Lehren und Lernen für die moderne Arbeitswelt

Horst Meier (Hrsg.)
Lehren und Lernen
für die moderne Arbeitswelt
Der vorliegende Tagungsband stellt Forschungsergebnisse
der Mitglieder der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Arbeits- und Betriebsorganisation vor. Die Beiträge behandeln
das Thema aus der wissenschaftlichen Perspektive mit praktischen Umsetzungsbeispielen.
ISBN 978-3-95545-128-8
9
783955
451288
GITO
Schriftenreihe der Hochschulgruppe für Arbeits- und Betriebsorganisation e. V. (HAB)
Die industrielle Produktion unterliegt aufgrund innovativer Produktionstechnologien, vernetzter Produktionssysteme, neuer Organisationsformen und insbesondere
durch die zunehmende Durchdringung der Produktionsprozesse durch Informations- und Kommunikationstechnologien einem stetigen Wandel. Für die Wandlungsfähigkeit eines Produktionssystems sind die Kompetenzen der
Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. In der modernen Arbeitswelt werden von ihnen Innovationfähigkeit,
Komplexitätsbeherrschung und die ganzheitliche Betrachtung von Produktionsprozessen erwartet. Hierzu wurden
neue Lehr- und Lernkonzepte für die studentische Ausbildung und für die industrielle Weiterbildung entwickelt.
Lehren und Lernen für die moderne Arbeitswelt
Horst Meier (Hrsg.)
Horst Meier (Hrsg.)
Lehren und Lernen für die moderne Arbeitswelt
Reihe:
Schriftenreihe der Hochschulgruppe
für Arbeits- und Betriebsorganisation e. V. (HAB)
Lehren und Lernen
für die moderne Arbeitswelt
Horst Meier (Hrsg.)
Prof. Dr.-Ing. Horst Meier
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl für Produktionssysteme
Universitätsstraße 150
44801 Bochum
ISBN 978-3-95545-128-8
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Veröffentlicht im GITO Verlag 2015
Gedruckt und gebunden in Berlin 2015
© GITO mbH Verlag Berlin 2015
GITO mbH Verlag
für Industrielle Informationstechnik und Organisation
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Internet: www.gito.de
Horst Meier
(Hrsg.)
Lehren und Lernen für die moderne Arbeitswelt
Vorwort
Die industrielle Produktion unterliegt aufgrund innovativer Produktionstechnologien, vernetzter Produktionssysteme, neuer Organisationsformen
und insbesondere durch die zunehmende Durchdringung der Produktionsprozesse durch Informations- und Kommunikationstechnologien einem
stetigen Wandel. Für die Wandlungsfähigkeit eines Produktionssystems
sind die Kompetenzen der Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. In
der modernen Arbeitswelt werden von ihnen Innovationfähigkeit, Komplexitätsbeherrschung und die ganzheitliche Betrachtung von Produktionsprozessen erwartet. Hierzu wurden neue Lehr- und Lernkonzepte für die
studentische Ausbildung und für die industrielle Weiterbildung entwickelt.
In der industriellen Weiterbildung sind Lösungskonzepte für das lebenslange Lernen eine wichtige Herausforderung. Hierzu wurden umfangreiche
Forschungsprojekte zur zielgerichteten Weiterbildung durchgeführt. Ein
besonders aktuelles Forschungsfeld ist Industrie 4.0 und die damit verknüpften veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter. In der studentischen Ausbildung wird der Globalisierung der Arbeitswelt durch die Internationalisierung der Studienprogramme und der ganzheitlichen Sicht auf
Produktionsprozesse durch Lernfabriken Rechnung getragen.
Mit diesem Buch möchten ich ihnen interessante Forschungsergebnisse
der Mitglieder der wissenschaftlichen Gesellschaft für Arbeits- und Betriebsorganisation vorstellen. Es werden die Themenfelder lebenslanges
Lernen, Lehren und Lernen im Kontext von Industrie 4.0, Lehren und Lernen mit Lernfabriken und universitäre Ausbildungskonzepte behandelt.
Den Autoren der Beiträge danke ich herzlich für ihre umfassende Behandlung der Thematik. Herrn Sebastian Freith danke ich für seine hervorragende Unterstützung bei der Organisation des Buches.
Bochum, im September 2015
Horst Meier
Inhaltsverzeichnis
7
Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
……………………………………………………………………………………………………15
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich
Mobile Learning zur Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit
in der Produktionsorganisation………………………………………………..39
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion - Ein
Ansatz zur Strukturierung relevanter Parameter…………………….57
André Ullrich, Gergana Vladova
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen
Kompetenzmodulen………………………………………………………………….81
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle
Lösungsansätze für eine moderne Arbeitswelt……………………………97
Egon Müller, David Jentsch
8
Inhaltsverzeichnis
Lehren und Lernen im Kontext von Industrie 4.0
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0………………………………113
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0…………………………………………………………………………125
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 im Rahmen eines
Planspielszenarios – Simulation und Evaluation………………………..145
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft……………………………………………………………………….163
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von
morgen………………………………………………………………………………………..183
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Inhaltsverzeichnis
9
Lehren und Lernen mit Lernfabriken
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt………………………………………………………………………..211
Horst Meier, Bernd Kuhlenkötter, Dieter Kreimeier, Sebastian Freith, Björn
Krückhans, Friedrich Morlock, Christopher Prinz
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität……………………………………………………………………………………………...233
Martin Schmauder, Martin Erler, Christian Fabig, Christian Friedrich,
Daniel Gröllich, Anja Günther, Gritt Ott
Universitäre Ausbildungskonzepte
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität…………………………………………………………………………………………249
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der
Fabrikplanung im Rahmen der universitären Lehre…………………..265
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von
morgen………………………………………………………………………………………..285
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
10
Inhaltsverzeichnis
Ergänzungsbeitrag
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras…………………………..313
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
13
Lebenslanges Lernen – Übersicht
Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich
Mobile Learning zur Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit
in der Produktionsorganisation
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion – Ein
Ansatz zur Strukturierung relevanter Parameter
André Ullrich, Gergana Vladova
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen
Kompetenzmodulen
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle
Lösungsansätze für eine moderne Arbeitswelt
Egon Müller, David Jentsch
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
15
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die
Textilwirtschaft
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Lebenslanges Lernen ist eines der bedeutenden Themen in Wirtschaft und
Gesellschaft geworden. Es ist entscheidend und zukunftsweisend für individuelle Chancen, unternehmerische Wettbewerbsvorteile und generelle
Standortvorteile von Regionen und Ländern. Dabei wird das Lebenslange
Lernen als begleitendes Lernen verstanden, das informelles Lernen, außerbetriebliche Weiterbildung wie auch Lernen am Arbeitsplatz umfasst.
Im folgenden Beitrag werden die Hintergründe und jüngsten Entwicklungen in verschiedenen Bereichen der Technologie, Methodik und Didaktik
beschrieben und Lebenslanges Lernen an Hand zweier aktueller Forschungsprojekte, an denen DITF-MR maßgeblich beteiligt ist, vorgestellt.
Dies erfolgt anhand von Beispielen aus der klein und mittelständisch geprägten Textilwirtschaft für eine zielgruppenspezifische außerbetriebliche
Weiterbildung und Training am Arbeitsplatz.
1
Einleitung
Die Annahme, dass eine einmalige Aus- oder Weiterbildung für ein ganzes
Berufsleben reichen kann, ist in den entwickelten Industriestaaten längst
obsolet. Aufgrund der vorherrschenden Dynamik in der Wirtschaftswelt,
der gesellschaftlichen Veränderungen, aber auch angesichts schnell aufeinander folgender technologischer Innovationen wird eine kontinuierliche
Weiterbildung für beinahe alle Berufe und in nahezu allen Branchen immer
wichtiger, wenn nicht gar zur Pflicht.
Die folgende Abbildung 1 zeigt überblickartig die sich seit einiger Zeit andeutenden Entwicklungen aus den Bereichen Ökonomie, Technologie
sowie Gesellschaft (und Politik), die einen Einfluss auf den Bereich des
Lebenslangen Lernens bzw. der Aus- und Weiterbildung haben:
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Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Abbildung 1: Entwicklungen und daraus resultierende Konsequenzen (in Anlehnung an Müller
2004, S. 10)
Während die aufgezeigten ökonomischen Entwicklungen, wie Globalisierung, Deregulierung etc., hauptsächlich einen verstärkten Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen, aber auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Folge haben, können die Entwicklungen in der Technologie für
neue Formen der Arbeits- und Betriebsorganisation genutzt werden. Mit
diesen beiden wirken auch die gesellschaftlichen Veränderungen, wie der
demographische Wandel, aber auch die Zunahme der persönlichen Freiheit, der Wertewandel und die Enttraditionalisierung auf die Angebote der
Aus- und Weiterbildung. Die hier zu erkennenden Konsequenzen sind eine
generell erhöhte Bedeutung von Aus- und Weiterbildung, gestützt durch
eine gesteigerte Nachfrage, aber auch ein verstärkter Blick auf die Effektivität und die Effizienz von verschiedenen Formen der Aus- und Weiterbildung, der in neuen Lernkontexten und neuen Geschäftsmodellen resultiert.
Während mehr als 70% der Führungskräfte im deutschsprachigen Raum
eine Weiterbildung in Anspruch nehmen (Groll 2014 und Hernstein Management Report 2014), um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu
werden, gilt dies oftmals nicht für die Angestellten und Arbeitenden, ob-
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
17
wohl auch dort ein großer Bedarf vorhanden ist. Denn gerade die Beschäftigten in mittelständisch geprägten Unternehmen in weniger gut ausgestatteten Industriesektoren müssen mit der technischen Entwicklung Schritt
halten können und ein Training erhalten, das das eigene Kompetenzprofil
im Sinne von „Employability“ stärkt und die unternehmerische Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsstärke steigert.
Im folgenden Kapitel dieses Beitrages werden zunächst die aktuelle Situation und der Bedarf für Lebenslanges Lernen in der Textilwirtschaft dargestellt. Die Textilwirtschaft steht dabei beispielhaft für Industrien, die von
kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt sind und in denen
sich viele Unternehmensnetzwerke bilden und gemeinsam Produkte und
Leistungen erstellen. Hier wird die Aus- und Weiterbildung zwar als notwendig erkannt, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht nachgefragt.
Im Anschluss werden in Kapitel 3 neue Technologien, neue didaktische
Konzepte und Methoden erläutert, die aktuell großen Einfluss gewinnen.
Pars pro toto für die neuen Technologien werden hier Lernplattformen
(LMS), mobile Endgeräte und Augmented Reality vorgestellt, die alle weitreichenden Möglichkeiten offerieren und bereits eine hohe Akzeptanz in
der Forschungs- und Bildungslandschaft aufweisen. Die neuen didaktischen Konzepte und Methoden sind im darauf folgenden Abschnitt beschrieben. Hierbei sind besonders die hybriden Lernformen hervorzuheben, die zudem die Lernsituation und informelles Lernen berücksichtigen.
Als exemplarische Umsetzungen werden in Kapitel 4 zwei Forschungsprojekte beschrieben. Im BMBF-Forschungsprojekt Learn Textile! liegt der
Fokus auf der außerbetrieblichen Weiterbildung für bestimmte Zielgruppen. Im EU-Forschungsprojekt TELL ME steht das Training am Arbeitsplatz im Vordergrund. Hier wird eine eigene umfassende Trainingsmethodik entwickelt und der Einsatz neuer Technologien forciert.
2
Die Ausgangssituation und der Bedarf für Lebenslanges Lernen
in der Textilwirtschaft
Die Textilbranche in Deutschland durchlief in den letzten Jahren einen
starken Wandel. Einer dramatischen Konsolidierungsphase im Bereich
Bekleidung folgte ein Boom im Bereich der Technischen Textilien. Der
deutsche Textilmaschinenbau blieb führend, und es kommt immer noch
jede vierte Textilmaschine aus Deutschland. Bei den Endprodukten sieht
die Branche aktuell eine Zweiteilung in qualitativ hochwertige und hoch-
18
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
modische Bekleidung und Heimtextilien sowie funktionalisierte Textilien für
technische oder medizinische Anwendungen.
Die Perspektiven 2025, dargestellt in der gleichnamigen Broschüre des
Forschungskuratoriums Textil, beschreibt die Konsequenzen dieses Wandels folgendermaßen: „Bei Innovationen ´made/created in Germany` ist die
Textilforschung mit neuen faserbasierten Materialien ein gefragter Problemlöser. Nicht nur die klassischen ´Treiber` wie Automotive und Luftfahrt
greifen verstärkt auf neuartige Hightech-Werkstoffe aus Textil zurück:
Auch Biomaterialien für die Medizin, leitfähige Polymere zur Herstellung
sensorischer oder lichtleitender Textilien und nanomodifizierte Hybridgarne
für die Bauteilfertigung sind gefragter denn je.“ (Jansen 2014)
Daraus ergibt sich seitens der Textil- und Bekleidungsindustrie ein immer
höher werdender Bedarf an Fachkräften mit Kenntnissen im Umgang mit
neuen Materialien, Prozessen, Verfahren und Anforderungen potentieller
neuer Kunden und Entwicklungspartner, aber auch mit der Entwicklung
und Produktion von Klein- und Kleinstserien bis hin zu Stückzahl eins.
Darüber hinaus wächst von Seiten der Kunden z. B. im Hinblick auf
Leichtbau und Energieeinsparung das Interesse an textilen Werkstoffen
wie beispielsweise Carbon-, Keramik- oder Glasfasern. Auch müssen sich
viele Unternehmen erst mit digitalen Verfahren und technologischen Neuerungen für eine kundenindividuelle Fertigung, wie z. B. der Digitaldruck auf
textilen Flächen, vertraut machen.
Hierzu kommen als weitere Treiber für Lebenslanges Lernen die bereits in
der Einführung beschriebenen Faktoren, insbesondere der demographische Wandel und der sich verschärfender Wettbewerb in bestehenden
Märkten. Dies alles begründet für die zumeist mittelständisch geprägten
Textilunternehmen in Deutschland die Notwendigkeit sich mit Lebenslangem Lernen intensiv auseinanderzusetzen.
Schon heute zeigen die Unternehmen großes Interesse an der Weiterbildung ihrer Beschäftigten, wenn es um betrieblich relevante Themen geht.
Sie realisieren diese aber z. B. wegen hoher Kosten der Weiterbildung
oder langer Abwesenheit der Mitarbeiter vom Arbeitsplatz oftmals nicht.
Hier besteht ein großes Potential für – jedoch noch kaum vorhandene –
spezifische, ortsunabhängige E-Learning-Angebote und Weiterbildung der
Beschäftigten direkt am Arbeitsplatz.
Bisherige Angebote in der Textilwirtschaft, die von regionalen oder überregionalen Verbänden, IHKs oder der Industrie getragen werden, decken
diesen Bereich noch nicht hinreichend ab. Zurzeit existieren deutschspra-
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
19
chige E-Learning-Angebote von verschiedenen Anbietern, die spezifische
Zielgruppen adressieren.
Kommerzielle Angebote für
 Beschäftigte des Einzelhandels (Ein Angebot des Deutschen
Fachverlags GmbH: www.textilwissen.de)
 Textilreinigungs-Fachleute (E-Learning-Kurse der InternetAkademie zu spezifischen Themen für Textilreinigungs-Fachleute:
http://internetakademie-textilreinigung.de/)
 Mitarbeiter der Textilwirtschaft mit abgeschlossener Berufsausbildung (Staatlich anerkannte Weiterbildung der IHK Nordwestfalen: www. Ihk-nordwestfalen.de)
Angebote von Verbänden oder Communities für
 Nachwuchs in der Textilwirtschaft (Portal zur Nachwuchswerbung, 2014 ergänzt um den Kursfinder zum Suchen von Kursen
–ausnahmslos Präsenzveranstaltungen: www.gotextile.de)
 Studierende der Textil- und Bekleidungstechnik (Fachbereich
Textil- und Bekleidungstechnik der HS Niederrhein: weissnet.hsniederrhein.de:8080)
 Lehrer und Lehrerinnen von Berufsschulen (Ein Angebot des
Entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrums
(EPIZ): epizberlin.de/moodle/course/category.php?id=15)
 Auszubildende aus den Bereichen Flach- und Rundstrickerei
sowie Wirkerei (entstanden im Rahmen eines LeonardoProjekts: www.etex-online.net)
1
Weitere lexikonartige Angebote im deutschsprachigen Raum sind u. a.
 ViBiNeT (Ein lexikonartig aufgebautes Wiki-System mit digitalen
Inhalten, die ursprünglich für die Unterstützung der Arbeit der
Lehrenden gedacht war; heute wird es auch von Lernenden als
zusätzliches Lernmaterial verwendet: www.vibinet.de)
1
Auf weitere englischsprachige oder branchenfremde Angebote soll hier nicht eingegangen
werden.
20
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
 Texsite (dies ist ein mehrsprachiges Textilwörterbuch mit kurzen
Erklärungen der enthaltenen Textilbegriffe. Allerdings sind die
Inhalte nicht didaktisch aufbereitet: www.texsite.info)
 Textil- bzw. Modelexikon auf FASHION-BASE.de Das Mode –
Portal (Das Textil- und Modelexikon erläutert Fachbegriffe aus
der Textil- und Modebranche: www.fashionbase.de/Modelexikon/ index.htm)
 TextilWISSEN auf Raumprobe (Im Vordergrund stehen Erklärungen zu Materialien für den Innenausbau:
www.raumprobe.de/service/ materialwissen/textilwissen)
Neben den Anforderungen der kleinen und mittelständisch geprägten Unternehmen der Textilwirtschaft in Deutschland wurden darüber hinaus auf
der europäischen Ebene weitere Aspekte identifiziert, die in der beruflichen Bildung generell in den Mittelpunkt rücken. Hier sind an erster Stelle
der Mensch im Mittelpunkt der Produktion (Human-centred manufacturing), lernende Ökosysteme (Learning ecosystems) und Lernen am Arbeitsplatz (Learning at the workplace) zu nennen.
3
3.1
Die Möglichkeiten neuer Technologien, didaktischer Konzepte
und Lernangebote für Lebenslanges Lernen
Ausgewählte neue Technologien
Die in Abbildung 1 skizzierten allgemein formulierten technologischen
Entwicklungen wie Vernetzung, Datenvolumen/ Datenhaltung, Ambient
Intelligence, Mobilisierung der Netze etc. finden ihre Ausprägungen im
Bereich des Lebenslangen Lernens insbesondere auch in Lernmanagement-Systemen (LMS) sowie bei der Anwendung mobiler Endgeräte und
Augmented Reality (AR). Auf diese drei Technologien wird im Folgenden
näher eingegangen.
LMS sind Lernplattformen, die nicht mehr nur der Bereitstellung digitaler
Inhalte dienen, wie dies z. B. bei den im vorherigen Kapitel beschriebenen
Plattformen ViBiNeT und TextilWISSEN der Fall ist. Moderne LMS integrieren vielmehr eine große Zahl unterschiedlicher Funktionalitäten, um den
gesamten Lernprozess zu unterstützen. Diese Funktionalitäten lassen sich
zu folgenden Bereichen zusammenfassen:
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
21
 Erstellen von Lernfragmenten, d. h. der kleinsten Einheiten
(Text, Bild, Video) und Komposition dieser Elemente zu größeren Modulen und Kursen. Häufig bieten die Systeme die Möglichkeit, diese Elemente auf jeder Granularitätsebene in sogenannten Medienpools zu verwalten. Dies erlaubt es, die
Erstellung der Inhalte von der Komposition zu größeren Einheiten und Mehrfachverwendung zu entkoppeln.
 Erstellen von Prüfungsaufgaben unterschiedlicher Formate. In
der Regel werden dafür geschlossene Fragestellungen unterstützt, d. h. die Antworten werden nicht als freier Fließtext erwartet, sondern aus einer Menge möglicher Antworten ausgewählt oder Zuordnungen vorgenommen. Dieses Vorgehen
erlaubt die automatische Auswertung der Prüfungsaufgaben
und – auf Basis der erzielten Ergebnisse – die Ermittlung von
Folgeaktivitäten für die Lernenden.
 Unterstützen der Kommunikation zwischen den Lehrenden bzw.
Tutorinnen sowie Tutoren und den Lernenden oder auch zwischen den Lernenden untereinander. Dafür kommen systeminterne Mail- und Chatfunktionalitäten in Frage, die denen außerhalb der Lernplattform ähnlich sind. Darüber hinaus existieren
häufig Whiteboards oder andere Formen der gemeinsamen Dokumentenbearbeitung, womit eine Zusammenarbeit in kleinen
Gruppen möglich ist. Auch Application-Sharing wird von manchen Plattformen unterstützt.
 Verwalten der Anwenderinnen und Anwender und Organisation
der Kursangebote sind Arbeiten, die in der Regel von Mitarbeitern des Bildungsträgers, in dessen Auftrag die Lernplattform
betrieben wird, durchgeführt werden.
 Um den Nutzenden der Plattform den Überblick über ihre Aktivitäten und Möglichkeiten zu erleichtern, bieten fast alle Systeme
einen nutzerspezifischen Bereich, häufig Desktop, myHome oder Schreibtisch genannt. In diesem Bereich werden alle für die
spezifische Person (Lernende, aber auch für Lehrende, Tutoreninnen und Tutoren, Autorinnen und Autoren sowie selbst für
Verwalter, d. h. Mitarbeiter der Bildungseinrichtung) relevanten
Informationen übersichtlich strukturiert dargestellt.
 Die Nutzung der Plattformen auf mobilen Endgeräten gewinnt
immer mehr an Bedeutung. Dies sollte zumindest für die Tutorinnen und Tutoren sowie für die Lernenden gut unterstützt werden.
22
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Ein mobiles Endgerät ist typischerweise ein kleines, tragbares Gerät mit
einem Display und einer Eingabemöglichkeit, wie Touchscreen oder Tas2
tatur (siehe o. V. 2015a). Typische Vertreter von mobilen Endgeräten sind
in der Kategorie Mobile Computers die Ausprägungen Smartphones,
3
PDAs, Tablet Computers, Wearables (Smartwatches), Head-mounted
displays, Hand held games consoles u.v.m.
Der Vorteil der mobilen Endgeräte liegt darin, dass sie unterschiedliche
digitale und multimediale Inhalte ortsunabhängig zur Verfügung stellen
können.
Augmented Reality ist vereinfacht formuliert „… die Erweiterung der Realität um digitale Informationen …“ (Drochtert/Geiger 2015, S. 41), und erfolgt z. B. mit Hilfe des Displays eines mobilen Endgerätes oder einer Brille, wie Google Glass. Die Anwendungsfälle für AR sind zahlreich. So findet
AR z. B. Verwendung, um im Tourismus-Bereich erweiterte Informationen
zu Orten oder Ausstellungen anzubieten, in Spielen, in Apps oder auch in
Anfängen in der Ausbildung.
AR dient, neben der Anreicherung der Realität um digitale Informationen,
der Visualisierung komplexer Zusammenhänge und unterstützt dadurch
das Verständnis abstrakter Inhalte. Die meisten der mobilen ARAnwendungen können durch die Magic-Lense-Metapher beschrieben werden. Sie beschreibt die Sicht durch das Display des mobilen Geräts in die
durch digitale Informationen erweiterte Welt. Darüber hinaus gibt es die
Magic-Mirror-Systeme, in denen man sich und die einen umgebende Welt
wie in einem Spiegel sieht, z. B. bei der „virtuellen“ Anprobe von Beklei4
dung oder Accessoires wie Sonnenbrillen.
3.2
Neue didaktische und methodische Konzepte
Die neueren Entwicklungen im Bereich des E-Learning ermöglichen, wie in
Kapitel 2 skizziert, auch didaktisch immer anspruchsvollere und wirksame-
2
Weitere Kategorien nach (o. V. 2015a) sind: Digitale Kameras, Pager, Smart Cards, Personal Navigation Devices u. a.
3
Wearables werden am Körper, und zwar unter der Kleidung, in die Kleidung integriert oder
über der Kleidung, getragen (o. V. 2015b).
4
Siehe hierzu die Ausführungen bei (Drochtert/Geiger 2015, S. 42).
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
23
re Szenarien, die u. a. der Anreicherung von Inhalten oder der Integration
in Präsenzveranstaltungen bzw. deren Substitution bis hin zur Vollvirtualisierung dienen. Solche Szenarien werden durch neue InternetTechnologien unterstützt und erlauben eine Verlagerung des Betrachtungsschwerpunktes. Es wird nicht mehr die Lehre in den Vordergrund
gestellt, sondern der Vorgang des Lernens, die Lernenden und die Lernumgebung.
Diese Entwicklungen bewirken, dass hybride Ausprägungen des ELearning, ebenso wie informelles Lernen immer größere Bedeutung ge5
winnen. Ebenso ergeben sich durch die Verlagerung vom Lehren zum
Lernen und durch den Einbezug der Umgebung gravierende Veränderungen in der Auswahl und Gestaltung der einzusetzenden Medien und Technologien sowie der Ausgabegeräte.
Dies gilt auch für das Konzept des Blended Learning, das aus einer didaktisch passenden Kombination von unterschiedlichen methodischen und
medialen Präsenz- und Online-Komponenten besteht und in den letzten
6
Jahren eine deutliche Aufwertung erhielt. Es geht hierbei um die bestmögliche Kombination unterschiedlicher Medien und Methoden hinsichtlich der
7
Zielgruppe sowie der angestrebten Lernziele , ohne die Lernumgebung
aus den Augen zu verlieren. Damit sind Lernanwendungen gemeint, mit
denen die Lernenden verteilte Online-Informationen, -Ressourcen, Kontakte und -Kommunikationsmöglichkeiten nach individuellen Bedürfnissen zusammenstellen und zu persönlichen Lernumgebungen kombinieren können.
In der Implementierung neuer hybrider Lehr-Lernformate (wie beim Blended Learning) und persönlicher Lernumgebungen im beschriebenen Sinne
stellt die Etablierung einer digitalen Lernumgebung als Leitmedium einen
ersten Schritt des Transformations- bzw. Entwicklungsprozesses eines
Bildungsangebotes dar, wie exemplarisch in Abbildung 2 aufgezeigt wird.
5
Arnold/Faber 2011, S. 165
6
Erpenbeck/Sauter 2014, S. 3
7
Siehe hierzu insbesondere Walter 2007
24
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Abbildung 2: Vom Blended Learning zum Workbased Learning
Die Entwicklungen in diesem Bereich können durch verschiedene Möglichkeiten neuer Technologien, didaktischer Konzepte und Lernangebote
unterstützt werden, wie z. B. die bereits erwähnten technologiegetriebenen
Lernmanagement-Systeme, mobile Endgeräte und Augmented Reality.
Weitere Ansätze sind beispielsweise:
 (Distance) Assessment bzw. ortsunabhängige Lernerfolgskontrolle
 Precision Teaching zur systematischen Evaluierung des Lernfortschritts und damit auch zur Untersuchung von Lerneinheiten
und Lehrplänen
 Informelles Lernen, also Lernen außerhalb des formalen Bildungswesens, z. B. mit Gleichgesinnten
 Mikrolernen auf Basis kleinstmöglicher Lerneinheiten
 Selbstgesteuerte Lerngeschwindigkeit und -dauer
 Webinare (Online-Seminare)
 Massive Open Online Courses (MOOCs), die als kostenlose Onlinekurse (häufig auf Universitätsniveau) frei zugänglich sind
 Serious Gaming bzw. Gamification, d. h. das Einbinden digitaler
spielerischer Elemente, die nicht primär der Unterhaltung dienen
 Interaktion der Lernenden (Computer Supported Collaborative
Learning, Whiteboard, Virtual Classroom etc.)
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
4
25
Die Einführung neuer Technologien, didaktischer Konzepte und
Lernangebote in der Textilwirtschaft
4.1
Das Projekt Learn Textile!
Wie bereits im Kapitel 2 dargestellt, steigt in Deutschland der Bedarf an
Fachkräften mit grundlegendem Textil-Know-how sowie mit spezifischen
Kenntnissen im Umgang mit neuen textilen (Verbund-)Werkstoffen. Da
sich deren Verarbeitung unter anderem aufgrund ihres biegeschlaffen
Verhaltens sehr von der Verarbeitung von steifen Materialien wie Metallen
unterscheidet, entsteht auch bei den Unternehmen der nun angrenzenden
Branchen, die neue faserbasierte Materialien nutzen wollen, ein Bedarf an
einem Mindestverständnis textiler Grundlagen und der Kenntnis spezieller
Eigenschaften von z. B. Hochleistungsfasern, um diese in geeigneter Form
in innovative Produkte und Prozesse integrieren zu können. Darüber hinaus verbessert die Vermittlung eines gemeinsamen Basiswissens die
Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie den Austausch von
Personal zwischen den beteiligten Branchen signifikant.
8
Das Projekt Learn Textile! zielt vor diesem Hintergrund auf die Entwicklung und den Aufbau einer Lernplattform für die Textilwirtschaft. Hierbei
steht weniger die technische Entwicklung der Plattform im Fokus, sondern
die Entwicklung eines Gesamtkonzepts bestehend aus
 an drei spezifische Zielgruppen (Nichttextiler bzw. Quereinsteiger, Beschäftigte in Fortbildungsmaßnahmen und Auszubildende) angepasste didaktische Konzepte,
 einer prozessorientierten Gesamtstruktur zur Einordnung der
einzelnen Kursmodule, (Online-)Prüfungen und Lerneinheiten,
 Kursen für die Themenfelder „Hochleistungsfasern und Einsatzfelder“, „Virtuelle Produktentwicklung und neue Verfahren in der
Bekleidungsindustrie“ und „Textile Grundkenntnisse“,
 auf andere Branchen übertragbaren Best Practices, um einen
Transfer in andere Sektoren zu ermöglichen,
8
Learn Textile! ist ein Projekt im Programm „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“,
gefördert von Oktober 2014 bis März 2017 durch Bundesministeriums für Bildung und
Forschung und betreut durch den Projektträger im DLR (BMBF 01PD14008 A-F. URL:
www.learn-textile.de)
26
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
 einer Verzahnung der Kursmodule mit bestehenden Präsenzangeboten der Verbände und
 einem tragfähigen Geschäftsmodell für einen neu entstehenden
Bildungsträger der Textilverbände in Deutschland.
Zu den Projektpartnern gehören neben DITF-MR als Gesamtkoordinator
des Projektes, Verbände der Textilwirtschaft (Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e. V., Verband der Südwestdeutschen
Textil- und Bekleidungsindustrie e. V.), die Hochschule Niederrhein University of Applied Sciences, die Technische Universität Kaiserslautern und
die Allianz faserbasierte Werkstoffe Baden-Württemberg e.V.
Das Vorgehen des Projekts Learn Textile! beinhaltet zuerst eine Anforderungsanalyse bezogen auf die didaktische Konzeption sowie die technischen Anforderungen an das LMS und an den zukünftigen Bildungsträger.
Dies verlangt sowohl die Entwicklung eines Bedienkonzeptes und daraus
abgeleiteter Funktionalitäten, die das LMS anbieten muss, als auch erste
Überlegungen zum Geschäftsmodell des Bildungsträgers.
Hinsichtlich der Erarbeitung der didaktischen Konzeption wurde ein mehrstufiges Verfahren gewählt (siehe auch Abbildung 3):
 Aus den Erkenntnissen der Anforderungsanalyse wird ein didaktisches Konzept für eine Zielgruppe und ein Themenfeld erstellt
und formativ evaluiert. Aufbauend auf den erzielten Ergebnissen
werden auch für die anderen Zielgruppen und Themenfelder
entsprechende Konzepte entwickelt.
 Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden in Form von Best
Practices genutzt, um eine mögliche Übertragbarkeit auf andere
Branchen und Themenfelder zu erproben.
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
27
Abbildung 3: Der Entwurf didaktischer Konzepte in Learn Textile!
Im nächsten Schritt erfolgt die Spezifikation der ersten Zielgruppe und die
Auswahl des ersten (Pilot-)Themas: „Hochleistungsfasern und Einsatzfelder“ mit dem Schwerpunkt: „Carbonfasern – Herstellung, Eigenschaften
und Anwendungsfelder“.
Dieses erste Thema wird in einen Selbstlernkurs umgesetzt. Damit kommt
als Lernmethode die selbst gesteuerte Informationsrezeption und verarbeitung zum Einsatz (siehe folgende Tabelle 1, Zeile 1), da die Zielgruppe folgende Merkmale aufweist: Quereinsteiger mit Vorwissen aus
Weiterverarbeitung von Carbonfaserverstärkten Kunststoffen, ausreichende Medienkompetenz, hohe Selbstlernkompetenz.
28
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Tabelle 1: Der Entwurf didaktischer Konzepte in Learn Textile! (in Anlehnung an ReinmannRothmeier 2003, S. 35, entnommen aus Arnold et al. 2013)
Rolle der Medien für den
Lernprozess
Verständnis von ELearning und Anforderungen an die Lernenden
Distribution von Selbst gesteuerte InforInformation
mationsrezeption und verarbeitung
Aufgaben der Entwickler
Rolle der Betreuer
Lernerfreundliche
Informationsgestaltung
Keine Betreuer
notwendig
Medienkompetenz
Ausreichendes Vorwissen
Hohes Anforderungsniveau
Interaktion
Angeleitete Informations- Lernerfreundliche
Betreuer als
zwischen Nutzer verarbeitung
InformationsLernberater oder
und System
gestaltung
Teletutoren
Selbst organisiertes Üben
Gestaltung von LernMotivation
aufgaben und Übungen, Feedback und
Eher niedriges AnfordeAntworten
rungsniveau
Kollaboration
zwischen Lernenden
Eigenständige Wissenskonstruktion
Lernerfreundliche
Informationsgestaltung
Betreuer als
Initiatoren und
Begleiter von
Soziales Problemlösen
GruppenprozesGestaltung von LernSelbststeuerungsfähigkeit aufgaben und Übun- sen
gen, Feedback und
Medienerfahrung
Antworten
Sehr hohes AnforderungsGestaltung von
niveau
Gruppenaufgaben,
Einbeziehen sozialer
Kontexte
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
29
Die Umsetzung des Selbstlernkurses erfolgt in den Schritten:
1. Festlegen des Lernziels, Detailspezifizierung und Strukturierung
der Lerninhalte, Modularisierung (Aufteilen in kleinere abgegrenzte
Inhalte), Auswahl geeigneter Medienformate (Text, Bild, Video,
o.ä.) und Ausgabegeräte (u. a. mobile Endgeräte),
2. Implementierung bzw. Umsetzung auf der Plattform (im LMS) und
3. Test durch Pilotanwender
Parallel hierzu findet die Auswahl einer LMS-Software und Aufbau der
Lernplattform mit der Erarbeitung eines Kriterienkatalogs, Marktanalysen
bezüglich geeigneter LMS und erster Testinstallationen (OpenOlat, Moodle, Ilias) statt.
Im nächsten Schritt werden die ersten Kurse auf den Systemen implementiert, um eine Entscheidung bezüglich des einzusetzenden LMS treffen
sowie die Oberfläche anpassen zu können. Darüber hinaus sind Templates zu entwickeln und Zusatzmodule (z. B. OpenMeetings) auszuwählen
und zu installieren.
Aufbauend auf heute am Markt verfügbaren LMS und in Zusammenarbeit
der am Projekt beteiligten Partner entsteht in Learn Textile! eine ELearning-Plattform für die Textilwirtschaft in Deutschland, die getragen von
den Verbänden ein umfangreiches und zeitgemäßes Angebot zur Qualifizierung der Beschäftigten bereitstellt. Zusätzlich hilft eine gemeinsame
Lernplattform aller Verbände der Textilwirtschaft durch einen gemeinsamen Pool von Lerneinheiten wertvolle Ressourcen zu bündeln, da bei der
Erstellung unterschiedlichster Kursmodule auch auf bewährte Inhalte anderer Verbände zurückgegriffen werden kann. Der neue Bildungsträger
soll darüber hinaus auch Kursmodule Dritter, z. B. von Hochschulen, am
Markt anbieten können.
4.2
Das Projekt TELL ME
9
Das europäische Forschungsprojekt TELL ME hat zum Ziel neueste
Technologien und Erkenntnisse aus dem Bereich des Lernens kleinen und
9
TELL ME wird gefördert von November 2012 bis Oktober 2015 durch das siebte Rahmenprogramm der Europäischen Union (FP7) mit der Projektnummer 318329. URL:
www.tellme-ip.eu
30
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
mittelständisch geprägten Unternehmen so zur Verfügung zu stellen, dass
sie besser auf die Anforderungen der Märkte und ihrer oftmals industriellen
Großkunden reagieren können. Hieran arbeitet ein Konsortium aus 14
europäischen Partnern (aus dem Industrie-, Forschungs- und Hochschulbereich sowie Technologie- und Transferpartner) aus insgesamt acht Ländern (Italien, Großbritannien, Finnland, Schweden, Frankreich, Deutschland, Spanien und Portugal).
In diesem Projekt werden konkrete Lösungen für drei Pilotpartner in unterschiedlichen Branchen erarbeitet: Textil in Deutschland, Inneneinrichtung
von Luxusbooten in Spanien und Wartung von Helikoptern in Italien. DITFMR hat dabei die Aufgabe die Lösung für den Pilotpartner in der Textilbranche zu spezifizieren um umzusetzen.
Um das Projektziel zu erreichen, wird sowohl eine innovative, firmenübergreifende Methodik als auch eine IT-Plattform für Lebenslanges Lernen
am Arbeitsplatz für kleine und mittelständisch geprägte Unternehmen entwickelt, die aber auch für Großunternehmen anwendbar ist. Sie wendet die
aktuellen Methoden des E-Learnings und Blended Learnings sowie die
neuesten Technologien (z. B. AR) an.
In diesem Zusammenhang werden Indikatoren zur Erfolgsmessung auf
verschiedenen Ebenen (individuelle Ebene der Mitarbeiterin und des Mitarbeiters, organisationale Ebene des Unternehmens sowie Ebene der
Stakeholder bzw. des wirtschaftlichen Umfelds) erhoben und die entwickelte Lösung erprobt.
Die zu Grunde liegende, erarbeitete Lernmethodik des TELL MEKonsortiums besteht vereinfacht dargestellt aus fünf Schritten und wurde
EMEMO benannt (siehe auch Abbildung 5):
1. Enquiry: In einem ersten Schritt wird der Lernbedarf festgestellt,
entweder durch die Beschäftigte oder den Beschäftigten selbst
oder einen Dritten, wie die vorgesetzte Führungskraft bzw. durch
ein IT-System (z. B. ein LMS oder ein Ambient Intelligence (AmI)
Modul).
2. Mix: Der Mix stellt die Lerninhalte bzw. -einheiten und die Beschreibung der Arbeitsschritte, -zeiten sowie -ressourcen zur Verfügung. Die Darstellung und eingesetzten Medien zur Übermittlung
der Lerninhalte hängen von der angewandten Lernmethode und
dem Lernszenario ab.
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
31
5 – OPTIMISE
Improve things
3. Experience: Hier erlernt die oder der Beschäftigte die vorgegebenen Inhalte, wobei eine Erfassung der Lernfortschritte und des
Lernverhaltens über das LMS möglich ist.
4. Match: In diesem Schritt wird das tatsächliche Lernergebnis mit
dem erwarteten verglichen. Dies geschieht über qualitative Aussagen („schwer verständliche Inhalte“) oder quantitative Angaben
(benötigte Lernzeit in Stunden/Minuten).
5. Optimize: Die in Schritt 4 gemachten Erfahrungen fließen in die
Lerninhalte bzw. -einheiten ein (das Einpflegen erfolgt i. d. R.
durch Tutoren) und verbessern auf diese Weise das Lernangebot.
Abbildung 4: Die Methodik von EMEMO (in Anlehnung an Sanguini/Sesana 2014)
Die Methodik EMEMO wird in eine IT-Lösung umgesetzt, deren Architektur
in Abbildung 5 dargestellt ist, und die bei den drei Pilotfirmen eingesetzt
und evaluiert wird:
32
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Abbildung 5: Die IT-Architektur für EMEMO (Sanguini/Sesana 2014)
Die Pilotfirmen und deren IT-Lösungen werden im Folgenden kurz beschrieben:
Augusta Westland (AW) ist ein italienischer Hersteller von Hubschraubern, der neben der Produktion auch Ausbildung (Piloten und Mechaniker)
und Wartung anbietet. AW nutzt die Möglichkeiten von TELL ME in seiner
eigenen Trainingsakademie und stellt diese darüber hinaus Vertragspartnern weltweit zur Verfügung. Dabei werden Virtual Classrooms zum Training ebenso wie die Methode Precision Teaching eingesetzt. Precision
Teaching ist definiert als „basing educational decisions on changes in continuous self-monitored performance frequencies displayed on 'standard
celeration charts'” (Lindsley, 1992, S. 51), und dient als Methodik zur
Evaluierung, (West/Young 1992, S. 114). Zum Einsatz kommen dabei
auch AR und mobile Endgeräte (Google Glass, Smartphones, Tablets).
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
33
Bei AIDIMA in Spanien, einem Technologieinstitut für Holzverarbeitung
und Ausbilder für entsprechende Industrien, wird die Aus- und Weiterbildung mit persönlicher Anleitung (mit entsprechenden Anschauungsmaterialien), E-Learning und Precision Teaching angeboten. Dies dient unter
anderem dazu den Einbau für Inneneinrichtungen von Luxusbooten zu
erleichtern.
Profitex ist ein kleineres Textilunternehmen im oberfränkischen Helmbrechts und auf die Qualitätskontrolle textiler Zwischen- und Endprodukte
spezialisiert. Es bietet eine Reihe von Textilprüfungen und Tests an, darunter beispielsweise die Warenschau für textile Flächen, insbesondere
Gewebe. Die bei Profitex angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind typischerweise älter als 40 Jahre, verfügen über einen Migrationshintergrund und haben lediglich Grundkenntnisse in IT-Anwendungen.
Im Rahmen von TELL ME wurden drei Anwendungsbereiche für Lernen
bei Profitex oder bei an Profitex beteiligten Unternehmen identifiziert und
entsprechende Lösungen (mit Hilfe von EMEMO) umgesetzt:
1. Precision Teaching (softwaregestützt) für die Warenschau zur
Erkennung und Behebung von Fehlern – insbesondere neuer Fehlertypen aus verschiedenen Einsatzfeldern: Hierbei erlernen die
Beschäftigten das Verhalten beim Auftreten bestimmter Fehler
sowie grundlegende Zusammenhänge und Fachvokabular. Dieser
Ansatz führt im Vergleich zu konventionellen Trainingsmethoden
zu einer deutlich geringeren Trainingszeit und einer besseren Vergleichbarkeit der Lernergebnisse.
2. Augmented Reality zur Einstellung von Webmaschinen: Da das
Einstellen einer Webmaschine wissens- und zeitintensiv ist, erleichtert der Einsatz von Augmented Reality den Einstellprozess
und das Auffinden spezifischer Informationen (z. B. mit Google
Glass). Die Prozessschritte werden einfach in die Brille eingeblendet und der Arbeiter wird auf diese Weise durch den gesamten
Prozess geführt.
3. TELLME.live für die stufenübergreifende Produktentwicklung: Profitex ist neben anderen Unternehmen Mitglied der Quality Group,
die als Netzwerk eine sogenannte „social community“ für die stufenübergreifende Produktentwicklung erproben (siehe Abbildung
6). Mit Hilfe der Software TELLME.live können sich die Beteiligten
34
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
der unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen (Designer, Entwickler, Weber, Veredler) über Probleme und Erkenntnisse austauschen, die aktuelle und ältere Produkte betreffen. Dadurch können
Fehler, die in der Vergangenheit auftraten, bereits im Vorfeld ausgemerzt werden.
Abbildung 6: Screenshot der Anwendung TELLME.live
Diese und andere Ergebnisse des Projektes TELL ME haben als potentielle Nutzer neben kleinen und mittelständisch geprägten Unternehmen bzw.
Netzwerken auch größere Unternehmen. Das Projekt zielt mit seiner Methodik und IT-Umsetzung in erster Linie auf die operativen Beschäftigten,
deren Vorgesetzte und Personalverantwortliche, die Lebenslanges Lernen
als Herausforderung begriffen haben.
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
4.3
35
Gegenüberstellung der beiden Forschungsprojekte
In diesem Abschnitt werden abschließend die beiden vorgestellten Forschungsprojekten Learn Textile! und TELL ME in Bezug auf die darin genutzten neuen Technologien, didaktischen Konzepte und Lernangebote
verglichen und in zwei Tabellen gegenübergestellt:
Tabelle 2: Neue Technologien eingesetzt in den Forschungsprojekten Learn Textile! und
TELL ME
Lernmanagement-System
Mobile Endgeräte
Learn Textile!
TELL ME
X
X
(X)
X
X
Augmented Reality
Tabelle 3: Neuere didaktische Konzepte und Lernangebote eingesetzt in den Forschungsprojekten Learn Textile! und TELL ME
(Distance) Assessment
Learn Textile!
TELL ME
(X)
X
X
Precision Teaching
Informelles Lernen
Mikrolernen
X
(X)
Selbstgesteuerte Lerngeschwindigkeit bzw.
-dauer
X
Webinar
X
MOOCS
Serious Gaming
Interaktion der Lernenden
X
36
Marcus Winkler, Guido Grau, Meike Tilebein
Es ist erkennbar, dass sich die Schwerpunkte der beiden Forschungsprojekte deutlich unterscheiden, hinsichtlich der eingesetzten Technologien
(TELL ME ist hier breiter aufgestellt) und der eingesetzten didaktischen
Konzepte und Lernangebote (hier nutzt Learn Textile! mehr der möglichen
neuen didaktischen Konzepte und Lernangebote).
10
Dies liegt u. a. daran, dass TELL ME im Umfeld des TEL konzipiert und
eine eigene generelle Methodik entwickelt wurde (EMEMO). Learn Textile!
hingegen konzentriert sich auf eine klare didaktische Aufgabe für genau
umrissene Zielgruppen, ohne das Training der Beschäftigten am Arbeitsplatz in den Mittelpunkt zu stellen.
Langfristig werden im betrieblichen Alltag der Textilwirtschaft die unterschiedlichen Arten des Lernens, wie sie die vorgestellten Forschungsprojekte repräsentieren – das Lernen am Arbeitsplatz einerseits und die zielgruppenspezifische außerbetriebliche Weiterbildung andererseits – noch
mehr zusammenwachsen, um Lebenslanges Lernen, sowohl formell als
auch informell, immer wieder bestmöglich zu fördern.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Die Geschwindigkeit der Entwicklungen im Bereich des Trainings sowie
der Aus- und Weiterbildung nimmt zu. Dabei gilt es die Chancen neuer
Technologien und didaktischer Methoden zu nutzen. Strömungen und
Angebote in der Didaktik und in der politischen Förderung der Forschung
unterstützen aktuell die Verlagerung von den Lehrenden hin zum Lernen
und zur Lernumgebung unter Nutzung neuester Technologien.
Gerade die gesteigerten Bedarfe der kleinen und mittelständisch geprägten Unternehmen der Textilwirtschaft erfordern ein angepasstes Training
für ihre Beschäftigten. Hierzu können speziell ausgerichtete Weiterbildungskurse und Lernen am Arbeitsplatz einen entscheidenden Beitrag
leisten, indem geeignete didaktische Methoden und neue Technologien
eingesetzt und miteinander verbunden werden.
Die in diesem Beitrag vorgestellten Forschungsprojekte Learn Textile! und
TELL ME zeigen dies an Hand von Lösungen für die außerbetriebliche
10
Technology enhanced Learning; englisch für den im Deutschen verwendeten Begriff ELearning
Lebenslanges Lernen – Neue Ansätze für die Textilwirtschaft
37
Weiterbildung für bestimmte Zielgruppen (Nichttextiler bzw. Quereinsteiger, Beschäftigte in Fortbildungsmaßnahmen und Auszubildende) sowie
an Hand von technologiegetriebenem Training am Arbeitsplatz für Beschäftigte. Dabei liefern sie Antworten auf die in der Zukunft immer wichtiger werdenden Fragen: Wie können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
mittelständisch geprägten Unternehmen in weniger gut ausgestatteten
Industriesektoren mit der technischen Entwicklung Schritt halten und wie
kann Training positioniert und verbessert werden, um die Überlebensfähigkeit und die Innovationsstärke dieser Sektoren zu steigern?
Danksagung
Die beiden hier beschriebenen Forschungsprojekte wurden mit öffentlichen Mitteln gefördert. Der Dank der Autoren gilt neben den Projektpartnern der genannten Projekte zum einen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Förderung des Projektes Learn Textile! (Nr.
01PD14008A-F, http://www.learn-textile.de“) im Rahmen des Programms
„Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ und zum anderen der Europäischen Kommission für die Co-Finanzierung des Projektes TELL ME (Nr.
318329, http://wwww.tellme-ip.eu) im 7. Forschungsrahmenprogramm.
Literatur
Arnold, R., Faber, K., 2011: Vom Lehren zum selbstgesteuerten Lernen, in: Schwuchow, K.,
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Arnold P,. Kilian L., Thillosen A., Zimmer G., 2013: Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien, 3. aktualisierte Auflage. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld
Drochtert, D., Geiger, C., 2015: Von der Fiktion zur Wirklichkeit, in: iX, 5/2015, S. 40-48
Erpenbeck, J.,Sauter, W., 2014: Kompetenzentwicklung im Netz: New Blended Learning mit
Web 2.0. epubli Verlag, Berlin
Goodyear, P., Retalis, S., 2010: Learning, Technology and Design, in: Goodyear, P., Retalis,
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2014.
URL:
http://www.hernstein.at/Media/Hernstein-Management-Report-9_2014Fuehrungskraefteentwicklung.pdf. Abgerufen im Mai 2015
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http://www.textilforschung.de/uploads/2014-03-31-10-12-09-49-1.pdf. Abgerufen im
Mai 2015
Lindsley, O. R., 1992.: Precision teaching: Discoveries and effects. Journal of Applied Behavior Analysis, 25, 51-57
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http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Mobile_device&oldid=665142967.
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http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Wearable_computer&oldid=664724158.
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Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
39
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs
einschließlich Mobile Learning zur Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit in der Produktionsorganisation
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
Wirtschaftlicher Erfolg von kleinen und mittelständischen Unternehmen
(KMU) des produzierenden Gewerbes macht sich vor allem an effektiven
und effizienten Produktionsprozessen fest, weshalb komplexe Aufgaben
der Produktionsorganisation zunehmend an Bedeutung gewinnen. Als
Reaktion des Bildungswesens auf diese Entwicklungen wurden mit einer
Systematik zur Aus- und Fortbildung in der Produktionstechnologie innovative Strukturen beruflicher Bildung geschaffen. Für ein anforderungsgerechtes Lehren und Lernen in diesen Tätigkeitsfeldern fehlten bisher jedoch didaktische Konzepte und entsprechende praxistaugliche
Lernangebote. Deshalb wurde ein innovativer Fernlehrgang mit einem
Mobile Learning Angebot als Konzept zur Kompetenzförderung entwickelt.
1
1.1
Die Erwerbsarbeit in der Produktionsorganisation als Beispiel
von Tätigkeiten für eine moderne Beruflichkeit
Herausforderungen einer modernen Beruflichkeit
Im „Hochlohnland“ Deutschland liegt der wirtschaftliche Erfolg von kleinen
und mittelständischen Unternehmen (KMU) des produzierenden Gewerbes
v. a. in einer hohen Innovations- und Gestaltungsfähigkeit sowie einer
hohen Flexibilität in Strukturen und Prozessen im Hinblick auf veränderte
Marktbedingungen aufgrund ökonomischer, ökologischer und sozialer
Herausforderungen begründet. Dafür werden effektive und effiziente Produktionsprozesse benötigt. Diese Herausforderungen umfassen z. B. eine
zunehmende Digitalisierung in der Produktion, das Beherrschen innovativer fertigungs- und automatisierungstechnischer Lösungen, die Integration
umfassender Organisations- und Logistikkonzepte und die kontinuierliche
Verbesserung aller Prozessschritte. Damit einher geht die Herausforderung, Kundenbedarfe trotz zunehmender Anforderungen mit einer hohen
40
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
Liefertermintreue bei gleichzeitig hoher Wirtschaftlichkeit zu bedienen.
Beispielhafte Anforderungen sind stetig abnehmende Durchlaufzeiten,
zunehmende Produkt- und Prozessvariantenvielfalt sowie eine „turbulente“
Markt- und Produktionsumgebung.
Aufgrund dieser kundenspezifischen Anforderungen bei gleichzeitiger Automatisierung der Herstellung selbst werden zunehmend Tätigkeiten in der
Produktionsorganisation in Unternehmen des produzierenden Gewerbes
auch von Mitarbeitenden auf Facharbeiter- und Meisterebene ausgeübt.
Aufgrund der Komplexität und der hohen Anforderungen dieser Tätigkeiten
muss die Entwicklung der dafür notwendigen Kompetenzen auf betrieblicher Seite durch ein professionelles Kompetenzmanagement geplant und
gesteuert werden. Auf Seite der beruflichen Bildung werden im Kontext der
o.g. Herausforderungen und Entwicklungen intensiv Veränderungen in
beruflichen Strukturen diskutiert, insbesondere die „moderne Beruflichkeit“
als neue Form gesellschaftlich organisierter Erwerbsarbeit (Meyer 2010).
Demnach nimmt die Bedeutung von Charakteristika traditioneller Berufsformen (Institutionalisierung, feste Lernorte, klarer Fachbezug, Konstanz,
Kollektivität, soziale Begrenzung) ab und die Erwerbstätigkeiten in der
beruflichen Bildung unterliegen einem „Professionalisierungsprozess“.
Dies äußert sich u. a. in der Erfordernis gut ausgeprägter Kompetenzen
zur Bearbeitung komplexer Aufgaben, die häufig zieloffen und durch Ungewissheit geprägt sind sowie dynamische Interaktionen erfordern. Zudem
besteht ein hoher Grad an Autonomie und Selbstgestaltung (ebd.;
Frenz et al. 2011; Frenz/Heinen 2013).
1.2
Systematische Aus- und Fortbildung in der
Produktionstechnologie
Für die Professionalisierung in der Produktionsorganisation wurde mit der
„Aus- und Fortbildung in der Produktionstechnologie“ (Borsch/Zinke 2008)
eine Systematik geschaffen, welche Aus- und Weiterbildung, aber auch
formales und informelles Lernen miteinander verbindet und damit hohe
Ansprüche an die Akteure in der beruflichen Bildung stellt. Die systematische Ausbildung zum/zur Produktionstechnologen/-in sowie die Schaffung
der Spezialistenprofile Applikations- und Prozessexperte/-in und die Aufstiegsfortbildung zum/zur Prozessmanager/-in Produktionstechnologie auf
Industriemeister- bzw. Bachelorebene bieten einen entsprechenden Rahmen für die erforderliche prozessorientierte Qualifizierung.
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
41
Die Fortbildung ist zweistufig angelegt. Zunächst erfolgt eine berufliche
Weiterbildung und Spezialisierung in den beiden Expertenprofilen. Diese
Stufe ist offen für alle Fachkräfte aus einschlägigen Produktionsbereichen
mit mehrjähriger Berufserfahrung. Der zweite Schritt ist die Prüfung
zum/zur geprüften Prozessmanager/-in Produktionstechnologie auf Meisterebene (ebd.; Koch/Zinke 2012; Abbildung 1).
Abbildung 1:Ebenen der systematischen Aus- und Fortbildung für die Produktionstechnologie
(Borch/Zinke 2008)
Diese Systematik zielt im Wesentlichen auf eine Kompetenzentwicklung
für die Planung, Steuerung, Sicherung und Optimierung von Produktionsprozessen. Neben dem Beherrschen fertigungs- und automatisierungstechnischer Lösungen bedingen diese Tätigkeiten auch die Integration
effektiver Organisations- und Logistikkonzepte und die kontinuierliche Verbesserung aller Prozessschritte. Somit hat dieses Konzept eine prozessorientierte, produktions- und informationstechnische Ausrichtung und
adressiert übergreifende Kommunikations-, Organisations- und Technologiekompetenzen (Abbildung 2). Die gemeinsame Basis für die zu entwickelnden Kompetenzen stellen die Arbeits- und Geschäftsprozesse dar:
Während die Ausbildung zum/zur Produktionstechnologen/-in noch überwiegend in Bezug auf die Herstellung konkreter Produkte entlang der Prozesskette gestaltet wird, zielt die Fortbildung direkt auf die Gestaltung der
Unternehmensprozesse.
Offen geblieben sind bislang jedoch die Entwicklung geeigneter didaktischer Konzepte sowie deren Umsetzung in konkreten Lernangeboten,
welche den Anforderungen einer modernen Beruflichkeit in der Produktionsorganisation gerecht werden. Diese sind im Sinne einer Professionalisierung als die Ausübung komplexer zieloffener und durch Zielkonflikte
42
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
geprägter Tätigkeiten zu verstehen. Die theoretischen Grundlagen hierfür
bietet eine kompetenzorientierte Didaktik.
Abbildung 2:Prozesskette und Zuordnung der Abschlüsse zu Tätigkeitsfeldern in der Produktionsorganisation (Borch/Zinke 2008)
2
Anforderungen einer kompetenzorientierten Didaktik an die
Gestaltung von Lernangeboten
Ziel beruflicher Bildung ist nach §1 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) die
Förderung und Entwicklung beruflicher Handlungsfähigkeit für die auszuübenden Tätigkeiten und somit für eine reflektierte Bewältigung der darin
inkorporierten Problemstellungen. Hierfür gilt die Kompetenzorientierung
als zentrale didaktische Leitkategorie für die Gestaltung entsprechender
Bildungsangebote und Lernprozesse (Gillen 2013; Lehberger 2013).
Grundlegend für kompetenzorientierte Ansätze im Sinne einer „OutcomeOrientierung“ ist der Bezug zu realen Anwendungszusammenhängen in
der Erwerbstätigkeit. Dies bedeutet, dass in einem Bildungsangebot für die
curricular beschriebenen Ziele einer Kompetenzentwicklung ein konkreter
Bezug zum Arbeitsleben und somit zu typischen Handlungssituationen der
Lernenden herzustellen ist. Die Gestaltung der Lernprozesse sollte sich
entsprechend auf die Bewältigung typischer Probleme beziehen, die bei
der Ausübung der Tätigkeiten auftreten (Dörner/Schaub 1995; Kremer
2013; Siebert 2012).
In diesem Sinne ist das übergreifende Ziel, eine reflexive Handlungsfähigkeit für typische Problemstellungen der Produktionsorganisation in eigenen
betrieblichen Prozessen zu entwickeln. Das erforderliche Wissen wird in
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
43
reflexiven Lernprozessen unter Einbezug der eigenen Erfahrungen aufgebaut (Dehnbostel 2010). Daher ist der Ausgangspunkt für diese Lernprozesse ein konkreter Unternehmensprozess aus der Arbeitsumgebung der
Lernenden, zu dem entsprechendes Theoriewissen als Reflexionsbasis
angeboten wird (ebd.). Gefördert werden sollen die Reflexivität sowohl
bezogen auf die eigenen Produktionssysteme und Prozessketten (fachlichmethodische Kompetenz) als auch die Interaktionsprozesse zwischen
Arbeitspersonen (Sozialkompetenz) und die eigene Position und individuellen Handlungsoptionen im Unternehmen (Selbstkompetenz). Die Lernangebote werden nach den Phasen einer vollständigen Handlung (Pampus 1987) konzipiert. Durch eine Fokussierung auf konstruktivistische
Ansätze (Dubs 2013; Reich 2012) wird ebenfalls die Arbeitswelt der Lernenden einbezogen.
3
Studien der Qualifikationsforschung in der
Produktionsorganisation
Aus den Anforderungen einer kompetenzorientierten Didaktik ergeben sich
für die Entwicklung eines Lehrgangs zwei Schwerpunkte. Erstens müssen
die normativen Vorgaben der Ordnungsmittel (Prüfungsordnung und Rahmenplan) analysiert werden. Zweitens sind zu bewältigende Probleme in
der Tätigkeitsausübung von Erwerbstätigen herauszustellen und im Sinne
typischer Handlungssituationen als Grundlage für Lerngelegenheiten zu
systematisieren. Hierfür werden entsprechende Arbeitsprozesse in der
Produktionsorganisation erhoben und analysiert.
3.1
Ordnungsmittelanalyse für die Fortbildung zum/zur geprüften
Prozessmanager/-in
Für die Fortbildung zum/zur geprüften Prozessmanager/-in Produktionstechnologie existieren eine Prüfungsordnung und ein Rahmenplan (DIHK
2009). Für die Prüfung ist es erforderlich, im eigenen Unternehmen ein
praxisrelevantes Projekt durchzuführen, zu dokumentieren und in einem
Fachgespräch zu präsentieren. Weiterhin umfasst die Prüfung zwei schriftliche Situationsaufgaben zu Themenbereichen des Prozessmanagements
sowie eine schriftliche Situationsaufgabe und ein situationsbezogenes
Fachgespräch zum Themenbereich Mitarbeiterführung und Personalmanagement.
Der Rahmenplan beschreibt entsprechend der Anforderungen der Prüfungsordnung die Inhalte, die den Lehrgangsteilnehmenden zu vermitteln
44
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
sind. Er beinhaltet entlang der Prozessphasen (Abbildung 2) die 4 Lernbereiche „Produkt- und Prozesskonzeption“, „Prozessentwicklung“, „Prozessimplementierung,
Produktionsanlauf“,
„Produktionsplanung
und
-steuerung“ sowie das Querschnittsthema des „Prozess- und Projektmanagements“. Dabei ist eine enge inhaltliche Vernetzung des Projekt- und
Prozessmanagement zu den vier Lernbereichen vorgesehen: Entsprechende Methoden und Instrumente des Prozess- und Projektmanagements sind für die Erschließung einer Problemsituation im jeweiligen Lernbereich auszuwählen, einzusetzen und entsprechende Maßnahmen
abzuleiten sowie die Ergebnisse im Gesamtkontext zu reflektieren.
Eine Situierung dieser Inhalte in Handlungskomplexen oder eine handlungsorientierte Beschreibung von typischen Problemsituationen ist dort
nicht enthalten. Dies zu erstellen ist Aufgabe eines Lehrgangsanbieters.
3.2
Arbeitsprozessanalysen in der Produktionsorganisation
Um einen outcomeorientierten Lehrgang entwickeln zu können, müssen
die auszuübenden Tätigkeiten in Arbeitsprozessanalysen grundlegend
untersucht werden und reale Anwendungszusammenhänge als Grundlage
für Lerngelegenheiten aufbereitet werden. Dafür sind in ausgewählten
kleinen und mittleren Unternehmen des produzierenden Gewerbes Arbeitsprozesse zu erheben und zu analysieren, die entsprechend der Inhalte des Rahmenplans und der Prüfungsordnung als typisch für das Prozessmanagement anzusehen sind. Zur Beschreibung dieser werden in
Workshops mit Experten aus dem jeweiligen Unternehmen die entsprechenden Arbeitsprozesse mit der K3-Modellierungsmethode (Nielen 2014)
beschrieben. Ergänzt wird die Erhebung um teilstandardisierte Interviews
mit den Stelleninhabenden, um die Anforderungen an die Tätigkeitsausübung zu analysieren. In anschließenden Workshops mit Expertinnen und
Experten aus der beruflichen Praxis und Wissenschaft werden die konkreten berufsfachlichen Zusammenhänge und zentralen Problemstellungen in
der jeweiligen Tätigkeit systematisiert.
Erhoben wurden die insgesamt 27 typischen Arbeitsprozesse in sieben
kleinen und mittleren Unternehmen des produzierenden Gewerbes aus
unterschiedlichen Branchen.
In den erhobenen Arbeitsprozessen wurde insgesamt deutlich, dass Prozessmanager/-innen sowohl technologische Fragen beantworten als auch
arbeitsorganisatorische Problemstellungen bewältigen müssen. Typische
technologische Herausforderungen sind das Verstehen und Gestalten von
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
45
komplexen, automatisierten Produktionssystemen in Prozessketten, z. B.
die Integration und Inbetriebnahme einer neuen Produktionszelle in einer
Fertigungskette. Organisatorische Herausforderungen beinhalten im Wesentlichen das Verstehen von komplizierten Fertigungsprozessen und
Arbeitsabläufen und deren selbstständige Planung, Optimierung und
Steuerung, bspw. die Konzeption von Fertigungsprozessen einschließlich
der Berücksichtigung einer digitalen Vernetzung mit ERP- und PPSSystemen oder der Einsatz moderner IT-gestützter Feinplanungssysteme
in der Produktionsplanung und -steuerung. Diese Vielfalt zeigt, dass alle
Bereiche des Rahmenplans mit den erhobenen Aufgaben gut abgedeckt
werden können.
In Workshops mit 12 Expertinnen und Experten wurden die berufsfachlichen Zusammenhänge näher analysiert und typische zu bewältigende
Probleme erschlossen. Im Fokus dieser qualitativen Analyse stand die
Komplexität der zu bewältigenden Probleme nach Dörner u. Schaub
(1995) hinsichtlich der Art und des Ausmaßes auftretender Zielkonflikte
und Widersprüche im Gegenstandsbereich, der Anzahl beteiligter Kommunikationspartner, der Anzahl und Vielfalt notwendiger Interaktionen
sowie des Anspruchs domänenspezifischer Anforderungen (notwendige
Fach- und Methodenkenntnisse). Als ein zentrales Beschreibungsmodell
wurde das magische Dreieck des Projektmanagements genutzt. Es gliedert aus einer arbeitsökonomischen Perspektive heraus die auftretenden
Zielkonflikte entsprechend der drei Dimensionen Leistung, Termine und
Kosten (Heinen et al. 2014).
46
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
Abbildung 3:Übersicht über die erhobenen Arbeitsaufgaben in der Produktionsorganisation
und deren Zuordnung zur Prozesskette
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
47
Diese Analysen sollen am Beispiel der Gestaltung eines Fertigungsablaufes in der Produktion eines Schweißbauteils bei einem mittelständischen
Stahlbauunternehmen verdeutlicht werden. Die Aufgabe der Fachkraft
bestand darin, für eine kundenspezifische Variante eines zu fertigenden
Schweißbauteils in Kleinserie einen geeigneten Fertigungsablauf zu planen. Zentrales Problem war die Entscheidung für den einzusetzenden
Schweißarbeitsplatz (manuelles Schweißen, semi-automatisches Schweißen oder automatische Schweißzelle). Abbildung 3 visualisiert die dabei
zu berücksichtigenden Kriterien und mögliche Zielkonflikte anhand des
magischen Dreiecks.
Abbildung 4: Zieldimensionen für die Gestaltung eines alternativen Fertigungsablaufs für ein
Schweißbauteil in einem mittelständischen Stahlbauunternehmen
Die durchgeführten Arbeitsprozessanalysen haben bestätigt, dass für die
Tätigkeitsbereiche der Produktionsorganisation auch auf Fachkräfteebene
gut ausgebildete Arbeitspersonen benötigt werden, die in der Lage sind,
Arbeitsprozesse aktiv mitzugestalten, kontinuierlich zu optimieren und
Entwicklungen im Unternehmen bewusst zu reflektieren. Sie müssen über
umfassende Kenntnisse bspw. des Projektmanagements, des Lean Managements oder des Total Quality Managements verfügen und deren einschlägigen Methoden anwenden können. In diesem Zusammenhang müssen ebenfalls Kompetenzen im Umgang mit modernen Informations- und
Kommunikationstechnologien vorhanden sein. Die Arbeitsaufgaben sind
48
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
zumeist sehr komplex und geprägt durch oft widersprüchliche Anforderungen aus den Perspektiven der Qualitätsansprüche an ein Produkt, der zu
berücksichtigenden Terminvorgaben und einzuhaltender Kostenvorgaben.
Zudem ist eine intensive Interaktion mit Vorgesetzten, anderen Mitarbeitenden und Kunden erforderlich. Entsprechend der erhobenen Anforderungen an eine Tätigkeitsausübung in der Produktionsorganisation kann
nun für die Förderung der benötigten Kompetenzen ein entsprechendes
didaktisches Konzept entwickelt werden.
4
Konzept für einen Fernlehrgang
Zur Vorbereitung auf die Prüfung zum geprüften Prozessmanager bzw. zur
geprüften Prozessmanagerin vor der Industrie- und Handelskammer wurde ein Fernlehrgang mit einem Mobile Learning Angebot entwickelt, erprobt und evaluiert. Innovativer Ansatz dieses Fernlehrgangs ist es, das
klassische Format der Lehrbriefe durch ein geeignetes digitales Medium
(Lern-App für Tablet-PCs) zu ersetzen. Digitale Medien bieten einen vielseitigen Einsatz als Wissensträger und eröffnen für die Gestaltung von
Lehr-Lernprozessen vielfältige neue Einsatzmöglichkeiten. Allgemein bieten digital unterstützte Bildungsangebote im Vergleich zu herkömmlichen
Medien folgende Potenziale: Erhöhung der Orts- und Zeitflexibilität sowie
der Aktualität der Inhalte, mehr Offenheit und Vielfalt an Lernressourcen,
bessere Differenzierung und Diversität von Lern- und Lehrhandlungen,
höhere Autonomie und bessere Selbstorganisation des Lernens, Erschließen neuer sozialer Kontexte und Kooperationsformen sowie neue Möglichkeiten zum Präsentieren und Diskutieren von Lernergebnissen
(Arnold et al. 2013; Elsholz/Knutzen 2010; Euler 2009).
Mit dem Rahmenplan zur Fortbildung „geprüfte/-r Prozessmanager/-in“
kann auf eine detaillierte, prozessorientierte Beschreibung der Inhalte in
der Produktionsorganisation zurückgegriffen werden. Durch die durchgeführten Arbeitsprozessstudien liegen typische Handlungssituationen der
Produktionsorganisation vor, die für das Lernangebot aufzubereiten sind.
4.1
Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit als didaktisches Ziel
Die Entwicklung des didaktischen Konzepts für den Fernlehrgang erfolgt
einer kompetenzorientierten Didaktik entsprechend unter dem Leitgedanken der Förderung reflexiver Handlungsfähigkeit. Für die Gestaltung von
Lernprozessen hierfür gilt die Orientierung an betrieblichen Aufträgen bzw.
an Lern- und Arbeitsaufgaben in Unternehmensprozessen als zentraler
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
49
didaktischer Ansatzpunkt. Eine Kompetenzentwicklung kann demnach
nicht durch den Erwerb von trägem Theoriewissen, beispielsweise das
Lernen einer bestimmten Methode des Prozessmanagements, erfolgen
(„Lernen auf Vorrat“). Vielmehr erfolgt sie durch Lernprozesse, die sich auf
konkrete Anwendungszusammenhänge in den Tätigkeitsfeldern (Handlungssituationen) und eine reflektierte Bewältigung charakteristischer
Probleme in der Tätigkeitsausübung unter Einsatz einschlägiger Methoden
und Instrumente beziehen. Auf das zur Problembewältigung benötigte
Theoriewissen muss während des Prozesses der Kompetenzentwicklung
gezielt als Reflexionsbasis zurückgegriffen werden können, wenn es notwendig ist (Dehnbostel 2010; Gillen 2013). Im entwickelten Fernlehrgang
wird die Kompetenzentwicklung dementsprechend durch den Einsatz einer
Lern-App für Tablet-PCs unterstützt, welche die Lernenden bei der Bearbeitung von Situationsaufgaben und der Durchführung von Projekten aus
dem eigenen Unternehmenskontext sowie eine Portfoliostruktur zur Projektdokumentation unterstützt.
4.2
Situationsaufgaben
Bei der Entwicklung der Situationsaufgaben wurden die in den Arbeitsprozessanalysen erhobenen und dem Rahmenplan zugeordneten Aufgaben
genutzt. Die erhobenen Tätigkeiten wurden als Handlungssituationen mit
einer Beschreibung der Ausgangslage und der zu bewältigenden Probleme entsprechend der jeweiligen Lernbereiche aufbereitet. In den Situationsaufgaben werden die Lernenden mit einer komplexen Problemsituation
konfrontiert, für die entlang der Phasen einer vollständigen Handlung eine
Problemerschließung durchzuführen und entsprechende Lösungen zu
konzipieren, umzusetzen sowie zu reflektieren sind. Dies soll im Folgenden anhand eines Beispiels verdeutlicht werden.
Die für das Anwendungsszenario genutzten Daten wurden bei einem mittelständischen Stahlbauunternehmen erhoben und zielen auf die Implementation eines automatischen Hochregallagersystems in den Fertigungsablauf. Innerhalb des gesamten Projektes erfolgten die notwendige
Prozesskonzeption, die Prozessentwicklung sowie die Prozessimplementation. Für diese Situationsaufgabe wird der Abschnitt der Konzeption einer geeigneten Prozesskette betrachtet.
Die zur Verfügung gestellte Ausgangslage, also der betriebliche Kontext
für die Situationsaufgabe, stellt sich wie folgt dar: Das Unternehmen verfügt über eine große Fertigungstiefe und hohe Produkt- und Variantenviel-
50
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
falt. Es soll die Prozesskette zur Produktion von Schweißbauteilen verbessert werden. Dazu soll das bisherige Materiallager durch ein automatisches Hochregallagersystem inklusive eines modernen Logistik-ITSystems ersetzt werden. Vorgesehen sind zudem Hallenerweiterungen.
Das Hochregallager muss dazu in die Prozesskette eingebunden werden.
Die angeschlossenen Produktionssysteme, beispielsweise Laserschneidmaschinen zur Blechvorbereitung, werden durch das Hochregallager und
über die neue digitale Anbindung an das Logistik-IT-System automatisch
mit Material versorgt.
Das Ziel für die Lernenden ist die Erstellung eines Konzeptes für die verbesserte Prozesskette im Unternehmen. Zunächst erhalten die Lernenden
die offene Aufgabenstellung bzw. Zielvorgabe, aufgrund der zur Verfügung
gestellten Ausgangslage ein geeignetes Konzept für eine verbesserte Prozesskette zu erstellen. Die Bearbeitung der Situationsaufgabe erfolgt entlang der 6 Phasen einer vollständigen Handlung. Über die Lern-App werden die Lernenden beim Bearbeiten der Situationsaufgaben unterstützt.
Dort sind zu den einzelnen Handlungsphasen der Situationsaufgaben in
handlungslogischer Reihenfolge entsprechende Lernbausteine, z. B. Auszüge aus Lehrbüchern, Lernvideos etc. hinterlegt, sodass diese gezielt je
nach individuellem Bedarf abgerufen werden können.
In Abbildung 4 werden für das gewählte Handlungsziel (Konzeption einer
verbesserten Schweißkette) die in jeder Phase durchzuführenden Handlungsschritte vorgestellt und dargelegt, welches Lernmaterial zur Reflexion
der Arbeitsschritte an welcher Stelle der Bearbeitung der Situationsaufgaben zu nutzen ist.
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
51
Abbildung 5: Beispiel für Handlungsschritte und zugeordnetes Lernmaterial einer Situationsaufgabe zum Lernbereich Produkt- und Prozesskonzeption für die Fortbildung zum/zur geprüften Prozessmanager/-in Produktionstechnologie
In der Bearbeitung der Situationsaufgabe kann der Lernende jederzeit auf
diese hinterlegten Lerninhalte gezielt zurückgreifen. Für das benötigte
Hintergrundwissen werden einzelne Lernbausteine entwickelt und der
Wissenserwerb über Lernerfolgsfragen sichergestellt. Beispielsweise gibt
es zum Bereich der Problemerschließung in der Prozesskonzeption einen
Lernbaustein zur Prozessmodellierung. Dort werden Lernmaterialien zu
Grundlagen der Prozessmodellierung angeboten. Über eine anwendungsorientierte Lernerfolgsfrage – ein dokumentierter Arbeitsablauf ist mithilfe
einer Prozessmodellierungsmethode zu visualisieren – wird der Erwerb
der theoretischen Grundlagen zur Reflexion der Situationsaufgabe sichergestellt.
