2 Brennpunkt Bieler Tagblatt Mittwoch, 09.12.2015 3 Brennpunkt Bieler Tagblatt Mittwoch, 09.12.2015 «Sie täuschen die Kunden systematisch» Nachgefragt Orientteppiche Der Reinigungs- und Restaurationsmarkt von Teppichen sei in den Händen von Menschen mit krimineller Energie, ist Bruno Meier, Präsi dent der Schweizerischen Interessensgemeinschaft für Orientteppiche, überzeugt. Sie reinigen und restaurieren Teppiche zu überteuerten Preisen, gewähren Scheinrabatte und verkaufen Teppiche über Wert. Es scheint, als seien Firmen mit derartigen Methoden auch in der Re gion aktiv. Esthy Rüdiger Es war ein Nachmittag im Frühjahr dieses Jahres. Es klingelt an der Tür bei Erich und Maja Huber* in einem Seeländer Dorf. Ein schwarzer Mercedes steht vor dem Haus, und dessen Besitzer, zwei südländisch aussehende Männer, stehen nun vor dem verdutzten Erich Huber. Doch stehen bleiben sie nicht lange – «sie drängten regelrecht in das Haus hinein, dabei wollte ich sie gar nicht reinlassen», sagt Huber heute. Einer der beiden Herren redet auf den Pensionär ein – in sehr gutem Hochdeutsch –, während sich der andere munter in der Wohnung umschaut. Hubers haben diverse orientalische Teppiche – Erbstücke. Diese werden von den Herren gelobt: Dieser hier sei sehr schön, aber dieser da, der passe so gar nicht dahin. Sie würden Huber für diesen Teppich 8000 Franken bieten – besser gesagt, ihm diese erlassen, und ihm einen neuen Teppich für 7000 anstatt 15 000 Franken verkaufen. Doch Erich Huber will keinen Teppich. Er schickt die beiden wieder fort. «Es war nicht das erste Mal, dass wir solche Leute an der Haustür hatten. Leider auch nicht das letzte Mal», sagt Huber. 2500 statt 400 Franken für Reinigung Das nächste Mal, als ein selbsternannter Orientteppichexperte vorbeikommt, ist seine Frau alleine zuhause. Es ist keiner der letzten beiden Verkäufer und er kommt alleine. Er will ihr keinen neuen Teppich verkaufen, sondern einen der vorhandenen reinigen und die Fransen erneuern. Frau Huber ist ebenfalls misstrauisch, aber die Fransen sehen tatsächlich nicht mehr wie neu aus, und eine Reinigung schadet dem Teppich – einst gekauft für 15 000 Franken – bestimmt nicht. Sie nimmt die Auftragsbestätigung entgegen und gibt den Teppich mit ins «Orient-Teppich-Haus Schönbühl». Kostenpunkt: 2500 Franken. Als Erich Huber nach Hause kommt und die Auftragsbestätigung sieht, wird ihm klar: Da kann etwas nicht stimmen. Er ruft bei der Bodenbelags-Firma Zanettos in Biel an, die ebenfalls Orientteppiche im Sortiment führt und fragt nach dem Preis der Reinigung. «400 Franken, sagte man mir», so Huber. «Da wusste ich, dass meine Frau über den Tisch gezogen wurde.» Huber fährt noch gleichentags nach Schönbühl, will wissen, wie man auf diesen horrenden Betrag kommt. Die Teppiche würden speziell gereinigt, nicht hier, sondern im Iran, so die Antwort. Auf dem Flyer steht denn auch «nach persischer Tradition». Für Huber unverständlich. Sein Teppich liegt noch da, auf einem Stapel Teppiche. Er droht mit Polizei, wenn er sein Exemplar nicht sofort wieder mitnehmen dürfe. Und erhält ihn sogleich ausgehändigt. So glimpflich ausgegangen wie bei Herrn Huber ist es längst nicht jedem, Die Empfehlungen der Igot: • Händlern, die an der Tür für Teppichrei- nigung oder für einen Teppichkauf