Für Maus und Mensch

BZ
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Montag, 8. Februar 2016
RBS schafft
mehr
Kameras an
BAHNVERKEHR Der RBS rüstet seine Bahnhöfe mit einer
Videoüberwachung aus. Diese
soll Vandalenakte verhindern
und gleichzeitig der Betriebssicherheit dienen.
Alle Züge und Busse des Regionalverkehrs Bern Solothurn
(RBS) sind seit einigen Jahren
mit Videokameras ausgerüstet.
Seit deren Einführung seien die
Schäden durch Vandalenakte um
rund drei Viertel zurückgegangen, sagt RBS-Sprecherin Fabienne Thommen. Die Kameras
hätten ebenfalls eine subjektive
Wirkung. Umfragen haben gezeigt, dass sich die Fahrgäste dadurch sicherer fühlen würden.
Alle Bahnhöfe ausrüsten
Von den dreissig RBS-Bahnhöfen
werden heute deren vier mit Videokameras überwacht: Bern,
Zollikofen, Worb und Solothurn.
Alle Daten der Überwachungskameras werden während 72 Stunden gespeichert und, falls es keine Vorfälle gibt, anschliessend
wieder überschrieben.
Ab dem kommenden Sommer
ersetzt der RBS die bestehenden
Videokameras für mehr Sicherheit
an den RBS-Bahnhöfen.
Jürg Spori
Überwachungskameras und rüstet alle Bahnhöfe auf den Linien
von Bern nach Solothurn, Unterzollikofen und Worb damit aus.
Der Auftrag für die Lieferung der
Geräte ist zurzeit öffentlich ausgeschrieben. Ebenfalls überwacht werden künftig die Werkstätten in Worbboden, die Depots
in Worblaufen und Solothurn sowie die Busgarage in Worblaufen.
Keine Kameras erhalten die Haltestellen der Linie des blauen
Bähnli und die Bushaltestellen.
Als Rückspiegel
Diese Kameras sollen nicht nur
Vandalen abhalten. Sie können
gleichzeitig für die Betriebssicherheit eingesetzt werden, als
sogenannte digitale Rückspiegel.
«Einige unserer Bahnhöfe befinden sich in einer Kurve, sodass
der Lokführer nicht den ganzen
Zug im Rückspiegel sieht», sagt
Thommen. Mit dem neuen System kann er die Bilder von den
Kameras am Bahnhof in seinen
Führerstand zuschalten und reagieren, falls im toten Winkel etwas geschieht. Oder wenn etwa
jemand noch einsteigen will und
den Türknopf drückt, nachdem
die Verriegelung aktiviert ist, wie
Fabienne Thommen ergänzt. Der
digitale Rückspiegel soll Zwischenfälle vermeiden. «Wir hatten glücklicherweise noch keinen
Unfall.»
Die Bilder der Überwachungskameras unterliegen dem Datenschutz. Beim RBS seien nur sehr
wenige Personen berechtigt, die
Bilder anzuschauen, und das nur,
wenn es einen Verdacht gebe, so
Thommen. Zudem können Polizei und Staatsanwaltschaft die
Herausgabe der Daten verlangen.
Jährlich kläre die Polizei dank
der Bilder ein bis zwei Delikte auf,
sagt Fabienne Thommen.
Auch die BLS will weitere
Bahnhöfe mit fixen Überwachungskameras ausrüsten, wie
eine Bahnsprecherin gegenüber
dem «Bund» sagte.
hus
TIERVERSUCHE AN DER UNI BERN
Für Maus und Mensch
Der geplante Laborneubau an der Murtenstrasse gibt den Gegnern Anlass zu einer Grundsatzdebatte über Tierversuche. Ein
Besuch im Versuchslabor der Universität Bern, wo jährlich über
17 000 Tiere im Dienste der Wissenschaft ihr Leben lassen.
Wer durch die Türen zu den Zentralen Tierställen der medizinischen Fakultät der Universität
Bern gehen will, muss einen ganzen Katalog von Bedingungen erfüllen: 48 Stunden kein Kontakt
zu Nagetieren. Keine Film- oder
Fotoaufnahmen. Obligatorischer
Schutzanzug. Und: absolute Diskretion, was bestimmte Informationen anbelangt. Wo sich das Labor befindet, wie die Tierpfleger
heissen, was ausserhalb der «geführten Tour» gesichtet wird,
muss geheim bleiben. Denn in
diesem Trakt des Departements
Klinische Forschung werden
Tierversuche durchgeführt. Es
gilt deshalb: Keimfreiheit für die
Mäuse, Schutz für die Menschen
– weil Gegnerfront und die Skepsis gegenüber solchen Versuchen
wachsen.