Bei Bedarf können entsprechend der in Abbildung 4 dargestellten Handlungsschritte zusätzliche Hilfen gegeben werden. Sollte also ein Teilnehmender Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der offenen Aufgabenstellung
haben, können nach Bedarf zusätzliche Hilfen zur Lösung freigeschaltet
52
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
werden. Auf insgesamt 4 Niveaus besteht hier die Möglichkeit für den
Lernbegleiter entweder sehr offene Leit- und Reflexionsfragen zu den
Handlungsphasen („Hilfe zum selbstgesteuerten Lernen“) oder aber auf
niedrigstem Niveau einen geschlossenen Leittext (starke Anleitung und
dadurch Komplexitätsreduktion) zur Verfügung zu stellen (Heinen et al.
2015).
4.3
Portfoliokonzept zur Unterstützung der Projektarbeit
Die Aufgabenbereiche der Praxisprojekte umfassen zum einen das Durchführen des Projekt- und Prozessmanagements, zum anderen das Anwenden einschlägiger Methoden und Instrumente der Produktionsorganisation
für eine ausgewählte Prozessphase (s. Abbildung 2).
Die Projektbearbeitung wird unterstützt durch ein Portfoliokonzept, welches die Lernenden mit vorgegebenen Arbeitsmodulen in der Projektbearbeitung und -dokumentation und Leitfragen zur Reflexion unterstützt. In
der Lern-App sind wiederum – analog zu den zuvor beschriebenen Situationsaufgaben – gemäß der prozessorientierten Struktur des Rahmenplans
zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen in handlungslogischer Reihenfolge
entsprechende Lernbausteine, z. B. Auszüge aus Lehrbüchern, Lernvideos etc. hinterlegt, die je nach Bedarf abgerufen werden können.
4.4
Lernmodule des Fernlehrgangs
Die Lernmodule des Fernlehrgangs sind einer prozesslogischen Struktur
folgend entlang der Prozesskette (s. Abbildung 2) aufgebaut (Module 1-4,
Abbildung 5). Das Prozess- und Projektmanagement wird jeweils als
Querschnittsthema eingebunden und zudem über die zu leistende eigenständige Projektarbeit der Lernenden (Modul 5) abgedeckt. Die Bearbeitung des Praxisprojektes findet parallel zu den Modulen 1-4 statt.
Die Lernenden können relevante Materialien und benötigte Informationen
über die Lern-App abrufen. Begleitet wird der Fernlehrgang durch fünf
zweitägige Präsenzveranstaltungen, auf denen ausgewählte Inhalte vertieft behandelt werden, sowie Online-Sitzungen in zweiwöchigem Abstand
in der Verantwortung von erfahrenen Lernbegleitern. Dadurch werden eine
kontinuierliche Lernbegleitung gesichert und regelmäßig Lernimpulse entsprechend der aktuellen Bedarfe der Teilnehmenden gesetzt (PMKompare 2015).
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
53
Abbildung 6: Module des Fernlehrgangs zum/zur geprüften Prozessmanager/-in Produktionstechnologie
Das entwickelte Fernlehrgangskonzept wird im Zeitraum von April 2015 bis
Oktober 2016 mit 18 Teilnehmenden (davon 17 männlich) aus kleinen und
mittleren Unternehmen erstmals in einer Fortbildung zur Vorbereitung auf
die Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer eingesetzt und evaluiert. Alle Teilnehmenden verfügen über eine einschlägige gewerblichtechnische berufliche Erstausbildung in unterschiedlichen Gewerken und
mehrjährige Berufserfahrung in der Produktion.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Als Reaktion auf die Veränderungen in einer modernen Arbeitswelt beschäftigt sich die Diskussion in der beruflichen Bildung sowie Arbeitswissenschaft mit der Entwicklung einer „modernen Beruflichkeit“. In diesem
Kontext ist die systematische Aus- und Fortbildung in der Produktionstechnologie für Tätigkeitsfelder in der Produktionsorganisation als beispielhaft für innovative Strukturen der Beruflichkeit zu sehen, weil das
Konzept die Verknüpfung von Aus-, Fort-, und Weiterbildung vorsieht und
formale sowie informelle Lernprozesse berücksichtigt werden. Durch die
durchgeführten Studien der Qualifikationsforschung konnte für die Produktionsorganisation das Vorliegen von folgenden Phänomenen moderner
Beruflichkeit bestätigt werden:
 Die Tätigkeiten folgen einer Prozessorientierung und erfordern
durch den Bezug auf die eigenen Unternehmensprozesse einen
hohen Grad an Selbstorganisation und Individualisierung.
 Die Erwerbstätigen müssen über eine große fachliche Expertise
hinsichtlich innovativer Fertigungsverfahren oder Automatisierungstechnologien zur Bewältigung der häufig sehr komplexen
Problemstellungen verfügen.
54
Christopher M. Schlick, Simon Heinen, Martin Frenz
 Die zu bewältigenden Probleme sind geprägt durch Ungewissheiten und widersprüchliche Zielanforderungen und erfordern
häufig dynamische Interaktionen mit weiteren Beteiligten in der
Prozesskette.
Im Gegensatz zu den zahlreichen Lernangeboten für etablierte technologieorientierte Berufskonzepte, z.B. Industriemechaniker/-in, fehlen entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote für die Produktionsorganisation. Um Erwerbstätige bestmöglich auf diese Tätigkeiten vorzubereiten,
wurde entsprechend der o.g. Aus- und Fortbildungssystematik zur Vorbereitung auf die Fortbildungsprüfung zum/ zur geprüften Prozessmanager/in ein vermarktungsfähiger Fernlehrgang mit einem Mobile Learning Angebot entwickelt. Dieses Fernlehrgangskonzept und die dafür gewählte
didaktische Struktur stellt sich der Herausforderung, die Kompetenzen im
Sinne einer „Outcome-Orientierung“ zu fördern. Durch das gewählte Konzept eröffnet sich den Lernenden ein situierter Zugang zum Gegenstandsbereich, der durch die Lern-App für Tablet-PCs mit einer Wissenbasis
gezielt verknüpft ist, auf die je nach Anwendungsbedarf zugegriffen werden kann.
Die verstärkte Einbindung solcher prozessorientierter Qualifizierungskonzepte in das betriebliche Kompetenzmanagement stellt eine Strategie dar,
um auch zukünftig hochqualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter
am Produktionsstandort Deutschland aus- und weiterzubilden. Dadurch
wird ein wichtiger Impuls zu der sowohl in Wissenschaft als auch in der
Praxis der beruflichen Bildung geführten Diskussion zur zukünftigen Entwicklung des Bildungswesens in einer modernen Beruflichkeit geleistet.
Für die Fortführung dieser Diskussion sind Fragen nach der zukünftigen
Gestaltung von qualifizierter Facharbeit, von Berufsbildern sowie des Verhältnisses zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu beantworten.
Danksagung
Das diesem Beitrag zugrundeliegende Forschungsprojekt PM-Kompare –
Für das Prozessmanagement Kompetenzen arbeitsprozessintegriert entwickeln (Laufzeit 12/2013 bis 02/2017) wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Programms "Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln. Innovationsfähigkeit in einer
Entwicklung eines innovativen Fernlehrgangs einschließlich Mobile Learning […]
55
modernen Arbeitswelt" gefördert und vom Projektträger DLR (PT-DLR)
betreut (FKZ: 01FK13006).
Literatur
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Lernen mit digitalen Medien. Bielefeld. Bertelsmann.
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Produktionstechnologie. BWP 4/2008: 43-47.
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Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), 2009. Geprüfter Prozessmanager
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Dörner, D., Schaub, H., 1995. Handeln in Unbestimmtheit und Komplexität. Organisationsentwicklung: Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management. S. 3447.
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56
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Siebert, H. (2012). Lernen und Bildung Erwachsener. Bielefeld: Bertelsmann.
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
57
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten
Produktion – Ein Ansatz zur Strukturierung relevanter Parameter
André Ullrich, Gergana Vladova
Die digitale Vernetzung der Produktion schreitet unaufhaltsam und mit
großen Schritten voran. Damit einhergehend steigen die Anforderungen an
die Qualifikationen der Mitarbeiter im Produktionsumfeld. Technische Entitäten verfügen zunehmend über Entscheidungskompetenz und Prozesskontrolle. Diesen steigenden Anforderungen müssen Unternehmen und
Mitarbeiter gezielt entgegentreten und mit entsprechenden maßgeschneiderten Weiterbildungskonzepten antworten. Ziel des Beitrages ist es, einen Ansatzpunkt zur Strukturierung relevanter Parameter des Qualifizierungsmanagements darzustellen. Im Ergebnis liegt ein Morphologisches
Tableau zum Qualifikationsdurchführungsmanagement vor, anhand dessen beispielhaft die Anwendung bei der Entwicklung von Lernszenarien
aufgezeigt wird.
1
Einleitung
Die Veränderungen der industriellen Fertigung durch cyber-physische
Systeme betreffen Fertigungsunternehmen aller Branchen und Größen.
Industrie 4.0 eröffnet Unternehmen erhebliche Chancen, die allerdings
auch einen umfassenden Weiterbildungsbedarf der in der Produktion tätigen Qualifikationsgruppen der Hochqualifizierten und der Facharbeiter
nach sich ziehen. Fachkräfte zu Industrie 4.0 sind am Markt kaum verfügbar, sondern müssen in der Belegschaft, unter Berücksichtigung der
Diversität und demographischer Faktoren selbst weitergebildet werden.
Klassische Weiterbildungsangebote, die abseits des realen Fertigungsprozesses weitgehend konforme Inhalte an Gruppen von Beschäftigten vermitteln, greifen hier fehl. Vielmehr sind prozessnahe und prozessintegrierte Weiterbildungsformen erforderlich, die auf den Ausgangsbedingungen
jedes einzelnen Mitarbeiters basieren und genau das vermitteln, was in
der jeweiligen Qualifizierungssituation erforderlich ist.
Gegenwärtig schreitet die digitale Vernetzung der einzelnen Entitäten
(Mensch, Produkt, Informationssysteme, Maschinen und Anlagen) sowie
58
André Ullrich, Gergana Vladova
der Prozesse einer Fabrik enorm voran. Dies führt mitunter zum Verlust
der individuellen Prozesskontrolle an Informationssysteme und erfordert
unter Umständen neue Entscheidungsregeln sowie entsprechendes Entscheidungsverhalten der betroffenen Akteure. Vor allem für die Mitarbeiter
vollzieht sich hier ein fundamentaler Wandel. Wurden doch bisher Entscheidungen fast ausschließlich durch den Menschen auf Basis von bereitgestellten Daten getroffen, so ist es nun möglich, dass - im Sinne einer
dezentralen Produktionssteuerung - auch technische Entitäten über diese
Kompetenz verfügen. Wenn diese nun in einer Entscheidungssituation im
Produktivprozess einem Mitarbeiter neu vorgeben, wie er seinen Arbeitsprozess zu strukturieren und zu organisieren hat, dann ist dies bis auf
wenige Ausnahmen eine völlig neue Situation für die Mitarbeiter. Ein neues Gesamtverständnis der Mensch-Maschine-Interaktion muss erschaffen
werden und von den Betroffenen, bei denen das Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen werden muss, verinnerlicht werden. Entsprechende
Sensibilisierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen gliedern sich hervorragend in einen ganzheitlichen Wandlungsmanagementansatz ein.
Hochspezialisierte flexible Produktionstechnik, eine Tendenz zur prozessorientierten Organisation der Produktion sowie die Forderung nach flexibel
skalierbarer Losgrößenproduktion und die damit einhergehenden notwendigen Fähigkeiten der Mitarbeiter auf dem brownfield treiben den Bedarf
an Kompetenzen in den produktionstechnischen Prozessen voran und
erfordern eine stark individualisierte, wirtschaftliche und sehr Fertigungsprozess nahe Weiterbildung. Mögliche Ansatzpunkte zur Strukturierung
der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen sind gängige Methoden
der Kompetenzentwicklung, die sich unter zeitlichen, inhaltlichen und
räumlichen Aspekten klassifizieren lassen (Krämer 2007, S. 64). Im Kontext des Qualifizierungsdurchführungsmanagements existiert weiterhin
eine Reihe von relevanten Parametern, die es kontextabhängig zu strukturieren gilt, um Industrie 4.0 spezifisch die systematische Auswahl und den
zielgerichteten Umgang mit Qualifizierungsmaßnahmen sicherzustellen.
Einerseits können darauf aufbauend konkrete individuell-relevante Lernszenarien entwickelt werden und andererseits stellen diese die Grundlage
zur kontextsensitiven Modifikation von Qualifizierungsmaßnahmen dar.
Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, einen Ansatzpunkt zur Strukturierung der relevanten Parameter und ihrer Ausprägungen vorzustellen, der
Hilfestellung bei der Entwicklung von realen Lernszenarien und dem Einsatz von Qualifizierungsmaßnahmen leisten soll. Dies geschieht auf Basis
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
59
der Industrie 4.0 spezifischen Herausforderungen an die Kompetenzentwicklung, die im Verlauf dargestellt werden.
Ausgehend von der Betrachtung sozio-technischer Systeme sowie relevanter Kompetenzentwicklungsdimensionen wird eine Strukturierung unterschiedlicher Kompetenzfacetten vorgenommen und auf Ansätze der
Kompetenzentwicklung eingegangen (Kapitel 2). Darauf folgend werden
Herausforderungen bei der Kompetenzentwicklung von Mitarbeitern im
Zuge der veränderten Anforderungen durch Industrie 4.0 skizziert, um
anschließend die Entwicklung von Lernszenarien näher zu beleuchten und
einen möglichen Lösungsansatz darzustellen (Kapitel 3). Darauf aufbauend werden die Anwendung exemplarisch dargestellt und mögliche Szenarien skizziert (Kapitel 4). Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung und
das Aufzeigen von weiterem Forschungsbedarf (Kapitel 5).
2
Kompetenzentwicklung im Industrie 4.0-Kontext Rahmenbedingungen und theoretische Grundlagen
Die tiefgreifenden Veränderungen, die durch die Durchdringung einer Fabrik mit den konkreten Möglichkeiten des Industrie 4.0-Paradigma entstehen, eröffnen in Bezug auf die Mitarbeiter operativen und strategischen
Entwicklungsbedarf. Dieser betrifft sowohl ihre Kompetenzen als auch die
allgemeine Sensibilisierung und Motivation. Die zwei wesentlichen Analysebereiche hierzu sind der Kontext und das Individuum (der Mitarbeiter als
Objekt und Subjekt der Veränderung). Nachfolgend werden diese Analysebereiche kurz verdeutlicht: Zum Einen werden die Besonderheiten des
sozio-technischen Systems im Hinblick auf mitarbeiterrelevante Aspekte
vorgestellt (Kontext der Veränderung), um zum Anderen die neue Rolle
des Mitarbeiters und die damit verbundene Notwendigkeit der individuellen
Weiterentwicklung sowie das passende Methodeninstrumentarium hierzu
(Mitarbeiter als Subjekt und Objekt der Veränderung) aufzuzeigen.
2.1
Vernetzte Produktion - Das sozio-technische System
Eine zentrale strukturelle Veränderung, die Industrie 4.0 für die Unternehmen mit sich bringt, ist die Einführung neuer autonomer Akteure (Maschinen, Produkte, Informationssysteme) und die Organisation der Beziehungen dieser untereinander und zu dem Menschen im Rahmen von einem
dynamischen und offenen sozio-technischen System in Wechselwirkung
mit seiner Umwelt. Die beiden Teilsysteme - technisch und sozial (bestehend aus einem personellen und einem organisatorischen Teil) - sind von-
60
André Ullrich, Gergana Vladova
einander abhängig, wobei das technische eine einschränkende Rolle auf
das soziale in Bezug auf seine Gestaltungsmöglichkeiten ausübt. Andererseits bestehen spezifische arbeitspsychologische und soziale Merkmale,
welche sich auf die Funktionen des technologischen Teilsystems auswirken (Hirsch-Kreinsen 2014, S. 11-12, Rice 1963, S. 182, Ulich 2011, S.
198).
Der technische Teil beinhaltet die räumlichen und technologischen Bedingungen und schließt Betriebsmittel, Maschinen, Systeme u.ä. ein. Zum
sozialen Teilsystem gehören die Mitarbeiter, ihre einzelnen und gruppenspezifischen Bedürfnisse, ihre Kompetenzen, Kenntnisse und Fähigkeiten.
Die Verknüpfung der beiden Teilsysteme geschieht durch die Arbeitsrolle,
welche die Funktion festlegt, die der Mitarbeiter im Produktionsprozess
wahrzunehmen hat sowie die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern
bestimmt (Ulich 2011, S. 198).
Auch wenn ein Großteil der Prozessvorgänge durch die Einbindung der
neuen autonomen Akteure umgestaltet wird, bleibt der Mitarbeiter in der
Zukunft weiterhin ein wichtiger Bestandteil des Prozesses. Durch die
Standardisierung der Arbeit können die technischen Entitäten ebenso die
Entscheidungsfunktion übernehmen, was jedoch nicht bedeutet, dass die
Mitarbeiter nur eine passive Rolle ohne wirkliche Handlungskompetenzen
einnehmen und einen geistlosen Niedriglohnjob ausführen werden. Eine
viel wahrscheinlichere Vision ist, dass sich durch die Veränderungen neue
herausfordernde Arbeitsinhalte mit Eigenverantwortung und weitgehende
Entfaltungsmöglichkeiten in Bezug auf das Kompetenzmanagement ergeben. Dabei stellen die neuen Technologien den Kontext dar und werden
als Unterstützung angesehen (IG Metall 2013, Kurz 2013, S. 32).
Im Kontext von Industrie 4.0 soll es dem Menschen ermöglicht werden,
unter bestmöglichen Einsatz seiner Kompetenzen Kreativität, Einfühlungsvermögen, Intelligenz sowie Motorik in das komplexe Produktionssystem
einzubinden (Gorecky et al. 2014, S. 525; Schließmann 2014, S. 451 ff).
Der neue Produktionskontext und die neuen autonomen Akteure erfordern hierzu insgesamt „eine Beherrschung der zunehmenden
Komplexität, selbstverantwortliches Arbeiten, dezentrale Führungs- und
Steuerungsformen sowie eine neue, kollaborative Arbeitsorganisation“
(Russwurm 2013, S. 33).
Neben den manuellen (auch wenn in einer veränderten Form) Aufgaben
im Produktionsprozess, kommen für die Mitarbeiter neue koordinierende,
planerische und entscheidungstechnische Aufgaben hinzu. Die weitge-
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
61
henden Kompetenzen der neuen technischen Akteure führen dazu, dass
sich die Fabrikaufgaben im klassischen Sinne für die Mitarbeiter verringern
(Siemens 2013, S. 11-12) und ihre Verantwortungsbereiche künftig darin
bestehen werden, Produktionsstrategien vorzugeben, umzusetzen und
innerhalb der selbstorganisierten Herstellungsprozesse zu überwachen
sowie beim Auftreten von komplexen Problemen die Rolle des kreativen
Problemlösers zu übernehmen (Gorecky et al. 2014, S. 526). Weiterhin
werden sich durch die veränderten Arbeitsabläufe neue und erweiterte
Arbeitsstrukturen und vielfältigere Arbeitsfelder für die Beschäftigten ergeben (Windelband/Spöttl 2011, S. 11). Neben den planerischschöpferischen Aufgaben wird es auch in Zukunft erforderlich sein, vor Ort
in die Prozesse einzugreifen, um z.B. Reparaturvorgänge oder Wartungsarbeiten vorzunehmen (Gorecky et al. 2014, S. 526).
Die dargestellten positiven Veränderungen in den Qualifikationsgruppen
der Hochqualifizierten sowie der Facharbeiter mit ihren Rollenbildern (z.B.
Entwickler, Instandhalter, Maschinenbediener, Systemregulierer) werden
trotz und aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten nicht für alle Qualifikationsgruppen zutreffen. Vor allem beim Tätigkeitstyp des Maschinenbedieners kann in Einzelfällen auch eine Verarmung der Aufgabenkomplexität und -vielfalt auftreten.
Es lässt sich schlussfolgern, dass trotz der veränderten Bedingungen
durch die Einführung neuer autonomer technischer Akteure der Rolle des
Mitarbeiters im Rahmen des sozio-technischen Systems der Industrie 4.0Fabrik eine entscheidende Bedeutung zuzuschreiben ist. Bei vielen Rollenbildern steigen die Anforderungen an den Menschen, insbesondere in
Bezug auf seine Kompetenzen sowie an das Unternehmensmanagement,
welches die Rahmenbedingungen für die Qualifizierung, Kompetenzentwicklung und – nicht an letzter Stelle – für die Prozess- und Veränderungsakzeptanz bereitstellen soll.
2.2
Der kompetente Mitarbeiter in der Produktion
Aus der Sicht der Kompetenzlehre wird das sichtbare menschliche Verhalten im Wesentlichen durch zwei Bausteine bestimmt: 1.) Die immanent
vorhandenen Kompetenzen, die die Grundlage für das potenziell mögliche
Ausführen von zielgerichteten Tätigkeiten bilden und lediglich dann voll
ausgeschöpft werden können, wenn 2.) die Einstellung in Form der Motivation zur Ausführung einer vorliegenden Tätigkeit vorhanden und auch
voll ausgeprägt ist. Wesentliche Einflussfaktoren auf das menschliche
62
André Ullrich, Gergana Vladova
Verhalten lassen sich in folgende Modalitäten strukturieren: „Können“ (Fähigkeiten, Fertigkeiten), „Kennen“ (Information, Wissen) und „Dürfen“ (Aufbauorganisation, Ablauforganisation) für die Kompetenzen und das „Wollen“ (Einstellung, Anreize) für die Motivation (vgl. Heinen 2011, S. 25).
In der Entwicklungspsychologie beschreibt das Modell der Kompetenzstufenentwicklung (vgl. Oerter/Montada 2002) die Entwicklung von kontextabhängig inkompetenten zu kompetenten Individuen. Dies geschieht über
die vier Stufen: unbewusste Inkompetenz, bewusste Inkompetenz, bewusste Kompetenz und unbewusste Kompetenz. Zuerst ist das Individuum
nicht in der Lage, die eigenen Defizite wahrzunehmen (vgl. Kruger und
Dunning 1999); in einer konkreten Situation kann es Zusammenhänge
nicht erkennen (unbewusste Inkompetenz). In der Phase der bewussten
Inkompetenz erkennt das Individuum bereits seine Defizite, es ist ihm jedoch noch nicht möglich, einen eigenen Lösungsansatz zu kreieren. In der
Phase der bewussten Kompetenz sucht das Individuum nach Möglichkeiten diese Defizite auszugleichen, das eigentliche theoretische und praktische Lernen findet hier statt. Ein hoher bewusster kognitiver Aufwand
kennzeichnet diese Phase. Anhand der vielen praktischen Erfahrungen im
Kontext der neuen Anforderungen ist das Individuum in der Phase der
unbewussten Kompetenz in der Lage, die Ausführung einer vorher neuen
vorliegenden Tätigkeit bereits ohne den erhöhten kognitiven Aufwand
durchzuführen.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die (Selbst-)Erfahrung. Erfahrungen
des Erfolgs nehmen für die kognitive Entwicklung eines Individuums einen
anderen Stellenwert ein, als Erfahrungen des Scheiterns, insbesondere
beim Auftreten von Fehlern (Schneider/Stern 2010). Greift in diesem Prozess des Scheiterns die Angst in das bewusste Erleben ein, dann nimmt
die emotionale Wahrnehmung überhand und beeinflusst die kognitive Verankerung negativ. Ein wiederholtes fehlerinduziertes Scheitern beeinträchtigt das positive Veränderungsvermögen eines Individuums nachhaltig und
führt zur Ausbildung einer sekundären Inkompetenz (vgl. zu diesem Kompetenz-Inkompetenz-Zusammenhang Langemeyer 2010).
Die drei kurz skizzierten Aspekte (die zwei Modalitäten der Kompetenz, die
Stufen der Kompetenzentwicklung sowie die Bedeutung der Selbsterfahrung) spannen einen Rahmen für die kontextspezifische und individuumangepasste Methodenentwicklung und -nutzung im Unternehmen auf.
Dieser soll entsprechende Bedingungen schaffen, welche allgemeine mit
individuellen Aspekten verknüpfen, um bestehende Kompetenzen der
Mitarbeiter zu nutzen oder auszubauen (North/Reinhardt 2005, S. 9) oder
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
63
neue Kompetenzen aufzubauen und somit innovativ und erfolgreich zu
bleiben.
Abbildung 1 visualisiert den Rahmen für die eigene Methodenentwicklung.
Wesentliche Aspekte sind dabei 1) die Einstellung der Mitarbeiter sowie 2)
ihre Fähigkeiten - beide beeinflussen 3) das Verhalten - und 4) die kontextspezifischen Anforderungen. Die Anforderungen ergeben sich durch
die operativen und strategischen Veränderungen mit Hinblick auf Industrie
4.0 und stellen den Kontext für die Kompetenzentwicklung. Aus diesem
Grund sollten diese Anforderungen seitens der Entscheidungsträger und
-finder im Unternehmen klar formuliert und verständlich kommuniziert werden.
Akzeptanz /
Einstellung
Verhalten /
Performanz
Kernkompetenzen
Kontextabhängige
Kompetenzen
Kontextspezifische
Anforderungen
Abbildung 1: Kompetenzen, Einstellung und Leistungsfähigkeit (Eigene Darstellung)
Bei den Kompetenzen wird in Kernkompetenzen sowie kontextabhängige
Kompetenzen unterschieden. Wobei die ersten die allgemeinen Kompetenzen eines spezifischen Tätigkeitstyps (bspw. Maschinenbediener, Systemregulierer etc.) repräsentieren und die zweiten die konkreten Tätigkeitstypsspezifischen
Antworten
auf
die
kontextspezifischen
Anforderungen sind. So stellt z.B. die umfeldspezifische Ausprägung externes Drucks in Form eines geforderten hohen Flexibilitätsgrades der
Fertigung bezüglich unterschiedlicher Produkte und Losgrößen für den
Maschinenbediener die Notwendigkeit dar, zusätzlich zu seiner Kernkompetenz (Aufrechterhaltung des Produktionsvorgangs der Maschinen) produktdiversifikationsbedingte kleinere Umrüstmaßnahmen (kontextabhängige Kompetenz) selbst durchführen zu können.
64
André Ullrich, Gergana Vladova
Das erreichte Kompetenzniveau sowie die eigene Kompetenzwahrnehmung beeinflussen ihrerseits die Einstellung der Mitarbeiter in Bezug auf
die neuen Aufgaben sowie ihr Verhalten und ihre Performanz. Die empfundene Unsicherheit in Bezug auf die Kontextanforderungen oder auf die
eigenen Fähigkeiten, diesen Anforderungen nicht erfolgreich begegnen zu
können, führen zum tatsächlichen Scheitern im Prozessverlauf (negative
Performanz) sowie in Folge dessen zu verstärkter Inakzeptanz und Unwilligkeit zur Kompetenzentwicklung.
Die Kompetenzen in ihrer Eigen- und Fremdwahrnehmung sollen vor diesem Hintergrund etwas intensiver betrachtet und in Kategorien unterteilt
werden, um nachfolgend die Möglichkeiten für Ihre Weiterentwicklung im
Kontext von Industrie 4.0 aufzuzeigen.
Kompetenzen sind „Fähigkeiten einer Person zum selbstorganisierten,
kreativen Handeln in für sie bisher neuen Situationen“ (Erpenbeck 2010,
S. 15). Sie sind durch „Wissen fundiert, durch Werte konstituiert, als Fähigkeiten disponiert, durch Erfahrungen konsolidiert und auf Grund von
Willen realisiert“ (Erpenbeck/von Rosenstiel 2003, S. 366).
Eine zentrale Rolle im Leben sowie im Unternehmenskontext spielt die
Handlungskompetenz. Diese ist notwendig, um auf neuartige Anforderungen eingehen sowie erforderliche Aufgaben durchführen zu können. Diese
setzt sich aus unterschiedlichen Kompetenzfacetten (Fachkompetenz,
personale Kompetenz, Methodenkompetenz etc.) sowie entsprechenden
Elementen (Wissen, Fähigkeiten, Selbstständigkeit etc.) zusammen (vgl.
Abbildung 2). Im Zuge von Industrie 4.0 erscheinen neue Kompetenzen,
wie z.B. Kooperationskompetenz, Organisationskompetenz oder Prozesskompetenz, tätigkeitstypübergreifend erforderlich und genau hier setzen
die Notwendigkeiten für Qualifizierungsmaßnahmen an.
Kompetenzen der Entitäten
Kompetenzmodell
und Aufbau
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
65
Kompetenzmodell Industrie 4.0-Fabrik
Abbildung
2: Kompetenzmodell (Eigene
Darstellung)
• Strukturierung und Klassifikation
unterschiedlicher
Kompetenzfacetten
ToDo:
der Handlungskompetenz
2.3
Page 10
Ansätze der Kompetenzentwicklung
© MetamoFAB
Nachdem
so-Consortium
23.04.2015die verschiedenen Aspekte von Kompetenzen besprochen
wie ein Rahmen für ihre Zuordnung aufgespannt wurde, soll nachfolgend
auf verschiedene Ansätze
der hop
Kompetenzentwicklung
werWorks
mit GesprächskreisMeeingegangen
nsch und Arbeit
den.
Ziel jeder Kompetenzentwicklungsmaßnahme ist die selbstorientierte
Handlungsfähigkeit (Erpenbeck 2007), damit die individuell angeeigneten
Kompetenzen ohne äußeres Zutun angewendet werden können. Die Methoden der Kompetenzentwicklung werden anhand von zeitlichen, inhaltlichen und räumlichen Kriterien strukturiert. Anhand der Ursache der Kompetenzentwicklung, wird zwischen into-, along- und out of the jobMaßnahmen unterschieden (Krämer 2007, S. 64). Innerhalb dieser Maßnahmengruppen wird darüber hinaus der räumliche Aspekt zur weiteren
Unterteilung herangezogen. Mögliche Ausprägungen sind on the job, near
the job oder off the job (vgl. Abbildung 3).
66
André Ullrich, Gergana Vladova
Abbildung 3: Klassifizierung der Kompetenzentwicklungsmaßnahmen (i. A. a. Krämer 2007,
S. 64)
Die into the job-Maßnahmen dienen dem initialen Aufbau von Kompetenzen (Krämer 2007, S. 65) bei Mitarbeitern. Diese Maßnahmen weisen zum
Teil eine zeitliche und räumliche Distanz, jedoch weitgehend inhaltliche
Kongruenz zu den Aufgaben einer neu zu bekleidenden Position auf und
wirken damit vorbereitend (Conradi 1983). Umgesetzt werden diese beispielsweise als Mitarbeiterberatung, programmierte Unterweisung oder
Einarbeitung in Form von Vorbereitung des Arbeitsplatzes, Vorführen und
Anlernen neuer Tätigkeiten sowie die Weitergabe von notwendigem Wissen an die zukünftigen Kompetenzträger (Scholz 2000).
Aufgrund des zeitlichen Umfangs werden die along the job-Maßnahmen
als laufbahnbezogene Entwicklungsmethoden bezeichnet und dementsprechend laufbahnbegleitend durchgeführt (Klötzl 1996). Diese befassen
sich mit der systematischen Veränderung der Position und der Weiterentwicklung von Kompetenzträgern und können in horizontaler oder vertikaler
Richtung wie auch zentral erfolgen (Conradi 1983). Stellvertretend genannt seien: Laufbahnplanung, Erfahrungsgruppen und Fachtrainings.
Die out of the job-Maßnahmen gehören dem Zeitverlauf nach zu den abschließenden Entwicklungsmethoden, die das Ausscheiden aus der aktiven Arbeitswelt begleiten. Sie dienen jedoch auch als Vorbereitung auf
interne oder externe Arbeitsplatzwechsel (Jung 2006). Beispiele hierfür
sind die Ruhestandsvorbereitung, Berater-Pool oder das Outplacement.
Kompetenzentwicklungsmaßnahmen, die unmittelbar am Arbeitsplatz
stattfinden, werden als on the job-Maßnahmen bezeichnet. Diese weisen
eine zeitliche, räumliche und inhaltliche Nähe zu diesem auf. Die Nähe
bietet den Vorteil, dass die theoretische Erfahrung und praktische Anwendung direkt miteinander in Verbindung stehen, was den Mitarbeitern jedoch ein hohes Maß der Offenheit abverlangt, sich aktiv am Entwicklungsprozess zu beteiligen. On the job-Maßnahmen können individuell auf den
Kompetenzträger zugeschnitten und somit der Lern- bzw. Entwicklungsgeschwindigkeit angepasst werden (Jung 2006). Praktische Umsetzungen
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
67
zeigen sich in Form von Job Rotation, Job Enrichment oder Job Enlargement.
Arbeitsplatznahe near the job-Maßnahmen werden in Form von Weiteroder Fortbildung im jeweiligen Unternehmen, jedoch nicht direkt am Arbeitsplatz bspw. in entsprechenden Lehrwerkstätten, durchgeführt. Gängige Beispiele sind Workshops, Projektgruppen oder das Coaching mit dem
Ziel, die organisationale Effizienz zu fördern.
Off the job-Maßnahmen stellen eine Ergänzung zu den innerorganisationalen Maßnahmen dar. Sie werden außerhalb des Arbeitsplatzes durchgeführt und vermitteln tätigkeitsbezogenes Wissen und spezifische Fähigkeiten zur Durchführung einer Tätigkeit. Teambildungsmaßnahmen oder
Intergruppen-Intervention sind mögliche Beispiele. Es können aber auch
externe Weiterbildungen dazu gezählt werden.
Diese unterschiedlichen Ansätze der Kompetenzentwicklung stellen aufgrund der ihnen immanenten Strukturierung nach zeitlichen, räumlichen
und inhaltlichen Kriterien einen Ansatzpunkt für den Einsatz von Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Gestaltung von Lernszenarien dar.
3
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion
Es werden zuerst gegenwärtige Herausforderungen des Qualifizierungsmanagements dargestellt, eine Brücke zur Gestaltung prozessbezogener
Lernangebote gebaut und abschließend mit dem Morphologischen Kasten
ein Ansatz zur Entwicklung von Lernszenarien im Speziellen (in diesem
Beitrag verdeutlicht) und im Allgemeinen zum Einsatz von Qualifizierungsmaßnahmen in Unternehmen aufgezeigt.
3.1
Herausforderungen des Qualifizierungsmanagements im Kontext
der vernetzten Produktion
Im gegenwärtigen Arbeitsumfeld wirken neue Formen der Betriebs- und
Arbeitsorganisation, neue Arbeitsinhalte und Tätigkeiten sowie neue Formen der Beschäftigungsverhältnisse auf die Ausgestaltung betrieblicher
Arbeit und führen zu neuartigen Anforderungen (vgl. Böhle et al. 2013).
Die Entgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben in Form einer zunehmenden Auflösung von zeitlichen, räumlichen und sachlichen Strukturen
betrieblich organisierter Arbeit aufgrund von Informations- und Kommunikationstechnologien und sich wandelnder Anforderungen fordert eine höhere
Flexibilisierung
der
Arbeit
und
eine
erhöhte
68
André Ullrich, Gergana Vladova
(Selbst-) Organisationskompetenz. Darüber hinaus werden vermehrt Arbeiten durchgeführt, deren höherer Zweck vom Arbeiter nicht immer unmittelbar zu erkennen ist. Auch der Interaktivitätsgrad der Arbeit nimmt aufgrund von zunehmend verteilter Arbeit und dem Einsatz von
Informationstechnologien vermehrt zu. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist
die Tendenz, dass Mitarbeiter mit ihrer Arbeitskraft zunehmend wie ein
Unternehmer umgehen müssen. Eine verstärkte Selbstkontrolle, erweiterte
Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung sowie eine verbetrieblichte Lebensführung kennzeichnen diesen Typus (Pongratz/Voß 2003). Diese
skizzierten Anforderungen (Subjektivierung von Arbeit, unbestimmte Arbeit, interaktive Arbeit und der Arbeitskraftunternehmer) führen dazu, dass
sich die Ausprägungen der Kompetenzfacetten der unterschiedlichen Tätigkeitstypen ändern müssen.
Bei der Entwicklung des Qualifizierungsangebots und bei der Gestaltung
des Qualifizierungsprozesses muss im Unternehmen eine Vielzahl von
relevanten Parametern berücksichtigt werden. Die Rahmenbedingungen
werden durch den Prozessverlauf festgelegt, die konkreten Schritte, an
denen ein Mitarbeiter beteiligt ist, die ablauf- und aufbauorganisatorischen
Beziehungen zu und Abhängigkeiten von den anderen menschlichen und
technischen Akteuren sowie vom bereits vorhandenen Kompetenzniveau.
Der Prozess des Erwerbs und der Ausbau von Qualifikationen verläuft 1.)
im Rahmen einer intendierten Qualifizierung (gezielt und mit dem Einsatz
von Schulungen und Trainings; oder 2.) einer nicht intendierten Qualifizierung (unbeabsichtigt und häufig unbemerkt im Verlauf der eigentlichen
Arbeitstätigkeit (Gronau 2009, S. 131 ff.). Beide Qualifizierungsarten sind
mit Vor- und Nachteilen verbunden. Die nicht intendierte Qualifizierung ist
mit keinen zusätzlichen Kosten verbunden und bewirkt eine Steigerung der
allgemeinen Handlungskompetenz. Die intendierte Qualifizierung dagegen
wird von einem gezielten Lernvorgang geleitet und sorgt für einen strukturierten und nachhaltigen Qualifizierungsprozess (ebd.). Dabei sollten die
Lerninhalte und -formen auf den Lernenden abgestimmt werden, um diesen erfolgreich in die Lage zu versetzen, Lehrinhalte wahrzunehmen, zu
verstehen und zu behalten. So ist es unter anderem sinnvoll, sowohl Schulungen als auch Trainings in das Qualifizierungsangebot von unterschiedlichen Seiten am Lernprozess zu integrieren. Dabei ermöglicht ersteres die
primäre Wissensaufnahme und letzteres die Verarbeitung und Anwendung
(ebd).
Im Zusammenhang mit den dargestellten Anforderungen ergeben sich
eine Reihe von Fragen und Herausforderungen, die es zukünftig gemein-
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
69
sam von Theorie und Praxis zu beantworten und zu meistern gilt, um erfolgreiches Qualifikationsmanagement entwickeln, bereitstellen und durchführen zu können. Im Rahmen des Beitrags sind die folgenden relevant:
Welche Lernszenarien sind in welchen Prozesssituationen erfolgsversprechend und wie wird Lernerfolg/Weiterbildungserfolg gemessen?
Wie kann die Distanz zwischen Weiterbildungsumgebung und Produktivumgebung verringert und wie kann die Weiterbildung in den betrieblichen Kontext gebracht werden?
Im Zuge der Beantwortung dieser Fragen entsteht eine Reihe von Herausforderungen, die angegangen werden müssen. Die Autoren sehen als
generische Herausforderung die Entwicklung und Anpassung individueller
prozessbezogener Weiterbildungsangebote für MitarbeiterInnen und Führungskräfte im Rahmen von Industrie 4.0, sodass diese direkt, prozessorientiert oder -integriert, dezentral und situationsbedingt aus dem betrieblichen Kontext abgeleitet, gestaltet und eingesetzt werden können. In
diesem Zusammenhang entstehen weitere Herausforderungen:
Entwurf von Methoden zur Ableitung des individuellen Weiterbildungsbedarfs: Ausarbeitung von Methoden zur Ableitung des individuellen Weiterbildungsbedarfs aus den konkreten Kontexten des betrieblichen Ablaufs
und darauf aufbauend eine Systematisierung dieser Methoden anhand von
Prozessebenen.
Entwicklung von Lernaufgaben und -modulen für die individuelle prozessbezogene Weiterbildung: Einerseits ist die Identifikation von relevanten
Wissens- und Kompetenzdefiziten sowie andererseits die systematische
Erfassung regulärer Prozesse und standardmäßiger Aufgaben in ihren
Anforderungsdimensionen und die notwendige Differenzierung von eher
untypischen Problemen nötig.
Entwicklung und Erprobung von Lernszenarien und Weiterbildungsangeboten: Dadurch wird die Distanz zwischen der Weiterbildungs- und der
Produktivumgebung durch prozessorientierte bzw. -integrierte Lernformen
verringert und die Weiterbildung in den betrieblichen Kontext eingebettet.
Die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter werden systematisch bei
der Entwicklung von Lernaufgaben berücksichtigt und ihre Fähigkeit zur
Selbstorganisation und zur Selbstmotivation gestärkt.
70
3.2
André Ullrich, Gergana Vladova
Gestaltung prozessbezogener Lernangebote
Bei der Gestaltung betrieblicher Angebote zur Kompetenzentwicklung und
Qualifizierung im Bereich Industrie 4.0 sollen insbesondere der Kontext
des betrieblichen Ablaufs, die organisatorischen Abläufe, die Produktionsprozesse sowie die technologischen Besonderheiten der Betriebe berücksichtigt werden, um vor diesem Hintergrund den individuellen Weiterbildungsbedarf ableiten und gestalten zu können. Die Entwicklungspfade
adressieren einerseits individuell unterschiedlich verlaufende Weiterbildungsprozesse, sollen jedoch auf generalisierbaren und vielfältig anwendbaren Lernangeboten basieren.
Wie bereits dargestellt, verlaufen die Prozesse und Beziehungen im Industrie 4.0-Kontext im Rahmen von sozio-technischen Systemen und die
Aufgaben des Menschen entsprechen immer seltener denen eines standardisier- und planbaren Prozessverlaufs, sondern erfordern viel mehr ein
komplexes und wissensintensives Arbeitshandeln, wobei insbesondere an
der Schnittstelle zu den technischen Entitäten die Varianz und Unvorhersehbarkeit der Arbeitsabläufe steigen. Andererseits werden die Aufgaben
für An- und Ungelernte in ihrer Komplexität abnehmen, sodass für diese
Qualifikationsgruppe die Notwendigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen
stark nachlässt. Vor diesem Hintergrund verändern sich auch die Anforderungen an die Weiterbildung, von der Gestaltung von klassischen Lehrangeboten hin zur Förderung der dynamischen, kontinuierlichen Entwicklung
individuellen Wissens sowie des präventiven und vorausschauenden Verhaltens. Um den Lernprozess und die Entwicklung von praktischen Kompetenzen und das problembasierte Handeln positiv zu beeinflussen, soll
das Weiterbildungsangebot zum großen Teil unmittelbar in den Arbeitsprozess integriert sein (Upadhyay et al. 2011). Dabei sollen fähigkeitsgetriebene, einstellungsgetriebene und kompetenzgetriebene Lernmodelle
gleichermaßen berücksichtigt werden (Goldman 2009).
Da im Mittelpunkt der Kompetenzentwicklung und Qualifizierung im Industrie 4.0-Kontext verstärkt der Umgang mit den neuen technischen Entitäten
steht, sollen die Lernangebote den praktischen Umgang mit der Technik
adressieren. Ansätze hierzu finden sich im Bereich Lernen und Wissensmanagement, beispielsweise in Bezug auf die Nutzung von Computerarbeitsplätzen (Griffin 2011, Chatti et al. 2007), sowie auf die Überführung
von Lerninhalten in die Praxis in Skillslabs (Schewior-Popp 2005, S.148)
oder Virtual Reality-Ansätzen (Lin et al. 2002).
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
71
Neben der Ausdifferenzierung der Lernszenarien nach Anforderungen
durch den Arbeitsprozess sind ebenso Besonderheiten in der Belegschaft
zu berücksichtigen. Bei der Wahl der Lernmethoden und der technologischen Mittel ist auf unterschiedliche Nutzungsstile zu achten, sodass das
Weiterbildungsangebot bestmöglich von den Beschäftigten angenommen
wird. Die Lernszenarien müssen weiterhin die Motivation der Mitarbeiter
fördern und sie inhaltsübergreifend vorbereiten sowie sie anregen, aktiv
und selbstständig an den neuen Lehr- und Lernangeboten teilzunehmen
und im Arbeitsprozess proaktiv zu handeln. Wichtig ist die ganzheitliche
Betrachtung der Organisation und die Berücksichtigung der Interessen
verschiedener Gruppen. Hierzu können bestehende Management- und
Wissensmanagementmethoden zur Mitarbeitermotivation in der Prozessgestaltung als Grundlage genutzt werden (vgl. Roehl 2000).
3.3
Morphologisches Tableau zur Entwicklung von Lernszenarien
Zur Entwicklung von Lernszenarien wird auf ein Instrument des systematischen Kreativitätsmanagments, das sich zur Konstruktion von Typologien
eignet (Zelewski et al. 2008, S. 184), den Morphologischen Kasten, zurückgegriffen. Diese Matrix enthält in der ersten Spalte die relevanten Parameter eines Untersuchungsobjekts. Zu jedem dieser Parameter werden
in den entsprechenden Zeilen mögliche relevante und zulässige Ausprägungen eingetragen, sodass sich bei endlichen Parametern eine endliche
Menge an möglichen Kombinationen ergibt, die sich wiederum zur Gestaltung – wie im vorliegenden Fall – unterschiedlicher Lernszenarien nutzen
lässt.
Ausgangspunkte der Identifikation relevanter Parameter sind die Methoden der Kompetenzentwicklung, die jeweilige Rolle im Prozess, digitale
Medien, eine betriebswirtschaftliche Perspektive sowie demographische
Faktoren, welche in einem Kreativworkshop (klassisches Brainstorming)
identifiziert und danach iterativ strukturiert und weiterentwickelt worden
sind. Abbildung 4 stellt einen Morphologischen Kasten der Klasse „Qualifikationsdurchführungsmanagement“ dar. Die Anwendung wird am Beispiel
von zwei entwickelten Szenarien nachfolgend darstellt.
72
André Ullrich, Gergana Vladova
Abbildung 4: Morphologischer Kasten – Qualifikationsdurchführungsmanagement
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
4
73
Anwendung in beispielhaften Einsatzszenarien
Die Ausgangssituation betrifft die Entscheidung auf Managementebene, in
einem Großunternehmen, einen gesamten Produktionsbereich unter Industrie 4.0-Bedingungen neu einzurichten. Es entsteht ein neuer Prozess,
welcher das Zusammenspiel neuer technischer Entitäten mit bereits lange
im Unternehmen beschäftigten menschlichen Akteuren verknüpfen muss.
Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen neue Industrie 4.0-Aufgaben. Alle
relevanten Aufgabenebenen in diesem Produktionsbereich sind vom Wandel betroffen und durch eine gemeinsame Strategie und durchgehende
technische Lösungen miteinander verknüpft.
Szenario 1 (Erwerb von notwendigem Grundwissen zur Industrie 4.0)
Über Kompetenz- und Anforderungsprofile, z.B. über ein Qualifizierungsbuch können im Vorfeld der prozessbezogenen Weiterbildung die notwendigen individuellen Lernziele und Lerninhalte und Weiterbildungspfade
festgelegt werden.
Auf dieser Grundlage können Mitarbeiter in einem zweistufigen Verfahren
weitergebildet werden: statisch zur Schaffung einer Ausgangsbasis, mit
Schwerpunkten
insbesondere
auf
die
Maschine-zu-MaschineKommunikation sowie Automatisierung und Traceability in der Produktion.
In einem zweiten Schritt können unter Anweisung durchgeführte Simulationen sowie Lernspiele den Prozess der Wissensweitergabe ergänzen, um
das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Akteure, Technologien und
die Dynamik der Prozesse greifbar zu machen sowie Fehleranalyse, Dokumentation von Lernerfahrungen und deren schnelle Abrufbarkeit zu ermöglichen.
Szenario 2 (Arbeitsprozessintegrierter Wissenserwerb)
Die im ersten Szenario erworbenen Grundkompetenzen decken jedoch
nicht alle Arbeitssituationen ab, es ist daher notwendig, die Lerngelegenheiten im Arbeitsprozess zu nutzen und damit variables und proaktives
Verhalten und Reaktionsfähigkeit zu fördern. Anders als bei der bloßen
Informationsaufnahme werden hier Mikrolerneinheiten zur Reflektion, Wiederholung und Vertiefung des Gelernten genutzt. Der Lernort ist hierbei
der Arbeitsort. Es werden entweder Situationen genutzt, in denen der Lerner nicht aktiv mit der Maschine interagieren muss oder Situationen, die
ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erfordern, z.B. beim Neueinrichten der Produktionsanlage, bei der Fehlerbehebung oder der Qualitätskontrolle. Über mobile Technologien soll es dem Lernenden möglich sein,
74
André Ullrich, Gergana Vladova
individuelle Lernsituationen zu identifizieren und auf entsprechendes
Lernmaterial zuzugreifen. Über die Vernetzung der Produktionsobjekte, die
breit angelegte Sensorik und die steten Datenflüsse im Produktionsprozess werden mittels Augmented Reality die Lerninhalte in die aktuelle Produktionssituation eingebettet. Hierdurch wird sowohl die Komplexität der
Abläufe als auch das individuelle Handeln transparent und führt zum Kompetenzaufbau am individuellen Arbeitsplatz als auch zu einem Verständnis
der Position im Gesamtprozess.
Der vorgestellte Morphologische Kasten kann zur strukturierten Ausgestaltung dieser zwei Lernszenarien genutzt werden. Abbildung 5 fasst beispielhaft die adressierten Ausprägungen pro Parameter für beide beschriebenen Fälle zusammen.
Die Ausprägungen adressieren die Anforderungen und Ausgestaltungsmöglichkeiten beider vorgestellter Ausgangssituationen und dienen der
Generierung von entsprechenden Lösungsansätzen zur Gestaltung von
Qualifizierungsmaßnahmen. Weiterhin weisen sie direkt auf entsprechende Vorteile der Szenarien hin – wie zum Beispiel im Szenario 2 die Kostenreduzierung durch Schulungen direkt an der Maschine in Produktivzeit
sowie die Nutzung positiver Aspekte der sozialen Anbindung und Vermeidung von Unsicherheit durch Schulungen in Anwesenheit eines engeren
Kreises direkter Kollegen und in vertrauter Umgebung.
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
75
Abbildung 5: Parameterausprägungen in Lernszenarien
76
André Ullrich, Gergana Vladova
5
Zusammenfassung und Ausblick
Das Ziel des vorliegenden Beitrages war es, einen Ansatzpunkt zur Strukturierung der relevanten Parameter des Qualifizierungsmanagements und
deren Ausprägungen vorzustellen, der Hilfestellung bei der Entwicklung
von realen Lernszenarien und dem Einsatz von Qualifizierungsmaßnahmen leisten kann. Dies geschah auf Basis von Industrie 4.0 spezifischen
Anforderungen sowie Herausforderungen an die Kompetenzentwicklung.
Das entwickelte Artefakt – der Morphologische Kasten zur Strukturierung
der Parameter des Qualifikationsdurchführungsmanagements – wurde
exemplarisch angewendet und im Rahmen von zwei Szenarien vorgestellt.
Es kann zur Entwicklung von Lernszenarien im Speziellen (in diesem Beitrag verdeutlicht) genutzt werden sowie im Allgemeinen zum Einsatz von
Qualifizierungsmaßnahmen in Unternehmen dienen.
Ausgehend von der Betrachtung sozio-technischer Systeme sowie relevanter Kompetenzentwicklungsdimensionen wurde darüber hinaus – dem
Umfang des Beitrags geschuldet sehr generisch dargestellt – eine Strukturierung unterschiedlicher Industrie 4.0 relevanter Kompetenzfacetten vorgenommen und auf Ansätze der Kompetenzentwicklung eingegangen. Es
wurden zwei aktuelle Kernfragen des Qualifizierungsmanagements in der
vernetzten Produktion aufgedeckt, die den Anstoß für diesen Beitrag gaben und umfassend in fortlaufender Forschung adressiert werden.
Weiterer Forschungsbedarf besteht in der Anwendung des Morphologischen Kastens in realen Produktionsumgebungen und damit einhergehenden gegebenenfalls notwendigen Modifikationen. In einem weiteren Schritt
wird die Verknüpfung der Parameter sowie deren Ausprägungen mit konkret zu entwickelnden Kompetenzfacetten angestrebt.
Danksagung
Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenkonzept
„Forschung für die Produktion von morgen“ (Förderkennzeichen:
02PJ4040 ff) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut.
Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Qualifizierungsmanagement in der vernetzten Produktion […]
77
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PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
81
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Der technologische und demografische Wandel führt in der Automobil- und
Zulieferindustrie zu Herausforderungen im betrieblichen Kompetenzmanagement. Steigende fachliche und methodische Anforderungen in immer
kürzer werdenden Innovationszyklen erfordern wandlungsfähige Lösungen
zur Kompetenzentwicklung der Beschäftigten. Der Beitrag gibt zunächst
einen Überblick über vorhandene Konzepte zur Berücksichtigung von
Wandlungsfähigkeit in der Kompetenzentwicklung. Anschließend wird der
Ansatz des Forschungsprojektes PLUG+LEARN dargestellt, das auf die
Bündelung von Kompetenzen und auf Synergieeffekte in der automobilen
Wertschöpfungskette ausgerichtet ist.
1
Einleitung
Die Industrie gehört zu den wichtigsten Säulen des Wirtschaftsstandortes
Deutschland. Steigende Kundenanforderungen und der technologische
Wandel führen jedoch zu großen Herausforderungen, beispielsweise in
Form von strukturellen Veränderungen der Produkte und Produktionsverfahren. Besonders betroffen von diesem Prozess ist die Automobilindustrie, die von einer überdurchschnittlich hohen Innovationsgeschwindigkeit
geprägt ist (Zentrum für Europäische Wirtschaftsförderung 2011). So führen technische Innovationen wie Elektromobilität oder die Verwendung
neuer Werkstoffe zu tiefgreifenden Veränderungen in der gesamten Wertschöpfungskette. Damit gehen neue Anforderungen an die Kompetenzen
der Mitarbeiter einher, die einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen leisten.
Gleichzeitig steht die Branche vor erheblichen demografischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem sich verschärfenden Fachkräftemangel und Veränderungen in der Altersstruktur der Beschäftigten (Kienbaum Management Consultants 2013; Klöpper/Lenz 2013; Kopel/Weber
2010). Damit die Beschäftigten den steigenden fachlichen Anforderungen
in immer kürzer werdenden Innovationszyklen und veränderten Produktionsstrukturen gerecht werden können, ist ein geeignetes Kompetenzmanagement notwendig.
82
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Das Forschungsprojekt „PLUG+LEARN – wandlungsfähiges, marktplatzbasiertes Kompetenznetzwerk für die Automobil- und Zulieferindustrie“
strebt daher eine Bündelung von Kompetenzen in der automobilen Wertschöpfungskette an, um Synergieeffekte zu realisieren. Das Ziel besteht in
der Strukturierung und Entwicklung von wandlungsfähigen Kompetenzmodulen, die einem breiten Anwenderkreis zur Verfügung gestellt werden und
aufwandsarm an spezifische betriebliche Anforderungen angepasst werden können. Die Forschungsarbeiten basieren auf dem Prinzip wandlungsfähiger Produktionssysteme (PLUG+PRODUCE), das im Rahmen des
Projektes auf den Bereich des Kompetenzmanagements übertragen wird.
Der Beitrag stellt zunächst den aktuellen Stand zur Berücksichtigung von
Wandlungsfähigkeit als Zielgröße im betrieblichen Kompetenzmanagement dar. Anschließend wird darauf aufbauend das PLUG+LEARNKonzept erläutert.
2
2.1
Wandlungsfähigkeit im betrieblichen Kompetenzmanagement
Definition Wandlungsfähigkeit
Der Begriff der Wandlungsfähigkeit von Produktionssystemen wird seit
etwa Mitte der 1990er Jahre in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert
(Westkämper et al. 1997). Dennoch ist festzustellen, dass bislang keine
einheitliche Definition verfügbar ist. Hernández Morales definiert Wandlungsfähigkeit als „Potenzial einer Fabrik, […] reaktiv oder proaktiv eine
zielgerichtete Neu- oder Rekonfiguration der Wandlungsobjekte […] bei
geringem Aufwand durchführen zu können“ und zielt damit überwiegend
auf die Struktur und Organisation der technischen Systeme einer Fabrik ab
(Hernández Morales 2003). Nach Hildebrand charakterisiert sich eine
wandlungsfähige Fabrikstruktur dadurch, dass sie Möglichkeiten zu signifikanten Veränderungen bietet (Hildebrand 2005). Westkämper hingegen
beschreibt die Fokussierung auf technische Systeme als Wandelbarkeit,
während Wandlungsfähigkeit Kreativität und Intelligenz und damit eine
soziale Komponente voraussetzt (Westkämper et al. 2000). Als Konsens
der wissenschaftlichen Literatur lässt sich Wandlungsfähigkeit als langfristige und umfassende Veränderungsfähigkeit eines Produktionssystems
interpretieren, die sich gegenüber der Flexibilität abgrenzt (Jentsch 2015).
Reinhart et al. beschreiben diese Abgrenzung beispielsweise dadurch,
dass mittels Wandlungsfähigkeit auch eine Anpassung an Veränderungen
möglich wird, die bei der Planung noch nicht vorhersehbar waren (Reinhart
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
83
et al. 2002). Wandlungsfähigkeit bezieht sich dabei auf alle Phasen des
Fabriklebenszyklus (Schenk et al. 2014).
2.2
Wandlungsfähigkeit und Kompetenzmanagement
Die gezielte Entwicklung von Fachkräften in Unternehmen ist oberstes Ziel
zur Sicherung des Humankapitals der deutschen Wirtschaft (Demary et al.
2013). Um der zunehmenden Wissensintensivierung zu begegnen, müssen Fachkräfte in ihren Kompetenzen breit aufgestellt sein. Die dadurch
bedingte Flexibilisierung der Anforderungsprofile resultiert im Bedarf nach
einer ebenso flexiblen Weiterbildung von Fachkräften im Sinne des lebenslangen Lernens.
In der Literatur wird die Verknüpfung von Wandlungsfähigkeit und Kompetenzmanagement überwiegend aus der Perspektive der Entwicklung von
individuellen Kompetenzen zur Steigerung der organisationalen Wandlungsfähigkeit betrachtet, d. h. der Fähigkeit von Mitarbeitern, Unternehmensprozesse wandlungsfähig zu gestalten (Wagner et al. 2010). In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff der soziotechnischen
Wandlungsfähigkeit geprägt, der das Potenzial von Mitarbeitern zur Durchführung von Wandlungsprozessen umfasst (Heinen 2011).
Vor diesem Hintergrund werden auch die Anforderungsprofile der Mitarbeiter in Unternehmen als variabel interpretiert, die flexibel auf Veränderungen angepasst werden: So können beispielsweise Mitarbeiterqualifikationen in eine umfangreiche Basisqualifizierung und eine tätigkeitsspezifische
Zusatzqualifizierung eingeteilt werden, um die Reaktionszeit auf Wandlungserfordernisse zu reduzieren (Sehorsch 2012). Holtewert beschreibt in
diesem Zusammenhang ein Optimierungsproblem zwischen Vorbereitungs- und Anpassungskosten, also der Kosten für die kompetenzbasierte
Qualifizierung vor bzw. bei Eintritt eines Wandels (Holtewert 2012).
Darüber hinaus ist Wandlungsfähigkeit in der Kompetenzentwicklung bislang nur teilweise implementiert. Hierbei spielen vor allem die Modularisierung und die Mobilität eine Rolle. Unter Modularisierung versteht man den
Aufbau von Bildungsmaßnahmen in Form von Modulen, wobei unter einem Modul ein standardisiertes Lernangebot zum Erwerb spezifischer
Kompetenzen verstanden wird, das durch Lernziel- und/oder Lerninhaltsbeschreibungen charakterisiert wird (Deißinger 1996).
In der beruflichen Ausbildung bewegt sich die modulare Ausgestaltung im
Spannungsfeld zwischen der präskriptiven Formgebung der Berufsbil-
84
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
dungsverläufe und der Wahlfreiheit der Bildungsnachfrager (Frommberger
2009). Hinsichtlich ihrer didaktischen Orientierung wird die Berufsausbildung durch den Umstieg von Unterrichtsfächern auf Lernfelder zunehmend modularisiert (Pahl 2010). Dieser Ansatz lässt sich als Umsetzung
des Differenzierungskonzeptes der Modularisierung auffassen, nach dem
das Kompetenzprofil eines Bildungsweges in Module zerlegt wird, die jedoch in ihrer Gesamtheit die Gesamtkompetenz des Bildungsweges abbilden (Deißinger 1996). Im Bereich der Weiterbildung wird Modularisierung
häufig in Form von aufeinander aufbauenden Komponenten in einem gestuften Modell umgesetzt. Dieser Ansatz folgt dem Fragmentierungskonzept der Modularisierung, das Module als selbstständige Einheiten auffasst (Deißinger 1996). Jedoch ist festzustellen, dass es – im Gegensatz
zum Lernfeldkonzept der Berufsausbildung – kaum wissenschaftliche Modularisierungskonzepte für die Weiterbildung gibt. Empirisch spiegelt sich
diese Tatsache darin wider, dass immerhin 20 % der nicht weiterbildungsaktiven Unternehmen den Fakt, dass keine passenden Angebote zur Verfügung stehen, als Hemmnis für die Durchführung von Weiterbildungen
angeben (Seyda/Werner 2014). Eine stärkere Modularisierung der Angebote kann dazu beitragen, diese Passgenauigkeit zu verbessern (Demary
et al. 2013).
Die Mobilität der Weiterbildung hinsichtlich Lernorten und Lernzeiten kann
unter dem Stichwort des selbstgesteuerten Lernens beschrieben werden
(Bünnagel 2012). Beim selbstorganisierten Lernen fällt zusätzlich die Bestimmung der Lerninhalte und Lernziele in die Verantwortung des Lernenden. Die Umsetzung selbstgesteuerter Lernprozesse findet beispielsweise
mithilfe von selbstständiger und zeitlich frei eingeteilter Gruppenarbeit in
der betrieblichen Ausbildung statt (Rensing et al. 2012). Selbstorganisierte
Lernkonzepte geben den Lernenden keine Lerninhalte oder Lernziele vor.
Um dennoch eine inhaltliche Orientierung zu bieten, ist es möglich, zentrale Stichwörter herauszuarbeiten, beispielsweise in Form von Begriffslandkarten (Hoberg/Gohlke 2011).
Zur Steigerung der Mobilität kommt der Nutzung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eine wichtige Rolle zu. Dies ist
nicht zuletzt dadurch begründet, dass Globalisierung und technischer
Wandel dazu geführt haben, dass Arbeitsprozesse in zunehmendem Umfang computer- bzw. netzgestützt erfolgen (Böhler et al. 2013). Für derartige Lerntechnologien des E-Learning lassen sich verschiedene Entwicklungsstufen unterscheiden (Erpenbeck/Sauter 2013): Der reine
Wissensaufbau lässt sich demnach mit formellen Lernprozessen in Anleh-
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
85
nung an den klassischen Frontalunterricht digitalisieren und anschließend
individuell mit dem Computer abrufen. Als weiterer Schritt lassen sich
handlungszentrierte und interaktive Lösungen zur Vermittlung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten (z. B. mithilfe von Simulationen) auffassen. Schließlich lassen sich informelle Komponenten und das gemeinsame Lernen im Netzwerk integrieren.
Aus dieser Entwicklung ist mittlerweile eine Vielzahl von Lernformen, wie
beispielsweise Augmented Reality, Lernumgebungen in virtuellen 3DWelten und Serious Games entstanden (MMB Institut für Medien- und
Kompetenzforschung, 2014). Zwar wird der Nutzung derartiger Instrumente insbesondere künftig eine hohe Bedeutung beigemessen, allerdings gibt
es bislang noch wenige wissenschaftliche Transferbeispiele für die Umsetzung im produzierenden Gewerbe. Ausgewählte Ansätze beschäftigen
sich beispielsweise mit Konzepten zur Qualifizierung von Produktionsplanern mithilfe von Virtual Reality-Modellen (Abel et al. 2011) oder der Nutzung von Simulationsmodellen für das experimentelle Lernen (Mosblech et
al. 2013).
Der Vorteil des orts- und zeitunabhängigen Lernens kommt insbesondere
beim Mobile Learning zum Tragen (BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. 2014). Mobile
Learning und E-Learning unterscheiden sich aber nicht nur durch die technologischen Eigenschaften der Endgeräte, sondern insbesondere durch
die Kontextualisierung als Qualitätsmerkmal (Witt 2013). Mit der Nutzung
mobiler Endgeräte geht die Entwicklung einher, dass Nutzer weniger eigenes Wissen vorhalten und sich stattdessen bedarfsgerecht mit benötigten
Informationen versorgen. Daher bietet es sich an, Lerninhalte in kleineren
Einheiten anzubieten, die entsprechend der individuellen Anforderungen
zusammengestellt werden können (Henning 2015). Untersuchungen zum
Transfer in die industrielle Anwendung finden sich beispielsweise im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Mobile Learning für die Ausbildung
von Fertigungsmechanikern in der Automobilbranche (Witt 2011).
Schließlich ist vor dem Hintergrund der Steigerung der Flexibilität von Weiterbildungslösungen ein Trend zur Individualisierung von Lerninhalten zu
beobachten. Adaptive Lernsysteme verfügen über die Möglichkeit der Anpassung an den jeweiligen Benutzer (Seel/Ifenthaler 2007). Wichtige
Funktionen adaptiver Lernsysteme umfassen die selbstständige Auswahl
von Lerninhalten bzw. dem Schwierigkeitsgrad der Inhalte, die Rückmeldung über den individuellen Lernfortschritt sowie die Möglichkeit zur Individualisierung der Lernoberfläche (MMB Institut für Medien- und Kompe-
86
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
tenzforschung, 2014). Für die Befriedigung individueller Lernbedarfe ist ein
dementsprechend variantenreiches Angebot an Lernressourcen erforderlich. Eine Möglichkeit zur Umsetzung adaptiver Lernsysteme wird daher
darin gesehen, Lerninhalte für unterschiedliche Lernformen aufzubereiten
und bei Bedarf zusätzliche Lerninhalte bereitzustellen (Goertz 2014).
2.3
Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung
Allgemein können Weiterbildungsmaßnahmen in Abhängigkeit von ihrem
Bezug zum Arbeitsplatz des Mitarbeiters in die Kategorien on-the-job,
near-the-job und off-the-job eingeteilt werden (Scholz 2013). Maßnahmen
am Arbeitsplatz (on-the-job) bilden eine unmittelbare Verknüpfung von
Theorie und Praxis und können z. B. in Form von einer Ausweitung der
Arbeitsaufgaben oder einem systematischen Arbeitsplatztausch umgesetzt
werden. Die Maßnahmen im Bereich near-the-job finden im nahen Arbeitsplatzumfeld statt, während Maßnahmen off-the-job unabhängig vom
Arbeitsplatz erfolgen. Abbildung 1 stellt eine Übersicht zu Maßnahmen der
Kompetenzentwicklung dar, wobei im Folgenden Lernfabriken als exemplarisches Instrument vor dem Hintergrund der Wandlungsfähigkeit diskutiert werden.
Lernfabriken werden sowohl an Forschungseinrichtungen als auch in Industrieunternehmen verstärkt realisiert (Abele et al. 2012; Kreimeier et al.
2013; Riffelmacher/Westkämper 2009). Sie bilden praxisnahe Betriebsabläufe ab und stellen damit eine erlebnisorientierte und partizipative Lernumgebung dar (Plorin et al. 2013). Durch die Integration von Praxiselementen in eine reale Lernumgebung lassen sich theoretische
Wissenselemente anwendungsbezogen vermitteln, wobei durch die direkte
Erprobung des Gelernten eine bessere Übertragbarkeit in die Realität angestrebt wird (Abele et al. 2011).
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
87
Abbildung 1: Auswahl an Maßnahmen der Kompetenzentwicklung, eigene Zusammenstellung basierend auf (Dehnbostel 2012; Richter/Pohlandt 2011; Scholz 2013)
Existierende Lernfabriken fokussieren häufig nur ein inhaltliches Kernthema (z. B. Lean Management, Ressourceneffizienz). Die Integration weiterer Anwendungsschwerpunkte ist mit einem äußerst hohen Aufwand verbunden (Kreimeier et al. 2013). Daher ist eine flexible Anpassung an neue
produktionstechnische Herausforderungen nicht ohne weiteres möglich.
Die Umsetzung von Wandlungsfähigkeit in Lernfabriken bezieht sich bislang ausschließlich auf die physischen Objekte (Steffen et al. 2013), nicht
aber auf die Kompetenzentwicklung selbst.
Zukünftig kann davon ausgegangen werden, dass die Verschmelzung von
Arbeits- und Lernprozessen immer wichtiger wird und die Bedeutung von
selbstgesteuertem und selbstorganisiertem Lernen zunehmen wird (Erpenbeck/Sauter 2013). Damit verändert sich auch das Rollenverständnis
zwischen Lehrenden und Lernenden, da die Verantwortung für die Gestaltung der Lernprozesse an Lernende übergeht und das Unternehmen den
Rahmen und die Begleitung dieses Prozesses übernimmt (Sauter/Sauter
2013).
88
2.4
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Handlungsbedarf
Der aktuelle Stand der Wissenschaft und Technik zeigt insbesondere den
Bedarf und Trend hinsichtlich einer zunehmenden Flexibilisierung der Weiterbildung auf. Die Selbstorganisation des Lernprozesses nimmt dabei
eine immer bedeutendere Rolle ein, sodass der Lernende in den Mittelpunkt der Konzepte betrieblicher Weiterbildung rückt. Die Verschmelzung
von Lern- und Arbeitsprozessen erfordert es, kontextgebundene Informationen zielgerichtet in den Prozess der Arbeit zu integrieren und dadurch
individuelle Lernprozesse anzuregen. Diese Entwicklung wird durch die
Etablierung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützt und geprägt.
Beispiele anwendungsorientierter Forschung oder Umsetzung im produzierenden Gewerbe, und insbesondere in der Automobil- und Zulieferindustrie, greifen diese Entwicklung zwar auf, stützen sich aber überwiegend
auf die betriebliche Ausbildung. Während für diesen Bereich die Bildungswege bundeseinheitlich geregelt sind, erfordert die Weiterbildung zunächst
die Formulierung des individuellen oder zielgruppenspezifischen Bedarfes
nach Kompetenzentwicklung, dem anschließend mit geeigneten Konzepten (Lerninhalte, Lehr-Lern-Methoden und Lernmedien) begegnet wird.
Der Handlungsbedarf besteht daher in der Entwicklung einer Methode, die
den Bedarf nach Kompetenzentwicklung und ein entsprechendes Angebot
zusammenführt und dabei den Anforderungen der Flexibilität Rechnung
trägt.
3
3.1
PLUG+LEARN-Konzept
Anforderungen und Zielstellungen
Wie eingangs dargestellt, ist die Automobil- und Zulieferindustrie von besonderen strukturellen Herausforderungen geprägt, woraus sich die Anforderungen für ein ganzheitliches Kompetenzmanagement ableiten.
Ziel des Forschungsprojektes PLUG+LEARN ist es, die Kompetenzen
entlang der automobilen Wertschöpfungskette zu bündeln und Synergieeffekte zu realisieren. Das Projekt ist auf die Ausgestaltung eines wandlungsfähigen Kompetenznetzwerkes ausgerichtet, das eine Plattform für
das Angebot und die Nachfrage von Kompetenzmodulen darstellt. Grundlage für das Konzept dieses Netzwerkes ist die Entwicklung der
PLUG+LEARN-Methode als Vorgehensweise für die Erarbeitung der
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
89
Kompetenzmodule. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Komponenten des PLUG+LEARN-Konzeptes. Bevor die einzelnen Komponenten
erläutert werden, werden die Anforderungen der beteiligten Praxispartner
näher beleuchtet, die im Rahmen von ersten Workshops identifiziert wurden.
Abbildung 2: Überblick PLUG+LEARN-Konzept
Zunächst zeigte sich, dass künftig ein höherer Qualifizierungsbedarf hinsichtlich komplexer Kompetenzen und spezieller Fertigkeiten aufgrund sich
ändernder Rahmenbedingungen entstehen wird. Diese umfassen u. a.
Anläufe neuer, komplexerer Produkte und dem Einsatz neuer Technologien und Materialien. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung
überfachlicher Kompetenzen („soft skills“) weiter zunehmen. Der Qualifizierung kommt dabei die Aufgabe zu, möglichst effektiv anwendungsbereites Wissen punktuell für die entsprechenden Zielgruppen im Unternehmen
zu vermitteln.
90
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
Eine große Rolle spielt dabei die Anpassung an verschiedene Zielgruppen.
So sind unter anderem die speziellen Bedürfnisse von angelernten Mitarbeitern mit fachfremdem Facharbeiterabschluss zu berücksichtigen. Der
demografische Wandel macht es erforderlich, dass bei der Ausgestaltung
von Lerninstrumenten Aspekte der Nutzerakzeptanz und Bedienbarkeit im
Alter berücksichtigt werden (z. B. bei der Nutzung innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien).
Um die Anwendungsnähe der Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen,
sollte die Kompetenzentwicklung möglichst arbeitsplatzintegriert oder arbeitsplatzbezogen erfolgen. In diesem Zusammenhang ist darauf zu achten, dass die Anforderungen der relevanten Akteure (z. B. Meister im
Shopfloor) in die Methodenentwicklung einfließen.
Zudem ist bei der Planung und Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen Wirtschaftlichkeit anzustreben. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen stellt die Weiterbildung der Mitarbeiter einen
relevanten Kostenfaktor dar. Hierzu sind Kooperationsmodelle und Methoden des Veranstaltungsmanagements einzusetzen, um beispielsweise
eine hohe Auslastung der Lernangebote zu erreichen. Schließlich müssen
Anreizsysteme geschaffen werden, damit Unternehmen zu einer Beteiligung am Kompetenznetzwerk motiviert werden.
Im Folgenden werden die wesentlichen Komponenten des PLUG+LEARNKonzeptes vorgestellt.
3.2
PLUG+LEARN-Methode
Die PLUG+LEARN-Methode stellt eine Vorgehensweise für die Strukturierung und Ausgestaltung von Kompetenzmodulen dar. Der Hintergrund bei
der Entwicklung dieser Methode ist es, die Grundsätze der Wandlungsfähigkeit von Produktionssystemen auf den Bereich der Kompetenzentwicklung zu übertragen. Die Implementierung der Wandlungsfähigkeit in die
Kompetenzmodule zielt darauf ab, dass sie aufwandsarm an die spezifischen betrieblichen Anforderungen angepasst werden können (z. B. Lernort) und dadurch eine breitere Nutzbarkeit für andere Beteiligte der Wertschöpfungskette aufweisen.
Zur Entwicklung der Methode wird zunächst die inhaltliche Definition von
Wandlungsbefähigern auf den Anwendungsbereich der Kompetenzentwicklung übertragen, um ein gemeinsames Begriffsverständnis zu erarbeiten. Anschließend werden didaktische Konzepte und Lehr-Lern-Methoden
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
91
sowie Umsetzungsbeispiele aus Wissenschaft und Industrie hinsichtlich
des Einsatzes der Wandlungsbefähiger analysiert. Daraus lassen sich
Handlungsempfehlungen für die wandlungsfähige Ausgestaltung von
Kompetenzmodulen ableiten. Diese dienen zum einen als Leitfaden für die
Entwicklung der PLUG+LEARN-Kompetenzmodule und zum anderen als
Ausgangspunkt für die Bewertung der Module als Voraussetzung für die
Integration in den PLUG+LEARN-Marktplatz.
