Predigt 2 WeltGemeinde 02.2015 Genug ist genug Eine Predigt zu Lukas 12,13-21 für das Erntedankfest Von Thomas Kuhlgatz „Der reiche Kornbauer“ ist eine der klassischen Perikopen für das Erntedankfest und dieses Jahr an der Reihe für die Predigt. Thomas Kuhlgatz hat in seiner Predigt die Gratwanderung zwischen den Punkten „Dankbarkeit“, „Genugsein lassen“ und dem in anderen Teilen der Welt herrschenden „Mangel“ unternommen. In dieser Gratwanderung findet er beherzt Antworten auf die Fragen, ob wir die Schieflage der Gerechtigkeit, die wir zu Erntedank nicht außer Acht lassen können, einfach so weiter hinnehmen müssen. 02.2015 WeltGemeinde 3 Predigt Liebe Schwestern und Brüder! Du Narr Liebe Eltern, Omas und Opas, Tanten und Onkels, Das Gleichnis endet mit einem Affront, einer Schmähung, liebe Paten und Erziehungsberechtigte unter euch: einer Provokation: „Du Narr!“ Mit dem Reichen Korn- Wann habt ihr das letzte Mal eines eurer Kinder bauern führt Jesus uns also ein Negativbeispiel vor Augen. ermahnen müssen: „Wie sagt man, wenn man etwas geschenkt bekommt?“ Liebe Kinder unter euch, wie oft meinen Erwachsene „Hütet euch, passt auf, dass ihr nicht so endet wie dieser Kornbauer! Macht es anders, macht es besser“, lautet die Ermahnung Jesu. euch daran erinnern zu müssen, dass ihr auch schön Was also ist falsch gelaufen bei dem reichen Kornbauern? brav „Danke“ sagt? Dabei muss der ermahnende Satz ja Und wie machen wir es heute am Erntedankfest besser, gar nicht immer voll ausgesprochen werden. Ein bedeu- damit nicht auch über unserem Leben das Urteil steht: tungsvolles Räuspern oder ein fragendes „Hallo“ mit „Du Narr!“? dem Unterton „fehlt da nicht noch etwas“ erzielen auch schon oft ihre Wirkung. „Danke“ wird dann noch schnell hinterher gemurmelt. Ob nun pflichtbewusst oder aus wirklich dankbarem Herzen, das sei einmal dahingestellt. Ich kann nichts dafür Jesus erzählt von einem Mann, der es nicht nötig hat, sich tagaus, tagein als Tagelöhner zu verdingen, um sich das Nötigste leisten zu können für sich und seine Familie. Jesus hat zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten und Der Mann ist reich. Er teilt nicht die Sorge, ob heute zu den verschiedensten Themen Gleichnisse, Geschichten oder vielleicht auch morgen noch das Brot reicht. Er ist erzählt. So werden wir nicht einfach von oben herab mit Gütern gesegnet und kurz vor der Ernte ist ein ermahnt oder besserwisserisch belehrt. Sondern, indem außergewöhnlicher Ertrag abzusehen. Nicht der tagtäg- wir der Geschichte nach-denken, denken wir auch über liche Mangel ist sein Problem. Worum seine Gedanken uns selbst und Gott und die Welt nach. Wir hören heute ein Gleichnis Jesu, das zum Ernte dankfest passt, weil es auch von einer guten Ernte handelt. Der Evangelist Lukas hat uns im 12ten Kapitel das Gleichnis vom Reichen Kornbauern überliefert. kreisen, ist überbordende Fülle. Am Reichtum des Mannes selbst aber ist noch nichts Tadelnswertes. Jesus erwähnt mit keinem Wort, das an dem Reichtum etwas Unrechtes wäre. Arm oder reich? Das sind Themen unserer Gesellschaft. Von Altersarmut ist die Rede oder von dem Armutsrisiko, Lukas 12,13-21 das bei Familien mit Kindern besteht. Wie hoch muss Das Gleichnis vom reichen Kornbauern eigentlich das Grundeinkommen sein, damit die Kosten, Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile. 14 Er fressen? aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter Doch auch mit der Flüchtlingsproblematik strömt das oder Erbschlichter über euch gesetzt? 