und auf der Suche“ war
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wie für mich gemacht – ich meldete mich an. Dort habe
ich festgestellt, was ich eigentlich alles konnte – auch
wenn es zunächst nur Kleinigkeiten zu sein schienen.
Frauen neigen dazu, zu sagen: „Das kann ja jede, das
ist nichts Besonderes.“ Im Kurs von Frau & Arbeit habe
ich neu entdeckt, was alles in mir steckt. In den drei
Monaten habe ich alle Infos bekommen, wie ich mit
meinem Leben weitermachen kann. Das war eine große
Ermutigung.
Umschulung und
Bewerbungstraining
Danach habe ich eine Umschulung zur Bürokauffrau
begonnen, die mich vor allem fit im Umgang mit
dem PC machen sollte, damals eine Neuerung. Dazu
gehörte auch ein Bewerbungstraining, bei dem man
sich passende Stellenanzeigen heraussuchen und sich
dort bewerben sollte. Ich fand ein passendes Inserat.
Eine Beratungsstelle suchte eine Verwaltungskraft für
die Terminvergabe und Buchhaltung. Vor allem sollte
man Lust auf Publikumskontakte haben. Eigentlich genau das, was ich nach der Umschulung machen wollte. Erst kurz vor Fristende habe ich meine Bewerbung
in den Briefkasten der Beratungsstelle geworfen. Ein
paar Tage später wurde ich zum Vorstellungsgespräch
eingeladen, was ziemlich gut lief. Obwohl sich fast 30
qualifizierte Frauen beworben hatten und ich mit der
Umschulung noch nicht fertig war, bekam ich die Stelle
– für mich war das ein Glücksfall, weil ich sehr selbstbestimmt arbeiten kann. Mittlerweile bin ich seit 20 Jahren hier. Jetzt, mit Anfang 60, sehe ich, dass mich diese
Chance vor der Altersarmut bewahrt hat. Mir gefällt
mein Leben, so wie es heute ist.
Frauenbildung, berufliche Perspektiven und eine
gerechte Entlohnung für Frauen: Seit 1978 arbeitet
Inge Danielzick bei der Bremischen Evangelischen
Kirche und setzt sich dafür ein, Frauen stark zu machen. Jetzt wurde sie dafür als Bremer Frau des Jahres geehrt.
Wer ist heute besonders von Armut bedroht?
Immer mehr Alleinerziehende sind in Bremen gegen
den Bundestrend auf Hartz IV angewiesen, 42 Prozent
sind ohne Job, 70 Prozent davon haben keine Berufsausbildung. Sie sind auch von Altersarmut bedroht. Wir
dürfen uns mit diesen erschreckenden Zahlen nicht abfinden. Diese Frauen brauchen Möglichkeiten, sich zu
vernetzen und sich über Weiterbildungsmöglichkeiten
zu informieren.
Was tun Sie konkret, um alleinerziehende
Frauen zu unterstützen?
Über unser Netzwerk „Paula +“ beraten wir sie im Mehrgenerationenhaus Matthias Claudius in der Neustadt
und bieten eine Onlineplattform mit Infos von MutterKind-Kuren bis hin zu Weiterbildungsangeboten an.
Mit einem individuellen Langzeit-Coaching werden sie
wirkungsvoll unterstützt. Außerdem arbeiten wir als
Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt in der Bremer Armutskonferenz und im Aktionsbündnis Menschenrecht
auf Wohnen mit. Auch innerkirchlich setze ich mich
immer wieder dafür ein, dass sozialdiakonische Arbeit
den Stellenwert bekommt, den sie angesichts der Bremer Armuts-Problematik braucht.
Gerechtigkeit für Frauen liegt Ihnen am Herzen
– in Bremen wie global...
Solange das Durchschnittseinkommen von Frauen in
Bremen 23 Prozent unter dem von Männern liegt, ist in
puncto Gleichstellung noch einiges zu tun. Da dürfen
Frauen nicht nachlassen, gerade wenn es um die Bezahlung in Berufen geht, die künftig immer wichtiger
werden wie beispielsweise in der Pflege.
Arbeitslosigkeit und Armut sind auch in Europa, besonders in Griechenland, aber auch weltweit ein Problem. Deshalb engagiere ich mich zum Beispiel über
die Clean Clothes Campaign (CCC) für die Rechte von
Textilarbeiterinnen und im Verein Sympathia für Solidarität mit Griechenland. Wir klären über politische
Zusammenhänge auf und leisten konkrete Hilfe, unter
anderem durch Medikamenten- und andere Spendensammlungen.
www.paulaundkind.com
www.kirche-bremen.de
So hoch sind die Renten
Bezogen auf 1.000 Versichertenrenten* in der gesetzlichen Rentenversicherung
Text: Matthias Dembski | Foto/Grafik: Picture Alliance
Frau & Arbeit
Kornelia Lerche
Telefon 0421/346 15 58
[email protected]
www.frauundarbeit.de
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung März 2016
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„Día de los muertos“ in Mexiko
„Geweint wird natürlich auch“
Trauerfeiern in Mexiko und Westafrika sind auch Lebensfeste
Lebensfest xxxxxxxxxxxxxxxxxx
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Die „catrinas“, Bilder und Skulpturen bekleideter Skelette, gehören in Mexiko ganz selbstverständlich zum
„día de los muertos“ (Tag der Toten), der Anfang November gefeiert wird. Es ist einer der wichtigsten Feiertage in dem mittelamerikanischen Land mit der weltweit drittgrößten Zahl an Christen.
Ein Fest für die Toten
Die auf uns befremdlich wirkende Dekoration gehört
ganz selbstverständlich zu dem Volksfest, mit dem die
Mexikaner an ihre Verstorbenen erinnern und ihre Wiederkehr an diesem Tag feiern. Denn nach dem Volksglauben kommen die Verstorbenen einmal im Jahr zurück. Familie und Freunde feiern deshalb an den ersten
beiden Novembertagen bei Essen, Musik und Tanz ein
heiteres Fest. Die Stimmung ist ausgelassen wie auf
einem Jahrmarkt, blumengeschmückte Totenaltäre vor
den Häusern und ein extra gebackenes „Totenbrot“
sind Teil des Festes.
Bestattung in Eigenregie
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Die Mexikaner haben ein unverkrampftes Verhältnis
zum Tod, was sich nicht nur an den Dekorationen zum
Tag der Toten zeigt. So gibt es keine Bestatter, die sich
um die Beisetzung des Verstorbenen kümmern. Das erledigen die Familien in Eigenregie: Sie waschen ihre
Verstorbenen, kleiden sie ein und legen sie in den Sarg,
in dem die Verstorbenen zu Hause aufgebahrt werden.
Eine Colaflasche aufs Grab
Am Vorabend der Beisetzung versammeln sich Familie,
Freunde und Nachbarn vor dem Haus des Verstorbenen. Man sperrt die Straße ab, damit kein Verkehrslärm
die Gedenkfeier stört. Es gibt Kaffee, Tee und Gebäck,
und der engste Angehörigenkreis hält eine Nachtwache. Bis zum Morgen wird gebetet, um den Toten ins
Jenseits zu leiten. Ein Fahrzeugcorso geleitet den Sarg
dann zum Friedhof. Dort verabschiedet sich die Trauergemeinde erneut am offenen Sarg, bevor er beigesetzt
wird. Man stellt Dinge aufs Grab, die der Verstorbene
mochte, vielleicht eine Colaflasche oder Agavenmost.
Neun Tage dauert die Trauerzeit („novenario“). Jeden
Abend wird vor dem Haus des Verstorbenen gebetet.