3.3
PLUG+LEARN-Marktplatz
Die PLUG+LEARN-Kompetenzmodule sollen im Rahmen eines Marktplatzes zur Verfügung gestellt werden, für den im Projekt ein entsprechendes
Umsetzungskonzept erarbeitet wird. Ziel ist es, ein offenes Netzwerk zu
gestalten, das den Anbietern und Nachfragern von Kompetenzmodulen ein
effektives und effizientes Interagieren ermöglicht. Erst durch die wandlungsfähige Gestaltung der Kompetenzmodule und des Netzwerkes ist es
möglich, die adaptierbaren Lerninhalte einem breiten Anwenderkreis zugänglich zu machen. Durch die Zusammenarbeit im Netzwerk können
materielle und immaterielle Ressourcen der Netzwerkpartner effizienter
genutzt werden, wovon insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen profitieren.
3.4
PLUG+LEARN-Demonstratoren
Die modellhafte Erprobung des PLUG+LEARN-Prinzips findet an drei Demonstratoren statt. Einer der Demonstratoren wird in der Experimentierund Digitalfabrik der Technischen Universität Chemnitz umgesetzt und in
das Gesamtkonzept der advanced Learning Factory integriert (Plorin et al.
2013). Ziel ist es, Kompetenzen zu aktuellen produktionstechnischen
Themen (z. B. Industrie 4.0, Energie- und Ressourceneffizienz) bei Planungsbeteiligten der Automobil- und Zulieferindustrie zu entwickeln.
3.5
Aktuelle Forschungsarbeiten im Projekt
Als Ausgangspunkt für die Anwendung der PLUG+LEARN-Methode sind
die Anforderungsprofile der Zielgruppen zu erheben. Hierfür wird aktuell
der Stand der Forschung hinsichtlich Methoden zur Erhebung von Kompetenzprofilen analysiert. Weiterhin werden zur Entwicklung der
PLUG+LEARN-Methode geeignete Wandlungsbefähiger beschrieben und
mit vorhandenen Konzepten und Methoden abgeglichen, um Handlungs-
92
Manuela Krones, Jörg Strauch, Jens Schütze, Egon Müller
empfehlungen für die wandlungsfähige Gestaltung von Kompetenzmodulen herzuleiten.
4
Zusammenfassung und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurde zunächst ein Überblick über den aktuellen
Stand der Wissenschaft für die Berücksichtigung der Zielgröße Wandlungsfähigkeit in der Kompetenzentwicklung gegeben. Dazu wurden relevante Begrifflichkeiten, Lernkonzepte und Qualifizierungsformate dargestellt. Es zeigt sich, dass vor dem Hintergrund des technologischen und
demografischen Wandels die Flexibilisierung der Weiterbildung eine wichtige Voraussetzung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit darstellt.
Bedeutsame Trends sind die Selbstorganisation des Lernens, die Nutzung
von Lerntechnologien sowie die Verschmelzung von Lern- und Arbeitsprozessen.
Die Automobil- und Zulieferindustrie ist aufgrund des hohen Innovationsdrucks von besonderen strukturellen Herausforderungen geprägt. Während Ansätze zur Steigerung der Flexibilität in der beruflichen Ausbildung
bereits teilweise umgesetzt sind, findet in der Weiterbildung bislang keine
systematische Berücksichtigung der Wandlungsfähigkeit als Zielgröße
statt. An dieser Stelle setzt das Forschungsprojekt PLUG+LEARN an, das
auf die Schaffung eines offenen Kompetenznetzwerkes zur Bündelung von
Kompetenzen entlang der Wertschöpfungskette abzielt. Kern des Vorhabens ist die Entwicklung der PLUG+LEARN-Methode, die die Prinzipien
wandlungsfähiger Produktionssysteme auf den Bereich der Kompetenzentwicklung überträgt. Als Plattform für den Austausch der zu entwickelnden Kompetenzmodule wird ein Konzept für den PLUG+LEARNMarktplatz erarbeitet. Die nächsten Schritte des Projektes liegen in der
Definition der entsprechenden Wandlungsbefähiger und der Identifikation
von zugehörigen Handlungshilfen zur Steigerung der Wandlungsfähigkeit.
Danksagung
Das Projekt PLUG+LEARN hat eine Laufzeit von 2014 bis 2017. Es wird
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und
vom Projektträger im DLR betreut (Förderkennzeichen: 01FK14013). Neben der Technischen Universität Chemnitz sind das Volkswagen Bildungsinstitut in Zwickau, Continental Automotive (Standort LimbachOberfrohna), die Ingenieurgesellschaft für Gebäude-, Flächen- und Anla-
PLUG+LEARN – Lehren und Lernen mit wandlungsfähigen Kompetenzmodulen
93
genmanagement mbH Chemnitz sowie die HTW Dresden im Projekt engagiert.
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Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
97
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen
und aktuelle Lösungsansätze für eine moderne
Arbeitswelt
Egon Müller, David Jentsch
Im Rahmen des Beitrages wird der Lernort Fabrik mit Hilfe eines systemtheoretischen Modells und dem Ansatz der dynamischen Fähigkeiten zunächst konzeptionell entwickelt. Hierauf aufbauend erfolgt eine Einordnung
aktueller Entwicklungen zum betrieblichen Lernen und vielversprechender
Lösungen, die eher außerhalb des betrieblichen Kontexts und v. a. der
Produktion liegen. Durch die Synthese theoretischer Überlegungen und
technischer Lösungsmöglichkeiten wird der individuelle Lernpfad als Kern
des Lernortes Fabrik identifiziert. Das entwickelte Modell ist geeignet,
neue Entwicklungen und Angebote für produzierende Unternehmen aufzuzeigen.
1
Einleitung
Welche Kompetenzanforderung aus dem aktuellen Transformationsprojekt
zur Industrie 4.0 für einzelne Mitarbeiter auf dem Shopfloor resultieren,
lässt sich im Moment sicherlich kaum absehen. Andererseits verdeutlicht
die aktuelle industrielle Revolution, dass der Grundsatz des lebenslangen
Lernens ungebrochene Gültigkeit besitzt und Fabriken genau diesen
Grundsatz bestmöglich unterstützen sollten, um auch die 5. und alle weiteren Revolutionen zu bewältigen. Entsprechende Lernerfordernisse entstehen jedoch nicht nur aus großflächigen Transformationsprojekten, sondern
auch ungebrochene Trends zur Variantenzunahme, Lebenszyklusverkürzung oder volatile Belegschaften bedingen, dass Wissensarbeit (Willke
1998) einen stetig zunehmenden und damit gestaltungswürdigen Anteil
industrieller Wertschöpfung ausmacht.
Um das abstrakte Objekt Fabrik greifbarer zu gestalten, soll zunächst im
Rahmen des zweiten Abschnittes eine system- und ressourcentheoretische Fundierung des Betrachtungsbereichs erfolgen. Hierdurch werden
Wirkzusammenhänge und Abhängigkeiten aufgedeckt, die die Unterstützungsforderung für das Lernen in Fabriken näher bestimmen helfen. Der
dritte Abschnitt enthält eine Reihe aktueller Entwicklungen innerhalb und
98
Egon Müller, David Jentsch
außerhalb des Fabrikkontextes, die zusammen mit den theoretischen
Überlegungen genutzt werden, um im vierten Abschnitt den Lernort Fabrik
in einer modernen Arbeitswelt konzeptionell zu gestalten und Vorschläge
für künftige Entwicklungen aufzuzeigen.
2
2.1
Theoretische Grundlagen zum Lernort Fabrik
Implikationen eines systemtheoretischen Modells
Der Lernort Fabrik lässt sich mit den grundlegenden Ansätzen der allgemeinen Systemtheorie nach Ropohl (2009) modellhaft fassen. Hierzu bieten sich in einer ersten Näherung die generischen Sichtweisen auf ein
System an, die die Hierarchie, Struktur und Funktion des Systems betreffen. Mit der folgenden Abbildung 1 sind diese Sichten für ein allgemeines
Produktionssystem zusammengestellt und bieten hierbei eine verbreitete
Bezugsebene zur Einordnung betriebswissenschaftlicher Entwicklungen.
Produktionssystem
Hierarchie
Struktur
Funktion
Produktionsnetz
Fertigung
Montage
Werk
offene Systemgrenze
Prozesse
Gebäude
Segment
Input  Betriebsprozesse Output
 Unterstützungsp.
Organisation
Arbeitsplatz
Mensch
 Managementp.
Technik
Rückkopplung
Material-, Informations- und
Energieflüsse
Abbildung 1: Sichten auf ein Produktionssystem (Jentsch 2015)
Für die Detaillierung der hierarchischen Sicht sind die Planungsebenen
nach VDI 5200 gewählt, die eine Gliederung vom Produktionsnetz bis zum
Arbeitsplatz vorsehen. Aus dieser hierarchischen Sicht resultiert, dass der
Lernort damit in seiner elementaren Form am Arbeitsplatz zu finden ist,
aber eine Vielzahl weiterer und überlagernder Hierarchieebenen zu beachten ist, deren Adressierung als Lernorte weiterführende Fragestellungen
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
99
abseits des individuellen Lernens aufwirft und somit bspw. auch gruppenspezifische und (inter-)kulturelle Aspekte aufgreift. Crossan et al. (1999)
differenziert hierzu die bekannten Lernebenen individuell, gruppenbasiert
und organisational, die bspw. durch Chen (2014) auch auf die Netzebene
erweitert wird.
Die in Abbildung 1 dargestellte strukturelle Sicht auf ein Produktionssystem basiert einerseits auf den betriebsorganisatorischen Unterscheidungen von Mensch, Technik und Organisation (Strohm und Ulich 1998) und
andererseits auf den dominierend strukturgebenden Flüssen von Material,
Information und Energie in einer Fabrik (Schenk und Wirth 2004). Die primär wertschöpfenden Strukturelemente Fertigung und Montage ergänzen
diese zweite Sichtweise.
Für den Lernort erwachsen aus dieser Sicht vier Ansatzpunkte. Erstens
stehen Lernende in direkter Wechselbeziehung mit organisatorischen
Rahmenbedingungen (z. B. lernförderliche Anreize und Arbeitszeitmodelle), die mit technischen Lösungen unterstützt (z. B. Wikis), aber nicht substituiert werden können. Zweitens resultieren aus veränderten Organisationsstrukturen (z. B. virtuelle Teams) und aus der Interaktion mit neuer
Technik (z. B. kollaborative Robotersysteme) Anstöße für das Lernen.
Hierbei steht drittens der Wertschöpfungsbeitrag für Fertigung und Montage im Vordergrund, der sich allgemein als nutzen- oder umsetzungsorientierter Beitrag von Lernprozessen auszeichnen soll. Hierdurch wird jedoch
die sensible Linie zwischen erkundendem (exploration) und nutzendem
(exploitation) Lernen adressiert, das in der erst genannten Form keinen
direkten Wertschöpfungsbeitrag ausweist, aber für das Überleben eines
Systems bei unvorhergesehen Situationen besonders relevant ist (s. Jentsch 2015 für einen Überblick). Viertens bieten die Flüsse des Produktionssystem zentrale Anhaltspunkte für Lerninhalte, wie die energieeffiziente
Produktion (Müller et al. 2009) oder die aktuelle Diskussion zu Industrie
4.0 und den damit veränderten Informationsflüssen im Produktionssystem
(Unger et al. 2015).
Die funktionale Sicht greift die typische Dreiteilung von Betriebs-, Unterstützungs- und Managementprozessen auf (Bititci et al. 2011), wobei Betriebsprozesse auch als Kernprozesse und Managementprozesse als Führungsprozesse nach VDI 2870 bezeichnet werden können. Die
Verknüpfung zum Lernort Fabrik besteht für diese Sichtweise im Konzept
der dynamischen Fähigkeiten, die nachfolgend erläutert werden.
100
Egon Müller, David Jentsch
2.2
Lernen als Bestandteil dynamischer Fähigkeit
Eine Reihe prominenter Beispiele wie KODAKs Verpassen der Digitalfotografie (Lucas und Groh 2009) oder IBMs erfolgreicher Wandel vom Hardwarespezialisten zum Software- und Serviceanbieter (Harreld et al. 2007)
illustrieren die Bedeutung von Lern- und Anpassungsprozessen im Sinne
der Wandlungsfähigkeit im Management (Jentsch 2015).
Mit dem Hintergrund der ressourcenbasierten Theorie entstand in diesem
Zusammenhang der Ansatz der dynamischen Fähigkeiten, die als abstrakte Fähigkeit zum Erkennen und Bewältigen von Veränderungen konzeptualisiert sind. Die folgende Abbildung 2 zeigt diesen Prozess in schematischer Form.
Externe Impulse
Wahrnehmen
von Chancen und
Bedrohungen
Lernen
Aneignung neuen
Wissens / neuer
Kompetenzen
Integrieren
Verbinden
individ. Wissens /
Kompetenzen
Koordinieren
von Aufgaben
und (Projekt-)
Ressourcen
Interne Impulse
Umsetzung
Ausprägung
operativer
Ressourcen t0
Ausprägung
operativer
Ressourcen t0+n
Wandel
Zeit
Abbildung 2: Prozessmodell dynamischer Fähigkeiten (Jentsch 2015, Pavlou und El Sawy
2011)
Wesentliche Schritte des dargestellten Prozesses sind das Erkennen von
Chancen und Bedrohungen im Umfeld oder innerhalb des Produktionssystems. Aus diesem Prozessschritt folgt, dass zunächst ein individueller
Lernprozess einsetzen muss, um sich z. B. mit den Hintergründen von
neuen Themen wie der o. g. Industrie 4.0 auseinanderzusetzen. Ein individueller Wissenszuwachs ist für Produktionssysteme jedoch nicht hinreichend, da bspw. mit Blick auf die hierarchische Sicht eines Produktionssystems weitere Ebenen und damit andere individuelle Wissensbestände
im Prozess des Integrierens verbunden werden müssen, um für übergrei-
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
101
fende Bereiche des Produktionssystems passende Veränderungen einzuleiten. Das typische Phänomen des Versandens von Veränderungsprojekten (Hallensleben et al. 2011) zeigt beispielhaft, dass erfolgreiche Veränderungen einer angemessenen Koordination bedürfen, bei der Aufgaben
und Ressourcen zur Zielerreichung aufeinander abzustimmen sind.
Um die Brücke zu den in Abbildung 1 dargestellten Prozessen zu schlagen, bietet sich die Untersetzung dynamischer Fähigkeiten als organisationale Routinen an (vgl. Ziesche 2012). Hierzu schlägt Jentsch (2015) einen Katalog von 33 Routinen und deren Bewertung vor, wodurch
dynamische Fähigkeiten im Rahmen von Managementprozessen direkt
gestaltbar werden. Beispiele für Routinen sind das Durchführen von
Benchmarks, Coaching oder die Nutzung von Unternehmensallianzen. Der
Lernort Fabrik ist durch diesen konzeptionellen Schritt direkt in das organisationale Lernen eingebunden und an eine Vielzahl anderer Wissenschaftsbereiche direkt anschlussfähig.
3
Herausforderungen und Lösungsansätze
Aus der theoretischen Fundierung des Lernortes Fabrik lassen sich eine
Reihe von Bedarfen und Herausforderungen ableiten, die interessanten
und sehr dynamischen Entwicklungen z. T. auch außerhalb des Fabrikkontexts gegenüberstehen. Für die Bereiche Produktionsnetz und dem Lernen
als dynamische Fähigkeit sollen nachfolgend Beispiele beschrieben werden. Hieraus wird der Ansatz für eine vorausschauende Entwicklung des
Lernortes Fabrik entwickelt.
Gerade aus dem Umfeld internationaler Konzerne mit global verteilten
Standorten wird berichtet, dass es eine Vielzahl von digitalen Schulungsund Trainingsangeboten gibt, die jedoch nicht die gewünschte Breitenwirkung erzielen. Fehlendes Wissen über die Existenz der Inhalte, sprachliche Hürden bzw. fehlende Übersetzungen und mangelnde Möglichkeiten
zur Individualisierung der Lerninhalte sorgen noch zu oft für eine geringe
Diffusion der Inhalte.
Mit der Erfassung, Verbreitung und Nutzung von Wissen beschäftigt sich
wiederum der hochgradig interdisziplinäre Zweig des Wissensmanagements mit tausenden Autoren und Publikationen, deren wesentliche Erkenntnisse Ragab und Arisha (2013) in einem Review zusammenfassen:
Gerade der Hype um WEB 2.0-Anwendungen führte zu übermäßigen Erwartungen eines IT-basierten Wissensmanagements zur Integration individueller Wissensbestände im Unternehmen, die nicht erfüllt werden konn-
102
Egon Müller, David Jentsch
ten. Für das IT-basierte Wissensmanagement existieren neben WEB 2.0Anwendungen weitere Systemklassen, wie bspw. das Dokumentenmanagement, Analyse- und Visualisierungswerkzeuge, E-Learning-Systeme
und Expertennetzwerke zur Verbindung individueller Wissensträger (weitere Systemklassen sind Ragab und Arisha (2013) zu entnehmen).
Trotz der vielzähligen Werkzeuge wird IT mittlerweile als Katalysator verstanden (Tsui 2005), der neben einer Vielzahl weiterer Faktoren im Wissensmanagement wirkt, aber offensichtlich kein Allheilmittel darstellt. Zur
Ergänzung der IT-Sicht seien beispielhaft drei weitere Faktoren genannt,
die den Zusammenhang von Mensch, Technik und Organisation in einem
Produktionssystem unterstreichen:
 das Vorhandensein von Anreizen in Organisationen zum aktiven
Wissensaustausch (Lam und Lambermont-Ford 2010),
 die Dezentralisierung von Organisationsstrukturen (Chen und
Huang 2007) und
 das Vorhandensein einer unternehmerischen Einstellung der
Mitarbeiter (Suppiah und Sandhu 2011)
Abseits betrieblicher Inhalte erleben s. g. Massive Open Online Courses
(MOOCs) derzeit einen weltweiten Boom, bei dem Lehrangebote z. T.
führender Universitäten weitgehend kostenfrei angeboten werden und
hierbei zehntausende und mehr Studierende gleichzeitig an meist englischsprachigen Kursen teilnehmen (Brinton et al 2015). Begleiterscheinung der extremen Teilnehmerzahlen ist eine relativ geringe Quote von
durchschnittlich 7,4 % Teilnehmern, die die Kurse tatsächlich abschlie11
ßen .
Brinton et al. (2015) zeigen in ihrem Beitrag, wie die Analyse des MOOCNutzerverhaltens, das z. B. an der Betrachtungsdauer von Videos, dem
Abschneiden bei Zwischentests und dem Erstellen von Notizen gemessen
wird, dazu verwendet werden kann, individuelle Lernpfade während des
Kurses zu erstellen. Der Lernpfad ist hierbei das Resultat der Zusammenstellung von bestehenden Lernmodulen mit jeweils unterschiedlichen (ma-
11
Datenbasis von K. Jordan (http://katyjordan.com/MOOCproject.html) mit aktuell 206 Kursen
und rund 5,4 Millionen Teilnehmern von 2011 bis 2014; eigene Berechnung, Stand Juni
2015
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
103
thematischen) Anforderungen an den Lernenden bei grundsätzlich gleicher
thematischer Ausrichtung, d. h. dass auf unterschiedlich ausgeprägte
Kompetenzen der Nutzer automatisch eingegangen wird. Im Ergebnis der
Individualisierung können bessere Lernergebnisse und eine signifikant
höhere Nutzerzufriedenheit erreicht werden. Voraussetzung der Individualisierung ist jedoch ein Nutzermodell, in dem personenbezogene Daten
ausgewertet werden. Eine einfache Übertragung derartiger Ansätze auf
ein betriebliches Umfeld am Lernort Fabrik ist damit eine erhebliche Herausforderung, bei der die technischen Möglichkeiten und Missbrauchsmöglichkeiten bei der Verwendung personenbezogener Daten in Abgleich
zu bringen sind.
Das Beispiel der MOOCs ist jedoch nicht nur zur Anwendung von Individualisierungsalgorithmen für Lerninhalte ein interessantes Studienobjekt.
Vielmehr zeigt das Phänomen selbst, dass sich abseits der Lernortes Fabrik erheblichen Veränderungen in Bezug auf die Vermittlung höherer Bildung vollziehen, die die Entwicklung von Web 2.0-Anwendungen fortschreiben. Versteht man diese Entwicklung als Chance, ließe sich der
Lernort Fabrik frühzeitig weiterentwickeln.
Parallel zu den digitalen Entwicklungen spielt auch die Vergegenständlichung von Lerninhalten nach wie vor eine große Rolle. Beispielhafte Lösungsbeiträge sind hierzu die Verwendung abstrakter Metaphern mit LEGO-Bausteinen zur Simulation internationaler Standortprojekte (Donath et
al. 2014) oder der Einsatz von Lerninseln, Profiräumen und Lehrpfaden als
„Best Practice Walk“ zur Qualifizierung von Mitarbeitern. Gerade arbeitsplatznahe Lerninseln werden zunehmend mit tagesaktuellen Problemstellungen aus dem Produktionssystem versorgt, die u. a. durch die Auswertung betrieblicher Informationssysteme entdeckt werden. Die direkte
Verknüpfung physischer Objekte mit digitalen Inhalten im Sinne cyberphysischer Lernobjekte (Jentsch et al. 2013) scheint indes noch kaum
erfolgt zu sein.
Die Auswertung betrieblicher Informationssysteme bietet einen weiteren
Ansatzpunkt unter dem Stichwort Gamification. Als Gamification wird die
Anwendung von Spielprinzipien auf betriebliche Anwendungsbereiche
bezeichnet, bei der psychologische Effekte zur positiven Bestärkung und
dem Erzeugen von Emotionen genutzt werden, um individuelle Verhaltensweisen zu beeinflussen und Lernen zu fördern (Robson et al. 2015).
Beispielhaft zeigen Magana und Munoz-Organero (2015), das sich ein
benzinsparender Fahrstil durch den Einsatz einer GamificationAnwendung im Auto vermitteln lässt und hierbei signifikante Einsparungen
104
Egon Müller, David Jentsch
durch die Belohnung von angemessenen Brems- und Beschleunigungsverhalten erzielt werden können.
Gerade die Omnipräsenz mobiler Endgeräte und die Akzeptanz sozialer
Netzwerke haben dem Einsatz spielerischer Elemente im betrieblichen
Umfeld neue Möglichkeiten eröffnet (Robson et al. 2015). Mögliche Ansatzpunkte betreffen:
 Arbeitsplatzbezogene Anwendung zur Vermittlung von qualitätsorientiertem Verhalten (z. B. Quiz zu Fehlerbildern)
 Training von energie- und ressourcensparenden Verhaltensweisen (z. B. virtuelle Tagesaufgaben und Wettbewerbe)
4
Lernort Fabrik
Mit der folgenden Abbildung 3 sind die benannten Lösungsansätze und die
theoretischen Überlegungen zu dynamischen Fähigkeiten zueinander in
Relation gebracht. Am Lernort Fabrik sind hierbei das individuelle Lernen
und das Integrieren individueller Wissensbestände aus dem Modell dynamischer Fähigkeiten zugeordnet, um den organisationalen Aspekt des
Lernens zu unterstreichen.
Die Unterscheidung von nutzendem und erkundendem Lernen wird weiterführend genutzt, um primär tätigkeitsbezogene und scheinbar hedonistische Lernmotive gegenüberzustellen. Aus der vorangegangenen Schilderung zur Bedeutung erkundenden Lernens war dessen betriebliche
Relevanz jedoch deutlich geworden, so dass der Hedonismus nur einer
ersten Unterscheidung dienen kann. Empirische Belege zur Gewährung
freier Arbeitszeitanteile für Innovationen (Shum und Lin 2007) unterstreichen den betrieblichen Nutzen derartiger Freiheiten.
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
105
Dynamische Fähigkeiten
Wahrnehmen
von Chancen und
Bedrohungen
Nutzendes
Lernen
Lernen
Aneignung neuen
Wissens / neuer
Kompetenzen
Integrieren
Verbinden
individ. Wissens /
Kompetenzen
Koordinieren
von Aufgaben
und (Projekt-)
Ressourcen
Lernorte,
Gamification
Betriebliche
Wissensmanagementsysteme
Tätigkeitsbezogene
Lernbedarfe
Erkundendes
Lernen
MOOCs,
Soziale Netzwerke
Individueller
Lernpfad
Hedonistische
Lernbedarfe
Digitale Vermittlung
Sicheres Nutzermodell
Individuelle
Ziele
Vorhandene
Kompetenzen
Bevorzugter
Lernmodus
Abbildung 3: Individueller Lernpfad als Kern des Lernortes Fabrik
Kernaussage der Abbildung ist, dass der individuelle Lernpfad im Vordergrund des Lernortes Fabrik steht und diese Individualisierung durch digitale Vermittlung mit einem Nutzermodell möglich wird. Das Produktionskonzept zur Mass Customization wird somit auf den Lernort Fabrik übertragen.
Entlang des individuellen Lernpfades können so bestehende Angebote
106
Egon Müller, David Jentsch
bewusst genutzt oder ausgelassen werden, wenn sie nicht für das individuelle Kompetenzniveau geeignet sind. Dies gilt sowohl für betriebliche
Lernangebote als auch für externe Möglichkeiten wie die angesprochenen
MOOCs. In Analogie zum Hardwaretrend BYOD (bring your own device)
vermischt sich so die Verwendung von verschiedenen Lernangeboten im
Rahmen der lizenzgemäßen und rechtlichen Bestimmungen.
Es resultiert eine Reihe von zentralen Aufgaben durch den vorgeschlagenen Ansatz. An erster Stelle ist das Nutzermodell zu nennen, für das bisher keine allgemein anerkannten Vorschläge im betrieblichen Umfeld vorliegen. Ein entsprechendes Modell sollte mindestens in der Lage sein,
nutzerbezogene Lernziele, vorhandene Kompetenzen und den bevorzugten Lernmodus abzubilden. Zur aktiven Anwendung des Nutzermodells
sind weiterhin geeignete Erhebungsmethoden und Algorithmen des Nutzerverhaltens notwendig, für die strenge Bestimmungen hinsichtlich des
Datenschutzes einzuhalten sind.
An zweiter Stelle steht die stärkere Vernetzung der unterschiedlichen
Lernangebote. Der in diesem Band von Krones et al. beschriebene
PLUG+LEARN-Ansatz zeigt hierbei einen möglichen Weg zur Realisierung
auf. Gerade für Unternehmen mit einem großen Bestandangebot von
Lerninhalten könnten aber auch Techniken der semantischen Analyse
bedeutsam sein, da somit ein automatisches Matching von Lernbedarfen
und Angeboten geschaffen werden kann.
An dritter Stelle steht eine Integrationsplattform, die sich u. U. über mehrere Teilsysteme erstreckt. In Analogie zu bekannten online Händlern können so unterschiedlichste Lernangebote zusammengefasst und um Komponenten sozialer Interaktion ergänzt werden.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Fabriksysteme unterliegen ständigen Veränderungen, wodurch sich das
lebenslange Lernen als Kernbestandteil betrieblicher Tätigkeiten etabliert
hat. Mit Hilfe des Ansatzes der dynamischen Fähigkeiten und der systemtheoretischen Sicht auf Produktionssysteme ließen sich wiederum eine
Reihe von inhaltlichen Schwerpunkten wie bspw. der schonenden Umgang
mit Ressourcen ableiten. Zusätzlich bestehen eine Reihe organisatorischer Abhängigkeiten z. B. zur Integration individueller Wissensbestände,
die sich nicht ausschließlich durch den Einsatz von IT-Lösungen erzielen
lassen.
Lernort Fabrik – Betriebliche Herausforderungen und aktuelle Lösungsansätze […]
107
Andererseits zeigen gerade neuere Entwicklungen wie die Gamification
oder MOOCs, dass digital vermitteltes Lernen zukünftig eine wichtige Rolle
spielen wird und hierbei v. a. die Individualisierung von Lernpfaden umfassend ermöglicht wird. Eine massenweise Individualisierung der Lernprozesse durch automatisch evolvierte Nutzermodelle verspricht somit erhebliche Potentiale bei geringen Kosten. Durch die Adressierung der
dargestellten Potentiale kann der Lernort Fabrik aktiv weiterentwickelt
werden. Wachsende Tätigkeitsinhalte mit Bezug zur Wissensarbeit erfordern letztlich eine Gestaltung des Lernortes Fabrik wie es heute z. B. für
Taktzeiten und körperliche Belastungen bereits gegeben ist.
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Lehren und Lernen im Kontext von Industrie 4.0 – Übersicht
111
Lehren und Lernen im Kontext von Industrie 4.0
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im
Kontext Industrie 4.0
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 im Rahmen eines
Planspielszenarios – Simulation und Evaluation
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehrund Lernkonzepte der Zukunft
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion
von morgen
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
113
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Dieser Beitrag widmet sich der Frage nach Kompetenzbedarfen aufgrund
der Einführung von Industrie 4.0. Da sich Industrie 4.0 noch in der Entwicklung befindet und der Verbreitungsgrad eher noch gering ist, werden
hier Tendenzaussagen über Kompetenzanforderungen im Kontext von
zwei polar entgegengesetzten Szenarien getroffen. Die tatsächlichen
Kompetenzbedarfe dürften davon abhängen, welche zwischen diesen
Extremszenarien liegenden Entwicklungsoptionen die Unternehmen wählen. Ausgewählte Anwendungsfälle können dazu dienen, solche Optionen
zu beschreiben und in Verbindung mit den Szenarien Aussagen über
Kompetenzanforderungen nach unterschiedlichen Qualifikationsebenen zu
treffen.
1
Industrie 4.0: Zum Stand der Umsetzung
Die Vorstellungen, die derzeit mit der weiteren Digitalisierung in der Industrie und dem Ausdruck „Industrie 4.0“ („I4.0“) verbunden werden, können in
etwa gleichgesetzt werden. Diese Vorstellungen – deren Umsetzung zu
einer sehr viel flexibleren und dadurch produktiveren Vernetzung von
Werkzeugen, Maschinen, Anlagen und Produktionssystemen führen soll –
lassen sich anhand einer am Produktlebenszyklus als Wertschöpfungskette orientierten Betrachtungsweise erläutern (vgl. MFW BW/Fraunhofer IPA
2014) (siehe Abbildung 1):
114
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Abbildung 1: Daten im Produktlebenszyklus (Quelle: MFW BW/Fraunhofer IPA 2014, S. 9,
nach Schuh 2006)
Die Lebenszyklusphasen der Produktentwicklung, -herstellung, -nutzung
und -entsorgung sollen betriebs-, wenn nicht unternehmensübergreifend
vernetzt werden. Die Vernetzung soll vor allem durchgängig integriert,
ohne (Medien-) Brüche, z. B. aufgrund nicht-kompatibler Softwaresysteme
erfolgen (vgl. Lindner; Friedewald 2008, 95-97). Über Durchgängigkeit
hinaus setzt die mit „Industrie 4.0“ anvisierte Flexibilität und Produktivität
eine echtzeitnahe Synchronisierung der physischen Prozesse mit digitalen
Daten und Modellen voraus. Den technischen Ansatz für die durchgängigsynchrone Integration von physischen Prozessen und digitalen Daten bilden – miteinander vernetzbare – „Cyber-Physical Systems“ (CPS). In der
Industrie werden vernetzte CPS zur zentralen oder dezentralen Steuerung
von Engineering-, Produktions-, Logistik- und Managementprozessen eingesetzt. CPS sind in ihrer Grundstruktur mechatronische, in Objekte oder
deren Umgebung „eingebettete Systeme“.
Mittels Sensoren können CPS Veränderungen am physischen „Grundsystem“ (z. B. einer Mechanik) oder ihrer Umgebung (Umwelt) erfassen und
an eine (digitale) Informationsverarbeitungskomponente weiterleiten. Deren Ergebnisse werden an Aktoren weitergegeben, die entsprechend auf
physische Vorgänge einwirken. In Automatisierungssystemen findet eine
Kopplung von mit Prozessoren ausgestatteten Informationsverarbeitungskomponenten mit physischen Prozessen schon seit den 1970er Jahren
statt. Technisch mitentscheidend für „Industrie 4.0“ ist die fortschreitende
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
115
Verkleinerung und Leistungssteigerung der Mikroprozessoren. Dies ist die
Voraussetzung für die Einbettung von Informationsverarbeitungskomponenten mit komplexen Funktionen in kleine Objekte, deren Vernetzung,
und damit verteilten Entscheidungen („eingebettete“ und „verteilte“ Systeme).
Es wird deutlich, dass die Vorstellungen, die derzeit mit „Industrie 4.0“
bezeichnet werden, sich auf längerfristige Entwicklungen der Informationsund Kommunikationstechnologien (IKT), Automations- und Mikrosystemtechnik beziehen, die nun aber sowohl untereinander als auch mit Elektronik und Mechanik zunehmend stärker integriert werden können. Den konstitutiven Schritt zur „Industrie 4.0“ als „Internet der Dinge in der Industrie“
stellt allerdings die gegebene Vernetzung der „verteilten“ Systeme mit dem
Internet dar. Dies stellt erhebliche zusätzliche Anforderungen an die ITSicherheit.
Wie deutlich geworden sein dürfte, ist Industrie 4.0 abhängig von zahlreichen Technologien und deren Konvergenz; das heißt davon, inwieweit
diese zusammenwachsen, vernetzt werden und interagieren können (sollen), um schließlich autonomes Handeln von Systemen zu erreichen. Neben den Konvergenzen der im Zusammenhang mit CPS genannten Technologien, hängt die weitere – entsprechend schwer vorhersehbare –
Entwicklung u.a. von Konvergenzen mit Mensch-Maschine-Schnittstellen,
Robotik, Materialien und Künstlicher Intelligenz (KI) ab (vgl. Brand et al.
2009, S. 16, Dworschak et al. 2010). Zwar spielen schon heute viele Elemente auf dem Weg zu selbstkonfigurierenden Systemen, wie beispielsweise intelligente Produktionsanlagen oder Echtzeitüberwachung eine
wichtige Rolle. Dennoch scheint I4.0 schon rein technologisch in weiteren
Teilen noch stärker in der Entwicklung zu sein, als dies teilweise suggeriert
wird, so etwa bei der digitalen Beschreibung von Produktionssystemen.
Ein Internet der Dinge in der Industrie, das eine vollautonome Steuerung
von Prozessen ermöglicht und als Voraussetzung für selbstkonfigurierende Produktionssysteme genannt wird, könnte nach heutiger Einschätzung
erst nach 2020 anwendungsreif sein (Hartmann/Bovenschulte 2013).
Ebenso ist der Verbreitungsgrad der heute verfügbaren I4.0-Technologien
sowohl in der industriellen Produktion als auch in der Logistik der Unternehmen eher noch gering (vgl. Dworschak et al. 2012). Bisher scheint statt
einer „revolutionären“ eher eine schrittweise „Migration“ zu erfolgen. Während laut IHK-Unternehmensbarometer zur Digitalisierung 94 % der Unternehmen eine Beeinflussung ihrer Prozesse durch eine vermehrte Digitalisierung sehen, sieht sich beim Thema I4.0 mit 37 % der Unternehmen mit
116
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
über 500 Mitarbeitern und 26 % der kleineren Unternehmen ein wesentlich
geringerer Anteil gut aufgestellt (DIHK 2015). Schließlich werden auch
I4.0-Technologien kein bestimmtes Arbeitsorganisationsmodell determinieren. Vielmehr wählen Unternehmen u. a. aufgrund unterschiedlicher Marktund Produktionsanforderungen verschiedene Kombinationen aus Arbeitsorganisations- und Technologieoptionen (vgl. TAB 2008).
Somit können Aussagen über weitere Technologie-, Arbeitsorganisationsund damit verbundene Kompetenzentwicklungspfade von Industrie 4.0 in
großen Teilen nicht eindeutig getroffen werden. Dies macht szenarienabhängige Einschätzungen erforderlich. Diese werden im Folgenden für die
obere, mittlere und untere Qualifikationsebene getroffen. Die auch als
Hochqualifizierte bezeichneten Angehörigen der oberen Qualifikationsebene sind Beschäftigte mit einem akademischen bzw. Hochschulabschluss. Die mittlere Qualifikationsebene wird von Fachkräften sowohl mit
dualer Berufsausbildung oder Berufsfachschulabschluss als auch mit bundesweit anerkannten Fortbildungsabschlüssen (wie z. B. Meister, Techniker oder Prozessmanager) gebildet. An- und Ungelernte, als die Angehörigen der „unteren“ Qualifikationsebene, werden auch als „Werker“
bezeichnet (womit auch im Folgenden Werkerinnen und Werker gemeint
sind).
Bisher konnte ein Teil der produktbegleitenden Dienstleistungen in den
späteren Phasen des Produktlebenszyklus, wie z. B. Wartung und Instandhaltung oder Servicetechnik oder die „Werkstattprogrammierung“, als
Domäne der Fachkräfte der mittleren Qualifikationsebene gelten. Doch
unter anderem gerade für diesen Bereich der industriellen Dienstleistungstätigkeiten können aufgrund der offenen Entwicklung der „Industrie 4.0“
keine eindeutigen Einschätzungen getroffen werden. Deshalb werden im
Folgenden Einschätzungen in Verbindung mit zwei unterschiedlichen,
möglichen Entwicklungsszenarien gegeben.
2
Szenarien und mögliche Entwicklungspfade
Um mit der Schwierigkeit umzugehen, dass aufgrund der offenen Entwicklung der „Industrie 4.0“ noch keine eindeutigen Einschätzungen über
Technologie-, Arbeitsorganisations- und damit verbundene Kompetenzentwicklungspfade getroffen werden können, werden im Folgenden Einschätzungen in Verbindung mit zwei auf Windelband und Spöttl (2011)
zurück gehende Extremszenarien bzw. polar entgegengesetzten Entwicklungsrichtungen gegeben (siehe Abbildung 2).
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
117
Bei der ersten Richtung, dem „Automatisierungsszenario“, wird ein immer
größer werdender Teil der Entscheidungen durch die Technik getroffen.
Dies würde den Raum für autonome menschliche Entscheidungen und
Handlungsalternativen immer weiter einschränken und wäre mit der Entstehung einer Kompetenzlücke verbunden: In einem zunehmend automatisierten System muss der Mensch nur noch in Störfällen eingreifen, aber
zumindest die Mitarbeiter der unteren wie auch mittleren Qualifikationsebene könnten die dazu notwendigen Kompetenzen nicht mehr aufbauen.
Bei der zweiten Entwicklungsrichtung, die hier als „Spezialisierungsszenario“ bezeichnet wird, dient die Technik zur Unterstützung menschlicher
Entscheidungen und somit von Problemlösungen. Im Vergleich mit dem
„Automatisierungsszenario“ bleibt hier auch den Produktionsmitarbeitern
zumindest der mittleren Qualifikationsebene ein wesentlich größerer Anteil
der Entscheidungen überlassen, womit Prozessoptimierungen, Eingriffe
bei Störungen und Problemlösungen, und damit vielfältigere, wenn nicht
höhere Anforderungen verbunden sind.
Im Automatisierungsszenario sollen die Aufgaben von den technischen
Teilen des sozio-technischen Systems übernommen werden, in die nur
Hochqualifizierte eingreifen können. Im Spezialisierungsszenario sind die
Mensch-Technik-Schnittstellen so gestaltet, dass neben den Hochqualifizierten zumindest Fachkräfte der mittleren Qualifikationsebene mit der
Technik interagieren können.
Im Zuge der Implementation von I4.0-Technologie wird der Anteil der
Hochqualifizierten an den Belegschaften in beiden Szenarien steigen, im
Automatisierungsszenario allerdings stärker als im Spezialisierungsszenario. Der Anteil der Werker wird in beiden Szenarien sinken, auch wenn er
in bestimmten Betriebsarten, die dem Spezialisierungsszenario folgen (wie
unten noch erläutert wird), unter Umständen nahezu gleich bleiben könnte.
118
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Abbildung 2: Entwicklungsrichtungen von Industrie 4.0 (in Anlehnung an Windelband/Spöttl
(2011), S. 12)
Für die mittlere Qualifikationsebene sind die Wirkungen der möglichen
Kombinationen aus I4.0-Technologieoptionen und Arbeitsorganisationsformen wohl am uneinheitlichsten. So könnte ein Teil der Tätigkeiten der
Mittelqualifizierten, wie etwa bestimmte Kontroll- und Steuerungsaufgaben,
automatisiert werden. Bei anderen Tätigkeiten, wie etwa Dispositionsentscheidungen, könnte das Anforderungsniveau durch Teilautomatisierung
reduziert werden (vgl. Lindner/Friedewald 2008).
Eine Hauptfrage ist, inwieweit Aufgaben, die ein hohes Erfahrungs- und
Prozesswissen erfordern, wie es für Fachkräfte der mittleren Ebene typisch ist, durch die neuen Technologien leichter automatisiert werden können und tatsächlich automatisiert werden. Hierzu gehören anspruchsvolle
Instandhaltungsaufgaben. Es ist zu erwarten, dass im Zuge der Implementation der „Instandhaltung 4.0“ in absehbarer Zeit zunehmend Echtzeitdaten über Maschinenzustände vorliegen werden (vgl. Biedermann 2014, S.
26). Wohl auch aufgrund dessen wird der Anteil der ungeplanten Instandsetzungen voraussichtlich abnehmen. Aber vorerst wird noch angenommen, dass die schwer automatisierbare schadensbedingte Instandsetzung
an Komplexität zunehmen und die zunehmende Automatisierung mehr
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
119
Wissen verlangen wird, um Störungen schnell zu beheben. An dieser Stelle stellt sich die Folgefrage, ab welchem Komplexitäts- und Automatisierungsgrad von Produktionssystemen die Instandhaltungsaufgaben von
den hochschulisch qualifizierten Ingenieuren nicht nur im Automatisierungs-, sondern auch im Spezialisierungsszenario übernommen werden.
Zumindest im Rahmen des Spezialisierungsszenarios ist entscheidend, ob
die mit I4.0 verbundene Flut von Daten, für die Fachkräfte der mittleren
Ebene so aufbereitet werden können, dass sie als richtig ausgewählte
Informationen am richtigen Ort vor allem schnell als Entscheidungsunterstützung zur Verfügung stehen. Die Fähigkeit, Daten und Informationen
richtig auszuwählen, aufzubereiten und zu interpretieren, stellt eine der
wesentlichsten I4.0-Anforderungen dar.
Allgemein erscheint wichtig, dass zumindest wohl ein größerer Teil der
Unternehmen bisher zur Verfügung stehende Automatisierungspotenziale
nicht voll ausgenutzt hat, sondern eher in Richtung einer weiteren Teilautomatisierung geht.
Insbesondere gibt es, unter anderem gerade in den Kernbranchen der
deutschen Wirtschaft, wie etwa dem Maschinen- und Anlagenbau, Unternehmen, mit in Teilen automatisierten, aber unumgänglich hoch flexiblen
Prozessen. Für diese Unternehmen hat sich eine „prozessorientierte“ Arbeitsorganisation in ihrer Kombination aus Flexibilität und Produktivität
gegenüber anderen Organisationsformen als vorerst überlegen erwiesen
und dort seit den 1990er Jahren verstärkt Einzug gehalten. Die prozessorientierte Arbeitsorganisation ist auf fach- und funktionsübergreifende
Prozesse sowie eine Dezentralisierung von Kompetenzen und Verantwortung ausgerichtet. Dementsprechend sind mit einer prozessorientierten
Arbeitsorganisation über die Gesamtbelegschaft eines Betriebes hinweg
stärkere Anforderungen an Kommunikation, Kooperation und Arbeitsprozesswissen verbunden und breitere Qualifikationsprofile notwendig als
zum Beispiel bei einer tayloristischen. Die prozessorientierte Arbeitsorganisation zielt darauf ab, einer besseren Nutzung der Qualifikationspotenziale zugeschriebene Vorteile zu erlangen, zu denen eine höhere betriebliche Anpassungsfähigkeit bzw. Flexibilität gehört (vgl. Schumann 2003;
Dorsch-Schweizer/Schwarz 2007).
Dies korrespondiert mit dem „Spezialisierungsszenario“ und impliziert,
dass die betreffenden Unternehmen in Verbindung mit „Industrie 4.0“ zumindest zunächst wohl eher dieser Entwicklungsrichtung folgen werden.
Hierbei würden die Fachkräfte der mittleren Ebene ihre quantitative und
120
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
qualitative Bedeutung in und für die betreffenden Unternehmen bis auf
weiteres behaupten.
Sowohl bei der prozessorientierten Arbeitsorganisation als auch bei der so
genannten Tertiarisierung des industriellen Produktionsprozesses kommt
es zumindest bei den Fachkräften der mittleren Ebene unter anderem zu
einer „horizontalen“ Erweiterung des Tätigkeitsprofils, das mit zum Beispiel
Terminplanung, Arbeitsvorbereitung und Qualitätsprüfung industrielle
Dienstleistungstätigkeiten betrifft, die der eigentlichen Produktion vor- und
nachgelagert sind. Eine maßgebliche Untersuchung zur Tertiarisierung
des industriellen Prozesses von Spöttl et al. (2003) gewinnt an Aussagekraft, indem sie sowohl Fertigungs- als auch Montagebetriebe der Metallindustrie einbezieht (vgl. auch TAB 2008, 53-54).
Mit Blick auf die Werkerebene macht die Untersuchung deutlich, dass es
selbst in der Metallindustrie Montagebetriebe gibt, in denen das Verhältnis
von Fachkräften und Angelernten 20:80 beträgt – und auch bei prozessorientierter Organisation ein Anlernprozess als ausreichend erachtet wird.
Dagegen stehen die Fertigungsbetriebe, in denen auch die Mitarbeiter
unterhalb der Facharbeiterebene mit Kompetenzanforderungen konfrontiert sind, die über das üblicherweise damit assoziierte Qualifizierungsniveau hinaus gehen – sind sie doch ebenfalls mit „der Sicherstellung der
Prozessabläufe, der Teilekoordination, der Kooperation mit der Produktion
‚vorgelagerten’ und ‚nachgelagerten’ Kunden, der Terminkoordination“
(Hecker/Spöttl 2002, 73) befasst. Es sind solche Betriebe, in denen der
Anteil der Werker unter Umständen nahezu gleich bleiben könnte.
Dies soll allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass „Industrie 4.0“ bei
den An- und Ungelernten aller Wahrscheinlichkeit nach insgesamt weiteren Stellenabbau und Beschäftigungsverlust bedeuten wird.
3
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
Mit Blick auf den Produktlebenszyklus (in Abbildung 1) findet die produktionsnahe Arbeit in der Phase der Produktherstellung statt. „Industrie 4.0“
bedeutet hier hauptsächlich eine sozusagen möglichst (daten- und medien-)bruchlose Integration der Fertigung und Montage mit der Produktionsplanung. Es sei bewusst wiederholt, dass dies in Unternehmen, die eher
dem Automatisierungsszenario folgen, von den technischen Teilen des
sozio-technischen Systems übernommen werden soll, in die nur Hochqualifizierte eingreifen können. Im Spezialisierungsszenario sind die Mensch-
Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
121
Technik-Schnittstellen so gestaltet, dass neben den Hochqualifizierten
zumindest Fachkräfte der mittleren Qualifikationsebene mit der Technik
interagieren können.
In beiden Fällen ist Prozesskompetenz in zweifacher Hinsicht erforderlich:
Zum einen zumindest ein die Phasen der Produktentwicklung und Produktherstellung übergreifendes Prozessverständnis mit überfachlichen
Kompetenzen zur Kommunikation und Kooperation. Zum anderen Kompetenzen nicht nur in Bezug auf die physischen, sondern auch auf die digitalen Prozesse. Die fachlichen Anforderungen betreffen ein breites Feld von
Kenntnissen und Fähigkeiten über Mechanik und Elektronik, Mikrosystemtechnik, Automatisierung sowie Produktions-IT und vor allem deren Integration.
Hinsichtlich der hochschulischen Ausbildung scheinen für Industrie 4.0
derzeit zwei entgegengesetzte Arten von Studiengängen relevant zu sein:
einerseits grundständige Studiengänge, wie z. B. Maschinenbau, Elektrotechnik oder Informatik, und andererseits schon auf Bachelorniveau enger
spezialisierte Studiengänge, wie z. B. Mikrosystemtechnik, Energietechnik
oder IT-Sicherheit. Wie für andere Bereiche, in denen Technologien konvergieren, wird für Industrie 4.0 die Notwendigkeit von stärker interdisziplinär angelegten Studiengängen durchaus gesehen. Zumindest unter dem
Blickwinkel der Eignung für Industrie 4.0 gibt es solche Studiengänge bisher jedoch wohl nur vereinzelt (vgl. Die Länder der Bundesrepublik
Deutschland/Bundesagentur für Arbeit 2014). Zudem scheint ein breiteres
Angebot an solchen Studiengängen vor 2020 eher nicht erwartet zu werden (vgl. BMBF, ohne Jahr).
Auf mittlerer Ebene sind über die letzten 15 Jahren die „produktionstechnologischen“ Berufe entstanden, die auf einem integrativen Ansatz beruhen und nicht mehr ausschließlich den Metall-, Elektro- oder IT-Berufen
zugeordnet werden können (vgl. Schlausch/Zinke 2009; Zinke/Wasiljew
2011). Neben Mechatroniker/-in handelt es sich hauptsächlich um die Berufe Mikrotechnologe/-in und Produktionstechnologe/-in, wobei für die beiden letzteren Fortbildungsregelungen zum Prozessmanager bzw. zur Prozessmanagerin in verschiedenen Spezialisierungsrichtungen bestehen.
Die Ausbildungen der Mikrotechnologen und Prozesstechnologen sind auf
Prozessbeherrschung ausgerichtet, wobei ein Schwerpunkt des breiten
Profils der Produktionstechnologen in der Tat auf der Verbindung der direkten Produktherstellung mit Planung und Konstruktion liegt.
122
Dieter Spath, Bernd Dworschak, Helmut Zaiser, David Kremer
Doch selbst vor dem Hintergrund des Profils der Produktionstechnologen
beginnen sich Gründe abzuzeichnen, warum weder die (hoch-)schulischen
noch dualen Ausbildungen zur nachhaltigen I4.0-Kompetenzsicherung
ausreichen. So decken selbst die produktionstechnologischen Berufe nicht
das gesamte, bereits heute für die produktionsnahe I4.0-Arbeit erforderliche Spektrum an Kenntnissen und Fähigkeiten ab. Zudem scheint eine
Fortbildung, etwa in Richtung Prozessmanagerebene mit einer Vertiefung
von Kenntnissen und Fähigkeiten verbunden zu sein, die eine Spezialisierung bedingt. Den Hochschulstudiengängen scheint die für konvergierende
Technologiefelder notwendige interdisziplinäre Ausrichtung zumindest in
der Breite noch zu fehlen. Schließlich befindet sich die „Industrie 4.0“
schon rein technologisch nach wie vor in einer offenen Entwicklung. Dies
bedeutet, dass die produktionsnahe I4.0-Arbeit zu den Feldern gehört, in
denen stetige und anpassungsfähige Weiterbildungsaktivitäten sowohl zur
Ergänzung fachlicher Kenntnisse und Fähigkeiten als auch hinsichtlich der
(fach-) bereichsübergreifenden Kooperation notwendig sind. Wenn dies
schon auf die Hochqualifizierten und Fachkräfte mit den relevantesten
Ausbildungen zutrifft, dann umso mehr auf die großen Teile der Belegschaften, die nicht über neuere Abschlüsse verfügen.
Weiterbildung sollte überbetrieblich anerkannte (so z. B. überbetrieblich
zertifizierbare) Teile beinhalten, um die Mobilität der Arbeitnehmer/innen
und ihrer Kompetenzen auch für die relevanten Wirtschaftsbereiche zu
sichern. Kompetenz scheint jedoch am wesentlichsten dadurch entwickelt
zu werden, dass Mitarbeiter in den betrieblichen Arbeitsprozessen lernen,
Aufgaben zu erfüllen, die sie zuvor noch nicht beherrscht haben (vgl. etwa
Bremer 2005, S. 287). Ein Hauptbestandteil eines Weiterbildungskonzeptes, gerade für Felder wie die produktionsnahe I4.0-Arbeit, sollte deshalb
ein entsprechend begleitetes und gestaltetes Lernen in und an den Arbeitsprozessen sein (vgl. Dehnbostel 2007; Schneider/Wilke 2005).
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Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
125
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Visionäre Konzepte für die Umgestaltung der Fabrik wie Industrie 4.0 oder
Generative Fertigungsverfahren („3D-Druck“) benötigten gut ausgebildete
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die ständig fortschreitende technische
Entwicklung erfordert lebenslanges Lernen. Dieser Entwicklung werden
herkömmliche Weiterbildungskonzepte längst nicht mehr gerecht. Der
Beitrag beschreibt die Anforderungen an eine zeitgemäße Weiterbildung
im Kontext Industrie 4.0 und zeigt Wege zu deren Realisierung auf.
1
Einleitung
Die Gestaltung komplexer Wertschöpfungsketten mit raschen Technologiewechseln, sich verkürzenden Produktionszyklen und einer Vielzahl von
Schnittstellen zwischen den beteiligten Unternehmen und Mitarbeiterinnen
12
und Mitarbeitern erfordert kompetente Fachkräfte, die sich strukturiert
und kreativ einbringen. Nur diese können aufgrund ihres umfangreichen
Prozess- sowie Fachwissens gezielt und lösungsorientiert zur Optimierung
von innerbetrieblichen und unternehmensübergreifenden Strukturen beitragen. Die partizipative Mitgestaltung von Arbeitsbedingungen und prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette unter Berücksichtigung der Perspektiven von Geschäftsführung und Führungskräften auf der
einen Seite und Mitarbeitern sowie Betriebsrat auf der anderen Seite, stellt
einen wesentlichen Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung der oftmals veralteten Weiterbildungskonzepte dar.
Um in diesen komplexen Strukturen ein reibungsloses Arbeiten zu ermöglichen und darüber hinaus innovationsförderliche Freiräume für die Beschäftigten entstehen zu lassen, bedarf es, neben optimierten Prozessketten, bei jedem Mitarbeiter ein hohen Maßes an Verständnis für die
12
Im Verlauf des Textes wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Textes die maskuline Form gebraucht. Die Autoren beziehen dabei jedoch immer auch die Mitarbeiterinnen
mit ein.
126
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Arbeitsprozesse und für die Kompetenzen derjenigen, die mit ihm in einer
Wertschöpfungskette stehen. Darüber hinaus ist Eigenmotivation in Form
von Vermittlungs- und Lernbereitschaft auch über den eigenen Verantwortungsbereich hinaus notwendig, damit Prozesse und der Arbeitsplatz proaktiv gestaltet werden kann. Das erlernte Prozessverständnis ermöglicht
es den Beschäftigten zudem, ihre jeweils individuellen Erfahrungen in unterschiedliche Arbeitsprozesse einzubringen und damit sozialverträgliche
Innovationen am Arbeitsplatz zu generieren. Gleichzeitig sollten sie Möglichkeiten bekommen, zu lernen, ihr persönliches Kompetenzprofil berufsbegleitend weiterzuentwickeln, sich Qualifikationen angrenzender Berufsfelder anzueignen oder soziale sowie methodische Kompetenzen zu
erwerben. Damit kann den Industrie 4.0-induzierten Veränderungen durch
neue Qualifikationen bei den Mitarbeitern erfolgreich begegnet werden.
Das Verständnis eines umfassenden Kompetenzmanagements orientiert
sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette, mit Fokus auf Aktivierung und Integration aller intra- und interindividuellen sowie unternehmensspezifischen Kompetenzen. So wird sichergestellt, dass zum einen
die Innovationspotenziale der Mitarbeiter erschlossen werden und zum
anderen die Akzeptanz der Veränderung durch eine intensive Mitgestaltung gegeben ist.
Die zunehmende Vernetzung unterschiedlicher Wissenselemente sowie
die örtliche und zeitliche Flexibilisierung des Wissenserwerbs erfordern
auch flexible Lernformen. Neuere Ansätze der Gamification tragen dazu
bei, die Lernmotivation über ihren Problemlösungs- und Wettbewerbscharakter konstant hoch zu halten. Es gibt bereits gute Erfahrungen mit der
Nutzung digitaler Lernspiele. Serious Games finden in Schulen und im
Bereich Dienstleistung und Management häufig Anwendung. Bisher unzureichend ist der Sektor des produzierenden Gewerbes betrachtet. Es stellt
sich die Frage, wie sich dessen Inhalte in Spielform darstellen lassen.
Zudem ist die sehr heterogene Struktur der Mitarbeiter zu beachten, die
sich beträchtlich in Bezug auf Vorbildung, Medienaffinität und Lernmotivation unterscheidet.
Industrie 4.0 und die Verschmelzung der realen und der virtuellen Welt
sind bereits ein Teil unseren Alltags geworden (Dorst 2012, S. 34-37). Die
Vernetzung einzelner Gegenstände mit dem Internet, wie beispielsweise
Alarmanlagen, Wärmeregulatoren oder Smartphones, ermöglicht einerseits mit diesen Gegenständen zu kommunizieren, andererseits erledigen
diese Gegenstände selbstständig verschiedene Aufgaben. Damit dies im
Unternehmen umsetzbar wird, sind weitere technische Entwicklungen und
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
127
flächendeckende Vernetzung erforderlich, die eine Integration von eingebetteten Systemen mit den webbasierten Diensten in die Produktionsprozesse erlaubt (Geisberger/Broy 2012, S. 7; Gronau 2014). Auf diese Weise können sich die technischen Entitäten in den Fabriken (gegenseitig)
selbstständig regeln und steuern, Entscheidungen treffen, Informationen
weiterschicken und aktuelle Umgebungsveränderungen mit einbeziehen.
Vor diesem Hintergrund sollen die Geschäftsprozesse so gestaltet werden,
dass sie sowohl die Kommunikationsaspekte, wie Machine-to-MachineCommunication (Baum et al. 2013, S. 10-13) und Human-Maschine Interaktion (Gronau, 2014), als auch die individuellen Kundenwünsche berücksichtigen. Neben der Entwicklung von Technologien und der Umstellung
der Produktion müssen im organisatorischen Bereich die bestehenden
Hemmnisse der Veränderungsfähigkeit erkannt und Wege gesucht werden, diese zu überwinden (Wiendahl et al. 2014, S. 163). Die Qualifikationen der Führungs- und Arbeitskräfte spielen in diesem Zusammenhang
eine wichtige Rolle, da der Automatisierungsgrad in den Produktionsprozessen zunimmt (Bettenhausen 2014). Notwendige schnelle und qualifizierte Entscheidungen in Störfällen bei Werkzeugen oder Prozessen können nur gut ausgebildete Spezialisten treffen (Hergesell 2014, S. 12-17).
Die Ist-Situation in den Fabriken, die restriktiv wirkendenden prozessualen
Rahmenbedingungen, stellen oftmals einen determinierenden Ausgangszustand dar. Da nur in den wenigsten Fällen eine Fabrik neu auf der grünen Wiese entstehen kann, führt kein Weg an prozessbezogenen Weiterbildungskonzepten vorbei, die sich hervorragend in inkrementelle
Wandlungsvorhaben integrieren lassen. Entsprechend vorhandener Visionen und den Möglichkeiten eines radikalen Neuentwurf des sogenannten
„brownfields“ müssen allerdings auch zukunftsfähige Weiterbildungskonzepte für diesen Einsatzzweck kreiert werden.
Die Ziele des vorliegenden Beitrags sind es, für einen notwendigen Wandel von Qualifizierungsmaßnahmen zu sensibilisieren und Vorschläge für
prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte zu skizzieren. Zu
diesem Zweck gliedert sich der Beitrag wie folgt: Zunächst werden relevante Grundlagen zu Industrie 4.0, dem Wandel, der Rolle der Mitarbeiter
in der vernetzten Produktion und deren Qualifikationen dargestellt. Anschließend werden zwei sich bezüglich der Einführungsgeschwindigkeit
(inkrementeller und radikaler Wandel) unterscheidende Transformationsszenarien dargestellt, die den Ausgangspunkt für mögliche zukünftige
Weiterbildungskonzepte bilden.
128
2
2.1
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Stand der Forschung
Industrie 4.0
Industrie 4.0 beschreibt eine Abkehr von der klassischen automatisierten
Fabrik, die große Mengen gleichartiger Produkte auf der Basis zentraler
Produktionspläne herstellt. Vision ist die selbstorganisierende Fabrik, in
der intelligente und teilautonome Objekte interagieren und es gelingt, die
zunehmende Individualisierung der Produkte mit den Vorteilen von Großserienproduktion zu verbinden (Mass Customization).
Industrie 4.0 stellt innerhalb der Produktionsorganisation und -steuerung
moderne Technologien zur Verfügung, um dezentral gesteuerte Produktionsanlagen mit intelligenten und selbststeuernden Elementen in der
Werkhalle zu gestalten (acatech 2011). Wesentliche Konzepte von Industrie 4.0 sind cyber-physische Systeme, deren Vernetzung zum Internet der
Dinge sowie die verbesserte Mensch-Technik-Interaktion (MTI) bzw. Human Maschine Interaction (HMI). Diese Systeme enthalten eine umfangreiche Sensorik (u. a. AutoID-Technologien und Smart Sensors) und statten Systeme und Produktionsobjekte mit erweiterten Fähigkeiten zur
Umgebungserfassung aus. Daraus ergeben sich weitreichende Möglichkeiten zur dezentralen Steuerung und Prozessgestaltung in Fabrikanlagen
(Lass und Gronau 2012). Intelligente Objekte mit Fähigkeiten zur
Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration und Selbstdiagnose realisieren
beispielsweise die eindeutige Identifizierung und Lokalisierbarkeit von
Produktionsobjekten, besitzen Informationen zu ihrem aktuellen Zustand
und zu ihrer Historie sowie über alternative Wege zum gewünschten Zielzustand. Sie können autonom Entscheidungen treffen, indem Umgebungsinformationen aus der Sensorik oder der Kommunikation mit anderen CPS
selbsttätig verarbeitet und entsprechende Aktionen ausgelöst werden.
Der Mensch ist in der Smart Factory ein wesentlicher Akteur, der durch die
gezielte Bereitstellung von Informationen die ansteigende Komplexität der
zukünftigen Fertigungsszenarien beherrschen kann. Durch individualisierte
Informationssysteme in seinen Fähigkeiten erweitert, wird er vom klassischen Bediener zum Steuernden und Regulierenden, aber auch zum Gesteuerten und Regulierten. Die zunehmende Komplexität von Maschinen
und Steuerungssystemen führt zu höheren Anforderungen an das technische Personal. Als Human-Machine-Interaction gewinnen geeignete Interaktionsmöglichkeiten an Bedeutung. Stark ausgeprägt sind selbstverantwortliche Autonomie und dezentrale Führungs- und Steuerungsformen
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
129
sowie eine erweiterte kollaborative Arbeitsorganisation. Langjährige Erfahrung qualifizierter Mitarbeiter zur Beurteilung und Lösung von Ausnahmesituationen, kombiniert mit den informationstechnischen Werkzeugen des
Industrie 4.0 Konzepts, ergeben neben hoher Effizienz auch neue Entfaltungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter.
Neben dem Menschen existieren weitere Industrie 4.0-relevante Entitätenklassen, wie Maschinen und Anlagen, Produkte sowie Informationssysteme. In diesem Kontext wird oftmals der Begriff der intelligenten Maschine
geprägt (Bauerhansl 2014, S. 60f.), welcher durch die Kommunikationsmöglichkeiten der Maschinen zu weiteren Entitäten der Fabrik und deren
situationsspezifischer Modifikation von Bearbeitungsparametern gekennzeichnet ist. Das Produkt führt relevante Informationen in Form von z.B.
Barcode oder Mikrochips (bspw. RFID-Chip) durch den Bearbeitungs- und
Wertschöpfungsprozess mit. Es kann jederzeit selbstständig die Informationen aktualisieren und mit notwendigen Zusatzinformationen versehen,
z.B. ein Eilauftrag mit besonderer Bemerkung, sodass diese Information
den Mitarbeitern bei Bedarf zur Verfügung steht. Aufgrund der sich abzeichnenden Tendenz der Auflösung der Strukturen der klassischen Automatisierungspyramide (Vogel-Heuser et al. 2009) werden sich auch die
Informationssysteme in ihrer Struktur und vor allem in ihren Aufgabenfeldern und Funktionen ändern.
Trotz dieser vielschichtigen technologieinduzierten Veränderungen stellt
eine menschenleere Fabrik aus technologischen und ökonomischen
Gründen keine realistische Perspektive dar. Das nächste wesentliche
Element, neben den Akteuren, ist die Organisationsform der Fabrik der
Zukunft. Zwei Arten von Organisationen erweisen sich im neuen Kontext
als denkbar: Einerseits eine Organisation, die aus hochqualifizierten Experten und technischen Spezialisten auf der dispositiven Ebene besteht,
deren Aufgaben streng getrennt sind und auf der ausführenden Ebene
Fachkräfte, deren Handlungsspielraum sich weiter limitieren wird. Andererseits eine Organisation die größtenteils aus locker vernetzten hochqualifizierten Fachkräften mit großem Handlungsspielraum auf übergreifender
Handlungsebene besteht, deren Aufgaben fachübergreifend sind (HirschKreinsen 2014). Wesentliche Charakteristika hierbei sind ein hoher Grad
an Dezentralisierung sowie eine geringe Spezialisierung der Mitarbeiter,
was den Anforderungen der tiefgreifenden Vernetzung und Verteilung in
Industrie 4.0 entgegenkommt. Darüber hinaus werden zukünftig klassische
Entscheidungs- und Eskalationsstufen überholt sein und Mitarbeiter möglicherweise Entscheidungskompetenzen an technische Entitäten verlieren.
130
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
2.2
Qualifikationen im Kontext von Industrie 4.0
Nach Becker (2005, S. 4) umfassen Qualifikationen Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensmuster eines Individuums. In Abgrenzung
zum Qualifikationsbegriff beinhalten Kenntnisse (knowledge) sowohl explizites als auch stillschweigendes Wissen und sind abgegrenzt von den
Fähigkeiten (abilities), welche das kognitive, psychische und physische
Handlungspotential bilden. Kenntnisse sind abhängig von angeborenen
Anlagen und Umwelteinflüssen. Fertigkeiten (skills) werden erlernt. Beeinflusst durch Fähigkeiten, erlerntes Wissen, Motivation, Wille und Erfahrung
stellen sie das Können einer Person dar. Das Wissen, Können, Wollen
und Dürfen bezogen auf bestimmte Anforderungen wird als Kompetenz
bezeichnet. Der beobachtbare Erfolg aus Qualifikation und Kompetenz in
Hinblick auf Zielfaktoren (z.B. Effizienz) lässt sich durch den Begriff Performanz, „der tatsächlichen und messbaren Leistung eines Individuums
bzw. einer Organisation“ (Becker 2005, S. 11), beschreiben. Qualifikationen sind ein personenbezogenes Arbeitsvermögen, bestehend aus unterschiedlichen Kompetenzfacetten. Bei der Fachkompetenz beispielsweise
handelt es sich um die Fachkenntnisse, Arbeitstechniken oder Fertigkeiten.
Laut einer Umfrage der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (GMA) sind für die Verwirklichung der Industrie 4.0 in
Deutschland die Faktoren Qualifikation, Geschwindigkeit und Infrastruktur
von entscheidender Bedeutung (Bettenhausen, 2014), um die erwartete
Produktivitätssteigerung und den volkswirtschaftlichen Nutzen aus der
angestrebten Technologieentwicklung zu ziehen.
Da bei der Industrie 4.0 die gesamte Arbeitsumgebung von Unternehmen
betroffen ist, müssen die notwendigen Qualifikationen der unterschiedlichen Entitäten neu definiert werden. Anforderungen an die Qualifikation
der Mitarbeiter sind: interdisziplinäre Fach- und Methodenkenntnisse, steigende sozial-kommunikative Kompetenzen, aktivitäts- und umsetzungsorientierte Kompetenzen sowie die Beherrschung der zunehmenden Komplexität von Technologien und Arbeitsweisen, selbstverantwortliches
Arbeiten und Organisationskompetenz (Böhle et al. 2013).
Für die Entwicklung und Einführung neuer Technologien, die auf multidisziplinären, softwaregesteuerten und vernetzen Systemen basieren, sind
gut ausgebildete Spezialisten mit fachlichem Know-How, das berufsübergreifend eingesetzt wird, notwendig (Baum et al. 2013, S. 31; Frenz et al.
2012). Da ihre Aufgaben sich ständig ändern, müssen Mitarbeiter für le-
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
131
benslanges Lernen mittels berufsübergreifender Schulungen, Fortbildungsteilzeiten oder Training-on-the-job-Maßnahmen bereit sein (Groche
et al. 2014). Das Bildungsangebot wird durch neue duale Angebote sowie
Studiengänge wie Wahrnehmung, Robotik oder Kognition erweitert (Botthof/Hartmann, 2015, S. 55). Weiterhin soll die soziale Kompetenz – Soft
Skills, wie Zuverlässigkeit, Flexibilität, Zielstrebigkeit, Anpassungsfähigkeit
oder Kreativität – weiter entwickelt werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Mitarbeiter zu sensibilisieren, ihre Motivation zum Weiterlernen zu
erhöhen sowie fehlendes Wissen und Fähigkeiten zu ergänzen.
3
Transformationsszenarien
Für die Festlegung der Qualifikationen der Entitäten ist die genaue Kenntnis über ihre Aufgabenanforderungen und -erfüllungen während der Prozessausführung notwendig. Die Transformation bestehender Fabriken in
Fabriken der Zukunft kann einerseits kurz- und mittelfristig mithilfe realer
oder fest zu erwarteter Größen beschrieben werden, andererseits bedarf
die langfristige Perspektive eine derzeit auf die Industrie 4.0-Vision bezogenen Planung. Dies betrifft insbesondere die unternehmensweiten Prozessverläufe mit allen relevanten Elementen – Ablauf, beteiligte Akteure,
Schnittstellen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen die Transformationsszenarien und (hier konkret) die Qualifikationsaspekte unter zwei verschiedenen Betrachtungswinkeln analysiert werden: 1.) Zum Einen sollen
in Bezug auf die bereits bekannten und geplanten kurz- und mittelfristigen
Veränderungen prozessbezogene Maßnahmen konzipiert und gestaltet
werden. Hierzu ist die Rolle der Ansätze des prozessorientiertes Wissensmanagements zu betonen. 2.) Zum Anderen sind visionäre Qualifizierungskonzepte notwendig, die keine konkreten Prozessabläufe adressieren, jedoch die Prozessbezogenheit der Weiterbildung an sich
berücksichtigen. Diese zweite visionäre Perspektive wird nachfolgend in
Kapitel vier dargestellt.
Ausgangspunkt für die Szenariobildung bildet ein Anwendungskontext, der
direkt mit technologischen, aufgaben- und prozessbezogenen sowie personellen und individuellen Veränderungen verbunden ist. Diese Veränderungen weisen eine dynamische Natur auf und sind operativ sowie strategisch in der Weiterentwicklung des Unternehmens verankert. Vor diesem
Hintergrund sollen folgende zwei Szenarien berücksichtigt werden:
132
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
3.1
Szenario 1 (Gestaltung einer inkrementellen Veränderung)
Auf Managementebene wird in einem großen Unternehmen entschieden,
Teile eines Produktionsbereichs als Industrie 4.0-Inseln zu gestalten.
Hierzu handelt es sich um ein Aufgabenbereich, der mit der gesamten
Produktion verknüpft ist. Beispielhaft sollen dort erstmalig neue
Technologien eingeführt, die Aufgaben und Prozesse entsprechend
modifiziert und Mitarbeiter diesbezüglich qualifiziert werden. Dieser vom
Wandel betroffene Bereich funktioniert bis auf Weiteres unabhängig von
den anderen Bereichen, die von der Veränderung zuerst nicht betroffen
sind. Es existieren jedoch inselübergreifende prozessrelevante
Schnittstellen, die bei der Gestaltung der Maßnahmen nicht außer Acht
gelassen werden dürfen.
3.2
Szenario 2 (Gestaltung einer radikalen Veränderung)
Im zweiten Fall wird ebenso auf Managementebene in einem
Großunternehmen entschieden, einen gesamten Produktionsbereich unter
Industrie 4.0-Bedingungen neu einzurichten. Es entstehen neue Prozesse,
in denen das Zusammenspiel neuer technischer Entitäten mit bereits lange
im Unternehmen beschäftigten menschlichen Akteuren verknüpft werden
muss. Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen neue Industrie 4.0Aufgaben. Alle relevanten Aufgabenebenen in diesem Produktionsbereich
sind vom Wandel betroffen und durch eine gemeinsame Strategie sowie
durchgehende technische Lösungen miteinander verknüpft, wobei die
Schnittstellen entsprechend mitgestaltet werden.
Die betroffenen Mitarbeiter werden mit neuen Strukturen und
Aufgabenfeldern konfrontiert, die nicht mehr vertraut und unter Umständen
noch nicht völlig planbar sind. Das betrifft, wenn auch auf unterschiedliche
Weise, beide Szenarien:
Für die Betroffenen der radikalen Veränderung (Szenario 2) bedeutet der
Wandel ein Umdenken in Bezug auf ihre technischen-, sozialen- und
Entscheidungskompetenzen, bedingt durch die neuen technischen
Akteure. Weiterhin kann die vermeintliche Vorreiterrolle innerhalb des
Unternehmens als zusätzlicher Druck und Unsicherheit empfunden
werden,
verstärkt
durch
fehlende
Referenzbeispiele
und
Vergleichsmöglichkeiten. Die Gefahr, dadurch in Isolation zu geraten,
steigt. Tatsächliches oder empfundenes Scheitern kann unter Umständen
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
133
ebenso ein Hindernis für die Akzeptanz der Veränderung sein. Ein
ständiger Ist-Soll-Vergleich der Strukturen und Strategien sowie die
Anpassung von Qualifizierungsmaßnahmen ist für das Aufdecken von
Prozess- und Strukturdefiziten und fehlenden Kompetenzen notwendig
Positiv bei dieser Art des Wandels ist die Fokussierung aller Maßnahmen
und Bemühungen auf ein Ziel und auf die Veränderung. Deren Gestaltung
wird zur Meta-Aufgabe, welche unterschiedlichste Herausforderungen
adressiert und impliziert. Wichtig vor diesem Hintergrund ist bei der
Gestaltung der Maßnahmen genau diese Tatsache in den Mittelpunkt zu
stellen und die Entwicklung und nicht lediglich die Auslebung eines neuen
Prozesses betont als Ziel zu erklären.
Im Unterschied dazu besteht im Szenario der inkrementellen Veränderung
die Herausforderung darin, die auf die Industrie 4.0-Insel bezogenen
Aufgaben von den anderen potentiell anfallenden Aufgaben dieser
Mitarbeiter im Betrieb zu trennen. Durch die Vermischung von alten und
neuen Arbeitsfeldern besteht die Gefahr, das neue Konzept nicht zu
akzeptieren und im schlimmsten Fall nicht bewusst wahrzunehmen. Die
isolierte Einführung erlaubt es unter Umständen nicht, die ganze Industrie
4.0-relevante Breite der Funktionen neuer technischer Entitäten
aufzuzeigen und zu nutzen. Entscheidungsbezogene Veränderungen, bei
denen den technischen Entitäten relevante Kompetenzen zugeschrieben
werden, werden hier ebenso außer Acht gelassen, da bedingt durch die
Berücksichtigung der Verknüpfung zu anderen Bereichen mit alten
Strukturen nicht alle entscheidungsrelevanten Situationen abgedeckt
werden können. Ebenso erschwert der kontinuierliche Vergleich zwischen
„alt“ und „neu“ in Problemsituationen die Akzeptanz der neuen Strukturen,
bedingt durch psychologische Effekte und das Vorziehen bekannter und
erprobter Lösungsmuster, auch wenn die neuen Vorteile mit sich bringen.