15 Und er sprach Thema arm oder reich massiv auf uns ein. Die soge- zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn nannten Wirtschaftsflüchtlinge kommen nach Europa, niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. 16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott. 4 die das Leben eben mit sich bringt, einen nicht auf WeltGemeinde 02.2015 weil ihnen im Heimatland keine ausreichende Lebensgrundlage zur Verfügung steht. „Ich kann nichts dafür“, ist dann bei vielen unter uns eine beliebte Abwehrreaktion: Ich kann nichts dafür, dass dort extreme Klima verhältnisse herrschen. Ich kann nichts dafür, dass dort nicht genügend wächst. Ich kann nichts dafür, dass dort Misswirtschaft und Korruption herrschen und verfeindete Stämme einander kriegerisch gegenüber stehen. Ich kann doch nichts dafür! Geerntet wird überall auf der Welt. Wem aber kommt die Ernte zugute? 02.2015 WeltGemeinde 5 Predigt Es muss für alle reichen: Kinder stehen an der Essensxxx ausgabe in einem Camp für Flutopfer in Pakistan im Jahr 2010. „Ich kann doch nichts dafür“, das sagt auch ein Mensch, sagen wir in einer anderen Art: „Es reicht! Genug ist der wie heute am Erntedankfest, „Danke“ sagt. Denn: genug!“ Wir sagen danke, weil das, was wir an Lohn Ich kann nichts dafür, dass ich in einer gemäßigten und Ernte eingefahren haben, reicht und genug ist, um K limazone lebe, in der extreme und lebensfeindliche Leben zu können. Dabei trägt uns das Vertrauen, dass Wetterlagen selten sind. wir nicht allein um unser Leben sorgen müssen, sondern Ich kann nichts dafür, dass die Saat auch wirklich aufgeht zur Ernte. Ich kann nichts dafür, dass ich in einem Land lebe, in dem politische Stabilität herrscht. Ich kann nichts dafür! Darum feiern wir Erntedank aus der Gewissheit heraus, dass wir, bei aller Mühe und Arbeit, die wir aufwenden, Gottes reiche Zuwendung erfahren. Wir haben das, was unser Leben bestimmt, nicht allein in unserer Hand und Verfügung. Und mit Gott haben wir ein Gegenüber, dem wir unsere Dankbarkeit entgegenbringen können. Der reiche Kornbauer hatte nur sich selbst. Genug ist genug „Es reicht! Genug ist genug!“, lautet ein Ausruf, wenn mir alles zu viel wird, wenn mir die Sachen über den Kopf einen Gott haben, der sich um uns kümmert. Güter und Gaben kommen von Gott und er weiß, was seine Kinder brauchen. Seine Sorge gilt uns und er will unser Leben bewahren. Der Reiche Kornbauer unterlag dem fundamentalen Irrtum, für sein Leben allezeit allein sorgen und vorsorgen zu müssen. Er wollte sein eigenes gelingendes Leben erkaufen und durch materielle Besitztümer absichern. Dabei verliert er das rechte Maß aus den Augen und rafft für sich und sein zukünftiges Leben alles zusammen. Verräterisch ist sein Gedanke: „Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.“ Ist das nichts, was er an Scheunen bisher hatte, ist das nichts, was er bisher an Gütern besaß? Er hatte genug, aber das war für ihn alles nichts. Es reichte, um reich zu sein, aber das war in seinen Augen nicht genug. Er wollte sein Leben für alle Zeit, für Jahre hinaus absichern, dabei hatte er doch nur einen Tag, um den er sich hätte sorgen müssen. wachsen, wenn ich nicht mehr bereit bin alles geduldig zu ertragen. „Genug ist genug“ lautet der Aufschrei, der mich zur Gegenwehr aufstachelt. 