Am zehnten Tag nach dem Tod findet nach mexikanischer Tradition zu Hause ein großer Gottesdienst mit
anschließendem Essen statt.
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Hunderte von Gästen feiern tagelang
Auch in Westafrika ist die Bestattung ein großes Fest.
„Der Aufwand ist ungleich größer als in Deutschland,
weil hunderte Gäste kommen, und sich der Abschied
über mehrere Tage erstreckt“, erzählt Pastor Hannes
Menke, der lange in Togo und Ghana gearbeitet hat.
„Dafür gibt es eine Spendensammlung innerhalb der
Familie, damit hunderte von Gästen über mehrere Tage
anständig bewirtet werden können. Die Missionare haben das anfangs kritisiert, weil sie dahinter den Glauben an die Ahnen als Geister vermuteten: Um die Ahnen gnädig zu stimmen, bringt man sie besonders gut
unter die Erde. Letztlich hat sich das Christentum aber
mit der traditionellen Kultur verbunden.“
„Die Familie auffangen und unterstützen“
Der große Aufwand der Trauerfeier hat auch eine
seelsorgerliche Funktion: „Es geht darum, die Familie
aufzufangen und zu unterstützen“, erklärt Pastor Jean
Tamedzo aus Togo, der jetzt in Bremen lebt. Chöre aus
der Gemeinde singen für die Familie, Pastor und Kirchenvorsteher kommen zu Besuch. „Die Menschen bei
uns haben weniger Berührungsängste, auf Trauernde
zuzugehen, und die sind froh, wenn Gäste kommen.“
Weil Trauerfeiern in Togo und Ghana so viele Gäste haben, dauern die Vorbereitungen einige Wochen, manchmal Monate. Je nachdem, wie weit entfernt Verwandte
leben. Der Leichnam wird im Kühlhaus aufbewahrt.
Beerdigungen finden in der Regel sonnabends statt.
„Dann hat man das Gefühl, dass alle Welt zu irgendeiner Beerdigung unterwegs ist“, erzählt Hannes Menke.
„Dabei zu sein ist wichtig, weil alle, die zurückbleiben,
am Grab das Leben neu feiern. Die Verstorbenen sind
nicht weg sondern bleiben ein Teil der Gemeinschaft.“
Man trägt schwarze, aber auch rote und manchmal weiße Kleidung. „Ich habe auch schon erlebt, dass extra für
die Trauerfeier Stoffe gedruckt werden.“
Särge als Auto oder Turnschuh gestaltet
geschlossen und zum Ort der Trauerfeier gebracht. Der
Sarg ist in Togo schlicht, manchmal weiß, um die Freude
über ein langes Leben auszudrücken.
Im benachbarten Ghana bevorzugt man poppig-bunte
Gestaltungen. Vom Auto bis zum Turnschuh gibt es
alle denkbaren Sargformen. „Der Sarg drückt in Ghana etwas über den Verstorbenen aus“, erklärt Hannes
Menke. „Am Tag der Beisetzung gibt es auch fröhliche
Lieder, die die Person gern gesungen hat.“
Nach der Trauerfeier wird getanzt
„Geweint wird selbstverständlich auch, natürlich trauern die Menschen, aber gerade bei älteren Verstorbenen stehen Freude und Dankbarkeit für ein langes
Leben und der Stolz darauf im Mittelpunkt, was der
Verstorbene geleistet hat“, sagt Jean Tamedzo. „Nach
der Beisetzung feiern alle ein großes, positives Fest. Es
entstehen neue Beziehungen in der großen Familie, alte
Kontakte leben wieder auf. Es ist ein Fest der Lebenden,
bei dem getanzt, Musik gemacht, gut gegessen und
auch gelacht wird.“
Text: Matthias Dembski /Fotos: dpa picture allicance
Messe Leben & Tod
„Leben ist Vielfalt – Sterben auch?!“
Freitag, 29. bis Sonnabend, 30. April
in der Messe Bremen
Auch die christlichen Kirchen, Diakonie
und Caritas sind in der Halle 6
mit einem Stand vertreten.
Lebensfest
Sonnabend, 30. April 2016, ab 15.30 Uhr
Am Freitagabend beginnen die Feierlichkeiten mit einem Abendessen und einem Gottesdienst im Haus des
Verstorbenen. „Wenn der Pastor weg ist, feiern die Gäste ein großes Fest und holen mitten in der Nacht den
Leichnam aus dem Kühlhaus ab. Er wird zu Hause aufgebahrt.“ Nach einer Morgendandacht wird der Sarg
Eintritt frei
Lebensfest mit kulinarischen und musikalischen
Beiträgen aus verschiedenen Kulturen und Religionen.
www.leben-und-tod.de
www.kirche-bremen.de bremer kirchenzeitung März 2016
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Lebensfest inmitten der Trauer?
G
ott ist die Liebe
und wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott
und Gott in ihm.
„Wenn der Tag gekommen ist
und ich meine Augen schließe
und mich mein Löwenmut verlässt.
Wenn der Tag gekommen ist
und ich mit dem Wasser fließe,
hoffe ich, dass ihr mich
nicht vergesst.“
*
Die Bibel, Johannes-Evangelium, Kapitel 4, Vers 16
Zitat aus dem Song
„Das Leben ist schön“
von Sarah Connor
Als ich von Sarah Connor das erste Mal das Lied „Das Leben ist schön“ gehört
habe, hat mich der Text sehr angerührt. Was für schöne Gedanken und Wünsche
die Sängerin da beschreibt. Sie möchte bei ihrer Beerdigung lachende, tanzende,
fröhliche Menschen haben, die vor Glück weinen. Dann das einfache und doch so
wahre Fazit: „Das Leben ist schön, auch wenn es vergeht.“ Zu meinem Mann sagte
ich: „Mal sehen, wie lange es dauert, bis ich das Lied auf einer Trauerfeier höre.“
Das passierte dann tatsächlich ein paar Wochen später. Als das Lied in der Waller
Friedhofskapelle erklang, flossen sehr viele Tränen. Nicht vor Glück, sondern
vor Schmerz, weil da jemand endgültig nicht mehr da sein wird. Der Sarg der
Verstorbenen machte allzu deutlich, dass die gesungenen Worte nicht mit dem
Gefühl der Menschen zusammenpassten.
Anderen Kulturen fällt es leichter,
den Blick nach vorne zu richten
Ich fühlte mich an eine andere Trauerfeier vor ein paar Jahren erinnert. Ein junger
Mann war kurz vor seiner Hochzeit gestorben. Alle waren fassungslos, sprachlos.
Eine sehr dynamische Freundin der Familie nahm die Organisation der Trauerfeier
in die Hand. Frisch aus Amerika kommend und so von der dort herrschenden Kultur
beeindruckt, wollte sie eine „Celebration of life“ feiern. Fröhliche Lieder, helle
Kleidung, bunte Blumen, eine Bilderpräsentation aus dem Leben des Verstorbenen.
Es sollte ein Fest des Lebens werden. Als dann der Sarg inmitten des Arrangements
stand, wurde umso deutlicher: Das Feiern des Lebens war nur als Rückblick ohne
Zukunft möglich.
Andere Kulturen und Religionen begehen ihre Trauerfeiern anders als wir. Die
bekommen es hin, dass nicht die Trauer beherrschend ist sondern die Freude darüber, dass nun etwas Neues beginnt. Der Blick nach vorne, die Hoffnung auf etwas
Besseres machen den Abschied vom Gewesenen leichter.
Da frage ich mich schon, warum uns das in unserem kulturellen Kreis nicht so
gelingt. Ist es der protestantische Ernst oder die oft betonte deutsche Schwermut?