Die Entwicklung eines Qualifizierungskonzeptes für die betroffenen
Mitarbeiter stellt eine weitere Herausforderung dar. Die neuen
Qualifikationen gilt es maßgeschnitten zu entwickeln, sodass einerseits
der Bezug zu der bisherigen Rolle erhalten bleibt und andererseits die
Veränderungen und neuen Aufgabenfelder berücksichtigt werden.
In beiden Fällen ist ein durchdachtes und klar kommuniziertes Konzept am
Anfang des Veränderungsprozesses unentbehrlich. Kriegesmann et al.
(2013) verweisen auf die Bedeutung der Schlüssigkeit des Konzeptes und
der Umsetzungsschritte sowie auf die Aufklärung aller Mitarbeiter.
134
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
In diesem Kapitel wurde dargelegt, dass sowohl für radikalen als auch für
inkrementellen Wandel die Ausprägungen und Schwerpunkte bei den
Maßnahmen unterschiedlicher Natur sind. Zur Steigerung der Akzeptanz
der Mitarbeiter ist bei radikalem Wandel in der Anfangsphase die
strategische Notwendigkeit der Transformation in den Vordergrund zu
stellen. Wohingegen bei inkrementellem Wandel die kontinuierliche
Verbesserung der Prozesse und Aufgaben mittels neuer Technologien und
deren Unterstützungsfunktion im Arbeitsprozess zu betonen sind.
4
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte
Das prozessorientierte Wissensmanagement kombiniert Ansätze des
Geschäftsprozessmanagements (Gronau/Müller 2005, Gronau et al. 2005,
Becker et al. 2000, Remus 2002, Hinkelmann et al. 2005, Fettke/Loos
2004, Scheer 1998) und des Wissensmanagements und strebt an, den
Wissensaustausch entlang und zwischen den Geschäftsprozessen
transparent zu machen und gezielt zu fördern. Dabei werden der
humanorientierte
und
der
technologieorientierte
Ansatz
des
Wissensmanagements
durch
eine
Betrachtung
entlang
der
Geschäftsprozesse integriert. Der Mensch als Aufgabenträger im
Geschäftsprozess wird bei der Erledigung seiner Aufgaben gefördert,
sodass er relevantes Wissen schnell findet und neues Wissen für andere
schnell verfügbar machen bzw. aufbereiten kann.
Die Betrachtungsperspektive der Wissensträger muss dabei um die neuen
technischen Entitäten erweitert werden. Unterschieden wird hierzu
zwischen (Amelingmeyer 2004, S. 55ff.):
1. Personen als Wissensträger – Mitarbeiter unterschiedlicher Bereiche und Hierarchieebenen eines Unternehmens.
2. Materielle Wissensträger – dazu gehören Maschinen, technische
Geräte oder Produkte, die eine Speicherung und Verarbeitung von
Informationen ermöglichen.
3. Beide Arten von Wissensträgern können weiterhin als „kollektive
Wissensträger“ aufgefasst und als eine Einheit zusammengefasst
werden, wie beispielsweise Teams, Arbeitsgruppen oder Abteilungen. Diese können ein Gesamtwissen aufweisen, das über die
Summe des Wissens eines einzelnen Wissensträgers hinausgeht.
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
135
Im Zuge der Veränderungen steigt die Bedeutung einer gezielten
Wissensteilung im Unternehmen. Die Digitalisierung und der veränderte
Kommunikationsrahmen bezüglich der technischen Entitäten durchdringen
Unternehmen jeder Größe. Sowohl erfahrene Mitarbeiter als auch junge
Fach- und Führungskräfte müssen sensibilisiert und zusätzlich qualifiziert
werden. Die Methoden des Wissensmanagements zielen auf den
verbesserten Umgang mit Wissen (vgl. Gronau 2009), beziehen sich aber
häufig auf die Etablierung geeigneter organisationaler Strukturen für den
Wissenstransfer (z. B. Mentorenprogramm, Communities of Practice,
Qualitätszirkel). Doch insbesondere der Mitarbeiter ist eine kritische Größe
im Wissenstransferprozess (vgl. Werner 2004, S. 142). Daher müssen
dessen Fähigkeiten zur Wissensweitergabe und -aufnahme geschult und
die damit verbundenen Kompetenzen gesichert werden.
Neben
den
Qualifikationsinhalten,
die
für
eine
erfolgreiche
Implementierung von Industrie 4.0 notwendig sind, ändert sich das Setting
der Vermittlung und Vernetzung von Wissen zum Aufbau der relevanten
Kompetenzen. Ein Zusammenspiel technischer und pädagogischdidaktischer Aspekte kann hierzu besonders nützlich sein und ist mithilfe
digitaler Medien möglich.
Nachfolgend werden zwei Qualifizierungskonzepte vorgestellt, die das
Lernen in innovativen Kontexten sowie für den Umgang mit technischen
Entitäten in den Mittelpunkt stellen und dadurch das Industrie 4.0Paradigma adressieren.
4.1
Digitales Bildungsspiel
Im Mittelpunkt steht die Entwicklung eines Spielkonzepts zum Aufbau und
zur Entwicklung der notwendigen Kompetenzen für den Wissenstransfer.
Dadurch wird der Bedarf einer neuen Lerngeneration, den „millennials“
(digitale natives) (vgl. Heiden et al. 2011, S. 460), nach selbstbestimmtem
Lernen
(vgl.
Beck
2011)
durch
den
Einsatz
von
Kommunikationstechnologien berücksichtigt. Zugleich werden für „digital
immigrants“
(vgl.
Randers
2012,
S.
262)
neben
den
(Wissens-)Transferfähigkeiten
auch
wichtige
Qualifikationen
im
Informationszeitalter geschaffen (vgl. Leidig 2002). Somit werden die
erforderlichen innovationsförderlichen Kompetenzen gezielt aktiviert.
Digitale Bildungsspiele (Serious Games) bieten eine nachhaltige Lösung,
um die Qualifikationsprofile beider Generationen zu verbessern und den
136
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
effizienten Wissenstransfer von einer zur nächsten Generation
sicherzustellen. Weiterhin kommt der Einsatz von digitalen Bildungsspielen
insbesondere KMU’s entgegen, da Kapazitäten und Ressourcen für die
Präsenzlehre an einem anderen Ort häufig knapp sind (vgl. Heiden 2011,
S. 242).
Bildungsspiele werden als handlungsorientierte Methode für die
Vermittlung komplexer Zusammenhänge immer wichtiger. Lernende
übernehmen die Rollen diverser Akteure innerhalb eines vorgegebenen
Szenarios und können darin ablaufende Vorgänge selbst erfahren (vgl.
Leidig 2002). Ergänzende Informationen und weitere Materialien können
ohne großen technischen und zeitlichen Aufwand somit gleich direkt in das
Spielgeschehen (Verhandlungen) integriert werden. Zudem können mehr
Personen über große Entfernungen eingebunden werden als bei realen
Planspielen. Digitale Simulation ermöglicht das tatsächliche Eingreifen in
fiktive Systeme durch die Spielenden und lässt komplexe Wirkungsgefüge
durch Interaktionen und Immersion durch Eintauchen in das
Spielgeschehen erfahrbar und verständlich werden. Blogs, Wikis, Foren
sowie die Integration spielerischer Elemente und der Rückgriff auf ggf.
gespeicherte Spielstände mit Feedbackfunktion können eine höhere
Motivation der Teilnehmer erzeugen (vgl. Krenn et al. 2007, S. 62). In der
Erwachsenenbildung
werden
multimediale
Planspiele
zur
computergestützten Simulation von betriebswirtschaftlichen Verhalten und
Abläufen seit geraumer Zeit verwendet (vgl. Blötz 2005).
Bisherige computergestützte Bildungsspiele lassen vielfach die
persönliche Interaktion und das soziale Lernen unbeachtet und
fokussieren die technischen Möglichkeiten (vgl. Rappenglück 2010). Die
Berücksichtigung sozialer Interaktion ist jedoch unabdingbar, da die
Schulung der Sozialisationsfähigkeit in der Gruppe Bestandteil der zu
vermittelnden Lerninhalte ist (vgl. Lattemann et al. 2009). Durch die
Kombination aus Einzel- und Teamspielen können die Fähigkeiten des
Wissenssenders sowie -empfängers und die Sozialisationsfähigkeit in der
Gruppe erhöht werden. Weiterhin sollen Anreize für selbstorganisiertes
Lernen in konkreten Arbeitssituationen entwickelt und erprobt werden. In
diesem Zusammenhang ist die Entwicklung und Anwendung einer
Diagnostikfunktion von Bedeutung, um das für den Spieler relevante Level
zu ermitteln und für ihn interessante Spielinhalte anzubieten. Auf diesem
Weg werden die für den Lernprozess notwendigen motivationalen Aspekte
berücksichtigt und im Spiel umgesetzt. Außerdem wird die metakognitive
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
137
Kompetenz des Einzelnen zum Erkennen eigener Lernnotwendigkeiten
gefördert. Dies dient dem Erhalt der Handlungs- und Leistungsfähigkeit.
Ungeachtet der Tatsache, dass der Fokus auf den persönlichen
Fähigkeiten der Transferbeteiligten liegt, dürfen Aspekte der Teilungs- und
Aufnahmebereitschaft nicht vollständig unbeachtet bleiben. Diese sollen
durch die Erarbeitung eines Organisations- und Führungskonzepts
berücksichtigt werden.
4.2
Hybride Lernfabrik
Bei diesem innovativen und hochflexiblen Instrument können sich die am
Prozess beteiligten Akteure in einer geschützten Lernumgebung sowohl
Fach-, Methoden-, Sozial- und Persönlichkeitskompetenzen weiterentwickeln. So werden zum Einen ihre individuellen Fähigkeiten erhöht.
Zum Anderen wird die betriebliche Innovationsfähigkeit erhöht.. Ein
Bestandteil des Konzepts ist ebenso die Implementierung und
Institutionalisierung eines modularen Werkzeugkoffers als Basis für
weitere innovative Lösungen und Ideen in den Bereichen Kompetenz-,
Personal- und Organisationsentwicklung.
Das
Konzept
fokussiert
zwei
Verantwortungsträger
für
die
Zusammenstellung von heterogenen Arbeitsgruppen: Führungskräfte und
Mitarbeitervertreter. Diesen werden Werkzeuge an die Hand gegeben, um
in einem gemeinsam verantworteten Vorgehen zunächst relevante
Kernprozesse in der Wertschöpfungskette zu identifizieren. Im Fokus
stehen Prozesse, die auf Grund einer hohen Anzahl an Schnittstellen,
Ähnlichkeiten untereinander sowie Chancen für den Wissensaustausch ein
besonders hohes Innovationspotenzial bieten. In einem nächsten Schritt
werden zur Bildung der Arbeitsgruppen die relevanten Teilnehmer für die
Prozesse festgelegt und Prozessmodelle erstellt. Diese Prozessmodelle
können zur Gestaltung des Instrumentariums sowie zur späteren
Evaluation der Entwicklung von quantitativen und qualitativen
Prozesskennzahlen und der Wissens- bzw. Kompetenzstände der
Mitarbeiter herangezogen werden. Prozessmodellierung und Aufbau der
Arbeitsgruppen gehen immer Hand in Hand. Die Rolle der
Mitarbeitervertretung als qualifizierter Partner der Führungskräfte sichert
dabei
die
Balance
der
Arbeitsgruppe
und
nachhaltig
die
Sozialverträglichkeit der zu gestaltenden Prozesse.
138
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
Für die zu erstellenden Arbeitsgruppen müssen die Eingangsgrößen in
ausreichender Heterogenität und Ausgewogenheit repräsentiert sein. Dies
beschränkt sich in einem ersten Schritt auf die unterschiedlichen
Statusgruppen (Werker, Meister, Schichtleiter) mit ihren originären
Kompetenzen.
Durch
die
Kombination
mehrerer
heterogener
Arbeitsgruppen wird in einem nächsten Schritt mit den nachfolgend
dargestellten Methoden ein Interaktions-, Lern- und Innovationsfeld
eröffnet, in dem kooperative und partizipative Lösungsansätze angesichts
unterschiedlicher Arbeitsroutinen und -abläufe entwickelt werden müssen.
Das Qualifizierungskonzept adressiert zwei Ansätze, anzuwenden
innerhalb der heterogenen Arbeitsgruppen: 1.) Erprobung von Methoden
und Maßnahmenkombinationen, die auf die Identifikation von
Kompetenzbedarfen abzielen und darüber hinaus Kompetenzen
prozessbegleitend und arbeitsnah entwickeln und die partizipativen
Innovationsaktivitäten fördern. 2.) Die Einrichtung einer hybriden
Lernfabrik, welche eine Mischung aus realer Trainingsanlage und
Computersimulation darstellt. Beide Ansätze existieren losgelöst
voneinander und haben in Wissenschaft und Wirtschaft weite Verbreitung
gefunden. Als einzigartige Synthese aus beiden Ansätzen bietet der
hybride Ansatz sowohl schnelle Rekonfigurierbarkeit als auch das
haptische und visuelle Erleben des Prozesses. In einer Lernsequenz
werden die Ausgangsprozesse erfasst und visualisiert. Anschließend
werden
gemeinsam
Prozessvarianten
eines
typischen
Bearbeitungsprozesses getestet und diskutiert. Mit der hybriden Lernfabrik
werden partizipative und grenzüberschreitende Innovationsleistungen in
einer spielerischen und geschützten Umgebung entwickelt und unter den
heterogenen Interessenperspektiven ausgehandelt. Jede Lernsequenz
sollte dabei fachkundig unter Kompetenzentwicklungsgesichtspunkten
begleitet und beobachtet werden. Hieraus wird eine Gapanalyse erstellt,
die mit vorhandenen Methoden bedarfsgerecht abgedeckt wird, um die
erforderliche
Kompetenzfelder
modular
und
prozessspezifisch
anzusteuern.
Die gewählte Methodensynthese zielt darauf ab, innerhalb einer
Wertschöpfungskette
im
Sinne
eines
innovationsförderlichen
Kompetenztransfers und Kompetenzaufbaus einen grenzübergreifenden
geschützten und hoch fehlertoleranten Lernraum mit moderierten
Rahmenbedingungen zu eröffnen. Dieser dient der spielerischen
Überwindung
entscheidender
Hemmnisse
und
Barrieren
des
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
139
Kompetenzflusses. Weiterhin werden Workshops zur kreativen und
partizipativen Strategiebildung und zum gezielten Aufbau von
innovationsförderlichen
und
grenzüberschreitenden
Sozialund
Persönlichkeitskompetenzen durchgeführt. Dies wird im Rahmen von
Open-Space-Workshops umgesetzt, bei denen sich heterogene
Arbeitsgruppen in selbstdefinierten Themenfeldern zusammenfinden. Die
Methode eignet sich insbesondere, weil mit ihr auf partizipative Weise
neue und innovative Lösungen für offene Fragestellungen im
Wertschöpfungsprozess erarbeitet werden können und sie den Raum für
hierarchiefreie und interessengeleitete Kooperationen öffnet.
Aus der Erprobung der Instrumente und der Begleitung der Arbeitsgruppen
wird ein Kompetenzmanagementmodell entwickelt, das die individuelle
und die betriebliche Ebene verbindet. Von besonderer Bedeutung sind
dabei Bereiche der Kompetenzüberschneidung, die in der Lernsequenz
intensiviert oder verschoben werden sollen. Die Beschäftigten können
über diese Art des Self-Assessments ihr persönliches Kompetenzprofil
berufsbegleitend weiterentwickeln, sich Qualifikationen angrenzender
Berufsfelder aneignen oder soziale sowie methodische Kompetenzen
erwerben. Auf der betrieblichen und überbetrieblichen Ebene wird die
Kompetenzsynthese durch gegenseitigen Erfahrungsaustausch und
gemeinsame Innovation am Arbeitsplatz untersucht. In der Prozess- und
Wertschöpfungskette werden dadurch Kompetenzlücken geschlossen und
Kompetenzpotenziale genutzt. Das Kompetenzmanagementmodell dient
weiterhin als Grundlage für die Einrichtung des modularen
Werkzeugkoffers, der die erprobten, validierten und transferierbaren
Instrumente in Steckbriefform, als eine Kombination aus individuellem und
betrieblichem Kompetenzmanagement, zusammenfasst.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Durch den Trend hin zur automatisierten und selbstgesteuerten Produktion
ergeben sich neue Herausforderungen für die Industrie. Neben den
bestehenden physischen Komponenten der intelligenten und vernetzten
Fabrik sind in Zukunft neue Qualifikationen und Arbeitsformen bei der
Maschinenbedienung und Prozesssteuerung notwendig. Digitale Medien
liefern dazu einen Beitrag auf unterschiedlichen Ebenen. Der Beitrag
adressiert vor diesem Hintergrund die Planung der Personalentwicklung
sowie den Einsatz von multimedialen Vermittlungsformen (Digitale
Bildungsspiele, Hybride Lernfabrik). Beide Betrachtungsebenen sind
140
Norbert Gronau, André Ullrich, Gergana Vladova
notwendig, um Unternehmen bei der Transformation hin zur Industrie 4.0
zu begleiten und Fachkräfte zu sichern und nachhaltig zu entwickeln.
Dabei ist insbesondere die Prozessbezogenheit der Weiterbildung zu
betonen, welche idealerweise unmittelbar am Arbeitsplatz und im Rahmen
des entsprechenden Arbeitsprozesses verortet ist.
Derzeit
stehen
sowohl
Unternehmen
als
auch
Ausund
Weiterbildungsträger vor der Frage, welche Qualifikationen für die
Einführung
und
den
Betrieb
neuer
computergesteuerter
Produktionssysteme notwendig sind. Insbesondere die Aspekte der
Entwicklung in Richtung der Industrie 4.0 verlangen ein breiteres
Verständnis, das über die rein technische Qualifikation hinausgeht.
Unterschiedliche Mitarbeiter aus den Bereichen Arbeitsorganisation,
Logistik und Prozessplanung müssen das neue Produktionssystem
gemeinsam implementieren und im laufenden Betrieb unterhalten.
Technisches- und methodisches Wissen sowie soziale Kompetenzen
greifen dabei ineinander. Da sich die oben beschriebenen Veränderungen
der Produktionstechnik teilweise rasant vollziehen, müssen unter
Berücksichtigung des Fachkräftemangels und des demografischen
Wandels, nicht nur zukünftige Generationen für die Handhabung
vorbereitet werden. Auch die bereits bestehende Belegschaft muss
entsprechend qualifiziert werden.
Die skizzierten zwei Szenarien weisen zwei alternative Formen der
Veränderung zu Industrie 4.0-Fabriken auf - im Zuge eines radikalen oder
eines
inkrementellen
Wandels.
Parallel
dazu
wurden
die
Weiterbildungskonzepte der Digitalen Bildungsspiele sowie der Hybriden
Lernfabrik vorgestellt. Auch wenn der Einsatz beider Konzepte für jedes
der beschriebenen Szenarien denkbar ist, würde der Aufbau und Nutzung
der Hybriden Lernfabrik im Rahmen der radikalen Veränderung mehr
Vorteile mit sich bringen, als das Konzept der Serious Games. Das
allumfassende Gesamtkonzept, welches durch die Hybride Lernfabrik
angeboten wird, ermöglich eine umfangreiche und fokussierte
Vorbereitung auf die Veränderungen. Dies entspricht den Gegebenheiten
in Szenario 2, in welchem die neuen Industrie 4.0-Abläufe und Strukturen
im Mittelpunkt stehen. Im Unterschied dazu eignet sich das Konzept der
Serious Games besser für die Begleitung der inkrementellen Veränderung
(beschrieben in Szenario 1). Die spielerische Lernumgebung kann als ein
Bestandteil der prozessbezogenen Weiterbildung gesehen werden, durch
das die Mitarbeiter allmählich und parallel zu ihren aktuellen täglichen
Prozessbezogene und visionäre Weiterbildungskonzepte im Kontext Industrie 4.0
141
Aufgaben für die neuen Aufgaben und auf die neuen Prozesse vorbereitet
werden.
Die selektive Einbettung digitaler Medien in den Lernprozess führt später
zur schnelleren Erlernbarkeit von und einem ungezwungenen Umgang mit
neuen Technologien. Um die Lücke in der Medienkompetenz zu
überbrücken,
ist
es
notwendig,
die
Eignung
bestehender
Vermittlungsmethoden zu überprüfen und um neue Methoden zu
ergänzen. Der Schwerpunkt liegt hierbei zunächst auf der
Selbststeuerung. Bisherige Aus- und Weiterbildungsangebote sind stark
an den Vermittelnden gebunden. In einer Klassenraumatmosphäre oder
unter Anleitung des Ausbilders werden bestimmte einzelne Tätigkeiten
erlernt und vertieft. Darüber hinausgehende Angebote beziehen häufig eLearning Komponenten mit ein. Diese werden dann individuell bearbeitet.
Es sind jedoch Konzepte der Erhöhung der Lernmotivation notwendig, um
diese Form des selbstgesteuerten Lernens nachhaltig in den
Wissenserwerbszyklus zu integrieren.
Danksagung
Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird mit Mitteln des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im
Rahmenkonzept „Forschung für die Produktion von morgen“
(Förderkennzeichen: 02PJ4040 ff) gefördert und vom Projektträger
Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser
Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
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Becker, J., Schütte, R., Geib, T., Ibershoff, H., 2000. Grundsätze: Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung (GoM)/Westfälische Wilhelms-Universität Münster– Institut für Wirtschaftsinformatik, IDS Scheer AG, Josef Friedr. Bremke & Hoerster GmbH & Co. 3 2000.
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Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
145
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0
im Rahmen eines Planspielszenarios – Simulation
und Evaluation
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Mit welchen Kompetenzanforderungen unter Industrie 4.0 sind Ingenieure
konfrontiert und wie lassen sich die benötigten Kompetenzen im Rahmen
eines Simulationsansatzes am Beispiel von integrierten Produkt-ServiceSystemen (IPSS) zeitlich komprimiert entwickeln? Der vorliegende Beitrag
erarbeitet zu dieser Fragestellung zunächst eine Übersicht empirischer
Befunde zu den sich wandelnden Kompetenzanforderungen im Ingenieurskontext, wonach vor allem die kognitiven Anforderungen in Kombination mit kommunikativen, vermittlerischen Leistungsanforderungen steigen.
Zur Herausforderung der Kompetenzentwicklung werden anschließend die
theoretische Modellierung einer eigenen IPSS Business Simulation und
die Expertengestützte Validierung des Eingangsszenarios vorgestellt. Die
Ergebnisse der Validierung unterstützen die inhaltliche Plausibilisierung
der Simulation, wonach periodentypische Bewältigungsstufen spezifische
Wissens- und Kompetenzanforderungen stellen, die den Anforderungen
des realen IPSS Betriebs in hohem Maße ähnlich sind. Außerdem wird
konstatiert, dass durch die Simulation im Eingangsstadium vor allem kognitive und emotionale Prozesse zur Komplexitätsbewältigung auslöst werden. Es zeigt sich, dass bereits das Einstiegsszenario weiterführende Prozesse des reflexiven Wissenserwerbs und eines tiefergehenden
Verständnisses über intelligente Integrationsmechanismen von Produkt
und Service anstößt. Aufbauend auf diesen Ergebnissen lässt sich mit
Hilfe des vollständigen Simulationsszenarios zukünftig eine dezidierte
Erfassung des IPSS-spezifischen Kompetenzzuwachses vornehmen.
Hierdurch wird ein zielgerichteter Einsatz für die komprimierte Kompetenzentwicklung in Richtung Industrie 4.0 in Lehre und Weiterbildung abgesichert.
1
Industrie 4.0 als Untersuchungsfeld für die Kompetenzforschung
Mit dem Wandel der Produktionsarbeit im Kontext von Industrie 4.0 gehen
Veränderungen der Arbeitsorganisation und des Personaleinsatzes einher
146
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
(Lee 2001; Cummings/Bruni 2009; Lee/Seppelt 2009; Wilkens et al. 2015).
Diese betreffen alle operativen und dispositiven Aufgaben- und Funktionsfelder. Die sich abzeichnenden technologisch bedingten Umwälzungen der
Produktionsarbeit fordern mehr planende, steuernde und kontrollierende
Funktionen, während rein operative Tätigkeiten im direkten Herstellungsprozess abnehmen (vgl. Ernst 2014). Der Anteil kreativ wertschöpfender
Tätigkeiten zur Generierung von Produktionsintelligenz wird bei gleichzeitigem Rückgang geringqualifizierter Repetitivarbeiten insgesamt zunehmen (Spath et al. 2013). Es ergeben sich neue Handlungs- und Autonomiespielräume, die zugleich verbunden sind mit hohen Flexibilitäts- und
Kreativitätsanforderungen. Angesichts der Systemkomplexität kann davon
ausgegangen werden, dass Aufgaben des „trouble shooting“ deutlich an
Bedeutung gewinnen (Uhlmann et al. 2013). Zugleich nimmt in operativen
Arbeitsbereichen der Technikdeterminismus teilweise auch zu (Wilkens et
al. 2014).
Ein wesentlicher Treiber für diese Veränderungen ist die Zielsetzung, die
Erbringung kundenindividueller Problemlösungen (Individualisierung) mit
den Prinzipien der Massenproduktion (Standardisierung, economies of
scale) zu vereinen. Kundenindividualisierte Lösungsangebote werden
dann für traditionelle Produktionsorganisationen möglich, wenn diese effektiv auf den wachsenden Ermöglichungsspielraum vernetzter Technologien zurückgreifen. Aus einer Organisationsperspektive heißt dies, dass
die Logik des Wertschöpfens und Organisieren damit einer weitreichenden
Veränderung unterzogen wird. Der Wandel von einer traditionell goodsdominant logic (GD logic) zu einer kundenintegrierenden service-dominant
logic (SD logic) (Kowalkowski 2010) beschreibt unter dem Servicebegriff –
im deutschsprachigen Raum auch unter dem Begriff der Dienste – einen
neuen Anforderungskontext für die Leistungserbringung. Integrierte
Produkt-Service-Systeme (IPSS) werden definiert als “an integrated product and service offering that enables co-created value in use in the customers’ process, in a mutually beneficial way” (Kowalkowski 2010 S. 291).
Aus der Integration von Produkt-, Service- und Kundenperspektive in einen lebenszyklusorientierten Innovations- und Lernkontext resultiert ein
steigender Bedarf an Überblickswissen und sozialen Kompetenzen, der
die Herausforderungen der rein produktdominierten Logik bei weitem
übersteigt (siehe auch Hirsch-Kreinsen 2014). Die Integration traditionell
eher getrennter Funktionsbereiche potenziert den Interaktionsbedarf verschiedener Personengruppen und Funktionsbereiche. Die hohe Veränderungsdynamik verlangt zudem ein ungewöhnlich hohes Maß an Flexibilität
und Problemlösungsfähigkeit, wobei erschwerend hinzukommt, dass sys-
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
147
temimmanent kaum ein klar definierbarer (End-)Zustand beschrieben werden kann (Wilkens et al. 2014). Entsprechend werden wenig geregelte und
mehr informelle, kooperative Formen der Arbeitsprozesse in besonderer
Weise gefordert werden (Lee/Seppelt 2009; Cummings/Bruni 2009). Aber
wie lassen sich die damit einhergehenden Kompetenzen näher beschreiben und welche Ansätze zu ihrer Entwicklung gibt es? Dieser Beitrag fasst
dahingehende Forschungsergebnisse zusammen und veranschaulicht
darauf aufbauend die Möglichkeiten der Kompetenzentwicklung im Rahmen eines Planspielszenarios.
2
Kompetenzbedarfe und Kompetenzentwicklung im Kontext von
Industrie 4.0
Angesichts der Aktualität der Entwicklung von Industrie 4.0 werden die
damit einhergehenden Kompetenzbedarfe in der einschlägigen Literatur
bis dato zumeist auf konzeptioneller Ebene hergeleitet. Dabei bezieht sich
die Argumentation auf diejenigen charakteristischen Anforderungen, die
sich theoretisch aus dem Szenario der integrierten Produkt-, Service- und
Kundenperspektiven ableiten lassen. Stärker empirisch orientierte Unterfütterungen dieser Annahmen sind demgegenüber noch im Aufbau begriffen. Eine Zusammenschau der Studien verdeutlicht das zunehmende Bemühen, einen durch Industrie 4.0 veränderten Arbeitskontext hinsichtlich
der Anforderungen und Kompetenzen gleichermaßen eindeutig zu definieren. Insofern liegen erste qualitative und quantitative Befunde vor, denen
in diesem Beitrag angesichts der zunehmenden Fokussierung auf IPSS
besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Literaturanalyse zu Kompetenzen im Feld von Industrie 4.0 mit Schwerpunkt IPSS
Autoren
Stichprobe / Forschungsfeld
Zusammenfassung der Hauptaussagen
Argawal/Selen
(2009)
Befragung von 380 Mitarbeitern eines großen Telekommunikationsunternehmens und dessen
Partnerunternehmen
Die Kooperation verschiedener Stakeholder trägt zur Entwicklung übergeordneter dynamischer Fähigkeiten in innovativen Serviceorganisationen bei.
Hierzu bedarf es „higher-order skill sets“
der Kollaboration, des Lernens und des
Managements kreativer Ideen. Diese
„higher-order skills“ werden weiter
präzisiert als customer engagement,
collaborative agility und entrepreneurial
alertness.
148
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Schleidt (2009)
Will-Zocholl
(2011)
Halbstandardisierte Experteninterviews mit 16 Führungskräften aus dem
mittleren Management,
anschließende online
Befragung mit 121 Teilnehmern, ebenfalls aus der
Automobilbranche
42 Experteninterviews von
Ingenieuren im Bereich
der Entwicklung in der
Automobilbranche (ein
Massenfertiger, ein Premiumhersteller und ein
Zulieferer), gestützt und
flankiert durch Dokumentenanalyse
Wilkens et al.
(2013)
Daten der HIS-Studie von
2012, Befragung von 474
berufstätigen Absolventen
der Ingenieurwissenschaften in Deutschland
Ernst (2014)
Daten aus Studie von
2012. Onlinebefragung
unter deutschen Unternehmen
aus Luft- und Raumfahrt,
Automobil- und Automobilzulieferindustrie,
Mikrosystemtechnik,
Maschinenbau und Elektrotechnik. Unterstützung
durch 18 Fallstudien, d.h.
Experteninterviews
(Zink et al. 2013)
Kreative Entwicklungstätigkeiten werden verstärkt durch KommunikationsKoordinationstätigkeiten ersetzt. Gleichzeitig nehmen Dokumentationstätigkeiten und Managementtätigkeiten zu.
Sozial-kommunikative Fähigkeiten
gewinnen gegenüber fachlichen Fähigkeiten zunehmend an Bedeutung.
1. Fähigkeiten, in einem Kontext mit
sich ständig verändernden Strukturen
und Verantwortlichkeiten umzugehen
2. Fähigkeit der effizienten Kommunikation und Kooperation bei Unterstützung durch moderne
IT-Systeme
3. Fähigkeit, die Konsequenzen seines
Handelns abzuschätzen (z.B. bei der
Veränderung von Bestandteilen komplexer technischer Systeme)
4. Fähigkeit, mit einem erhöhten Grad
an Unsicherheit umzugehen
(Will-Zocholl 2011 S. 174f)
Die in der Stichprobe vertretenen Ingenieure aus IPSS-nahen Einsatzfeldern
berichten über steigende Kompetenzanforderungen im Bereich: methodische
Kompetenzen, soziale Kompetenzen,
bereichsspezifisches Wissen, Fachkompetenz und Selbstkompetenz.
Neben Fachkompetenz schätzen die
befragten Ingenieure vor allem systemisches Denken, Selbstreflexionsfähigkeit
sowie Kommunikation und Kreativität
als immer wichtiger werdende Kompetenzen ein (Ernst 2014 S. 358).
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
Ulaga/Loveland
(2014)
Interviews von 38 Führungskräften aus dem
Vertrieb eines produktionsorientierten Unternehmens im B2B Geschäft
nach den Herausforderungen bei der Lösungs- bzw.
Serviceorientierung
Wilkens et al.
(2015)
Voigt (2015)
Befragung von 172 Ingenieuren in Deutschland
Abgrenzung von IPSS zu
produkt- und serviceorientierten Arbeitskontexten
149
Erfolgskritische Fähigkeiten von Vertriebsmitarbeitern bei der Entwicklung
hin zu einem serviceorientierten Lösungsangebot
1. Tiefgreifendes Verständnis der Geschäftsmodelle der Kunden erlangen
2. Management von Kundenerwartungen (geschickt „nein“ sagen statt immer zu einem „ja“ zu gelangen)
3. Entwicklung starker Netzwerke mit
Kunden und Lieferanten Organisationen
4. Immaterielle Werte greifbar und
erlebbar machen
Ausweis einer IPSS-spezifischen Kompetenzkonfiguration aus drei Kompetenzfacetten (Wilkens et al. 2015 S.
223f.):
1. Kombination & Vermittlung
2. Umgang mit Komplexität
3. Beteiligung an kollektiven Lernprozessen
Aus der Übersicht der bestehenden empirischen Befunde ergibt sich, dass
Fähigkeiten zum vorausschauenden Denken und kombinatorischen Handeln in Verbindung mit ausgeprägten kommunikativen und koordinativen
Fähigkeiten zentral sind, insbesondere wenn man sich die Kompetenzanforderungen im Ingenieurarbeitskontext vergegenwärtigt. Damit steigen die
kognitiven Anforderungen in Kombination mit den kommunikativen, vermittlerischen Leistungsanforderungen. Offensichtlich wird aus der Zusammenstellung empirischer Untersuchungsergebnisse auch, dass diese sich
vor allem mit der Ingenieurarbeit befassen, wohingegen die „Qualifikationsanforderungen […] auf den Ebenen des Shopfloor Personals, der
Steuerungs- und Planungsexperten, des unteren und mittleren Betriebsmanagements sowie des betrieblichen Leitungssystems insgesamt“
(Hirsch-Kreinsen 2014, S. 36) noch weitestgehend unspezifisch bleiben
(Spath et al. 2013).
Die Literaturanalyse zeigt zudem, dass insbesondere für das Feld der
Kompetenzentwicklung kaum spezifische Ergebnisse vorliegen. Entsprechend kann vermutet werden, dass die individuelle Kompetenzentwicklung
im Wesentlichen ein Ergebnis von Selektionsmechanismen im Rahmen
150
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
des Personaleinsatzes oder des erfolgreichen Lernens im Prozess der
Arbeit ist (Wilkens et al. 2015). Gegenwärtig lassen sich zumindest keine
systematischen Überforderungen bei Ingenieuren feststellen, die in Industrie 4.0-nahen Arbeitskontexten tätig sind (Mänz et al. 20013). Die Annahme einer bislang kaum systematisierten Kompetenzentwicklung ist insofern schlüssig, als dass ohne Präzision der Kompetenzbedarfe auch kaum
spezifische Entwicklungsmaßnahmen oder Tools definiert sein dürften.
Immerhin finden sich Überlegungen zur Kompetenzentwicklung in verteilten Arbeitsprozessen, die verstärkt auf erfahrungsgeleitetes und selbst
gesteuertes Lernen hinweisen (Meil/Heidling 2005).
Fragt man allgemeiner danach, welche Personalentwicklungsansätze in
entsprechenden Arbeitskontexten als wirksam angenommen werden können, so werden besonders Szenarien, Simulationen, Planspiele, Gamification Elemente oder selbstorganisierte Lernmethoden hervorgehoben (Kriz
2000/Blötz 2003; Werbach/Hunter 2012). Ähnlich lässt sich aktuell vor
allem aus dem Forschungsfeld der Servitization of Manufacturing (erstmals dazu Vandermerwe/Rada 1988) ein Trend zu Gamification erkennen,
wobei Spielteilnehmer die Anforderungen der Produkt-Service-Integration
in realitätsnahen und komplexitätsangepassten Szenarien aktiv erleben
und bewältigen können (Laine et al. 2012; Petridis et al. 2014; Shi et al.
2013).
Diese Ansätze ermöglichen einerseits einen Kompetenzerwerb im Prozess
der Arbeit, erlauben andererseits aber Probehandeln, wobei die Konsequenzen bei Fehlhandlungen oder Scheitern über die Szenarioentwicklung
erlebbar sind, jedoch nicht real verantwortet werden müssen. Die Herausforderung besteht nun darin, dass die von Teilnehmern individuell benötigten Handlungsmuster zur Bewältigung der vorgegebenen Herausforderungen zumindest in der akademischen Literatur bisher noch wenig
spezifiziert wurden (s.o.), während gleichzeitig noch keine Nachweise darüber zu finden sind, inwieweit die Performanzanforderungen der Szenarien
denen der realen Arbeitskontexte hinreichend entsprechen. In diesem Feld
muss also zunächst wissenschaftliches Neuland erschlossen werden.
In den letzten Jahren sind einige Business Games und Simulationen entstanden, die sich auf den Kontext intelligenter Produkte und Dienstleistungen beziehen; darunter beispielsweise eine Gamestorming Simulation mit
Fokus auf das Design und die Entwicklung von IPSS Lösungen (Köster/Sadek 2013) oder das Serious Game namens „iServe“, welches den
Transformationsprozess weg von traditionellen produktorientierter Geschäftsmodellen hin zu serviceorientierten Geschäftsmodellen adressiert
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
151
(Petridis et al. 2014). Neben weiteren Ansätzen wird bereits seit mehreren
Jahren das Boardgame „EDIPS“ im Kontext von IPSS eingesetzt, um Nutzer mit der Philosophie integrierter Produkt-Service Lösungen vertraut zu
machen und deren Potenzial zu verdeutlichen (Nemoto et al. 2014).
Nachfolgend wird eine Business Simulation zur Entwicklung von IPSSspezifischen Kompetenzen für die Produkt-Service Integration vorgestellt
(Süße/Wilkens 2014). Diese Business Simulation nimmt Bezug auf die
Kompetenzdimensionen von Wilkens et al. (2015). Bei dem Evaluationsmodell wird eine Expertensicht auf die Kompetenzentwicklungsmöglichkeiten entlang von Niveaustufen eruiert, um darauf aufbauend von einer Demonstratorversion zu einem erprobten Tool zu gelangen.
3
Modell einer IPSS-spezifischen Business Simulation
Im Rahmen des SFB TR29 wurde eine IPSS-spezifische Business Simulation entwickelt (Süße/Wilkens 2014; Süße/Wilkens 2015). Die Simulation
kann für sehr heterogene Zielgruppen in unterschiedlichsten Seminar- und
Lehr-/Lernkontexten herangezogen werden. Sie kann sowohl mit Experten
aus diesem Feld eingesetzt werden als auch im Sinne einer Grundlagenveranstaltung, um z.B. die „IPSS-Idee“ gegenüber unterschiedlichen Zielgruppen zu verdeutlichen. Bislang wurde die Simulation mit Studierenden
der Ingenieurswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum in 2014
pilotiert und getestet. Ergänzend wurde sie auf fachbezogenen Konferenzen mit Experten eingesetzt (z.B. CIRP 2015, AFSMI 2015), um Diskussionen und einen Dialog zur Kompetenzentwicklung unter Industrie 4.0 anzuregen oder neue Forschungsfelder und Forschungsfragen zum Thema
IPSS abzuleiten.
Die IPSS-Business Simulation fokussiert vor allem auf die Dynamiken der
Integrationsanforderungen von Produkt und Services zur Erbringung hochindividualisierte Lösungen für Geschäftskunden. Die Teilnehmer der Business Simulation befinden sich in der Rolle eines IPSS-Management
Teams. Ihre Verantwortung erstreckt sich über eine Produkt- und eine
Serviceeinheit, um kundenindividuelle IPSS-Angebote profitabel und
gleichzeitig mit einem möglichst hohen Kundennutzen anzubieten. Das
Bewertungs- und Steuerungssystem der Simulation basiert dabei auf dem
durch Abramovici (2013) vorgestellten Key Performance IndiciatorFramework für IPSS. Angelehnt an das Konzept betriebswirtschaftlicher
Planspiele erfolgt die Teilnahme an der Business Simulation in mehreren
Perioden, wobei nach jeder Periode bzw. Spielrunde ein ausführliches
Feedback in Bezug auf die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen
152
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
in der Business Simulation zur Verfügung steht. Durch dieses Setting soll
es den Teilnehmern an der Business Simulation ermöglicht werden, komplexe Strukturen und Prozesse studieren, reflektieren und selbst entwickeln zu können (vgl. Kriz 1988 S. 200).
Der dramaturgische Ausgangspunkt der IPSS-Business Simulation ist
dadurch spezifiziert, dass das in der virtuellen Umgebung simulierte Unternehmen bereits ein IPSS-orientiertes Angebot etabliert hat. Um jedoch
die steigenden Integrationsanforderungen des simulierten Organisationskontexts während des Simulationsverlaufs erfolgreich zu bewältigen, müssen die Teilnehmer der Simulation eigene Prozesse, Strukturen und Handlungsmuster etablieren und im Rahmen der virtuellen Organisation
institutionalisieren. Folglich wird über die Business Simulation der Verlauf
eines Organisationsentwicklungsprozesses hin zu einem IPSS modellhaft
dargestellt.
Vor dem Hintergrund dieses Szenarios wurde das 4I-Modell als ebenübergreifendes Framework des organisationalen Lernens (Crossan et al. 1999)
herangezogen und auf die Integrationsanforderungen von Produkt und
Service in IPSS angewendet. Hieraus wurde durch Süße und Wilkens
(2014) ein spezifischer ebenübergreifender Szenarioverlauf für die IPSSBusiness Simulation entwickelt (vgl. Abbildung 1). In Anlehnung an das 4IModell fokussiert die Business Simulation zu Beginn auf die individuelle
Ebene der einzelnen Akteure. Der Kontext der virtuellen Organisation, die
Gruppenzuteilung zu Produkt oder Service, sowie die Steuerungsmöglichkeiten im Rahmen der Business Simulation müssen zunächst von allen
Teilnehmern verstanden und interpretiert werden.
Über den weiteren Verlauf der Simulation wird ein zunehmender Austausch und eine zunehmende Interaktion sowie Kooperation und Kommunikation induziert. Auslöser hierfür sind beispielsweise der in der Simulation vorgesehene steigende Grad an Informationsasymmetrie zwischen den
beiden Gruppen Produkt und Service oder die auftretenden Zielkonflikte,
die sich unter anderem aus der notwendigen Balancierung bereichsspezifischer Kennzahlen ergeben.
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
153
Abbildung 1: Verlauf der IPSS-Business Simulation auf Basis des 4I-Modells des organisationalen Lernens (Süße/Wilkens 2014; Crossan et al. 1999)
Ziel der IPSS-Business Simulation ist es, dass sich bei den Teilnehmern
über einen kommunikativen und kollaborativen Feedbackprozess eigens
generierte Strukturen, Prozesse und Handlungsmuster herausbilden, die
den hohen Integrationsanforderungen der Business Simulation gerecht
werden. Hierdurch sollen gleichzeitig Reflexionsprozesse für die Integration von Produkt und Service in realen IPSS-orientierten Organisationskontexten ausgelöst und die in der Simulation etablierten Handlungsmuster
auf diese Kontexte transferierbar gemacht werden. Diese Handlungsmuster stellen auf die IPSS-Kompetenzkonfiguration, spezifiziert durch die drei
Facetten „Kombination und Vermittlung“, „Umgang mit Komplexität“ sowie
„Beteiligung an kollektiven Lernprozessen“ ab (Voigt 2015; Wilkens et al.
2015).
154
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Tabelle 2: Entwicklungsmöglichkeit der individuellen Kompetenzfacetten entlang des organisationalen Lernprozesses der IPSS-Business Simulation
IPSS-spezifische Kompetenzanforderungen
Prozess
Intuiting
Integrating
Institutionalizing
Organisation
Gruppe
Interpreting
Individuum
Ebene
Inputs
Outputs
Erfahrungen
Bilder
Metaphern
Sprache
Kognitive Landkarten
Konversation /
Dialog
Geteiltes Verständnis /
Gegenseitige
Anpassung
Interaktives
System
Routinen
Diagnosesysteme
Regularien,
Prozesse,
Strukturen
Bewältigungsstufen der Simulation
Umgang
mit Komplexität
Kombination und
Vermittlung
Beteiligung
an kollektiven
Lernprozessen
Verstehen der
Charakteristika von
Produkt und Service
eher mittel
eher
gering
eher gering
Interpretieren der
virtuellen Organisation vor dem Hintergrund von Produkt und Service
Paradigma
eher hoch
eher
mittel
eher gering
Verstehen & Reflektieren von Unterschieden und
Gemeinsamkeiten
zwischen Produkt
und Service zur
Identifizierung der
Integrationsherausforderungen
hoch
eher hoch
eher mittel
Entwicklung von
Strukturen, Prozessen und Handlungen zur Integration
von Produkt und
Service
sehr hoch
Hoch
eher hoch
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
155
Durch die Teilnahme an der Business Simulation werden die erfolgskritischen Handlungsmuster beobachtbar. Sie können dabei durch den in Abbildung 1 dargestellten organisationalen Lernprozess begleitet werden.
Dementsprechend steigen mit höheren Anforderungen in der Simulation
auch die Kompetenzanforderungen über die einzelnen Runden bzw. Perioden. Das didaktische Konzept und der dramaturgische Verlauf von Interventionen aus der Simulation (z.B. Change Requests des Kunden, die
Zielkonflikte zwischen Produktion und Service auslösen) sind so angelegt,
dass zu Beginn zunächst nur auf individueller Ebene Handlungen der
Komplexitätsbewältigung abgerufen werden. Im weiteren zeitlichen Verlauf
werden später zusätzliche Handlungen auf kollektiver Ebene mit Bezug
auf die Kombination und Vermittlung (z.B. von Wissen) und die Beteiligung
an kollektiven Lernprozessen (z.B. zu Institutionalisierung neuer Strukturen und Prozesse der Kooperation) provoziert. In Anlehnung an das 4IModell ist der Verlauf der Adressierung der IPSS-spezifischen Kompetenzfacetten in Tabelle 2 dargestellt (vgl. auch Süße/Wilkens, 2014). In didaktischer Hinsicht stehen hinter diesem Szenario unterschiedliche Bewältigungsstufen. Für Simulationsteilnehmer geht es im ersten Schritt darum,
die Charakteristika von Produkt und Services zu verstehen und in den
Kontext von IPSS zu stellen. Auf der zweiten Stufe stehen Interpretationsleistungen im Zentrum und auf der dritten Stufe Reflexionsleistungen hinsichtlich der Veränderung. Auf der vierten Stufe geht es schließlich um die
Entwicklung IPSS-spezifischer Handlungsstrategien. Dabei gilt es die kognitiven und die sozialen Fähigkeiten zur Entwicklung neuer Handlungsmuster einzusetzen.
4
Ergebnisse einer Expertenbefragung zur
Kompetenzentwicklung im IPSS Business Simulationsszenario
In der Simulation bilden vier aufeinander aufbauende Spielrunden die Bewältigungsstufen und Kompetenzanforderungen entsprechend der Sequenzierung des organisationalen Lernprozesses nach den Stufen des 4I
Modells ab (vgl. Tabelle 2). Mit Blick auf eine didaktisch fundierte Kompetenzentwicklung liegt ein übergreifender Fragekatalog zum Kompetenzerwerb durch die Teilnahme an der Simulation vor. Dieser Fragenkatalog
umfasst acht Indikatoren, die in Tabelle 3 dargestellt sind.
156
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Tabelle 3: Indikatoren des Kompetenzerwerbs der IPSS-Business Simulation
Indikatoren des Kompetenzerwerbs
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Intuitives Erkennen der komplexen Voraussetzungen für den erfolgreichen
Betrieb von IPSS
Aktives Verfolgen der Dynamiken im Betrieb eines IPSS
Wiederholtes Erproben kollaborativer Ansätze zur Strukturierung und Lösung
komplexer Aufgaben
Aktiver Einsatz effektiver Kommunikation zum Informationsaustausch in
Gruppen
Verstehen des IPSS Business Models und der Erfolgstreiber in Abgrenzung zu
reiner Produkt-, oder Serviceorientierung
Verstehen der Bedeutung von reflexiven Lernprozessen für den IPSS Betrieb
Erleben von erfolgreicher Kontrolle über die IPSS Erbringung durch institutionalisierte Integration und Kundenorientierung
Etablierung des Austauschs reflexiver Wissensinhalte innerhalb von Teams
und über Teamgrenzen hinweg
Am 20. Mai 2015 konnten im Rahmen des Game Day der 7th CIRP IPSS
Conference in St. Étienne (Frankreich) erstmals internationale IPSSExperten aus Wissenschaft und Praxis dafür gewonnen werden, in einer
Demonstrationsveranstaltung die Business Simulation als Teilnehmer zu
testen. In diesem Rahmen wurden zunächst der durch das Szenario der
Simulation generierte Kontext und seine Dynamiken durch zehn Experten
reflektiert. Hierzu wurden die Experten mit Hilfe einer Paper-Pencil Befragung gebeten, im Anschluss an die 90-minütige Simulationsdemonstration
ihre unmittelbaren Spielerfahrungen aus den ersten beiden Runden der
Simulation zu dokumentieren. Dabei galt es anhand der Evaluationsfragen
eine Rangordnung der in Tabelle 3 dargestellten Indikatoren des Kompetenzerwerbs vorzunehmen. Im Ergebnis der Evaluation lässt sich ableiten,
dass das Einstiegsszenario (die ersten beiden Runden) der Business Simulation aus Sicht der Experten insbesondere dafür geeignet ist, in vergleichsweise kurzer Zeit die Dynamiken eines IPSS-orientierten Kontexts
mit Fokus auf die Produkt-Service Integration zu transportieren. Die Ergebnisse der Expertenbefragung bestätigen dabei, dass auf der individuellen Ebene hierzu vor allem ein Verständnis für die Komplexität und Dynamik von IPSS gefordert wird. Auf diese Weise werden durch die Simulation
kognitive und emotionale Bewältigungsprozesse ausgelöst. Aus der Spielerfahrung geben die benannten Experten weiterhin an, dass das Einstiegsszenario gezielt kollaborative Problemlöseprozesse auslöst. In Tabelle 4 sind die Ergebnisse der Expertenmeinungen in Ranglisten
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
157
zusammengefasst. Es wird auch deutlich, dass das Einstiegsszenario
bereits Prozesse des reflexiven Wissenserwerbs und eines tiefergehenden
Verständnisses über Integrationsmechanismen von Produkt und Service
anstößt.
Tabelle 4: Evaluationsergebnisse der Experteneinschätzung des Einstiegsszenarios
Indikatoren des Kompetenzerwerbs
oberhalb
Median
Prozent
unterhalb
Median
Anzahl
Prozent
Anzahl
Aktives Verfolgen der Dynamiken im
Betrieb eines IPSS
80%
8
20%
2
Intuitives Erkennen der komplexen
Voraussetzungen für den erfolgreichen Betrieb von IPSS
70%
7
30%
3
Wiederholtes Erproben kollaborativer
Ansätze zur Strukturierung und Lösung komplexer Aufgaben
70%
7
30%
3
Aktiver Einsatz effektiver Kommunikation zum Informationsaustausch in
Gruppen
60%
6
40%
4
Verstehen des IPSS Business Models
und der Erfolgstreiber in Abgrenzung
zu reiner Produkt-, oder Serviceorientierung
50%
5
50%
5
Etablierung des Austauschs reflexiver
Wissensinhalte innerhalb von Teams
und über Teamgrenzen hinweg
40%
4
60%
6
Erkennen der Bedeutung von reflexiven Lernprozessen für den IPSS
Betrieb
30%
3
70%
7
Erleben von erfolgreicher Kontrolle
über die IPSS Erbringung durch
institutionalisierte Integration und
Kundenorientierung
20%
2
80%
8
158
Bernd-Friedrich Voigt, Thomas Süße, Uta Wilkens
Das Szenario der hier adressierten Business Simulation als Tool der Kompetenzentwicklung basiert auf einem stufenweisen didaktischen Prozess,
bei dem zunächst kognitive Grundlagen für das Phänomen intelligenter
Produkte und Service sowie die Identifikation mit diesem Kontext unter
den Teilnehmenden etabliert werden sollen. Die Ergebnisse der Expertenbefragungen hierzu stützen die Annahme, dass die Simulation diesem
Prozess beim Einstieg in das Szenario folgt. Dass beim Durchleben von
zwei Spielrunden noch keine auf die Institutionalisierung von IPSS gerichteten Kontrollstrategien entwickelt werden und darauf gerichtete Reflexionsprozesse noch nicht an Intensität gewonnen haben, überrascht nicht.
Die weiteren Spielrunden der Simulation sind darauf ausgelegt, eben diese
Entwicklungsprozesse auszulösen. Um das dahingehende, bereits von
Experten konstatierte, Potenzial der Simulation zu evaluieren, sind weitere
und längere Testphasen erforderlich.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Zum Aspekt der Kompetenzentwicklung im Kontext von IPSS finden sich
in der Literatur und Praxis erste Entwürfe aus dem Bereich von Planspielen und Business Simulationen (z.B. iServe, EDIPS, Gamestorming). Mit
der hier vorgestellten Business Simulation wird diese Entwicklung fortgesetzt. Die didaktischen Möglichkeiten einer Differenzierung von Bewältigungsstufen auf theoretischer Basis des 4I Modells mit dem Ziel der Gestaltung von Szenarien einzelner, aufeinander aufbauender Spielperioden
konnten mit den vorliegenden Evaluationsergebnissen in ersten Ansätzen
demonstriert werden. Danach eignet sich das Szenario, um IPSSspezifische Kompetenzen auszubauen. Die Ergebnisse unterstützen die
inhaltliche Plausibilisierung der Cover-Story und das Simulationsszenarios,
wonach die Bewältigungsstufen im Rahmen der Simulation spezifische
Wissens- und Kompetenzanforderungen stellen, die den Anforderungen
des realen IPSS Betriebs in hohem Maße ähnlich sind.
Aufbauend auf diesen Ergebnissen lässt sich zukünftig eine dezidierte
Erfassung des Kompetenzzuwachses im Simulationsverlauf durch Eingangs- und Ausgangsbefragung vornehmen. Hierdurch wird ein zielgerichteter Einsatz für die IPSS-spezifische Kompetenzentwicklung in Lehre und
Weiterbildung abgesichert. Indem die hier vorgestellte Simulation die Entwicklung wichtiger Kompetenzkonfigurationen ähnlich wie beim Lernen im
Prozess der Arbeit erlaubt, nur unter risikoarmen Voraussetzungen, erwächst für Unternehmen und Mitarbeiter, die sich in einer Transformation
in Richtung Industrie 4.0 und integrierten Produkt-Service-Systemen be-
Entwicklung von Kompetenzen für Industrie 4.0 […]
159
finden, ein wichtiger Vorteil: Man muss sich zukünftig nicht mehr nur auf
einen natürlichen Selektionsmechanismus bei der Frage verlassen, mit
welchen Mitarbeitern man die zukünftigen Herausforderungen erfolgreich
bewältigen möchte, sondern kann die Bewältigung gestiegener Kompetenzanforderungen mit Hilfe geeigneter Kompetenzentwicklungstools systematisch und proaktiv unterstützen.
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Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
163
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehrund Lernkonzepte der Zukunft
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
Megatrends wie die Globalisierung, der demografische Wandel oder die
Digitalisierung beeinflussen die verschiedensten Bereiche in Unternehmen
und stellen diese vor immer neue Herausforderungen. Die Mitarbeiter im
Unternehmen werden durch diese Trends ebenfalls beeinflusst. Ihre Fähigkeit, flexibel auf unvorhergesehene technologische und organisatorische Änderungen zu reagieren, lässt sie zu einem zentralen Erfolgsfaktor
werden. Um auch zukünftig als Wandlungsbefähiger im Unternehmen aktiv
werden zu können, müssen die Mitarbeiter für die Ausführung dieser Rolle
qualifiziert werden. Die für die betriebliche Weiterbildung existierenden
Lehr- und Lernkonzepte berücksichtigen jedoch häufig nicht die neuen
Anforderungen, die sich aus den bestehenden Megatrends ableiten. Der
vorliegende Beitrag zeigt die sich aus den Megatrends ableitenden Herausforderungen für die Entwicklung zukünftiger Lehr- und Lernkonzepte
auf und stellt ein beispielhaftes Konzept für einen ganzheitlichen Lernansatz vor.
1
Einleitung
Ständige Veränderungen der Arbeitswelt, insbesondere in den Bereichen
der Technologie und Organisation erfordern ein verstärktes Maß an Flexibilität von Unternehmen. Megatrends wie die Globalisierung, die Mobilität,
die Ressourceneffizienz oder auch die Digitalisierung stellen Unternehmen
immer wieder vor neue Herausforderungen (Spath et al. 2013). Wie Abbildung 1 zu entnehmen ist, sind bei der Analyse der Auswirkungen von Megatrends auf Unternehmen nicht nur die Gestaltungsfelder Technologie
und Organisation eines Unternehmens zu berücksichtigen. Insbesondere
der Erfolgsfaktor Mensch bzw. Mitarbeiter als Teil eines jeden Unternehmens spielt hierbei aufgrund seiner Fähigkeit, flexibel auf unvorhergesehene technologische und organisatorische Änderungen zu reagieren, eine
herausragende Rolle, denn auch er wird durch Megatrends beeinflusst.
Den Mitarbeiter zu einem Wandlungsbefähiger zu machen, rückt daher
immer mehr in den Betrachtungsmittelpunkt der Unternehmen. Er muss für
die Ausführung dieser Rolle qualifiziert werden (Nyhuis et al. 2013). Aus
164
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
diesem Grund fokussiert der vorliegende Beitrag die Bedeutung von betrieblichen Lehr- und Lernkonzepten zur Qualifikation von Mitarbeitern vor
dem Hintergrund antizipierter Megatrends. Der Mitarbeiter soll dazu befähigt werden, die durch Veränderungen immer wieder neu entstehenden
Aufgaben effizient zu lösen. Da zur Lösung dieser durch die Megatrends
hervorgerufenen, sich kontinuierlich ändernden neuen Aufgaben die Qualifikation über die Erstausbildung oftmals nicht ausreicht, soll mithilfe neuer
Lehr- und Lernkonzepte ein lebenslanger Lernprozess initiiert werden
(Henkel/Schwarz 2003). Dass die Qualifizierung für Unternehmen und
insbesondere für die Mitarbeiter von großer Bedeutung ist, wird unter anderem durch die Vielfalt der auf dem Markt bestehenden Weiterbildungsangebote, die auf dem Angebot und Nachfrage-Prinzip beruhen, deutlich.
Hierbei liegt nicht nur thematisch ein großes Portfolio an unterschiedlichen
inhaltlichen Schwerpunkten vor, die in den Weiterbildungen vermittelt werden. Auch methodisch weisen diese Weiterbildungen eine große Bandbreite an genutzten Lehr- und Lernkonzepten für die Mitarbeiterqualifizierung
auf (BA 2015). So existieren neben Weiterbildungen, die sich auf die Erweiterung von Fachkompetenzen wie dem Umgang mit Tabellenkalkulationsprogrammen oder MRP-Systemen fokussieren, auch eine Vielzahl an
Weiterbildungen, die die Erhöhung sozialer Kompetenzen wie der Teamoder der Konfliktfähigkeit zum Ziel haben. Diese Inhalte können beispielsweise durch Seminare, Schulungen oder Lehrvideos vermittelt werden.
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
165
Arbeitswelt
Klimawandel
Ressourceneffizienz
Trends
Mobilität
Unternehmen
Globalisierung
Digitalisierung
Demografischer
Wandel
Mensch
Technik
Einfluss
Trends
Organisation
Gestaltungsfelder
Fokus des Beitrags
Abbildung 1: Einflüsse von Trends auf die Gestaltungsfelder eines Unternehmens
Die für die betriebliche Weiterbildung existierenden Lehr- und Lernkonzepte berücksichtigen jedoch häufig nicht die neuen Anforderungen, die sich
aus den bestehenden Megatrends ableiten. Daher müssen neue Lehr- und
Lernkonzepte entwickelt werden, die den sich aus den Trends ableitenden
wechselnden Anforderungen und Rahmenbedingungen sowie den Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen in den Unternehmen gerecht werden.
2
Megatrends und ihre Auswirkungen auf Lehren und Lernen
Bei der Analyse der Auswirkungen von Megatrends auf zukünftige betriebliche Lehr- und Lernkonzepte werden in diesem Beitrag Megatrends betrachtet, die aus Sicht der Autoren einen besonderen Einfluss auf den
Mitarbeiter im Unternehmen aufweisen. Zunächst erfolgt eine kurze Definition von Megatrends, bevor auf die wichtigsten Eigenschaften und Folgen
des jeweiligen Trends eingegangen wird. Aufbauend auf den definierten
Folgen werden abschließend Anforderungen für zukünftige betriebliche
Lehr- und Lernkonzepte herausgearbeitet.
166
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
2.1
Megatrends
Megatrends sind Trends, die global und langfristig wirken (Schröder et
al. 2011). Sie ziehen nachhaltige gesellschaftliche, ökonomische und
technologische Veränderungen nach sich und haben dadurch einen prägenden Einfluss auf die Zukunft (Fontius 2013). Nach Schröder et al.
(2015) beträgt die Halbwertszeit eines Megatrends ca. 50 Jahre.
In der Literatur und in den Medien wird eine Vielzahl von Megatrends thematisiert (Fontius 2013). Neu aufkommende Trends sind in ihren Auswirkungen und in ihrer Dauer noch nicht einzuschätzen und werden daher
nicht überall als Megatrends geführt. Die Differenzierung zwischen „einfachen“ Trends und Megatrends unterscheidet sich daher von Autor zu Autor
(Fontius 2013), (Schröder et al 2015).
Die Definition von Megatrends wird in der Forschungslandschaft oftmals
kritisch hinterfragt (Fontius 2013). Zweifelsfrei existieren aber unstrittige
globale Entwicklungen. Ob diese tatsächlich in die Kategorie der Megatrends oder der „einfachen“ Trends gehören, spielt vor dem Hintergrund
dieses Beitrages eine eher untergeordnete Rolle. Im Folgenden wird daher
der Begriff Trend genutzt, der sämtliche globale Entwicklungen umfasst.
Zu den hier betrachteten Trends gehören in erster Linie die Globalisierung,
die Digitalisierung und der demografische Wandel, deren wichtigste Eigenschaften und Folgen nachfolgend skizziert werden.
2.2
Globale Trends und ihre Folgen
Der Trend der Globalisierung beschreibt die zunehmende Verflechtung
unterschiedlicher Lebensbereiche von Volkswirtschaften auf der ganzen
Welt. Durch diese Verflechtungen entstehen Abhängigkeiten zwischen
einzelnen Staaten, aber auch neue Freiräume für diese. Unternehmen
gewinnen beispielsweise neue Absatzmärkte, da der Zugang zu Kunden
auf der ganzen Welt vereinfacht wird (Abele 2011).
Aufgrund der Globalisierung sehen sich Unternehmen einer wachsenden
Anzahl von Wettbewerbern gegenüber. Produkte und Technologien sind
allerorts zugänglich, können leicht kopiert werden und stellen längst keine
Garantie mehr für eine längerfristige Wettbewerbsfähigkeit dar (Grigori 2014). Die kürzeren Entwicklungszyklen lassen Technologien immer
schnelllebiger werden. Eine ständige Anpassung an diese Entwicklung
impliziert für Unternehmen einen großen finanziellen Aufwand, der nicht
immer in ausreichend guter Relation zum Nutzen steht. Daher ist es oft-
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
167
mals nicht zielführend für Unternehmen, beständig in neue Technologien
zu investieren. Zentral für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ist zudem die Fähigkeit von Unternehmen, flexibel und schnell auf die sich
ständig wechselnden Rahmenbedingungen, insbesondere vor dem Hintergrund eines sich verstärkenden Wettbewerbs- und damit einhergehenden
Innovationsdrucks, zu reagieren. Dies zieht eine Anpassung der bestehenden Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen nach sich (Priddat 2010). In diesem Zusammenhang wird der Mitarbeiter zunehmend
wichtiger und zum Erfolgsfaktor eines Unternehmens. Mit seinem Wissen,
Wollen und Können trägt er nicht nur aktiv zu den notwendigen Wandlungsprozessen im Unternehmen bei, er initiiert diese sogar und ist maßgeblicher
Treiber
von
Produktinnovationen
(WEF 2015),
(Papmehl/Tümmers 2013).
Neben der Globalisierung hat auch die Digitalisierung großen Einfluss
auf den Mitarbeiter im Unternehmen. Im engeren Sinne umfasst Digitalisierung die Überführung analoger Informationen in eine digitale Form (Fontius 2013). Im weiteren Sinne kann Digitalisierung in diesem Beitrag als Teil
der Entwicklung „Durchdringung mit neuen Technologien“ verstanden
werden. Beispielsweise ziehen mechatronische Systeme in den unternehmerischen Alltag ein und werden dort für die Gestaltung und Unterstützung von Produktionsprozessen herangezogen. Dadurch werden unter
anderem manuelle Tätigkeiten reduziert und Prozessschritte automatisiert
(Spath et al. 2013). In Deutschland wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung häufig der Begriff Industrie 4.0 verwendet. Durch die Einführung
cyber-physischer Systeme wird eine Veränderungswelle in Unternehmen
initiiert. Diese cyber-physischen Systeme umfassen eine Vernetzung realer und digitaler Komponenten unterschiedlicher Systeme. Dadurch wird
eine Kommunikation zwischen diesen verschiedenen Systemen möglich.
Produkte und Prozesse können sich somit zukünftig eigenständig steuern
(Spath et al. 2013).
Der demografische Wandel beschreibt die Veränderung der grundlegenden Altersstruktur einer Gesellschaft (Abele 2011). Dieser Wandel wird in
Deutschland durch zwei unterschiedliche Faktoren bedingt. Einerseits
gehen die Geburtenraten zurück, was zu einer Abnahme der Bevölkerungszahlen führt. Anderseits steigt die Lebenserwartung unter anderem
durch eine bessere medizinische Versorgung, wodurch die Bevölkerung
durchschnittlich altert (Abele 2011). Diese beiden Faktoren führen auch in
den Unternehmen zu einer Änderung der Altersstruktur. Einerseits altert
die Belegschaft. Die zurückgehenden Geburtenraten haben einen Einfluss
168
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
auf die Anzahl gut ausgebildeter Fachkräfte am Arbeitsmarkt. Diese werden zukünftig in den Unternehmen fehlen (Abele 2011). Durch den mangelnden Nachwuchs droht zudem ein Wissensverlust in den Unternehmen,
da ausscheidende Mitarbeiter oftmals nicht ersetzt und deren Erfahrungswissen nur schwer konserviert werden kann. Der entstehende Fachkräftemangel wird zukünftig noch stärker ins Gewicht fallen, wenn die durch
die Globalisierung und Digitalisierung hervorgerufenen Veränderungen der
Arbeitsinhalte relevant werden. Neue Technologien werden in den Unternehmen eingeführt, für deren Handhabung qualifizierte Mitarbeiter benötigt
werden. In Kombination mit den zurückgehenden Geburtenraten führt dies
dazu, dass teilweise schon heute freie Arbeitsplätze nicht mehr mit dafür
ausreichend qualifizierten Arbeitskräften besetzt werden (Deller 2008).
Verschärft wird diese Folge nach Opaschewski (2013) in Deutschland
zusätzlich durch den Mangel an gut ausgebildeten Zuwanderern. Diese
wandern eher nach Nordamerika oder Australien aus. Unternehmen müssen daher schon heute in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter
investieren, um diesen Fachkräftemangel abzufangen und Lücken der
Erstausbildung zu schließen. Dies geht einher mit einer Erhöhung der
Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter. Aufgrund der fortschreitenden
Globalisierung sowie Digitalisierung und der damit verbundenen zunehmenden Bedeutung des Mitarbeiters für Unternehmen können es sich
diese nicht leisten, auf das Wissen und die Erfahrung insbesondere älterer
Arbeitnehmer zu verzichten (WEF 2015).
•
•
•
•
Fachkräftemangel
Alternde Belegschaft
Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter
rückt in den Vordergrund
etc.
Globalisierung
•
•
•
•
Hoher Wettbewerbsdruck
Hoher Innovationsdruck
Schnelllebige Technologien
etc.
Digitalisierung
•
•
•
•
Digitalisierung von Wissen
Automatisierung
Industrie 4.0
etc.
Demografischer Wandel
Abbildung 2: Megatrends und ihre Folgen
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
169
Die Herausforderung, die damit einhergeht, umfasst einerseits die gezielte
Nutzung des vorhandenen Wissens und andererseits die Befähigung älterer Mitarbeiter zur Entwicklung von Innovationen sowie zur Gestaltung von
und Teilnahme an Wandlungsprozessen in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt (Deller 2008). Die aus den Megatrends entstehenden Folgen sind in Abbildung 2 auszugsweise zusammengefasst.
2.3
Wechselwirkungen zwischen Trends und ihre Folgen für Lehren
und Lernen
Wie diese kurze Darstellung globaler Trends zeigt, können diese nicht
immer klar gegeneinander abgegrenzt werden. Oftmals beeinflussen diese
sich gegenseitig. Eine isolierte Betrachtung einzelner Trends und deren
Auswirkungen ist daher nicht sinnvoll (Rump 2011). Ein Beispiel für die
gegenseitige Abhängigkeit stellt die enge Verknüpfung der Trends Globalisierung und Digitalisierung dar. Die Globalisierung wird durch die Digitalisierung vorangetrieben und beschleunigt, da die Digitalisierung von Wissen und die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien den Austausch von Wissen und Produkten im Arbeitsumfeld
vereinfacht. Bei der Gestaltung von betrieblichen Lehr- und Lernprozessen
muss in diesem Kontext berücksichtigt werden, dass die verschiedenen
Generationen mit unterschiedlichen Medien und Technologien aufgewachsen sind, die sie für ihre Lernprozesse nutzen (de Witt/Czerwionoka 2013).
Darüber hinaus lernen diese Generationen auch unterschiedlich schnell,
was bei der Konzeption neuer Lehr- und Lernkonzepte berücksichtigt werden muss (Abele 2011). Das zu vermittelnde Wissen muss dementsprechend so aufbereitet und in das Lehr- und Lernkonzept eingebettet sein,
dass auch die Bedürfnisse dieser Zielgruppe berücksichtigt werden.
Darüber hinaus zieht die Digitalisierung technologische Veränderungen
nach sich, die direkten Einfluss auf die Arbeitswelt haben und tiefgreifende
Veränderungen in der Arbeitsorganisation hervorrufen (Papmehl/
Tümmers 2013). Insbesondere ändern sich durch die Digitalisierung Organisationsstrukturen und die Rolle des Mitarbeiters in den Unternehmen.
Die Reduzierung manueller Tätigkeiten durch Automatisierung führt dazu,
dass sich zukünftige Arbeitsinhalte nicht nur auf die Ausführung einfacher
Tätigkeiten beschränken, sondern dass die Mitarbeiter Aufgaben erhalten,
für die sie die Wirkungen ihres Handels bewerten und diese im Entscheidungsprozess berücksichtigen müssen. Der Mitarbeiter muss somit nicht
nur dazu befähigt werden, neue Technologien zu bedienen, sondern vielmehr lernen, Prozesszusammenhänge zu verstehen und zukünftige Aus-
170
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
wirkungen seiner Entscheidungen zu antizipieren (Spath et al. 2013). Er
wird mehr und mehr zum Entscheider und somit unter anderem zum Initiator von Wandlungsprozessen. Diese Auswirkungen der Digitalisierung sind
weitaus umfassender als die reine Einführung neuer Technologien und die
Digitalisierung von Wissen. Der Mitarbeiter im Unternehmen erhält eine
vollkommen neue Rolle, die bisher noch nicht endgültig skizziert werden
kann (Spath et al. 2013). Hierfür werden qualifizierte Mitarbeiter benötigt,
die durch den Fachkräftemangel nicht in ausreichendem Umfang auf dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind die heutigen
Ausbildungen eher funktional orientiert. Es steht die Vermittlung des spezifischen Fachwissens im Fokus (Schelten 2010). Dies verstärkt den Mangel
an qualifizierten Fachkräften. Unternehmen müssen daher ihre Mitarbeiter
dabei unterstützen, selbstständig zu lernen und sich neue Sachverhalte
eigenständig zu erschließen, um mit den zukünftigen, bisher noch nicht
bekannten Herausforderungen umgehen zu können. An dieser Stelle müssen betriebliche Lehr- und Lernkonzepte ansetzen, die einerseits Kompetenzen zur Bewältigung dieser Herausforderungen vermitteln und anderseits die Lernmotivation steigern. Letztere bildet die Grundlage für
kontinuierliches Lernen und führt dazu, dass Mitarbeiter bereit sind, sich
beständig mit neuen Inhalten und Anforderungen auseinanderzusetzen
und Wandlungsprozesse zu initiieren.
In einer Gesellschaft, in der sich der aktuelle Stand des Wissens kontinuierlich und rasch wandelt und immer neue Qualifikationen und Kompetenzen für die Bewältigung der sich oftmals ändernden Arbeitsaufgaben relevant sind, reicht die Erstausbildung in der Regel nicht aus, um auch den
zukünftigen beruflichen Anforderungen ein Leben lang gerecht zu werden
(Bosch 2009). Hierdurch wird deutlich, dass der Mitarbeiter dazu befähigt
werden muss, lebenslang zu lernen. Das bestehende Wissen muss vor
diesem Hintergrund kontinuierlich erweitert und aufgefrischt werden
(Bosch 2009). Um unternehmensspezifisches und -relevantes Wissen bei
den Mitarbeitern zu entwickeln, wird es für die Personalentwicklung in
Unternehmen immer wichtiger, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten
(Bosch 2009). Das bedeutet, dass Unternehmen für ihre Mitarbeiter lernförderliche Umgebungen schaffen müssen. Lebenslanges Lernen als Prozess muss daher in den Unternehmen fest verankert werden
(Papmehl 2013).
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
3
171
Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
Die durch die Megatrends initiierten Folgen für Unternehmen und insbesondere Mitarbeiter müssen bei der Gestaltung neuer betrieblicher Lehrund Lernkonzepte berücksichtigt werden. Lebenslanges Lernen wird angesichts seiner Bedeutung für die Erhaltung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens auch im betrieblichen Kontext immer
wichtiger. Daher ist es nur logisch, dass auch Unternehmen, wie bereits
eingangs skizziert, ein steigendes Interesse an der Weiterbildung ihrer
Mitarbeiter entwickeln (Bilger et al. 2013).
3.1
Lehren und Lernen in der Gegenwart
Die Relevanz betrieblicher Weiterbildung spiegelt sich in der Anzahl der
angebotenen Bildungsveranstaltungen wider. Derzeit werden in Deutschland über 1,2 Mio. Veranstaltungen von rund 18.000 Bildungsanbietern
angeboten (BA 2015). Aufgrund des wachsenden Interesses an Weiterbildungen werden Bildungsmärkte daher als Wachstumsmärkte bezeichnet
(Priddat 2013). Die Weiterbildungsveranstaltungen unterscheiden sich, wie
eingangs erwähnt, sowohl inhaltlich als auch methodisch voneinander.
Das methodische Vorgehen kennzeichnet dabei die Art des Lehrkonzepts
und baut auf einer zugrundeliegenden Lerntheorie auf (Reinmann 2013).
Ziel des Lehrkonzepts ist es, sowohl Lernen zu initiieren und zu unterstützen als auch die Lernergebnisse zu sichern (Einsiedler 2011).