werben, keinen Einlass gewähren. • Sich über entsprechende Firmen im Internet erkundigen. • Bei Unsicherheit bei der Igot ([email protected]) Hilfe angefordern. • In jedem Fall eine Offerte verlangen, allenfalls eine zweite Offerte einholen. • Nichts unterschreiben und mündlich keine Vereinbarung treffen, wenn man das Angebot noch nicht prüfen konnte. • Nur Dokumente unterschreiben, bei denen die gesamte Geschäftsadresse auf Geschäftspapier, Vor- und Nachname in Druckschrift und eine lesbare Unterschrift vorhanden sind. • Nicht auf Barzahlungen eingehen, sondern einen Einzahlungsschein verlangen. • Es gilt: Je höher die Rabatte, desto höher die Chance, über den Tisch gezogen zu werden. reu der sich auf die Orientteppichhändler mit den sagenhaften Rabatten eingelassen hat. Familie Kugler* aus Biel hat sich Ende November auf einen Flyer der «Orientteppich Galerie Schwadernau» gemeldet. Ihre Teppiche – zwei Geba-Teppiche, einst gekauft für etwa 3000 Franken – sollten längst einmal gereinigt werden. Der Flyer wirbt mit 30 Prozent Winterrabatt und mit einem Abholservice im Umkreis von 80 Kilometern. «Praktisch», denken sich Ueli und Vreni Kugler. Bald darauf erscheinen zwei Männer, dunkle Jeans, oben Hemd, Krawatte und Jackett. Sie wirken seriös, freundlich, sprechen sehr gut Deutsch. Auch sie sehen sich in der Wohnung um, loben die Einrichtung, die «wunderschönen und wertvollen» Teppiche. Eine Auftragsbestätigung mit Kreuzchen-System wird ausgefüllt, die speziellen Behandlungsarten werden erklärt. Kosten: 1200 Franken, von den 30 Prozent Rabatt steht nichts. Kugler unterschreibt, die Teppiche gehen mit. «Es ging alles viel zu schnell», so Ueli Kugler. Es bleibt ein mulmiges Gefühl. Das Ehepaar geht deshalb unter der Woche beim Teppichunternehmen vorbei, will wissen, wie die Reinigung vonstatten geht. Doch es ist niemand da. An der Tür klebt ein Zettel: «Im Ausland bis 2. Dezember». «Da war uns klar, dass diese Teppiche nicht hier gereingt werden», so Kugler. Frappante Ähnlichkeit: Die Prospekte haben nicht nur ein sehr ähnliches Layout, sondern auch teils identische Bilder und Textpassagen (Oben: Prospekte der Teppichhäuser in Zuchwil und Solothurn, Mitte und unten rechts: Prospekt der OrientteppichGalerie Malinowski). Gemäss Preisbekanntgabeverordnung des Secos finden sich auf den Prospekten zudem folgende Mangelpunkte: - Bei einer Reduktion («35 Prozent Rabatt») muss klar sein, ob es sich um einen Selbstvergleich, einen Einführungspreis oder einen Konkurrenzvergleich handelt. - Bei einer bezifferten Preisreduktion («35 Prozent Rabatt») gilt die Pflicht zur Preisbekanntgabe. - «Bis zu 70 Prozent Preisnachlass» gilt als unkorrekte prozentuale Preisreduktion, da sie zu ungenau ist und deshalb die Aufführung des Detailpreises verlangt. Teppichfirmen reinigen kaum selbst Dass die Reinigung von Teppichhändlern nicht selbst gemacht wird, sei kein Indiz für unseriöse Arbeit, sagt Philippe Grossniklaus, Geschäftsführer von Zanettos. Fast kein Teppichhändler reinige die Teppiche noch selbst – zu aufwändig. Es gibt schweizweit eine Handvoll grosse Teppichreinigungsfirmen, zu denen auch Zanettos die Teppiche seiner Kunden gibt. Etwa die Knecht GmbH in Gais AR. Sie stellt eine Richtpreisliste her: Bandbreiten, für welche Leistung der Reinigung wie