Tier ■ BAUERNBLATT l 6. Juni 2015 kommen wir auf einen theoretischen Buchtenanteil pro Bulle von 3,5 m². Aber für Tiere von über 350 kg sind 4,5 m² gefordert. Ähnlich sieht es bei Tretmistställen aus. Unklarheiten auch bei Milchviehställen Bild 4: Ein Holsteiner Kälberstall mit hohem Tierkomfort und Außenklimabedingungen erfüllt nicht die AFP-Anforderungen für eine Förderung. Der Grund: Es ist kein „Offenstall“. Fotos: Dr. Hans-Jürgen Kunz um ungestört voneinander liegen und fressen zu können. Das funktioniert nur, wenn die Buchten eine ausreichende Tiefe haben. Tiefe Buchten haben zwangsläufig ein größeres Tier-Fressplatz-Verhältnis als solche mit einer geringeren Tiefe. Hier wird im Sinne des Tierwohls ein Merkmal vernachlässigt, das viel wichtiger ist als die Fressplatzbreite pro Tier. Bild 3 zeigt eine 10 m breite und 8,75 m tiefe Bucht mit 25 Mastbullen auf Spaltenboden, der mit einer Gummiauflage belegt ist. Wir können sehen, dass die Tiere im hinteren Bereich ungestörtliegen,genügendFlächefür Bewegung haben und trotzdem reichlich Platz am Futtertisch besteht. Ein Tier-Fressplatz-Verhältnis von 1,2 zu 1 wird auch bei einer Fressplatzbreite von 55 cm nicht erreicht, aber eines von 1,5 zu 1 ja. In einem weiteren Punkt würde dieser Stall dann aber doch durchfallen. Trotz sehr viel freier Fläche, wie auf dem Foto zu sehen ist, Bei der Förderung von Milchviehställen gibt es ähnliche Probleme. Der schönste dreireihige Liegeboxenlaufstall wird die geforderten Kriterien in puncto Tier-FressplatzVerhältnis, das auch hier 1,2 zu 1 sein muss, nicht erfüllen können. Größere Chancen hat ein Milchviehstall mit einem automatischem Melksystem (AMS), wenn der Futtertisch in Richtung AMS erweitert wird. Der Grund ist: Für diese Ställe ist nur ein TierFressplatz-Verhältnis von 1 zu 1,5 vorgeschrieben. Der Holsteiner Kälberstall hat leider keine Chance gefördert zu werden, trotz Außenklimabedingungen im Sommer (siehe Bild 4) und Witterungsschutz im Winter. Denn für die Kälber wird während der Weideperiode ein täglicher Auslauf gefordert. Alternativ sollen auch Offenställe gefördert werden, die wir selbst aus Tierwohlsicht nur noch unter bestimmten Bedingungen für sehr windgeschützte Standorte empfehlen. FAZIT Wir setzen uns sehr dafür ein, das Tierwohl in der Fütterung und Haltung ständig zu verbessern. Leider stehen diesem Anliegen immer häufiger starre Regelwerke sowohl in der konventionellen als auch in der ökologischen Rinderhaltung entgegen. In ihrer Präambel ist zwar das Ziel einer Verbesserung des Tierwohls definiert, einzelne Vorgaben erzielen aber nicht selten eine gegenteilige Wirkung. Wir haben dazu eine Auswahl an Beispielen in diesem Beitrag erläutert. Die beschriebenen Diskrepanzen zwischen dem, was gewollt, und dem, was mit bestimmten Vorschriften erreicht wird, sind sicherlich nicht willentlich geschehen. Darum wäre es wünschenswert, fände eine Entbürokratisierung und die Konzentration auf die für das Tierwohl wichtigen Punkte statt. Dieser Prozess sollte allerdings im Dialog mit der landwirtschaftlichen Praxis erfolgen. Dr. Hans-Jürgen Kunz Landwirtschaftskammer Tel.: 0 43 81-90 09-48 [email protected] Schweine aktuell: Richtiges Beschäftigungsmaterial im Stall Jutesäcke bei Sauen und Ferkeln beliebt Laut Tierschutznutztierhaltungsverordnung muss Sauen vor dem Abferkeln Nestbaumaterial angeboten werden. Auch Ferkel und Mastschweine müssen Beschäftigungsmaterial erhalten. Doch wie lassen sich der Einsatz von Nestbaumaterialien in der Abferkelbucht sowie organisches Beschäftigungsmaterial für Saug- und Absetzferkel mit einem funktionierenden Güllesystem in Einklang bringen? Wer den Kriterienkatalog der Initiative Tierwohl liest, stellt schnell fest, dass organisches Beschäftigungsmaterial als nahezu essenziell für eine artgerechte Haltung angesehen wird. Stroh wird hier oft zum Problem, da sich bei der Entmistung über Wechselstausysteme schnell feste Bestandteile ansammeln. Das Stroh wird nicht ausreichend zer- setzt und verstopft schnell Leitungen und Pumpen. Hinzu kommen dann Schwierigkeiten bei der Ausbringung. Jutesack als Alternative zu Stroh Alternativ lassen sich Jutesäcke nutzen, da sie nicht durch die kleinen Spalten im Abferkelbereich