172
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
synchron
Präsenzlehre
Gleiche Zeit –
gleicher Ort
Gleiche Zeit –
anderer Ort
Beispiel
Beispiel
Planspiele
Teletutoring
Nicht
ortsgebunden
ortsgebunden
andere Zeit –
gleicher Ort
andere Zeit –
anderer Ort
Beispiel
Beispiel
Computer Labore
Digitale Lernspiele
Fernlehre
asynchron
Abbildung 3: Kategorisierung von Lehrkonzepten (in Anlehnung an (Myrach/Montandon
2008))
Die Kategorisierung der Lehrkonzepte kann anhand der Orts- und Zeitgebundenheit des Lernenden vorgenommen werden. In der betrieblichen
Weiterbildung wird so zwischen Präsenz- und Fernlehre unterschieden
(Myrach/Montandon 2008). Abbildung 3 verdeutlicht diese Untergliederung
und gibt einige Beispiele für Lehrkonzepte.
Präsenzlehre erfordert von Lehrenden und Lernenden eine physische
Anwesenheit am Ort der Bildungsveranstaltung. Die Erarbeitung der Lerninhalte erfolgt durch die Interaktion von Lehrenden und Lernenden sowohl
mit- als auch untereinander. Fernlehre ermöglicht dem Lernenden ein zeitund ortsunabhängiges Lernen, bei dem wenig bis gar keine Interaktion mit
dem Lehrenden erfolgt. Der Lernende lernt zudem nur für sich und steht
während des Lernprozesses oftmals in keiner Interaktion mit anderen Lernenden (Zaugg 2008). Einige Vor- und Nachteile der beiden Lehrkonzepte
werden in Abbildung 4 aufgezeigt.
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
Präsenzlehre
Vorteile
•
•
•
Nachteile
•
•
•
173
Fernlehre
Lerngegenstand kann in einen
praktischen Handlungskontext
eingebettet werden
Interaktion mit anderen
Lernenden schult zusätzliche
Kompetenzen
etc.
•
Örtliche und zeitliche Bindung
Gestaltung eines individuellen
Lernprozesses nur bedingt
möglich
etc.
•
•
•
•
•
Orts- und zeitunabhängiges Lernen
möglich
Lernende hat mehr Freiheiten in der
Gestaltung seines individuellen
Lernprozesses
etc.
Kaum Ausbildung sozialer
Kompetenzen durch fehlende
Interaktion mit anderen Lernenden
Digitale Vermittlung erschwert den
Transfer des Wissens in die Praxis
etc.
Abbildung 4: Vor- und Nachteile von Präsenz- und Fernlehre (de Witt/Czerwionoka 2013)
In der Präsenzlehre werden die Lehr- und Lernkonzepte unter anderem
durch ihre Sozialformen bestimmt. Maßgeblich ist hierbei der Interaktionsgrad zwischen Lehrenden und Lernenden sowohl mit- als auch untereinander. Unterschieden wird zwischen Frontalunterricht, Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit sowie Gesprächen (Schelten 2010). Vor allem
die Gruppenarbeit kann sehr unterschiedlich gestaltet werden und weist
verschiedene Ausprägungsformen auf (Schelten 2010). Ein typisches Beispiel für Gruppenarbeit sind Plan- und Rollenspiele. Planspiele als Form
der Gruppenarbeit lassen sich im betrieblichen Kontext gut in Lernfabriken
integrieren. Diese realitätsnahen Lernumgebungen erleichtern durch ihren
praktischen Bezug den Transfer des vermittelten Wissens in die Praxis
und sind daher fester Bestandteil der betrieblichen Aus- und Weiterbildung
sowie Forschung (Kreimeier 2013), (Micheau 2014). Lernfabriken liegt ein
handlungsorientierter Lehr- und Lernansatz zugrunde. Für einen erfolgreichen Lernprozess müssen die zu vermittelnden Lerngegenstände in einem
konkreten Situationsbezug stehen. Das träge, sonst nur passiv aufgenommene Wissen wird dadurch aktiviert. Es erfolgt eine intensive Auseinandersetzung des Lernenden mit dem Lerngegenstand. Dieser wird zudem in einen situationsbezogenen Kontext gesetzt. Dadurch wird die
Übertragbarkeit des Wissens in die Praxis erleichtert und die Lösung realer Probleme gefördert (Schelten 2010).
Der große Vorteil der Fernlehre ist die Ermöglichung des zeit- und ortsunabhängigen Lernens. Dieses kann beispielsweise über das E-Learning
erfolgen. E-Learning umschreibt jegliche Art des computergestützten Ler-
174
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
nens mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (Myrach/Montandon 2008). Somit profitiert E-Learning von dem Megatrend
Digitalisierung. Trotz des Vorteils des zeit- und ortsungebundenen Lernens
hat der Hype um E-Learning stark abgenommen. Mittlerweile wird zunehmend versucht, traditionelle und neue Lehr- und Lernkonzepte miteinander
zu verbinden, um die jeweiligen Nachteile aufzuheben (Mrach/
Montandon 2008). Dies wird auch als Blended Learning bezeichnet
(Zaugg 2008).
3.2
Die Rolle der Lernmotivation
Die Gestaltung der Lernumgebung trägt maßgeblich zur Lernmotivation
und somit zum Lernerfolg des Lehr- und Lernkonzeptes bei. Die Bedeutung der Lernumgebung lässt sich aus dem handlungsorientierten Lehrund Lernansatz ableiten, da der situationsbezogene Kontext für die Aktivierung des Wissens beim Lernenden eine entscheidende Rolle spielt.
Dieser Aspekt wird vor allem in der Lernfabrik mit ihrer realen Lernumgebung berücksichtigt. Die Lernumgebung zum Beispiel in Form von genutzten Medien kann die Lernmotivation sowohl positiv als auch negativ beeinflussen (Schelten 2010). Daher ist es zwingend notwendig, bei der
Ausgestaltung der Lernumgebung auf motivationale Rahmenbedingungen
zu achten.
Die zunehmende Bedeutung der Aufrechterhaltung von Lernmotivation
begründet sich ebenfalls in dem Ziel des lebenslangen Lernens. Gerade
die Erwachsenenbildung erfordert eine hohe intrinsische Motivation vom
Lernenden, da dieser keiner Bildungspflicht untersteht und somit selbstbestimmt und freiwillig lernt (Henkel/Schwarz 2003). Dies ist vor allem deshalb von Relevanz, da der Erwachsene oftmals neben der Ausübung seiner eigentlichen Tätigkeit lernt und somit durch das Lernen die ihm zur
Verfügung stehende „Freizeit“ reduziert wird. Um lebenslanges Lernen zu
initiieren, sollten daher vom Unternehmen lernförderliche Umgebungen
bereitgestellt werden.
Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung der Lernmotivation ist die Instrumentalisierung von Spielen für didaktische Zwecke. Dies wird auch als
Gamification bezeichnet (Kerres 2009). Hierfür werden spielfremde Inhalte
in einen spieltypischen Kontext gesetzt, um den Lernenden durch spielerische Elemente wie High-Scores, Preise und Wettbewerbe zum Lernen zu
motivieren (Sailer 2013). Dieser Ansatz kommt sowohl in der Präsenz- als
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
175
auch in der Fernlehre in unterschiedlichen Ausprägungen zur Anwendung.
Beispiele hierfür sind Lernfabriken oder digitale Lernspiele.
Die Herausforderung bei dem Design von Lernspielen liegt vor allem darin,
Spielen und Lernen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. So soll
verhindert werden, dass weder die Motivation durch einen zu hohen theoretischen Anteil gehemmt, noch der Transfer des Erlernten durch die Erschaffung einer zu abstrakten Spielwelt vermindert wird (Kerres 2009).
3.3
Anforderungen an Lehr- und Lernkonzepte
Aus den skizzierten Megatrends lassen sich Anforderungen an zukünftige
betriebliche Lehr- und Lernkonzepte ableiten. Diese müssen darüber hinaus mit den Anforderungen der Unternehmen vereinbar sein, damit eine
Eingliederung in den betrieblichen Alltag erfolgen kann. Allen Anforderungen zugrunde liegt die Annahme, dass der Mitarbeiter am besten lernt,
wenn nicht nur theoretisches Wissen vermittelt, sondern dieses Wissen
zusätzlich durch die Einbettung in einen situationsbezogenen Kontext aktiviert wird. Dadurch entsteht ein Handlungsbezug und sowohl die Verinnerlichung als auch der Transfer des theoretischen Wissens werden verbessert. Der Mitarbeiter wird somit dazu befähigt, reale Probleme zu lösen
und sein Wissen situationsgerecht anzuwenden.
Die Globalisierung fordert betriebliche Lehr- und Lernkonzepte, die die
Mitarbeiter dazu befähigen, mit den sich aus den Trends ergebenden
wechselnden Anforderungen umzugehen und sowohl Innovationen als
auch Veränderungen eigenständig zu initiieren. Daher müssen Lehr- und
Lernkonzepte entwickelt werden, die den Mitarbeiter zu einem kontinuierlichen bzw. lebenslangen Lernen anregen. Durch die Bereitschaft, lebenslang zu lernen, nimmt auch die Angst vor Veränderungen ab, denn Lernen
bedeutet gleichzeitig Veränderung, da der Mitarbeiter akzeptiert, dass sein
Wissen ständig an die wechselnden Rahmenbedingungen angepasst werden muss. Hierfür ist es zwingend notwendig, dass die zukünftigen Lehrund Lernkonzepte dem Mitarbeiter Hilfe zur Selbsthilfe bieten, um theoretisches Wissen anschließend in die Praxis zu übertragen. Das Ziel der Befähigung beinhaltet also in erster Linie nicht nur die Vermittlung konkreten
Fachwissens zur Lösung spezifischer Probleme, sondern soll den Mitarbeiter auch befähigen, Problemstellungen selbstständig zu analysieren
und zu lösen. Die Digitalisierung erfordert die Integration neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in zukünftige Lehr- und Lernkonzepte. Dies begründet sich einerseits in der zunehmenden Relevanz die-
176
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
ser Technologien für den betrieblichen Alltag. Anderseits werden dadurch
auch die Anforderungen verschiedener Zielgruppen berücksichtigt. Gerade
jüngere Generationen greifen vermehrt auf neue Medien zurück, um sich
spezifisches Wissen anzueignen.
Aus dem demografischen Wandel ergeben sich spezielle Anforderungen
an die zu entwickelnden Lehr- und Lernkonzepte. Dadurch, dass Unternehmen einerseits mit einem Fachkräftemangel und andererseits mit einer
alternden Belegschaft konfrontiert werden, können sie es sich für die Entwicklung zukünftiger Innovationen nicht mehr leisten, nur auf jüngere Mitarbeiter zurückzugreifen, die beispielsweise neues Wissen mit in das Unternehmen bringen. Unternehmen müssen aktiv den Wissensschatz ihrer
aktuellen Belegschaft erweitern und auch älteren Mitarbeitern die Teilnahme an Weiterbildungen ermöglichen. Dies hat zur Folge, dass die zu
entwickelnden Lehr- und Lernkonzepte möglichst flexibel in Bezug auf die
Zielgruppe gestaltet werden müssen.
Zusätzlich zu den Anforderungen, die sich aus den Trends ableiten, fordern Unternehmen von Lehr- und Lernkonzepten eine leichte Vereinbarkeit von Lernen mit den betrieblichen Abläufen. Die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen bedeutet für Unternehmen in der Regel, dass
Mitarbeiter vom Tagesgeschäft freigestellt werden müssen. Dieser Aspekt
soll nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden, um so die betrieblichen Abläufe nicht zu stören. Darüber hinaus ist es für Unternehmen
wichtig, den Lernerfolg auch messbar zu machen. Dies hilft bei der Bewertung von Weiterbildungsmaßnahmen. Zur Initiierung lebenslangen Lernens
spielt die Aufrechterhaltung der Lernmotivation zudem eine zentrale Rolle
für Unternehmen. Die Mitarbeiter sollen durch die Lehr- und Lernkonzepte
dazu angeregt werden, sich auch außerhalb ihres betrieblichen Umfeldes
mit den Inhalten auseinanderzusetzen, um so einen kontinuierlichen Lernprozess voranzutreiben.
3.4
Ausblick auf weitere Forschungstätigkeiten
Zukünftige betriebliche Lehr- und Lernkonzepte stehen im Spannungsfeld
zwischen den Anforderungen der Mitarbeiter und denen der Unternehmen
vor dem Hintergrund der durch die globalen Trends hervorgerufenen Veränderungen. Ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen, welches unter anderem durch das E-Learning ermöglicht wird, ist insbesondere für Unternehmen interessant, birgt jedoch auch oftmals die bereits genannten Nachteile
wie mangelnde soziale Interaktion oder den Verlust der Lernmotivation
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
177
durch geringe Rückkopplung von Lernerfolgen. Durch Lernen in Lernfabriken erhalten Lernende die Möglichkeit, Wissen zu erfahren und direkt anzuwenden. Dadurch wird der Transfer des theoretischen Wissens in die
Praxis erleichtert. Aufgrund des hohen Zeitaufwandes sowie der Ortsgebundenheit der Lernfabrik eignet sich dieses Konzept alleine nicht für die
Initiierung von lebenslangem Lernen. Darüber hinaus ist es häufig nur mit
dem Einsatz großer finanzieller Ressourcen möglich, Lernfabriken zu erweitern bzw. an wechselnde Rahmenbedingungen anzupassen und veränderte betriebliche Abläufe darzustellen. So verliert die Lernfabrik ihre
Aktualität und führt nach einer Sättigungszeit zu einer mangelnden Lernmotivation bei den Mitarbeitern.
Reale Lernumgebungen
Virtuelle Lernumgebungen
Vorteile durch die Kopplung realer und virtueller Lernumgebungen für…
…Mitarbeiter
•
•
•
•
•
•
•
Erfahrbares Lernen
Risikoloses Erproben
Intrinsische Motivation durch
spielerischen Charakter
Entwicklung verschiedener
Kompetenzen
Zeit- und ortsungebundenes
Lernen
Berücksichtigung individueller
Anforderungen und
Kenntnissstände
etc.
…Unternehmen
•
•
•
•
•
Erhöhung der Transferleistung
Berücksichtigung von
Betriebsdaten
Zeit- und ortsungebundenes
Lernen
Reduktion von Ausbildungskosten
etc.
Abbildung 5: Darstellung eines möglichen Lehr- und Lernkonzepts der Zukunft
Ein möglicher Lösungsansatz für die Aufrechterhaltung der Lernmotivation
und die Aufhebung der genannten Nachteile ist in Abbildung 5 dargestellt.
Konzeptionell wird hier auf den Ansatz des Blended Learning zurückgegriffen. Dieser umfasst die Kopplung verschiedener Lehr- und Lernkonzepte
aus der Präsenz- und Fernlehre, erweitert um die skizzierten Anforderungen. Hierfür werden vor allem diejenigen Konzepte berücksichtigt, die sich
in der Vergangenheit bewährt haben. Im Fokus steht die Erhöhung des
Transfers des theoretischen Wissens in die Praxis, die Aufrechterhaltung
der Lernmotivation sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen.
178
Peter Nyhuis, Vivian Katharina Bellmann, Sarah Majid Ansari
Für die Erhöhung des Transfers des theoretischen Wissens in die Praxis
werden realitätsnahe Lernumgebungen gestaltet. Aus der Präsenzlehre
eignet sich hierfür die Lernfabrik, die eine Abbildung realer Prozesse ermöglicht und so einen Anwendungsbezug für den Lernenden herstellt. Für
das zeit- und ortsungebundene Lernen wird die reale Lernfabrik in eine
virtuelle Lernumgebung übertragen. Diese Lernumgebung soll zudem in
einen spielerischen Kontext eingebunden werden. Durch den Einsatz
spieltypischer Elemente wie Wettbewerbe und Preise soll so die Lernmotivation aufrechterhalten werden. Darüber hinaus ermöglicht die virtuelle
Abbildung realer Prozesse eine schnelle Anpassung an wechselnde Rahmenbedingungen. Die virtuelle Lernumgebung kann somit immer die tatsächliche Realität im Unternehmen möglichst genau abbilden und erhöht
dadurch die Transferleistung. Zudem ermöglicht die Kopplung der verschiedenen Lernumgebungen auch die Berücksichtigung der Anforderungen der unterschiedlichen Zielgruppen. Diese können individuell auswählen, welches Lernmedium sich für sie besser eignet, und so ihr Wissen
erweitern. In beiden Lernumgebungen ist eine Anwendung des theoretischen Wissens ohne weitreichende monetäre oder strukturelle Folgen
möglich. Mitarbeiter werden dazu befähigt, Zusammenhänge zu erkennen
und diese zu analysieren. Somit lernen sie, Konsequenzen zu antizipieren
und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Die beiden Lernumgebungen werden zudem über digitale Schnittstellen
miteinander verknüpft werden. Der Mitarbeiter hat dann die Möglichkeit,
sein Wissen sowohl virtuell als auch real zu testen und die Folgen seiner
Entscheidungen zu erleben, da durch die digitalen Schnittstellen cyberphysische Systeme entstehen, durch die ein Datenaustausch zwischen
den beiden Lernumgebungen möglich wird. Unternehmen haben so die
Möglichkeit, auch reale Betriebsdaten in die reale und virtuelle Lernumgebung einfließen zu lassen. Dadurch werden die Lernumgebungen noch
realitätsnaher und der Transfer der Theorie in die Praxis erleichtert.
4
Zusammenfassung und Ausblick
Die Analyse der Auswirkungen globaler Trends ergibt, dass sie Veränderungen in den Gestaltungsbereichen Organisation, Technologie und
Mensch nach sich ziehen. Diese Veränderungen bedingen sich gegenseitig, wodurch Folgen der Trends verstärkt werden können.
Auch in den Unternehmen schärft sich das Bewusstsein für eine ganzheitliche Betrachtung der Auswirkungen von Trends. So wird in diesem Zusammenhang vermehrt der Fokus auf den Mitarbeiter und seine Rolle im
Auswirkungen von globalen Trends auf die Lehr- und Lernkonzepte der Zukunft
179
Gesamtgefüge Unternehmen gelegt. In der heutigen Zeit rückt der Mitarbeiter als Wandlungsbefähiger und zentraler Entscheidungsträger immer
mehr in den Fokus der Unternehmen. Dies ist unter anderem bedingt
durch die zunehmende Komplexität von Prozessen und Strukturen. Aber
auch der vereinfachte Zugang zu Technologien und digitalisiertem Wissen
aufgrund von Trends wie der Globalisierung und der Digitalisierung führt
dazu, dass Unternehmen aus verschiedenen Ländern auf ähnliche Ressourcen zurückgreifen können. Wettbewerbsvorteile lassen sich somit vor
diesem Hintergrund vor allem durch das Wissen, Wollen und Können der
Mitarbeiter erzielen, da diese nicht replizierbar sind und nicht in jedem
Unternehmen die gleichen Voraussetzungen herrschen.
Um der zunehmenden Relevanz des Mitarbeiters gerecht zu werden,
müssen Rahmenbedingungen geändert und an die Anforderungen der
Mitarbeiter angepasst werden. Dies betrifft auch Lehr- und Lernkonzepte,
die den Mitarbeiter dazu befähigen sollen, zukünftige Innovationen zu generieren und Folgen seiner Entscheidungen antizipieren zu können, um
langfristig zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner eigenen Beschäftigungsfähigkeit beizutragen. Um diese Ziele zu erreichen,
müssen daher Lehr- und Lernkonzepte entwickelt werden, die einerseits
die Folgen globaler Trends berücksichtigen, aber auch anderseits den
Mitarbeiter als zentralen Wandlungsbefähiger mit seinen individuellen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen. Vor diesem Hintergrund wurde in
diesem Beitrag auf die drei Trends Globalisierung, Digitalisierung und Demografischer Wandel und deren Auswirkungen auf Lehr- und Lernkonzepte eingegangen. Darüber hinaus wurden daraus Anforderungen an diese
Konzepte abgeleitet.
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Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
183
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die
Produktion von morgen
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Die Veränderung der Produktionssysteme infolge von Industrie 4.0 wird
vor allem durch die technologischen Entwicklungen getrieben, hat aber
auch maßgebliche Auswirkungen auf die Gestaltung von Arbeit. Der vorliegende Beitrag legt den Fokus auf die Veränderungen, die sich für die
Mitarbeiter, ihre Arbeitsumgebung und die Qualifikationsbedarfe ergeben.
Es wird deutlich, dass das Lernen zunehmend in den Arbeitsprozess verlagert wird und somit eine Integration von Lern- und Assistenzsystemen
erforderlich ist. Der Beitrag stellt ausgewählte Lösungen vor, die in der
Industrie im Einsatz sind und skizziert notwendige Bedarfe für die Gestaltung lernförderlicher und gesunder Arbeitssysteme.
1
1.1
Veränderung der Produktion durch Industrie 4.0
Industrie 4.0
Industrie 4.0, Internet der Dinge, Cyber Physical Systems, Smart Factory,
Smart Products – all diese Schlagworte und noch viele mehr werden derzeit geprägt, wenn es um die Gestaltung der Produktionssysteme im
Rahmen von Industrie 4.0 geht.
In zukünftigen Produktionssystemen werden Maschinen und Produkte
zunehmend autonom miteinander kommunizieren, Daten und Informationen austauschen und so flexibel auf aktuelle Anforderungen reagieren.
Der Mensch wird in diesem Prozess stärker als bisher mit den Maschinen
kollaborieren (Mensch-Maschine-Kollaboration) und für die Steuerung und
Überwachung der Systeme verantwortlich sein.
»Eines ist dabei besonders wichtig: Technik ist nicht Selbstzweck, sondern
nur eine Basis für die Industrie 4.0. Künftig werden reale und virtuelle Welt
miteinander verschmelzen und ganzheitlich miteinander vernetzt sein. Das
ermöglicht vollkommen neue Formen der Produktion und Zusammenarbeit.« (Soder, 2015).
Bei der Gestaltung der Produktionssysteme wird es maßgeblich darauf
ankommen, wie der Mensch in diesen Prozess eingebunden wird und wie
184
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
seine Rolle im Arbeitssystem definiert ist. Klar ist schon heute: auch im
Rahmen von Industrie 4.0 wird der Mensch der entscheidende Faktor sein,
der über den Erfolg des Produktionssystems entscheidet. »Der Trend zur
zunehmenden Informatisierung der Arbeitswelt [hat] potenziell starke Auswirkungen auf die Beschäftigten und deren Situation in den Betrieben generell und spezifisch auf Formen der Arbeitsorganisation […] Dies betrifft
insbesondere die Qualität der Arbeit – einschließlich Faktoren wie Arbeitszufriedenheit und Gesundheit – sowie das allgemeine Qualifikationsniveau
wie auch die spezifisch notwendigen Qualifikationen und Kompetenzentwicklungsprozesse.« (Botthof 2015, S. 5) Bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse wird es darauf ankommen, sinnstiftende und lernförderliche Arbeitsplätze zu schaffen, die das Arbeiten unter angemessenen physischen
und psychischen Belastungen ermöglichen. Dazu wird es erforderlich sein,
die Aufgaben so zu gestalten, dass „geistig mehr (z. B. Problemlösen) und
weniger (z. B. Routineaufgaben) anspruchsvolle Operationen in einem
angemessenen Verhältnis erforderlich sind« (Botthof 2015, S. 11). Das
geht zurück auf das Konzept der vollständigen Tätigkeit / Handlung nach
Hacker und Volpert (Hacker 1973; Volpert 1974). Demnach sollten die
Aufgaben der Beschäftigten nicht nur ausführende, sondern in gleichem
Maße organisierende, planende und kontrollierende Tätigkeiten umfassen.
Im Folgenden wird näher beschrieben, wie sich die Arbeitssysteme unter
dem Einfluss von Industrie 4.0 verändern werden, bevor anschließend
mögliche Szenarien für die Veränderungen der Mitarbeiter gegenübergestellt werden.
1.2
Veränderung der Arbeitssysteme in der Produktion
Arbeitssysteme sind soziotechnische Handlungssysteme im Mikro- und
Makrobereich von Produktion und Logistik, in denen der Mensch zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe in einem definierten Arbeitsablauf mit Produktionsmitteln zusammenwirkt. Die Qualität des erreichbaren Ergebnisses eines intelligenten Arbeitssystems wird durch die Durchgängigkeit des
Informationsaustauschs bei sich ändernden Umgebungsbedingungen und
durch den Grad der Adaptivität beteiligter Sensor-Aktor-Systeme bestimmt. Die Intelligenz des Arbeitssystems besteht wesentlich darin, sich
definiert, zeitnah und verlustarm auf Änderungen der Aufgabenstellung
und der Umgebungsbedingungen einzustellen.
Vor allem in der Automobilindustrie findet das Lean Management eine
breite Anwendung. »Erklärtes Ziel des Lean Managements ist die Steige-
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
185
rung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens durch die Verschlankung aller Geschäftsprozesse, bei deren gleichzeitiger Ausrichtung am
Kunden.« (Maas/Weidner 2014). Kern des Lean Managements ist es, die
in Abb. 1 dargestellten Verschwendungsarten zu vermeiden und die Prozesse so zu gestalten, dass sie einen direkten Kundennutzen stiften. Die
sieben traditionellen Verschwendungsarten wurden um die sogenannte
ungenutzte Kreativität der Mitarbeiter ergänzt. Diese beschreibt den Einfluss, den Mitarbeiter auf die Verbesserung nehmen können, wenn sie sich
in das Unternehmen einbringen und gezielt an der Reduktion der anderen
Verschwendungsarten beteiligen. (Maas/Weidner 2014) Im Rahmen von
Industrie 4.0 wird diese Kreativität einen zunehmenden Stellenwert bekommen. Es bedarf daher Methoden und Technologien, um das Wissen
der Mitarbeiter zu erschließen und für die Optimierung der Prozesse zu
nutzen.
Abbildung 1: Arten der Verschwendung im Lean Management (Maas/Weidner 2014)
186
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Das Lean Management kommt auch im Maschinen- und Anlagenbau zum
Einsatz, dann unter dem Begriff Lean Production. Vor allem in KMU werden oft nur einzelne Maßnahmen aus dem Konzept zur Anwendung gebracht, z. B. Total Productive Maintenance.
In Abb. 2 ist ein Arbeitssystem nach REFA dargestellt, ergänzt um die
Zuordnung der Verschwendungsarten des Lean Management.
Abbildung 2: Arbeitssystem nach REFA mit Zuordnung von Verschwendungsarten (in Anlehnung an REFA2015)
Damit diese Verschwendungen in der Fabrik der Zukunft reduziert werden,
muss der Mensch in die Lage versetzt werden, die zunehmend unvorhersehbaren Prozesse steuern und überwachen zu können. Dabei wird er
durch Assistenzsysteme verschiedener Ausprägungen unterstützt werden.
Um diese nutzen zu können, wird daher von den Mitarbeitern eine Qualifizierung für die Bedienung der informationstechnischen Systeme erforderlich sein. (Reinhart 2015)
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
1.3
187
Szenarien für die veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter
Mit den oben beschriebenen technologiegetriebenen Entwicklungen der
Produktionsprozesse verändern sich auch die Aufgaben- und Anforderungsprofile der Beschäftigten.
Während in vielen Veröffentlichungen zum Thema »Industrie 4.0« bzw.
»Cyber Physical Systems« überwiegend die technologischen Potentiale
der Automatisierung herausgestellt werden, werden in einer Studie des
Fraunhofer-Instituts IAO unter Beteiligung von 661 befragten Unternehmen
die absehbaren Veränderungen der menschlichen Aufgaben, Funktionen
und Positionen in den Szenarien künftiger Produktionsprozesse analysiert.
Demnach werden die Fachkräfte künftig zwar in die technischen Systeme
eingebunden, ggf. unter Nutzung mobiler Endgeräte, ihre spezifischen
Fähigkeiten zur Reflexion und Entscheidungsfindung bleiben als kreatives
Potential in den kontinuierlichen Verbesserungsprozessen aber unverzichtbar vgl. (Ganschar et al. 2013, S. 54).
Eine ähnliche Position vertreten Gorecky u.a. wenn sie mit Bezug auf die
Funktionsweisen sozio-technischer Systeme auf Aspekte der Autonomie
und Entscheidungsbefugnisse verweisen (Gorecky et al. 2014, S. 526).
Dabei kann der Mensch in cyber-physischen Systemen sowohl unmittelbar
in physische als auch über eine Benutzerschnittstelle in virtuelle Komponenten intervenieren:
Abbildung 3: Cyber-physisches Gefüge, in Anlehnung an Zamfirescu, 2012, zitiert nach (Gorecky et al. 2014, S. 525)
188
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Die singuläre Rolle des Menschen bzw. Beschäftigten wird von den Autoren mit Hinweis auf die erforderliche Varietät in der Kybernetik begründet.
Mit steigender Handlungsvarietät kann ein Teilsystem entsprechend mehr
Störungen in Steuerungsprozessen ausgleichen (vgl. ebenda). Damit wird
der Mensch als flexibelstes Element des Systems und entsprechend
höchster Handlungsvarietät zur »übergeordneten Steuerungsinstanz«.
(Gorecky et al. 2014, S. 526)
Auf dieser allgemeinen Beschreibungsebene werden die Beschäftigten
planerische, steuernde, kontrollierende und problemlösende Aufgaben
wahrnehmen, vgl. Abb. 4.
Abbildung 4: Der Mensch als Überwacher der Produktionsstrategie und letzte Instanz im
Entscheidungsprozess (in Anlehnung an Gorecky et al. 2014, S. 526)
Eine vom Institut für Innovation und Technik (iit) des VDI/VDE Innovation
und Technik GmbH herausgegebene Studie skizziert den aktuellen Stand
der Diskussion um Chancen und Risiken dieser Entwicklung (Botthoff und
Hartmann 2015a). Die Herausgeber beschreiben zusammenfassend die
Punkte, zu denen überwiegend ein Konsens festzustellen ist. (vgl. Botthoff
und Hartmann 2015b). Sie erwarten, dass die unter dem Stichwort »Industrie 4.0« adressierten technologischen Innovationen die Arbeitssysteme der Zukunft über den industriellen Sektor hinaus wesentlich beeinflussen. Die Arbeitssysteme der Zukunft sind „…gestaltbar und
gestaltungsbedürftig … paradigmatisch am Konzept des soziotechnischen
Systems mit den Dimensionen »Mensch«, »Organisation« und »Technik«
…« (Botthoff und Hartmann 2015b, S. 161). Die Dimension der »Organisation« wird dabei als der zentrale Ansatzpunkt verstanden, über die Ausgestaltung von Strukturen und Prozessen - sowie daraus folgend der Arbeitsteilung - die Qualität der Arbeit für die Fachkräfte hinsichtlich
Persönlichkeits- und Lernförderlichkeit zu beeinflussen. Die Technikgestaltung soll sich demnach an den aufeinander bezogenen Zieldimensionen
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
189
der »organisationalen Strukturen« sowie der »Qualität der Arbeit für den
Menschen« orientieren (vgl. ebenda S. 161).
Hinsichtlich der Bedeutung des demografischen Wandels betonen die
Autoren einen Konsens zu zwei Anforderungen an die Arbeitsgestaltung.
Das ist zum einen die Entlastung der Beschäftigten von physischen und
psychischen Fehlbeanspruchungen sowie zum anderen die lernförderliche
Gestaltung der Arbeitsprozesse (vgl. ebenda S.162).
Mit Bezug auf die technologischen Potentiale wird herausgestellt, dass die
»…mit Begriffen wie Virtualisierung und Augmentierung bezeichnete Verschränkung und Integration natürlicher und virtueller Realitäten« (Botthoff
und Hartmann 2015b, S. 162) neue Konzepte der Beschreibung und Gestaltung der Mensch-Technik-Organisation erfordern.
Auf Grundlage dieser Einschätzungen werden in der Studie u.a. die folgenden offenen Fragen für weitere Forschung gestellt:
»… Inwieweit und wie können Assistenzsysteme bei anspruchsvollen Tätigkeiten menschliche Experten in ihrer Expertise – und der weiteren Entwicklung ihrer Expertise – unterstützen? …«
»Wie genau soll die Qualifikations- und Kompetenzentwicklung in der und
für die Arbeit umgesetzt werden? In welchem Verhältnis stehen dabei Modelle des Lernens in der Arbeit unmittelbar – lernförderliche Arbeitsorganisation – und arbeitsnahe Formen des Lernens, wie etwa Lernfabriken? «
(ebenda S.163)
2
Lernen und Assistenz
In der Fabrik der Zukunft wird der Grad an Automatisierung zunehmen,
gleichzeitig werden die Produktionsprozesse komplexer. Die menschenleere Fabrik, wie sie lange im Rahmen des Computer Integrated Manufacturing (CIM) proklamiert wurde, ist auch im Rahmen von Industrie 4.0 nicht
zu erwarten, da der Mensch Kompetenzen und Eigenschaften besitzt, die
nicht auf Maschinen übertragbar sind, indem er z. B. auf unvorhersehbare
Ereignisse reagieren, Erfahrungswissen generieren und mit seiner Umwelt
kommunizieren kann.
Zur Rolle des Menschen in den sich verändernden Prozessen sagt Professor Kagermann: »Es wird immer mehr Bereiche geben, die so hoch
automatisiert sind, dass sie weitestgehend ohne menschliche Interaktion
ablaufen. Natürlich führen Mitarbeiter auch weiterhin physische Tätigkeiten
190
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
aus. Sie werden aber noch mehr unterstützt durch physische Assistenzsysteme, die als Fähigkeitsverstärker dienen. Das verschafft erweiterte
Entscheidungs- und Beteiligungsspielräume. Neue IKT-Technologien werden enorm zur Entscheidungsunterstützung beitragen, zum Beispiel durch
maschinelle Extraktionen von Informationen aus unstrukturierten Daten,
explorative Suche in riesigen Datenmengen oder Fusionen von Sensordaten. Die letzte Entscheidung wird aber nach wie vor der Mensch treffen. «
(Ganschar 2013)
Lernen und Assistenz werden dabei ineinander übergehen, was sich z. B.
am Grad der Assistenz spiegeln wird, der sich an die Kompetenz, Erfahrung und kognitiven Fähigkeiten des Bedieners anpassen wird.
Im Folgenden sollen Formen der Assistenz vorgestellt werden, die den
Mitarbeiter in der Fabrik zum einen entlasten werden, insbesondere bei
physisch anspruchsvollen Tätigkeiten, und seine Fähigkeiten zum anderen
stärken, z. B. bei Entscheidungsfindungen und beim Problemlösen.
2.1
Assistenz- und Serviceroboter
Insbesondere für die physische Unterstützung kommen Assistenzroboter
zum Einsatz, die im Arbeitsraum des Menschen agieren und mit ihm zusammenarbeiten. Dabei steht unter anderem die Erfüllung der Sicherheitsanforderungen im Vordergrund. Eine Verletzung des Menschen muss
in jedem Fall ausgeschlossen werden. Assistenzroboter zeichnen sich
zudem dadurch aus, dass sie mit Hilfe von Sensoren und intelligenten
Algorithmen in der Lage sind, ihre Umwelt sowie Personen wahrzunehmen, mit Menschen multimodal zu kommunizieren, gegebenenfalls autonom zu navigieren und selbstständig Entscheidungen zu treffen. Deshalb
stehen neben der Sicherheit Themen wie Navigation, Kognition und multimodale Interaktion im Fokus aktueller Entwicklungen.
2.2
Assistierende Mess- und Prüfsysteme
Im Rahmen der Qualitätssicherung werden assistierende Mess- und
Prüfsysteme benötigt. Während in der Serienfertigung zu großen Teilen
automatisierte Lösungen zum Einsatz kommen, macht die zunehmende
Individualisierung von Produkten mit hoher Bauteilvarianz und kleinen
Losgrößen Assistenzsysteme erforderlich, bei denen Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten. Typischerweise werden diese Mess- und
Prüfsysteme in der Montage eingesetzt.
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
191
Die optische Montageprüfung bildet hier eine Kernfunktion. »Sie umfasst
die Überprüfung verschiedener Montagezustände eines einzelnen Bauteils
in Bezug auf eine komplette Montagebaugruppe. Typische zu überprüfende Montagezustände sind Anwesenheit, Richtigkeit und Lage. Der SollMontagezustand wird durch ein 3D-CAD-Modell definiert, der IstMontagezustand mit optischer Sensorik erfasst. Dazu kommen dreidimensional messende Verfahren, wie die Stereo-Bildverarbeitung, das Lichtschnittverfahren oder die Streifenprojektion zum Einsatz. Die resultierende
3D-Punktwolke kann mit dem 3D-CAD-Modell verglichen werden und gibt
Aufschluss über den jeweiligen Montagezustand. Da üblicherweise Kameras in diesen optischen Sensorsystemen zum Einsatz kommen, stehen
ebenfalls orientierte Bildinformationen für einen Soll-Ist-Vergleich zur Verfügung. Die dazu erforderlichen Soll-Informationen werden auf der Grundlage von Modellinformationen über das Bauteil und über die Messfunktionalität des Prüfsystems durch die Berechnung synthetischer Prüfdaten
berechnet.« (Berndt et al. 2014).
2.3
Kognitive Assistenz
Im Unterschied zu Maschinen und Anlagen verfügt der Mensch über kognitive Fähigkeiten. Dazu zählen z. B. das Problemlösen, die Kreativität und
das Lernen. Im Rahmen der kognitiven Assistenz soll der Mitarbeiter in der
Produktion bei diesen Fähigkeiten unterstützt werden. So werden die zunehmend unvorhersehbaren Prozesse es dem Bediener erschweren die
richtige Entscheidung zu treffen. Es werden daher Assistenzsysteme benötigt, die die Vielzahl der Daten aus den Produktionsanlagen auswerten
und dem Bediener in aufbereiteter Form bereitstellen, damit dieser daraus
die korrekten Schlüsse ziehen kann.
Die Aufbereitung erfolgt in vielen Fällen visuell, z. B. über virtuelle 3DModelle oder mit Hilfe der Augmented Reality. Dabei werden dem Nutzer
die erforderlichen Informationen in seiner Arbeitsumgebung bereitgestellt.
Dies erfolgt auf Bildschirmen, die an der Linie montiert sind und zunehmend auch über mobile Geräte und sogenannte Wearables. Unter
Wearables versteht man Computersysteme, die während der Anwendung
am Nutzer befestigt sind und ihn bei der Durchführung realer Tätigkeiten
unterstützen. Am bekanntesten sind hier die Datenbrillen (z. B. Google
Glass) und die Armbanduhren (z. B. iWatch). Der Entwicklung dieser Geräte ist jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie in der Produktion
zum Einsatz kämen. Hinsichtlich der Ergonomie und Sicherheit beim Ein-
192
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
satz im Arbeitsprozess besteht hier weiterer Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
Neben der Auswertung von Big Data werden dem Bediener Informationen
übermittelt, die nur schwer formalisierbar sind wie z. B. das Erfahrungswissen. Es existieren bereits heute Tele-Maintenance-Lösungen, die es
dem Experten ermöglichen, die Handgriffe des Kollegen über ein Kamerasystem zu verfolgen und ihn bei der Durchführung seiner Tätigkeit zu
unterstützen. Für zukünftige Systeme ist es denkbar, dass dieses Expertenwissen dokumentiert und aufbereitet wird und dann unabhängig von der
Verfügbarkeit des Experten genutzt werden kann.
2.4
Virtuell Interaktive Lernsysteme
Lernsysteme werden bisher vorwiegend begleitend zum Produktionsprozess eingesetzt. Die Gründe dafür liegen vor allem in der mangelnden
Verfügbarkeit der Anlage bzw. deren Stillstand bei der Nutzung für Qualifizierungsmaßnahmen. Zudem sind die zu lernenden Prozesse aufgrund
der zunehmend autonomen Prozesse der Anlagen schwer vorhersehbar,
vielfältig und damit nur bedingt steuerbar.
Die erforderlichen Daten für die Gestaltung von Lernsystemen liegen in
der digitalen Fabrik bereits vor. Deren durchgängige Nutzung entlang des
Produktlebenszyklus, wie es durch die Methoden des Digital Engineering
realisiert wird, und die damit ermöglichte frühzeitige Verfügbarkeit der
Daten für die Entwicklung der Qualifizierungslösungen erlaubt es, die Mitarbeiter bereits in einer frühen Phase des Produktlebenszyklus zu qualifizieren (siehe Abb. 5) und so die Inbetriebnahmezeiten der Anlage zu verkürzen.
Abbildung 5: Vorverlagerung der Qualifizierung im Produktlebenszyklus durch Methoden des
Digital Engineering (Quelle: Fraunhofer IFF)
Bei der Gestaltung der virtuell interaktiven Qualifizierungslösungen steht
der Aspekt der Handlungsorientierung im Vordergrund. Da die Lernumge-
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
193
bung neben der Vermittlung von Faktenwissen und prozeduralem Wissen
vor allem dem Kompetenzerwerb dient, ist es erforderlich komplexe Arbeits- und Lernsituationen erlebbar zu machen. In virtuellen Lernumgebungen kann dieser Erfahrungsraum geschaffen werden, indem der Lerner
mit seiner Arbeitsumgebung interagiert. Dabei basiert ein wesentlicher
Bestandteil der Lerninhalte auf dem Erfahrungswissen der Experten. Dieses Wissens ist zu großen Teilen implizit, d.h. der Träger ist sich dessen
nicht bewußt und kann es nur schwer verbalisieren. Es bedarf daher Methoden und Technologien, wie dieses Wissen transferiert werden kann.
Die wissenschaftliche Community vertritt unterschiedliche Meinungen über
die Explizierbarkeit impliziten Wissens. Während (Nonaka et al. 2012) mit
ihrem Prinzip der Wissensspirale eine Explikation für möglich halten, vertritt (Fischer 2007) die Meinung, dass implizites Wissen nicht explizierbar
ist und sagt: „Wenn sich implizites Wissen nicht explizieren lässt, so müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen es sich erfahren lässt.“ Virtuelle Lernwelten können diese Rahmenbedingungen des
gemeinsamen Arbeitens und Lernens und damit des Wissenstransfers
bieten. (Haase et al. 2013) (Haase et al. 2014)
Dafür werden die Lernumgebungen nach dem Prinzip der vollständigen
Handlung gestaltet und ermöglichen dem Lerner so die Bearbeitung des
vollständigen Prozesses von der Planung, über die Durchführung bis zur
Bewertung. Der Lernprozess wird außerdem durch den Aspekt der Immersion unterstützt. Verschiedene Lernumgebungen können beim Lerner der
Gefühl des „integriert-seins“ in die Arbeitsumgebung unterstützen. So z.B.
das Lernen in einem 360° Grad Projektionssystem wie dem ElbeDom.
(Schenk / Schumann 2008) Abb. 6 zeigt den Aufbau eines Planspiels, das
die verschiedenen Lernwelten (analog, mobil und immersiv) und ihre individuellen Vorteile integriert.
194
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Abbildung 6: Planspiele als Integration analoger und digitaler Lernwelten (Quelle: Fraunhofer
IFF)
Der Transfer dieser Lösungen in die Industrie und die Schaffung von Weiterbildungsinhalten im Bereich Industrie 4.0 ist die Kompetenz des cedemo
EDUCATION. (cedemo 2015)
Die beschriebenen Veränderungen in der Produktion durch Technologien
der Industrie 4.0 bieten weitreichende Potentiale für die Weiterentwicklung
des Lernens als einen die Produktion begleitenden Prozess, der in den
Arbeitsprozess integriert ist.
2.5
Integration von Lernen und Assistenz am Arbeitsplatz
Die im vorhergehenden Absatz beschriebenen Technologien der Virtual
Reality als Lernsysteme im Rahmen von simulierten Arbeitssystemen können durch die Datenintegration in CPS-Umgebungen erhebliche Entwicklungspotentiale erschließen.
Neben der Gestaltung von expliziten Qualifizierungsszenarien gewinnen
aber insbesondere das Lernen im Prozess der Arbeit und damit die lernförderliche Gestaltung der Arbeit an Bedeutung.
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
195
Der Einsatz von CPS wird sich auf die Tätigkeitsprofile der in der Produktion Beschäftigten unterschiedlich auswirken. Das gilt einerseits für die planerischen Tätigkeiten bei Konzipierung, Entwurf und Entwicklung von Maschinen und Anlagen. Absehbar werden aber auch die technischgewerblichen Fachkräfte in der Produktion zunehmend regulierende und
steuernde Aufgaben wahrnehmen. Damit kommen sie zunehmend in die
Rolle von Entscheidern mit gesteigerten Anforderungen an Problemlösungskompetenz, Selbstorganisation und Kommunikation (Ganschar et al.
2013, S. 53 ff.).
Neben der Entlastung von physischen Belastungen durch die Assistenzsysteme steigen mit diesen Anforderungen tendenziell die psychischen
Belastungen der Beschäftigten. Es wird zunehmend schwerer, die komplexen autonomen Systeme aus der Distanz von Steuerungseinheiten
oder Leitwarten zu verstehen, Störungen zu analysieren oder zu beheben
und insgesamt die Verantwortung für einen reibungslosen Systembetrieb
zu übernehmen.
Aus dieser zentralen Rolle des Menschen in cyber-physischen Systemen
als „übergeordnete Steuerungsinstanz“ können Anforderungen an die
Ausgestaltung von Assistenzsystemen als lernförderliche Systeme abgeleitet werden. Dabei sind grundsätzlich die Erkenntnisse der Arbeitspsychologie und Arbeitswissenschaft hinsichtlich der Gestaltung von soziotechnischen Arbeitssystemen oder der Bedeutung vollständiger Handlungsstrukturen als Basis einer lernförderlichen Arbeitsorganisation weiterhin zu berücksichtigen.
Allerdings ändern sich die Bedingungsfaktoren für die Arbeitsgestaltung
unter den Vorzeichen von Industrie 4.0. Während bisherige Automatisierungsmuster überwiegend sequentielle Funktionen und ex ante optimierte
Abläufe adressierten, sollen künftig intelligente, dezentrale Systemkomponenten Funktionen auch autonomer Optimierung und Selbstanpassung
übernehmen können (Hirsch-Kreinsen 2014, S. 6).
Die lernförderliche Arbeitsgestaltung mit einer angemessenen Berücksichtigung auch des Erfahrungswissens der betrieblichen Experten aus dem
Anlagenbetrieb und insbesondere des Störungsmanagements ist also der
zentrale Ansatz für die Integration von Assistenz und Lernen. Die hohe
technologiegetriebene Entwicklungsdynamik fordert jedoch eine entsprechende Bearbeitung des Paradoxons zwischen der Notwendigkeit, Erfahrungswissen und entsprechende Handlungs- und Reflexionsmuster zu
196
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
bewahren, andererseits diese aber auch bewusst zu überwinden, um sich
neue Denkmuster aneignen zu können.
Für eine Orientierung auf bestimmte Muster der Gestaltung lernförderlicher
Assistenzsysteme kann die oben genannte zusammenfassende Analyse
von Forschungsergebnissen zu aktuellen Entwicklungstendenzen der Produktionsarbeit von Hirsch-Kreinsen herangezogen werden. Dort wird zwischen zwei idealtypischen Polen der Arbeitsorganisation unterschieden
(vgl. ebenda S. 23 ff.).
Bei dem als „polarisierte Organisation“ bezeichneten Muster wird zwischen
einer dispositiven Handlungsebene mit hochqualifizierten Akteuren mit
hohem Handlungsspielraum sowie einer operativen Ebene mit einfachen
Tätigkeiten und eher gering qualifizierten Beschäftigten mit einfachen
Überwachungstätigkeiten und geringem Handlungsspielraum unterschieden.
Der als „Schwarm-Organisation“ bezeichnete andere Pol strebt die Zusammenfassung der dispositiven und operativen Ebenen als eine vernetzte Organisation hoch qualifizierter und annähernd gleichberechtigt handelnden Beschäftigten an. Einfache Tätigkeiten werden bei diesem Modell
möglichst weitgehend von automatisierten Systemkomponenten übernommen.
Die skizzierten Szenarien sind einerseits als „Pole“ divergierender Entwicklungsrichtungen zu betrachten, andererseits wird es vielfältige Ausprägungen der Arbeitsorganisation geben, die zwischen diesen Extremen
zugeordnet werden können.
Die hier adressierten Beispiele orientieren sich an kooperativen, Aufgaben- und Kompetenzprofile integrierenden Ansätzen der Arbeitsgestaltung.
Die physischen Belastungen der Beschäftigten sollen durch technische
Assistenz reduziert werden. Eine psychische Fehlbeanspruchung der Beschäftigten soll durch adaptive Anforderungsprofile vermieden werden, die
die Mitarbeiter zum Weiterlernen anregt und dauerhafte Überforderung
vermeidet.
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
3
197
Ausgewählte Lern- und Assistenzsysteme
Im Folgenden werden ausgewählte Referenzprojekte vorgestellt, in denen
Lern- und Assistenzfunktionen in unterschiedlichem Maße ausgeprägt
sind.
3.1
STROBAS – Das stationäre Roboter-Assistenzsystem
Ein Fokus physischer Assistenzsysteme liegt in der Entlastung des Menschen bei gefährlichen, körperlich anspruchsvollen und unergonomischen
Arbeiten.
Im Projekt STROBAS (Schäfer 2014) wurde ein handgeführter Roboter
entwickelt, der den Bediener beim Zusammenfügen von Druckgussformen
unterstützt.
Bisher wurde diese Tätigkeit manuell durchgeführt und war für den Bediener sehr beanspruchend, weil die Formteile viele Male aufeinandergedrückt werden mussten. Aufgrund des Gewichts der Druckgussformen
stellte dies eine erhebliche Belastung für den Bediener dar.
Im Rahmen eines von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt geförderten
Forschungsprojektes entwickelte das Fraunhofer IFF für die Metall- und
Formenbau-GmbH Sachsen-Anhalt ein Roboter-Assistenzsystem zur Unterstützung des Menschen bei dieser Tätigkeit.
Das stationäre Roboter-Assistenzsystem umfasst einen Industrieroboter
mit 45 kg Traglast, in dessen »Handgelenk« ein Kraft-Moment-Sensor
montiert ist, der die auf den Greifer einwirkenden Kräfte erkennt. Als Eingabegerät dient ein Lenkrad, das zwischen Sensor und Greifer montiert
ist. Über dieser Anordnung ist das vom Fraunhofer IFF entwickelte Projektionssystem installiert, das zur optischen Arbeitsraumabsicherung genutzt
wird.
»Die Bedienung des Systems ist denkbar einfach. Der Werker setzt die
Unterseite der Druckgussform in einen Halter auf der Werkbank. Dann legt
er die Oberseite – die er normalerweise viele Male per Hand auf die Unterseite drücken müsste – irgendwo auf der Werkbank ab. Per Tastendruck erkennt der Roboter mithilfe der Kameras das Bauteil, hebt es vollautomatisch auf und reicht es dem Werker an. Nun kann der Bediener die
schwere Druckgussform bearbeiten und sie bei Bedarf mithilfe des Lenkrads in eine beliebige, für ihn ergonomisch günstige Position bewegen. Da
der Roboter die vom Bediener auf das Lenkrad ausgeübte Kraft mit sei-
198
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
nem Kraft-Moment-Sensor misst und seine Bewegungen entsprechend
regelt, fühlt sich die Druckgussform wie schwerelos an: Der Bediener kann
das schwere Bauteil ohne jede Anstrengung bewegen. Hat der Bediener
die Bearbeitung des Werkstücks abgeschlossen, muss die gegriffene
Formhälfte zum Überprüfen der Dichtheit auf die Gegenform aufgelegt
werden. Hierfür drückt er eine Taste auf dem Bedientablet, worauf der
Roboter die Oberseite der Form vollautomatisch mit definierter Kraft auf
die Unterseite drückt. « (Schäfer 2014)
Um neben der physischen Entlastung auch die Sicherheit des Bedieners
zu unterstützen, wurde das Lenkrad mit der am Fraunhofer IFF entwickelten Taktilsensorik überzogen. Diese erkennt, ob der Bediener das Lenkrad
mit beiden Händen greift. Ist das nicht der Fall, hält der Roboter an und
verhindert so, dass der Mensch die Hand in die Roboterkinematik führt
und sich dabei verletzt. (Schäfer 2014) Abb. 7 zeigt die Handhabung des
Roboters.
(a)
(b)
Abbildung 7a: Das Lenkrad erkennt beide Hände des Werkers und gibt den Roboter zur
Führung frei.
Abbildung 7b: Der Werker überschreitet den Schutzbereich des Projektionssystems. Der
Roboter hält an.
(Fotos: Fraunhofer IFF)
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
3.2
199
Assistierende Mess- und Prüfsysteme im Flugzeugbau
Ähnlich wie in der Automobilindustrie ist auch der Flugzeugbau von einer
zunehmenden Individualisierung geprägt. Die Vielzahl an Varianten ergibt
sich z. B. durch die Anordnung der Sitzreihen und die individuelle Anordnung von Monitoren, Gepäckfächern und Lüftungsanlagen im Flugzeug.
»All diese Wünsche führen zu einer individualisierten Produktion mit Tausenden Klein- und Kleinstelementen, die an den jeweiligen Großbauteilen
stets aufs Neue positioniert und montiert werden müssen.« (Berndt et al.
2014)
Diese Individualität erschwert sowohl die Montage als auch die Qualitätskontrolle. Bisher dienen dazu weiterhin Papierunterlagen, aus denen die
Vorgaben entnommen werden und die am Flugzeug mit dem IST-Zustand
abgeglichen werden. Dieser Aufwand ist beträchtlich; am A380 sind bis zu
40.000 Nieten an jeder der zwanzig Rumpfschalen zu prüfen. Zusätzlich
müssen etwa 2.500 Anbauteile auf richtige Montage und korrekte Lage
geprüft werden. Das bedeutet einen hohen manuellen Aufwand und enorme Kosten im Falle einer nachträglichen Korrektur.
Um hier eine höhere Flexibilität zu erreichen und die Kosten langfristig zu
reduzieren, wurde ein Mess- und Prüfsystem auf der Basis eines modellbasierten Ansatzes entwickelt. Dieses nutzt die digitalen Geometriemodelle und die physikalischen Funktionsmodelle der interagierenden Komponenten und Funktionsmodule. »So kann ein Funktionsmodul zur Prüfung
zum Beispiel die digitalen 3D-CAD-Modelle des zu prüfenden Bauteils und
des Prüfkopfes selbst sowie ein physikalisches Funktionsmodell des Prüfkopfes nutzen, um die Prüfung zu simulieren. Auf dieser Grundlage sind
dann Arbeitsschritte wie die Prüfplanung und die Bereitstellung von SollZuständen vollautomatisch und damit effizient durchführbar, auch für eine
Stückzahl von Eins. Klassische Prüfsysteme – basierend auf GoldenSample- oder lernbasierten Ansätzen – sind hierfür meist nicht effizient
einsetzbar. Durch die kontinuierliche Veränderung der Prüfaufgabe wäre
ein stetiges manuelles Einlernen der zugrunde liegenden Sollvorgaben mit
extrem hohem Aufwand verbunden.« (Berndt et al. 2014)
200
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Abbildung 8: Prüfaufbau an einer Flugzeugrumpfschale (Foto: Fraunhofer IFF)
Im praktischen Einsatz hat sich gezeigt, dass durch den modellbasierten
Prüfansatz die Qualität der Prüfung verbessert werden konnte. Die Prüfergebnisse sind sehr zuverlässig und reproduzierbar, die Fehlerrate liegt
jetzt bei <1%. Falsch montierte Bauteile werden frühzeitig erkannt. Es
konnte so erreicht werden, dass bei der Endmontage die Fehlerrate falsch
vormontierter Teile auf null reduziert wurde. Die Prüfdauer kann durch den
Einsatz des Assistenzsystems derzeit nicht verbessert werden. Die Ursachen hierfür liegen z.B. in der schlechten Erreichbarkeit vieler Bauteile,
was dann wiederum eine manuelle Prüfung erforderlich macht. Hier besteht weiterer Entwicklungsbedarf. Die Auslieferqualität konnte durch den
Einsatz modellbasierter Prüfverfahren aber nachweislich verbessert werden.
3.3
Assistenzsystem zum Monitoring und zur Bewertung von
Sensordaten an Logistikknoten
Logistikknoten werden in der Regel durch Sensorinfrastrukturen, bestehend aus Kamerasystemen und funkbasierten Ortungssystemen, überwacht. Die sensorische Erfassung von Bewegungen von Personen und
Objekten sowie der Performanz dieser Infrastrukturen in Echtzeit schaffen
die Voraussetzungen für die Gestaltung intelligenter Logistikräume mit
einer verhaltensbasierten Analyse und Steuerung von Prozessen. (Schenk
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
201
et al. 2012) Die Informationen, die über diese Sensoren geliefert werden,
sind für den Menschen aufgrund ihrer Vielzahl, Dynamik und Anordnung
schwer zu erfassen und in einen räumlichen Kontext zu setzen.
Aus den realen Videodaten kann eine sogenannte virtuelle Draufsicht generiert werden. Dazu werden die Einzelansichten entzerrt und in einer
Gesamtansicht zusammengefügt und ermöglichen so die räumliche und
zeitliche Bewertung der Daten in einer Art Birdview in Echtzeit. (Borstell et
al. 2012)
Integriert man diese Daten in ein echtzeitfähiges 3D-Modell des Logistikknotens, wird das räumliche Zusammenwirken der Sensorinformationen für den Betrachter transparent und nachvollziehbar. Zudem kann in
diesem Modell interaktiv navigiert werden und eine visuelle Überprüfung
durch den Menschen erfolgen.
Diese Form der Datenaufbereitung kann auch in der Produktion zur Anwendung kommen und dort z. B. zur Überwachung von logistischen Prozessen oder der Freiheit von Flucht- und Lieferwegen genutzt werden. Die
Nutzung der realen Videobilder, die aus datenschutzrechtlichen Gründen
oft nicht möglich ist, wird so umgangen. Objekte, wie z. B. Betriebsmittel,
die mittels Analyse der Videodaten erkannt werden, werden im virtuellen
Modell visualisiert. Bei Bedarf kann aus dem virtuellen Modell auf die virtuelle Draufsicht und folgend auf die realen Einzelansichten und die zugehörigen Sensoren geschlossen werden.
Das beschriebene Assistenzsystem steigert die Awareness der Mitarbeiter
für die Einhaltung und Überprüfung relevanter Qualitätskriterien. Damit
werden die Prozessqualität und -sicherheit langfristig gesichert.
3.4
Virtual Reality-basiertes Lernsystem in der Prozessindustrie
Die Firma Fangmann Energy Services GmbH & Co. KG aus Salzwedel hat
eine mobile Freiförderanlage für Erdgasbohrungen entwickelt, die bei der
Unterstützung der Produktion bei der Erdgasförderung eingesetzt wird. Für
die Gewährleistung des sicheren Anlagenbetriebes ist die Qualifizierung
der Bediener von besonderer Bedeutung. Diese umfasst drei wesentliche
Anforderungen: (vgl. Edeling et al. 2013)
1. Prozess- und Anlagenverständnis der Freiförderanlage
2. Vermittlung von Kenntnissen zur Bedienung der Freiförderanlage
3. Sammlung von Erfahrungen zur Bedienung der Freiförderanlage
bereits vor der Fertigstellung
202
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
Die Vermittlung dieser Lerninhalte kann nur sehr eingeschränkt im praktischen Betrieb erfolgen. Bereits während der Entwicklung sollten die zukünftigen Bediener qualifiziert werden und darüber hinaus ihre Erfahrungen in die Entwicklung mit einbringen.
Dazu wurde ein Lernsystem entwickelt, das auf der Basis der aktuellen
Konstruktionsdaten die Handlungsanweisungen für die Montage, Inbetriebnahme, Betrieb und Instandhaltung der Anlage vermittelt und bedarfsgerecht zur Verfügung stellt.
Die Nutzung des Lernsystems sollte vor Ort im Arbeitsprozess erfolgen.
Dazu wurde die Anwendung im Leitstand verfügbar gemacht und mit dem
Prozessleitsystem gekoppelt (siehe Abb. 9)
Die Entwicklungszeit der Anlage konnte durch die Unterstützung des VRgestützten Design-Reviews, u.a. mit den verantwortlichen Behörden, und
der Möglichkeit der frühzeitigen begleitenden Mitarbeiterqualifizierung um
ca. 25 % verkürzt werden. So waren die Mitarbeiter bei der Inbetriebnahme bereits qualifiziert, was zu einer Verkürzung der Inbetriebnahmephase
um ca. 20 % führte.
Abbildung 9: Lernsystem im Leitstand (Foto: Fraunhofer IFF / Dirk Mahler)
Integrierte Lern- und Assistenzsysteme für die Produktion von morgen
4
203
Zusammenfassung und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurden die Veränderungen der Produktionssysteme im Rahmen der Entwicklungen der Industrie 4.0-Initiative betrachtet.
Dabei liegt der Fokus des Beitrags auf der Betrachtung des Menschen und
seinen Anforderungen an lernförderliche und gesunde Arbeit.
Anhand ausgewählter Beispiele werden Lösungen für Lern- und Assistenzsysteme vorgestellt, die in der Industrie bereits im Einsatz sind.
Ziel ist es, diese vorhandenen Ansätze in einem ganzheitlichen Lern- und
Assistenzsystem zu integrieren.
Dazu wird in dem vom BMBF geförderten Forschungsprojekt ProcessAssist (BMBF 2015) ein CPPS-basiertes Assistenzsystem für die Prozessindustrie entwickelt werden, dessen Ergebnisse dann auch auf Produktionsanlagen übertragbar sind.
Ziel des Projektes ist es, die Auslastung bestehender prozesstechnischer
Anlagen zu erhöhen und die Zeiten für Wartung und Instandsetzung zu
reduzieren, um dadurch eine verbesserte Wirtschaftlichkeit der Anlagen zu
erzielen. Im Rahmen von ProcessAssist werden Sensordaten der Anlage
erfasst und auf ein einheitliches Datenmodell übertragen, das die Grundlage für die zu implementierenden (mobilen) Assistenzfunktionen bietet
(siehe Abb. 10).
Die vier Anwendungsszenarien von CPPS in KMU aus dem Bereich der
Prozessindustrie sind die Chemie, Erdgasförderung, Energie und Raffinerie. ProcessAssist soll den Anwendern (Anlagenbetreibern) folgende
Mehrwerte schaffen:
 Reduzierung ungeplanter technisch bedingter Stillstandzeiten im
Betrieb befindlicher prozesstechnischer Anlagen. Dies führt unter anderem zur Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz, der Anlagenverfügbarkeit sowie der Anlageneffektivität
 Automatische Dokumentation von Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten (Compliance).
204
Tina Haase, Wilhelm Termath, Marco Schumann
externe Dateninfrastrukturstruktur
ContextWissen
Fehlerlisten
Daten
Anwenderzentrierte
Assistenzsysteme
Homogenisierung
(mobil und stationär)
3D-Anlagenmodell
Individuelle Entwicklung
Abbildung 10: Prinzipskizze eines anwenderzentrierten Assistenzsystems in ProcessAssist
(Quelle: Fraunhofer IFF)
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Lehren und Lernen mit Lernfabriken – Übersicht
209
Lehren und Lernen mit Lernfabriken
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine
moderne Arbeitswelt
Horst Meier, Bernd Kuhlenkötter, Dieter Kreimeier, Sebastian Freith, Björn
Krückhans, Friedrich Morlock, Christopher Prinz
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform
einer Universität
Martin Schmauder, Martin Erler, Christian Fabig, Christian Friedrich,
Daniel Gröllich, Anja Günther, Gritt Ott
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
211
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
Horst Meier, Bernd Kuhlenkötter, Dieter Kreimeier, Sebastian Freith, Björn
Krückhans, Friedrich Morlock, Christopher Prinz
Das Ziel jeder Lerneinheit ist, dass die Teilnehmer ihr Wissen über die
Lehrveranstaltung hinaus anwenden können. Im Mittelpunkt steht der
Transfer des Erlernten in den eigenen Arbeitsalltag. Vor diesen Herausforderungen stehen insbesondere Unternehmen bei der Schulung von Mitarbeitern, wie auch Hochschuleinrichtungen bei der studentischen Lehre. In
den letzten Jahren wurden hierzu zunehmend Lernfabriken entwickelt und
zur praxisorientierten Wissensvermittlung eingesetzt. Der prinzipielle Ansatz von Lernfabriken besteht darin, die komplexen Geschäftsprozesse in
einem verständlichen Maße zu übertragen und Methoden und Konzepte
zu entwickeln, um Verbesserungsmaßnahmen und Einsparungspotenziale
in Bezug auf den Ressourceneinsatz zu identifizieren. In der frühen Anfangsphase der Lernfabriken wurde der Fokus insbesondere auf die Bereiche Lean-Management und Prozessverbesserung gerichtet. Zusätzlich hat
sich durch einen steigenden Bedarf an Ressourcen ein weiteres Themenfeld für den Einsatz von Lernfabriken ergeben. Der Lehrstuhl für Produktionssysteme (LPS) unterstützt diese Ansätze, wobei folgende drei Teilbereiche abgedeckt werden: Lean-Management, Ressourceneffizienz,
Management und Organisation (betriebliche Mitbestimmung). Dieser Beitrag soll hierzu zeigen, wie eine Lernfabrik mit der gleichen Infrastruktur für
unterschiedliche Themen angewandt werden kann. Zudem soll beschrieben werden, wie diese Themenbereiche durch praxisorientierte LernfabrikLerneinheiten zur Schulung von Studenten und Industrieteilnehmern genutzt werden kann.
1
Einleitung
Bei einer Lernfabrik handelt es sich um die Kombination aus einer Schulungsfläche, die der Vermittlung von theoretischem Wissen dient, und einem realen Produktionsumfeld, das zur Vertiefung der erlernten Methoden
an einem realen Produkt herangezogen wird. Gerade in der studentischen
Lehre erfreuen sich Lernfabriken immer größerer Beliebtheit, was nicht
zuletzt aus der realitätsnahen Vermittlung von theoretischen Inhalten an
212
Meier et al.
einem praktischen Fertigungsprozess resultiert (Abele et al. 2007), (Riffelmacher et al. 2009). Durch die Lernfabrik werden den Lernenden reale
Betriebsstrukturen zur Verfügung gestellt, die nicht durch einen klassischen Frontalunterricht abgedeckt werden können (Zinn 2014). Dabei
kann die Fertigungsumgebung der Lernfabrik individuell auf die Bedürfnisse des jeweils zu vermittelnden Themenblocks abgestimmt werden. Die
Möglichkeit der individuellen Anpassung der Lernumgebung ermöglicht es
zusätzlich für unterschiedliche Interessentenklassen aus der Industrie
spezifische Schulungen zu einem Themenfeld anzubieten. Aktuell beschäftigen sich verschiedene Zusammenschlüsse (Initiative of European
Learning Factories, Cirp Working Group on Learning Factories, Netzwerk
innovativer Lernfabriken) mit unterschiedlichen Fragestellungen hinsichtlich Definition, Klassifizierung, Anwendung, Kooperation, etc. von Lernfabriken.
Der Lerneffekt und die Wissensreproduktion können durch das didaktische
Konzept der Lernfabrik nachhaltig durch die integrative Kombination aus
theoretischem Methodenlernen und praktischen Anwendungsfall gesichert
werden (Zinn 2014). Des Weiteren wird durch die individuellen Industrieschulungen und die direkte praktische Anwendung des Gelernten die Akzeptanz der Mitarbeiter für die Einführung neuer Methoden erhöht (Derr et
al. 2010).
In der Anfangsphase der Lernfabriken wurde der Fokus besonders auf die
Prozessverbesserung gerichtet. Der Lean Management-Ansatz als zentrales Element der Prozessverbesserung wurde hier insbesondere adressiert.
Zusätzlich hat sich durch eine weltweit steigende Nachfrage an Ressourcen ein weiteres Themenfeld für den Einsatz von Lernfabriken ergeben
(Kreimeier et al. 2014b). Die Lernfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme deckt folgende Bereiche ab: Lean-Management, Ressourceneffizienz, Management und Organisation sowie Industrie 4.0. Diese unterschiedlichen Themenschwerpunkte sollen in der Produktion eines realen
Produkts in der Lernfabrik kombiniert werden. Dieser Beitrag soll zeigen,
inwiefern diese unterschiedlichen Bereiche in eine Lernfabrik integriert
werden können. Somit kann eine produktionstechnische Infrastruktur für
unterschiedliche Themen genutzt werden. Zusätzlich soll in diesem Beitrag
beschrieben werden, wie die konkreten Lerneinheiten dieser Themenbereiche konzipiert sind. Durch die steigende Bedeutung des Themas Lernfabrik haben sich in den letzten Jahren Netzwerke zu diesem Thema entwickelt. Die LPS-Lernfabrik ist sowohl Mitglied im europäischen Netzwerk
für Lernfabriken als auch im Projekt NIL, welches durch den deutschen
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
213
akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert wird und die Kooperation zwischen den führenden Universitäten im Bereich Lernfabriken unterstützt soll.
2
Bedarf zum Einsatz von Lernfabriken
Arbeitsumgebungen haben sich durch steigende Konkurrenz auf den
Weltmärkten und zunehmende Komplexität der Produktionssysteme stark
verändert. Hoch qualifizierte Mitarbeiter haben in Unternehmen einen entscheidenden Stellenwert eingenommen. Um die Kompetenzen der Mitarbeiter weiterentwickeln zu können, müssen verschiedene Lernplattformen
entwickelt werden (Abele et al. 2012). Der Performance-Beitrag unterschiedlicher Lernmuster lässt sich anhand der Effektivität (z.B. Lernmotivation, Anwendungsnähe) und Effizienz (z.B. Lernkosten, Lernaufwand) vergleichen (Ehrenmann 2015). Das Lernen innerhalb von Pilot-/Lernfabriken
ist die Kombination aus hoher Lerneffizienz und -effektivität (Abbildung 1).
Planspiele werden seit mehreren Jahren in unterschiedlichen Bereichen
eingesetzt. Dennoch hat sich gezeigt, dass durch eine fehlende an die
vorherrschenden Bedingungen angelehnte Arbeitsumgebung die Ergebnisse aus den Planspielen nicht ausreichend auf den eigenen Bereich
übertragen werden können. Auch die Rolle der Mitarbeiter in einem Verbesserungsprozess wird auf diese Weise nicht berücksichtigt (Badurdeen
et al. 2010). Diese Lücke wird durch den Einsatz von Lernfabriken zunehmend geschlossen (Abele et al. 2012).
Meier et al.
Lerneffektivität
214
IDEAL
NORMAL
Lernen
durch tun
Pilot-FactoryKonzept
Praktizieren
Lernen
durch testen
Prototyping
Lernen
im Modell
Simulieren
Lernen
am Modell
Imitieren
FATAL
NORMAL
Lerneffizienz
Abbildung 1: Differenzierung unterschiedlicher Lernmuster (Ehrenmann 2015)
Die Übertragung der gewonnenen Kenntnisse aus den Übungen wird
durch reale Arbeitsbedingungen gefördert. Maßnahmen zur Prozessoptimierung können ohne jegliches Risiko und Kostendruck entwickelt und
trainiert werden (Abele et al. 2007). Der Trend zum Aufbau von Lernfabriken stellt kein rein universitäres Phänomen dar, sondern wird zunehmend
auch in Industrieunternehmen beobachtet (Abele et al. 2012), (Badurdeen
et al. 2010), (Riffelmacher et al. 2009), (Kreimeier et al. 2013). Durch eine
stetige Nachfrage an Lernmethoden wird eine steigende Anzahl an Lernfabriken prognostiziert (Abele et al. 2010). Die Vorteile von Lernfabriken
lassen sich jedoch auch für die studentische Ausbildung nutzen. Durch
den Praxisbezug und den Transfergewinn lassen sich somit universitäre
Lehrinhalte durch die Studenten im späteren Berufsleben einfacher anwenden. Hierdurch wird eindeutig der Praxisbezug im Studium erhöht. Im
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
215
folgenden Beitrag wird nicht mehr zwischen Studenten und Industrieteilnehmern unterschieden, da beide Gruppen Teilnehmer der Lernfabrikübungen sein können.
3
Das Konzept der Lernfabrik am LPS
Der Lehrstuhl für Produktionssysteme gründete seine Lernfabrik im Jahre
2009 (Kreimeier et al. 2013). Im Anfangsstadium wurden die Themen Prozessverbesserung und Lean-Management in der Lernfabrik bearbeitet.
Durch neue Herausforderungen in der Produktentwicklung und globale
Veränderungen folgten weitere Themen. Insbesondere die steigenden
Kosten für Ressourcen wie Material und Energie und die Forderung nach
Umweltschutz geben dem Thema Ressourceneffizienz einen besonderen
Stellenwert. Auch die Bereiche Management und Organisation von Arbeit
sowie die steigende Einbindung der Mitarbeiter werden berücksichtigt. Die
weltweite Finanzkrise hat gezeigt, dass Deutschland mit einem einzigartigen System von Gewerkschaften im Vergleich zu anderen Ländern deutlich schwächer von den Auswirkungen getroffen wurde. Die zukünftige
Herausforderung besteht darin diese Position zu stärken und Mitarbeiter
aus der Industrie und Studenten in den genannten Bereichen auszubilden.
In Kapitel 2 wurde bereits die zentrale Bedeutung der praxisorientierten
Lernumgebung von Lernfabriken hervorgehoben. Gleichfalls ist es möglich
die Schulungen hinsichtlich der einzelnen Anwendungsgruppen zu individualisieren und für die unterschiedlichen Interessensgruppen spezifische
Lösungen für Fortbildungen anzubieten. Die spezifischen und unterschiedlichen Bedürfnisse von z.B. Mitarbeitern im Management im Vergleich zu
Mitarbeitern auf der Shopfloorebene lassen sich so berücksichtigen und
lerngruppenspezifische Konzepte entwickeln. Durch diesen individuellen
Lernweg sollen größere Lernerfolge generiert werden. Neben diesen interessengruppenspezifischen Konzepten erlaubt das flexible Fertigungsumfeld einer Lernfabrik ebenfalls die individuelle Anpassung der Fertigung
und somit der Produktionsstruktur an die verschiedenen fokussierten
Themenstellungen die im Rahmen der Schulungen vermittelt werden sollen. Diese individuelle und somit optimal unterstützende Fertigungsumgebung ermöglicht ebenfalls eine spezifische Anpassung der Lehr- sowie
Lerneinheiten und soll ebenfalls den individuellen Lernerfolg erhöhen.
Aus Gründen der Effizienz sowie der Effektivität wird innerhalb der Lernfabrik des Lehrstuhls für Produktionssysteme eine One-Product-Logic für
die einzelnen Themenfelder genutzt. Dies soll bei den Studenten aber
auch bei den Seminarteilnehmern zu Wiedererkennungseffekten führen
216
Meier et al.
und so ebenfalls den Lernerfolg erhöhen. Gleichzeitig sorgt ein einheitlicher Produktionsprozess für geringe Aufbau- sowie Vorbereitungszeiten.
Dennoch sind unterschiedliche Anpassungsmaßnahmen des Fertigungsprozesses für die einzelnen Themenfelder notwendig. Die Integration von
neuen Themenfeldern führt an dieser Stelle zu einer deutlichen Zunahme
der Anzahl an unterschiedlichen Fertigungsprozessen, was wiederum die
Vorbereitung verkompliziert. Um ebenfalls dem hohen Maß an Flexibilität
gerecht werden zu können sind zunächst hohe Investitionen in die Ausstattung einer Lernfabrik zu tätigen, die sich in letzter Konsequenz allerdings durch eben dieses Maß an Flexibilität rechtfertigen. Außerdem lassen sich durch ebendiese Nutzung von einem Beispielprodukt die
Entwicklungs-, die Produktions- und die Umsetzungskosten bei der Entwicklung einer Lernfabrik reduzieren.
Der Lehrstuhl für Produktionssysteme ist kontinuierlich bestrebt neue
Themengebiete in der Lernfabrik zu erarbeiten. Die drei bisher integrierten
Themenkomplexe und deren Umsetzung sowie die Entwicklung eines
vierten Themenkomplexes werden als Beispiele nachfolgend erläutert.