viel verlangt werden könne. Eine gewöhnliche Reinigung wird zwischen 43.60 Franken und 50 Franken pro Quadratmeter empfohlen. Zusätze wie Mottenschutz (8.35 Franken) oder Urinbehandlung (8.35 Franken) kosten extra. «Generell sollte man für eine Spezialreinigung von Orientteppichen mit etwa 52 Franken pro Quadratmeter rechnen», sagt Bruno Meier, Präsident der Interessensgemeinschaft für Orientteppiche (Igot). Im Fall von Familie Kugler, die zwei Teppiche von je etwa vier Quadratmetern reinigen liess, ergibt sich somit ein kalkulatorischer Preis von 416 Franken. Weniger als die Hälfte, als sie für die Auftragsbestätigung unterschrieben hat. Frappante Ähnlichkeit der Flyer Bruno Meier ist täglich in der ganzen Schweiz mit derartigen Fällen konfrontiert. «Der Reinigungs- und Restaurationsmarkt von Orientteppichen in der Schweiz ist in den Händen von Menschen mit krimineller Energie. Sie täuschen die Kunden systematisch.» Meier spricht von einer Organisation mit unseriösen Geschäftspraktiken. Auffällig ist: Mehrere in der Schweiz tätige Orientteppichhändler haben fast identische Flyer. Die Prospekte haben nicht nur ein sehr ähnliches Layout, sondern auch einzelne identische Bilder und Textpassagen, sogar gleiche Vorher-NachherBilder (siehe Bebilderung oben). Es handelt sich neben dem Händler in Schwadernau um das Orientteppichhaus Solothurn und die Teppich-Werkstatt Behrens in Zuchwil. Die beiden Letzteren werden von einer Familie Behrens geführt. Keines dieser Geschäfte hat eine Internetseite, und auch sonst lässt sich abgesehen vom Flyer kaum etwas über sie erfahren. Auf die frappante Ähnlichkeit angesprochen, gibt sich Janosz Malinowski, Geschäftsführer der Orientteppich-Galerie Schwadernau, gelassen: «Wahrscheinlich haben sie dieselbe Druckerei Das Teppichunternehmen in Schwadernau wendet beim Teppichreinigen die den Experten bekannten, unseriösen Methoden an (links). Bilder: zvg/bt in Deutschland wie wir.» Sowohl Inhaber Maurice Mauritius Behrens wie auch Malinowski sind deutsche Staatsbürger. Auch das Logo – abgesehen vom Familiennamen und den Initialen kaum auseinanderzuhalten – sei von der Druckerei gemacht worden. Ebenso die Fotos, damit hätten sie nichts am Hut. Die VorherNacher-Fotos stammen also nicht von Schwadernau? «Nein, aber das ist doch keine Täuschung. Wir zeigen dem Kun- den ja nur, wie es nach der Behandlung aussehen wird», so Malinowski. Er beteuert, die Familie Behrens nicht zu kennen. Teppiche trotz Reinigung schmutzig Die beiden Teppiche werden zwei Wochen später wieder bei Familie Kugler abgeliefert. Obwohl Herr Kugler verlangt, der Geschäftsführer möge doch die Teppiche vorbeibringen, erscheinen stattdessen zwei junge Herren anfangs bis mitte zwanzig. Auch sie sind freundlich, zuvorkommend, lassen die Besitzer die Teppiche anfassen. Sie scheinen gereinigt, riechen frisch und sind weicher. Vor der Bezahlung – sie erfolgt wie von den Geschäftsleuten gewünscht in bar – will Ueli Kugler wissen, ob er denn nun noch diese 30 Prozent auf den Betrag von 1200 Franken erhalte. Sei bereits inbegriffen, so die Herren freundlich. «Das steht aber nicht auf der Offerte. Das muss doch stehen. Das war der Grund, weshalb wir überhaupt angerufen haben», so Kugler. Aber sie hätten doch ihre Arbeit gemacht, so einer der jungen