Forum Offene Wissenschaft Bielefeld, 07. Dezember 2015 Gerecht? Effizient? Finanzierungssysteme im internationalen Vergleich Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem Alfried Krupp von Bohlen und HalbachStiftungslehrstuhl für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen Gesundheitsökonomisches Zentrum CINCH, Essen Essener Forschungsinstitut für Medizinmanagement GmbH Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 1 Informationen zum Referenten Daten zu Jürgen Wasem Studium der WiWi und PolitikWi an der PennState U, U of Sussex und U Köln (1978-83) Kurzportrait des Lehrstuhls Promotion in WiWi (Köln 1986), Habilitation in Gesundheitswiss. (Bielefeld1996) Der Lehrstuhl für Medizinmanagement (zur Zeit: 18 WiMis) arbeitet insbesondere in folgenden Forschungs- u. Beratungsfeldern: • Management von Gesundheitseinrichtungen Referent in der Abteilung Krankenversicherung des BMA (jetzt: BMG) (1985-89) • (Ökonomische) Evaluation/Systematische Reviews/ HTAs/ Nutzenbewertungen Prof. an der FH Köln (1989-97, beurlaubt:91-94) • Krankenversicherungsökonomie Projektleiter am MPI f. Gesellschaftsforschung, Abt. Gesundheitssystemforschung (1991-94) • Steuerungswirkung von Vergütungssystemen Prof. an den Unis München (1997-99), Greifswald (1999-2003) u. Duisburg-Essen (seit 2003) Mitgliedschaften u.a.: Vors. Unabhängige Expertenkomm PKV (94-96), Mitgl. HerzogKommission (03), Vors. Wiss. Beirat Betriebl. Krankenversicherung (04-06), Vors. Erweiterter (seit 2007) und Ergänzter Erweiterter (seit 2013) Bewertungsausschuss, Sprecher Expertenkomm. K-N-B. (2007); Vors. MorbiRSA-Beirat (seit 2009); Vors. DGGÖ (13/14); Vors. AMNOG-Schiedsstelle (2015/16) Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem • Gesundheitssystem/Gesundheitspolitik • Versorgungsforschung • Evaluation betrieblicher Gesundheitsförderung Finanzierende Stellen: • BMBF, EU, Stiftungen • Weltbank, WHO • Ressortforschung BMG, BMWi • Leistungserbringer, Industrie u. ihre Verbände • Kostenträger und ihre Verbände • G-BA, IQWiG 2 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 3 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung Idealtypische (empirisch zu einfache) graphische Darstellung Versicherte Arbeitsämter Arbeitgeber …… Externe Finanzierung Staat Krankenversicherungen Health Maintenance Organisations …… Interne Finanzierung Krankenhäuser Ärzte Apotheker Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem Sozialstationen …… 4 Das Konzept von externer und interner Finanzierung Verteilungsfragen der Mittelaufbringung („gerecht“) können analytisch von Wirkungsfragen der Mittelverwendung („effizient“) getrennt werden Die externe Finanzierung wird meist unter „Finanzierungs-System“ gefasst, die interne Finanzierung unter „Vergütungs-System“ Unterschiedliche Ausgestaltungen des Finanzierungs-Systems sind oft unabhängig von Ausgestaltungen des Vergütungs-Systems Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 5 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 6 Finanzierungssystem und Effizienz Es besteht weitgehend kein direkter Link zwischen Finanzierungssystem (externe Finanzierung) und der Effizienz des Versorgungssystems Auf der Makro-Ebene kann der Zusammenhang zwischen Umfang der aufgebrachten (finanziellen) Ressourcen und Outcomes untersucht werden Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 7 Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit 2013 in US-$ zu Kaufkraftparitäten. Ausgewählte Länder der OECD 10.000,00 9.000,00 8.000,00 7.000,00 6.000,00 5.000,00 4.000,00 3.000,00 2.000,00 1.000,00 0,00 * Daten aus dem Jahr 2012. OECD Health Data Files 2015; Download: 27.10.2015 Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 8 Ausgaben für Gesundheit 2013 als %-Satz des Bruttoinlandsprodukts. Ausgewählte Länder der OECD 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 * Daten aus dem Jahr 2012. OECD Health Data Files 2015; Download: 27.10.2015 Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 9 Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung: Besteht ein Zusammenhang? 