Abbildung 2: Integrierte Themenfelder der LPS Lernfabrik
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
3.1
217
LPS Lernfabrik für Prozessoptimierung
Methoden der Prozessoptimierung, wie beispielsweise Lean ManagementMethoden, verursachen bei Mitarbeitern häufig erste Ablehnungen. Dabei
spielen die Mitarbeiter – wie bei allen Veränderungsprozessen – eine
Schlüsselrolle für die Unternehmen. Prozessverbesserungsmethoden sind
insbesondere bei der Problemlösung im Unternehmen von großer Bedeutung (Liker et al. 2007). Fehlende Kenntnisse über schlanke Produktionen
und unzureichendes Training sind Ursachen für ablehnende Haltungen
(Dombrowski et al. 2008). Hierauf muss durch schnelle und erkennbare
Verbesserungen reagiert werden. Für die Qualifizierung bedeutet dies,
dass theoretisches Wissen zeitnah angewendet werden soll (Derr et al.
2010). Praktische und aktionsorientierte Ansätze (z.B. Planspiele) werden
hierzu beispielsweise auf Grund ihrer Überzeugungskraft auf allen Ebenen
der Mitarbeiterweiterbildung eingesetzt (Womack et al. 1997).
Die LPS Lernfabrik für Prozessoptimierung wurde 2009 als erste Lernfabrik am LPS eingeführt. Die Problematik der praxisorientierten Vermittlung
von Inhalten aus dem Industrial Engineering und dem Lean Management
für Studenten und Mitarbeitern aus der Industrie, begegnet der LPS mithilfe einer eigenen Lernfabrik. Der Einstieg des mehrstufigen Lehrkonzepts
erfolgt durch ein Planspiel mit LEGO®-Fahrzeugen, um die Hemmschwelle durch einen „spielerischen Ansatz“ zu verringern. Die Teilnehmer montieren in zwei Gruppen in mehreren Runden die LEGO®-Bausätze, wobei
intuitiv Methoden zur Prozessverbesserung angewendet werden. Erst
nach dem Durchlauf werden die Methoden explizit genannt und durch
theoretisches Wissen ergänzt. Bei der Implementierung von Ganzheitlichen Produktionssystemen bzw. Lean Produktionssystemen wird meist die
5S Methode in Unternehmen zuerst umgesetzt, da sie einfach anzuwenden ist und häufig mit bestehenden Inhalten verknüpft werden kann. Durch
die integrierte Lernumgebung in einer Lernfabrik kann dieses Themengebiet in der zweiten Lerneinheit den Teilnehmern an realen Arbeitsplätzen
vermittelt werden. Die Teilnehmer haben dann unter anderem die Aufgabe, ein 5S-Audit durchzuführen. Somit werden neben der Methode 5S die
Themen und Techniken wie Audits, Reifegrad, Verschwendung, WasteWalk und Kreidekreis vermittelt. In einem anschließenden Schritt werden
die Grundlagen der Arbeitssystemgestaltung vermittelt. Hierzu hat sich das
Methods-Time Measurement (MTM)-Verfahren in der Industrie durchgesetzt. Den Ursprung hat das MTM-Verfahren in der Zeitwirtschaft. Durch
die Einflussgrößen manueller Montagetätigkeiten eignet sich das Verfahren jedoch auch für die Arbeitssystemgestaltung. Grundlage ist die geziel-
218
Meier et al.
te Unterteilung der Arbeitsschritte in Prozessbausteine, denen eine definierte Prozessdauer hinterlegt ist. Auf diese Weise können Arbeitsplätze
und Vorgabezeiten sowohl im laufenden Betrieb als auch prospektiv in der
Planungsphase gestaltet und geplant werden. Im Rahmen der Lernfabrik
wird ein realer Monatearbeitsplatz von den Teilnehmern mit dem MTMVerfahren optimiert. Mithilfe einer erstellen MTM-Analyse lassen sich Verbesserungen hinsichtlich Zeit, Kosten und Ergonomie realisieren.
Nachdem in den ersten Lerneinheiten der Einstieg in die Prozessverbesserung und die Arbeitsplatzoptimierung im Fokus stand, soll mit den
Lerneinheiten zur Wertstromanalyse ein Überblick über die Verkettung von
Arbeitsstationen mit gemeinsamen Material- und Informationsflüssen erfolgen. Mit der Betrachtung des Wertstroms können Verbesserung am
Gesamtsystem realisiert werden. Dazu wird die Herstellung eines realen
Produktes (Flaschenverschluss) herangezogen. Der Flaschenverschluss
besteht sowohl aus Bauteilen, die durch die mechanische Fertigung hergestellt werden, als auch Zukaufteilen. Anhand von selbst erstellten Wertstromanalysen sowie zu entwickelnden Soll-Wertströmen werden die Teilnehmern auch mit Lean-Methoden wie Supermarkt, Kanban, Pull und Just
in Time (JIT)/Just in Sequence (JIS) konfrontiert. Die erarbeiteten Veränderungen in den Wertströmen können in der Lernfabrik ohne Risiko praktisch umgesetzt werden. Die Wirksamkeitsprüfung der Verbesserungsmaßnahmen erfolgt anhand von KPIs (Key Performance Indicators).
Hiermit können Verbesserungen und eventuelle Verschlechterungen visualisiert werden. Dies hat einen wichtigen Beitrag für den Lernerfolg der
Teilnehmer zufolge.
Durch den Einbezug von virtuellen Simulationsmodellen können Aussagen
über komplexere „Was-wäre-wenn“ Szenarien getroffen werden. Im Rahmen der Schulung lernen die Teilnehmer die Durchführung von Simulationsstudien nach VDI 3633. Auf Basis der realen Lernfabrik werden Maschinen und Prozessschritte abstrahiert, um das virtuelle Modell zu
generieren sowie zu parametrieren. Der komplette Durchlauf der Norm
steht im Fokus des Schulungsteils, da jeder Teilnehmer die notwendigen
Schritte von realen Produktionsschritten hin zum virtuellen Abbild durchführen soll. Die anschließende Optimierungsphase verdeutlicht den Teilnehmern die Vor- und Nachteile von ergänzenden virtuellen Simulationsmodellen im Rahmen der realen Lernfabrik. In der abschließenden
Lehreinheit Prozessoptimierung erfolgt eine Gesamtzusammenfassung
der vermittelten Methoden. Durch die Simulation eines Auftragsdurchlaufs
vom Kunden bis zum Versand unter Hinzunahme von Zulieferern und indi-
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
219
rekten Abteilungen wird ein großer Teil des Unternehmens im realen oder
virtuellen Umfeld simuliert. Zusammenfassend bietet das mehrstufige
Lernkonzept einen „spielerischen“ Einstieg in das Themengebiet Prozessoptimierung. Theoretisch vermittelte Inhalte können mit den Methoden
der Toolbox (Abbildung 3) direkt in praktischen Einheiten angewendet und
geübt werden.
Abbildung 3: Lerninhalte der Lernfabrik für Prozessoptimierung
3.2
Lernfabrik für Ressourceneffizienz
Besonders für das produzierende Gewerbe ist es bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen unabdingbar, den Blick auf Energie- und Ressourceneffizienz zu richten. Denn nicht nur die politischen Rahmenbedingungen, sondern vielmehr die steigenden Ressourcenpreise und der
wachsende Wettbewerb auf internationaler Ebene machen Energie- und
Ressourceneffizienz zu wettbewerbsentscheidenden Faktoren (Kreimeier
et al. 2013b). In Zukunft gilt es für Unternehmen ihren Blick nicht ausschließlich auf Zielgrößen wie Zeit, Kosten und Qualität zu lenken, sondern verstärkt weiteren Kriterien, wie Energie- und Materialeffizienz sowie
die Verringerung der CO2-Emissionen, Aufmerksamkeit zu schenken (Bakir et al. 2013). Der Bereich der Ressourceneffizienz wird bereits von zahlreichen Consulting-Agenturen in Seminaren behandelt, wobei eine praktische Implementierung in Lernfabriken noch weitestgehend fehlt, aber von
zunehmender Wichtigkeit für die gezielte Schulung von Mitarbeitern in
diesem Bereich ist.
220
Meier et al.
Hier schafft die Lernfabrik für Ressourceneffizienz (LRE) des Lehrstuhls
für Produktionssysteme Abhilfe. Die Lernfabrik für Ressourceneffizienz ist
das Abbild einer realen Produktionsumgebung mit einem realen Produkt.
Die fokussierten Mitarbeiter umfassen dabei alle Unternehmensebenen
vom Management- bis zur Shopfloorebene. Alle beteiligten Mitarbeiter
können durch Lernfabriken, in einer praxisnahen Umgebung, einen Blick
über den eigenen Arbeitsplatz hinaus erlangen. Der Fokus liegt dabei auf
der Gesamtheit aller Prozesse und somit auf dem betrieblichen Gesamtzusammenhang. Den Teilnehmern werden dabei Werkzeuge und Methoden gezielt an einem realen Produkt vermittelt. Mit den vermittelten Werkzeugen und Methoden werden die Mitarbeiter in die Lage versetzt,
eigenständig betriebliche Verschwendungen zu erkennen und zu eliminieren (Abbildung 4). Hierbei wird ebenfalls das Verständnis des Informationsflusses von der Aufnahme von Messsignalen über die Generierung von
KPIs bis hin zur Ableitung von Optimierungspotenzialen fokussiert.
Abbildung 4: Lerninhalte der Lernfabrik für Ressourceneffizienz
Der praktische Teil der Schulung beginnt mit einem Gespräch der Teilnehmer mit dem Kunden, in dem das zu produzierende Produkt (Halter f.
Flaschenverschluss) näher erläutert wird und Anforderungen an eine besonders ressourcenschonende Produktion festgelegt werden. Im nächsten
Schritt analysieren die Kursteilnehmer das Produkt und den Materialfluss
in der Produktionsumgebung. Während der Analysephase werden die
Methoden Wertstrom- und Materialflussaufnahme angewendet. Im dritten
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
221
Schritt werden Messwerte mit den installierten Messsystemen aufgenommen und alle Eingangs- und Ausgangsgrößen für jeden Prozessschritt
ermittelt. Mit den gesammelten Messwerten können die einzelnen Herstellungsprozesse bewertet werden. Insbesondere die Verteilung der Sensoren und die Zuteilung der Messpunkte spielen eine wichtige Rolle bei der
Bildung eines Betrachtungsraumes und der Generierung von KPIs.
Abbildung 5: Datenerfassungssystem innerhalb der Lernfabrik für Ressourceneffizienz
Aus diesem Grund wird bei der Schulung besonderer Wert auf die Datenerfassung und Datenauswertung gelegt, sodass die Teilnehmer alle relevanten Informationen aus den Prozessen erhalten und in einer SankeyAnalyse HotSpots mit besonderem Optimierungspotenzial identifizieren
können (Meier et al. 2013). Eine Speicherung und Auswertung der Daten
in einem MES (Manufacturing Execution System) wird vorgestellt, welches
zusätzliche Möglichkeiten für spätere Anpassungen der Abläufe bietet.
In der Lernfabrik für Ressourceneffizienz werden ebenfalls die Werkzeuge
der Digitalen Fabrik genutzt, um den Ressourceneinsatz von großen Produktionsnetzwerken über einen längeren Zeitraum zu simulieren. Die Simulationsprogramme Plant Simulation und Enterprise Dynamics werden
innerhalb der Schulung eingesetzt. Zur Parametrierung der virtuellen Mo-
222
Meier et al.
delle spielen die Aufnahme der IST-Situation und Abstraktion der Messwerte eine entscheidende Rolle. Die Teilnehmer lernen valide Eingangsdaten für die Simulation zu erhalten, sodass die Optimierungsergebnisse die
geforderte Qualität besitzen.
Die erkannten Optimierungspotenziale werden abschließend in Handlungsmaßnahmen festgehalten und notwendige Investitionen monetär
bewertet.
3.3
Lernfabrik für Management und Organisation
Der Fokus der Lernfabrik für Management und Organisation liegt vor allem
auf dem Personal. Als ein wichtiger Pfeiler des Spannungsfeldes TechnikOrganisation-Personal (T-O-P) spielen Mitarbeiter eine zentrale Rolle in
Unternehmen. Das Ingenieursstudium in Deutschland ist allerdings sehr
technisch orientiert, sodass angehende Führungskräfte mit dieser Thematik nicht ausreichend vertraut sind. Aus diesem Grund hat der Lehrstuhl für
Produktionssysteme ein interdisziplinäres Seminar in Kooperation mit der
Fakultät für Sozialwissenschaften und der gemeinsamen Arbeitsstelle
RUB/Industriegewerkschaft Metall erarbeitet. Das Seminar zielt darauf ab,
die angehenden Industrial Engineers (IE) im Umgang mit betrieblich mitbestimmungsrelevanten Inhalten zu schulen. Schließlich hat Deutschland
ein weltweit einmaliges System der Mitbestimmung sowohl auf Gewerkschafts- als auch auf betrieblicher Ebene, welches in den Zeiten der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre dafür gesorgt hat, dass die deutsche
Wirtschaft diese Krisen mehr oder weniger schadlos überstehen konnte.
Zunächst gilt es in den Seminaren durch formelles Lernen den Teilnehmern ein theoretisches Wissen zu vermitteln und dieses aufzubauen.
Erweitert um die Übungen in der Lernfabrik wird dieses Wissen durch informelles Lernen mit Erfahrungswissen erweitert und führt somit zu einer
langfristigen Erfolgschance, das Erlernte zu verinnerlichen (Kreimeier et al.
2013a). Das Seminar beinhaltet die Module PPS-Strategie, Tätigkeitsstrukturanalyse (TSA), Change Management sowie betriebliche Mitbestimmung. Wichtig bei diesen Modulen ist es, dass sich die Teilnehmer
während der Übungen mit ihren Rollen als Mitarbeiter eines Unternehmens identifizieren. Grund hierfür sind die betrieblichen mitbestimmungsrelevanten Fragestellungen, die sich in den Übungen wiederspiegeln.
Zunächst erhalten die Teilnehmer einige Grundlagen zum Thema Prozessoptimierung. Hierbei geht es um die Verbesserung des gesamten
Produktionsflusses, nicht um die Verbesserung einzelner Arbeitsplätze.
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
223
Gleichzeit werden Teilnehmer auf die Einflüsse auf Mitarbeiter, welche
sich durch die Umstrukturierung ergeben, aufmerksam gemacht. In der
nachfolgenden Übung (TSA) werden Mitarbeiter bei Ihrer Arbeit beobachtet und ihre Arbeit nach den Kern-, Neben- und organisatorischen Tätigkeiten aufgegliedert, um sie danach zu bewerten. Dabei wird den Teilnehmer
nicht nur die Methode zur erfolgreichen Identifizierung von Verschwendung vermittelt, sondern vielmehr auch die notwendige soziale Kompetenz, um diese Prozess im Unternehmen durchzuführen. So bedingt eine
TSA in der Regel die Benachrichtigung des Betriebsrates (sofern vorhanden), da hier Zeiten von Mitarbeitern aufgenommen werden. Der Fokus
liegt hier auf den Mitarbeiter und auf einzelnen Arbeitsplätzen.
Abbildung 6: Lerninhalte der Lernfabrik für Management und Organisation
In der dritten Übung führen die Teilnehmer einen vollständigen Veränderungsprozess (Change Process) durch. Auch hier gilt es einerseits die
verschiedene Methoden wie z.B. Einsatz von Key User und Entwicklung
von Kommunikationsstrategien (Doppler et al. 2002) anzuwenden und
ganz bewusst die Phasen von Veränderungsprozessen nach Lewin (unfreezing, moving und refreezing) (Lewin 1947) zu durchlaufen und zu analysieren. In der letzten Übung sollen die Teilnehmer einen Veränderungsprozess unter der realitätsnahen Bedingungen aus Sicht von Arbeitnehmer
(direkt und indirekt Beteiligte), Betriebsräten, Management, Planungs- und
Steuerungsmitarbeitern, Beobachtern, Lieferanten und Logistikern erleben
224
Meier et al.
und in diesem agieren. Auf diese Weise wird die spezielle Gesetzeslage in
Deutschland gelehrt und die Teilnehmer lernen die Verantwortlichkeiten
von allen Seiten kennen (Schreyögg 2008).
3.4
Entwicklung einer Lernfabrik für Industrie 4.0
Neue Entwicklungen aus der Kommunikations- und Informationstechnologie ermöglichen Cyber-physische Systeme (CPS), welche die Vernetzung
der physikalischen Welt (Sensoren/Aktoren) und der cyber Welt (netzbasierte Dienste, die Daten zu Situationen interpretieren und auf die die physikalische Welt einwirken können) (Geisberge et al. 2012). Diese werden
zunehmend in die Produktion integriert und ermöglichen somit für die Produktion eine flexibilisierte Automatisierung von Maschinen und Anlagen.
Damit entstehen, hochkomplexe Cyber-physische Produktionssysteme
(CPPS), welche über die gesamte Automatisierungspyramide dezentral
agieren und untereinander kommunizieren (VDI/VDE 2013), (Haußner et
al. 2010), (VDI 5600 2007). Diese Entwicklungen werden unter dem Begriff
Industrie 4.0 zusammengefasst und führen zu erheblichen Veränderungen
in der Produktion und in der Zusammenarbeit mit Kunden und Zulieferern
(acatech 2013), (Bauernhansl et al. 2014). Die Notwendigkeit von Lernfabriken im Zusammenhang mit Industrie 4.0 wird durch die Aussagen von
SPATH gestützt, nach dem in naher Zukunft noch keine vollständige Autonomie dezentraler, sich selbst steuernder Objekte in der Produktion vorherrschen (Spath et al. 2013) und somit auch der Mitarbeiter nach wie vor
eine große Rolle in der Produktion spielen wird (Ciupek 2013). Ziel von
Industrie 4.0 ist nämlich nicht die menschenleere Produktion wie beim
Ansatz des Computer Integrated Manufacturing (CIM) aus den 1980er
Jahren, sondern eine integrierte Lösung, in der Mitarbeiter eine große
Rolle spielen (Kreimeier, D. et al. 2015). Da das Konzept der Lernfabrik
ein hohes Maß an handlungsorientiertem Lernen enthält, sollte gerade
dieser praxisorientierte Ansatz auch für das Thema Industrie 4.0 genutzt
werden, um Mitarbeitern dieses zu vermitteln (Kreimeier et al. 2014).
3.4.1
Audit-/Reifegradmodell
Durch die vielfältigen Vorteile von Industrie 4.0, wie beispielsweise eine
höhere Flexibilität, eine bessere Vernetzung innerhalb der Produktion und
einer höheren Datentransparenz, versuchen viele Unternehmen in den
letzten Jahren ihre Produktion in Richtung Industrie 4.0 zu entwickeln.
Dabei stehen die Firmen jedoch vor der Herausforderung, die richtigen
Entwicklungsschritte einzuleiten. Hierzu sind notwendige Unterstützungen
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
225
durch Migrationsmodelle erforderlich. Als ersten Schritt ist stets die Analyse des Ausgangszustands notwendig. Ein Industrie 4.0-Audit kann hier
einen wertvollen Beitrag leisten. Dabei werden die Gestaltungsfelder
Technik-Organisation-Personal der Produktion hinsichtlich ihrer Industrie
4.0-Reifegrade untersucht. Die Durchführung dieses Audits kann in der
Lernfabrik geschult werden. Dafür analysieren die Teilnehmer den bestehenden Stand einer Produktion in der Lernfabrik und lernen wie Bewertungen durchgeführt werden. Durch die selbstständige Auditierung in der
Lernfabrik wird somit die Analysefähigkeit der Teilnehmer geschult. Zudem
erfolgt eine Sensibilisierung für das Themenfeld Industrie 4.0 und deren
Potentiale.
3.4.2
Assistenzsysteme
Im Rahmen des Verbundprojektes APPsist – „Intelligente Wissensdienste
für die Smart Production“, welches vom Bundesministerium für Wirtschaft
und Energie gefördert wird, soll ein Assistenzsystem, basierend auf Wissensdiensten, entwickelt werden. Assistenzsysteme werden aufgrund der
immer höheren Komplexität von Werkzeugmaschinen und des durch Industrie 4.0 ausgelösten Innovations- und Technologiesprung immer mehr
an Bedeutung gewinnen (Kreimeier et al. 2014a). Dahingehend sind zwei
Zukunftsszenarien für die Entwicklung in der Fertigung denkbar: zum einen das Automatisierungsszenario und zum anderen das Werkzeugs-/
Assistenzszenario (Windelband 2013). Das erste Szenario verfolgt einen
weitgehest autonom, automatisierten Prozesse, in dem die Mitarbeiter
gering qualifiziert ausgebildet sind und wenig komplexe Aufgaben erfüllen.
Das zweite Szenario, welche auch im Rahmen von APPsist verfolgt wird,
strebt nach der Ausbildung von hochqualifizierten Mitarbeitern, welche
intelligente Systeme nutzen, um Arbeitsprozesse durchzuführen, zu planen und zu steuern. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig die Mitarbeiter in den durch Industrie 4.0 hervorgerufenen Veränderungsprozess zu
integrieren und diese auf die Möglichkeiten und Risiken von Industrie 4.0
vorzubereiten.
Dieses Lernfabrikmodul sieht aus diesem Grund eine Einführung in die
Ergebnisse des Forschungsprojektes vor. Wenn dieses Modul entwickelt
ist, dann wird es den Teilnehmern entsprechendes Wissen über die Möglichkeiten von Assistenzsystemen in Industrie 4.0, die Schnittstellenproblematik und die Anbindung von Assistenzsystemen in Unternehmensinfrastruktur,
Möglichkeiten
von
Applikationen,
Methoden
zu
226
Meier et al.
Kompetenzermittlung sowie dem Wissensmanagement vermitteln (siehe
Abbildung 7).
3.4.3
Lernsysteme
Im Rahmen des Verbundprojektes DigiLernPro – „Digitale Lernszenarien
für die arbeitsplatz-integrierte Wissens- und Handlungsunterstützung in
der industriellen Produktion“, das vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung gefördert wird, soll ein intelligentes Lernsystem entwickelt werden. Die zur Verfügung gestellten Lerninhalte sollen innerhalb dieses intelligenten Wissenssystems an der Maschine zur nachhaltigen Wissenssicherung genutzt werden. Auf diese Weise wird eine neue Form des
Lernens am Arbeitsplatz ermöglicht. Neben der reinen Assistenz der Mitarbeiter an der Maschine steht im Rahmen dieses Forschungsprojektes
das Lernen, also die nachhaltige Wissenssicherung, im Fokus der Betrachtung. Ziel ist es dabei, die Mitarbeiter zu motivieren, Lernbedarf zu
erkennen, passende Lerninhalte zu erstellen und anderen Mitarbeiter zur
Verfügung zu stellen. Hierzu sollen die Mitarbeiter in die Lage versetzt
werden, die benötigten Prozessschritte multi-modal, also über Video, Text
und Ton, aufzunehmen. Durch ein intelligentes Autorentool, das ebenfalls
im Rahmen des Projektes entwickelt wird, wird das Vorhandensein aller
notwendigen didaktischen Methoden sichergestellt. Die im Rahmen des
Forschungsprojektes entwickelten Methoden und Tools werden im Rahmen eines eigenen Seminarblocks ebenfalls in die Lernfabrik integriert
werden.
3.4.4
Cyber-Physical System
Im Rahmen des Verbundprojektes SOPHIE – „Synchrone Produktion
durch teilautonome Planung und humanzentrierte Entscheidungsunterstützung“, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, soll die echtzeitfähige Verknüpfung der realen Fabrik mit der
Digitalen Fabrik realisiert werden. Dies erfolgt insbesondere über die Verknüpfung von MES, welches aktuelle Daten aus der Produktion bereithält
und Simulationsprogrammen. Eine Informationsplattform, welches durch
ein Agentensystem realisiert wird, dient als Datendrehscheibe und stellt
benötigte Daten und Informationen verschiedenen Zielgruppen rollen- und
kontextgerecht bereit (Kreimeier et al. 2015a). Die Anwendung dieses
Systems ist nur bei einer frühzeitigen Einbindung und Schulung der späteren Nutzer erfolgreich. Daher werden Schulungen für verschiedene Nutzergruppen in der Lernfabrik ausgearbeitet. Darin erhalten die Teilnehmer
Lernfabrik zur praxisorientierten Wissensvermittlung für eine moderne Arbeitswelt
227
einen Einblick in die Anwendung des Systems und lernen die Schnittstellen zu den anderen Systemen kennen. Interaktionen mit dem System sind
direkt in der realen Produktionsumgebung in der Lernfabrik sichtbar. Dies
fördert das Lernen und verdeutlicht den Teilnehmern die eigene Rolle im
Produktionssystem mit der Anwendung des SOPHIE-Systems.
Abbildung 7: Lerninhalte der Lernfabrik für Industrie 4.0
4
Zusammenfassung und Ausblick
Diese Abhandlung verdeutlicht die Motivation und den Mehrwert von Lernfabriken in einer praxisorientierten Weiterbildung von Studenten und Mitarbeitern. Der Aufbau und Betrieb einer Lernfabrik stellt zunächst einen
großen finanziellen Aufwand dar. Der Ansatz des Lehrstuhls für Produktionssysteme hat allerdings gezeigt, dass verschiedene Themenfelder parallel in einer Lernfabrik mit einem Produkt effizient bearbeitet werden
können.
Die bestehende Lernfabrikfläche erlaubt zusätzlich zu den bereits bestehenden Lernfabriken die schnelle und umfassende Integration weiterer
Themenbereiche in die Fertigungsumgebung. Der zunehmende Trend der
Vernetzung von Produktionsmaschinen führt auch hier zu einem steigen-
228
Meier et al.
den Bedarf an Lerninhalten in diesem Bereich. So ist es in Zukunft am
Lehrstuhl für Produktionssysteme der Ruhr-Universität Bochum geplant
auch diesem Umstand Sorge zu tragen und die Themen der Industrie 4.0
im Rahmen einer weiteren Lernfabrik umzusetzen und in das bestehende
Schulungskonzept zu integrieren.
Danksagung
Dieser Artikel im Rahmen des Forschungsprojektes „rebas – Ressourceneffiziente Entwicklung und optimierter Betrieb von Abfüllanlagen in der
Lebensmittelindustrie durch den Einsatz einer neuartigen Simulationssoftware“ das vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz
Nordrhein-Westfalen (LANUV) finanziert wird.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projekts „APPsist - Intelligente
Wissensdienste für die Smart Production“, das vom Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie unter dem Kennzeichen 01MA13004C gefördert
und vom DLR-Projektträger betreut wird.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Verbundprojekts „Digitale Lernszenarien für die arbeitsplatz-integrierte Wissens- und Handlungsunterstützung in der industriellen Produktion“, das vom Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung unter dem Kennzeichen 01PD14007E gefördert wird.
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InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
233
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
Martin Schmauder, Martin Erler, Christian Fabig, Christian Friedrich,
Daniel Gröllich, Anja Günther, Gritt Ott
Im Rahmen eines geförderten Projektes wurde ein Lehrangebot an Studierende entwickelt, in dem durch projektorientiertes Arbeiten in einem interdisziplinären Team Innovationskompetenz erworben und verbessert wird.
Es ist eine Möglichkeit, das bereits erworbene umfangreiche Fachwissen
in einer realistischen fächerübergreifenden Projektarbeit schon während
des Studiums anzuwenden.
Bei einem fiktiven Automobilzulieferer sollen die studentischen Teams
einen innovativen Herstellungsprozess einführen. Dafür gestalten sie Fertigung, Montage, Logistik, Personaleinsatz sowie Fabriklayout und betrachten dabei arbeitswissenschaftliche, betriebswirtschaftliche und technische
Aspekte
in
ihrem
Zusammenwirken.
Innerhalb
des
Gesamtprojektes ist jeder Teilnehmer mit seinem spezifischen Fachwissen
für bestimmte Bereiche der Lösung verantwortlich. Durch intensive Kooperations- und Abstimmungsprozesse wird daraus eine ganzheitliche Lösung entwickelt, die abschließend präsentiert und bewertet wird.
1
Einleitung
Unternehmen erwarten mehr Verantwortungsübernahme und Mitdenken
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie höhere Flexibilität bezüglich
Arbeitsaufgabe und Arbeitsanforderungen, um erfolgreiche Innovationsprozesse realisieren zu können. Daraus ergeben sich andere, zusätzliche
Qualifikationsanforderungen an Beschäftigte, die in Innovationsprozesse
eingebunden sind. In erster Linie geht es dabei um ganzheitliches Denken,
Innovationsfähigkeit und um Prozessverständnis.
Abgleitet aus der Notwendigkeit zu lebenslangem Lernen bedarf es außerdem vermehrt der Befähigung zum selbstständigen Lernen, der Fähigkeit sich bedarfsorientiert neues Wissen anzueignen und in komplexe bereits bekannte Zusammenhänge einzuordnen.
Das Thema der Innovationskompetenz spielt in der universitären Ausbildung allerdings bisher kaum eine Rolle. Mit der „InnoFab“ der TU Dresden
234
Martin Schmauder et al.
13
wurde daher im Rahmen eines von der SAB geförderten Projektes ein
praxisnahes Lernangebot entwickelt und erprobt, das die späteren Innovationsakteure nun bereits während ihres Studiums gezielt darauf vorbereitet.
2
Vorgehen
Zunächst wurden die konkreten Bildungsziele formuliert und darauf aufbauend das konkrete pädagogische Konzept zu deren Umsetzung erarbeitet. Leitgedanke ist das selbstgesteuerte Lernen (Bünnagel 2012) mit dem
Ziel des Erwerbs von Handlungskompetenz. Gelernt wird nicht nach Wissensgebieten oder nach Fachdisziplinen, sondern nach dem jeweiligen
Anwendungsbezug in selbstgesteuerter Lernprozessen. In selbstständiger
und zeitlich frei eingeteilter Gruppenarbeit organisieren sich die Lernenden
selbst.
Die persönliche Innovationskompetenz eines Beschäftigten setzt sich aus
mehreren Teilkompetenzen zusammen (vgl. Abbildung 1). Die Vermittlung
von Fachwissen ist dabei im konkreten Zusammenhang kein Teil der InnoFab, sondern erfolgt in den regulären Lehrveranstaltungen des Fachstudiums, so dass die Fachkompetenz als gegeben vorausgesetzt wird.
Abbildung 1: Teilkompetenzen der Innovationskompetenz im Verständnis der InnoFab
Die InnoFab fokussiert stattdessen


13
die Kombination von Methodenkompetenz mit vorhandenem
Fachwissen (Fachwissen anwenden),
den Erwerb und die Anwendung von Problemlösefähigkeiten (konkrete Aufgaben im realitätsnahen Kontext lösen),
Das Projekt InnoFab wurde von der SAB Sächsischen Aufbaubank - Förderbank des Freistaates Sachsen, im Rahmen des ESF-Programms gefördert, wofür gedankt wird.
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität


235
die Befähigung zu ganzheitlichem Denken (komplexe Projekte gezielt bearbeiten) sowie
die Befähigung zu fach- und bereichsübergreifender Zusammenarbeit.
Im zweiten Schritt wurde die Story der InnoFab formuliert.
Die InnoFab wird als projektorientiertes Rollenspiel für die Dauer eines
Semesters organisiert. Die Geschäftsführung des fiktiven Automobilzulieferer EFFEKT AG (repräsentiert durch ein Betreuer-Team aus wissenschaftlichen Mitarbeitern) beauftragt ein Innovationsteam (bestehend aus
5 bis 7 Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen) mit den Planungen
zur Umsetzung des Kundenauftrags an einem sonst zu schließenden
Standort des Unternehmens.
Dieser Kundenauftrag basiert auf einem durch die firmeneigene F&EAbteilung entwickelten Verfahrens zur Herstellung eines LeichtbauFederdoms. Es konnte ein Kundenauftrag akquiriert werden, der die Lieferung einer Bauteilgruppe aus dem Leichtbau-Federdom mit entsprechendem Leichtbaufahrwerk in vorgegebener Stückzahl umfasst.
Die Aufgabe für das Innovationsteam/die Studierenden besteht darin:



serienreife Lösungen für die innovative, bisher nur prototypisch
existierende Fertigung der Bauteile zu entwerfen,
die Montage der Baugruppe zu planen sowie
den bestehenden Fabrikbetrieb mit vorhandenen Logistik- und
Personalstrukturen unter Beachtung betriebs- und arbeitswissenschaftlicher Gesichtspunkte für die Fertigung des neuen Produkts
zu reorganisieren.
Dabei sind vorgegebene Kundenparameter sowie betriebswirtschaftliche
Vorgaben (Gewinnspanne, Investitionskosten, Stückzahl pro Jahr) zu berücksichtigen.
Die Lösung dieser Hauptaufgabe erfordert Fachwissen aus verschiedenen
Disziplinen (vgl. Abbildung Abbildung 22 links). Dazu nehmen die Studierenden innerhalb ihres Teams eine fachspezifische Arbeitsteilung vor –
gleichzeitig müssen sie bezüglich der übergreifenden Gesamtzielstellung
zusammenarbeiten (sich informieren, kollaborieren und kooperieren, vgl.
[Bair 1989]).
236
Martin Schmauder et al.
Die Aufgabe ist lösbar, aber eine in jeder Hinsicht optimale Lösung kann
es nicht geben. Das zu lösende Problem ist komplex und basiert zum Teil
– wie bei realen Planungsprozessen – auf unvollständigen Informationen.
Das Team kann jederzeit Anfragen an verschiedenen Abteilungen oder die
Geschäftsführung des fiktiven Unternehmens stellen, um weitere Daten zu
erhalten und Teillösungen strategisch abzustimmen. Jedes Team arbeitet
also projektorientiert und problembasiert zusammen [Günther 2012].
Die Lehrkräfte (Coaches) nehmen während der Bearbeitung gegenüber
den studentischen Teams unterschiedliche Rollen ein:



im Sinne des Rollenspiels die Funktion der Geschäftsleitung mit
unterschiedlichen Fachgebieten, die über das Investitionsvorhaben zu entscheiden hat,
die des Coaches bei Fragen der Aufgabenbearbeitung und bei
Problemen im Team sowie
die Rolle der Suchmaschine, um benötigte Informationen für die
Ausarbeitung der Lösung bereitzustellen.
Abbildung 2: Rollenverteilung
Um die Konzentration der Studierenden auf die interdisziplinäre Bearbeitung der Aufgabenstellung und weg von der Beschaffung technischer Detailinformationen zu lenken, wurden für das Produkt und die einzelnen
Herstellprozesse zahlreiche Daten zusammengetragen und Unterlagen zu
fachspezifischen Lösungstools zusammengestellt.
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
237
Fachinhalte waren bereitzustellen für die Herstellung des Federdoms, die
Beschaffung benötigter Zukaufteile, die Montage der Baugruppe, die Fabrikplanung und Logistik des Gesamtprozesses sowie zu Arbeitsschutz,
Arbeitsplatzgestaltung, Personaleinsatz und Kostensituation.
Im Folgenden wird die Einbindung der Fachinhalte in die Aufgabenstellung
erläutert.
2.1
Herstellung des Federdoms
Federdom
Federbein
Abbildung 3: Baugruppe aus innovativem Leichtbau-HGTT-Federdom und Leichtbaufahrwerk
Im Rahmen eines vorangegangenen Forschungsprojekts entstand am
Institut für Werkzeugmaschinen und Steuerungstechnik der TU Dresden
ein neuartiger Fertigungsprozess zur vollautomatisierten Herstellung von
mehrlagigen, faserwinkelgerechten, glasfaserverstärkten Thermoplastverbundbauteilen aus Hybridgarn-Textil-Thermoplast (HGTT) am Beispiel
eines Demonstratorbauteils von der Geometrie eines Federdoms [Großmann]. Ausgangspunkt für die Fertigung des Federdoms ist ein textiles
Flächengebilde aus Hybridgarn (35 % Glasfaser, 65 % Polyprophylen),
welches als Rollenware vorliegt. Die Prozesskette gliedert sich in die Herstellung einer textilen Preform aus der Rollenware sowie die anschließende Umformung und Konsolidierung der Preform zum Fertigteil. Entsprechend dieser Struktur wird der Prozess durch zwei Bearbeitungszentren
(BAZ) umgesetzt (vgl. Abbildung 4a).
238
Martin Schmauder et al.
Im ersten BAZ (vgl. Abbildung 4b), dem Preformzentrum, erfolgt nach Zustellung des Materials zunächst der Zuschnitt einzelner Lagen mit einem
Plasmabrenner. Anschließend werden die Einzellagen faserwinkelgerecht
zur Preform gestapelt und mittels Ultraschallpunktschweißen fixiert. Als
Bewegungseinrichtung kommt ein Hexapod zum Einsatz. Im zweiten BAZ
(vgl. Abbildung 4c), dem Konsolidierungszentrum, wird aus der Preform
durch Umformung und Konsolidierung in einem variothermen Pressprozess das Fertigteil hergestellt. Dabei schmilzt der PolyprophylenFaseranteil des Hybridgarns auf und bildet die Matrix des Fertigteils.
Das automatisierte Handling der biegeschlaffen, luftdurchlässigen Preform
sowie des heißen, soliden Fertigteils übernimmt ein Industrieroboter mit
einem speziellen Greifersystem bestehend aus Nadelgreifern und Vakuumsauggreifern.
Abbildung 4: Prozesskette des EFFEKTProzesses,
a: Gesamtprozess, b: Preformherstellung, c: Umformung und Konsolidierung
Der Prozess ist durch zahlreiche neue Technologien gekennzeichnet. Im
Vergleich zu den bisherigen Verfahren findet die Herstellung automatisiert,
schnell sowie energieeffizient statt und ermöglicht neben der Aufbringung
von Verstärkungspatches vor allem die Erzeugung mehrlagiger Preforms
mit unterschiedlichen Faserwinkeln in den Einzellagen. Erstmals kommt
das Plasmastrahlschneiden durch eine indirekte Plasmaerzeugung auch
für nichtleitende Materialien zum Einsatz [Machova et al. 2011]. Somit wird
es möglich, die Glasfasern verschleißfrei zu trennen. Weiterhin erfolgt
einseitiges Ultraschallpunktschweißen für HGTT zur Fixierung der Preform
sowie das Handling biegeschlaffer luftdurchlässiger Materialien mit Vakuumsauggreifern.
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
239
Innerhalb der InnoFab wird der EFFEKT-Fertigungsprozess dem Innovationsteam durch eine „Forschungsabteilung“ als prototypischer Prozess
vorgestellt, der zur „Serienreife“ weiterentwickelt werden muss. Dazu gilt
es, neben der betriebswirtschaftlichen, arbeitswissenschaftlichen, logistischen und fabrikplanerischen Betrachtung des Prozesses diesen durch
Umgestaltung und Effizienzsteigerung auf eine den vorgegebenen Stückzahlen entsprechende Fertigungszeit zu bringen. Voraussetzung für diesen Schritt ist das vollständige Verständnis des komplexen Prozesses
durch die Studierenden.
Wie die Aufgabe schließlich gelöst wird, ist freigestellt, sofern die gestellten Randbedingungen eingehalten werden. So ist es ausdrücklich erlaubt,
Teilprozesse umzugestalten, zu parallelisieren oder bisherige technische
oder konstruktive Lösungen komplett in Frage zu stellen und neu zu entwerfen.
Dadurch ergeben sich zahlreiche Lösungsvarianten und es bleibt ausreichend Raum für innovative Ideen durch das Projektteam. Die Lösung
muss neben der skizzenhaften Prinzipdarstellung vor allem die Machbarkeit sowie die Einhaltung der Randbedingungen durch rechnerische, experimentelle und/ oder konstruktive Arbeiten plausibel darlegen sowie gegenüber alternativen Lösungen überzeugen.
Die Herstellung der weiteren Komponenten für das Federbein durch mechanische Bearbeitung wird weitgehend abstrahiert und auf seine Schnittstellen (Stückzahl, Fläche, Kosten, Personal, Gefährdungen etc.) reduziert, da der Bereich wenig technisch neuartige Elemente beinhaltet und
der Umfang des fertigungstechnischen Teils der Aufgabenstellung durch
den EFFEKT-Prozess ausreichend abgedeckt ist [Schmauder et al. 2012].
2.2
Montage
Die Planung der Montage umfasst neben dem Entwurf eines effektiven
Prozesses die Identifizierung der zu verwendenden Ressourcen und deren
Anwendungsarten sowie die Ermittlung von Vorgehensweisen und Steuerungsmechanismen. Um diesen iterativen Prozess effizient innerhalb des
Bearbeitungszeitraums lösbar zu machen, wurde der Umfang zeitintensiver Teilaufgaben, wie z. B. die Ermittlung von Verrichtungszeiten, die Layout und Feinplanung, die Variantengenerierung sowie die Dokumentation,
soweit wie möglich komprimiert und deren Bearbeitung durch die Bereitstellung geeigneter Werkzeuge simplifiziert. Somit bleibt trotz der Reduktion der Arbeitsumfänge die Gesamtkomplexität der Planungsaufgabe be-
240
Martin Schmauder et al.
stehen. Dies ist wichtig, um die Konnektoren zu den anderen Bereichen,
wie z. B. über Kostenanteile zur Betriebswirtschaft oder über Flächenanteile zur Fabrikplanung, zu erhalten.
Entfernungsfaktor
Grundzeit
Beispielsweise wurde aus dem verbreiteten MTM-UAS®-System zur Arbeitsablauf-Zeitanalyse ein vereinfachtes Zeitermittlungssystem abgeleitet
und den Studierenden bereitgestellt. Es basiert auf einer Grundzeit und
einem Entfernungsfaktor, welche beide für drei verschiedene Schwierigkeitsgrade vorliegen. Der Schwierigkeitsgrad wird anhand einer Tabelle
mit Fragebogencharakter ermittelt (vgl. Abbildung 5).
Leicht: 0 – 1 Punkte
Mittel: 2 Punkte
Schwer: 3 -4 Punkte
Erforderliche
Kraft
Keine
Gering
hoch
Vorhandene
Passung
Spiel- und Übergangspassung
mit
Fügehilfe
(z.
B.
Trichter)
Spielanpassung
ohne Hilfe, Übermaßanpassung
mit Hilfe
Übermaßanpassung
ohne Hilfe
Fügegenauigkeit
Lage und Orientierung nur grob vorgegeben
Lage und Orientierung genau vorgegeben
Lage und Orientierung
genau vorgegeben
Bewegungsraum
Uneingeschränkt
zugängig
Leicht zugängig
Schwer zugängig
Kontrollaufwand
Teil liegt vollständig
in Hand, kann in
Rotationsachse und
Masseschwerpunkt
gegriffen
werden,
kein/sehr
geringer
Kontrollaufwand
Kann nicht zentral
gegriffen werden,
erfordert geringen
Kontrollaufwand
Schwer zu halten,
rutscht, stark asymmetrische
Haltung,
mittlerer/hoher Kontrollaufwand
Tragen
Ohne
zusätzliches
Gewicht
mit
geringem
Gewicht mit Kontrollaufwand, mit
mittlerem Gewicht
ohne Kontrollaufwand
mit schwerem Gewicht, mittlerem Gewicht mit Kontrollaufwand
Abbildung 5: Bewertungsschema für den Schwierigkeitsgrad einer Verrichtung
Mit der so erhaltenen Grundzeit und dem Entfernungsfaktor für die jeweilige Verrichtung kann die Verrichtungsdauer berechnet werden. Dies kann
beispielsweise ein zurückzulegender Weg oder die Greifentfernung zum
Aufnehmen eines Bauteils sein.
Die Auswahl geeigneter Fertigungshilfsmittel und die Ausstattung eines
Montagebereichs wird üblicherweise durch Systemlieferanten oder Kata-
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
241
logauswahl mit Abgleich der Anforderungen erledigt. Um die Iterationen
zwischen Planung der Objekte und ihrer Anordnung zu vereinfachen, wird
ein weitgehend simplifizierter Katalog mit allen relevanten Objekten bereitgestellt. Montagetechnik, die in mehreren Ausführungen verfügbar sein
muss, ist parametrierbar hinterlegt. Über einen Kostenfaktor und einen
Grundpreis erfolgt die Berechnung des Gesamtpreises für das benötigte
Objekt. Die Anordnung der Objekte kann grob mit Hilfe von geometrischen
Primitiven erfolgen, die sich mit den Maßen der Kalkulation decken. Für
die Detailplanung sind präzisere Layouts erforderlich, da nur so deren
Ausrichtung und exakte Anordnung geplant werden kann. Außerdem sind
konkrete Ausgestaltungen für arbeitswissenschaftliche Beurteilungen notwendig [Schmauder et al. 2012].
2.3
Fabrikplanung und Logistik
Die Aufgabenstellung besteht in der Umplanung und Erweiterung eines
bestehenden Fabrikgebäudes, so dass zukünftig das neu entwickelte Produkt in Serie gefertigt werden kann. Im Rahmen der InnoFab sind Aufgaben der Konzeptplanung auf den Ebenen Arbeitsplatz, Produktionsbereich
und Gebäude zu bearbeiten (vgl. Abbildung 6).
Abbildung 6: Phasenmodell des Fabrikplanungsprozesses [VDI 2011]
Die Ergebnisse der vorgelagerten Phasen „Zielfestlegung“ und „Grundlagenermittlung“ dienen als Ausgangspunkt und werden durch die Aufgabenstellung vorgegeben. Insbesondere sind die Personalressourcen sowie
die vorhandenen und am Markt verfügbaren Betriebsmittel wie Maschinen,
Transport- und Lagermittel sowie vorhandene Grundstücke und Gebäude
definiert. Weiterhin werden sowohl monetäre als auch nichtmonetäre Parameter des Umplanungsprojekts vorgegeben.
Aus konkurrierenden Projektzielen und Restriktionen auf den einzelnen
Planungsebenen resultiert eine hohe Planungskomplexität. Die Studierenden müssen folgende Teilaufgaben iterativ bearbeiten (vgl. [VDI 2011]):


Strukturplanung (Festlegung der Produktionsstruktur auf den Planungsebenen Gebäude und Produktionsbereich),
Dimensionierung (Kapazitätsauslegung der Betriebsmittel und die
Ermittlung des Flächenbedarfs),
242
Martin Schmauder et al.

Layoutplanung (Erzeugung und Bewertung von Layout- und Gebäudevarianten unter Einbeziehung aller Restriktionen).
Analog zur Montageplanung erfolgt auch hier eine Simplifizierung und
Reduzierung, um die Bearbeitung innerhalb des vorgegebenen Zeitraums
zu ermöglichen. Ausgangspunkt der fabrikplanerischen Aufgaben sind die
bereitgestellten Dokumente. Diese bilden das Ergebnis der Phase „Grundlagenermittlung“ nach. Die Dokumente umfassen die erforderlichen technischen Daten für eine Dimensionierung und Layoutplanung. Es werden
maßstäbliche Zeichnungen der bestehenden Gebäude sowie Grundrisse
vorhandener und am Markt verfügbarer Betriebsmittel bereitgestellt.
Grundrisse können aus einer Bibliothek in die Gebäudezeichnung importiert werden, so dass die Erstellung mehrerer Varianten rasch möglich ist.
Zusätzlich steht ein Berechnungswerkzeug zur räumlichen Strukturierung
der Produktionsbereiche innerhalb des Gebäudes zur Verfügung. Mittels
eines heuristischen Aufbauverfahrens kann näherungsweise eine transportleistungsminimale Anordnung der Produktionsbereiche auf freien
Standorten errechnet werden.
Durch die bereitgestellten Dokumente werden zeitaufwendige Katalogrecherchen durch die Studierenden vermieden. Da die Abstimmung konkurrierender Projektziele und Restriktionen verschiedener Produktionsbzw. Fachbereiche innerhalb der Konzeptplanung ein iteratives Vorgehen
erfordert, sind insbesondere die Teilaufgaben Dimensionierung und Layoutplanung mehrmals zu bearbeiten. Hierfür werden Werkzeuge und
Hilfsmittel bereitgestellt, mit denen die notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit des Projektteams unterstützt wird [Schmauder et al. 2012].
2.4
Arbeitswissenschaft
Im Rahmen der InnoFab sollen die Studierenden lernen, wie die Sachverhalte der Arbeitswissenschaft bereits in frühen Planungsphasen nachhaltig
berücksichtigt werden können. Diese sind der sich abzeichnende demografische Wandel, die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben sowie
gesundheitliche Aspekte bezogen auf die individuelle berufliche Situation.
Im Fokus steht einerseits die Vorbeugung bzw. Reduzierung längerfristiger
Arbeitsausfälle auf Grund altersbezogener chronischer Erkrankungen
durch eine angemessene betriebliche Gesundheitspolitik.
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
243
Abbildung 7: Aufgabenfelder des Arbeitswissenschaftlers in der InnoFab
Andererseits gilt es, bei der Arbeitssystemgestaltung neben der Prozessoptimierung auch die organisatorischen und persönlichen Belange
des Arbeitens zu berücksichtigen, um physische und psychische Fehlbeanspruchungen zu vermeiden. Nachweislich besteht ein enger Zusammenhang zwischen ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung und erzielbarer
Wirtschaftlichkeit. Ergonomisch einwandfrei gestaltete Tätigkeiten und
Arbeitsplätze sind wirtschaftlicher als solche, die den diesen Ansprüchen
nicht gerecht werden [Lotter, Hartung 2012]. Dies beinhaltet sowohl aus
ergonomischer als auch wirtschaftlicher Sicht u. a. eine geeignete Gestaltung der Materialbereitstellung und der notwendigen Werkzeuge. Die Studierenden sollen auf diese Sachverhalte angemessen reagieren und im
Rahmen des Planungsprozesses eine flexible Arbeitsorganisation entwerfen, die menschliche Arbeit und Automatisierungstechnik human sowie
wirtschaftlich, verbindet. Hierfür sind sowohl die klassischen Aufgaben des
Arbeitsschutzes anzuwenden, insbesondere in Bezug auf die eingesetzten
neuartigen Verfahren wie das Plasmastrahlschneiden von Glasfasern,
aber auch neueste Erkenntnisse aus der Forschung und Entwicklung auf
den Gebieten Ergonomie, Human Resources Management sowie der Arbeitsorganisation einzubringen (vgl. Abbildung 7). Es ist dabei freigestellt,
auch neue unkonventionelle Wege zu gehen, um Aufgabeninhalt, Arbeitsaufteilung, Art der Materialbereitstellung, Materialanforderungen, Lager-,
Transportmöglichkeiten, Prozesseffektivität, Ressourcenschonung oder
auch die Arbeitszeit- und Schichtsystemgestaltung auszulegen. Durch die
Interdisziplinarität der Maßnahmen sind bei deren Planung alle Teilbereiche der InnoFab zu berücksichtigen. Dies fördert ganzheitliche Betrachtungs- und Lösungsweisen – eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche
Innovationen [Schmauder et al. 2012].
244
3
Martin Schmauder et al.
Ablauf der InnoFab
Zu Beginn erhalten die Studierenden eine Einweisung in Ziel und Inhalt
der InnoFab. In einer Vorlesung zum vernetzten Denken wird ihnen zusätzliches Wissen zum Lösen komplexer Aufgabenstellungen vermittelt.
Daran schließt sich ein Termin für die Demonstration der Teilprozesse im
entsprechenden Versuchsfeld an. Dabei können die Teams bereits konkrete Informationen sammeln bzw. Fragen mit den Coaches klären.
Danach arbeiten die Studierenden selbstständig an der Lösung der Aufgabenstellung. Ihnen stehen Coaches zur Seite, die ihnen zusätzliche Informationen liefern, für Fragen ansprechbereit sind bzw. die vorgelegten Arbeitsstände der Teams prüfen. Als Meilensteine der Bearbeitung wurden
definiert:
Abbildung 8: Meilensteine innerhalb der InnoFab
Die Bearbeitung der InnoFab endet für die Teams mit einer Dokumentation
ihrer Lösung, der Präsentation der Lösung sowie der Präsentation der
Zusammenarbeit vor den Coaches.
Abbildung 9: Eindrücke aus Durchführung der InnoFab
InnoFab – Innovationsfabrik als Lehr- und Lernform einer Universität
245
Die Bewertung der studentischen Leistungen in der InnoFab ist insofern
schwierig, da die Aufgabe bewusst ergebnisoffen gestaltet ist und jedes
Team andere Schwerpunkte in seiner Planung setzt. Gleichwohl sind bestimmte Fachinhalte prägend für die InnoFab und damit zwingender Bestandteil der studentischen Planungen.
Folgende Bewertungspunkte fließen ein:
 Fachkompetenz:
bewertet werden fachliche Richtigkeit und Vollständigkeit eingereichter Unterlagen zu Detaillösungen, Bsp.: Stückzahlnachweis,
Arbeitsplatzgestaltung, Investitionskosten;
 Ganzheitliches Denken:
bewertet wird der Innovationsgrad und die Abgestimmtheit der Detaillösungen, Bsp.: innovative Ideen zur Prozessgestaltung, Flexibilität bei Stückzahländerungen;
 Zusammenarbeit:
bewertet wird die Konsistenz und Ganzheitlichkeit der Gesamtlösung, Bsp.: Erfüllung übergreifender Ziele (Investitionskosten,
Stückzahl, Vorbildwirkung im Arbeitsschutz, …), Variantenvergleiche, Projektplanung, Präsentation vor der Geschäftsführung.
4
Zusammenfassung und Ausblick
Mit der InnoFab wird ein neues Lehr- und Lernkonzept vorgestellt, welches
das Ziel verfolgt, Innovationskompetenz und die Fähigkeit zu ganzheitlichem Denken zu fördern und damit die Innovationsfähigkeit der Teilnehmer zu erhöhen. Die Teilnehmer erarbeiten in einem interdisziplinären
Projektteam unter Betreuung von Tutoren eine Lösung für die Einführung
eines innovativen Fertigungsprozesses in einem bestehenden fiktiven
Unternehmen. Die alleinige Abarbeitung der beschriebenen Fachinhalte
entsprechend der Disziplinen würde innerhalb der InnoFab zu keiner sinnvollen Lösung führen. Erst wenn die fachspezifischen Einzelleistungen im
Rahmen der übergeordneten Hauptaufgabe zusammengeführt werden,
entstehen tragfähige Gesamtkonzepte, die vor der (fiktiven) Geschäftsführung präsentiert werden können. Die bisherigen Teilnehmer haben das
neuartige Konzept der InnoFab sehr positiv aufgenommen. Zitat eines
Teilnehmers: „Das ist das Beste, was ich in den acht Semestern meines
Studiums bisher gemacht habe.“
246
Martin Schmauder et al.
Nach einer Testphase wurde die InnoFab in das reguläre Lehrangebot
aufgenommen. Im Rahmen der Lehrevaluation wird die Innofab überprüft
und ggf. optimiert werden.
Literatur
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Universitäre Ausbildungskonzepte – Übersicht
Universitäre Ausbildungskonzepte
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit
Systemkomplexität
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der
Fabrikplanung im Rahmen der universitären Lehre
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion
von morgen
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
247
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
249
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang
mit Systemkomplexität
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Die moderne Arbeitswelt ist u.a. durch einen Wandel von der ressourcenzur wissensbasierten Produktion sowie den Wandel von Linearität zu
Komplexität gekennzeichnet. Um erfolgreich mit der zunehmenden Komplexität von Produktionssystemen umgehen zu können, wird der Aufbau
von System- und Problemlösungskompetenz zunehmend wichtiger. Im
folgenden Beitrag werden zwei studentische Ausbildungskonzepte zum
Aufbau der genannten Kompetenzen vorgestellt. Sie basieren auf dem
Konzept des hybriden Lernens, d.h. dem Lernen durch Informationsaufnahme und durch Erfahrung.
1
Kompetenzen für den Umgang mit zunehmender
Systemkomplexität
Die zunehmende Globalisierung und die rasanten technologischen Entwicklungen prägen die moderne Arbeitswelt vieler Unternehmen und stellen sie vor große Herausforderungen. Der Manufuture Report „A Vision for
2020“ hebt die ursächlichen Entwicklungstendenzen hervor. Sie bestehen
u.a. aus einem Wandel von einer ressourcenbasierten zu einer wissensbasierten Produktion und von Linearität zu Komplexität. Beide Entwicklungslinien konstatieren sich deutlich in der aktuell evolvierenden vierten
industriellen Revolution (Industrie 4.0).
1.1
Zunehmende Systemkomplexität durch Industrie 4.0
Industrie 4.0 zeichnet sich durch den vermehrten Einsatz vollautomatisierter, sich situativ selbststeuernder Maschinen und Anlagen in der industriellen Produktion aus (Kagermann et al. 2013; Wahlster 2011). Diese zunehmende Handlungs- und Kommunikationsautonomie innerhalb der
Produktion wird durch eine zunehmende Verbreitung sogenannter CyberPhysischer-Systeme unterstützt, deren Ziel die weitreichende Vernetzung
der Maschinen, Anlagen sowie Produkte darstellt. Diese dezentrale
Selbstorganisation der Produktion bewirkt eine Steigerung der produktionsinternen Variabilität. So durchlaufen Produkte bspw. variierende Rou-
250
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
ten je nach Auslastungsgrad der Maschinen und Anlagen. Aus systemorientierter Sichtweise bewirkt dieser Variabilitätsanstieg eine Erhöhung der
Dynamik und somit der Komplexität des Systems. Über die zunehmende
systeminterne Variabilität hinaus resultiert aus dem steigenden Technologieeinsatz eine Abnahme der Transparenz in der Produktion. Ursache
dafür ist das fehlende Verständnis der Funktionsweise verteilter, vernetzter, softwarebasierter Systeme seitens der Nutzer. Dadurch sind eintretende Maschinenzustände wie bspw. Störungen durch den Produktionsverantwortlichen schwer identifizierbar und geeignete Reaktionen bleiben ggf.
aus. Die fortschreitende Implementierung Cyber-Physischer-Systeme führt
zudem zu einem kontinuierlichen Wachstum industrieller Datenbestände.
Diese großen Datenmengen schaffen – sofern nutzbar aufbereitet – vielfältige Möglichkeiten. Ein Beispiel stellt die Chance zur Realisierung verstärkt
rechnergestützter, datenbasierter und damit schnellerer PDCA-Zyklen
bzw. multikriterieller Versuche dar (Deuse et al. i.V.). Die zunehmende
Vernetzung birgt jedoch die große Gefahr, dass der Mensch das Verständnis für den Ist-Zustand des Produktionssystems verliert. Dieses Verständnis ist für die Gestaltung und Verbesserung von Produktionssystemen unabdingbar (Richter/Deuse 2011; Rother 2009) und Bestandteil der
Systemkompetenz.
1.2
Aus der Systemkomplexität resultierende
Kompetenzanforderungen
Aus fachlich-methodischer Sicht ist für die Gestaltung und Verbesserung
von Produktionssystemen der Dreiklang aus Methoden-, System- und
Problemlösungskompetenz erforderlich (ifaa 2010; Richter/Deuse 2011;
Kuhlang/Sihn 2012; Steffen/Deuse 2014). Die Methodenkompetenz beinhaltet die Fähigkeiten zur Auswahl, Anwendung und Weiterentwicklung der
vielfältigen Methoden der Produktionssystemanalyse und -gestaltung. Ein
Verständnis übergeordneter Gestaltungsprinzipien, wie Standardisierung
und kontinuierlicher Fluss, und deren Umsetzbarkeit durch verschiedene
Methoden und damit verbundene Auswirkungen auf die operativen Ziele,
wie Produktivität, Durchlaufzeit oder Qualität, stellt die Schnittmenge zwischen der Methoden- und Systemkompetenz dar. Der Systemkompetenz
kommt im Rahmen von Systemkomplexität eine besondere Bedeutung zu.
Die Systemkompetenz umfasst das systemische und damit ganzheitliche
Verständnis für die Produktion in Wertschöpfungsketten. Das Verständnis
eines Produktionssystems ist insbesondere erforderlich, um Verbesserungsaktivitäten aufeinander auszurichten und nicht das Subsystem, wie
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
251
einen einzelnen Arbeitsplatz, sondern das gesamte System bspw. i.S.
einer Durchlaufzeitenverkürzung zu verbessern. Die Systemkompetenz
umfasst verschiedene Bausteine, die zum Produktionssystemverständnis
und zur Zielorientierung zusammengefasst werden können (Abbildung 1).
Abbildung 1: Elemente der Systemkompetenz
Autonom gesteuerte und zunehmend komplexe Produktionssysteme bergen das Risiko, dieses Verständnis zu verlieren und können damit ein
„loss of situation awareness“ (Cummings/Bruni 2009) bedingen. Diese
Gefahr bestätigen erste Umsetzungsbeispiele. Der Einsatz flexibler, sich
selbst steuernder Fertigungsmodule führt bspw. zu stark schwankenden
Durchlaufzeiten und Systemverfügbarkeiten. Die Ursachen bleiben aufgrund des fehlenden Ist-Verständnisses jedoch i.S. einer „Black-Box“ ohne
entsprechende Analysen unklar.
Eine Möglichkeit, dieses Verständnis aufzubauen und Verbesserungen zu
vollziehen, stellen neben Analysen auch entdeckende wissenschaftliche
Experimente dar. Die Fähigkeit zu ihrer Durchführung ist Bestandteil der
Problemlösungskompetenz. Sie umfasst das strukturierte wissenschaftliche Experimentieren nach der PDCA-Systematik (Plan-Do-Check-Act)
(vgl. Shewhart/Deming 1939; Deming 1986). PDCA bietet eine Möglichkeit, die von Böhle (2013) beschriebene intuitive und subjektive Arbeitsweise bei Problemen an komplexen Anlagen stückweit zu routinisieren. Im
Rahmen der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt sind jedoch zwei erfor-
252
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
derliche Veränderungen anzunehmen: Zum einen bieten neue Technologien der Datenaufnahme, -speicherung und -auswertung die Chance,
PDCA stärker datenbasiert und durch virtuelle Abbildungen und Simulationen schneller durchzuführen. Das Experimentieren in der realen Welt sollte jedoch aufgrund möglicher Fehler in Simulationsmodellen nicht gänzlich
verdrängt werden (keine „Bildschirm statt Gemba Mentalität“). Zum anderen muss davon ausgegangen werden, dass die zunehmend komplexeren
Wirkbeziehungen und korrelierenden Variablen multivariate Experimente
fordern statt der Ein-Faktor-Versuche des klassischen PDCA. Für die universitäre Ausbildung zukünftiger Industrial Engineers kann damit ein erhöhter Bedarf an System- und Problemlösungskompetenz (insbesondere
auf Basis multivariater Experimente) festgehalten werden.
2
Hybrides Lernen zur Kompetenzentwicklung
Kompetenzen lassen sich durch verschiedene formelle und informelle
Lernprozesse, bspw. durch den Besuch verschiedener Lehrveranstaltungen im Rahmen der universitären Ausbildung, den Umgang mit Kommilitonen oder durch das täglichen Nutzen digitaler Medien, entwickeln (Dimitrova 2007). Der Erfolg eines Lernprozesses ist dabei wesentlich von der
Gestaltung der Rahmenbedingungen abhängig. Verschiedene Autoren
verweisen darauf, dass ein Lernender nur ca. 20% dessen, was er liest,
ca. 30% dessen, was er hört, und ca. 90% dessen, was er selber aktiv tut,
hört, liest und sieht, erfassen und verarbeiten kann (u.a. Nowitzki 2006, S.
221). Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei Lernmodelle differenzieren
– einerseits das passive und theoretische Lernen durch Informationsaufnahme nach Coleman und andererseits das aktive und erfahrungsbasierte
Lernen nach Kolb.
2.1
Lernen durch Informationsaufnahme
Das Lernen durch Informationsaufnahme (Coleman et al. 1973) ist
dadurch charakterisiert, dass dem Lernenden Informationen durch ein
Medium wie bspw. Lehrbücher, Vorlesungen oder Lehrfilme zur Verfügung
gestellt werden. Der Lernende befindet sich daher in einer passiven Rolle
und üblicherweise werden wenige Sinnesorgane angesprochen. Die Informationen werden durch den Lernenden aufgenommen, verarbeitet und
generalisiert. Durch mögliche Übungsaufgaben werden sie auf konkrete
Problemstellungen angewendet und vertieft. Bei einem erfolgreichen Lernen sind die Informationen dadurch soweit verarbeitet und verstanden
worden, dass eine Veränderung des Wissensstands und des Verhaltens
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
253
stattfindet. Dieses Lernmodell ist im universitären Kontext durch Vorlesungen und Übungen sehr weit verbreitet. Ein bekannter Nachteil dieses
Lernprozesses liegt in einer kurzen Erinnerungsrate. Vorteile stellt dagegen die schnelle und strukturierte Wissensvermittlung dar.
2.2
Erfahrungsbasiertes Lernen
In dem Lernmodell von Kolb (1984) finden ebenfalls vier aufeinanderfolgende Schritte statt. Üblicherweise startet das erfahrungsbasierte Lernen
mit einer konkreten Situation und daraus resultierenden Erfahrungen für
den Lernenden. Diese Erfahrungen werden im zweiten Schritt reflektiert
und anschließend in allgemeine Konstrukte abstrahiert. Diese Konstrukte
können im vierten Schritt in bestimmten Situationen angewendet werden.
Dadurch findet ein aktives Experimentieren und Überprüfen der allgemeinen Konstrukte in konkreten Situationen statt. Die dabei gemachten Erfahrungen bilden wiederum den Ausgangspunkt eines neuen Lernzyklus. Ein
erfahrungsbasierter Lernprozess bietet im Vergleich zur Informationsaufnahme komplementäre Vor- und Nachteile. Die Erinnerungsrate steigt
aufgrund des aktiven Handelns und den vielen gleichzeitig angesprochenen Sinnesorganen. Als nachteilig können im Kontext der universitären
Ausbildung die Dauer des Lernprozesses und der Aufwand zur Gestaltung
einer erfahrungsbasierten Lernumgebung genannt werden, insbesondere
bei einer großen Anzahl von Studierenden.
2.3
Umsetzungsmöglichkeiten für hybrides Lernen
Das „hybride Lernen“ stellt eine Verknüpfung beider Lernmodelle dar und
bietet dadurch die Möglichkeit, die Vorteile beider Modelle zu verbinden.
Dabei bildet das Lernen durch Informationsaufnahme die erste Phase.
Durch Seminare und Vorlesungen ist es möglich, den Studierenden in
kurzer Zeit strukturiert Grundlagenwissen zu vermitteln. Dieses Wissen
wird anschließend durch konkretes Experimentieren und Sammeln von
Erfahrungen vertieft und angereichert. Neben dem erweiterten Wissen
entwickelt sich ein fundiertes Verständnis, einhergehend mit Anwendungserfahrung und damit fachlich-methodischer Kompetenz. Das erfahrungsbasierte Lernen beginnt dabei meist nicht mit dem ersten Schritt im
Modell von Kolb, sondern mit dem vierten Schritt und damit dem aktiven
Experimentieren (Hempen et al. 2010). Abbildung 2 fasst das hybride
Lernkonzept zusammen. Als Beispiel ist die Beidhandarbeit zur Reduktion
der Zykluszeit eines manuellen Montageprozesses abgebildet.
254
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Abbildung 2: Hybrides Lernen (i.A.a. Coleman et al. 1973 und Kolb 1984)
Ein verbreitetes Konzept zur Umsetzung des erfahrungsbasierten Lernens
ist die Gestaltung von Lernprozessen in sogenannten „Lernfabriken“. Aufgrund der Vielzahl neuer Lernfabriken wurde eine Morphologie zu deren
Charakterisierung und zum Vergleich entwickelt (Steffen et al. 2014a und
Steffen at al. 2014b). Einen Vorteil bieten Lernfabriken durch das Lernen
in einer realitätsnahen, jedoch simulierten Produktionsumgebung. Durch
das geschützte Umfeld können die Studierenden aus Fehlern lernen. Eine
Simulationsumgebung stellt jedoch gleichzeitig eine Grenze in Bezug auf
die Lernziele für Systemkompetenz dar. Lernfabriken sind hinsichtlich der
Komplexität im Vergleich zu einer realen Fabrik stets begrenzt. Sie stellen
ein geschlossenes System mit einer begrenzten, meist geringen Anzahl an
Prozessen bzw. Arbeitsplätzen dar. Auch die Einbindung anderer Unternehmensfunktionen wie der Entwicklung, der Arbeitsvorbereitung, dem
Qualitätsmanagement, dem Einkauf oder dem Vertrieb sind bisher kaum
realisiert. Um die Entwicklung der zunehmend erforderlichen Systemkompetenz ausreichend zu unterstützen ist ein Lernprozess in einer realen
Produktion sinnvoll. Die Umsetzung von hybridem Lernen unter Einbezug
realer Produktionsumgebungen zum Umgang mit Systemkomplexität ist
derzeit Gegenstand der Weiterentwicklung studentischer Ausbildung am
Institut für Produktionssysteme (IPS) der Technischen Universität Dortmund. Zwei konkrete Beispiele werden nachfolgend erläutert.
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
3
255
Multiperspektivisches Lernen im realen Produktionsbetrieb
(Umsetzungsbeispiel 1)
Im Projekt „Multi real – Multiperspektivisches Lernen im realen Produktionsbetrieb“ wird am IPS derzeit eine neue Lehrveranstaltung konzipiert,
die zwei innovative Aspekte zur Kompetenzentwicklung integriert – einerseits die Gestaltung der Lernprozesse in einem realen Betrieb mitsamt der
Komplexität, die es heutzutage zu bewältigen gilt und andererseits das
Lernen in heterogenen Gruppen aus Studierenden sowie Fach- und Führungskräften der Industrie (Abbildung 3). Das Konzept soll damit dem Anspruch des höchstmöglichen Praxisbezugs sowie der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit angehender Industrial Engineers gerecht werden.
Abbildung 3: Multi real - Multiperspektivisches Lernen im realen Produktionsbetrieb
Aktuell existieren kaum geeignete Lehrkonzepte, die die reale Komplexität
abbilden und die zur Bewältigung erforderliche „Systemkompetenz“ ausreichend entwickeln. Lernfabriken, Planspiele und Rollenspiele eignen sich
zum Aufbau der Systemkompetenz i.d.R. weniger, da sie in einem Modell
nur einen Teilbereich der realen Komplexität simulieren können. Am Beispiel der Verbesserungen eines Arbeitssystems wird der Handlungsbedarf
in Abbildung 4 verdeutlicht.
256
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Abbildung 4: Ansätze zur Entwicklung von Systemkompetenz
Zum reinen Erlernen der Verbesserungsroutine PDCA existieren hingegen
bereits vielfältige, gut funktionierende Planspiele. Auch „on-the-job“Schulungen wie bspw. bei der Firma WILO SE zum Erlernen von PDCA in
realen Produktionsprozessen werden erfolgreich umgesetzt. Beide Beispiele konzentrieren sich jedoch auf einen einzelnen isolierten Prozess,
ohne das Gesamtsystem, in dem dieser Prozess eingebunden ist, zu betrachten (lokale Optimierungen). Erste Versuche diese systemische Sichtweise einzubinden haben bereits im IE-Training Centre des IPS stattgefunden. Hierzu wurde ein Ziel-Zustand einer Montagelinie bestehend aus
vier Arbeitsplätzen definiert. Jeder Arbeitsplatz wurde mittels PDCA einzeln verbessert und anschließend wieder in die Linie integriert. Beobachtet
wurde, dass Einzeloptimierungen nicht zwangsläufig zu einer Verbesserung des Gesamtsystems führen. Die Trainingsumgebung ist jedoch durch
wenige einfache und sehr ähnliche Prozesse in einer simulierten Umgebung gekennzeichnet. Der Handlungsbedarf besteht daher in der Entwicklung einer Lernumgebung zum Aufbau von Systemkompetenz im realen
Betrieb. Der Bedarf an Systemkompetenz wurde neben der studentischen
Ausbildung auch verstärkt bei produzierenden Unternehmen konstatiert
(Deuse et al. 2014). Insbesondere die Verknüpfung des Policy Deployment
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
257
mit Verbesserungsmaßnahmen stellt große Herausforderungen dar. Hier
geht es darum, die Frage „Was müssen wir tun, um unsere Ziele zu erreichen?“ anstatt „Was können wir tun, um Verschwendung zu reduzieren?“
(Steffen/Deuse 2014).
Die Lernziele für die Lehrveranstaltung umfassen daher verschiedene
Aspekte der Systemkompetenz (vgl. Abbildung 1). Das übergeordnete
Richtlernziel lautet: „Die Teilnehmer gestalten und verbessern Produktionssysteme (PS) auf Basis entwickelter Systemkompetenz.“ Dazu sind
u.a. folgende Groblernziele zu erreichen:
 Die Teilnehmer können zusammen PS analysieren und PSVerständnis aufbauen (z.B. durch Wertstromanalysen, REFAZeitaufnahmen, MTM-Analysen, Taktzeitdiagramme oder Engpassanalysen)
 Die Teilnehmer können zusammen den Ist-Zustand eines PS
bewerten und interpretieren. Dies beinhaltet das Verständnis
des idealen PS und die Kenntnis der Unternehmensziele (von
der Unternehmensvision bis zu den operativen, kurzfristigen
Werkszielen).
 Die Teilnehmer können zusammen Wertstromdesigns und ZielZustände aus Systemsicht erarbeiten. Dies beinhaltet die Berücksichtigung der vertikalen Zielkaskade (langfristige Unternehmensvision bis kurzfristige, operative Ziele), der vor- und
nachgelagerten Prozesse, die Berücksichtigung anderer Funktionen wie der Logistik, der Instandhaltung oder der Arbeitsvorbereitung sowie die Berücksichtigung der Fabrikphysik und Engpässe.
 Die Teilnehmer können zusammen einzelne Methoden zum Erreichen der definierten Ziel-Zustände implementieren.
 Die Teilnehmer hinterfragen Verbesserungsaktivitäten hinsichtlich ihrer Wirkung auf die kurzfristigen, operativen Ziele sowie
auf den langfristigen Beitrag zur Annäherung an die Unternehmensvision.
Konsequenterweise werden für die konkreten zu implementieren Methoden (vorletzt genanntes Lernziel) stets andere konkrete Inhalte erforderlich
sein. Hier muss die Lehrveranstaltung eine hohe Flexibilität aufweisen, um
sich den aktuellen Bedarfen des Unternehmens anpassen zu können.
Daher sind in Vorbereitung der Veranstaltung jeweils aus Systemsicht
258
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
sinnvolle Projekte zu definieren. Der gemeinsame Kern besteht jedoch
insbesondere in einer logischen, möglichst datenbasierten Argumentation,
warum dieses Projekt aus Systemsicht zielführend ist und welche Erwartungen an die Auswirkungen auf die operativen Ziele sowie die Unternehmensvision zu stellen sind.
Eine erste Stakeholderanalyse hat ergeben, dass eine 6-wöchige Blockveranstaltung von Anfang Oktober bis Mitte November mit definierten
Phasen die verschiedenen Anforderungen der Studierenden, Industrievertreter und Betreuer am besten gerecht wird (Abbildung 5). In der ersten
Phase ist je nach den Vorerfahrungen der Teilnehmer in Bezug auf die
Projektinhalte Grundlagenwissen zu vermitteln. In den Wochen zwei bis
fünf soll die eigentliche Projektarbeit stattfinden. Die Ergebnisse sind abschließend i.S. eines Management Summary aufzubereiten und zu präsentieren. Aus Sicht der Studierenden sollte zudem eine Anrechenbarkeit
der erfolgreichen Teilnahme als Studienleistung ermöglicht werden. Für
die begleitende Entwicklung sozial-kommunikativer Kompetenz werden in
der Vorbereitungsphase zudem Spielregeln des Umgangs miteinander
definiert. Um trotzdem aufkommende Konflikte reflektieren und frühzeitig
beheben zu können, ist geplant nach 2 Wochen das erste Feedbackgespräch durchzuführen. Dies umfasst neben den Ergebnissen der IstAnalyse die Reflektion des Gruppengefüges, der Zusammenarbeit und
Kommunikation. Am Ende ist ein offenes Feedback zur gesamten Veranstaltung von Bedeutung, um diese kontinuierlich zu verbessern.
