Drucksache 17/5010 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Unterrichtung Der Präsident des Niedersächsischen Landtages – Landtagsverwaltung – Hannover, den 14.01.2016 Kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen Beschluss des Landtages vom 16.07.2015 - Drs. 17/3928 Der Landtag stellt fest: Ende des Jahres 2013 lebten rund 525 000 Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Niedersachsen, davon etwa 280 000 aus Nicht-EU-Staaten, also sogenannte Drittstaatsangehörige. Das 18. Lebensjahr hatten davon wiederum ca. 200 000 Drittstaatsangehörige vollendet. Anders als Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ist es Drittstaatsangehörigen auch nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland verwehrt, das Zusammenleben politisch mitzugestalten, da sie nicht einmal auf kommunaler Ebene an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen dürfen. Dieser Teil unserer Bevölkerung ist von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Dabei sollen alle Menschen in Niedersachsen die Chance erhalten, sich aktiv an der Gestaltung ihres Wohn- und Lebensumfeldes zu beteiligen. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, 1. sich auf Bundesebene für ein kommunales Wahlrecht für alle dauerhaft hier lebenden Menschen einzusetzen und zu diesem Zweck eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Artikels 28 Abs. 1 des Grundgesetzes mit dem Ziel, den Ländern die Ausweitung des kommunalen Wahlrechts zu ermöglichen, zu unternehmen, 2. in einem zweiten Schritt nach Änderung des Grundgesetzes im oben genannten Sinne eine Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) anzustoßen. Antwort der Landesregierung vom 12.01.2016 In einer repräsentativen Demokratie ist das wichtigste Instrument politischer Partizipation das Wahlrecht. Dieses steht auf kommunaler Ebene derzeit Deutschen und hier lebenden Angehörigen anderer EU-Mitgliedstaaten, den sogenannten Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern, zu (Artikel 28 Abs. 1 Grundgesetz - GG -, §§ 48 und 49 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz). Dauerhaft hier lebende Ausländerinnen und Ausländer können zwar in Ausschüssen kommunaler Vertretungen als beratende Ausschussmitglieder mitwirken, aktiv in Ausländer- oder Integrationsbeiräten mitarbeiten, Einwohneranträge einreichen oder Ausländer- bzw. Integrationsbeauftragte einschalten, das kommunale Wahlrecht bleibt ihnen bislang jedoch verwehrt, obwohl sie von politischen Entscheidungen vor Ort genauso betroffen sind, wie alle Deutschen und Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Die Landesregierung sieht in der Gewährung des kommunalen Wahlrechts auch einen wichtigen Baustein zur Integration, da durch politische Partizipation eine größere Identifikation mit dem Gemeinwesen stattfindet. Die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für dauerhaft hier lebende Ausländerinnen und Ausländer, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen (sogenannte Drittstaatsangehörige), durch den niedersächsischen Landesgesetzgeber allein ist verfassungsrechtlich jedoch nicht möglich, wie zuletzt der Bremische Staatsgerichtshof mit Urteil 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5010 vom 31.01.2014 (Az. St 1/13) entschieden und damit einen entsprechenden Vorstoß der Bremischen Bürgerschaft als verfassungswidrig abgelehnt hat. Daher ist zunächst eine Änderung von Artikel 28 Abs. 1 GG erforderlich. Für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat erforderlich (Artikel 79 Abs. 2 GG). Die Zulässigkeit einer solchen Verfassungsänderung ist rechtlich nicht unumstritten. Ihr könnte die sogenannte Ewigkeitsgarantie aus Artikel 79 Abs. 3 GG entgegenstehen. Nach dieser Bestimmung wäre eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig, wenn dabei die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt würden. Sowohl Artikel 20 Abs. 2 GG als auch Artikel 28 Abs. 1 GG sind in Literatur und Staatspraxis bisher überwiegend dahin gehend interpretiert worden, dass unter dem in beiden Normen genannten Begriff „Volk“ nur das aus Deutschen bestehende Staatsvolk zu verstehen sei. Da der Begriff des Staatsvolks bisher nach überwiegender Meinung zu den unveränderlichen Begriffen und Inhalten des Artikels 20 GG gezählt wurde, sind die für eine Grundgesetzänderung erforderlichen Zweidrittelmehrheiten versagt worden. Die Landesregierung teilt jedoch die Auffassung der Experten, die eine Änderung des Artikels 28 GG zugunsten eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige für zulässig halten. Anknüpfungspunkt ist dabei Artikel 28 Abs. 1 Satz 3 GG, der im Zuge der Umsetzung des Vertrages von Maastricht im Jahr 1992 eingeführt wurde und auch den nichtdeutschen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern die Teilnahme an Kommunalwahlen in Deutschland gestattet. Dabei geht die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass diese Regelung des Artikels 28 Abs. 1 Satz 3 GG in der gegenwärtigen Fassung verfassungsgemäß ist und keinen Verstoß gegen Artikel 79 Abs. 3 GG darstellt. Wenn aber die Regelung des Artikels 28 Abs. 1 Satz 3 GG durch die Besonderheiten der Kommunalebene gerechtfertigt sei, so dürfe es keinen Grund geben, das Kommunalwahlrecht nicht auch auf Drittstaatsangehörige zu erweitern, da insofern keine relevanten Unterschiede zwischen Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern sowie Drittstaatsangehörigen ersichtlich seien. Die Landesregierung sieht daher eine Änderung des Artikels 28 GG als verfassungsrechtlich zulässig an. Dies vorausgeschickt, wird zu den Nummern 1 und 2 der Landtagsentschließung Folgendes ausgeführt: Zu 1: Um die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für alle dauerhaft hier lebenden Menschen nach Landesrecht zu erreichen, ist die Landesregierung im Sommer 2015 einer Gesetzesinitiative des Landes Rheinland-Pfalz im Bundesrat zur Änderung des Artikels 28 GG (BR-Drs. 623/07) als Mitantragstellerin beigetreten. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass den Bundesländern die Möglichkeit eingeräumt wird, ein kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige durch Landesrecht einzuführen. Zudem soll klargestellt werden, dass die Einräumung des Wahlrechts auch das Abstimmungsrecht auf kommunaler Ebene beinhaltet. Die Initiative des Landes Rheinland-Pfalz stammt aus dem Jahr 2007 und ist im Bundesrat noch nicht abschließend beraten. Der Initiative des Landes Rheinland-Pfalz sind neben dem Land Niedersachsen bislang auch die Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg und SchleswigHolstein als Mitantragsteller beigetreten. Zu 2: Nach einer Änderung des Artikels 28 GG im Sinne der Landtagsentschließung strebt die Landesregierung eine Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes an, um allen dauerhaft hier lebenden Drittstaatsangehörigen die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen auf kommunaler Ebene zu ermöglichen. 2 (Ausgegeben am 20.01.2016)
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