1. Bivariate Analyse AUSGABE: ZUSAMMENFASSUNG Regressions-Statistik Multipler Korrelationskoeffizient 0,373380653 Bestimmtheitsmaß 0,139413112 Adjustiertes Bestimmtheitsmaß 0,073214121 Standardfehler 1,994123687 Beobachtungen 15 ANOVA Regression Residue Gesamt Freiheitsgrade (df) Quadratsummen Mittlere (SS) Quadratsumme Prüfgröße (MS) (F) 1 8,374452718 8,37445272 2,10597034 13 51,69488062 3,97652928 14 60,06933333 Schnittpunkt H E $ pc Koeffizienten Standardfehler t-Statistik P-Wert 81,68213343 1,307757515 62,4596934 1,6815E-17 0,000410012 0,000282534 1,45119618 0,17042617 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis OECD Health Data Files 2015 Es ergibt sich ein statistisch nicht signifikanter Zusammenhang zw. Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 10 Gesundheitsausgaben und Lebenserwartung: Besteht ein Zusammenhang? 2. “Multi“variate Analyse mit Einkommen AUSGABE: ZUSAMMENFASSUNG Regressions-Statistik Multipler Korrelationskoeffizient 0,4896797 Bestimmtheitsmaß 0,23978621 Adjustiertes Bestimmtheitsmaß 0,11308391 Standardfehler 1,95075916 Beobachtungen 15 ANOVA Freiheitsgrade Quadratsummen (df) Mittlere(SS) Quadratsumme Prüfgröße (MS) (F) Regression 2 14,4037976 7,20189882 1,89251663 Residue 12 45,6655357 3,80546131 Gesamt 14 60,0693333 Schnittpunkt Income $ pc HE $ pc Koeffizienten Standardfehler t-Statistik 79,751826 1,99709818 39,9338535 0,00010456 8,3064E-05 1,2587266 -0,00016417 0,00053336 -0,30779617 P-Wert 3,9279E-14 0,23206631 0,76351431 in der multivariaten Analyse mit Einkommen dreht sich der (nicht stat. sign.) Effekt für die Gesundheitsausgaben um Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 11 Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 12 Zusammenhang zum EuroHealth Consumer Index AUSGABE: ZUSAMMENFASSUNG Regressions-Statistik Multipler Korrelationskoeffizient 0,85684476 Bestimmtheitsmaß 0,73418295 Adjustiertes Bestimmtheitsmaß 0,67511249 Standardfehler 65,7836739 Beobachtungen 12 ANOVA Regression Residue Gesamt Freiheitsgrade Quadratsummen (df) Mittlere(SS) Quadratsumme Prüfgröße (MS) (F) 2 107572,241 53786,1204 12,4289365 9 38947,4258 4327,49176 11 146519,667 Koeffizienten Standardfehler t-Statistik Schnittpunkt 503,70652 84,3992108 5,96814253 Income $ pc -0,00399696 0,00449572 -0,88905839 HE $ pc 0,10280854 0,03659557 2,8093165 P-Wert 0,00021058 0,39711187 0,02039981 in der multivariaten Analyse mit Einkommen sind die Pro-KopfGesundheitsausgaben statistisch signifikant (das Einkommen mit nicht erwartetetem Vorzeichen ist nicht signifikant) Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 13 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 14 Lorenz-Kurven und Kakwani-Index Lpre (p): Lorenzkurve Einkommen vor Zahlungen für Gesundheit Lpay(p): Lorenzkurve Zahlungen für Gesundheit KI > 0 bei Progressivität (2* Fläche zw. beiden Kurven) Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 15 Vier Mechanismen der externen Finanzierung Steuern Wirken im Gesamtsystem im allgemeinen progessiv uneinheitl. Befunde bei indirekten Steuern Sozialversicherungsbeiträge Progressivität im allgemeinen schwächer als bei Steuern Pauschalprämien regressiv Beiträge zu privaten Versicherungen im allgemeinen risikoabhängig, dann tendenziell doppelt regressiv Isoliert betrachtet je nach Gesundheitssystem progressiv Direkte Zahlungen (out-of-pocket) für Gesundheitsleistungen Tendenziell doppelt regressiv Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 16 Quelle: OECD 2011 