Abbildung 5: Geplanter Zeit- und Arbeitsplan für die Veranstaltung
Die geplante Veranstaltung bietet damit das Potenzial basierend auf dem
Konstrukt des hybriden Lernens aktiv die Entwicklung der Systemkompetenz von Studierenden als auch erfahrenen Fach- und Führungskräften
der Industrie zu unterstützen.
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
4
259
Six Sigma-Green Belt Zertifizierung
(Umsetzungsbeispiel 2)
Seit dem Jahr 2013 bietet das IPS in Kooperation mit dem Lehrstuhl für
computergestützte Statistik der TU Dortmund Studierenden der Fakultäten
Maschinenbau und Statistik die Möglichkeit der Zertifizierung zum Six
Sigma Green Belt. Diese Qualifizierungsmaßnahme erfolgt gemäß eines
hybriden Lehrkonzeptes, welches durch eine Kombination aus universitärer Lehrveranstaltung und industriellen Praxisprojekten geprägt ist. Ziel der
Lehrveranstaltung ist dabei die Vermittlung von Grundlagenwissen über
das Themengebiet Six Sigma, wodurch die Befähigung der Studierenden
zur eigenständigen Lösung von Problemstellungen erreicht wird. Das Lernen innerhalb dieser Ausbildungsphase erfolgt dabei gemäß dem Prinzip
des Lernens durch Informationsaufnahme nach Coleman. Die industrielle
Anwendungsphase ist in Form individueller Verbesserungsprojekte ausgeprägt, in deren Rahmen eine praktische Umsetzung des Vermittelten gefordert ist. In realen Industriebetrieben wird durch eine Konfrontation mit
realen Produktionsumgebungen und der damit verbundenen Komplexität
gemäß dem Prinzip des erfahrungsbasierten Lernens die Entwicklung von
Problemlösungs- und Systemkompetenz aktiv forciert. In Abbildung 6 ist
die Struktur der Lehrveranstaltung in zusammengefasster Form dargestellt.
Der schnelle und strukturierte Aufbau von Grundlagenwissen zur Problemlösung im Rahmen der Lehrveranstaltung „Einführung in Six Sigma“
erfolgt innerhalb eines Zeitrahmens von ca. vier Monaten. In dieser als
Frontalvorlesung durchgeführten Veranstaltung werden die Methoden des
Lean Six Sigma vermittelt, indem ein passiver Lernprozess bei den Teilnehmern initiiert wird. Lean Six Sigma als anerkannter Prozessmanagementprozess stellt ein Werkzeug zur Prozess- bzw. Produktverbesserung
dar und wird durch die DMAIC-Phasen strukturiert. Das Akronym DMAIC
(Define, Measure, Analyze, Improve, Control) steht dabei für die sequentiell zu durchlaufenden Phasen, um eine Prozess- bzw. Produktqualitätserhöhung auf ein stabiles Six Sigma-Niveau zu realisieren. In dieser ersten
Phase der Green Belt Zertifizierung wird den Teilnehmern somit das
Handwerkszeug in Form von Problemlösungsmethoden und Werkzeugen
zur Umsetzung eines Six Sigma-Verbesserungsprojekts an die Hand gegeben. Abschließend ist durch die Studierenden ihre Qualifikation für die
eigenständige Bearbeitung eines Verbesserungsprozesses in der zweiten
Ausbildungsphase, in Form einer erfolgreichen Teilnahme an einer Abschlussprüfung, zu bestätigen.
260
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
Abbildung 6: Six Sigma-Green Belt Zertifizierung
Die zweite Phase des hybriden Ausbildungskonzepts ist, nach dem Prinzip
des erfahrungsbasierten Lernens nach Kolb, durch eine eigenständige
Bearbeitung individueller Six Sigma-Verbessungsprojekte in realen Industriebetrieben geprägt. Im Rahmen dieser Projekte ist die in der ersten Phase theoretisch vermittelte Problemlösungsmethodik DMAIC mit ihren
Werkzeugen zu nutzen, wobei auf die Entwicklung von Systemkompetenz
abzielend ein besonderer Fokus auf der Durchführung multivariater Experimente liegt. Zu begründen ist diese Priorisierung dadurch, dass insbesondere multikriterielle Analysemethoden i.S. entdeckender Experimente
zu einer Entwicklung eines ganzheitlichen, systemischen Verständnisses
der jeweiligen Problemstellung bzw. des zu betrachtenden Systems beitragen. Unterstützt wird dieser Aufbau von Systemkompetenz durch die in
den realen Industriebtrieben vorherrschende Komplexität. In simulierten
Lernumgebungen wäre eine derartige Entwicklung von Systemkompetenz
kaum zu erreichen.
Die individuelle Betreuung der Studierenden während der verschiedenen
Verbesserungsprojekte erfolgt durch einen Master Black Belt. Die Betreuung dient dazu, eine zielgerichtete strukturierte Vorgehensweise innerhalb
der Projekte seitens der Studierenden zu sichern, indem die durchgeführten Arbeitsschritte und die daraus resultierenden Ergebnisse innerhalb der
Gruppe diskutiert werden.
Hybrides Ausbildungskonzept für den Umgang mit Systemkomplexität
261
Das hybride Ausbildungskonzept der Six Sigma Green Belt-Zertifizierung
gewährleistet somit die kombinierte Entwicklung von Problemlösungs- und
Systemkompetenz. Im Hinblick auf die durch den verstärkten Technologieeinsatz im Rahmen von Industrie 4.0 hervorgerufenen veränderten
Kompetenzanforderungen, ist dieses Ausbildungskonzept gegenüber üblichen universitären Lehrveranstaltungen somit als zu priorisierender Ansatz
zu wählen.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Nicht zuletzt in der evolvierenden Industrie 4.0 lassen sich die Entwicklungstrends der modernen Arbeitswelt deutlich beobachten. Sie bestehen
u.a. aus einer zunehmenden Komplexität von Produktionssystemen. Um
trotz Komplexität und Intransparenz das Systemverständnis aufzubauen
oder zu erweitern, sind vor allem System- und Problemlösungskompetenz
erforderlich. Ein effektives und effizientes Lernkonzept zum Kompetenzaufbau stellt das hybride Lernen dar, welches die Vorteile des Lernens
durch Informationsaufnahme sowie durch Erfahrung kombiniert. Im Beitrag
wurden zwei auf dem Ansatz des hybriden Lernens basierende Lehrveranstaltungen der TU Dortmund zum Aufbau von System- und Problemlösungskompetenz vorgestellt. Das Projekt „Multi real – Multidimensionales
Lernen im realen Produktionsbetrieb“ fokussiert den Aufbau von Systemkompetenz und stärkt durch das Lernen in heterogenen Gruppen aus Studierenden und Industrievertretern in besonderem Maße die Beschäftigungsfähigkeit. Die Veranstaltung befindet sich derzeit in der Entwicklung
und soll im WS 2015/2016 pilotiert werden. Die Six Sigma-Ausbildung
fokussiert die Problemlösungskompetenz i.S. einer Erweiterung der EinFaktor-Versuche des klassischen PDCA zu multivariaten Versuchsreihen.
Sie wird bereits seit 2012 erfolgreich den Studierenden der Fakultäten
Maschinenbau und Statistik angeboten.
Danksagung
Das Projekt „Multi real – Multidimensionales Lernen im realen Produktionsbetrieb“ wird im Rahmen des Programms „Exzellente Lehre“ durch den
Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Caspar Ludwig
Opländer Stiftung gefördert. Ferner danken wir der WILO SE für die enge
Kooperation und die erfolgreiche Zusammenarbeit im Rahmen beider
Lehrveranstaltungen.
262
Jochen Deuse, Marlies Achenbach, David Lenze
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Wahlster, W., 2011.: Industrie 4.0 - Vom Internet der Dinge zur vierten industriellen Revolution. In: Innovationskongress Märkte, Technologien, Strategien. Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI).
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
265
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung im Rahmen
der universitären Lehre
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Mit der Einführung von Konzepten wie der Digitale Fabrik, der Umsetzung von Simultaneous Engineering und durchgängiger Systeminteroperabilität in den Unternehmen werden auch Gestalten, Verstehen
und Erleben von kollaborativen interdisziplinären Arbeitsprozessen und
die Vermittlung von Kollaborationskompetenz zwingend Bestandteile
der universitären Lehre. Dies impliziert, dass in der Fabrikplanung
interdisziplinäre Zusammenarbeit, disziplinübergreifende Denkweisen
sowie ein kollaboratives Planen, Modellieren und Experimentieren in
gleichem Maße gefördert werden müssen wie Fach-, Methoden- und
IT-Kompetenz. Der folgende Beitrag erläutert ausgehend von einer
kurzen Diskussion des Kollaborationsbegriffs Modelle zur Vermittlung
von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung, die am Fachgebiet
für Produktionsorganisation und Fabrikplanung (pfp) der Universität in
Kassel zurzeit umgesetzt werden oder bereits Eingang in die Lehre
gefunden haben.
1
Einleitung
Mit der Einführung der Konzepte zur Digitalen Fabrik (vgl. VDI 4499
2008, Bracht et al. 2011) werden unter anderem eine Verkürzung der
Entwicklungs- und Planungszeiten, ein schnellerer Produktionsanlauf
und eine signifikante Beschleunigung der Einführung neuer Produkte
am Markt verbunden. In diesem Kontext bezeichnet das Simultaneous
Engineering "die gemeinsame, zeitlich parallele Entwicklung eines
Produktes und der dafür benötigten Produktionsanlage" (vgl. Bracht et
al. 2011, S. 52-53). Allgemeiner formuliert Wiendahl (2010), dass das
Simultaneous Engineering eine Vorgehensweise kennzeichnet, bei der
sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus mehreren Abteilungen zu
Teams zusammenschließen, um gemeinsam ein Problem zu bearbeiten. Simultaneous Engineering ist somit durch eine zielgerichtete und
interdisziplinäre Zusammen- und Parallelarbeit mehrerer Abteilungen
266
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
geprägt. Eine weitere wichtige Säule im Kontext der Digitalen Fabrik
stellt die Systeminteroperabilität dar. "Interoperabilität bezeichnet allgemein die Fähigkeit der Zusammenarbeit unterschiedlicher Systeme,
zu denen technische oder EDV-technische Systemen sowie Organisationen sowohl auf administrativer als auch auf personeller Ebene zählen." (vgl. Bracht et al. 2011, S. 172).
Sowohl Simultaneous Engineering als auch Interoperabilität implizieren
eine Zusammenarbeit zwischen Personen, Gruppen, Systemen
und/oder Organisationen. Kollaboration (co-laborare; lat.), d. h. mitbzw. zusammenarbeiten, bezeichnet eben genau diese Zusammenarbeit von mindestens zwei Akteuren zum Zwecke der Erreichung gemeinsamer Ziele (vgl. hierzu auch Alt 2003, Kersten et al. 2003, Haas
2004 und Bernhard 2009). Die Akteure arbeiten in Echtzeit gemeinsam
an einem Teil des Ergebnisses. Dies grenzt die Kollaboration von der
einfachsten Form der Zusammenarbeit, der Kommunikation, die als
reiner Informationsaustausch zwischen Personen verstanden werden
kann, und der Koordination (z. B. von gemeinsam zu nutzenden Ressourcen) ab. Bei der ebenfalls als Zusammenarbeit möglichen Kooperation arbeiten Personen oder auch rechtlich selbstständige Unternehmen arbeitsteilig an einem Ergebnis und sind für unterschiedliche
Teile der Ergebnisse verantwortlich (vgl. Bernhard 2009, Meyer und
Treichel, 2004, Schwarz 1979).
Kollaboration als höchste Form der Zusammenarbeit erfordert von den
beteiligten Akteuren selbstständiges Arbeiten, Erkennen der eigenen
notwendigen Fach- und Methodenkompetenzen, Kompetenzen zum
Umgang mit den erforderlichen Medien, die grundsätzliche Bereitschaft
zur Teamarbeit und zur Anerkennung disziplinübergreifender Sichtweisen, aber auch die Erkenntnis, ein gemeinsames gutes Ergebnis erreichen zu wollen.
Im Rahmen dieses Beitrags wird der Fokus auf die Kollaboration gelegt und anhand von Aufgaben in der Fabrikplanung die Frage diskutiert, mit welchen Modellen das kollaborative Planen, d. h. "die verteilte
operative Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren innerhalb
einer gemeinsamen Planungsaufgabe" (vgl. Bernhard 2009, S. 13) in
der universitären Lehre vermittelt werden kann. Die zu betrachtenden
Modelle unterscheiden sich unter anderem nach der für sie bei der
Erstellung verwendeten Beschreibungsform. So werden konkrete,
physische Modelle einerseits und abstrakte formale Modelle wie mathematische Modelle (Gleichungssysteme), graphische Modelle (Gra-
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
267
phen, Diagramme) und Computermodelle differenziert (für eine umfassende disziplinübergreifende Klassifikation vgl. Stachowiak 1973). Für
den hier zu betrachtenden Kontext ist die Differenzierung in physische
(vgl. Kapitel 2) und digitale Modelle (vgl. Kapitel 3) von Relevanz.
Die Vermittlung technischer, ökonomischer und ökologischer Inhalte
einer ganzheitlichen Fabrikplanung und eines integrativen Systemverständnisses, die Vermittlung von Kenntnissen zur Planung von ITArchitekturen für Lösungen zur Digitalen Fabrik, zur Definition von
Nutzungskonzepten und zur organisatorischen Umsetzung oder auch
die Ausbildung in Methoden- und Werkzeugkenntnissen einschließlich
Bewertungsfähigkeit hinsichtlich Effizienz und Effektivität ihres Einsatzes stehen nicht im Fokus dieses Beitrags; sie sind mit den dargelegten Modellen in Teilen aber auch möglich.
Um Produktions- und Logistikkomplexität zu verstehen, eigenständige
Entscheidungen in der Gruppe zu treffen und selbstorganisiert zu handeln, erlauben grundsätzlich didaktische Konzepte wie Planspiele
(Blötz 2015) das Erleben und Erlernen von Zusammenhängen, das
Erfahren des eigenen Handels in der Gruppe und das Vermitteln systemisches Denken sowie ergebnisorientiertes Handeln. Im Verlauf
eines Spiels wird in der Regel deutlich, dass oft ein mangelndes Interesse an einer Zusammenarbeit besteht und die beteiligten Akteure
sich eher mit der Verbesserung ihrer eigenen Ergebnisse beschäftigen
und den Blick für das Ganze verlieren. Planspiele sind in Gruppen
erlebbar, als Brettspiele umgesetzt oder aber auch computerbasiert
auf der Basis von Modellen realisiert (z. B. Beergame, vgl.
www.beergame.org). Da Planspiele eine eigene Klasse zur Unterstützung von Kollaborationskompetenz darstellen und sowohl mit physischen als auch mit digitalen Modellen umgesetzt sein können, würden
die Ausführungen hierzu den Rahmen des Beitrags sprengen. Auf eine
detaillierte Betrachtung wird daher an dieser Stelle verzichtet.
2
Kollaboration unter Nutzung physischer Modelle
Um die dynamischen Zusammenhänge einer Fabrik besser nachvollziehen zu können, werden in Forschung und Lehre zunehmend an
sehr vielen Universitäten physische Modell(lern)fabriken eingesetzt
(Ausführungen zu Modelllernfabriken vgl. beispielsweise Enning et al.
2006, Krause und Cech 2007). Diese bieten einerseits die Möglichkeit,
Szenarien zu gestalten und ausgewählte Szenarien zu demonstrieren.
Andererseits ermöglichen sie in Abhängigkeit von Konzept und Detail-
268
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
lierungsgrad der Modellierung, Änderungen an der Produktionssteuerung physisch erlebbar zu machen. Je nach gewähltem Detaillierungsgrad des physischen Modells lassen sich zudem Verbesserungspotentiale erkennen, die in einem digitalen Modell, beispielsweise aufgrund
von getroffenen Vereinfachungen und eines hohen Abstraktionsgrades, unter Umständen nicht erkannt werden können.
Bei der Planung und Ausgestaltung von Fertigungslinien stellt darüber
hinaus der Einsatz der 3P-Methode ("Production Preperation Process")
ein Höchstmaß an Qualität bei gleichzeitiger Vermeidung von Verschwendung sicher. Ziele sind vor allem die Reduzierung der Produktionszeit, des Platzbedarfs, der notwendigen Investitionen und der
Aufwendungen für Logistik (Molitor und Berner 2008). Im Rahmen
dieser 3P-Workshops befasst sich ein interdisziplinäres Team mit der
Suche nach Möglichkeiten, die oben genannten Ziele zu erreichen.
Dabei wird zwischen 3P-Produkt- und 3P-Prozessworkshops unterschieden. Während Produktworkshops das Design des Produkts verbessern und seine Produzierbarkeit sicherstellen, befassen sich Prozessworkshops mit der Untersuchung und Verbesserung des
Herstellprozesses (Molitor und Berner 2008). Dabei werden Arbeitsplätze aus Pappe und Stützstrukturen (beispielsweise aus Holz) nachgebaut und die Montageabläufe der späteren Serienproduktion mit
originalgetreuen Teilen getestet. Auf Basis der Erkenntnisse werden
Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet und die Arbeitsplätze verbessert. Besonders verbreitet sind 3P-Prozessworkshops in der Automobilindustrie (Eggert 2008). Hier wird ein hoher Stellenwert auf eine
kollaborative Planung gelegt, bei der verschiedene Planungsabteilungen zusammenarbeiten. Dazu gehören beispielsweise die Produktentwicklung, die Fabrikplanung und die Logistikplanung (Wack et al.
2011). Diese Form der kollaborativen Planung mit Modellen aus Pappe
hat sich in der Fertigungsplanung seit einigen Jahren bewährt. Während das Layout am Rechner geplant und simuliert wird, werden in
anschließenden Untersuchungen mit physischen Modellen aus Pappe
Feinheiten besser erkannt (Volkswagen AG 2007). Außerdem lässt
sich die Ergonomie des Arbeitsplatzes besser bewerten, beispielsweise beim Greifen von Teilen oder bei der Montage von Baugruppen.
Neuere Verfahren arbeiten mit ausgedruckten 3D-Modellen, die vorab
am Rechner als digitale Modelle erstellt wurden. Die physischen Modelle können dann im Team auf einer Grundfläche, auf der das Hallen-
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
269
layout aufgedruckt ist, verschoben werden. In der Diskussion in der
Gruppe werden verschiedene Varianten ausprobiert, verglichen und
eine möglichst optimale Lösung gefunden. Vorteile dieses Konzeptes
sind geringe Anforderungen an die Vorkenntnisse der Beteiligten, da
sie sich nicht in eine Software einarbeiten müssen, und die Tatsache,
dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der betroffenen Fertigungsbereiche ihren Arbeitsplatz mitgestalten können, so dass eine hohe
Akzeptanz der Planungsergebnisse bei den Werkern erreicht werden
kann (Siemens AG 2009). Ein Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung
dieses Ansatzes stellt die Planung der "Legacy 500 Flügel Montagelinie" der Firma Embraer dar. Hier werden die zu montierenden Flugzeugflügel in ihren verschiedenen Fertigstellungsgraden und die Produktionsanlagen ausgedruckt und in einem 3P-Workshops zu einer
Produktionslinie angeordnet, so dass die Ziele einer Lean Produktion
(z. B. eine "just in time"-Anlieferung der Teile) erfüllt werden können
(De Carvalho et al. 2012).
Die beiden folgenden Abschnitte behandeln zwei neuere Konzepte zur
Unterstützung der Kollaboration in der Fabrikplanung unter Nutzung
physischer Modelle. In Abschnitt 2.1 wird eine LEGO-Modellfabrik, die
zurzeit am Fachgebiet pfp umgesetzt wird, kurz vorgestellt; in Abschnitt 2.2 werden die Erfahrungen mit dem Einsatz von Modellen aus
einem 3D-Drucker in der Lehre beschrieben.
2.1
Die LEGO-Modellfabrik
Ziel der am Fachgebiet pfp im Aufbau befindlichen LEGOModelllernfabrik im Maßstab 1:5 ist, den Studierenden zu helfen, fabrikplanerische Fragestellungen zu verstehen und eigenständig in
Teams Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Der Fokus der Modelllernfabrik liegt dabei auf der planerischen Gestaltung und Steuerung der logistischen Prozesse; die für die Lernfabrik notwendigen
Produktionsprozesse sind daher nur beispielhaft, die Transport- und
Lagerprozesse hingegen detailliert umgesetzt. Zum jetzigen Zeitpunkt
sind ein automatisches Hochregallager und mehrere fahrerlose Transportfahrzeuge, die jeweils eine autonome Steuerung besitzen und
untereinander und mit einem zentralen Steuerungssystem kommunizieren, realisiert.
270
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Abbildung 1: Modell eines fahrerlosen Transportfahrzeugs ohne und mit Last
(© Universität Kassel, pfp)
Die technische Umsetzung der einzelnen Modellelemente basiert auf
realen Systemelementvorgaben und erfolgt mit LEGO-Mindstorms.
Beispielsweise seien an dieser Stelle die fahrerlosen Transportfahrzeuge (vgl. Abbildung 1) genannt, die sich an einer auf dem Boden
aufgebrachten farbigen Spur mittels zweier nebeneinander angebrachter Farbsensoren orientieren. Unterschiedliche Sektionen sind ebenso
wie Ausfahrten durch verschiedene Farben gekennzeichnet. Ein Ultraschallsensor reduziert bei einer Erkennung eines Hindernisses die
Geschwindigkeit und stoppt bei kritischem Abstand das Fahrzeug
ganz. Die Ladefläche ist mit angetriebenen Rollen ausgestattet, so
dass Paletten auf- und abgeladen werden können.
Die Modellelemente werden von LEGO-Mindstorms-EV3-Systemen
gesteuert und tauschen mit einem zentralen Steuerungsrechner Daten
per WLAN aus. Jede einzelne Einheit funktioniert autark; beispielsweise erhalten die Fahrzeuge lediglich die Information, an welcher Station
sie Ladung aufnehmen und wo sie diese wieder abgeben sollen. Die
Steuerungen der einzelnen EV3-Systeme sind mit Java realisiert, der
Steuerungsrechner nutzt eine C#-Anwendung.
Die Modelllernfabrik wird im Rahmen einer Praktikumsveranstaltung
eingesetzt, in der sich Studierende in Gruppen die Funktionsweise und
Steuerung der Anlage durch Beobachtung selbst erarbeiten, um Verbesserungspotentiale zu erkennen und Lösungsvorschläge zu entwerfen, um die gesamte Anlage effizienter zu gestalten. Eine Vorgabe zur
Organisation dieses gruppendynamischen Prozesses wird nicht gegeben. Um für alle Gruppen die gleiche Ausgangssituation bereitzustellen, gibt es Steuerungen mit "vorgefertigten" Defiziten. Die erarbeiteten
Vorschläge werden diskutiert und von den Studierenden in Java umgesetzt und getestet. Eine erneute Beobachtungsphase erlaubt die
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
271
Prüfung, ob sich mit den angepassten Steuerungen die gewünschten
Verbesserungen erreichen lassen oder weitere Maßnahmen notwendig
werden. Grundsätzlich können die Studierenden nur einzelne Parameter einer Steuerung oder eingeschränkte Steuerungslogiken anpassen.
Aus Sicherheitsgründen sind die direkten Zugriffe auf Motoren und
Sensoren durch spezielle Programmlogiken gekapselt; auch die Initialisierung der einzelnen Modellelemente ist nicht durch die Studierenden änderbar.
Die bisherige Evaluation des Konzeptes hat gezeigt, dass aufgrund der
Heterogenität der Studierendengruppen hinsichtlich ihrer Vorbildung
(Studium im Praxisverbund im Unternehmen oder berufliche Vorerfahrung) die Zusammenarbeit und die Abwicklung der einzelnen Aufgaben
unterschiedlich systematisch und kontrolliert stattfinden. Zudem werden eigene berufliche Erfahrungen implizit eingebracht. Insgesamt
zeigen sich die Studierenden aber durchaus in der Lage, sich schnell
und effektiv abzustimmen. So muss beispielsweise in der Beobachtungsphase zunächst koordiniert werden, wie die Beobachtung überhaupt zu organisieren und zu dokumentieren ist. Aufgrund der bestehenden Vorerfahrungen einzelner Studierenden erfolgt oftmals eine
diesbezügliche fachliche Aufgabenzuteilung. Das gemeinsame Erarbeiten der Verbesserungsvorschläge führt dazu, dass mögliche Fehler
und Nachteile frühzeitig erkannt und diskutiert werden. Insgesamt kann
die gemeinsame Arbeit an der Modellfabrik daher als kollaborationskompetenzfördernd bewertet werden. Die umgesetzten Maßnahmen
werden nach Ende des Praktikums mit den Studierenden hinsichtlich
Effizienz und Effektivität evaluiert. Diese Bewertung erlaubt Aussagen
zum Erfolg und zur Qualität der umgesetzten Maßnahmen, fördert aber
gleichzeitig auch Kritikfähigkeit und einen kritischen Umgang mit den
eigenen Leistungen. Zusätzlich wird die Zusammenarbeit der Studierenden untereinander bewertet, wobei nicht relevant ist, dass bestimmte Absprachen, sondern dass überhaupt Absprachen im Hinblick auf
Herangehensweise und Arbeitsaufteilung getroffen werden.
2.2
Kollaboration in der Layoutplanung mit Modellen aus dem
3D-Drucker
Zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz lassen sich auch die in
der Industrie im Einsatz befindlichen Methoden im Bereich 3D-Druck
für die universitäre Lehre adaptieren. Da auch Studierende darauf
hinwiesen, dass eine rein digitale Planung oftmals nicht anschaulich
272
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
genug sei, hat das Fachgebiet pfp zur Erhöhung der Anschaulichkeit
einerseits, aber auch zur Vermittlung erweiterter Methodenkompetenz
andererseits eine mit Modellen aus dem 3D-Drucker unterstützte Layoutplanung in eine im konsekutiven Master angebotene Lehrveranstaltung integriert. Im Rahmen der Veranstaltung erhalten die Studierenden verschiedene aufeinander aufbauende Aufgaben mit dem
Gesamtziel, eine Produktion für ein gegebenes Produkt zu planen und
abschließend zu simulieren. Die Rahmenbedingungen und die Systemvorgaben orientieren sich an realen Gegebenheiten, so dass eine
hohe Praxisnähe gegeben ist. Zu den Aufgaben gehören Auslegung
und Auswahl eines Maschinenparks, eine Layoutplanung und
-bewertung sowie die Erstellung eines Simulationsmodells mit Durchführung von Simulationsexperimenten. Die Layoutplanung ist zweistufig aufgebaut. In einem ersten Schritt wird ein Groblayout unter Einsatz
der bereits erwähnten ausgedruckten 3D-Maschinenmodelle geplant.
Diese Grobplanung wird im zweiten Schritt in die Software visTABLE
(vgl. auch Abschnitt 3.1) übertragen. Im Anschluss wird das entwickelte Layout im Hinblick auf Flächenbedarf und Transportaufwand bewertet.
Als gedruckte 3D-Modelle stehen Maschinen im Maßstab 1:87 zur
Verfügung. Dieser Maßstab entspricht der Nenngröße H0, so dass
Teile, die sich aufgrund ihrer Feinheit oder ihres Detaillierungsgrades
nicht mit dem 3D-Drucker erstellen lassen, wie z. B. ein Gabelstapler
und Werker mit Handhubwagen, zugekauft werden können. Der gedruckte Maschinenpark umfasst eine Auswahl an Maschinen für unterschiedliche Fertigungsbereiche (z. B. Drehen, Fräsen oder Stanzen),
die je nach Fertigungsprinzip farblich unterschiedlich sind. Die Maschinenmodelle werden zusammen mit den zugekauften Teilen sowie einer laminierten Unterlage mit Quadratmeterraster, die auch beschriftet
werden kann, für die Studierenden bereitgestellt. Die Studierenden
planen in der Gruppe das Layout für ihren zuvor ausgelegten Maschinenpark. Änderungen sind durch ein Verschieben der Maschinenmodelle einfach möglich; durch die Laminierung der Grundfläche können
auch Markierungen und Beschriftungen schnell korrigiert werden (vgl.
Abbildung 2).
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
273
Abbildung 2: Beispielmodell aus gedruckten 3D-Elementen und unterlegtem Grundriss
(© Universität Kassel, pfp)
Die Planung auf einem freistehenden Tisch ermöglicht allen Gruppenmitgliedern, eigene Ideen einzubringen. Spezifische Kenntnisse in
Bezug auf Software oder Medieneinsatz (z. B. Bedienung eines interaktiven Whiteboards oder Planungstisches) sind nicht erforderlich. Das
Planungsergebnis wird am Ende fotografiert und dokumentiert, so dass
es als Basis für die weiteren Planungsschritte dient. Abbildung 3 zeigt
eine NC-Drehmaschine, die mit dem 3D-Drucker erstellt wurde, sowie
die zugekauften Werker mit Handhubwagen und ebenfalls selbstgedruckte Euro-Paletten im Maßstab 1:87.
Abbildung 3: Modell einer NC-Drehmaschine mit Werkern (© Universität Kassel, pfp)
274
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Tabelle 1: Fragebogen und Auswertung
Nr.
Aussage
stimme
voll zu
stimme
eher zu
lehne
eher ab
lehne
völlig
ab
1
Das Ziel der Methodenanwendung war
uns schnell klar.
11
1
0
0
2
Die Methode half uns dabei, das Planungsziel schnell zu erreichen.
10
2
0
0
3
Änderungen am Layout können schnell
umgesetzt werden.
9
3
0
0
4
Im Vergleich zu einer 2D-Planung konnte
ich mir die Maschinen besser vorstellen.
7
4
0
0
5
Den Medienbruch bei der Digitalisierung
habe ich dabei als störend empfunden.
0
3
4
5
6
Ich kann mir die Situation besser vorstellen als bei einer 3D-Planung am Computer.
1
6
5
0
7
Alle Gruppenmitglieder
Ideen einbringen.
8
4
0
0
8
Durch die Diskussion in der Gruppe
wurden die Planungsergebnisse verbessert.
7
5
0
0
9
Die Arbeit in der Gruppe war einfacher
als bei der Planung am Rechner.
5
6
1
0
10
Die Gruppe war nicht auf Hilfestellung
durch den Dozenten angewiesen.
0
11
1
0
11
Die Methode erfordert kein Vorwissen
über Methoden in der Fabrikplanung.
5
6
1
0
12
Ich habe bei der Anwendung etwas über
Layoutplanung gelernt.
3
8
1
0
13
Ich halte den Einsatz der Methode in der
Lehre für sinnvoll.
10
2
0
0
14
Ich halte den Einsatz der Methode in der
beruflichen Praxis für sinnvoll.
9
2
1
0
15
Das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand
bei Anwendung der Methode ist positiv.
5
6
1
0
konnten
ihre
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
275
Im Rahmen einer außerplanmäßigen Lehrevaluation wird die Nutzung
der gedruckten 3D-Modelle für die Layoutplanung mittels Fragebogen
mit 15 Fragen (Antwortmöglichkeiten von "stimme voll zu" bis "lehne
völlig ab") bewertet; zwölf Studierende nehmen an der Evaluation teil.
Die Fragen und die Anzahl der gegebenen Antworten sind Tabelle 1 zu
entnehmen. Bei der vierten Frage sind nur elf Antworten abgegeben
worden.
Die Auswertung zeigt ein insgesamt positives Feedback. Allen Studierenden ist das Ziel der Methodenanwendung klar; das Planungsziel
kann erreicht, Änderungen am Layout können umgesetzt werden. Somit können in kurzer Zeit verschiedene Varianten erarbeitet werden,
von denen nur die beste im Anschluss digitalisiert wird. Auch im Vergleich zu einer 2D-Planung wird die Arbeit mit physischen gedruckten
3D-Modellen positiv bewertet. Allerdings ist das Meinungsbild gespalten in Bezug auf die Frage, ob die Situation anhand der physischen
Modelle besser vorstellbar ist als in einer 3D-Planungssoftware am
Computer. Der Medienbruch, der bei der manuellen Digitalisierung zur
Weiterverarbeitung der Planungsergebnisse auftritt, wird nicht als
problematisch eingeschätzt. Ob dieser auch bei Personen, die regelmäßig Fabriklayouts planen, ebenfalls so unkritisch bewertet würde, ist
anzuzweifeln und müsste in weitergehenden Forschungsarbeiten untersucht werden.
Sehr positiv ist das Feedback in Bezug auf die Kollaboration in der
Gruppe. Alle Befragten sehen gute Möglichkeiten, sich und ihre Ideen
einzubringen. Die Ursache liegt unter anderem darin begründet, dass
die Grundfläche und die Modelle auf einem freistehenden Tisch bereitgestellt werden, so dass alle Gruppenmitglieder freie Sicht auf die
Arbeitsfläche haben und eigenständig eingreifen können. Bei der Frage nach der erforderlichen Hilfestellung durch den Dozenten sehen
zwar elf Befragte eher keinen Bedarf für eine Unterstützung, allerdings
wird diese Aussage nie völlig abgelehnt. Als Grund wird angegeben,
dass die Maschinenmodelle nicht beschriftet seien und somit in einigen
Fällen der Maschinentyp nicht sofort eindeutig identifizierbar sei. Insgesamt hat sich allerdings die Einschätzung der Literatur, dass eine
Planung mit physischen Modellen keine Vorkenntnisse erfordert, in der
Befragung bestätigt. Elf Teilnehmer geben an, dass die Anwendung
der Methode in der Grobplanung kein Vorwissen erfordert. Wiederum
elf Studierende bestätigen, etwas über Layoutplanung gelernt zu haben.
276
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Der Einsatz der Methode in der Lehre wird als sehr sinnvoll erachtet.
Ebenfalls positiv ist die Einschätzung der Sinnhaftigkeit in der betrieblichen Praxis. Auch das Verhältnis von Aufwand zum Nutzen wird positiv eingeschätzt. Hierbei ist zu bedenken, dass die Studierenden nur
die Anwendung kennengelernt haben. Die notwendigen Vorarbeiten
zur Erstellung der 3D-Modelle, deren Druck, die Beschaffung von ergänzendem Material und die Konzeption haben im Vergleich zur reinen
Durchführung einen erheblich größeren Aufwand verursacht. Diese
Vorarbeiten lohnen sich nur, wenn die Modelle regelmäßig in der Lehre
Anwendung finden. Bei einer Nutzung in einem Unternehmen ist zu
prüfen, inwieweit eine Wiederverwendung realistisch ist.
Insgesamt ist erkennbar, dass die Methode die Kollaboration in Studierendenteams fördert, eine für alle gleichberechtigte Zusammenarbeit
erlaubt und Studierende ohne methodische Vorkenntnisse nicht benachteiligt. Möglicherweise ist es sinnvoll, eine Lösung zur Beseitigung
des Medienbruchs zu finden, um die Automatisierung in der Planung
zu fördern. Eine Lösung für das Problem der fehlenden Übertragbarkeit in weiterverarbeitende Software hat die Firma Siemens erarbeitet.
Dabei wird das physische Layout fotografiert und mit Hilfe einer speziellen Software automatisch digitalisiert (Rohling 2012). Dieser Ansatz
könnte das Problem des Medienbruchs lösen und zukünftig auch Eingang in die Lehre finden.
3
Kollaboration auf Basis digitaler Modelle
Digitale Modelle haben bereits heute eine wichtige Stellung bei der
Zusammenarbeit im Unternehmen, die von der fachübergreifenden
Planung von Produktion und Produktionsabläufen bis hin zur nutzergerechten Darstellung von Unternehmensabläufen zur Steuerung und
Überwachung im Fabrikbetrieb reicht. Zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die bereits in Kapitel 1 erwähnte Interoperabilität,
d. h. die Fähigkeit der Zusammenarbeit verschiedener Systeme mit
dem Ziel eines zweckdienlichen Austausches von Daten und Informationen zur Nutzung und Weiterverarbeitung im eigenen Nutzungskontext (vgl. Bracht et al. 2011). Die Kollaboration sieht darüber hinaus
auch einen gemeinsamen Nutzungsprozess von verschiedenen Systemen vor.
Für die Erkenntnisgewinnung und Kenntnisvermittlung werden in der
universitären Ausbildung sowie in der Personalqualifizierung vor allem
die Simulation als eine der wichtigsten digitalen Planungsmethoden
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
277
und 3D-Visualisierungsverfahren oder auch Virtual Reality (VR) (vgl.
Wenzel und Bockel 2007; Abel et al. 2011) eingesetzt. Über den zusätzlichen gemeinsamen Zugriff der Akteure beispielsweise über das
Internet lassen sich physische Anwesenheitszeiten reduzieren oder
ganz vermeiden. Allerdings führen diese Modelle durch eine Projektion
von 3D auf 2D und ein fehlendes haptisches Feedback teilweise zu
Akzeptanzproblemen in der Anwendung. VR-Modelle versuchen diese
Defizite auszugleichen, indem sie eine zeitliche und räumliche Vorstellung sowie durch entsprechende Ein- und Ausgabemedien auch haptisches Feedback zulassen.
Zentrale Fragestellung des computermodellbasierten Lernens und
Lehrens ist die nach der Verkürzung des Weges von der Innovation
zur Instruktion, d. h. die Frage, wie eine schnellere Integration von
neuen wissenschaftlichen und anwendungsorientierten Erkenntnissen
in die praktische Umsetzung eines Studiums gewährleistet werden
kann. Der Einsatz experimentierbarer digitaler Modelle, wie z. B. simulierter Fabrikabläufe, erlaubt in diesem Zusammenhang eine intensive
und nachhaltige Beschäftigung mit den zu vermittelnden Inhalten des
Studiums.
Konzepte für die Lehre in Form von interaktiven, multimedialen Lehrund Lernkonzepten, z. B. in Form von digitalen Modellen und digitalen
Musterfabriken, müssen dabei einerseits die Anforderungen einer Präsenzveranstaltung berücksichtigen, sie sollen aber auch im E- bzw.
Mobile Learning zum Einsatz kommen. Somit sind die digitalen Modelle zum einen für eine Kollaboration an einem Ort, z. B. einem Planungslabor aufzubereiten (vgl. Abschnitt 3.1), in dem Studierende
gemeinsam an einem Modell arbeiten können. Zum anderen müssen
die Modelle aber auch verteilt nutzbar sein. In diesem Fall arbeiten
Studierende an verschiedenen Orten, über das Internet miteinander
verbunden, an einem digitalen Modell (vgl. Abschnitt 3.2).
3.1
Ortsgebundene Kollaboration
Im Rahmen der Präsenzlehre bietet sich die Einrichtung eines Labors
an, das die rechnertechnische Ausstattung bereitstellt und die Studierenden adäquat auf die kollaborativen Nutzungsprozesse des in der
Industrie geforderten Technologie- und Methodenwissens im Kontext
der digitalen Fabrik vorbereitet. Die Studierenden können sich gemeinsam in Übungen und Praktika Fabrikplanungsaufgaben in der Industrie
278
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
er- und bearbeiten. Zentrales Element ist ein Werkzeug zur Darstellung vernetzter Modelle, das deren Visualisierung als 2D- oder 3DModell sowie deren interaktive Manipulation durch die Studierenden
erlaubt.
Eine geeignete Kombination in diesem Kontext stellt ein interaktives
Whiteboard verbunden mit beispielsweise der Fabrikplanungssoftware
visTABLE dar. Elektronische Whiteboards oder auch Planungstische
erlauben technisch gesehen die direkte Manipulation der dargestellten
Inhalte (beliebiger Softwarewerkzeuge), die Software bietet eine manipulierbare 2D-Ansicht zur Planung und parallel dazu eine 3D-Ansicht
zur Verfolgung der Planung im dreidimensionalen Raum. Abbildung 4
zeigt eine typische Planungssituation. Ergänzend zu einem Whiteboard lassen sich VR-Modelle auch über stereoskopische Projektionswände als begehbare Fabrikmodelle mit intuitiver Bedienung präsentieren. Zudem können diese digitalen Planungsmodelle um
kontextabhängige, möglicherweise in Abhängigkeit von den Nutzern
auch individuelle Wissenseinheiten ergänzt werden, so dass in der
Gruppe gearbeitet wird, ein Anwender aber auch gleichzeitig individuell
und gezielt seine eigenen Informationsdefizite verringern kann (vgl.
Abel et al. 2011).
Abbildung 4: Planung mit einem interaktiven Whiteboard (oben links), 3D stereoskopische Projektion (oben rechts), 2-Seiten-Projektionsanlage (unten)
(© Universität Kassel, pfp)
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
3.2
279
Verteilte Kollaboration
Bei einer verteilten Kollaboration, d. h. bei einer Form der Kollaboration, bei der sich die Beteiligten an unterschiedlichen Orten mit möglicherweise verschiedenen Zeitzonen befinden, ist zunächst zwischen
einer synchronen und einer asynchronen Nutzung digitaler Modelle zu
unterscheiden. Die synchrone Nutzung geht von einer Arbeit an einer
Aufgabenstellung mit zugehörigen Modellen aus, die z. B. mit Hilfe
webbasierter Kollaborationswerkzeuge zur gemeinschaftlichen Nutzung bereitgestellt werden. Die asynchrone Nutzung von Modellen
sieht vor, dass alle Studierenden ihre eigene Modellkopie erhalten, mit
der sie unabhängig voneinander arbeiten können. Tritt der Erkenntnisgewinn bei der synchronen Nutzung durch das gemeinsame Arbeiten
an digitalen Modellen ein, so wird dies bei der asynchronen Nutzung
durch die Bereitstellung von Modellen zur eigenen unabhängigen Nutzung erreicht. Das Ziel der asynchronen Nutzung von Modellen ist
zunächst der Erkenntnisgewinn durch das eigene Arbeiten und Experimentieren mit dem Modell. Sie empfiehlt sich daher nicht oder nur sehr
bedingt zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz, da die einzelnen Studierenden für sich alleine auf ihren Modellkopien arbeiten.
Im Rahmen der synchronen Nutzung erlauben virtuelle Seminarräume
den Studierenden, synchron gemeinsam Themen und Inhalte zu erarbeiten und zu vertiefen. Dozenten erhalten mit den virtuellen Seminarräumen eine zusätzliche Möglichkeit, mit den Studierenden in Kontakt
zu treten und zu arbeiten. Zwei Repräsentanten für Werkzeuge, mit
denen sich die erwähnten virtuellen Seminarräume aufbauen lassen,
sind Adobe Connect und TeamViewer. Abbildung 5 zeigt eine typische
Arbeitssituation an einem Simulationsmodell in Adobe Connect.
Die Nutzung dieser Kollaborationswerkzeuge erlaubt aus didaktischer
Sicht verschiedene Szenarien der Nutzung, die von einem Frontalunterricht, d. h. der reinen Präsentation eines für eine Aufgabenstellung
repräsentativen Modells und seiner Variations- und Parametrisierungsmöglichkeiten durch einen Dozenten, bis hin zur gemeinsamen
Erarbeitung einer Lösung auf der Basis gemeinsamer Modellnutzung
durch alle Beteiligten reicht.
Im ersten Szenario gibt der Dozent lediglich sein Modell zur Betrachtung frei. Die Manipulation des Modells übernimmt er selbst. Die Aufbereitung der genutzten Modelle richtet sich dabei ausschließlich nach
didaktischen Gesichtspunkten; die technische Realisierung bleibt von
280
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
der Nutzung unberührt. Hierbei steht es ihm frei, inwieweit er die Studierenden moderierend in einen gemeinsamen Modellierungsprozess
einbezieht. Eine typische Anwendung für dieses Szenario ist die Einführung in ein neues Modellierungswerkzeug. Die Förderung von Kollaborationskompetenz ist in diesem Szenario eher zweitrangig.
Abbildung 5: Kollaboration über Adobe Connect (© Universität Kassel, pfp)
Im zweiten Szenario agieren die an der Kollaboration beteiligten Studierenden gleichberechtigt, d. h. sie präsentieren wechselseitig ihre
Lösungen für eine gemeinsame Aufgabenstellung. Hierbei ist nicht
zwangsläufig davon auszugehen, dass alle Beteiligten das gleiche
Modellierungswerkzeug nutzen. Genauso wie der Vergleich von Lösungen, die mit dem gleichen Werkzeug erarbeitet werden, ist auch
der Vergleich von Lösungen, die aus der Arbeit mit verschiedenen
Werkzeugen entstehen, durchaus sinnvoll. Steht bei gleichen Werkzeugen der Vergleich der Kreativität der Modellierer im Vordergrund,
kann bei Werkzeugen nur des gleichen Typs, z. B. unterschiedlicher
Simulationswerkzeuge, deren Leistung verglichen werden oder bei der
Nutzung verschiedener Werkzeugtypen im Rahmen einer Arbeitsteilung, z. B. zur Gestaltung von Arbeitsplätzen und Fahrwegen, die verschiedenen Modellierungsergebnisse in der Kollaborationsphase zusammengetragen werden. Den drei Fällen gemeinsam ist der direkte
Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Beteiligten; ggf.
können sogar Hinweise von den Beteiligten während der Sitzung direkt
Modelle zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz in der Fabrikplanung […]
281
interaktiv umgesetzt werden. Wichtig ist jedoch, dass die Zusammenarbeit moderiert wird und dass sich alle Beteiligten an gemeinschaftlich
abgestimmte Regeln für die Zusammenarbeit halten. Insofern werden
mit dem Einsatz moderner Kollaborationswerkzeuge nicht nur die
fachspezifische Methodenkompetenz für ein Simultaneous Engineering, sondern auch die soziale Kompetenz im Hinblick auf eine moderne Arbeitsteilung in der globalisierten Welt geschult.
4
Zusammenfassung und Ausblick
In der heutigen Fabrikplanung ist eine effiziente und ergebnisorientierte Zusammenarbeit gefordert. Der Beitrag hat vor diesem Hintergrund
verschiedene Konzepte unter Nutzung physischer und digitaler Modelle erläutert und den Bezug zur Vermittlung von Kollaborationskompetenz dargelegt. Physische Modelle besitzen im Vergleich zu Computermodellen den Vorteil, dass sie aufgrund des haptischen Erlebens
ein oftmals schnelleres Erfassen von Situationen und Zusammenhängen zulassen. Nachteilig sind der Aufwand bei der Modellerstellung,
die in der Regel eingeschränkte Flexibilität in Bezug auf Änderungsanforderungen sowie das teilweise erschwerte Messen von zeitlich abhängigen Modellkenngrößen. Alle mit diesem Modell arbeitenden Akteure müssen zudem zwingend physisch anwesend sein.
Digitale Modelle (wie graphische 2D- oder 3D-Modelle, Simulationsmodelle, VR-Modelle) hingegen erlauben die Darstellung beliebig flexibel gestaltbarer virtueller Szenen und in Abhängigkeit vom jeweiligen
Modelltyp auch die Integration von umfassenden Bewertungs- und
Auswertungsmethoden. Mit digitalen Modellen als gemeinschaftliches
Untersuchungsobjekt wird daher ein sehr flexibles und individuell
adaptierbares Konzept angeboten, das einen wesentlichen Beitrag
auch im E- und Mobile Learning leisten kann.
Aktuelle Entwicklungen, Implementierungen in der Lehre sowie durchgeführte Evaluationen zeigen, dass beide Modellarten in Abhängigkeit
von der Aufgabenstellung in der Lehre ihren Platz haben. Über moderne Softwarewerkzeuge wird zudem der Medienbruch zwischen physischen und digitalen Modelle mittelfristig aufgelöst, so dass in der Lehre
die Durchgängigkeit der Planung unter Nutzung unterschiedlicher Modellarten umgesetzt werden kann. Mit diesen Konzepten lassen sich
dann auch Aspekte zu Industrie 4.0 nachvollziehbar lehren.
282
Sigrid Wenzel, Ulrich Jessen, Tim Peter, Markus Schmitz
Danksagung
Die hier vorgestellten Konzepte wurden aus Mitteln der Deutschen
Forschungsgemeinschaft, aus Mitteln zur Verbesserung der Qualität
der Studienbedingungen und der Lehre der Universität Kassel sowie
aus Mitteln des Hochschulpaktes 2020 finanziert.
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Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
285
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die
Produktion von morgen
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Unternehmensspezifische und globale Veränderungen wirken sich vielfältig auf die Arbeitsbedingungen aus. Globale Veränderungen sind durch
Megatrends wie den demografischen Wandel, kürzere Produktlebenszyklen oder die Individualisierung beeinflusst. Dies sind unter anderem Gründe für eine stetig zunehmende Komplexität innerhalb der Produktion. Es
reicht nicht mehr aus, Prozesse durch verbesserte Technologien oder
Anlagen zu optimieren, um wettbewerbsfähig zu sein. Vielmehr muss das
Gewinnen und Halten, aber besonders auch die (Weiter-)Entwicklung
kompetenter Mitarbeiter in den Fokus rücken. Besondere Relevanz hat vor
diesem Hintergrund die Kompetenzentwicklung von Mitarbeitern bereits in
der Hochschulausbildung. Im vorliegenden Artikel werden daher die sich
verändernden Arbeitsbedingungen in produzierenden Unternehmen bezüglich Anforderungen, Ressourcen und Belastungen und die Reaktion
darauf fokussiert. Diese Faktoren werden im Studiengang AIM, welcher
das Erfahrbare Lernen in den Mittelpunkt stellen soll, besonders berücksichtigt. Daher werden die konkrete Ausgestaltung des Studiengangs sowie der Beitrag des Instituts für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU) der TU Braunschweig vorgestellt. Ein entscheidender
Grundstein dieses Studiengangs ist das AIM-Lab am IFU, welches eine
Modellfabrik darstellt und somit direkt zur praxisnahen Wissensvermittlung
in einer spielerischen Umwelt dient. Aus diesem Grund werden das AIMLab sowie dessen Beitrag zur Vermittlung von Kompetenzen und Methoden in der Hochschulausbildung erörtert.
1
Einleitung
Unternehmensspezifische und globale Veränderungen wirken sich vielfältig auf die Arbeitsbedingungen aus. Unternehmensspezifische Herausforderungen können grob durch die drei Zieldimensionen Qualität, Kosten
und Zeit zusammengefasst werden. Globale Veränderungen sind durch
Megatrends wie den demografischen Wandel oder die Individualisierung
beeinflusst. Für produzierende Unternehmen ergeben sich daraus im Wesentlichen kürzer werdende Produktlebenszyklen, die Forderung nach
286
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
einem kundenindividuellen Produktangebot, Schwankungen der herzustellenden Losgrößen sowie steigende technologische Anforderungen. Insgesamt nimmt hierdurch die Komplexität innerhalb der Produktion zu. Diese
Komplexität ist dabei im Wesentlichen durch das Zusammenspiel einer
großen Anzahl hochtechnologischer, miteinander verketteter Prozesse
beschrieben (Weinrauch, 2005) S. 104. Darüber hinaus ergibt sich eine
zunehmende Miniaturisierung der Prozesstechnik und mit der verstärkten
Digitalisierung durch Industrie 4.0 eine Vernetzung zwischen Menschen,
Maschinen und Produkten (Kagermann, 2013). Aber auch Sprünge in
Technologien oder Innovationen in den Materialwissenschaften führen
dazu, dass stetig neue Produkte oder Verfahren möglich oder erforderlich
sind. Dies ist exemplarisch bei der Elektromobilität ersichtlich, bei denen
neue Qualifikationen an die Mitarbeiter durch den Verbau von Hochvolttechnik gestellt werden. Zudem erfordern neue Verbundwerkstoffe, wie
CFK-Werkstoffe, komplett neue, wirtschaftlichere und beherrschbare Fertigungsprozesse, die bislang noch nicht in Serienreife existieren (Haka,
2011, S. 95/96). In diesen Fällen müssen durch Schulungskonzepte und
Fertigungs-Know-how effiziente Prozesse erarbeitet und im Unternehmen
integriert werden.
Für die Zukunft zeigt sich, dass effiziente Prozesse durch optimierte Maschinen und Anlagen nicht mehr ausreichend sind, um wettbewerbsfähig
zu sein. Vielmehr muss das Gewinnen und Halten, aber besonders auch
die (Weiter-)Entwicklung kompetenter Mitarbeiter in den Fokus rücken.
Besondere Relevanz hat dabei die Kompetenzentwicklung. Unter Kompetenzen wird die Fähigkeit verstanden, „in offenen, unüberschaubaren,
komplexen, dynamischen und zuweilen chaotischen Situationen kreativ
und selbst organisiert zu handeln“ (Erpenbeck/Sauter, 2013) S. 32. (Heinen et al. 2013) S. 145, (Tisch et al. 2014) S. 587
Bei der Kompetenzentwicklung gilt es die veränderten Arbeitsbedingungen, denen Mitarbeiter in produzierenden Unternehmen ausgesetzt sind,
zu berücksichtigen. Darunter zu verstehen sind Anforderungen, die an
den Mitarbeiter zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben gestellt werden, Ressourcen, die dem Mitarbeiter zur Verfügung stehen und Belastungen,
denen der Mitarbeiter ausgesetzt ist (Bamberg et al. 2012) S. 125. Mitarbeiter in produzierenden Unternehmen müssen daher befähigt werden, auf
diese neuen Anforderungen, Ressourcen und Belastungen angemessen
zu reagieren. Dazu sind Vorgehensweisen notwendig, die eine zielgerichtete, effektive und lebenslange Weiterentwicklung der Kompetenzen der
Mitarbeiter ermöglichen. Bisher fehlen ausreichende Lösungen hierfür.
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
287
(Tisch et al. 2014) S. 587 Insbesondere werden von Praktikern bereits im
ingenieurwissenschaftlichen Studium Ansätze zur Entwicklung überfachlicher Kompetenzen gefordert (Brall, 2010) S. 34.
2
Veränderte Kompetenzanforderungen an Ingenieure
Werden die verschiedenen Kompetenzanforderungen, welche an Universitätsabsolventen der Ingenieurwissenschaften gestellt werden, näher betrachtet, sind neben fachlichen zunehmend überfachliche Kompetenzen
von Bedeutung. Um Universitätsabsolventen der Ingenieurwissenschaften
auf das Berufsleben ausreichend vorzubereiten, muss diese überfachliche
Kompetenzentwicklung im Studium fest verankert werden. Die Hochschulen kommen dieser Kompetenzvermittlung allerdings nur unzureichend
nach. (Heyse, 2014) S. 201–212, (Brall, 2010) S. 34
Zur Ableitung notwendiger fachlicher und überfachlicher Kompetenzen
werden im Abschnitt 2.1 die sich verändernden Arbeitsbedingungen in
produzierenden Unternehmen analysiert um darauf aufbauend in Abschnitt
2.2 notwendige Handlungsfelder zu beschreiben.
2.1
Veränderte Arbeitsbedingungen in produzierenden Unternehmen
Wie zuvor beschrieben haben die unternehmensspezifischen und globalen
Veränderungen erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt und damit die
Arbeitsbedingungen. Wie in Abbildung 1 dargestellt, können die Arbeitsbedingungen durch die Anforderungen, die Ressourcen und die Belastungen näher beschrieben werden. Um Handlungsfelder für die universitäre Ausbildung der Ingenieurwissenschaften ableiten zu können, werden im
Folgenden die sich verändernden Arbeitsbedingungen näher beschrieben.
288
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Arbeitsbedingungen
2
1
Anforderungen
Ressourcen
Komplexität
Vollständigkeit
Variabilität
Handlungs- und
Zeitspielraum
Soziale
Unterstützung
3
Belastungen
Arbeitsumgebung
Arbeitsbedingungen
Arbeitsaufgaben
Abbildung 1: Struktur der Arbeitsbedingungen nach (Bamberg et al. 2012) S. 125
2.1.1
Anforderungen
Die Anforderungen beschreiben Prozesse und Inhalte, die von den Arbeitenden durch die gestellte Arbeitsaufgabe verlangt bzw. gefordert werden.
Diese beziehen sich auf das Verhalten, bestimmte Teilhandlungen oder
Operationen, die zur Erfüllung der gestellten Arbeitsaufgabe notwendig
sind. Dabei sind die Komplexität, die Vollständigkeit und die Variabilität der
Anforderung zu unterscheiden. (Bamberg, Mohr, & Busch, 2012) S. 126
Komplexität: Komplexität bezieht sich auf Entscheidungen, die bei der
Arbeit getroffen werden müssen. Abhängig von vorhandenen Kompetenzen und den gestellten Anforderungen wirkt sich diese unterschiedlich auf
die Mitarbeiter aus. Experten können Entscheidungen automatisiert, im
Sinne einer Routinetätigkeit, treffen, sodass der Komplexitätsgrad in diesem Fall niedrig ist. Für andere Mitarbeiter stellt die gleiche Entscheidungssituation eine hohe Anforderung dar, sodass diese Mitarbeiter einen
hohen Komplexitätsgrad wahrnehmen. (Fischbach/Antoni, 2008) S. 289
Vollständigkeit: Um eine vollständige Arbeitsaufgabe handelt es sich,
wenn der Mitarbeiter die Ausführung seiner Tätigkeit selbst plant, sich
zwischen Ausführungsalternativen entscheiden kann, die Tätigkeit ausführt
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
289
und deren Ergebnis reflektieren kann. (Dombrowski/Wagner 2014) S. 351355, (Ulrich/Wülser, 2015) S. 256
Variabilität: Je unterschiedlicher die Aktivitäten für eine gegebene Arbeitsaufgabe sind, desto höher ist deren Variabilität. Bspw. ist eine Arbeitsaufgabe, die das Kommissionieren, das Montieren und die Instandhaltung des Betriebsmittels beinhaltet, deutlich variabler als eine
Arbeitsaufgabe, die allein das Montieren beinhaltet. (Fischbach/Antoni,
2008) S. 289 Zu unterscheiden ist dabei, ob die Arbeitsaufgaben denselben oder einen höheren Komplexitätsgrad besitzen. (Schlick et al. 2010)
S. 506-507
2.1.2
Ressourcen
Ressourcen erleichtern grundsätzlich den Umgang mit Anforderungen und
Stressoren bzw. Belastungen. Direkt mit einer Arbeitsaufgabe verbundene
Ressourcen sind, wie in Abbildung 1 dargestellt, der zur Verfügung stehende Handlungs- und Zeitspielraum. Die zweite wichtige Kategorie der
Ressourcen ist die soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte.
(Bamberg et al. 2012) S. 126
Handlungs- und Zeitspielraum: Der Handlungsspielraum beschreibt
allgemein den Spielraum, in dessen Rahmen ein Mitarbeiter selbstbestimmt (autonom) und variabel arbeiten kann. Das grundlegende Konzept
des Handlungsspielraums umfasst zwei Dimensionen:
 Horizontale Dimension (Tätigkeitsspielraum)
 Vertikale Dimension (Entscheidungs- und Kontrollspielraum)
Während der Tätigkeitsspielraum die Vielfalt der Arbeitstätigkeiten meint,
beschreibt der Entscheidungs- und Kontrollspielraum die Möglichkeiten
einer eigenständigen Arbeitsgestaltung (Sichler, 2006) S. 97. Der Zeitspielraum bezieht sich darauf, inwiefern der Mitarbeiter über zeitliche Aspekte der Arbeit selbst entscheiden und den zeitlichen Ablauf strukturieren
kann. Er erfasst den Einfluss auf die Zeiteinteilung und die Arbeitsgeschwindigkeit. (Hellert, 2001) S. 137 Somit kann der Zeitspielraum als
Unterkategorie des Entscheidungs- und Kontrollspielraums angesehen
werden.
Soziale Unterstützung: Die soziale Unterstützung stellt eine wichtige
Ressourcenkategorie des Menschen dar, welche dabei hilft, kritische Lebenslagen und belastende Alltagsanforderungen zu bewältigen. Als For-
290
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
men der sozialen Unterstützung werden die „Informationelle Unterstützung“, die „Instrumentelle Unterstützung“ und die „Emotionale Unterstützung“ unterschieden. Bei der informationellen Unterstützung handelt es
sich z. B. um einen guten Rat oder die Bereitstellung wichtiger und hilfreicher Informationen. Unter der instrumentellen Unterstützung wird bspw.
eine Hilfestellung durch das Erledigen von Arbeiten verstanden. Die emotionale Unterstützung bezieht sich auf unterstützende Gefühle, wie z. B.
Trost, Zuneigung, Bewunderung, Respekt und Zuspruch (Kienle et al.
2010) S. 108.
2.1.3
Belastungen
Die Belastungen beschreiben Stressoren, die von außen auf die Mitarbeiter in einem Unternehmen einwirken. Insgesamt werden dabei Faktoren
zusammengefasst, die eine negative Auswirkung auf die Gesundheit sowie die Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit haben. (Bamberg et al. 2012)
S. 127
Arbeitsumgebung: Belastungen, wie Strahlung, Gase, Hitze, Kälte, Lärm,
Staub oder Licht, können für eine ungewünschte Arbeitsumgebung sorgen
(Bamberg et al. 2012) S. 127.
Arbeitsbedingungen: Arbeitsbedingungen, die sich aus der Lebenslage
der Mitarbeiter, der Wirtschaft oder des Unternehmens ergeben, können
eine Belastung darstellen. Zu nennen ist hier z. B. die Arbeitsplatzunsicherheit oder Nacht- und Schichtarbeit. Aber auch der flexible Einsatz von
Mitarbeitern führt zu einer steigenden Belastung. Wenn sich Mitarbeiter
auf ständig wechselnde Arbeitsinhalte und Arbeitsorte einstellen müssen,
führt dies zu einer emotionalen Beanspruchung, da grundsätzlich ein Bedürfnis nach Bindung, Orientierung und Kontrolle besteht. (Peters &
Ghadiri, 2010) S. 72
Arbeitsaufgaben: Zuletzt lassen sich Belastungen hinsichtlich der gestellten Arbeitsaufgaben zuordnen. Darunter fallen zum Beispiel Arbeitsunterbrechungen oder die Überforderung der Mitarbeiter. Bspw. wird durch
kurzzyklische Wechsel der Arbeitsaufgaben das Reaktionsvermögen und
damit Sinne und Nerven stark beansprucht. (Bamberg et al. 2012) S. 127,
(Dombrowski/Wagner 2014) S. 352
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
2.2
291
Neuen Arbeitsbedingungen in der universitären
Ingenieurausbildung begegnen
Auf Basis dieser beschriebenen veränderten Arbeitsbedingungen sollen im
Folgenden neue Handlungsfelder in der universitären Ingenieurausbildung
abgeleitet werden.
2.2.1
Anforderungen
Komplexität: Zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben müssen Mitarbeiter im
Ingenieurbereich zukünftig mit einer steigenden Prozesskomplexität umgehen können. Diese Komplexität ergibt sich im Wesentlichen durch eine
zunehmende Variantenvielfalt, um individuelle Kundenwünsche erfüllen zu
können sowie die daraus resultierenden komplexen Fertigungsprozesse.
So kommen verstärkt eine hohe Anzahl neuer Produkttechnologien und
hochtechnologischer, miteinander verketteter Betriebsmittel innerhalb der
Fertigung zum Einsatz. Verstärkt wird dies durch die zunehmende Digitalisierung bzw. die Vernetzung zwischen Menschen, Maschinen und Produkten. (Conrad, 2006) S. 35-36, (Kagermann, 2013), (Bahmann, 2013) S.
215
Vollständigkeit: Es verändert sich stark die Bedeutung der Facharbeit in
der Industrie. Waren technologieorientierte Berufskonzepte wie Maschinen- und Anlagenbauer, Elektroingenieure, Mess- und Automatisierungstechniker bisher auf ausgewählte Prozessschritte spezialisiert, werden
zunehmend technologieunabhängige, prozessorientierte Kompetenzen
von Bedeutung sein. (Heinen et al. 2013) S. 146 Insgesamt ist damit von
einer zunehmenden Vollständigkeit der Arbeitsaufgaben auszugehen.
Daraus folgend ist zu erwarten, dass überfachliche Kompetenzen neben
fachlichen Kompetenzen stark an Bedeutung gewinnen. So müssen Mitarbeiter zunehmend situationsübergreifend auf unvorhersehbare, dynamische und komplizierte Situationen eigenständig und systematisch reagieren können. (Dombrowski/Wagner 2014) S. 351-355, (Tisch et al. 2014) S.
587
Variabilität: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen produzierende
Unternehmen ihre Produktionsprozesse permanent an technologische,
ökonomische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen anpassen.
(Heinen et al. 2013) S. 145 Hierdurch verändern sich die Prozesse innerhalb der Produktion in immer wiederkehrenden Abständen, wodurch von
dem Mitarbeiter ein lebenslanges Lernen gefordert wird. Zusätzlich wird
sich die Variabilität durch eine steigende Vollständigkeit der Arbeitsaufga-
292
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
ben erhöhen. Hierdurch ist zu erwarten, dass es zukünftig keine fest bestimmten Arbeitsplätze mit vorgegebenen Arbeitsabläufen geben wird.
Vielmehr werden variierende Anforderungen und Tätigkeiten in veränderlichen Arbeitsteams an unterschiedlichen Arbeitsorten bis zumeist befristeten Arbeitsverhältnissen die Folge sein. (Niemeier/Lebsack, 2014) S. 270
2.2.2
Ressourcen
Handlungs- und Zeitspielraum: Zukünftig wird die Arbeitswelt deutlich
flexibler werden und durch flache Hierarchien, größere Selbstbestimmung
und Individualisierung der Arbeitnehmer sowie neue Chancen für Ältere
gekennzeichnet sein. Die Mitarbeiter werden zunehmend selbst entscheiden wo und wann sie arbeiten wollen. (Niemeier/Lebsack, 2014) S. 270,
(Schritt, 2013) S. 64-71
Soziale Unterstützung: Die beschriebenen Marktveränderungen verlangen zunehmend kollaborative Arbeitsformen zwischen einzelnen Geschäftseinheiten und externen Partnern. Durch eine derartige soziale Unterstützung können unterschiedliche Organisationsmitglieder oder Partner
mit unterschiedlichen Informations- und Wissensständen, Perspektiven,
Prioritäten und Interessen in die Zielerreichung einbezogen werden. Dabei
steht besonders die Entwicklung neuer Managementsysteme unter Berücksichtigung von Web2.0-Technologien im Fokus. (Goepel, 2014) S.
205-208 Neben dieser Informationellen Unterstützung bieten neue Technologien der mobilen Kommunikationstechnik auch eine Instrumentelle
Unterstützung. So können diese eine direkte und übersichtliche Darstellung der von den Mitarbeitern benötigten Informationen ermöglichen.
(Dombrowski/Wagner 2014) S. 352, (Kienle et al. 2006) S. 108.
2.2.3
Belastungen
Arbeitsumgebung: Durch einen steigenden Grad an Automatisierung und
der Kooperation zwischen Mensch und Maschine wird es zu einer Entlastung der Mitarbeiter kommen. Daher ist zu erwarten, dass die zuvor genannten Belastungen durch die Arbeitsumgebung wie Lärm oder Staub
zurückgehen werden. (Dombrowski/Wagner 2014) S. 352-353
Arbeitsbedingungen: Wie bereits mehrfach erläutert müssen Organisationen und damit die Mitarbeiter immer flexibler werden (Spath 2013) S. 68.
Die starke Verbreitung neuer, flexibler Arbeitsformen wird nicht den Wünschen aller Mitarbeiter entsprechen (Spath 2013) S. 3. So ist bspw. vermehrt mit befristeten Arbeitsverhältnissen in variierenden Arbeitsteams an
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
293
unterschiedlichen Arbeitsorten zu rechnen (Niemeier/Lebsack, 2014) S.
270. Zusammen mit dem Zwang zu einer erhöhten Flexibilität, stellt der
steigende Verantwortungsdruck eine Hauptursache für das Risiko psychischer Erkrankungen dar (Eichhorst et al. 2013) S. 11.
Arbeitsaufgaben: Durch kurzzyklische Wechsel der Arbeitsaufgaben
werden zukünftig das Reaktionsvermögen und damit Sinne und Nerven
stärker beansprucht. Zukünftig verändern sich auch die Arbeitsinhalte
durch hinzukommende problemlösende und überwachende Tätigkeiten.
Hierdurch wird ein höheres Maß an Kreativität gefordert.
(Dombrowski/Wagner 2014) S. 352
3
3.1
Ganzheitliche Produktionssysteme – Grundgerüst der
Produktion
Ganzheitliche Produktionssysteme als Rahmenwerk zur Gestaltung
von Arbeit
Bei einem Ganzheitlichen Produktionssystem (GPS) handelt es sich um
ein unternehmensspezifisches, methodisches Regelwerk, welches eine
umfassende und durchgängige Gestaltung der Produktion ermöglicht.
Grundsätzliches Ziel eines GPS ist die Verbesserung von Qualitäts-, Zeitund Kostenzielen. Hierfür gilt es den eingangs genannten Veränderungen
unter Berücksichtigung organisatorischer, personeller und wirtschaftlicher
Aspekte zu begegnen. (Dombrowski et al. 2005) S. 9, (VDI 2870-1, 2012)
S. 2-3 GPS bilden dabei einen umfassenden, langfristigen Ansatz zur Gestaltung der Produktion, wodurch sie sich von anderen Rationalisierungsansätzen unterscheiden (Dombrowski/Mielke 2012). Beispiele hierfür sind
die Optimierung von Herstellungsprozessen, die Sicherung der Produktqualität, die Steigerung der Anlagenverfügbarkeit, die Senkung des Energieverbrauchs oder die Einhaltung der Arbeitssicherheit.
Zur Erreichung dieser Verbesserungen existiert durch die VDI-Richtlinie
2870 eine einheitliche Struktur (vgl. Abbildung 2). An der Spitze der Struktur sind die strategischen Ziele des Unternehmens. Diese bestimmen die
maßgebliche Ausprägung des GPS, wobei die Unternehmensprozesse auf
die Erreichung der strategischen Ziele ausgerichtet sind. Zur Zielerreichung unterstützen die Gestaltungsprinzipien des GPS. Als Gestaltungsprinzipien in einem GPS sind nach VDI 2870 folgende zu nennen:
294
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Standardisierung,
Null-Fehler Prinzip,
Fließprinzip,
Pull-Prinzip,
kontinuierliche Verbesserung,
Mitarbeiterorientierung und zielorientierte Führung,
Visuelles Management und
Vermeidung von Verschwendung.
Diese Gestaltungsprinzipien bilden einen Rahmen für inhaltlich ähnliche
Methoden und Werkzeuge. Methoden sind als definierte Vorgehensweisen
oder Abläufe in GPS zu verstehen, während Werkzeuge physisch vorhandene Mittel sind. Werkzeuge dienen dabei der Umsetzung von Methoden.
(VDI 2870-1, 2012) S. 6-7
Ziele
Unternehmensprozesse
Gestaltungsprinzipien
Methoden
Werkzeuge
Abbildung 2: Struktur von GPS (VDI 2870-1, 2012) S. 6
3.2
Das GPS unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungstrends
Derzeit wird das Zusammenspiel von GPS und der zunehmenden Digitalisierung stark diskutiert. Im Zuge der Digitalisierung verschmelzen digitale
und reale Welt durch die Vernetzung von Cyber Physical Systems und
bilden eine Produktionsumgebung, in der intelligente Produkte mit intelligenten Maschinen und Menschen kommunizieren und sich dezentral or-
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
295
ganisieren. Häufig wird von einer sogenannten Smart Factory gesprochen.
(Lucke et al. 2008) S. 138–142
Wie in Abschnitt 3.1 beschrieben, wird in einem GPS die Erreichung der
Unternehmensziele durch die Umsetzung von Gestaltungsprinzipien und
den jeweils zugeordneten Methoden und Werkzeugen innerhalb definierter
Unternehmensprozesse angestrebt. Durch die Auswahl entsprechender
Gestaltungsprinzipien werden die anzuwendenden Methoden und Werkzeuge bestimmt und ein abgestimmtes Gesamtsystem entwickelt, indem
die Methoden und Werkzeuge den ausführbaren Teil eines GPS darstellen. (VDI 2870-1, 2012) S. 2-11
Die Organisation der Produktion wird auch zukünftig nach GPS-Prinzipien
erfolgen. So können die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien genutzt werden, um ein GPS technologisch zu unterstützen. Beispielsweise wird der Mensch auch in der zukünftigen Produktion ein entscheidender Faktor sein (Spath, et al., 2013) und als kreativer Akteur und
Entscheider in Prozessen agieren (Schlick et al. 2012) S. 3, sodass Prozesse standardisiert, transparent und für den Menschen nachvollziehbar
gestaltet und kommuniziert werden müssen. Intelligente Werkerassistenzsysteme teilen dem Mitarbeiter den aktuellen Standard mit, können neue,
potenziell optimierte Standards aufnehmen, evaluieren und ggf. zeitaktuell
weltweit verbreiten. Dies führt zu einer Dynamisierung der Standardisierungsprozesse, wodurch die Hemmnisse zur kontinuierlichen Verbesserung bzw. zur Definition von Standards reduziert werden. Das Gestaltungsprinzip der Standardisierung wird somit zukünftig weiterhin relevant
sein. (Dombrowski et al. 2015) S. 53-56. Daher gilt es, die etablierten Gestaltungsprinzipien eines GPS sowie deren Methoden und Werkzeuge mit
den Technologien der Industrie 4.0 zu verbinden, um die Unternehmensziele zu erreichen.
4
Erfahrbares Lernen im AIM-Studiengang
Kompetenzen können allein durch ein kreatives Handeln bei neuartigen,
offenen und realen Problemsituationen aufgebaut werden (Tisch et al.
2014), (Kuhlmann/Auter, 2008). Universitäten müssen sich auf die veränderten Kompetenzanforderungen einstellen und den Kompetenzerwerb
der Lernenden entsprechend fördern. Dabei haben sich Lernfabriken als
vielversprechender Lösungsansatz etabliert. Durch deren entsprechende
Ausgestaltung wird ein unmittelbares, erfahrbares Lernerlebnis mit Rückmeldungen möglich. Ein erfahrbares Lernen in der Lernsimulation kann die
Studierenden auf Praxissituationen im Berufsleben optimal vorbereiten.
296
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Dieser Ansatz der Lernfabriken wird durch die Kombination mit dem AIMStudiengang erweitert. Auf diese Weise wird der Fokus nicht nur auf die
theoretische Wissensvermittlung gelegt, sondern durch den AIMStudiengang auch auf Problemstellungen der industriellen Praxis. Diese
Problemstellungen werden den Studierenden sowohl in der theoretischen
Lehrstoffvermittlung mittels Vorlesungen näher gebracht, als auch durch
den konkreten Einbezug von Industrietätigkeiten in das Curriculum des
Studiengangs. Im Folgenden werden der AIM-Studiengang, die Vermittlung von notwendigen Kompetenzen im Studium sowie das AIM-Lab des
IFU näher erläutert.
4.1
Der AIM-Studiengang
Wie in Kapitel 2 dargelegt, müssen Qualifikationssysteme in Betrieben und
Hochschulen die Studierenden befähigen, mit neuen und stetig wechselnden Arbeitsbedingungen umgehen zu können. Besonders bei Ingenieuren,
die in produzierenden Unternehmen häufig Führungspositionen einnehmen, findet keine gezielte Vorbereitung auf diese sich wechselnden Arbeitsbedingungen statt. Um dies zu ermöglichen, soll ein neuer Masterstudiengang entstehen, der Ingenieure gezielt auf Führungsaufgaben
vorbereitet.