Vielleicht.
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bremer kirchenzeitung März 2016 · www.kirche-bremen.de
Nicht vor Glück geweint
Als meine Eltern gestorben sind, ist mir nicht nach feiern, tanzen, lachen zumute
gewesen. Vor Glück habe ich damals nicht geweint, so wie Sarah Connor singt. Aber
eigentlich hat sie recht! Denn unser Glaube sagt uns genau das mit jedem Osterfest
zu: Jesus hat den Tod besiegt. Wenn das kein Grund zum Feiern und Lachen ist!
Ostern bedeutet doch auch, dass es weitergeht. Anders, nicht mehr hier auf der Erde,
bei all den Menschen, mit denen man verbunden ist. Sondern es beginnt ein Leben
bei Gott. Wie das aussieht, in welcher Form, das weiß ich nicht. Davon hat Jesus
nichts erzählt. Er hat aber gesagt, dass wir dann ganz bei Gott sein werden. Bei dem
Gott, der uns geschaffen hat. Der uns hier auf Erden in seinen Händen gehalten
hat und von dem Jesus sagt, dass Gott die Liebe ist. Eine Liebe, die nie aufhört, die
tief und ehrlich ist. Die unsere Seele trägt und umhüllt. In unserem Leben und über
den Tod hinaus. Leider macht diese Zusage den Tod, die Trauer und den Abschied
nicht immer leichter. Aber dieses Versprechen kann uns trösten, kann uns Hoffnung
geben und uns helfen, weiter zu gehen. In die Zukunft zu sehen und die Schönheit
des Lebens zu genießen.
Und das ist dann doch ein Grund zum Lachen, Tanzen und Feiern. Wahrscheinlich
hat Sarah Connor das Lied ganz anders gemeint, aber für mich ist es ein schönes
Bild für Ostern.
Wenn ich in diesem Jahr Ostereier bemale, werde ich auf eines schreiben: das Leben
ist schön! Frohe Ostern!
*
Laut der Hilfsorganisation „Safe the Children“
haben in Syrien 250.000 Kinder nicht genug zu essen.
Ihnen fehlt es vor allem an Brot.
Pastorin Sabine Kurth
arbeitet in Walle.
Foto: Ulrike Rank
www.kirche-bremen.de · bremer kirchenzeitung März 2016
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Alles öko im
Frühlingsgarten
Vogel-Kinderstube
Sträucher und Hecken sind wertvolle Brutund Ruhezonen für Vögel. Zapfen tragende
Nadelgehölze und Beerensträucher freuen Vögel ebenfalls. Nistkästen mit unterschiedlich
großen Einfluglöchern helfen den gefiederten
Freunden beim Brüten.
Wenn es im Frühjahr wieder
grün wird, geht‘s für Hobbygärtner raus auf die Scholle.
Wer naturnah gärtnert,
bewahrt die Schöpfung.
Anstrich ohne Chemie
Heimisch statt exotisch
Kirschlorbeerhecken sind eine hochgiftige,
ökologische Pest. Besser heimische Gehölze
als gemischte Hecke pflanzen. Buche, Schlehe, Pfaffenhütchen, Kornelkirsche, Weißdorn,
Beerensträucher, Kätzchenweiden und Kletterpflanzen wie Wilder Wein, Efeu oder ungefüllte
Kletterrosen freuen Mensch und Tier.
Chemie belastet Menschen, Tiere und Pflanzen.
Im Naturgarten hat sie nichts zu suchen. Wer
seinen Zaun streicht, nimmt am Besten eine Lasur auf Basis von Leinöl, Wachs oder Harz. Die
gibt‘s auch in vielen fröhlichen Farben.
Beete nur lockern
Umgraben ist – außer bei schwerem Lehmboden – nicht nötig. Es zerstört das Ökosystem
im Boden, wo auf jedem Quadratmeter Billionen Bakterien, Milliarden Strahlenpilze, Millionen Einzeller und 200 Regenwürmer leben.
Umgraben bringt diese fruchtbare Ordnung
durcheinander, Auflockern reicht!
Nicht „ausfegen“
Laub sollte im Herbst liegenbleiben, denn
darunter leben Spinnen und Insekten, die
Vögeln als Nahrung dienen. Auch Igel freuen
sich über einen Laubhaufen – als Kinderstube und Winterquartier. Je mehr „Unordnung“
im Garten, desto besser für die Tierwelt!
Wiese statt Rasen
Insektenfreundlich
Bienen, Hummeln und Co. sind als Blütenbestäuber unersetzlich. Je bunter und blütenreicher ein Garten ist, desto besser. Auch ein
Insektenhotel darf nicht fehlen. Staudengärten
und Obstbäume sind eine Bienen- und Augenweide – und im Herbst kann geerntet werden!
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Rasenflächen können zu Lebensräumen
werden, wenn man einen Teil zum
Beispiel als Wildblumenwiese für
Hummeln, Bienen & Co. anlegt – was
nebenbei auch noch schön aussieht!
Kompost statt Torf
Herkömmliche Blumenerde enthält meist Torf.
Der Abbau zerstört Moore, jahrhundertealte
Lebensräume. Dabei kann man Blumenerde
auch selber herstellen und wird dabei auch
noch Gartenabfälle los. Diese Erde kann man
auch auf dem Recyclinghof kaufen.
Illustration: Andrea Imwiehe
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Straßen-Praktikant
Perspektivwechsel:
Der Schulpraktikant
Leonard Komar begleitete
Diakon Harald Schröder
in der Bremer City
Zwei Wochen unterwegs
mit der Aufsuchenden Seelsorge
Der Wind weht eisig, das Thermometer bewegt sich um null Grad. Lutz (alle Namen
von der Redaktion geändert) sitzt vor der Hauptpost an der Domsheide auf dem
Boden. Nur zwei Pappen trennen ihn vom kalten Pflaster. „Einen Kaffee nehme ich
gerne.“ Harald Schröder und sein Schülerpraktikant Leonard Komar (17) sind mit dem
Rucksackcafé unterwegs – Seelsorge auf der Straße bei denjenigen, an denen die Passanten sonst meist vorbeieilen. Noch ein Leckerli für den Hund, ein kurzes Gespräch
– und es geht weiter zum nächsten Sitzplatz.
In der Sögestraße treffen die beiden Karla und Stefan. Auch sie freuen sich über einen
heißen Kaffee gegen die Kälte und fragen den Streetworker gleich nach einem alten
Bekannten: „Den Jochen haben wir schon lange nicht mehr gesehen, wo ist der abgeblieben?“ Harald Schröder kennt seinen Schlafplatz und kann den beiden Auskunft
geben. „Sehen wir uns am nächsten Montag in der Winterkirche beim Mittagessen?“,
fragt er zum Abschied. Sie nicken, dann ziehen Schröder und sein Praktikant weiter.
Die Stadt mit anderen Augen sehen
Zwei Wochen lang hat Leonard Komar, Schüler des Nebelthau-Gymnasiums,
sein Diakonisches Praktikum bei der Aufsuchenden Seelsorge gemacht. „Ich
hatte vorher keinen Kontakt zu wohnungslosen Menschen, aber jetzt sind meine
Berührungsängste weg: Hand geben und einfach miteinander sprechen! Ich habe auf
der Straße viele freundliche und interessante Menschen getroffen.“ Jetzt sieht er die
Stadt mit anderen Augen, entdeckt Schlafplätze oder Gepäck-Verstecke, an denen er
vorher vorbeigelaufen ist.
In Bremen leben geschätzt
ca.
600 Menschen auf der Straße.
251 Obdachlose wohnen in Notunterkünften,
Auf der Straße zu leben heißt...