Finanzierungsanteile Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 17 Kakwani-Index: Empirie Summe PrivatDirekte Land öffentlich versicherung Zahlungen Dänemark (1987) 0,0372 0,0313 -0,2654 Finnland (1990) 0,0604 0,0000 -0,2419 Frankreich (1989) 0,1112 -0,1956 -0,3396 Deutschland (1989) -0,0533 0,1219 -0,0963 Irland (1987) n.a. -0,0210 -0,1472 Italien (1991) 0,0712 0,1705 -0,0807 Niederland (1992) -0,1003 0,0833 -0,0377 Portugel (1990) 0,0723 0,1371 -0,2424 Spanien (1990) 0,0509 -0,0224 -0,1801 Schweden (1990) 0,0100 -0,2402 Schweiz (1992) 0,1389 -0,2548 -0,3619 Großbritannien (1993) 0,0792 0,0766 -0,2229 USA (1987) 0,1060 -0,2374 -0,3874 Summe Summe privat Zahlungen -0,2363 -0,0047 -0,2419 0,0181 -0,3054 0,0012 -0,0067 -0,0452 -0,0965 n.a. -0,0612 0,0413 0,0434 -0,0703 -0,2287 -0,0445 -0,1627 0,0004 -0,2402 -0,0158 -0,2945 -0,1402 -0,0919 0,0518 -0,3168 -0,1303 Quelle: Wagstaff & van Doorslaer 2000 Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 18 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland a. Was soll unter „dualem System“ verstanden werden? b. Kriterien zur Beurteilung des dualen Systems c. Anwendung der Kriterien auf das duale System 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 19 a) Was soll unter „dualem System“ verstanden sein? Geltung der heutigen „Spielregeln“ für GKV und PKV bei versichertem Personenkreis, Rechtsformen, Beitragskalkulation, Leistungsgewährung, Vergütungssystemen etc. Insbesondere darunter auch: dauerhafte Option für die freiwillig in der GKV-Versicherten, zur PKV wechseln zu können und ihrer Pflicht zur Versicherung mittels einer PKV-Vollversicherung nachzukommen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 20 b) Kriterien zur Beurteilung des dualen Systems Finanzielle Ergiebigkeit Nachhaltigkeit Verteilungsgerechtigkeit in der Finanzierung Verteilungsgerechtigkeit in der Versorgung Gewährleistung der Versorgungssicherheit Innovationen in der Versorgung Steuerungsfähigkeit der Versorgung Wettbewerbswirkungen im Krankenversicherungssystem Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 21 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland a. Was soll unter „dualem System“ verstanden werden? b. Kriterien zur Beurteilung des dualen Systems c. Anwendung der Kriterien auf das duale System 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 22 Finanzielle Ergiebigkeit Der GKV-Teil des dualen Systems leidet bekanntlich unter einem systematischen Lag der Einnahmenbasis (s. nächste Folie) Dieser ist partiell auf die Dualität zurückzuführen In welchem Umfang er bei Abschaffung der Dualität geschlossen würde, hängt von der Ausgestaltung in einem einheitlichen Versicherungssystem ab – voraussichtlich würde nur eine teilweise Schließung hierdurch möglich Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 23 Das strukturelle Finanzierungsproblem der GKV 220 200 180 Wachstum p.a.: BIP: 2,55% GKV-LA: 3,01% BPE: 1,97% Index 160 140 120 GKV-Leistungsausg. je M. BIP je Einwohner 100 BPE je Mitglied 80 1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009 2012 Jahr Quelle: BMG, Statistisches Bundesamt, verschiedene Jahrgänge Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 24 Nachhaltigkeit Kontroverse Positionen aufgrund einer heterogenen Konzeptualisierung von Nachhaltigkeit und streitiger Analyse der Wirkungen des Kapitaldeckungsverfahrens In der PKV praktiziertes Kapitaldeckungsverfahren kann u.U. zu höherer Kapitalbildung in der dt. Volkswirtschaft als beim Umlageverfahren führen und aufgrund des offenen Charakters der Volkswirtschaft ggfs. eine reale Lastenverschiebung in die Zukunft ermöglichen – insofern wohlfahrtssteigernder Effekt Von anderen werden diese möglichen Effekte des Kapitaldeckungsverfahrens in der nationalen und