Herren, die 30 Prozent seien inbegriffen gewesen. Und sie wollten doch, dass der Kunde zufrieden sei. Nach weiterem Verhandeln einigt man sich auf 900 Franken. Kaum sind die beiden Herren gegangen, fällt der Familie ein, was sie eigentlich bei der Abnahme tun wollte: Den Klopftest – die Teppiche auf ein weisses Papier ausklopfen. So wie es von den Herren gezeigt wurde, um zu verdeutlichen, dass ihre Teppiche schmutzig seien und einer Reinigung bedurften. Es wird nachgeholt – und, obwohl der Teppich gereingt scheint, fällt sandartiger Schmutz auf das Papier. Das sei eben so bei alten Teppichen, sagt der Geschäftsführer anschliessend am Telefon. Nach weiterem Beharren bestellt er Ueli Kugler zu sich ins Geschäft während der nächsten Tage, um sich zu einigen. oder Offerten wird der Vorname jeweils nur mit dem Anfangsbuchstaben angedeutet und der Nachname ausgeschrieben. So auch im Fall einer Auftragsbestätigung, die dem BT vorliegt. Somit ist es oftmals schwer nachzuvollziehen, wer woran beteiligt war. Auch, weil auf den Dokumenten nur selten rechtsgültige Hinweise auf das Unternehmen und dessen Inhaber zu finden seien, sagt Ralf Koller. Herren haben ein selbstsicheres Auftreten, sind sehr charmant und zuvorkommend. Und der Schweizer ist guten Glaubens, Sauberkeit bedeutet ihm viel – so ist seine Mentalität.» In den Köpfen der Schweizer sei schliesslich auch verankert, Qualität gekauft zu haben. «Insbesondere die ältere Generation wuchs in der Überzeugung auf, dass Orientteppiche wertvoll seien oder eine Wertanlage darstellen», sagt Koller. Der Gutachter betont deshalb: «Es stimmt nicht, dass gezielt ältere Leute angegangen werden. Aber ältere Leute sind häufiger betroffen, weil bei ihnen Orientteppiche am meisten verbreitet sind.» Auch gebe ausserhalb der Grossstädte wegen dem «Lädelisterben» kaum noch Textilreiniger oder Teppich- und Inneneinrichtungsgeschäfte, wo Orienttep- pich-Besitzer früher noch ihre Teppiche reinigen liessen. bung kostet ein Vermögen.» Er rechnet vor: «Einer dieser Clans gab letztes Jahr binnen drei Monaten 150 Teppiche zum Reinigen in eine Teppichwäscherei. Der erfahrungsgemässe Auftragswert liegt bei 3000 bis 5000 Franken pro Teppich.» Nur in wenigen Ausnahmen würden Einzahlungsscheine erstellt. «In aller Regel wird bar einkassiert. Tiefe und mittlere fünfstellige Beträge sind dabei alles andere als die Ausnahme», so Koller. Erfahrungsgemäss würde ein Geschäft etwa einen Monat bis sechs Monate am selben Ort bleiben, sagt Koller. Irgendwann sei die Wiese abgegrast. Aber: «Gras wächst ja bekanntlich immer wieder nach.» reu offerte einholten. Zudem seien die Preise keineswegs mit jenen von anderen Teppichreinigern zu vergleichen: «Wir reinigen von Hand und biologisch mit Regenwasser. Das ist sehr aufwändig. Bei den anderen grossen Reinigungen läuft alles maschinell und chemisch.» Die Teppiche würden in Basel gereinigt – von selbst angestellten Mitarbeitern. Den entsprechenden Quadratmeterpreis von 150 Franken wie bei Familie Kugler findet Malinowski deshalb nicht zu hoch: «Alles kostet Geld bei dieser Reinigung: Spannen, Klopfen, Saugen. Zudem sind wir kein Grossunternehmen. Wir müssen Löhne und Miete bezahlen.» Er habe 50 Kunden und bisher seien alle zufrieden gewesen. Dass sich jemand nun an die Presse wende, anstatt