rutschen können. Sie werden mit Kabelbinder an einer der Querstreben des Ferkelschutzkorbs angebracht. Hierzu kann man einen besonders starken Kabelbinder (300 mm x 7,7 mm) oder mehrere dünnere (200 mm x 4,8 mm) verwenden. Stabil wird die Anbringung durch das Falten des Jutesacks. Wenn man ihn oben am Ferkelschutzkorb anbringt, kann die Sau den Kabelbinder nicht erreichen, was das Verletzungsrisiko am Rüssel minimiert und ebenfalls zur Stabilität beiträgt. Dies führt aber dazu, dass das Wühlen mit dem Sack am Boden eingeschränkt ist, da dieser nur noch mit dem unteren Saum am Boden hängt. Um dies zu gewährleisten, kann der Jutesack ebenfalls in Troghöhe aufgehängt werden. Mittels eines Hakens, der an die Verankerung des Ferkelschutzkorbs von außen angebracht wird, ist eine dauerhafte Halterung gegeben, in die man bei jedem Durchgang einen neuen Jutesack einhaken kann. Hierzu faltet man den Sack und pikt ihn mittig auf. Er befindet sich dann außen am Ferkelschutzkorb, was dazu führt, dass er nicht so leicht im Trog hängt. Die Sau kann am Boden ihrem Nestbauverhalten nachgehen. Außerdem beschäftigen sich die Ferkel Den Jutesack falten und mit einem später ebenfalls mit dem Jutesack. Dieses Befestigungssystem funktiostarken Kabelbinder befestigen. Foto: Caren Ahrendt niert auch mit einlagigen Jutetü- 39 40 Tier BAUERNBLATT l 6. Juni 2015 ■ sich ein Nest zu bauen. Dies dient vor allem dem Schutz und der verbesserten Thermoregulation der Ferkel. Das Nestbauverhalten ist also eine natürliche Verhaltensweise der Sau, die durch angebotenes Nestbaumaterial gefördert wird. Am Innovations-Centrum in Sterksel wurden einer Sau, die bereits dreimal in einer konventionellen Abferkelbucht geferkelt hatte, in einer großen Bucht Stroh und Jutesäcke als Nestbaumaterial vorgelegt. Sie begann vor der Geburt eine Kuhle im Stroh zu formen und diese mit Jutesäcken auszukleiden. Dies zeigt, dass auch domestizierte Schweine den Nestbautrieb haben. Das Video ist auf Youtube zu finden – Stichwort „nestbuilding sow“. Jutesack, festgezogen im Montagebügel. Foto: Christian Meyer chern. Diese bestellt man als Endlosrolle und schneidet die benötigte Breite jeweils ab. Eine weitere dauerhafte Variante stellt ein Montagebügel dar. Haltbar wird dieses System durch Anbringung der Öffnung nach unten. Der Jutesack wird in den Schlitz geklemmt und über die Querstrebe des Ferkelschutzkorbs nach unten aufgehängt. Auf diese Weise zieht die Sau den Jutesack automatisch im Bügel fest. Alternativ kann der Jutesack einfach der Sau vorgelegt werden, allerdings erst kurz vor dem erwarteten Geburtstermin. Denn nur dann beschäftigt sich die Sau auch damit. Andernfalls landet der Sack schnell in der Tränke oder gar im Kotbereich und ist für die Sau nicht mehr interessant. Ohne Anbringung ist jedoch die Möglichkeit zu wühlen am besten gewährleistet. Nestbauverhalten ist natürliches Verhalten Kürzere Geburt durch Nestbau Außerdem führt der Jutesack dazu, dass dieses Nestbauverhalten ohne Lautstärkeentwicklung vonstattengeht. Hat die Sau kein Nestbaumaterial, aber trotzdem eine hohe Unruhe vor der Geburt, beißt sie auf das Gestänge des Ferkelschutzkorbs und auf die Trogkante. Das bedeutet für andere Tiere und das betreuende Personal im Abteil Stress. Gleichzeitig ist die Sau selbst unter Druck, da sie zwar versucht, ein Nest zu bauen, dabei aber keinerlei Veränderung in ihrer Umgebung erzielen kann. Sie hat keinen Erfolg und erreicht nicht ansatzweise ein fertiges Nest. Die Folge ist laut Untersuchungen im Innovations-Center in Sterksel eine verlängerte Geburt. Die Ferkel, die zuletzt geboren werden, haben weniger Sauerstoff zur Verfügung, sind weniger vital und orientierungslos und nehmen weniger Kolostrum auf. Nestbaumaterial einzusetzen kann dazu führen, dass die Sau sich physisch und psychisch auf die Geburt vorbereitet. Sie erreicht eine Veränderung und Verformung ihrer Umgebung und schüttet mehr Oxytocin aus, sodass sich die Gebärmutter stärker kontrahiert. Aufgrund dessen läuft die Geburt schneller ab. Nicht alle Sauen nutzen den Jutesack tatsächlich, einige beachten ihn direkt vor dem Abferkeln gar nicht bis kaum. Allerdings ist den besonders unruhigen Sauen, die ihn nutzen, sprich abreißen