... Tag für Tag, bei Wind und Wetter, draußen zu bestehen
„Schicksale haben mich echt berührt“
„Die Lücke zwischen Leuten mit Job und Wohnung und denen auf der Straße
wird größer. Manchen sieht man die Armut nicht an, weil sie es schaffen, mit viel
Organisationstalent eine bürgerliche Fassade aufrecht zu erhalten. Das Bild des stinkenden Wohnungslosen mit zerfetztem Mantel und verfilzten Haaren stimmt nicht
immer.“ Leonard hat Flugzeugbauer und Bibliothekare getroffen, die auf der Straße
gelandet sind. „Manche Schicksale haben mich echt mitgenommen.“ So wie das eines
25-jährigen Obdachlosen, der gern Konditor lernen würde. „Für ihn hoffe ich, dass
er noch die Kurve kriegt und ihm jemand eine Chance gibt. Andere, so wie Martin
auf der Brücke am Wallgraben, werden für den Rest ihres Lebens buchstäblich auf
der Straße sitzen – weil sie nie mehr einen Job bekommen, es vielleicht auch nicht
mehr wollen. Irgendwann schwinden die Kräfte, und sie können sich zu nichts mehr
aufraffen.“ Das Leben auf der Straße ruiniere die Gesundheit: „Einige Leute, die ich
getroffen habe, werden dieses Jahr nicht überleben“, sagt Leonard. „Das ist hart.
Andererseits hat mich beeindruckt, wie sehr wohnungslose Menschen zusammenhalten. Wenn etwa jemandem der Schlafsack geklaut wurde, organisiert ein anderer
einen neuen.“
„Ohne Ehrenamtliche läuft nichts“
Es werde ihn weiter beschäftigen, wie schnell Menschen aus der bürgerlichen Existenz
abrutschen und auf der Straße landen können. „Wenn man sieht, wie rappelvoll es im
Bremer Treff, einer kirchlichen Begegnungsstätte, in der Winterkirche oder bei den
Suppenengeln ist, weiß man, wie viele Menschen Hilfe brauchen.“ Doch die ist oft
nur mit Hilfe von Ehrenamtlichen zu bewerkstelligen. „Ohne sie würde das soziale
Netzwerk zusammenbrechen“, meint Leonard. „Das ist bedenklich, weil es immer
mehr dauerhaft arme Menschen gibt. Das kann man nicht alles Ehrenamtlichen
aufbürden, die wenigen Hauptamtlichen eher schlecht bezahlen und die meist befristeten Hilfsprojekte auf Spendenbasis finanzieren.“
„Helfen, damit niemand abrutscht“
Der Leistungsdruck in der Gesellschaft nehme ständig zu. „Man braucht heute schon
das Abi, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wer die Leistung nicht bringen
kann, für den sieht‘s düster aus.“ Leonard selber hat sich ein Ziel gesetzt: „Armut ist
Scheiße – aber keine Schande. Sollte ich später beruflich irgendwo Verantwortung
tragen, dann möchte ich auch soziale Ziele verfolgen und die Menschen um mich
herum im Blick behalten. Jeder braucht eine Chance, und wenn es ihm nicht gut geht,
Hilfe, um nicht abzurutschen und auf der Straße zu landen.“
Text: Matthias Dembski | Fotos: Matthias Dembski
... arbeitslos zu sein, mehr als 90 Prozent sind erwerbslos
... isoliert zu leben, abgeschnitten von sozialen Kontakten, Kultur und Freizeitangeboten
Anzeige
... vertrieben zu werden: „Reiche“ Stadtteile sind für Wohnungslose „No go areas“
... einen eingeschränkten Aktionsradius zu haben und nicht mobil zu sein
... kein Bankkonto zu haben
... keine Postanschrift zu haben, das heißt, für Behörden, Freunde und Familie nicht erreichbar zu sein
... nicht wählen zu können, weil die Wahlbenachrichtigung nicht zugestellt werden kann
... ohne Wasserversorgung und Toiletten leben zu müssen
... abgeschnitten von Bildung und Medien zu leben
... mangelernährt und bewegungsarm zu sein
... kaum Zugang zu medizinischer Versorgung zu haben
... ohne Privatsphäre auf dem Präsentierteller zu leben
... schutzlos Wind und Wetter sowie Gewalt ausgesetzt zu sein
... arm zu sein, nicht konsumieren zu können, weil Geld fehlt
Seelsorge auf der Straße
Harald Schröder
Telefon 0421/897 418 27
[email protected]
... betteln zu müssen und deswegen diskriminiert zu werden
... keine Wohnung mehr zu bekommen, in Abbruchhäusern,
unter Brücken oder in Notunterkünften schlafen müssen
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www.kirche-bremen.de
www.menschenrecht-auf-wohnen.de
www.nebelthau-gymnasium.de
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Familien- & Lebensberatung
der Bremischen Evangelischen Kirche
vertrauliche Beratung (Schweigepflicht)
offen für alle (unabhängig von Konfession & Religion)
Beratung soll nicht an den Finanzen scheitern,
Eigenbeteiligung von einem Prozent des
Nettoeinkommens pro Sitzung ist erwünscht.
Psychologische Beratung bei Konflikten und in Lebenskrisen,
z.B. durch gesundheitliche, berufliche oder persönliche Probleme
Beratung bei Partnerschafts-/ familiären Problemen sowie Erziehungsfragen
Mediation: Vermitteln, um den Streit zu versachlichen
Elterntraining „Kinder im Blick“ für Eltern in Trennung und Scheidung
Schwangerenberatung, Infos zu Pränataldiagnostik und vertraulicher Geburt
Unterstützung bei Fragen und Problemen in der Schwangerschaft
Schwangerschaftskonflikt-Beratung (mit Beratungsschein)
Kontakt:
Telefon 0421/33 35 63
[email protected]
Als Paar in der Beratung
Wenn das Fundament rissig wird
Irgendwann wuchs sich der ganz normale Alltagswahnsinn bei Kathrin (31)
und Markus (36) zur Krise aus, deshalb gehen sie jetzt zur Paarberatung
der Evangelischen Familien- und Lebensberatung. Seit 12 Jahren sind sie
ein Paar, mittlerweile haben sie zwei kleine Kinder im Kita-Alter. Sie arbeiten in Berufen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten, gleichzeitig studieren
sie noch, um später bessere berufliche und finanzielle Perspektiven zu
haben: „Ein bewegter und voller Alltag, aber es wurde einfach irgendwann
zu viel, die Fetzen flogen fast dauerhaft“. Der vollgeschriebene Kalender
über der Küchenbank zeigt, wie das Leben dieser Familie Kopf steht und
was Markus und Kathrin alles „auf dem Zettel haben“.
Kathrin: Unsere Auseinandersetzungen wurden immer heftiger. Schon an
Kleinigkeiten wie „Du hast den Tisch nicht abgewischt“ konnte sich ein Konflikt entzünden, bei dem wir oft beleidigend wurden. Streitigkeiten schaukelten sich oft ins
Grundsätzliche hoch, und wir haben uns gegenseitig mit Worten verletzt. Wir haben
Grenzen überschritten, so dass wir irgendwann gesagt haben: Jetzt brauchen wir Hilfe
von Außen, sonst geht unsere Beziehung kaputt, und unsere Kinder leiden darunter.
Markus: Es war ein Pingpongspiel, unser Streit war nicht produktiv. Wir haben uns
im Kreis gedreht. Aus dieser Spirale wollten wir beide raus – ohne eine Trennung,
wobei auch diese Möglichkeit im Raum stand. Aber mit drei Kindern sucht man erstmal nach anderen Lösungen.