internationalen ökonomischen Diskussion bestritten (Mackenroth-Theorem); teilweise wird vielmehr auf die Risiken der Kapitalmärkte und potentiell wohlfahrtsmindernde Effekte verwiesen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 25 Verteilungsgerechtigkeit in der Finanzierung Die individuelle Wahlmöglichkeit eines Teils der GKV-Versicherten zwischen einem System mit einkommensabhängigen Beiträgen und Familienversicherung und einem System mit risikoabhängigen Beiträgen und Individualprinzip (geringfügig modifiziert durch Annahmezwang für den Basistarif) verletzt die Prinzipien der horizontalen und vertikalen Gerechtigkeit in der Finanzierung Das in der PKV im Grundsatz angewendete Äquivalenzprinzip kann eo ipso im Rahmen bestimmter ethischer Ansätze durchaus als verteilungsgerecht interpretiert werden, nicht aber in der Verbindung mit der Wahlmöglichkeit zwischen beiden Systemen Insoweit die Kapitaldeckung in der PKV eine intertemporale Lastenverschiebung ermöglicht (was – wie gesagt – umstritten ist), ist ein höheres Maß an intergenerationeller Gerechtigkeit realisiert als im Umlageverfahren der GKV Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 26 Verteilungsgerechtigkeit in der Versorgung Operationalisiert sich insbesondere als Zugangsgleichheit und Orientierung des Zugangs und der Versorgung am Bedarf Bezüglich der Kapazitäten ist im niedergelassenen Bereich eine hohe Korrelation zwischen kleinräumiger Angebotsdichte und Anteil der PKVVersicherten gezeigt Bezüglich der Terminvergabe ist eine Bevorzugung von (besser vergüteten) PKV-Versicherten gezeigt, allerdings wurden bislang nicht sehr zeitkritische Behandlungsanlässe untersucht Bezüglich der Interventionen ist eine höhere Durchdringung der PKVVersicherten mit neuen Medikamenten (keine Budgets!) und eine höhere Invasivität bei ärztlichen Maßnahmen (finanziell attraktiv!) gezeigt, Ergebnisse bezüglich des Outcomes sind m.W. nicht untersucht Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 27 Gewährleistung der Versorgungssicherheit Die höhere Vergütung für die Behandlung von PKV-Versicherten führt zu erheblichen Mehrumsätzen, insbesondere (aber nicht nur) in der ambulanten ärztlichen Versorgung Die Mehrumsätze sind sehr ungleich zwischen Regionen und Arztgruppen verteilt In einigen Bereichen sind diese Mehrumsätze wohl bei Investitionsentscheidungen „zwingend einkalkuliert“ Bei Abschaffung des dualen Systems und Übergang zu Vergütung „auf GKVNiveau“ würden diese Mittel c.p. fehlen Entscheidet sich der Gesetzgeber zur Kompensation der Mehrumsätze, wird er insbesondere zu regeln haben, ob die Kompensationsmittel den individuellen Honorarverlust ausgleichen sollen oder in der interregionalen Verteilung nach dem bisherigen Vergütungsvolumen in der GKV bzw. nach dem Versorgungsbedarf im einheitlichen Versicherungssystem eingesetzt werden sollen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 28 Innovationen in der Versorgung Neue Arzneimittel und neue ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden diffundieren aufgrund des dualen Systems rascher im deutschen Gesundheitswesen Bewertung ist ambivalent: „Garant für Innovationen“? oder Erschwerung der Steuerung durch Diffusion auch solcher Innovationen, die keinen nachgewiesenen Zusatznutzen bzw. keine nachgewiesene Kosteneffektivität haben? Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 29 Steuerungsfähigkeit der Versorgung In GKV und PKV stoßen unterschiedliche Idealtypen zur Steuerung der Versorgung aufeinander: Sachleistungsprinzip mit Steuerung über Verträge zwischen Krankenversicherern und Leistungserbringern in der GKV Steuerung über Risikoselektion bei der Geschäftsanbahnung und über Kostenerstattung mit Steuerung über die Ausgestaltung der Versicherungspolice im Verhältnis Versicherer – Versicherter in der PKV Begrenzte Wirksamkeit des PKV-Steuerungsinstrumentariums – daher auch der „Ruf nach dem Gesetz-/Verordnungsgeber“ Gegenseitiges Lernen im dualen System? Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 30 Wettbewerb im Krankenversicherungssystem Der „System-Wettbewerb“ an der Schnittstelle GKV-PKV ist überwiegend dysfunktional, da ihm verzerrte Preissignale zugrunde liegen Ob die Existenz des „Abwanderungsrisikos“ im politischen Prozess einen umfangreicheren Leistungskatalog der GKV beschert hat als bei Abschaffung der Dualität kann kontrovers diskutiert werden; für die Entscheidungen der Kassen über ihre Nutzung der Spielräume im Leistungsrecht gilt dies vermutlich Ablösung des dualen Systems durch ein einheitliches Versicherungssystem ist nicht identisch mit „Einheitsversicherung“ Ausgestaltung des Wettbewerbs im einheitlichen Versicherungssystem hängt von zahlreichen Faktoren ab, die (überwiegend auch unabhängig von der Dualität) gesetzgeberischer Gestaltung zugänglich sind Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 31 Übersicht: 1. Zum Einstieg: Eine begriffliche Abschichtung 2. Effizient? Gesundheitsausgaben und Outcomes 3. Gerecht? Finanzierungsquellen und Verteilungswirkungen 4. Einige Überlegungen zu Effizienz und Gerechtigkeit des dualen Krankenversicherungssystems in Deutschland 5. Schlussfolgerungen Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 32 5. Schlussfolgerungen /1 Für die Finanzierung von Gesundheitssystemen stehen unterschiedliche Finanzierungsquellen zur Verfügung Mit diesen gehen unterschiedliche Verteilungswirkungen einher Da die „Mischungsverhältnisse“ zwischen den Gesundheitssystemen verschieden sind, unterscheiden sie sich in den Umverteilungswirkungen (von progressiv bis stark regressiv) Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 33 5. Schlussfolgerungen /2 Die (externen) Finanzierungssysteme beeinflussen die Effizienz eines Systems nur indirekt; die internen Finanzierungsarrangements sind von der externen Finanzierung weitgehend unabhängig gestaltbar Es liegen keine eindeutigen Befunde für einen Zusammenhang zwischen Höhe der Gesundheitsausgaben und Outcomes der Gesundheitsversorgung vor Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 34 5. Schlussfolgerungen /3 Die Bewertung des „dualen Systems“ der Krankenversicherung und Deutschland und des „System-Wettbewerbs“ ist nicht schwarz-weiß Auf der „grünen Wiese“ würde allerdings wohl niemand ein System so ausgestalten Die Idee „Kein duales System keine 2-Klassen-Medizin“ springt vermutlich zu kurz Dass es allerdings möglich ist, sich aus der GKV und ihren verteilungspolitisch cum grano salis als verteilunspolitisch in die „richtige“ Richtung gehenden interpersonellen vertikalen und horizontalen Verteilungswirkungen zu verabschieden, um zu (zumindest zum Wechselzeitpunkt) niedrigeren Beiträgen einen bevorzugten Zugang im Versorgungssystem zu erfahren, will nicht so recht einleuchten Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 35 4. Schlussfolgerungen /4 Insgesamt vermag ein integriertes Versicherungssystem daher bei Abwägung aller Vor- und Nachteile m.E. mehr zu überzeugen als das duale System Im Kern muss m.E. stehen, dass für den obligatorischen Teil des Leistungskataloges für alle Versicherten trägerunabhängig die gleichen Kalkulationsspielregeln (z.B. einkommensabhängige Beiträge an den Gesundheitsfonds mit versicherungsspezifischen Zusatzbeiträgen) gelten Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 36 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion. Prof. Dr. Jürgen Wasem Universität Duisburg-Essen [email protected] tel.: 0201-183-4072 www.mm.wiwi.uni-due.de Univ.-Prof. Dr. Jürgen Wasem 37
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