und beinahe zerfetzen, sehr damit geholfen. Im Zuge einer Untersuchung im Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp zeigte sich, dass Sauen mit einem Jutesack vor dem Abferkeln deutlich aktiver waren als solche, denen kein Material angeboten wurde. In den zehn bis zwölf Stunden vor dem Abferkeln war eine deutlich erhöhte Aktivität gegenüber den Tagen davor erkennbar. Die Kontrollgruppe ohne Jutesack zeigte ebenfalls diese Aktivität vor dem Abferkeln, allerdings deutlich weniger Jutesäcke nicht wieder ausgeprägt. verwenden Angelehnt an das Verhalten von Nach dem Abferkeln kann der JuWildschweinen ist davon auszugehen, dass diese Aktivität das Ziel hat, tesack auf das Ferkelnest gelegt wer- den, um den Ferkeln als weiche und warme Unterlage zu dienen. Im Zuge einer Untersuchung im LVZ Futterkamp ist aufgefallen, dass dies nur funktioniert, wenn die Sau sich zuvor mit dem Jutesack auch beschäftigt hat. Der Geruch der Mutter an dem Jutesack lockt die Ferkel in das Nest. Beachtete die Muttersau den Jutesack jedoch kaum vor dem Abferkeln, fiel auf, dass diese Würfe den Jutesack als Liegefläche mieden. Dies führte dann dazu, dass viele Ferkel am Gesäuge oder auf den Spalten verteilt schliefen. Aus hygienischen Gründen ist der Jutesack nur einmal zu verwenden. Wird er von der Sau abgerissen und von den Ferkeln in den Kotbereich gespielt, ist er augenblicklich als Beschäftigungsmaterial uninteressant und muss entsorgt werden. Beschäftigungsmaterial in der Ferkelaufzucht Im Ferkelaufzuchtstall findet der Jutesack ebenfalls Verwendung. Auch hier dient er als interessantes, da verformbares Beschäftigungsma- sant für die Ferkel. Er wird am besten angenommen, wenn er im Aktivitätsbereich frei hängt. So bewegt er sich am meisten und animiert die Ferkel dadurch zum Spielen. Die Befestigung erfolgt einfach mit einem Kabelbinder oder Sachsband an einer Kette, die von der Decke hängt. Für die Initiative Tierwohl gilt, dass das organische Beschäftigungsmaterial an derselben Kette wie das gesetzlich vorgeschriebene Spielzeug hängen darf. Alternativ kann er auch an einer Buchtenwand oder Querstrebe angebracht werden. Idealerweise wird der Jutesack zu einem Dreieck gefaltet und mit der Spitze nach unten aufgehängt. Auf jeden Fall Bodenkontakt vermeiden Wichtig ist, dass der Jutesack nie den Boden berührt. Beim Aufhängen sollte daher mindestens ein Abstand von 10 cm zu den Spalten eingehalten werden, da die Ferkel den Sack noch um einiges in die Länge ziehen. Wird er für die Ferkel langweilig, muss ein neuer her. In manchen Buchten ist das alle ein bis zwei Tage der Fall. Selbst wenn der Sack nicht verbraucht aussieht, ist er zu entsorgen, ohne ihn von Bucht zu Bucht weiterzugeben. Auch nach dem Ausstallen einer Gruppe ist der Jutesack zu entfernen, denn Beschäftigungsmaterial mit Stallgeruch ist uninteressant. Liegt der Jutesack abgerissen im Kotbereich, wird er außerdem zum Fliegennest. FAZIT Frei aufgehängte Jutesäcke werden besonders gut angenommen. Foto: Dr. Onno Burfeind terial und beugt Kannibalismus vor. Zur Verhinderung von Schwanz- und Ohrenbeißen in der Ferkelaufzucht ist es wichtig, den Tieren häufig etwas Neues anzubieten. Das jeweilige Beschäftigungsmaterial darf dabei keinen Stallgeruch aufweisen, sprich es sollte von außen regelmäßig neu in die Buchten gebracht werden. Ein Jutesack hat auch hier den großen Vorteil, dass sich keine Schwierigkeiten mit dem Güllesystem ergeben. Außerdem ist ein neuer Jutesack auch jedes Mal wieder interes- Sowohl im Abferkelstall als auch in der Ferkelaufzucht wird der Jutesack als Nestbau- und Beschäftigungsmaterial von Sauen und Ferkeln gut angenommen. Er kann schnell und einfach befestigt werden und gleichzeitig nicht in den Güllekanal fallen. Sauen haben die Möglichkeit, ihr Nestbauverhalten auszuleben, und der Jutesack kann nach dem Abferkeln als weiche Unterlage für das Ferkelnest dienen. Im Ferkelaufzuchtstall stellt der Jutesack ein für die Ferkel sehr interessantes Spielzeug dar, das, wenn es regelmäßig erneuert wird, einen Beitrag zur Verringerung von Schwanzbeißen leistet. Caren Ahrendt Landwirtschaftskammer Tel.: 0 43 81-90 09-19 [email protected]
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