Wir waren uns einig, dass das Fundament unserer Partnerschaft Risse bekommen hat.
Wir waren nur noch erschöpft, leicht reizbar und hatten kaum Freiraum, überhaupt
über irgendwas zu sprechen. Ständig wuseln die Kinder herum, ansonsten ist man
damit beschäftigt, denn Alltag am Laufen zu halten. Dort, wo wir abends aufgehört
hatten zu streiten, fingen wir am nächsten Morgen wieder an. Es war einigermaßen
ausweglos, über Wochen und Monate hinweg.
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Kathrin: Ich möchte nicht, dass unsere Kinder das Gefühl haben, dass man so mitei- Markus: Das gab’s vorher vielleicht auch schon, aber wir haben uns nicht mehr
nander umgeht, wenn man sich lieb hat. Meine Kinder sollen lernen, wie man höflich gesagt, dass es uns gut tut. Wir haben gelernt, anders über uns selber nachzudenken
und respektvoll miteinander umgeht. Davon waren wir weit entfernt.
und verständlich auszudrücken, was uns verletzt und belastet.
Markus: Kathrin hat sich dann über die Beratungsmöglichkeiten für Paare in Bremen
informiert, wir haben gemeinsam die Evangelische Familien- und Lebensberatung
ausgesucht. Innerhalb von drei Wochen hatten wir einen Termin. Die Chemie zwischen der Beraterin und uns stimmte, was für eine solche Beratung ganz wichtig ist.
Markus: Wenn heute jemand von uns am Ende ist und eine Auszeit braucht, können
wir uns ein Signal geben und uns zurückziehen. Dafür haben wir in der Beratung
Verabredungen getroffen. So sind wir raus aus dem Teufelskreis, dass solche
Situationen eskalieren. Ich finde die Beratung sehr praxisorientiert. Gelöst haben wir
unser Problem dann, wenn wir uns selber den Freiraum zum Gespräch auch außerKathrin: Mir waren Instrumente wichtig, mit denen wir unsere Streitigkeiten in den halb der Beratung schaffen. Selbst wenn wir uns jetzt noch trennen würden, haben
Griff bekommen und zum Kern vordringen, warum es zwischen uns so schwierig ist. wir eine Kommunikation miteinander gefunden, die wir so vorher nie hatten.
Markus: Mittlerweile sind wir seit vier Monaten dabei und gehen alle zwei Wochen
zur Beratungsstelle. Wenige Male hatten wir auch ein Kind dabei, wenn es mit der
Betreuung schwierig wurde. Wir haben endlich einen Raum gefunden, wo wir uns in
Ruhe mit dem auseinandersetzen können, was zwischen uns steht.
Kathrin: Wir haben ein neues Fundament gefunden, auch wenn die Krise nicht völlig überwunden ist. Unsere Lebensumstände, den Stress und die Belastungen können
wir kurzfristig nicht verändern. Aber wir haben einen anderen Umgang damit gefunden. Stresswellen sind noch da, etwa wenn Semesterarbeiten geschrieben werden
müssen. Aber wir haben neue Kraftquellen gefunden, jeder für sich und miteinander.
Kathrin: Ich habe die Sichtweisen meines Mannes besser verstehen gelernt, die Ich werde zum Beispiel jetzt eine Mutter-Kind-Kur beantragen, ein ganz konkreter
mir vorher nicht zugänglich waren. Wir haben inzwischen einmal monatlich eine Lichtblick.
Verabredung miteinander nur als Paar – ohne Kinder. Wir brunchen zum Beispiel am
Wochenende im Café. Diese Idee führte dazu, dass wir uns als Paar wieder angenä- Markus: Wir lassen unsere Probleme nicht mehr so lange vor sich hin gären, sonhert haben. Ich habe neu gelernt, meinen Mann wertzuschätzen.
dern haben Strategien gefunden, sie schneller miteinander zu klären. Die Zahl und
Intensität der Konflikte hat sich deutlich reduziert. Die Beratung kann einem Paar
Markus: Das ist bei uns ein großes Thema, nicht nur die negativen Seiten des sehr helfen, wenn man sich darauf einlässt, statt endlos zu leiden.
Anderen zu kritisieren, sondern auch neu zu entdecken, was toll an meiner Partnerin ist.
Kathrin: Es muss nicht alles zerbrochen und kaputt sein, bevor man sich Hilfe holt.
Kathrin: Ich habe viele Kleinigkeiten entdeckt: wann er mich umarmt und es mir gut
Gesprächsprotokoll: Matthias Dembski | Illustration: Elke R. Steiner
tut, dass er am Wochenende Frühstück macht, während ich noch liegenbleiben kann.
Jubiläum
50 Jahre Beratungsstelle
Sonntag, 17. April, 18 Uhr,
Gottesdienst und Empfang: „Sehnsuchtsort Familie“
Kulturkirche St. Stephani Bremen
Donnerstag, 21. April, 19.30 Uhr,
Ritual und Krise in der Liebe,
Vortrag von Wolfgang Schmidbauer
Kulturkirche St. Stephani Bremen
Eintritt : 10 / 5 / 3 Euro
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Scheidungen in Deutschland
Ehescheidungen mit und ohne minderjährige Kinder in Deutschland
von 2006 - 2013; Quelle: Statista
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Die Apkalypse ist zehn Tonnen schwer und hat
fast sechs Meter Durchmesser. Aufgespannt auf
433 Europaletten entfaltet die Künstlerin Patricia
Lambertus in der Kulturkirche St. Stephani ihr vier
Meter hohes Enthüllungs-Panorama mit endzeitlichen
Motiven. Von der Vertreibung aus dem Paradies bis
zum Hölleninferno zeigt ihre Collage die kleinen und
großen Dramen der Menschheitsgeschichte. Düstere
Weltuntergangsszenarien haben Menschen seit jeher
fasziniert: So verwendet Lambertus mittelalterliche
Gemälde von Cranach, Wohnzimmertapeten mit
Schlacht-Motiven aus dem 19. Jahrhundert und zeitgenössische Motive aus dem Internet. Auch Dürers apokalyptische Reiter tauchen in verfremdeter Form neben
Nazi- und IS-Propaganda-Motiven auf.
Ausstellung in der Kulturkirche
Apokalypse
Schon im Paradies lauert das Böse
Immer wieder mischt sie Militärmuster unter HeileWelt-Motive wie eine Karibik-Idylle mit untergehender
Sonne. Die Gewalt und das Böse fallen immer wieder
in die Welt ein – bis zur Totalzerstörung, die am Schluss
des Panoramas steht. Wer sich innerhalb des Rodells
aus Europaletten im Kreis dreht, kann die bildliche
Reise durch die Menschheitsgeschichte wieder von
vorne beginnen – im Paradies, wo das Böse in Gestalt
von Kriegsgerät bereits lauert. Ob sich die Lust der
Menschen am selbstgemachten Untergang stoppen
lässt? – Das unglaublich detailreiche Panorama von
Patricia Lambertus, das sie während ihres zehnmonatigen Kulturkirchen-Stipendiums aus unzähligen
Bildfragmenten am PC entworfen hat, gibt keine
Antwort, aber es liefert beeindruckend-beklemmende
Bilder, die nachdenklich machen.