6 Da kann man doch nicht nichts machen „Wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“, Wenn wir heute am Erntedankfest auf den Ertrag so lautet die Frage am Ende des Gleichnisses. Für uns unserer Arbeit und auf den Erntesegen schauen, dann heute am Erntedankfest ist das keine Aufforderung an WeltGemeinde 02.2015 uns, unsere Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Sicher, das ist nicht verkehrt. Es ist die Frage, hier und heute über unsere Besitzverhältnisse nachzudenken. Wem gehört das alles, was ich mir mit Mühe und Arbeit erwirtschaftet habe, wenn ich doch alles letztendlich Gott als Geber aller Gaben verdanke? Indem wir Gott danken, werden wir frei, dies nicht als persönlichen Besitz sondern als anvertraute Gaben zu betrachten. Indem wir danken, ist die Sorge um das tägliche Brot aufgehoben in der Gewissheit, für mich ist gesorgt. Vielmehr wird aber die Sorge um das Brot meines Nächsten zu einer geistlichen Frage, zur Anfechtung. Hat Gott ein Siebtel der Menschen vergessen? Obwohl ausreichend Nahrungsmittel für alle produziert wird, sterben täglich 25.000 Menschen an den Folgen des Hungers. Im Dank am Erntedankfest ruhen wir nicht in uns selbst, sondern im Blick auf den Geber aller Gaben bekommen wir jene zu sehen, die bisher wenig Grund zum Danken haben. Wir werden frei, das Notwendige zu unterscheiden von dem Überflüssigen, das geteilt werden soll. Weil Dankende durch das Gottesreich motiviert sind, bekommen sie das rechte Verhältnis zum Geld. Sie wissen, dass ein Minimum zum Leben unerlässlich ist, aber sie verfügen frei über den Rest durch Geben und Teilen. Brot für die Welt bietet genügend Möglichkeiten, um gegen den resignierten Ausruf: „Da kann man ja doch In Burkina Faso ermöglichen Brunnen und Rückhalte becken den Anbau von Gemüse auch in der Trocken periode. In Kenia entdecken Kleinbauernfamilien Sorghum und andere traditionelle Nahrungspflanzen neu und freuen sich über die positiven Folgen für ihre Gesundheit. In Indien werden Menschen auf dem Lande durch das Anlegen von Saatgutbanken sowie Schulungen in nachhaltiger Landwirtschaft unterstützt. In Kambodscha haben viele Reisbauernfamilien eine Perspektive, weil sie auf nachhaltige Anbaumethoden und den Fairen Handel setzen. Ist das nichts? Am Erntedankfest sagen wir „Danke“, weil wir nichts dafür können, dass die Saat aufgegangen ist zur reichen Ernte. Wir sagen „Danke“, weil es reicht und genug ist zum Leben. Wir lassen den Dank zur Tat werden und sagen: „Um Gottes Willen, da kann man doch was machen!“ Ich wünsche allen ein in Gottes Augen gelingendes Leben, das sich weder kaufen, noch durch materielle Besitztümer absichern lässt. Ich wünsche allen die Fülle des Lebens, die wesentlich bestimmt ist von gelingenden Beziehungen zu Gott, zu anderen Menschen und zur Schöpfung. Amen nichts machen“ anzugehen. Vielmehr wird die Sorge um das Brot meines Nächsten zum Ansporn zu sagen: „Da kann man doch nicht nichts machen!“. In den vielen kleinen und großen Projekten, die Brot für die Welt unterstützt, bekommen Menschen eine Lebensgrundlage: In Peru z.B. haben die spanischen Eroberer den Anbau von Quinoa verboten. Dabei ist die Andenhirse reich an Proteinen und Mineralstoffen. Brot für die Welt unterstützt dort ein Projekt, durch das heute die Quinoa wieder zur gesunden Ernährung der Kleinbauernfamilien Thomas Kuhlgatz ist Theologe und staatlich geprüfter Informatiker. Beruflich ist er „Ehemann einer Pastorin“, arbeitet aber auch als Kassierer an einer Tankstelle und ist Prädikant im K irchenkreis NeustadtWunstorf (Hannoversche Landeskirche) und zu einem besseren Einkommen beiträgt. 02.2015 WeltGemeinde 7
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