Rassismus - FernUniversität in Hagen

Rassismus
Auf der Homepage der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) kann man
folgende Definition des ‘Rasse’-Begriffs finden:
„Aus der Biologie stammende Bezeichnung für Menschen und Tiere gleicher Abstammung und sehr
verwandter erbfester Anlagen. Rasse ist die Untergruppe einer Art. Die „Menschheit” wird in drei Großrassen
eingeteilt: Die mongolide, die europide und die negride Großrasse. Die europide Großrasse wird im
allgemeinen in folgende Unterrassen gegliedert: Fälische (dalanordische), nordische, osteuropide
(ostbaltische), ostische (alpine), dinarische und westische (mediterrane) Rasse. Diese Unterrassen bestehen in
reiner Form nirgendwo. Die jeweilige kennzeichnende Zusammensetzung aus Unterrassen gibt den
europäischen Völkern ihre unverwechselbaren Nationaleigenschaften. Rasse ist nicht ruhend, sondern ein
langer biologisch-geschichtlicher Vorgang. Rassen entstehen durch Mutation, Isolation und Auslese. „Rasse ist
eine Menschengruppe, welche bei allen ihren Vertretern ein in der Hauptsache gleiches leiblich-seelisches Bild
[Hervorh. MSK] zeigt.” (Hans F. K. Günther, bedeutender Anthropologe1)“ (verfügbar unter: www.npd.de
(letzter Zugriff: 27.02.2007)).
Diese Definition enthält den Kerngedanken, der einem jeden rassistischen Denken innewohnt: die
(instrumentalisierbare) Betonung biologisch begründeter Differenzen sowohl im Bereich des Physischen
(‘Leiblichen’) als auch des Psychischen (‘Seelischen’). Demnach können wir von ‘Rassismus’ bzw.
‘rassistischen Einstellungen’ sprechen, wenn angenommene oder vorhandene physische Unterschiede
zwischen Menschen (Bsp.: Farbpigmentierung der Haut) in Verbindung gebracht werden mit
unveränderbar erscheinenden, negativ besetzten psychischen Eigenschaften, die im biologistischen Sinne
‘von Natur aus’ vorhanden sein sollen und die die psychische und physische Gewalt sowie
diskriminierende Alltagspraktiken und soziale Ungerechtigkeiten – also Formen struktureller Gewalt – zu
legitimieren helfen. Ein Beispiel für die rassistische Logik wäre demzufolge etwa der Satz „Schwarze sind
von Natur aus faul und demnach nicht als Arbeitskraft zu gebrauchen!“
Die Definition von Rassismus weist somit Analogien zur Definition des Sexismus auf (vgl. hierzu z.B.:
Reimers 1994), ist doch Sexismus definierbar als Denkweise und soziale Praktik, bei welcher vorhandene
physische Unterschiede zwischen den Geschlechtern (primäre Geschlechtsmerkmale) in Verbindung
gebracht werden mit unveränderbar erscheinenden psychischen Eigenschaften, die im biologistischen
Sinne ‘von Natur aus’ vorhanden sein sollen und die auch die psychische und physische Gewalt sowie
diskriminierende Alltagspraktiken und soziale Ungerechtigkeiten – also Formen struktureller Gewalt –
zwischen den Geschlechtern zu legitimieren helfen. Ein Beispielsatz für die sexistische Logik ist: „Frauen
sind von Natur aus – im Unterschied zu den Männern – emotionaler, und deshalb u. a. nicht als
1
Der erwähnte ‘bedeutende Anthropologe’ Hans F. K. Günther (1891-1968), auch bekannt als ‘Rassengünther’
oder ‘Rassenpapst’, war in der Weimarer Republik und zur Zeit der Nazi-Diktatur als ‘Rasseforscher’ tätig und gilt
als Urheber des nationalsozialistischen Rassegedankens.
1
Führungskraft geeignet, bedeutet Führungskompetenz doch auch, in schwierigen Situationen rational zu
entscheiden und zu handeln und sich nicht von seinen Gefühlen leiten zu lassen.“
Die zeitgenössische Rassismus- aber auch Sexismusforschung orientiert sich überwiegend an diesen
vorgestellten Argumentationsmustern. ‘Rasse’ wird damit – anders als in der Definition der NPD
behauptet – als politisch nutzbares, soziales Konstrukt und nicht als biologische Tatsache begriffen.