In Bewegung
Alles um uns herum wird schneller – vielleicht liegt
genau darin das Geheimnis, warum Pilgern heute so
im Trend liegt. Wer pilgert, hält den Alltag an. Und wer
sich auf den Weg macht, gewinnt neue Erfahrungen
mit sich und auch mit Gott. Ob Trauer, Abschiede,
berufliche und persönliche Neuanfänge – beim Pilgern
kann man über vieles nachdenken. Hape Kerkeling
hat seine Erfahrungen so beschrieben: „Pilgern ist die
Suche nach Gott! Und wer nach Gott sucht, wird unweigerlich über das eigene Ich stolpern!“ Wer sich mit Leib
und Seele auf den Glaubensweg machen will, hat dazu
im Pilgerjahr 2016 viele Gelegenheiten.
der Mönche, die das Christentum im Mittelalter in
den Norden brachten. Vorbei an Jahrhunderte alten,
aus Feld- und Backstein errichteten Kirchen, quer
durchs wunderschöne Alte Land mit seinen ObstbaumPlantagen, setzt man in Wischhafen über die Elbe. Zum
Mönchsweg gibt es auch einen Infoabend.
Auf dem Pilgerweg „Ochtum, Marsch und Moor“ kann
man ebenfalls per Rad eine geführte Tour ab Hasbergen
unternehmen. Auch in der Stadt kann man pilgern:
Einmal monatlich startet das „Stadt-Pilgern“ am Kapitel
8 an der Domsheide, „Pilgern am Samstag“ startet in
Bremen-Nord von der Christophorus-Gemeinde aus.
Viele Pilgerwege in Bremen und „umzu“
Vom Pilgern erzählen
Gleich drei Pilgerwege laden in Bremen und „umzu“
dazu ein, sich auf den Weg zu machen: Der berühmte
Jakobsweg verläuft durch die Hansestadt, der
Mönchsweg nimmt hier seinen Ausgang, und wer regional unterwegs sein möchte, der wählt den Pilgerweg
„Ochtum, Marsch und Moor“. Für Neueinsteiger: Auf
allen Wegen sind auch Tagesetappen möglich. Wer
nicht auf Schusters Rappen sondern im Fahrradsattel
unterwegs sein möchte, für den ist der Mönchsweg,
ein Radfern-Pilgerweg, das richtige. Er folgt den Spuren
Erstmals können sich Bremer Pilgerinnen und Pilger
zum „Saisonabschluss“ mit Gleichgesinnten austauschen - nach einer Dankandacht im Dom in der PilgerKlause im Lighthouse an der Weser.
Wer andere für das Pilgern begeistern und dabei begleiten möchte, ist bei der Pilgerbegleiter-Ausbildung des
Evangelischen Bildungswerks richtig, die das nötige
Handwerkszeug und reichlich Praxiserfahrungen vermittelt.
Text: Matthias Dembski / Foto: Ulrike Rank
Angebote für
die Pilgersaison 2016
Hier finden Sie alle
Termine und Angebote
zum Pilgerjahr 2016
in Bremen und „umzu“.
www.kirche-bremen.de
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Text & Foto: Matthias Dembski
»Apokalypse«
Ausstellung in der Kulturkirche St. Stephani
Das Panorama von Patricia Lambertus
ist noch bis zum 6. Mai 2016 zu sehen.
Öffnungszeiten:
dienstags bis sonntags 11 bis 17 Uhr
(Stephanikirchhof 8), Eintritt frei
So 20. März, 18 Uhr
Kulturgottesdienst
„Wer hat Angst vor der Apokalypse?“
mit Pastorin Diemut Meyer, Patricia Lambertus,
Frank Laukötter, Musik: Bremer Kantorei St. Stephani
unter Leitung von Tim Günther
www.kulturkirche-bremen.de
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Wasser für alle
ist in der Bremer City Mangelware
Durststrecke
Der nächste Sommer kommt bestimmt, und damit wird
das Wasser-Problem von Jörg (Name von der Redaktion geändert) wieder größer. Jörg lebt in der Bremer
Innenstadt, aber er ist – wie geschätzt 600 Menschen
– obdachlos. Er macht Platte und hat deshalb ein Wasserproblem. „Kein Trinkwasser, kein Klo, keine Waschmöglichkeit“, fasst er zusammen. Trinkwasser muss er
kaufen und mit sich herumschleppen, wenn denn das
erbettelte Geld dafür gerade da ist. Öffentliche Toiletten gibt es in der City nicht mehr, und die vier „Netten
Toiletten“ in Cafés, Geschäften und Gastronomiebetrieben kommen für ihn nicht in Frage. „So wie ich aussehe, komme ich nicht an der Kuchentheke vorbei und
möchte mich auch nicht begaffen lassen, nur weil ich
mal muss.“
Toiletten, Duschen
und Waschmaschinen fehlen
Anzeigen
„Armut stinkt“, stellt Diakon Harald Schröder fest. Das
meint er nicht abschätzig sondern ganz sachlich: „Wer
auf der Straße lebt und keine Möglichkeit hat, sich regelmäßig zu waschen oder zu duschen, riecht natürlich
irgendwann.“ Selbst wenn Wohnungslose einmal die
seltene Gelegenheit haben, sich zu duschen, stellt sich
das Problem der Wechselkleidung. Wer seine ganze
Habe mit sich trägt, hat selten eine zweite Wäsche- und
Oberbekleidungsgarnitur dabei. Im Bremer Treff, der
kirchlichen Begegnungsstätte, gibt es zwar Duschen
und Waschmaschinen, aber die Warteliste ist so lang,
dass es teils Wochen dauert, bis man an der Reihe ist.
Die Innere Mission bietet im Café Papagei am Bahnhof eine Dusche für Männer und im „Frauenzimmer“
Duschmöglichkeiten für Frauen, die nicht ganz so überlaufen sind. „Wir suchen aber noch dringend Sponsoren
für den Strom- und Wasseranschluss und für eine ProfiWaschmaschine und einen Wäschetrockner“, sagt Rüdiger Mantei, Leiter des Café Papagei. Auch er bestätigt
die katastrophale Toilettensituation für wohnungslose
Menschen in der Bremer City. „Da muss sich dringend
etwas verändern.“
führen, um öffentliche Trinkwasserbrunnen in der Stadt
aufzustellen. Vorgabe: Sie sollen „insbesondere durch
Spenden und/oder Sponsoring“ finanziert werden. In
Städten wie Hamburg, Berlin oder Dortmund gibt es
bereits ein dichtes Brunnennetz. In Dortmund verteilen
sich 31 formschöne Brunnen über das gesamte Stadtgebiet, deren Betrieb der regionale Versorger DEW 21
als sein „gesellschaftliches Engagement“ betrachtet.
„Hamburg Wasser“ bietet an neun Orten in der Elbmetropole kostenloses Trinkwasser an. In Bremen sind
Aufstellungs- und Folgekosten, aber auch technische
Fragen und Grundeigentumsverhältnisse nach wie vor
ungeklärt, und es gibt immer wieder Bedenken der Behörden. Die aus Kirchenmitteln finanzierten Brunnen
sind ein erster Tropfen auf den heißen Stein. 3.000
Euro hat der Brunnen an St. Johann gekostet, 14.000
Euro werden für den künstlerisch aufwändigeren, weil
denkmalgerechten Brunnen an der Kirche Unser Lieben
Frauen fällig. Auch die laufenden Verbrauchskosten
zahlen die Kirchengemeinden. Harald Schröder erinnert
an eine Stelle in der Bibel, wenn er die unzureichende
Wasser- und Toilettensituation für wohnungslose Menschen kritisiert: „Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum
Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen“, heißt
es in der Bibel im Buch Jesaja (Kapitel 55, Vers 1). „Natürlich gibt es ein Menschenrecht auf Wasser und Toiletten, aber leider keine Möglichkeit, es praktisch durchzusetzen. Letztlich werden wohnungslose Menschen auf
diese Weise aus der Innenstadt vertrieben.“ Auch wenn
ein zweiter kirchlicher Trinkwasserbrunnen sprudelt: Die
Durststrecke für wohnungslose Menschen in der Bremer
Innenstadt geht erstmal weiter.