sich bei ihm zu beschweren, enttäusche ihn. «Das hätten wir doch selbst klären können.» Man solle bitte nichts Schlechtes schreiben über seine Firma. Mehrmals erkundigt er sich nach dem Namen der entsprechenden Kunden. Und fragt, ob der Artikel trotzdem erscheinen werde, wenn diese sich nun doch zufrieden äussern würden. Keine Stunde später meldet sich Ueli Kugler. Janosz Malinowski biete ihm nun zwei Varianten: Eine erneute Reinigung – kostenlos – oder einen zusätzlichen Rabatt von 300 Franken. Die Firma wolle zufriedene Kunden haben. *Name wurde geändert und ist der Redaktion bekannt *Alle Namen wurden geändert und sind der Redaktion bekannt. «Es wurde niemand gezwungen» Mit den Vorwürfen von zu hohen Preisen konfrontiert, wehrt sich Malinowski: «Es wurde niemand gezwungen, den Teppich bei uns reinigen zu lassen, das ist alles freiwillig. Die Offerte muss niemand unterschreiben.» Auch seien Kunden selbst schuld, wenn sie keine Vergleichs- «Psychologisch dreiste Vorgehensweise» Für Bruno Meier, Präsident der Schweizerischen Interessensgemeinschaft für Orientteppiche (Igot), sind die genannten Fälle Alltag: «Damit habe ich täglich zu tun.» Das gleiche gilt für einen weiteren Gutachter Ralf Koller*, ein Mitglied der Schweizerischen Orientteppichhändler-Vereinigung (SOV). «Es handelt sich um ein System, eine Organisation», sagt Meier. Dieser Meinung ist auch Koller. Er sieht darin auch eine Folge der Personenfreizügigkeit. «Bei den meisten dieser Fälle, bei denen Reinigungen, Restaurationen und Verkauf von Orientteppichen angeboten werden, handelt es sich um Personen deutscher Staatsangehörigkeit. Sie sind in der Regel bereits in Deutschland mit gleichlautendem Familiennamen bekannt und sind den Sinti und Romas zuzuordnen», so Koller. «In Deutschland ist das gleiche System bereits seit über 15 Jahren bekannt und beschäftigt regelmässig und intensiv Gerichte wie auch den Bundesverband der Sachverständigen für orientalische, handgeknüpfte Teppiche und Flachgewebe e.V. (BSOT)». Die Schweiz sei finanziell betrachtet aber lukrativer. «Und vor allem noch jungfräulich», so der Gutachter. Schweizweit gebe es aber auch bekannte Ausnahmen: «Diese sind orientalischen Ursprungs und haben ein Ladenlokal.» Koller spricht von zurzeit sieben bis acht Clans, die in der Schweiz temporär aktiv sind. In mindestens drei Fällen seien sie sesshaft aktiv. Innerhalb eines Clans gibt es zahlreiche Mitglieder, die alle denselben Familiennamen tragen. Bei Auftragsbestätigungen, Quittungen Orientteppiche als Wertanlage Die Clans haben alle ihre regionalen Tätigkeitsgebiete. Laut Ralf Koller sind sie zwar miteinander verknüpft, operieren aber unabhängig voneinander. Das Tätigkeitsgebiet beschränke sich derzeit stark auf den deutschsprachigen Raum, sagt Gutachter Ralf Koller. «Diese «Millionen werden erwirtschaftet» Koller schreibt den Verkäufern aussergewöhnliche Fähigkeiten zu: «Diese Leute können sofort beurteilen, welchen Charakter der Kunde hat, welche finanzielle Situation und welchen Geschmack. Und sie haben ein Händchen für die Schmerzgrenze beim Preis.» Zudem würden sie stets vorgeben, dass es sich beim zu reinigenden Teppich um eine «sehr wertvolle Anfertigung» handle, um so hohe Auftragsbeträge abzuschliessen und zu rechtfertigen. «Es ist eine