Obstpiraten & Mundraub

Auf Apfeljagd in
Nachbars Garten
Obstpiraten
& Mundraub
Zur Erntezeit in diesen Wochen wird es in Bremen und dem Umland vielerorts wieder
deutlich: Jedes Jahr verkommen auf Deutschlands privaten Streuobstwiesen Unmengen von Äpfeln und Birnen. „Meist Obst von allerbester Qualität - oft auch besonders
begehrte alte Sorten“, sagt Streuobst-Pädagogin Frauke Thimm (43). „Vollkommen
unbehandelt, ungespritzt und damit in ihrer Beschaffenheit meist hochwertiger als
Früchte mit einem Bio-Siegel“, ergänzt die Expertin, die mit ihrem Mann Mark (45) in
Nordleda bei Cuxhaven die Mosterei „Himmel & Erden“ betreibt.
Obst vorm Verderben retten
Aber wie könnten die Früchte vor dem Verderben gerettet werden? Eine Frage, die sich
nicht nur das Ehepaar Thimm stellte. Auch Kai Gildhorn, der Initiator des InternetPortals www.mundraub.org, dachte vor einigen Jahren darüber nach: Im September
2009 sah er auf einer Paddeltour auf der Unstrut in Sachsen-Anhalt frei zugängliches
Obst, das im Überfluss von Sträuchern und Bäumen fiel. „Hier liegt eine Obstqualität brach, die man heutzutage in keinem Supermarkt zu kaufen bekommt“, ist Mark
Thimm in Nordleda überzeugt. Die Besitzer und Eigentümer unzähliger Bauerngärten
wären seines Erachtens froh, wenn jemand diesen Schatz heben und sinnvoll nutzen
würde. Sie selbst wissen, wovon sie reden, sind sie doch vor fünf Jahren aus dem
Ruhrgebiet an die Küste gezogen, um hier eine 1,5 Hektar große Streuobstwiese mit
altem Baumbestand zu übernehmen, lauter Hochstämme. „Oben gab‘s Obst, unten
weideten die Tiere“, beschreibt Mark Thimm die Idee der Anlage.
Köstliche Produkte aus alten Apfelsorten
Sielenbacher Apfeltorte
Für den Teig:
150g Butter, 125g Zucker
2 Päckchen Vanillezucker
3 Eier, 150g zarte Haferflocken
50g Mehl, 1 gehäufter TL Backpulver
1 TL geriebene Zitronenschale
1 Prise Salz
Für die Füllung:
500g Äpfel, Saft einer halben Zitrone
75g gehobelte Mandeln
60g Zucker; 40g Butter
Äpfel schälen, entkernen & in Stücke schneiden, Butter schaumig rühren,
Zucker und Eier nach und nach dazugeben und zu einer Schaummasse verrühren.
Haferflocken, Mehl, Backpulver, Salz und Zitronenschale unterheben.
Drei Viertel des Rührteigs in eine gefettete Springform füllen.
Die Äpfel mit dem Zitronensaft dünsten, auf den Rührteig geben,
Mandeln und Zucker auf die Apfelfüllung streuen, Butterflöckchen darauf setzen.
Mit einem Teelöffel kleine Häufchen des restlichen Teiges auf der Füllung verteilen.
Bei 200 Grad etwa 45 Minuten backen.
(Rezept: W. Schuster, Sielenbach/Bayern – aus: „Mein großes Apfelbuch – Alte Apfelsorten neu entdeckt –
Geschichten, Anbau, Rezepte…“ von Eckart Brandt, Bassermann-Verlag, 2008)
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bremer kirchenzeitung Oktober 2015 · www.kirche-bremen.de
Saftige Ingrid Marie, aromatische Schöne von Boskoop, würzige Holsteiner Cox und
süßsäuerliche Prinz Albrecht von Preußen: So heißen die Sorten, die nun in der Mosterei gleich nebenan zu köstlichem Saft, zu Konfitüre, Sirup, Gelee und Likör verarbeitet
werden. Im Winter entstehen außerdem Chutneys beispielsweise aus Birnen und Heidelbeeren, verfeinert mit Schalotten und einem Hauch Chili. „Die Birnen kommen aus
unserem Garten und die Heidelbeeren von einem benachbarten Hof“, verrät Frauke
Thimm. Mit den alten, häufig bestens an den jeweiligen Standort angepassten Obstsorten entstehe ein jeweils einmaliges Geschmackserlebnis, schwärmt sie. „Das ist
nicht so wie beim Discounter, wo immer alles gleich schmeckt.“
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Die Saftpresse läuft auf Hochtouren
Sind alle Voraussetzungen erfüllt, kann die Ernte losgehen. Der größte Teil landet
in diesen Tagen im „Piratenhafen“, der Mosterei in Nordleda. Dann läuft die Presse
auf Hochtouren, und im Haus bleibt kaum Zeit, an irgendetwas anderes als an die
Verarbeitung der Früchte zu denken. Je nach Angebot bekommen die Obstpiraten
zwischen 15 und 20 Cent pro Kilo. „Wer eine Stunde fleißig pflückt, kann so schon 25
Euro einstreichen“, rechnet Mark Thimm vor.
Prominente Unterstützung
Mittlerweile hat die Idee auch prominente Unterstützer: Bundesforschungsministerin
Johanna Wanka (CDU) wirbt dafür, Obst und Gemüse von öffentlichen Flächen stärker zu nutzen. Sie unterstützt die „Mundräuber“, deren Portal eigenen Angaben zufolge von bundesweit mehr als 30.000 Menschen genutzt wird, auch finanziell. Längst
kooperieren auch Umweltschützer, Kommunen und wissenschaftliche Einrichtungen
mit der Initiative. Workshops werden organisiert, Erntecamps gestartet, in denen Aktivisten tonnenweise Äpfel, Birnen und Pflaumen von frei stehenden Bäumen pflücken.
Gildhorn weiß warum: „Äpfel vom Baum zu pflücken, das entspricht doch unserem
Sammlertrieb.“
Text: Dieter Sell/epd
Fotos: Matthias Dembski/ privat
Keine Ernte ohne Regeln
Doch noch bevor die Saftpresse richtig rotiert, kommen in Nordleda die „Obstpiraten“
ins Spiel. „Kinder und Jugendliche, die sich durch das „Heben“ von Obstschätzen ein
faires Taschengeld dazu verdienen“, erläutert Frauke Thimm. „Das ist eigentlich nichts
Neues“, denkt sie an ihre Kindheit zurück, „wurde aber vielfach vergessen“. Bei „Himmel & Erden“ lebt nun die alte Tradition der Gratis-Ernte aus stillliegenden Bauerngärten, Streuobstwiesen oder vom verwaisten Baum in Nachbars Garten wieder auf.
Allerdings nicht ohne wie bei „Mundraub“ ein paar Regeln einzuhalten. Zuvor etwa
muss der „Pirat“ die Pflück- und Sammelgenehmigung des jeweiligen Eigentümers einholen, denn „herrenloses Obst“ gibt es nicht - und ein unerlaubtes Betreten umzäunter
Flächen wäre gar Hausfriedensbruch. „Als oberster Grundsatz gilt aber, waghalsige
Pflückaktionen zu vermeiden“, betont Frauke Thimm. Außerdem müsse der Schutz der
Natur gewahrt bleiben. „Das heißt, dass die Obstpiraten pfleglich mit Bäumen und
Sträuchern umgehen sollen.“ Denn nur eine schonend behandelte Natur könne auch
im nächsten Jahr wieder Früchte bringen.
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