bremer kirchenzeitung März 2016 · www.kirche-bremen.de
Diakon Harald Schröder
Telefon 0421/89 74 18 27
[email protected]
Spendenkonto
Gemeinde Unser Lieben Frauen
Stichwort „Rucksack-Café“
IBAN: DE49 2905 0101 0001 0904 06
BIC: SBREDE22XXX
Café Papagei
Treffpunkt für Menschen auf der Straße
Rüdiger Mantei, Leitung
Telefon 0421/17 50 46 92
[email protected]
Spendenkonto
Verein für Innere Mission
IBAN: DE22 2905 0101 0001 0777 00
BIC: SBREDE22XXX
www.kirche-bremen.de
www.inneremission-bremen.de
Vier nette City-Toiletten
Trinken ist lebenswichtig
Bremen hat keine
öffentlichen Toiletten
mehr. Früher wandte die Stadt mehr als eine
Million Euro jährlich dafür auf. Seit 2013 gibt Bremen
Trinken ist gesund und lebensnotwendig.
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mit Menschen, die in Armut leben
Text: Matthias Dembski | Foto/Grafiken: Ulrike Rank
Anderswo läuft‘s
Weil es in Bremen bislang keine öffentlichen Trinkwasserbrunnen gibt, ist Harald Schröder gemeinsam mit Kirchengemeinden aktiv geworden. Im letzten Jahr konnte
an der katholischen Propsteikirche St. Johann eine Wasser-Zapfstelle eröffnet werden, im Mai soll ein zweiter
Brunnen an der Kirche Unser Lieben Frauen folgen. Die
Bürgerschaft hat den Senat im vergangenen September
gebeten, Gespräche mit örtlichen Wasserversorgern zu
Aufsuchende Seelsorge
Wasser ist ein Muntermacher in jeder Jahreszeit!
für die „Nette
Toilette“, vorwiegend in der
Gastronomie, 75.000 Euro jährlich aus.
Mindestens 1,5 Liter sollte jeder Mensch täglich
trinken, je nach Alter, Witterung und Anstrengung
Grundleistungsempfänger bekommen 35 Cent
auch mehr. Wer weniger als 1 Liter trinkt, gefährdet
Wassergeld pro Quadratmeter. Bei einer
seine Gesundheit. Trinken sollte man den ganzen Tag
40 Quadratmeter-Wohnung sind das 168 Euro im Jahr.
– möglichst gleichmäßig verteilt! Wasser, ungezuckerte
Bei 600 Obdachlosen „spart“ die Stadt über
Kräuter- und Früchtetees und Saftschorlen im
100.000 Euro im Jahr, weil Menschen ohne
Verhältnis 1:3 sind die besten Durstlöscher.
Wohnung kein Wassergeld bekommen.
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Stapellauf in der Kita
Karl-Heinz Kröber ist als ehrenamtlicher „Werkopa“
in der Kita aktiv und baut mit Kindern kleine Holzboote
Mit Kindern Boote bauen
Material
ein Holzbrett (etwa 10 cm breit, etwa 2 cm dick)
Schaschlikspieße für die Masten
Papier für die Segel, Bunstifte zum Bemalen
der Segel und zum Beschriften des Schiffchens
und des Kapitänshäuschens
Holzleim
Polsternägel, am besten aus Messing, ca. 1,5 cm lang
Wollfäden für die Reling
Werkzeug: Stichsäge, Handbohrer für Holz,
Hammer, Schleifpapier/Feile
Auf dem Brett den Schiffskörper aufzeichnen,
mit der Stichsäge aussägen.
Sägekanten glatt schleifen oder feilen.
Einen viereckigen Holzklotz
als Kapitänshäuschen aussägen.
Position des Häuschens und der Masten
aufzeichnen, Mastlöcher bohren.
Am Rand des Schiffskörpers im Abstand
von ca. 1,5 cm Nägel einschlagen,
mit Wolle die Reling darum wickeln.
Das Kapitänshäuschen mit Holzleim auf dem
Schiffskörper festkleben.
Masten am Ende mit Holzleim einstreichen
und in die vorgebohrten Löcher stecken.
Segel bemalen und auf die Masten stecken.
Anzeigen
Vorsichtig und konzentriert fährt Ilsabe (5) mit der elektrischen Stichsäge durch das
Holz. Karl-Heinz Kröber führt die Säge sicherheitshalber mit. Der Werkraum der evangelischen Kita Haus Blomendal ist wie jeden Donnerstag wieder eine Bootswerft.
Zum Bootsbau-Team gehört erstmals Tessa (4), die in der kommenden Woche ihr eigenes Boot bauen wird. Heute ist sie Bootsbau-Assistentin für ihre Kindergartenfreundin
Ilsabe. „Geschafft, jetzt kannst du das abgeschnittene Holzstück in die Abfallkiste
werfen“, sagt Karl-Heinz Kröber, der die Aktion anleitet. Der 67-jährige pensionierte
Bahnbeamte, der früher als Stellwerk-Leiter arbeitete, ist seit 10 Jahren ehrenamtlicher „Werkopa“ in der Blumenthaler Kita. „Als ich mit 56 Jahren in den Vorruhestand
ging, war für mich klar: Nur zu Hause rumsitzen kommt nicht in Frage!“ Mittlerweile
hat Kröber selber fünf Enkel. „So hatte ich immer Kontakt mit dem Kindergartenalter.“ Eine Nachbarin, die in Haus Blomendal als „Vorlese-Oma“ aktiv war, überzeugte
ihn, dort mal vorbeizuschauen. „Eine super Mannschaft und ein tolles Klima“, stellte
Kröber schnell fest – und blieb.
„Ich hatte ein wenig handwerkliche Vorbildung und Lust, mit den Kindern einfache
Schiffsmodelle zu bauen.“ In der Kita gibt es einen Werkraum mit einer Kinderwerkbank und Werkzeug. „Eigentlich bauen wir seit zehn Jahren unverändert dieselben
Schiffchen ohne viel Schnickschnack“, meint Kröber. Doch die Kinder in Haus Blomendal lieben die Schiffchen. „Die Nachfrage ist ungebrochen, weil jede Woche nur zwei
Kinder gemeinsam ein Boot bauen können“, erzählt Kröber. Tessa überlegt schon,
wen sie in der kommenden Woche als Assistentin auswählt, wenn sie ihr eigenes
Boot baut. „Vielleicht nehme ich Charlene mit.“ Im Laufe des Kita-Jahres kommen alle
Kinder dran, die Arbeit in Zweier-Teams hat sich bewährt. „So kann ich die Arbeiten
gut anleiten und die Kinder haben die nötige Ruhe, wenn sie mit Hammer oder Feile
hantieren.“ Denn Nägel einzuschlagen oder mit dem Handbohrer die Löcher für die
Masten zu bohren, ist gar nicht so einfach. „Eine Ergotherapeutin hat mir mal gesagt,
wie gut solche Werkarbeiten die Feinmotorik fördern“, erzählt Kröber. „Mädchen sind
übrigens oft geschickter, Jungs gehen eher grob zur Sache.“
Individuell werden die Boote durch die Bemalung, den Namen auf dem Kapitänshäuschen und die Farbe der Reling, die mit Wolle um die zuvor eingeschlagenen kleinen
Messingsnägel gewickelt wird. Ilsabe geht diese Arbeit leicht von der Hand. Gekonnt
wickelt die Fünfjährige den roten Wollfaden um die Nagelköpfe. „Ich helfe dir beim
Knoten und Abschneiden, halt‘ den Faden gut fest“, sagt Kröber. Nachdem Masten,
Segel und das Kapitänshäuschen angebracht sind, läuft das fertige Schiff nach einer
Dreiviertelstunde vom Stapel.