psychologisch dreiste Vorgehensweise», so Koller. Laut Ralf Koller werden in diesem Teppichgeschäft Millionen erwirtschaftet. «Allein diese Inserat- und Prospektwer- «Sippenhafte Organisation» Bruno Meier ist als Präsident der Igot täglich mit den Methoden von Reinigungs- und Restaurationsfirmen für Orientteppiche konfrontiert. Im Zusammenhang mit Betrugsfällen arbeitet er auch als Gutachter für die Staatsanwaltschaft. Bruno Meier, wer sind diese ominösen Teppichhändler? Bruno Meier: Viele dieser berüchtigten Teppichhändler und –reiniger stammen aus dem süddeutschen Raum und wirken so in die Schweiz ein. Auffallend ist, dass viele einen Balkanursprung haben. Es scheint, dass es sich dabei um sippenhafte Organisationen handelt. Diese Teppichhändler eröffnen häufig Geschäfte, sind dann einige Monate da und wenn es brenzlig wird, verschwinden sie wieder. Sie täuschen die Kunden systematisch – und sie sind damit wahrlich Experten. Zwischenzeitlich haben wir es auch mit Personen und Geschäften zu tun, welche aus anderen Nationen als den genannten stammen und ebenfalls in der Schweiz ihr Unwesen treiben. Wie werden die Kunden getäuscht? Einerseits mit Rabatten, beziehungsweise Scheinrabatten. Den Kunden werden Rabatte vorgegaukelt, die keine sind. Mit dem «immensen» Preiserlass entsprechen diese bestenfalls dem tatsächlichen Wert. Und dann gibt es noch die berüchtigten Verkäufe an der Tür, die sogenannten Haustürverkäufe. Welche Tricks werden da angewandt? Zuerst werden die vorhandenen Teppiche gelobt – wie schön, selten und wertvoll sie sind. Der Laie glaubt seinem unverhofften Reichtum gerne. Häufig wird dann irgend ein astronomischer Wert des Teppichs genannt. So erscheint eine Investition in eine Reinigung oder Restauration – mit massiv übersetzten Preisen – im Verhältnis günstig. Ein zweiter Trick ist, dass die Herren für den alten Teppich – der meist kaum einen Wert hat – eine hohe Summe zum Abkauf bieten. Dann haben sie zufälligerweise einen viel schöneren Teppich dabei, der perfekt dorthin passt. Dieser sei sehr wertvoll, und wenn sie dafür den alten Teppich mitnehmen dürften, überliessen sie ihnen den neuen für 15 000 anstatt für 20 000 Franken. In solchen Fällen verliert der Kunde, laut unseren Erfahrungen, oft über 50 Prozent der netto bezahlten Summe. Und auch bei den Prospekten wird massiv getrickst (siehe Bebilderung oben). Wie können berüchtigte Händler immer wieder neue Geschäfte eröffnen? Im Handelsregister muss man sich erst ab 100 000 Franken Umsatz zwingend eintragen lassen. Zudem kann häufig nicht nachgewiesen werden, dass es sich um dieselbe Person handelt: Die «Familien» sind gross, alle tragen denselben Nachnamen. Auf Offerten und Rechnungen steht dann oftmals nur der Anfangsbuchstabe des Vornamens oder nur der Nachname. Die für das Geschäft verantwortliche Person ist deshalb nicht eindeutig identifizierbar. Dieses System erschwert deshalb allfällige Reklamationen oder Klagen enorm. Wie kann man gegen sie vorgehen? Sobald man etwas unterschrieben hat, ist es schwierig. Dann muss man nachweisen, dass die versprochene Leistung nicht eingehalten wurde. Damit die Polizei oder die Staatsanwaltschaft aktiv wird, bedarf es einer Anzeige. Und die muss begründet sein. reu
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