Studium
Industrietätigkeit
Universitätsabschluss
Universitätsabschluss
Master of AIM
Training on the
Job
Bachelor
Master
Strukturierte
Vorbereitung
auf eine
Führungsposition
(Industrietätigkeit)
Unstrukturierte,
zufällige
Vorbereitung auf
eine Führungsposition
Industrietätigkeit
Führungsposition
Δ Zeit
Führungsposition
Δ Qualität
= Benötigte
Qualifikationen
Abbildung 3: Strukturierte Vorbereitung auf Führungsaufgaben
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
297
Der Master of Advanced Industrial Engineering and Management (AIM)
soll ein flexibles Studieren in ganz Europa ermöglichen, ohne jegliche
Restriktionen bei der Anerkennung von Studienleistungen an anderen
Universitäten. Hierbei sollen aber nicht nur Studierende das Masterprogramm absolvieren können, vielmehr soll dieses Masterprogramm auch
berufsbegleitend angeboten werden. Abbildung 3 zeigt wie im Masterprogramm AIM eine strukturierte Vorbereitung durchgeführt wird, um junger
Ingenieure schneller für eine Führungsposition zu befähigen. Auf diese
Weise kann ein solcher Masterstudiengang unterstützend dazu beitragen,
die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln.
Eine wesentliche Voraussetzung, um auf die sich ändernden, neuen Arbeitsbedingungen reagieren zu können, ist die Möglichkeit zum berufsbegleitenden Studium. Daher müssen Weiterbildungsmöglichkeiten auch an
Universitäten entstehen, die ein Studium auch neben einer Vollzeitstelle
ermöglichen. Hierfür sind vor allem räumliche und zeitliche Flexibilität notwendig. Die räumliche Flexibilität gewinnt zunehmend an Bedeutung, da
immer weniger Ingenieure langfristig an einem Standort bleiben. Die zeitliche Flexibilität sollte es den Studierenden ermöglichen, den gleichen Master sowohl als Vollzeitstudium als auch in einzelnen Modulen über mehrere
Jahre absolvieren zu können. Das Studium des Masters AIM vereint diese
Anforderungen in einem innovativen Studienkonzept. Hierbei können Studierende mit unterschiedlichsten Bildungsbiografien in Voll- oder Teilzeit
einen Universitätsmaster absolvieren. Abbildung 4 zeigt die verschiedenen
Varianten, in denen der Master AIM durchlaufen werden kann.
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Master AIM nach
einem
Bachelorabschluss
= Kenntnisprüfung
M1
Mn
Zertifikat 3
M3
Berufsbegleitendes
Studium
= Modul 1 des Master AIM
(Gleiche Qualität bei jeder Variante)
MB = Maschinenbau WiIng = Wirtschaftsingenieurwesen
Master (z.B. Aerospace)
Universität
M1
Master (z.B. Aerospace)
M2
Bachelor WiIng
Universität
Bachelor MB
Fachhochschule
Zertifikat 1
Industrietätigkeit
M1
Variante V
Master AIM
Variante IV
Zertifikat n
+
= +
Zertifikat 2
+
Fachhochschule
Universität
Bachelor WiIng
Universität
Fachhochschule
Bachelor WiIng
Fachhochschule
Bachelor MB
Bachelor AIM
Konsekutiver
AIM
Studiengang
Bachelor MB
Master AIM
Variante III
Master AIM
Master AIM
Variante II
Bachelor WiIng
Variante I
Bachelor MB
298
Einzelne
„Technischer
Zertifikate als
MBA“
Zusatzqualifikation
= Bachelor Level
= Master Level
Abbildung 4: Flexibilität durch Modularität
Im Master AIM werden die neuen Möglichkeiten der Bologna-Reform voll
genutzt. Grundsätzlich kann der Master AIM als konventioneller, konsekutiver Master absolviert werden (Variante I). Darüber hinaus ist er aber auch
als Weiterführung nach anderen Studiengängen, wie Bachelor im Maschinenbau oder Wirtschaftsingenieurwesen, möglich (Variante II). Der modulare Aufbau ermöglicht es, in Variante III den Master AIM neben dem Beruf
zu studieren. Hierfür werden die einzelnen Module entweder im Abendstudium oder in Blockveranstaltungen abgelegt. Für jedes Modul erhalten die
Studierenden ein Zertifikat, das als Beleg für das Modul gilt oder als einzelne Zusatzqualifikation genutzt werden kann. Wird der Master AIM nicht
abgeschlossen oder werden nur einzelne Module benötigt, ist Variante IV
möglich. Hier können einzelne Module als gezielte Zusatzqualifikation auf
Universitätsniveau abgelegt werden. Bei Bedarf kann auch von Variante IV
zu III gewechselt werden, wenn aus einzelnen Zusatzqualifikationen doch
ein Masterabschluss resultieren soll. In Variante V wird der Master AIM als
„Technischer MBA“ abgelegt. Dies kommt für Studierende in Frage, die
bereits ein Hochschulstudium in einem anderen Fach abgeschlossen haben und sich auf zukünftige Führungsaufgaben vorbereiten wollen. Durch
den modularen Aufbau bietet der Master AIM maximale Flexibilität für alle
Zielgruppen.
Der Master AIM geht nicht nur mit seinen verschiedenen Varianten neue
Wege, sondern setzt die Forderungen des Bologna-Prozesses nach euro-
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
299
paweit einheitlichen Qualitätsstandards und einem europäischen Hochschulraum um. Das Curriculum des Master AIM entstand einerseits in enger Abstimmung mit zahlreichen Unternehmen und Verbänden und andererseits in Kooperation mit der europäischen Hochschullehrervereinigung
Academy for Industrial Engineering and Management. In dieser Vereinigung sind Professoren aus 19 Ländern organisiert, die auf dem Gebiet des
Industrial Management forschen und lehren. Ziel ist es, einzelne Module
oder das komplette Curriculum des Masters AIM in jedem der 47 Staaten
der European Higher Education Area belegen zu können. Die Module sind
in einem Kern-Curriculum verankert, das ca. 80 % aller Credit Points abdeckt. Die restlichen Credit Points können durch weitere, individuelle Kurse der jeweiligen Universität erreicht werden. Durch das einheitliche KernCurriculum kann ein konstantes Qualitätsniveau an allen Standorten sichergestellt werden. Somit wird nicht nur die Flexibilität der Studierenden
verbessert, sondern es werden auch neue Möglichkeiten für Unternehmen
geschaffen. Durch die restlichen 20 % ist es den verschiedenen Universitäten möglich, spezielle Schwerpunkte oder Differenzierungsmerkmale in
den Studiengang einzubringen und sich somit aus StudierendenPerspektive attraktiver zu positionieren. Übergeordnete Ziele sind einerseits, die deutsche Ingenieurlücke mit Ingenieuren aus anderen Ländern
zu verringern. Andererseits könnten beispielsweise Unternehmen mit weiteren, europäischen Standorten regionale Fachkräfte mit dem gleichem
Qualifikations- und Kompetenzniveau einsetzen. Im Master-Studiengang
soll ein dreistufiges Konzept zur Vermittlung von Kompetenzen genutzt
werden. Im ersten Schritt werden den Studierenden die theoretischen und
methodischen Grundlagen mittels klassischen Vorlesungen näher gebracht. Hierbei soll allerdings auf Fachbeiträge aus der industriellen Praxis
zurückgegriffen werden, sodass bereits in der Theorievermittlung auf praktische Problemstellungen verwiesen wird. Dieses Wissen wird in einem
zweiten Schritt durch praktische Inhalte vertieft, beispielsweise mittels des
AIM-Labs am IFU (siehe Abschnitt 4.3). Hier werden konkrete, realistische
und praxisnahe Anwendungsfälle kreiert, durch die erste Erfahrungen mit
methodischem Wissen sowie dessen Anwendung und Einsatz gesammelt
werden. Auf diese Weise ist es möglich, Theorie und Praxis systematisch
und aufeinander abgestimmt zu kombinieren sowie die notwendigen Kompetenzen der Studierenden zu fördern. Eine nachhaltige Verankerung der
Kompetenzen und des methodischen Wissens im Bewusstsein der Studierenden wird in einem dritten Schritt durch Praxiseinsätze in der Produktion
und Fertigung gefestigt. Hierbei sollen Studierende in der Praxis im Einsatz an der Fertigungs- oder Montagelinie unter Anleitung, Coaching und
300
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Beaufsichtigung von erfahrenen Mitarbeitern praxisnah Erfahrungen sammeln und beispielsweise Prinzipien Ganzheitlicher Produktionssysteme
anwenden. Durch ausführliches Feedback der Unternehmensvertreter wird
den Studierenden aktiv Stärken und Schwächen aufgezeigt. Des Weiteren
können Studierende hier ebenfalls erste Führungserfahrungen sammeln,
wodurch sich auch erkennen lässt, ob für die jeweiligen Studierenden eher
eine Fach- oder Führungskarriere infrage kommt.
1
2
3
Vorlesungen
AIM-Lab
•
•
•
Theoretische
Wissensvermittlung
Praxisnähe durch
Industrievorträge
•
•
Praktische Anwendung in
spielerischem
Umfeld
Vertiefung und
Anwendung des
Methodenwissens
Teamarbeit /
Führungserfahrung
Unternehmen
•
•
•
Evaluierung der
Fähigkeit bei
Unternehmen
(„on the jobtraining“)
Verantwortungsübernahme
(bspw. Teamleiter am Band)
Coaching durch
Führungskräfte
Abbildung 5: Dreistufiges Konzept zur Kompetenzvermittlung
Auf diese Weise ist es möglich, dass Studierende nach der universitären
Ausbildung bereits erste Berufserfahrung haben und nicht unsicher in ein
neues Arbeitsumfeld einsteigen müssen. Darüber hinaus haben Absolventen des Masters AIM bereits ein hohes Niveau an Methodenwissen und
können folglich direkt, ohne lange Einarbeitungsphase in einem Unternehmen das Berufsleben starten.
Schritt 1 „Vorlesungen“:
Studierende sollen im Rahmen eines Advanced Industrial Engineering and
Management-Studiengangs Erfahrungen in der industriellen Praxis sammeln. Daher werden in Kooperation mit renommierten europäischen Universitäten sowie industriellen Partnern Schwerpunkte und Inhalte der zukünftigen universitären Ausbildung identifiziert und definiert. Ziel hierbei ist
es, einen internationalen Studiengang zu implementieren, deren Inhalt sich
klar an den Belangen, Problemstellungen und Bedürfnissen der Industrie
ausrichtet.
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
301
Schritt 2 „AIM-Lab“:
Das AIM-Lab des IFU stellt im Rahmen des Studiengangs eine wichtige
Säule für das Sammeln von ersten praktischen Erfahrungen, welche auf
der theoretischen Wissensvermittlung durch die Vorlesungen basieren.
Das AIM-Lab ist eine Modellfabrik, die im Bereich der Ausbildung und Lehre eingesetzt wird und die Produktion realitätsnah, in vereinfachter Darstellung abbildet. So werden im AIM-Lab die praktischen Grundlagen für das
methodische Arbeiten und das sinnvolle Anwenden von Methoden gelegt.
Darüber hinaus werden die immer wichtiger werdenden sozialen Kompetenzen gefördert, welche als Grundstein für die Führungskompetenzen
zukünftiger Ingenieure und Führungskräfte dienen. Auf diese Weise wird
der klassische, theoretische Aufbau des Studiums, der Lehrstoff vornehmlich durch Vorlesungen vermittelt, durch eine praktische, anwendungsorientierte Komponente erweitert.
Schritt 3 „Unternehmen“:
Durch Kooperationen mit Unternehmen sowie Industrieeinsätze können
Studierende bereits im Studium Kompetenzen vertiefen, die in der Industrie relevant sind. Dies könnte beispielsweise dadurch realisiert werden,
dass Studierende an Schulungen von Unternehmen teilnehmen, wie dem
Lean Center des Volkswagen Konzerns. Darüber hinaus ist bereits angedacht, dass Studierende, die am Ende ihrer Ausbildung an der Universität
stehen, die Möglichkeit bekommen sollen, in der Praxis Verantwortung zu
übernehmen. Ein Beispiel für diese Verantwortungsübernahme sind Assistenztätigkeiten von Teamleitern in Unternehmen. In diesen Praxiseinsätzen können einerseits Methoden- und Führungskompetenzen praktisch
angewendet werden, andererseits wird die Ausbildungsqualität durch
Coaching durch die jeweilige industrielle Führungskraft erhöht. Durch eine
zielgerichtete Ausbildung mittels Advanced Industrial Engineering and
Managementinhalten werden Studierende in Zukunft befähigt, schneller
Verantwortung und somit Führungspositionen einnehmen zu können.
4.2
Vermittlung von Kompetenzen
Der Masterstudiengang AIM ist in der Lage, den sich verändernden Arbeitsbedingungen (vergleiche Kapitel 2.1) zu begegnen. So kann den Anforderungen an die zunehmende Komplexität durch neue, komplexere
Fertigungsprozesse dadurch begegnet werden, dass Studierende bereits
im Studium ein fundiertes Methodenwissen und die Bedeutung der Prozessorientierung im Rahmen der Vollständigkeit erlernen. Auch soll ihnen
302
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
die Bedeutung der zunehmenden Digitalisierung und deren Potenziale für
die Mitarbeiter verdeutlicht werden. Auf diese Weise kann die Variabilität
ebenfalls mittels geeigneter Führungsmethoden sowie einem ausgeprägten KVP-Verständnis unterstützt werden, sodass zukünftige Führungskräfte stets dazu beitragen, dass Entwicklungen und Verbesserungen im Unternehmen implementiert werden können. Hierzu gehört ferner, dass
Studierende und zukünftige Ingenieure die Prinzipien der Wandlungsfähigkeit kennen, verstehen und einsetzen können. Auf diese Weise werden
Studierende bereits frühzeitig dafür sensibilisiert, dass Prozesse und
Strukturen schnell an sich ändernde Rahmenbedingungen ohne hohe
Investitionen, mit bestehenden Ressourcen angepasst werden müssen.
Hier unterstützt der Masterstudiengang durch die hohe Praxisnähe sowie
den Fokus auf Methodenwissen.
Im Bereich der Ressourcen wird der Handlungs- und Zeitspielraum zunehmen, sodass Mitarbeiter vermehrt selbstbestimmend arbeiten oder
technologische Innovationen im Unternehmen oder in den Prozessen Einzug halten. Auch hier unterstützt die Ausbildung im Rahmen des AIMStudiengangs, da Absolventen bereits im Studium durch die praxisnahe
und anwendungsorientierte Ausbildung lernen, Chancen und Potenziale
der Digitalisierung zu erkennen und diese gewinnbringend einzusetzen.
Der dritte Teil der Arbeitsbedingungen, die Belastungen, die sich zukünftig grundlegend ändern werden, werden ebenfalls durch den AIM-Master
positiv beeinflusst. So kann die Arbeitsumgebung für Mitarbeiter sich durch
eine
stärke
Digitalisierung
beziehungsweise
Mensch-MaschineKooperationen verändern. Hier ist es wichtig, dass Mitarbeiter die Veränderungen nicht als Bedrohung sondern als Chancen ansehen, sodass
unter anderem die im AIM-Master vermittelte Führungskompetenz eine
besondere Bedeutung bekommt. Aber auch auf die sich stetig verändernde Arbeitsbedingungen (beispielsweise durch Arbeitsinhalt- oder Arbeitsortwechsel) sind Studierende des Masters AIM vorbereitet. Durch
Methodenkompetenz und zielführende Integration von neuen Technologien kann es geschafft werden, dass Mitarbeiter Belastungen nicht mehr
als Hindernis ansehen, sondern Veränderungen der Belastungen viel mehr
als Verbesserung der Produktionsbedingungen ansehen. Selbiges gilt für
die Arbeitsaufgaben, welche in Zukunft aufgrund von verstärkten Teamarbeiten und kleinen Arbeitsgruppen zunehmen werden. Hier ist einerseits
Teamfähigkeit von den Studierenden und zukünftigen Ingenieuren gefordert, sodass diese Fähigkeiten bereits im Studium gefördert werden müssen. Andererseits müssen Studierende schon für Führungsaufgaben aus-
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
303
gebildet und für damit einhergehende Probleme sensibilisiert werden. Diese Probleme können zum Beispiel in Hemmnissen gegenüber Veränderungen oder in der Lösung von Konflikten liegen.
Wie aus dem vorangegangenen Abschnitt hervorgeht, ist der Masterstudiengang AIM, ein geeignetes Mittel, um den sich in Zukunft verändernden
Arbeitsbedingungen (siehe Abschnitt 2.1) in produzierenden Unternehmen
zu begegnen. Die bereits erwähnte Praxisnähe des Studiengangs soll
exemplarisch im nächsten Abschnitt am Beispiel des AIM-Labs des Instituts für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU) erläutert
werden.
4.3
AIM-Lab am IFU
Derzeit arbeitet das Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung daran, das AIM-Lab konzeptionell und durch Sachmittel so zu erweitern, um das erfahrbare Lernsystem durch neue, technische Elemente
zur Interaktion (Wearable, Ipads, etc.) zu verbessern. Die praxisnahe Lehre im AIM-Lab soll neue Akzente in der Lehre der TU Braunschweig setzen. Besonders die Inhalte des Advanced Industrial Engineering and Managements sind für Studierende oft abstrakt und mangels Praxiserfahrung
nur schwer nachzuvollziehen. Ziel des AIM-Labs am IFU ist es, die Handlungsfelder des Advanced Industrial Engineering and Managements zu
bündeln, sodass diese sowohl für Studierende als auch für Angehörige
von Industrieunternehmen erleb- und erlernbar werden. Auf diese Weise
können durch ein spielerisches und interaktives Umfeld realitätsnah Produktionsumgebungen nachgestellt werden. Das AIM-Lab (siehe Abbildung
6) ist daher als ein kleiner Produktionsbereich anzusehen, welcher nicht
allein zur Herstellung von Waren, sondern zur Vermittlung von Wissen
dient. Auf diese Weise wird die Lehre praxisnäher gestaltet und Studierenden Inhalte von Vorlesungen anschaulich vermittelt. Durch praxisnahe
Problemlösungen im Rahmen des AIM-Labs wird Studierenden der Berufseinstieg erleichtert werden.
304
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
Abbildung 6: Beispielhaftes Layout des AIM-Labs am IFU
Am Beispiel eines manuellen Montagesystems lernen die Studierenden
die Grundlagen der Montageplanung kennen. Das Montagesystem des
AIM-Labs soll unter Anwendung der Methoden Ganzheitlicher Produktionssysteme verbessert werden. Mit der praktischen Anwendung entwickeln die Studierenden ein fundiertes Wissen bezüglich Produktionsgestaltung und Ganzheitlichen Produktionssystemen. Am Beispiel eines
konventionellen Montagesystems führen die Studierenden eine Ist-Analyse
durch und leiten anschließend Verbesserungspotenziale ab. Hierbei werden verschiedene GPS-Methoden angewendet. Das erarbeitete SollKonzept kann im vorhandenen flexiblen Montagesystem praktisch umgesetzt werden. Die erreichten Verbesserungen sind mit Hilfe von Kennzahlen verifizierbar, wodurch ein erfahrbares Lernen mit direkter Rückmeldung
der erzielten Ergebnisse möglich ist. Dieses Konzept ermöglicht damit den
Studierenden den Kompetenzerwerb auf spielerische und erfahrbare Art
und Weise.
In den folgenden drei Beispielen wird der Fokus auf Logistikprozesse,
Montagesysteme und Prozessstandardisierung im Rahmen der Veranstaltungen im AIM-Lab gelegt. Hierbei sollen Studierende Gestaltungsprinzipien Ganzheitlicher Produktionssysteme nutzen, um die Produktion innerhalb des AIM-Labs zu optimieren, sodass sowohl Vorfertigung als auch
der Materialfluss kontinuierlich verbessert werden. Darüber hinaus sollen
Studierende Standards in der Fertigung und Logistik einführen und kontinuierlich hinterfragen. Auf diese Weise sollen die Studierenden die Wichtigkeit von GPS-Prinzipien erkennen. Durch die Einbindung von Methoden
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
305
der Industrie 4.0 und neuen Technologien werden den Studierenden in
einem spielerischen Umfeld das Potenzial sowie mögliche Einsatzgebiete
der technologischen Unterstützung aufgezeigt. Somit wird die Kompetenz
und das Wissen der Studierenden aktiv erweitert, um auf neue Herausforderungen im Umfeld der Produktion reagieren sowie Chancen und Potenziale durch Neuerungen realisieren zu können.
1. Gestaltung effizienter Logistikprozesse:
Ein Aspekt des AIM-Labs zielt auf Einsatz und Anwendung der Industrie
4.0 im Bereich der Materialbereitstellung und Kommissionierung ab. Hierzu sollen durch die Anschaffung von Pick-by-Light- und Pick-by-PointSystemen verschiedene Möglichkeiten zur Gestaltung effizienter, robuster
Logistikprozesse simuliert werden. Somit können die Studierenden die
Vor- und Nachteile unterschiedlicher Kommissioniertechniken verinnerlichen, aber auch gleichzeitig Gestaltungsprinzipien wie Standardisierung
oder Null-Fehler-Prinzip in der Logistik erlernen.
2. Gestaltung flexibler Montageprozesse (anwendungsorientiertes
Beispiel)
Als mögliches Umsetzungsfeld im AIM-Lab wird ein Konzept zum digitalen
Arbeitsplan vorgestellt. Der Prozessablauf sowie die einzelnen Arbeitsschritte werden aus Sicht des Studierenden aufgezeigt:
Im ersten Schritt meldet sich der Studierende mit seinem RFID-Ausweis
innerhalb des Reader-Felds an. Daraufhin erscheint ein AppStartbildschirm mit dem Button „Arbeitsplan“. Nachdem der Studierende
angemeldet ist und den Arbeitsplan gestartet hat, geschieht solange
nichts, bis das erste Arbeitsobjekt das Reader-Feld erreicht. Im nächsten
Schritt, wenn ein Arbeitsobjekt das Reader-Feld erreicht, wird dieses identifiziert und die eingelesene ID mit einer Datenbank verglichen. Hierzu lädt
ein Programm das entsprechende Datenblatt mit den Produktspezifikationen. Je nach Ausprägungsmerkmal des Produktes und des Arbeitsplatzes
wird der entsprechende Arbeitsplan geladen. Hierbei werden die verschiedenen Produktausprägungen bei Arbeitsanweisung und Animation berücksichtigt (im AIM-Lab werden Spieluhren gefertigt, es wird daher nach
Form, Farbe und Melodie unterschieden). Die Animationen zeigen dem
Studierenden bspw. die Montage des Grundkörpers auf den Sockel mit
Hilfe von Schrauben. Hierzu müssen alle Bauteile und Werkzeuge geprüft
und identifiziert werden. Schrauben sowie Kurbelhülsen der Spieluhr sind
306
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
aufgrund ihrer Größe und ihres Wertes nicht mit einem Smart Label versehen. Das Programm zum digitalen Arbeitsplan kann somit überprüfen, ob
die identifizierten ID’s mit denen im Datenblatt für den jeweiligen Auftrag
übereinstimmen. Ist dies der Fall, erfolgt die Mittelung „identifiziert“, anderenfalls „falsches Bauteil“ bzw. „falsches Werkzeug“. Abschließend muss
der Studierende nach erfolgreicher Montage diese quittieren. Zudem ist es
möglich die Qualität vom selben Mitarbeiter prüfen zu lassen, indem er die
geforderte Qualität bestätigt. Nach erfolgreicher Durchführung der Montageschritte werden die Datenblätter in der Datenbank aktualisiert und an
den Prozessfortschritt angepasst. Durch die Implementierung und Nutzung
einer App werden die Wichtigkeit von Prozessstandardisierung, Visualisierung und Werkerselbstkontrolle im Rahmen Ganzheitlicher Produktionssysteme verdeutlicht. Durch die Reduktion auf notwendige Tätigkeiten im
Montageprozess wird darüber hinaus das Gestaltungsprinzip „Vermeidung
von Verschwendung“ unterstützt.
Abbildung 7: Konzept – Digitale, schrittweise Darstellung des Arbeitsplans
Als nächste Ausbaustufe soll die Anwendung einer Augmented Reality zur
Flexibilisierung von Montageprozessen herangezogen werden. Durch die
Nutzung von Head-up-Displays können virtuelle Informationen in das
Sichtfeld der Montagemitarbeiter eingeblendet werden, um bspw. komplexe Montageinhalte zu verdeutlichen. Somit können auch ungelernte Mitar-
Erfahrbares Lernen von Kompetenzen für die Produktion von morgen
307
beiter komplizierte Montagetätigkeiten ausführen, was zu einer erheblichen Flexibilisierung der Montageprozesse beiträgt.
3. Automatisierte Prozessstandardisierung
Durch die Nutzung eines optischen Trackingsystems, wie bspw. einer
Microsoft Kinect, soll den Studierenden aufgezeigt werden, wie neuartige,
automatisierte Prozessanalysen in Ganzheitlichen Produktionssystemen
umgesetzt werden können. Dadurch wird gezeigt, dass mit Hilfe einer automatisierten Prozessaufnahme eine Standardisierung der Arbeitsprozesse erreicht werden kann, die wiederum zur Erhöhung der Prozesseffizienz
und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im industriellen Umfeld
führt. Durch eine stetige Verbesserung der Prozessstandards und Analyse
neuer Einsatzmöglichkeiten innovativer Technologien wird den Studierenden der Kontinuierliche Verbesserungsprozess näher gebracht.
5
Zusammenfassung und Ausblick
Im vorliegenden Beitrag wurde dargelegt, dass das industrielle Umfeld sich
stetig verändert, beispielsweise durch neue Technologien oder Produkte.
Daher ist es notwendig, dass Studierende notwendige Kompetenzen bereits in der Hochschulausbildung vermittelt bekommen. Somit wird im
Rahmen des AIM-Studiengangs der Fokus auf die Vermittlung von Führungskompetenzen, Methodenwissen und eine industrielle Nähe der
Lehrinhalte gelegt, um die notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, welche in Zukunft von Studienabsolventen gefordert werden. Dies ist beispielsweise durch die Vermittlung von Grundlagen zu GPS im Rahmen
des Studiums möglich. Durch den Einsatz von Gestaltungsprinzipien, Methoden und Werkzeugen ist es möglich, dass flexibel auf neue Anforderungen im industriellen Umfeld reagiert werden kann. Jedoch muss der
Fokus zukünftig auf die Kombination der Methoden der Industrie 4.0 bzw.
Digitalisierung mit Ganzheitlichen Produktionssystemen gelegt werden,
sodass die jeweiligen Stärken aktiv zur Verbesserung des industriellen
Umfelds genutzt werden können.
Durch zukünftige Erweiterungen des AIM-Labs am IFU sollen neue, unterschiedliche Anwendungsfelder der Industrie 4.0 den Studierenden im AIMLab vermittelt werden: Zum einen soll der Umgang mit Elementen der
Industrie 4.0 verdeutlicht werden. Zum anderen sollen Elemente der Industrie 4.0 zum verbesserten Kompetenzerwerb bzw. zur verbesserten
Lernerfahrung beitragen. Hierbei ermöglichen Sachmittel, das Lehrange-
308
Uwe Dombrowski, Philipp Krenkel, Constantin Malorny
bot auf den neusten Stand der Forschung und Entwicklung zu bringen und
die Studierenden innovative und neuartige Technologien erproben zu lassen. Hierbei soll der Fokus neben der theoretischen Grundlagenvermittlung auch auf die Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologien sowie
Kombination mit Prinzipien Ganzheitlicher Produktionssysteme gelegt
werden. Die Studierenden lernen somit bereits im Studium mit den neuesten technologischen Entwicklungen umzugehen und diese zielgerichtet
anzuwenden. Neben der Integration des Themenfelds der Industrie 4.0 in
das AIM-Lab sollen zudem ausgewählte Teilaspekte in das bestehende
Vorlesungsangebot des IFU integriert werden, um die Reichweite der
Maßnahme zu erhöhen. Ziel der Aktivitäten ist es, die von der Bundesregierung ausgeschriebene Hightech-Strategie der Industrie 4.0 den Studierenden praxisnah vorzustellen und Industrie 4.0 in das bestehende Lehrangebot als Teilaspekt aufzunehmen.
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Ergänzungsbeitrag – Übersicht
Ergänzungsbeitrag
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
311
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
313
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Die Personalkosten produzierender Unternehmen haben großen Einfluss auf die Fertigungskosten, wenn die Produktion durch einen hohen
Anteil an manuellen Tätigkeiten und hohe Lohnkosten gekennzeichnet
ist. Die operative Zielgröße zur Steuerung dieser Kosten ist die Arbeitsproduktivität. Die Analyse der Arbeitsproduktivität identifiziert Potenziale und schafft so die Möglichkeit, gezielt Verbesserungsmaßnahmen durchzuführen. Dieser Artikel stellt einen kostengünstigen und
aufwandsarmen Ansatz der Arbeitsproduktivitätsanalyse vor, bei dem
3D-Kameras die Bewegungsabläufe von Mitarbeitern bei Montageaufgaben erfassen. Die aufgenommenen Daten werden automatisiert für
eine Produktivitätsanalyse aufbereitet. Die anschließend durchgeführten Analysen basieren auf der Primär-Sekundär-Analyse von Lotter
sowie der MTM-Systematik.
1
Einleitung
Die Personalkosten eines produzierenden Unternehmens haben großen Einfluss auf die Fertigungskosten, wenn die Produktion durch
einen hohen Anteil an manuellen Tätigkeiten und hohe Lohnkosten
gekennzeichnet ist. In Deutschland sind die Lohnkosten nach wie vor
hoch (Schröder 2014) und so stehen insbesondere montageintensive
Fertigungen vor der Herausforderung, die Personalkosten zu senken.
Die operative Zielgröße zur Steuerung der Personalkosten ist die Arbeitsproduktivität. Durch die Analyse der Arbeitsproduktivität werden
Potenziale identifiziert und so die Möglichkeit geschaffen, gezielt Verbesserungsmaßnahmen durchzuführen. Bekannte Analysemethoden
sind zum Beispiel die MTM- oder REFA-Systematik (Bokranz und
Landau 2006; REFA 1997). Die Durchführung dieser Methoden ist zum
einen mit relativ hohem zeitlichem Aufwand verbunden und erfordert
zum anderen Expertenwissen über die Methoden.
Kleine und mittlere Unternehmen haben in der Regel weder die Mitarbeiterkapazität zur Durchführung der Methoden noch verfügen sie über
das dafür nötige Expertenwissen. Daher werden oft externe Experten
genutzt, deren Einsatz mit relativ hohen Kosten verbunden ist.
314
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Mit der Diskussion um Industrie 4.0 steht die Nutzung moderner Informationstechnologien für das Produktionsmanagement im Fokus. Dieser Artikel stellt einen kostengünstigen und aufwandsarmen Ansatz der
Arbeitsproduktivitätsanalyse vor, bei dem 3D-Kameras die Bewegungsabläufe von Mitarbeitern bei Montageaufgaben erfassen. Die
aufgenommenen Daten werden dann automatisiert für eine Produktivitätsanalyse aufbereitet. Die durchgeführten Analysen basieren auf der
Primär-Sekundär-Analyse (Lotter et al. 2002) sowie der MTMSystematik.
2
Produktivitätsanalysen
Dieses Kapitel beschreibt den Begriff Arbeitsproduktivität (Abschnitt
2.1) und stellt eine Übersicht über existierende Verfahren zur Arbeitszeitermittlung (Abschnitt 2.2) zur Verfügung. Sehr detailliert kann die
Produktivität von Arbeitsabläufen mit der Primär-Sekundär-Analyse
von Lotter (Abschnitt 2.3) untersucht werden.
2.1
Arbeitsproduktivität
Produktivität ist allgemein definiert als das Verhältnis zwischen Output
und Input eines Systems (Sumanth 1984; Weber 1998). In Fertigungsbereichen ist der Output in der Regel das zu produzierende Gut und
wird zum Beispiel in Stück gemessen. Der Input hingegen besteht aus
dem Einsatz an Ressourcen, der zur Erstellung des Outputs notwendig
ist. Wichtige Ressourcen sind beispielsweise maschinelle und menschliche Arbeit sowie das verbrauchte Material oder die eingesetzte Energie. Das Verhältnis zwischen dem erbrachten Output und dem jeweiligem Input stellt damit eine Teilproduktivität dar (Sumanth 1984; Weber
1998).
Die Arbeitsproduktivität ist somit die Relation zwischen produziertem
Gut und der eingesetzten Arbeiterzeit. Um die Arbeitsproduktivität zu
untersuchen, wird in der Regel der Input – die bezahlte Arbeiterzeit –
untersucht, da der Output einer Fertigung durch den Markt bestimmt
wird.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
2.2
315
Methoden der Arbeitszeitermittlung
Ermittlung von Ist-Zeiten
Die Ermittlung von Ist-Zeiten kann durch Erfassung der Zeiten für die
einzelnen Arbeitsschritte extern oder durch eine Selbstaufschreibung
durchgeführt werden. Bei der externen Variante beobachtet beispielsweise ein Mitarbeiter die anderen Mitarbeiter bei der Durchführung
ihrer Arbeit und notiert die Ergebnisse. Bei der Selbstaufschreibung
erfasst der Mitarbeiter selbst die Zeiten. Ein Sonderfall der Selbstaufschreibung ist die Befragung der Mitarbeiter, bei der die Zeiten geschätzt werden (REFA 1997).
Die Durchführung der Ermittlung erfolgt dabei durch die kontinuierliche
Aufnahme der Zeit von Arbeitsschritten oder durch stichprobenartige
Aufnahmen. Eine Zeitaufnahme mit einer Stoppuhr ist ein Beispiel für
kontinuierliche Aufnahmen. Ein bekannter Vertreter für die Stichprobenaufnahme ist das Multimomentverfahren (REFA 1997).
Bestimmung von Soll-Zeiten
Alternativ zur Ermittlung von Arbeitszeitanteilen durch die Aufnahme
von Ist-Zeiten können Verfahren zur Bestimmung von Soll-Zeiten herangezogen werden. Dies erfolgt in der Regel durch die Verwendung
von Ist-Zeiten bekannter Arbeitsschritte. So kann zum Beispiel die
Arbeitszeit anhand von ähnlichen Arbeitsabläufen geschätzt werden
(REFA 1997).
Die Modelle vorbestimmter Zeiten bauen auf dieser Tatsache auf.
Grundgedanke ist es, Arbeitsabläufe in Arbeitselemente zu unterteilen,
denen anhand von Einflussgrößen Zeitdauern zugeordnet werden.
Bekannte Vertreter sind die MTM-Systematik (Bokranz und Landau
2006) oder die Work-Factor-Methode (Quick 1960).
Die MTM-Systematik stellt einen Elementarzyklus für Montagebewegungen bereit, der aus den Schritten Hinlangen, Greifen, Bringen,
Fügen und Loslassen besteht sowie weitere Bewegungsarten, die über
den Grundzyklus hinausgehen. Den einzelnen Bewegungen wird dann
anhand der Einflussgrößen eine Soll-Zeit zugeordnet, die ein geübter
Werker im Durchschnitt erreicht, wenn keine Probleme auftreten (Bokranz und Landau 2006).
316
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
2.3
Primär-Sekundär-Analyse
Die Primär-Sekundär-Analyse (PSA) ist eine von Lotter (Lotter et al.
2002) entwickelte Methode zur Analyse der Arbeitsproduktivität von
Arbeitsprozessen. Grundlage der PSA ist die Unterteilung der Abläufe
eines Mitarbeiters in Primärvorgänge (PV) und Sekundärvorgänge
(SV). Nach Lotter sind alle Aufwendungen, die zur Wertschöpfung im
Arbeitsprozess beitragen, Primärvorgänge. Wichtigstes Beispiel dafür
sind Fügevorgänge.
Aufwendungen, die keine direkte Wertschöpfung hervorrufen, wie zum
Beispiel der Transport von Maschinenteilen, sind hingegen Sekundärvorgänge. Die Höhe der Aufwendungen wird dabei mit Hilfe des MTMSystems oder mit REFA-Planzeiten für den Arbeitsablauf ermittelt.
Diese Unterteilung orientiert sich an der Unterteilung der Zeit nach
dem Lean Management-Gedanken.
Basierend darauf definiert Lotter den wirtschaftlichen Wirkungsgrad
(WPS), der aus dem Verhältnis zwischen der Dauer aller Primärvorgänge und der Gesamtdauer besteht (vgl. Formel 1).
WPS:
wirtschaftlicher Wirkungsgrad nach Lotter
PV:
Dauer der Primärvorgänge
SV:
Dauer der Sekundärvorgänge
Der Wirkungsgrad ist 1, wenn die Arbeitsaufgabe nur aus Primärvorgängen besteht und wird umso kleiner, je mehr Sekundärvorgänge
notwendig sind. Abbildung 1 zeigt, wie das Verhältnis von Primär- und
Sekundärvorgängen grafisch dargestellt werden kann.
Sekundäraufwand [s]
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
Aufwandsvektor
317
Teilvorgang 4
Teilvorgang 3
Teilvorgang 2
Teilvorgang 1
Primäraufwand [s]
12812
Abbildung 1: Vektorielle Darstellung von Primär- und Sekundäraufwänden (Lotter et al.
2002)
Die Abszisse zeigt den primären Anteil und die Ordinate den sekundären Anteil der Vorgänge in Sekunden. Besteht ein Vorgang nur aus
primären Teilen, wird er horizontal gezeigt (vgl. Teilvorgang 2). Vorgänge, die keinen Kundennutzen bringen, sind vertikal (vgl. Teilvorgang 3). Die grafische Addition der Vorgänge ergibt den gesamten
Aufwandsvektor mit der Steigung ϕ. Die Senkung des Steigungswinkels reduziert den Aufwand und erhöht so den Wirkungsgrad.
Die Analysestufen der Primär-Sekundär-Analyse
Die PSA kann für unterschiedliche Bereiche eines Produktionsunternehmens durchgeführt werden. Lotter gibt dafür fünf Detaillierungsstufen vor, von denen die ersten beiden sich mit den Vorgängen an Montage- oder Fertigungslinien auseinandersetzen und die letzten drei
zusätzlich die indirekten Bereiche analysieren (Lotter und Wiendahl
2012).
Bei der ersten Stufe, der Grundanalyse, werden die Vorgänge in einer
Montage- oder Fertigungslinie untersucht. Dabei können je nach Bedarf die Ergebnisse der Feinanalyse hinzugefügt werden. Die Feinanalyse (Stufe 2) untersucht detailliert die Arbeitsvorgänge an einer einzelnen
Arbeitsstation.
Als
Grundlage
dafür
werden
die
Grundbewegungen der MTM-Analyse verwendet, die einen hohen
Anteil der Arbeitstätigkeiten darstellen (Lotter et al. 2002).
318
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Wenn dabei die Definition der Primärvorgänge streng betrachtet wird,
sind nur Fügebewegungen Primärvorgänge, alle anderen Bewegungen
sind sekundär. Diese Definition würde jedoch dazu führen, dass der
Anteil der Primärvorgänge verschwindend gering wäre und die Aussagekraft des Wirkungsgrades sinken würde. Zudem ist ein gewisser
Anteil sekundärer Bewegungen notwendig, um fügen zu können. Deshalb wird ein Mindestmaß an Bewegungen als Primärvorgang definiert.
Die PSA schlägt für dieses Mindestmaß die Bewegung zu dem Teil
vor, das am nächsten zum Fügepunkt ist. Alles, was darüber hinausgeht, entspricht dann einem Sekundärvorgang.
Die PSA verwendet für diese Analysen Plan-Zeiten aus den SollArbeitsabläufen. Die tatsächlichen Zeiten am Arbeitsplatz sowie Abläufe, die neben dem Soll-Ablauf stattfinden, werden von ihr nicht betrachtet.
3
Bewegungserfassung mit 3D-Kameras
Dieses Kapitel geht zunächst auf den Begriff des Motion Capturing ein
(Abschnitt 3.1) und stellt dann die Microsoft Kinect als einen Vertreter
der 3D-Kameras vor (Abschnitt 3.2), die für das Motion Capturing verwendet werden können. Abschnitt 3.3 zeigt auf, warum die PrimärSekundär-Analyse noch nicht ohne weiteres mit der Microsoft Kinect
durchführbar ist.
3.1
Verfahren der Bewegungserfassung (Motion Capturing)
Als Motion Capturing oder Motion Tracking werden Verfahren bezeichnet, die menschliche Bewegungen erkennen und nachverfolgen und so
digital für die Weiterverarbeitung bereitstellen (Kitagawa und Windsor
2008). Die Tracking-Verfahren lassen sich dabei nach der Art der verwendeten Sensoren unterscheiden:
Nicht-optische Verfahren
Zu den nicht-optischen Verfahren gehören (Stanney 2002):
 Elektromagnetisches Tracking, bei dem Position und Orientierung im Raum durch die Messung des magnetischen
Flusses ermittelt werden. Ein Sender erzeugt dabei ein
magnetisches Feld, das durch den Empfänger am Objekt
gemessen wird.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
319
 Akustisches Tracking, bei dem ein akustisches Signal im
Ultraschallbereich von Lautsprechern am Objekt emittiert
und durch Mikrofone im Raum aufgenommen wird.
 Beim Accelerometrie-Tracking werden zur Messung an ausgewählten Körperteilen des Objekts Gyroskope und Beschleunigungssensoren angebracht, durch die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen ermittelt werden.
Optische Verfahren
Die optischen Verfahren benötigen wie elektromagnetisches und akustisches Tracking einen Sender und einen Empfänger. Der Sender emittiert hierbei in der Regel Infrarot-Strahlen und der Empfänger nimmt
diese auf. Je nach Funktionsweise werden zudem sogenannte Marker
als Reflektoren eingesetzt (Kitagawa und Windsor 2008).
Bei den markerbasierten optischen Systemen werden vom Nutzer
reflektierende Marker getragen. Die Empfänger können dabei durch
die Reflektion die Markerpositionen berechnen. Die Marker sind in der
Regel an Stellen nahe der Gelenke angebracht, um die Position der
Gliedmaßen relativ zueinander bestimmen zu können. Während des
Tracking wird für jeden Marker zunächst die Position im Raum bestimmt und daraus die aktuelle Körperhaltung abgeleitet.
Das Trackingverfahren der Microsoft Kinect gehört zu den nichtmarkerbasierten Systemen (Microsoft 2015). Es gibt auch hier Sender
und Empfänger, jedoch wird hier ausgenutzt, dass alle Körper einen
Teil des Lichts reflektieren (natürliche Reflektion). Dadurch ergibt sich
der Vorteil, dass der Nutzer keine Geräte am Körper tragen muss und
so ungestört seine Arbeit verrichten kann.
3.2
Funktionsweise der Kinect
Die Microsoft Kinect wurde als Bewegungssteuerung (Marshall 2013)
für die Spielekonsole „Xbox“ entwickelt, durch die eine physische Verbindung zwischen Nutzer und der Konsole überflüssig wurde. 2014
erschien die zweite, aktuelle Version der Kinect (Microsoft 2015).
Microsoft stellt zudem ein Software Development Kit (SDK), eine
Sammlung von Werkzeugen zur Programmierung, für die Kinect zur
Verfügung.
320
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Bauteile
Die Microsoft Kinect nutzt zum Motion Tracking den eingebauten Infrarot-Projektor und die Infrarot-Kamera. Zusätzlich beinhaltet die Kinect
noch eine RGB-Kamera und Mikrofone (Microsoft 2015).
Bei der Kinect 1 sendet der Infrarot-Projektor ein unregelmäßiges Muster in den Raum aus. Die Infrarotlicht-Kamera fängt die von Personen
oder Objekten reflektierenden Strahlen dieses Musters ein. Aus der
geometrischen Anordnung des Infrarot-Projektors und der InfrarotKamera sowie dem aufgefangenen Muster werden die Koordinaten
des Punktes bestimmt, an dem die Infrarot-Strahlen reflektiert wurden.
Bei der Kinect 2 werden ebenfalls Infrarot-Strahlen ausgesendet und
von Objekten reflektiert. Allerdings wird hierbei nicht durch die Änderung des Musters die Position des Objektes bestimmt, sondern durch
die Laufzeitunterschiede der Infrarotwelle.
Skelett-Tracking
Das Microsoft SDK beinhaltet die Möglichkeit, aus den Raumkoordinaten der durch die Infrarot-Kamera erfassten Punkte die Positionen von
Menschen und deren Gelenkpunkte (Joints) zu erkennen.
Ist ein dreidimensionales Abbild des Akteurs erfasst, können die Positionen dieser Joints am Körper des Akteurs definiert werden. Joints
sind Punkte an signifikanten Stellen des Körpers wie z. B. den Gelenken. Das aktuelle SDK für die Kinect erkennt 25 Gelenkpunkte (Microsoft 2015). Wenn nun die Joints eines Körpers und ihre Verbindungen
dargestellt werden, entsteht ein Hilfsskelett, das das Motion Capturing
unterstützt.
3.3
Anwendung der Kinect zur Produktivitätsanalyse
Grundsätzlich ist die Kinect in der Lage, die Joints des Körpers räumlich zu identifizieren. Das bedeutet, dass die Koordinaten zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt sind. Die Geschwindigkeit lässt sich erst
durch die Distanzen der Koordinaten zwischen den einzelnen Momenten berechnen.
Ein Defizit bei der Anwendung für Produktivitätsanalysen ist die Tatsache, dass sich nicht ohne weiteres Haltepunkte bestimmen lassen,
also die Zeitpunkte und Orte, an denen ein Gelenkpunkt zwischen zwei
Bewegungen eine Ruheposition einnimmt.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
321
Weiterhin wäre es notwendig, die Haltepunkte zu Haltebereichen zusammenzufassen, zum Beispiel um festzustellen, in welche Kisten bei
einer Montage gegriffen wird. Denn auch wenn in dieselbe Kiste gegriffen wird, können sich die genauen Positionen der Handgelenke dabei
unterscheiden.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Durchführung einer PSA resultiert
aus der Tatsache, dass primäre von sekundären Vorgänge zu unterscheiden sind. Die Kinect ist ohne Anpassung nicht in der Lage, diese
Unterscheidung zu treffen.
Diese Punkte führen dazu, dass die Durchführung einer Produktivitätsanalyse wie der PSA auch mit der Kinect ohne eine Anpassung noch
sehr aufwändig wäre und nur von Experten durchgeführt werden könnte. Die notwendigen Anpassungen werden in den folgenden Kapiteln
beschrieben. Zudem werden mögliche Erweiterungen der PSA vorgestellt, die die Verwendung der Kinect ermöglicht.
4
Datenerfassung
In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die von der Kinect aufgenommenen Daten für die Produktivitätsanalyse aufbereitet werden. Zunächst werden in Abschnitt 4.1 die aufgenommen Rohdaten erläutert
und aufgezeigt, welche Daten sich daraus direkt ableiten lassen. Mit
diesen Daten kann dann bestimmt werden, zu welchem Zeitpunkt die
Gelenkpunkte einen Stopp zwischen den Bewegungen machen (Abschnitt 4.2). Abschließend können aus den Haltepunkten durch eine
Clusteranalyse Haltebereiche ermittelt werden (Abschnitt 4.3).
4.1
Koordinatenerfassung
Die von der Kinect ermittelten Koordinaten für die einzelnen Joints
werden mit einer Aufnahmerate von 30 Aufnahmen pro Sekunde ausgelesen und verwertet. Damit entspricht die Datenerfassung einer
Stichprobenaufnahme mit einer sehr hohen Häufigkeit. Für jeden Joint
werden dabei folgende Daten ausgelesen:
 X-, Y- und Z-Koordinate
 Tracking Status des Joints, also ob das Gelenk im Tiefenbild
identifiziert werden konnte.
322
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Wenn das Gelenk im Tiefenbild identifiziert werden konnte, werden die
ausgelesenen Koordinaten weiterverwendet. Abbildung 2 zeigt die
aufgenommenen Koordinaten der rechten Hand für ein Montagebeispiel.
y-Koordinate [m]
0,6
0,4
0,2
0
0
0,2
0,4
0,6
x-Koordinate [m]
0,8
12813
Abbildung 2: Aufgenommene Koordinaten der Kinect
Wichtig für die weiteren Untersuchungen sind insbesondere die Geschwindigkeit und die Beschleunigung. Zur Berechnung werden die
folgenden Gleichungen verwendet (Benter 2015):
xn:
x-Koordinate bei Aufnahme n
tn :
Zeitpunkt der Aufnahme n
vx,n: Geschwindigkeit bei Aufnahme n
ax,n: Beschleunigung bei Aufnahme n
Analog können die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen für die
anderen Koordinatenrichtungen ermittelt werden.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
4.2
323
Bestimmung von Haltepunkten
Die Koordinaten und die Daten über Geschwindigkeit und Beschleunigung werden nun genutzt, um Haltepunkte zu bestimmen. Haltepunkte
sind hierbei Zeitpunkte, zu denen ein Gelenkpunkt zwischen zwei Bewegungen anhält. Da die Kinect diese nicht selbstständig ermittelt,
wurden Optionen von Algorithmen entworfen, um die Haltepunkte zu
bestimmen (Benter 2015) :
1. Unterschreitung einer Grenzgeschwindigkeit
Diese Option prüft, ob ein Joint für eine gewisse Zeitspanne
einen definierten Geschwindigkeitswert unterschreitet. Sie eignet sich besonders für Vorgänge, bei denen ruhigere Bewegungen durchgeführt werden oder längere Haltepausen stattfinden. Bei schnellen Bewegungen und Richtungswechseln
wird jedoch nicht jeder Halt erkannt.
2. Vorzeichenwechsel der Beschleunigung
Bei dieser Option wird geprüft, ob sich das Vorzeichen der Beschleunigung über eine gewisse Zeitspanne von negativ zu
positiv ändert. Diese Option eignet sich für stetige Bewegungen, bei denen nur kurze Stopps eingelegt werden, beispielsweise beim Drücken von Knöpfen. Probleme gibt es bei dieser
Option, wenn der Monteur langsamer in der Bewegung wird,
jedoch nicht stoppt und danach wieder beschleunigt. Dann
kann ein falscher Halt erkannt werden. Dieses Problem kann
durch die Kombination mit der ersten Option (Hinzufügen einer
Grenzgeschwindigkeit) entschärft werden.
3. Richtungswechsel der Bewegung
Bei dieser Option wird geprüft, ob sich der Bewegungsvektor
eines Joints über eine gewisse Zeitspanne um einen definierten Winkel ändert. Diese Option eignet sich besonders dann
gut, wenn die meisten Bewegungen ohne Zwischenhalt erfolgen. Sie eignet sich weniger, wenn Stopps durchgeführt werden, ohne dass sich die Richtung der Bewegung ändert.
Die abgestimmte Nutzung dieser drei Optionen führt zu einer guten
Erfassung der Haltepunkte während einer Aufnahme. Abbildung 3
zeigt beispielhaft die ermittelten Haltepunkte einer Aufnahme.
324
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
y-Koordinate [m]
0,6
0,4
0,2
0
0
0,2
0,4
0,6
x-Koordinate [m]
0,8
12814
Abbildung 3: Ermittelte Haltepunkte
4.3
Clusteranalyse zur Bestimmung von Haltebereichen
Bei manuellen Tätigkeiten wie an einem Montagearbeitsplatz treten
sehr viele Haltepunkte, insbesondere von den Handgelenkpunkten,
auf. Damit die Daten im Anschluss sinnvoll interpretiert werden können, müssen die Haltepunkte zu Haltebereichen zusammengefasst
werden. Damit diese Zusammenführung von Punkten zu Bereichen
teilautomatisiert und systematisch erfolgen kann, wird im nächsten
Schritt eine Clusteranalyse durchgeführt.
Die zwei wichtigsten Typen von Verfahren zur Clusteranalyse sind die
partitionierenden und die hierarchischen Verfahren. Die in der Praxis
häufiger verwendeten hierarchischen Verfahren folgen dabei folgendem Grundablauf (Backhaus et al. 2011):
1.
2.
3.
Bestimmung der Ähnlichkeiten
Auswahl des Fusionierungsalgorithmus
Bestimmung der Clusteranzahl
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
325
Bestimmung der Ähnlichkeiten
Die Ähnlichkeit zwischen zwei Objekten gibt die Übereinstimmung
zwischen den Eigenschaften zweier Objekten an. Die Messung der
Ähnlichkeit erfolgt normalerweise durch die Unähnlichkeit, angegeben
als Distanzmaß. Für die Clusteranalysen existiert eine Vielzahl an
Distanzmaßen für binäre, nominale und metrische Eigenschaften. Bei
metrischen Eigenschaften wie den x-, y- und z-Koordinaten der Gelenkpunkte ist das euklidische Distanzmaß eines der häufigsten verwendeten (Backhaus et al. 2011). Bei Koordinaten entspricht es dem
räumlichen Abstand der Punkte.
Auswahl des Fusionierungsalgorithmus
Basierend auf den Distanzen zwischen den Objekten werden in diesem Schritt die Objekte zu Gruppen zusammengefasst, in denen die
Distanzen möglichst gering, also die Ähnlichkeit sehr hoch ist. Bei den
hierarchischen Fusionierungsprozessen gibt es zwei unterschiedliche,
die agglomerativen und die divisiven Verfahren (Bock 1974).
Bei den divisiven Verfahren startet man mit einem großen Cluster, in
dem alle Objekte enthalten sind und teilt in immer kleinere Cluster auf.
Bei den agglomerativen Verfahren stellt jedes Objekt zu Anfang einen
einzelnen Cluster dar und diese werden dann Schritt für Schritt zusammengefasst. Bei den agglomerativen Verfahren wird immer wieder
der gleiche Ablauf wiederholt. Zunächst werden die zwei Cluster mit
der geringsten Distanz ausgewählt und dann zu einem Cluster zusammengefügt. Dies wird wiederholt, bis alle Objekte in einem Cluster
sind. Wie die Fusionierung abläuft und welche Distanzen verwendet
werden können, hängt vom Verfahren ab.
Ein Verfahren, das das euklidische Distanzmaß verwendet, ist das
Single Linkage-Verfahren. Dieses Verfahren beruht auf dem Prinzip,
dass die Distanz zwischen zwei Clustern gleich der kürzesten Distanz
zwischen zwei Objekten beider Cluster ist. Dieses Verfahren wird im
Folgenden für das Clustern der Gelenkpunkte genutzt (Bock 1974).
326
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
Bestimmung der Clusteranzahl
Für die Bestimmung der optimalen Clusteranzahl existiert ein Zielkonflikt zwischen der Anforderung, dass die Cluster möglichst homogen
sind und dass die Anzahl der Cluster handhabbar ist. Dafür gibt es
unterschiedliche statistische Ansätze, die die optimale Anzahl der
Cluster bestimmen. Für die Anwendung bei den Haltepunkten wird
eine maximale Distanz bestimmt, bei der zwei Cluster noch zusammengeführt werden. Das bedeutet, dass der Mindestabstand zwischen
zwei Clustern dieser Distanz entspricht (Backhaus et al. 2011).
Anwendung an den Haltepunkten
Ergebnis der durchgeführten Clusteranalyse sind Haltebereiche wie sie
in Abbildung 4 für die rechte Hand zu sehen sind. Die Haltebereiche
stellen dabei Bereiche dar, an denen Bewegungen beendet beziehungsweise begonnen wurden (Benter 2015).
A
F
y-Koordinate [m]
0,6
D
0,4
B
G
C
E
0,2
H
0
0
0,2
0,4
0,6
x-Koordinate [m]
0,8
12815
Abbildung 4: Cluster von Haltepunkten
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
5
327
Datenauswertung
Dieses Kapitel zeigt mögliche Auswertungen mit den bisher aufgenommenen Informationen. Die Grundlage für die weiteren Untersuchungen ist die Auswertung der Greifbereiche im Abschnitt 5.1. Diese
wird in Abschnitt 5.2 zur Primär-Sekundär-Analyse ausgebaut. Als
Abschluss wird eine Analyse der Greifdauer und -häufigkeiten vorgestellt, die die PSA weiter detailliert (Abschnitt 5.3).
5.1
Auswertung der Greifbereiche
Die einfachste Form der Auswertung, die als Grundlage für die weiteren Untersuchungen mit der Kinect dienen soll, ist die Entfernung der
Handgelenke zur untersuchten Person. Dieser Ansatz folgt ergonomischen Überlegungen und soll aufzeigen, welche Punkte einfach beziehungsweise schwer für die Person zu erreichen sind. Dabei gibt es
grundsätzlich zwei Ansätze: die Bestimmung der Bereiche durch den
Anwender und die Erstellung der Bereiche aus ergonomischen Gesichtspunkten.
Bestimmung durch den Anwender
Bei diesem Ansatz legt der Anwender die Bereiche fest, die untersucht
werden sollen. Dies ist insbesondere für die gezielte Analyse eines
besonders interessierenden Bereichs eines Arbeitsplatzes sinnvoll. Ein
Beispiel wäre die Prüfung, wie oft in eine bestimmte Kiste gegriffen
wird oder wie viel Zeit die Handgelenkpunkte an vordefinierten Orten
verbringen.
Ergonomische Gesichtspunkte
Der zweite Ansatz benötigt vor der Analyse keine Informationen vom
Anwender und untersucht beispielsweise, welchen Anteil der Zeit sich
die Handgelenke des Monteurs in einem ergonomisch günstigen oder
auch besonders ungünstigen Bereich befinden.
Abbildung 5 zeigt beispielhaft eine Auswertung der Greifbereiche. Dabei ist der Ausgangspunkt der Untersuchung die rechte Schulter. Der
eingezeichnete Ring stellt die Punkte auf der Arbeitsfläche dar, die
sich in einer definierten Entfernung zur rechten Schulter befinden. In
diesem Beispiel ist diese Entfernung der Einfachheit halber die Reichweite der untersuchten Person, also die Entfernung zwischen Schultergelenk und Handgelenk bei ausgestrecktem Arm. In dem untersuch-
328
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
ten Beispiel war die rechte Hand 89% der Zeit innerhalb des entstandenen günstigen Bereiches und 11% außerhalb.
günstig : 89%
ungünstig : 11%
y-Koordinate [m]
0,6
Grenze des
ergonomisch günstigen
Griffbereichs
0,4
0,2
rechte Schulter
0
0
0,2
0,4
0,6
x-Koordinate [m]
0,8
12816
Abbildung 5: Auswertung der Greifbereiche
Die Anpassung des Arbeitsplatzlayouts im Anschluss an die Untersuchung verbessert die ergonomischen Arbeitsbedingungen für die Monteure.
5.2
Primär-Sekundär-Analyse
Die PSA geht über eine einfache Auswertung der Greifbereiche hinaus
und stellt eine Produktivitätsanalyse dar, bei der geprüft wird, welche
Tätigkeiten wertschöpfend sind und welche nicht. Der beschriebene
Ansatz geht dabei in mehreren Schritten vor. Zunächst wird aus den in
Abschnitt 4.3 beschriebenen Haltebereichen der für die PSA zentrale
Fügepunkt bestimmt.
Anschließend werden aus den Haltebereichen Bewegungen abgeleitet
und in sinnvolle und in nicht sinnvolle (tertiäre) Bewegungen unterteilt.
Die sinnvollen Bewegungen werden dann im letzten Schritt in primäre
und sekundäre Bewegung unterteilt.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
329
Ermittlung des Fügepunktes beziehungsweise Fügebereichs
Bei der PSA nach Lotter wird der Fügepunkt durch den Anwender
vorgegeben und basierend darauf wird die Primärreichweite festgelegt
(Lotter et al. 2002).
Bei der Durchführung der Analyse mit der Kinect eignet sich eine Aufnahme, wie sie Abbildung 4 zeigt. Dies ermöglicht die teilautomatisierte Bestimmung des Fügebereiches. Dem Anwender wird dabei der
Haltebereich mit den meisten Haltepunkten als Fügebereich vorgeschlagen, da hier im Idealfall die meisten Bewegungen starten oder
enden. Im nicht idealen Fall könnte es sein, dass ein zweiter Haltebereich über mehr Haltepunkte verfügt. In diesem Fall kann der Anwender die Festlegung des Fügebereichs ändern (Benter 2015). In Abbildung 4 würde Haltebereich C als Fügebereich vorgeschlagen, was
auch dem tatsächlichen Fügebereich entspricht. Für die weiteren Betrachtungen wird dann der Mittelpunkt dieses Fügebereichs als Fügepunkt verwendet. Diese Option hat den Vorteil, dass im Gegensatz zur
Variante von Lotter die Bestimmung des Punktes auf den aufgenommenen Daten basiert. Zudem können, im Gegensatz zur klassischen
Methode, für beide Hände unterschiedliche Fügepunkte definiert werden.
Identifizierung von nicht sinnvollen Bewegungen
Aus den ermittelten Haltebereichen und den aufgenommenen Bewegungen des Monteurs lässt sich eine Übersicht der Bewegungen erstellen, die tatsächlich stattgefunden haben. Abbildung 6 zeigt beispielhaft eine solche Darstellung.
330
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
A
F
y-Koordinate [m]
0,6
4
1
D
0,4
3
B
2
5
C
G
6
E
0,2
H
7
0
0
0,2
0,4
0,6
x-Koordinate [m]
0,8
12817
Abbildung 6: Identifizierte Bewegungen
Die Bewegungen zwischen den Haltebereichen werden nun vom Anwender daraufhin geprüft, ob sie der Montageaufgabe des Arbeitsplatzes entsprechen (sinnvolle Bewegung) oder ob sie dieser nicht zugeordnet werden können (nicht sinnvolle Bewegung). Die letzteren
Bewegungen werden im Folgenden als tertiäre Bewegungen bezeichnet und enthalten zum Beispiel Bewegungen, die durch ablaufbedingte
Unterbrechungen, durch Suchtätigkeiten oder durch unregelmäßige
Störungen entstehen (Benter 2015). Zur Identifizierung der tertiären
Bewegungen besteht die Möglichkeit, zusätzlich zu den Gelenkkoordinaten das Farbvideo aufzuzeichnen. In Abbildung 6 sind die Bewegungen 2, 3, 6 und 7 als tertiär identifiziert worden und die Bewegungen 1, 4 und 5 stellen primäre und sekundäre Bewegungen dar. Die
tertiären Bewegungen waren bei dieser Aufnahme die Bewegung zum
Ruhepunkt der rechten Hand (6), die Bewegungen zur Aufnahme von
fallengelassenen Teilen (2, 3) und die Bewegung zum Deaktivieren der
Kinect (7).
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
331
Unterteilung der sinnvollen Bewegungen in primäre und sekundäre
Anteile
Bei der PSA nach Lotter ist ein wichtiges Element für die Unterteilung
in primäre und sekundäre Bewegungen das Mindestmaß an Bewegung, das durch den Abstand zwischen dem definierten Fügepunkt
und dem nächsten Haltepunkt entsteht (Lotter et al. 2002). Zusätzlich
zu dieser durch den Anwender bestimmten Variante kann dieses Maß
aber auch aus den Messungen bestimmt werden. Es ergeben sich
insgesamt drei Optionen (Benter 2015):
1.
2.
3.
Vorgabe des Mindestmaßes durch den Anwender
Berechnung des Mindestmaßes aus den Haltebereichen
Bestimmung des Mindestmaßes nach ergonomischen Gesichtspunkten
Die zweite Option verwendet den Abstand zwischen dem Mittelpunkt
des Fügebereiches und dem Mittelpunkt des nächsten Haltebereiches.
In Abbildung 6 ist Haltebereich F der nächste Haltebereich, der mit
dem Fügepunkt über eine sinnvolle Bewegung verbunden ist. Das
bedeutet, dass Haltebereiche, in denen beispielsweise die Hand bei
Pausen abgelegt wurde, durch die Identifizierung der tertiären Bewegungen ausgeschlossen sind.
Die dritte Option beruht auf ergonomischen Gesichtspunkten, das
heißt das Mindestmaß wird aus den biologischen Merkmalen des Monteurs, wie z. B. der Armlänge, abgeleitet. Ein Beispiel hierfür wäre die
Distanz, die das Handgelenk zurücklegen kann, ohne dass der Oberarm bewegt werden muss. Ein Vorteil dieser Option ist, dass sie keine
Standardwerte für Körpermaße benötigt sondern durch die Kinectdaten
individuell an die Monteure angepasst wird.
Für die Analyse der Produktivität wurde der Einfachheit halber die
zweite Option gewählt, da diese eine automatisierte Ermittlung der
Mindestbewegungslänge ermöglicht. Nach der Ermittlung dieser Länge
werden die realen Bewegungen nach der Logik der PSA in primäre
und sekundäre Anteile aufgeteilt. Das heißt, von jeder Bewegung bildet
die Differenz zwischen der Bewegungslänge und der zuvor ermittelten
Mindestlänge den Sekundäranteil. Um die Ergebnisse zu visualisieren,
werden Bewegungen und ihre Primär- und Sekundäranteile wie in
Abbildung 7 dargestellt.
332
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
A
y-Koordinate [m]
0,6
F
1
4
D
0,4
5
B
G
C
E
0,2
PrimärBewegung
SekundärBewegung
H
0
0
0,2
0,4
0,6
0,8
x-Koordinate [m]
12818
Abbildung 7: Identifizierte primäre und sekundäre Bewegungen
Sekundärbewegungen [m]
Zusätzlich lassen sich die Ergebnisse, wie von Lotter vorgeschlagen,
durch eine vektorielle Abbildung darstellen (siehe Abbildung 8). Hierbei
werden nur primäre und sekundäre Bewegungen angezeigt, also Bewegungen, die direkt der Montageaufgabe zuzuordnen sind. Alternativ
könnte man auch die tertiären Anteile auf einer weiteren Achse darstellen oder Primärbewegungen Sekundär- und Tertiärbewegungen gegenüberstellen.
0,18
4
5
1
Primärbewegungen [m]
0,93
12819
Abbildung 8: Vektorielle Darstellung der Primär- und Sekundärbewegungen
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
333
Bisher sind die Bewegungen mit einer Längeneinheit dargestellt. Lotter
schlägt für die PSA jedoch Zeiteinheiten vor. Die mit der Kinect aufgenommenen Daten enthalten neben den Koordinaten auch die Zeitpunkte aller Aufnahmen, wodurch sich die Zeitdauern aller Bewegungen auch in Sekunden messen lassen.
Abbildung 9 zeigt die primären, sekundären und tertiären Zeitanteile
für den Aufnahmezeitraum. Der tertiäre Anteil ergibt sich dabei aus der
Summe der Zeitdauern der nicht sinnvollen Bewegungen. Der sekundäre Anteil umfasst den Anteil der sinnvollen Bewegungen, der die
Mindestdauer, die sich aus der Mindestlänge ergibt, überschreitet.
Entsprechend besteht der primäre Anteil aus den Zeitdauern der sinnvollen Bewegungen unterhalb der Mindestdauer.
Tertiäranteil
Sekundäranteil
Primäranteil
12820
Abbildung 9: Darstellung der Zeitanteile aller Bewegungen
Dadurch lässt sich zum einen der von Lotter definierte wirtschaftliche
Wirkungsgrad (W PS) berechnen. Nach Formel 1 ergibt sich ein Wirkungsgrad von 77% (1.116s/1.386s). Die Erweiterung der PSA um die
tertiären Bewegungen und damit die Analyse der tatsächlichen Abläufe
erlaubt es zum anderen, neben dem klassischen Wirkungsgrad einen
erweiterten wirtschaftlichen Wirkungsgrad (W PST) zu definieren, der
den Anteil der primären Aufwände an der gesamten Bewegungszeit
bestimmt (vgl. Formel 5). Für das Anwendungsbeispiel ergibt sich ein
erweiterter Wirkungsgrad von 62% (1.116s/1.790s). Dieser erlaubt es,
weitere Potenziale neben den sekundären Verschwendungen zu identifizieren.
334
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
WPST: erweiterter wirtschaftlicher Wirkungsgrad
PV:
Dauer der Primärvorgänge
TV:
Dauer der Tertiärvorgänge
SV:
Dauer der Sekundärvorgänge
Die mit der erweiterten PSA festgestellten Untersuchungsergebnisse
können nun genutzt werden, um zum Beispiel die Materialanordnung
am Arbeitsplatz zu optimieren oder um die Arbeitsabläufe besser aufeinander abzustimmen.
5.3
Auswertung der Bewegungsdauern und -häufigkeiten
Die erweiterte PSA erlaubt es damit, Verschwendungen in sekundären
und tertiären Bewegungen zu identifizieren. Sie zeigt zudem für die
Bewegungen, über welchen primären beziehungsweise sekundären
Anteil sie verfügen. Sie geht bisher noch nicht darauf ein, wie oft welche Bewegungen tatsächlich durchgeführt werden. Zudem stellt sie nur
die mittlere Länge oder Dauer der Bewegungen dar und geht nicht
darauf ein, wie diese Werte für die einzelnen Bewegungen verteilt sind.
Dieser Abschnitt zielt darauf ab, diese Probleme zu lösen.
Untersuchung der Bewegungshäufigkeiten
Die Aufnahme der realen Abläufe mit der Kinect erlaubt es, auch über
längere Zeiträume eine große Anzahl von Bewegungen zu erfassen,
was gerade bei kurzen Bewegungen nur durch eine Videoaufnahme
möglich wäre. Die nötige anschließende manuelle Auswertung wäre
recht zeitintensiv.
Abbildung 10 zeigt eine Darstellung, in der die Bewegungshäufigkeiten
mit den durchschnittlichen Bewegungsdauern für die Bewegungen mit
logarithmischen Skalen dargestellt sind. Zusätzlich sind Aufwandslinien eingetragen, die einem Gesamtaufwand in dem Aufnahmezeitraum entsprechen.
Man erkennt in der Abbildung beispielsweise, dass der Gesamtaufwand für Bewegung 5 fast 100 Sekunden erreicht, während die Bewegungen 2, 3 und 7 nicht einmal einen Gesamtaufwand von 10 Sekunden haben. Mit dieser Darstellung lässt sich also schnell ermitteln,
welche Bewegungen den größten Zeitanteil der Arbeitszeit einnehmen.
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
durchschnittliche Bewegungsdauer [s]
Gesamtaufwand (GA) = 10s
335
GA = 50s GA = 100s
1
4
1
5
7
2
6
3
0,1
1
10
100
Bewegungshäufigkeit
12821
Abbildung 10: Bewegungshäufigkeiten und –dauern
Untersuchung der Verteilung von Bewegungslänge und -dauer
Während sowohl bei MTM als auch bisher bei der PSA von einem
idealen Ablauf ausgegangen wird, sind reale Bewegungen selten identisch und die Untersuchung dieser Abweichung vom Idealfall kann
weitere Potenziale aufzeigen, da Schwankungen instabile Prozesse
kennzeichnen.
Abbildung 11 zeigt eine Auswertung der Bewegungslängen und
-dauern für Bewegung 1. Zum Vergleich ist die MTM-Normzeit für den
Prozess Hinlangen in Abhängigkeit von der Bewegungslänge dargestellt (einfachster Bewegungsfall, normale Beschleunigungsverläufe).
So wird ersichtlich, ob die Bewegungslänge variiert, wie stark die Bewegungsdauer bei identischer Bewegungslänge schwankt und ob der
Mittelwert über der MTM-Zeit liegt.
Mögliche Ergebnisse einer solchen Untersuchung sind zum Beispiel:
 Die hohen Schwankungen in der Länge von Bewegung 1
deuten darauf hin, dass das Material nicht stets am gleichen
Platz lag oder dass sich der Fügeort geändert hat.
336
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
 Die hohen Schwankungen in der Bewegungsdauer sind ein
Anzeichen dafür, dass die Bedingungen bei der manuellen
Arbeit nicht konstant waren.
 Die deutlichen Überschreitungen der MTM-Normzeit sind
ein Indiz für nicht ausreichend geschulte Mitarbeiter.
2
1,8
Bewegungsdauer [s]
1,6
1,4
Mittelwert
Spanne der
Bewegungslänge
1,2
1
Spanne der
Bewegungsdauer
0,8
0,6
0,4
MTM-Normzeit
für Bewegungsfall A und
Bewegungsverlauf Typ 1
0,2
0
20
25
30
35
40
45
Bewegungslänge [cm]
50
55
60
12822
Abbildung 11: Bewegungslänge und -dauer einer Bewegung
Basierend auf den Untersuchungsergebnissen können anschließend
gezielt Verbesserungen durchgeführt werden, indem beispielsweise
die Arbeitsbedingungen an die Arbeitsaufgabe angepasst werden oder
die Mitarbeiter besser geschult werden und so durch Lerneffekte die
Arbeitsgeschwindigkeit steigt.
6
Zusammenfassung und Ausblick
Dieser Artikel stellt einen Ansatz zur Analyse der Arbeitsproduktivität
mit 3D-Kameras am Beispiel der Microsoft Kinect vor. Die entwickelten
Auswertungen decken dabei drei verschiedene Arten von Potenzialen
zur Verbesserung auf:
Analyse von Arbeitsabläufen mit 3D-Kameras
337
 Nicht sinnvolle (tertiäre) Bewegungen, die den Arbeitsablauf
unterbrechen und somit eliminiert werden sollten.
 Sinnvolle Bewegungen (sekundäre oder ergonomisch ungünstige), die ungünstig für den Werker beziehungsweise
für die Arbeitsaufgabe sind und zum Beispiel durch ein besseres Layout optimiert werden können.
 Abweichungen von der Normzeit bei den sinnvollen Bewegungen, die beispielsweise durch Schulungen oder die Verbesserung der Arbeitsbedingungen reduziert werden sollten.
Im Gegensatz zur klassischen PSA bietet der vorgestellte Ansatz folgende Vorteile:
 Aufnahme realer Daten: Die vorgestellte Methode nimmt
nicht den idealen Montageprozess auf, sondern die realen
Prozesse und zeigt so neben den Verschwendungen durch
sekundäre Anteile auch Verschwendungen durch tertiäre
Anteile auf.
 Teilautomatisiert: Durch die Aufnahmen mit der Microsoft
Kinect wird der Aufwand für die Aufnahme der Prozesse
deutlich reduziert.
 Höhere Genauigkeit: Die Ermittlung des Fügepunktes aus
den Haltebereichen basiert auf realen Daten und kann für
beide Hände getrennt ermittelt werden.
 Visualisierung: Durch die grafische Darstellung der Haltebereiche und Bewegungen lassen sich direkt Potenziale wie
falsch platzierte Bauteile ermitteln.
Die Methode bietet die Möglichkeit zur Weiterentwicklung in mehreren
Punkten. Es können je nach Anwendungsgebiet neben den Handgelenken weitere Gelenkpunkte ausgewertet werden. Zudem kann untersucht werden, ob die primären Bewegungen immer wertschöpfend
sind oder ob weitere Unterteilungen nötig sind. Des Weiteren kann die
Zeit zwischen den Bewegungen noch detaillierter untersucht werden.
338
Martin Benter, Regina Cheung, Hermann Lödding
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66 S. 978-3-95545-093-9
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Lehren und Lernen
für die moderne Arbeitswelt
Der vorliegende Tagungsband stellt Forschungsergebnisse
der Mitglieder der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Arbeits- und Betriebsorganisation vor. Die Beiträge behandeln
das Thema aus der wissenschaftlichen Perspektive mit praktischen Umsetzungsbeispielen.
ISBN 978-3-95545-128-8
9
783955
451288
GITO
Schriftenreihe der Hochschulgruppe für Arbeits- und Betriebsorganisation e. V. (HAB)
Die industrielle Produktion unterliegt aufgrund innovativer Produktionstechnologien, vernetzter Produktionssysteme, neuer Organisationsformen und insbesondere
durch die zunehmende Durchdringung der Produktionsprozesse durch Informations- und Kommunikationstechnologien einem stetigen Wandel. Für die Wandlungsfähigkeit eines Produktionssystems sind die Kompetenzen der
Mitarbeiter von entscheidender Bedeutung. In der modernen Arbeitswelt werden von ihnen Innovationfähigkeit,
Komplexitätsbeherrschung und die ganzheitliche Betrachtung von Produktionsprozessen erwartet. Hierzu wurden
neue Lehr- und Lernkonzepte für die studentische Ausbildung und für die industrielle Weiterbildung entwickelt.
Lehren und Lernen für die moderne Arbeitswelt
Horst Meier (Hrsg.)