Durch Freiwillige wie Karl-Heinz Kröber können Kitas solche zusätzlichen Angebote
machen. Mehr als 150 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in kirchlichen Kitas.
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Text/Fotos: Matthias Dembski
Schiffsmodell seit zehn Jahren ein Dauerbrenner
Ehrenamtliche bereichern den Kita-Alltag
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Sie sind aber niemals Lückenbüßer sondern bereichern mit ihren Fähigkeiten und ihrer
Kreativität den Kita-Alltag – ob als Übersetzerin für Flüchtlings-Eltern, in Büchereien
oder Garten-Projekten oder auch als Hausaufgabenhilfen in Horten. Als „Werkopa“
ist Karl-Heinz Kröber für die Blumentaler Kinder ein echtes Highlight. „Ich bekomme
von den Kindern ganz viel Spaß und die Freude zurück. Das motiviert mich, auch nach
zehn Jahren immer noch weiterzumachen. Selbst wenn ich mich mal aufraffen muss –
nach fünf Minuten in der Kita bin ich wieder begeistert bei der Sache. Die Arbeit mit
den Kindern ist auch eine Herausforderung, die mich fit hält.“
Ehrenamtlich aktiv
in Evangelischen Kitas
Gesucht
Unterstützung beim Gärtnern
Ein ehrenamtliches Übersetzerteam
Back- & Kochkünstler/innen oder ein festes Grillteam für Kita-Feste
Bastel- & Handwerks-Expert/innen für die Spielplatz- und
Außengelände-Gestaltung, kleine Reparaturen oder Werk-Projekte
Ausflugsbegleitungen
Lesepaten und Geschichtenerzählerinnen
Hausaufgabenhelfer/innen im Hort
Mitzubringen
erweitertes Führungszeugnis
Lust, Ideen & Kreativität, mit Kindern Projekte zu gestalten
Kontakt & Infos
„Aktiv evangelisch“
Evangelisches Informationszentrum Kapitel 8
Telefon 0421/33 78 220
[email protected]
www.aktiv-evangelisch.de
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500 Jahre Reformation
»H
at euch das Christus gelehrt oder seine Apostel,
die Propheten oder Evangelisten? Zeigt mir, wo das steht,
ihr hohen Meister! Ich finde an keinem Ort in der Bibel,
dass Christus noch seine Apostel oder Propheten jemanden
eingekerkert, verbrannt noch gemordet haben oder
sie des Landes verwiesen. (…)
Man weiß wohl, wie weit man der Obrigkeit gehorsam sein soll.
Aber über das Wort Gottes haben sie nicht zu gebieten,
weder Papst, Kaiser noch Fürsten.
Argula von Grumbach (1492-1554),
Brief an die Universität Ingolstadt
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voller Vorurteile, Gewaltdrohungen und Hass ist nicht
das Netz, das wir anstreben sollten. Hasskommentare
sollen letztendlich auch dazu dienen, andere Menschen
zu entmenschlichen und sie verstummen zu lassen. Wir
schränken aber unsere Meinungsfreiheit ein, wenn wir
solche verbale Gewalt zulassen und einfach als Teil der
Netzkultur akzeptieren. Die Polizei sollte beispielsweise
Anzeigen ernstnehmen und ihnen nachgehen. Stattdessen bekommen feministische Aktivistinnen aber noch
immer Aussagen zu hören wie: „Dann schreiben Sie
doch nichts ins Internet.“
Anne Wizorek
Autorin und Beraterin für digitale Medien,
löste auf Twitter (#aufschrei) eine deutschlandweite Sexismus-Debatte im Netz aus. Zehntausende
Menschen, vor allem Frauen, twittern seit 2013
über ihre Erfahrungen mit
Sexismus im Alltag.
Gerade seitdem ich zu feministischen Themen im Internet blogge, erlebe ich täglich durch Hasskommentare,
wie tief verwurzelt Diskriminierung leider immer noch
ist. Wichtig ist aber zu verstehen: Nicht das Netz macht
Menschen sexistisch oder rassistisch, sondern es bringt
bereits bestehende Einstellungen zum Vorschein.
Wir sind in Sachen Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit,
Toleranz und Gesprächskultur eben leider noch nicht
so weit, wie wir gern glauben möchten. Hier kommt
auch das Problem der Mehrfachdiskriminierung verschärfend hinzu: Eine Schwarze Frau wird im Netz noch
mal anders angegriffen als zum Beispiel ich es werde. Darüber möchte ich aufklären, denn ein Internet
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Was hätten die Reformatorinnen der Kirche heute gesagt?
Ein wichtiges Anliegen war
Argula von Grumbach ein gewaltfreier Glaube. Heute kämpft die
Bloggerin Anne Wizorek gegen
Hass-Postings und Gewalt im
Netz.
Bereits 2013 konnten wir bei der Debatte um den Hashtag „Aufschrei“ sehen, wie viele Leute Ausreden dafür
hatten, warum ein weißer Mann sexuell belästigen darf
und das ja „alles nicht so schlimm“ sei. Nach den Silvester-Übergriffen von Köln sind es nun oft dieselben
Leute, die sexualisierte Gewalt plötzlich schlimm finden,
aber eben nur, weil sie von Männern mit Migrationshintergrund kam. Sexualisierte Gewalt ist aber eben niemals in Ordnung, egal von wem sie ausgeht.
aber, um die Aussage einer Person richtig einzuordnen.
Manches, was an Aggressionen im Netz passiert, hat
auch mit diesem Umstand zu tun. Wir sollten daher
dringend so früh wie möglich ein Fach „Medienpädagogik“ an den Schulen einführen, um einen kompetenten Umgang mit dem Internet und anderen Medien zu
vermitteln. Dazu gehört auch, die Glaubwürdigkeit von
Quellen im Netz besser einzuschätzen.
Das Internet muss endlich als Arbeits- und Lebensraum
ernst genommen werden, der uns viele positive Möglichkeiten bietet. Es darf wiederum kein Raum sein, wo
es als normal gilt, dass Menschen beschimpft und bedroht werden. An Bewegungen wie Pegida sieht man
auch Risiken des Internets: Menschen können sich dort
wie in einer Blase abschotten und nur noch die Infos
suchen, die ihr Weltbild untermauern – gegen Feministinnen genauso wie gegen Flüchtlinge. Wir brauchen
deshalb auch mehr Medienkompetenz. Wenn wir über
Bildschirme miteinander kommunizieren, fehlen uns
Gesten, Tonfall und Mimik. Diese braucht unser Hirn
Wenn ich – wie einst Luther – heute eine These an die
Kirchentür in Wittenberg anschlagen würde, dann hieße die: Glaubt Frauen! Glaubt ihnen, wenn sie euch von
Sexismus berichten. Egal, ob es um die kleinen alltäglichen Diskriminierungen und Herabwürdigungen oder
um Gewalterfahrungen geht. Spielt das nicht herunter
und erfindet keine Ausreden nach dem Motto: Selber
schuld! – Deshalb wäre es ein wichtiger Schritt, Frauen
einfach ernst zu nehmen und aus ihren Erfahrungen
endlich Konsequenzen zu ziehen.
www.annewizorek.de
Twitter #Aufschrei
bremer kirchenzeitung März 2016 · www.kirche-bremen.de