Neben den Kategorien ‘Rasse’ und ‘Geschlecht’ gelangt auch der Begriff der ‘Kultur’ zunehmend in den
Fokus ausgrenzender Diskurse. Im Kontext (neo-)rassistischer Argumentationen wird ‘Kultur’ und
‘kulturelle Herkunft’ im Sinne einer zweiten menschlichen Natur verstanden und somit beobachtbare oder
eingebildete ‘kulturelle Differenzen’ zwischen Menschen als natürlich, lebensnotwendig und
erhaltenswert erachtet. Die ‘multikulturelle Gesellschaft’ gilt dem (neo-)rassistischen Denken nach als
Gefahr, droht sie doch die ‘natürlichen kulturellen Grundlagen eines Volkes’ durch ‘Überfremdung’ zu
zerstören.
Rassismus als soziale Tatsache und historisches Phänomen findet sich zu den unterschiedlichsten Zeiten
in den verschiedensten Gesellschaften. So gründet sich sowohl der Genozid der Armenier durch die
Türken Anfang des 20. Jahrhunderts als auch die Ermordung der Sinti und Roma während der NaziDiktatur oder das Apartheids-Regime im Süden der USA oder in Südafrika – nur um vier historische
Beispiel zu nennen – auf die dargelegte Logik des Rassismus. Rassistische Unterdrückung dabei als ein
ausschließlich ‘weißes’ Herrschaftsinstrument zu verstehen, würde zu kurz greifen und sich angesichts
solch historischer Fakten wie des Völkermords der Tutsi durch die Hutu 1994 in Ruanda als falsch
darstellen. Dementsprechend ist es sinnvoll und nur konsequent, nicht von ‘Rassismus’, sondern von
‘Rassismen’ zu sprechen.
In aktuellen Studien hat das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld unter
der Leitung von Wilhelm Heitmeyer die derzeitige Verbreitung rassistischer Einstellungen in der
Bundesrepublik Deutschland untersucht (zuletzt: Heitmeyer 2007). Hierbei wird Rassismus als ein
Element eines umfassenden Syndroms, welches Heitmeyer als ‘gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit’
(GMF) bezeichnet (siehe Abbildung), verstanden. Neben rassistischen Einstellungen sind allgemeine
Fremdenfeindlichkeit,
Homophobie,
Antisemitismus,
Obdachlosenabwertung
Islamphobie,
und
Etabliertenvorrechte,
Behindertenabwertung
klassischer
Elemente
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als einer Ideologie der Ungleichwertigkeit.
2
des
Sexismus,
Syndroms
Das Syndrom gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (verfügbar unter:
bielefeld.de/ikg/Feindseligkeit/Ergebnisse2004.html; letzter Zugriff: 19.03.2007)
http://www.uni-
Zum Phänomen des Rassismus zählt z. B. die von 14 % der zuletzt in 2006 Befragten vertretene
Auffassung, dass die Weißen zu Recht führend in der Welt sind (Vergleichsdaten: 2002: 16,4%; 2004:
13%). Derartige Daten, die die Verbreitung rassistischer Einstellungen belegen, veranschaulichen die
dauerhafte Aktualität des Phänomens Rassismus und die Notwendigkeit sich kritisch mit
Rassismusanalyse auseinanderzusetzen.
Literatur
Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) (2007): Deutsche Zustände. Folge 5, Frankfurt a. M.
Reimers, Tekla (1994): Das Naturargument in Sexismus und Rassismus, in: Renate Nestvogel (Hg.):
‘Fremdes’ oder ‘Eigenes’? Rassismus-Antisemitismus-Kolonialismus-Rechtsextremismus aus Frauensicht,
Frankfurt a. M., S. 153-164
Dr. Martin Spetsmann-Kunkel
FernUniversität Hagen
Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung
Universitätsstraße 11 (TGZ), 58084 Hagen
Email: [email protected]
3