Dies ist auch der Grund, weshalb die Bernerinnen und Berner
am 28. Februar über den Laborneubau der Universität an der
Murtenstrasse 20 bis 30 abstimmen können. Weil darin auch
eine Anlage für Zucht und Haltung von 15 000 bis 17 000 Labormäusen geplant ist, haben Tierschützer gegen den 142-Millionen-Kredit das Referendum ergriffen. Die von den Gegnern
lancierte Grundsatzdebatte über
Tierversuche macht die Verantwortlichen von Universität und
Behörden nervös. «Wir haben in
letzter Zeit einzelne Anrufe von
Tierversuchsgegnern erhalten,
die uns beschimpft haben», sagt
denn auch Denise Suter, Leiterin
Zentrale Tierställe.
Rückzug für die Maus
Die nächste Grenze, die es zu
überschreiten gilt, ist eine gelbe
Linie am Boden. Sie trennt den
sauberen vom schmutzigen Bereich. Jetzt heisst es Hände desinfizieren, Überschuhe, Overall,
Mundschutz, Handschuhe und
Haube überstülpen. Jeder einge-
schleppte Keim kann die gut
13 000 Mäuse in Bern gefährden.
«Die Gesundheit der Tiere steht
an oberster Stelle», sagt Denise
Suter. Einer der Hauptgründe für
den Neubau: die räumliche Trennung von Zucht/Haltung und
Forschung. «Dadurch haben weniger Menschen Zutritt zu den
Zucht- und Haltungsräumen,
und es ist einfacher, die Qualität
hoch zu halten», so Suter.
Die Luft scheint durch den
Mundschutz noch dicker. Wie
aufeinandergestapelte Schuhschachteln stehen die Plastikkäfige im Stallraum, es sind rund
800. Einer ist 501 Quadratzentimeter gross. Es gibt darin ein Gitter zum Klettern, Zellulose für
den Nestbau, Holzeinstreu, ein
Nageholz, Wasser, Futter und ein
Rückzugshäuschen. Die doppelt
gefilterte Luft gelangt über
Schläuche rein. Eine bis fünf
Mäuse teilen sich einen Käfig.
Augensalbe für die Maus
Ein paar Räume weiter liegt eine
schwarze Maus bewusstlos auf
einem Heizkissen. «Anästhesierte Mäuse kühlen schnell aus», erklärt der Laborant. Und sie können erblinden, da ihre Augen
unter Narkose offen stehen und
austrocknen. Die Forscher verhindern das mit einer Augensalbe. Vor sieben Wochen hat man
der Maus die Eierstöcke entfernt,
damit sie durch das fehlende Östrogen eine Knochenschwäche
entwickelt. Heute stand die Computertomografie auf dem Programm, um die Knochendichte
zu messen – der erwünschte
Schwund ist eingetreten. «Das
Tier überlebt den Versuch», erklärt Willy Hofstetter, geschäftsführender Direktor des Departements Klinische Forschung. Das
heisst auch, dass ihr Einsatz nicht
beendet ist: In den kommenden
Wochen werden Medikamente
getestet, der Knochen wird hei-
Eine Forscherin arbeitet im Tierversuchslabor der Universität Bern mit Labormäusen.
len. Kurz darauf wird er aber zersägt und wieder geflickt. Die Fragestellung der Medizin in diesem
Fall: Wie kann man eingreifen,
um die Knochenheilung bei Patientinnen mit Osteoporose zu
beschleunigen?
Ein Ersatz für die Maus
Der gezeigte Versuch ist ein Minibauteil, eine von Tausenden von
Fragen zum menschlichen Körper, die im Labor der Universität
Bern mithilfe der Tiere beant-
«Wir haben in
letzter Zeit einzelne
Anrufe von Tierversuchsgegnern
erhalten, die uns
beschimpft haben.»
Denise Suter
Leiterin Zentrale Tierställe
wortet werden sollen. 2014 sind
hier über 17 000 Tiere in Versuchen gestorben, hauptsächlich
Mäuse und Ratten. Schweizweit
werden jährlich über 600 000
Tiere in Versuchen eingesetzt.
Diese Zahl beinhaltet auch Fütterungsversuche und Versuche
zur Verbesserung der Nutztierhaltung.
Jeder einzelne Versuch – an
der Uni Bern sind es jährlich rund
110 – muss von der kantonalen
Tierversuchskommission bewil-
Von Paradiesvögeln und Musterknaben
Fast täglich steht bei den Regierungsratskandidaten zurzeit ein Auftritt auf dem Programm. Ein Augenschein zeigt: Die Berner haben die Wahl zwischen einem Angreifer, einem Gelassenen, einem Paradiesvogel, einem Musterknaben, einem Nervenbündel – und einem, den man offenbar lieber nicht an Veranstaltungen einlädt.
M
orgens eine Standaktion, nachmittags ein
Auftritt bei einem Verband und abends ein Podiumsgespräch: Die Agenda der Regierungsratskandidaten ist gestossen voll mit Terminen. Fast jeden
Tag tingeln sie zurzeit von Ort zu
Ort, um sich den Wählern zu präsentieren. Treffen sie aufeinander, debattieren sie eifrig über die
Notwendigkeit einer bürgerlichen Wende, das Gesundheitswesen oder die Finanzpolitik.
Dabei nehmen sie unterschiedliche Rollen ein, wie etwa
bei einem Podiumsgespräch in
Bolligen.
Der Paradiesvogel: Roberto Bernasconi (51, SP) ist der einzige
Kandidat, der statt einer Krawatte meist einen Schal um den
Hals trägt. Er scherzt vor dem
Beginn locker mit seinen Mitkandidaten, gestikuliert ausgelassen,
wirkt gelöst und schlagfertig.
Obschon er sich mit Deutsch
schwertut, bleibt er beherzt bei
dieser Sprache und bringt sich
immer wieder in die Diskussion
ein. So kontert er die finanzfokussierten Argumente der Bürgerlichen damit, dass die Steuern
nicht so wichtig seien. In seinen
Wohnort Malleray etwa seien
immer mehr Leute gezogen,
obschon der Steuersatz hoch
gewesen sei.
Der Angreifer: Christoph Ammann (46, SP) sitzt während des
Gesprächs meist cool zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Gleichzeitig ist er derjenige, der am meisten
angreift und widerspricht. Dann
lehnt er sich vor und bringt seine
Meinung auf den Punkt. Als Lars
Guggisberg vom massiven Stellenzuwachs in der Kantonsverwaltung spricht, wirft Ammann
ein, dass viele dieser Stellen auf
die Übernahme kommunaler
Polizeistellen durch den Kanton
zurückzuführen seien. Über diese
Angelegenheit streiten Ammann
und Guggisberg auch noch, als
längst andere am Mikrofon sind.
Der Musterknabe. Lars Guggisberg (38, SVP) ist wesentlich
weniger locker als Ammann und
Bernasconi. Das sonst omnipräsente Lächeln ist mit dem Beginn
der Debatte von seinem Gesicht
verschwunden und hat einer tiefen Falte zwischen den Augen
Platz gemacht. Eifrig schreibt er
mit, wenn seine Kontrahenten
sprechen, und entwirft wohl auf
dem Papier einen Schlachtplan,
wie er den nächsten Angriff platzieren will. Seine Musterknaben-
Richtungswahl
Attitüde erhält allerdings einen
Knacks, als ihm Gymer-Rektor
Ammann neben dem Mikrofon
wegen unpräziser Angaben zum
Zuwachs der Verwaltungsstellen
die Leviten liest. Irgendwann
verkneift Guggisberg nur noch
den Mund und starrt auf seine
Notizen, bis Ammann Ruhe gibt.
Das Nervenbündel. Pierre Alain
Schnegg (53, SVP) steht offenbar
nicht gerne im Rampenlicht.
Wird er vom Moderator ange-
sprochen, schreckt er hoch. Wenn
er spricht, klammert er sich mit
den Beinen an den Stuhlbeinen
fest, verschränkt die Arme und
schlüpft fast ins Mikrofon hinein.
An seinen Sprachkenntnissen
sollte die Nervosität nicht liegen,
denn als einziger Bernjurassier
spricht Schnegg fast perfekt
Hochdeutsch. Dennoch wirkt er
bei Podien, die auf Französisch
gehalten werden, etwas gelöster
und angriffslustiger. Am liebsten
spricht er über Gesundheitsthemen, etwa über seine Erfahrung
als Verwaltungsratspräsident der
Hôpital du Jura Bernois SA. Demnach gebe es oft auch dort Sparpotenzial, wo man immer das
Gegenteil behaupte. Also gewiss
auch bei der Berner Verwaltung.
Der Gelassene. Patrick Gsteiger
(48, EVP) nutzt das Hickhack
zwischen seinen Kontrahenten
als Anschauungsbeispiel: «Sie
erhalten hier einen Einblick in
das Klima, das seit Jahren im
Grossen Rat herrscht. Deshalb
muss man die Mitte stärken»,
sagt er. Wie viele Anwesende das
verstehen, ist unklar. Denn nach
den ersten Sätzen in einem französisch gefärbten Berndeutsch
wechselt er ins Französische.
Gsteiger wirkt gelassen und präsent, oft aber eher als Beobachter
denn als engagierter Teilnehmer
der Diskussion. Nur einmal wird
er angriffig, als er Schnegg vorwirft, man könne eine öffentliche
Institution nicht mit einem
Unternehmen vergleichen, wie
er das immer tue.
Der Abwesende. In der Regel
laden Veranstalter den sechsten
Kandidaten, den parteilosen
Bruno Moser (54), gar nicht zu
Anlässen ein. Vielleicht, weil er
kaum eine Chance hat, gewählt
zu werden. Vielleicht aber auch,
weil sie wissen, auf welch absurde
Weise der Polit-Exot in der
Vergangenheit provozierte: etwa
indem er sich bei den Regierungsratswahlen 2014 lieber vor
dem Rathaus von der Polizei zu
Boden werfen liess, anstatt sich
auszuweisen. So weit will es wohl
doch kein Veranstalter kommen
lassen.
Sandra Rutschi