Kunstorte als Orte immateriellen Kulturgutes

KUNSTORTE ALS ORTE IMMATERIELLEN KULTURGUTES
UNESCO-Sonderschutz für immaterielles Kulturgut
Kunstorte als Orte immateriellen Kulturgutes
1. Kultur als schützenswertes Gut
Angesichts des verheerenden Vandalismus in diesem Jahr durch den IS im Nahen
Osten mit der Zerstörung von Jahrtausende alten Kulturgütern ist universales Kulturerbe unwiederbringlich verloren. US-Außenminister John Kerry hatte bereits Ende
September 2014 „vom größten Angriff auf die Kultur seit 1945“ gesprochen.
Nicht nur die materiellen Kulturgüter sind damit ausgelöscht, sondern auch das immaterielle, geistige Gedankengut der Völker dieser Region und damit eine Form ihrer
Identität. Der Nahost Korrespondent Daniel Steinvorth von der Neuen Züricher Zeitung bezeichnet diese Tragödie als eine Art des Genozids.
Obwohl UNESCO bereits 1954 in der „Haager Konvention“ mit vielen Staaten den
ziert hat und auch den Sonderschutz für immaterielles Kulturgut in einer internationalen Übereinkunft 2013 verabschiedete, ist man angesichts der Aggressionen im
Nahen Osten machtlos.
Aufgrund dieser Ereignisse hat der Blick auf den Künstler und Retrogradist, Adi
Hoesle, besondere Relevanz. Seit langem setzt dieser sich mit der Problematik des
Bewahrens und Schützens von materiellem und immateriellem Kulturgut auseinander. Der Künstler verfolgt in seinen Überlegungen und Fragestellungen die Wirkmacht des Konservierens und Bewahrens von Kulturgut für eine Nation ohne dabei
politisch zu werden. Sinn und Zweck des Bewahrens von Kulturgut ist für ihn die
Erhaltung des kollektiven kulturellen Gedächtnisses eines Volkes, das daran sein
Identitätsgefühl, den Rückbezug auf seine kulturelle Entwicklung und damit die eigene Größe misst.
Mit seinem performativen und konzeptuellen Projekt „Subduktive-Maßnahmen ZBOSdM05/2004 – 1500 Jahre Sonderschutz der UNESCO für 50 zeitgenössische
Kunstwerke“ 2004 hat Adi Hoesle die Thematik bereits auf den Punkt gebracht. Das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) beging eine Jubiläumsveranstaltung „50 Jahre Haager Konvention“, um an den unterzeichneten Vertrag
von 1954 unter dem Vorsitz von UNESCO zu erinnern. Im Rahmen dieses Jubiläums
zelebrierte Adi Hoesle die Einlagerung von 50 Kunstwerken namhafter deutscher
Künstler von Stephan Huber bis Andreas Gursky für eine Periode von 1500 Jahren
im Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland in Oberried bei Freideutschen Kulturgut unter Sonderschutz der UNESCO erklärt, de facto wurden sie
gleichzeitig dem Kunstmarkt und der Rezeption des Betrachters entzogen, sind somit
einem Zustand der Präsenz und Absenz ausgeliefert.
Zur Kennzeichnung von Kulturgut verwendet UNESCO laut Artikel 16 ein mit der
Spitze nach unten zeigendes Rautenwappen ähnliches Schild in Ultramarinblau und
Weiß. Der Sonderschutz von materiellem Kulturgut entspricht Artikel 17, eine dreifache Ausfertigung dieses Kennzeichens. Adi Hoesle hat letzteres als konzeptuelles
und symbolträchtiges Kunstwerk im ZBO an der Innenseite des Stollens zum Zeitpunkt der Performance befestigt und als künstlerisches Statement genutzt.
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Bild 1: Ausstellung der 50 Kunstwerke in den Edelstahlbehältern in der Bundeskunsthalle, Bonn, 2004
Bild 2: Blick in den Seitenstollen im Zentralen Bergungsort in Oberried, Breisgau
Bild 3: Eingang des Zentralen Bergungsortes für
Kulturgut am Berg „Schau ins Land“ in Oberried,
Breisgau
Bild 4: Aufgereihte Edelstahlbehälter mit eingelager5
Bild 5: Einbringen der mit Kunstwerken gefüllten
Edelstahlbehälter in den Barbarastollen, 2004
2. Sonderschutzzeichen „Immaterielles Kulturgut“ für das Sprengel Museum in Hannover
In gedanklicher Fortsetzung und Abrundung der „Verschluckungs“-Aktion hat der
Retrogradist zehn Jahre später das konzeptuelle Zeichen „Sonderschutz für immaterielles Kulturgut“ entwickelt. Erkennbar ist es durch die Umkehrung der Rautenfarben
weiß zu blau statt blau zu weiß. Eine weiße Raute zeigt mit der Spitze jetzt nach
unten. Der Gedanke der Immaterialität wird hier optisch schon greifbar. Das Zeichen
wirkt leichter, losgelöster von der nach unten weisenden irdischen Schwere, die das
Rautenzeichen für materielles Kulturgut aufweist.
In dem Projekt, das 2014 begann, sieht Hoesle vor, Museen sowie öffentliche und
private Sammlungen als Bewahranstalten für menschliches Gedankengut, symbolisch zu Orten immateriellen Kulturgutes, zu ernennen. Faktisch sollte an eben diesen Orten das konzeptuelle Zeichen für „Immateriellen Kulturgutschutz“ angebracht
werden, wodurch sich eine abstrakte und virtuelle Vernetzung dieser Schauplätze,
wie eine gemeinsame geistige Sphäre, eine mental cloud, einstellen sollte. Das symbolische Zeichen wirkt wie ein Emblem, ja sogar wie ein eigenes Label, das bezeichdass es in einem immer schneller werdenden Karussell der modernen Welt wichtig
bleibt, besonders geistiges Kulturgut erkennbar zu machen, denn Kunst wird erst in
ihrer materialisierten Form zur Kunst durch ihre dominant geistige Dimension.
Das Emblem wird erstmals im September 2015 zur Eröffnung des Neubaus des
Sprengel Museums in Hannover an der Fassade des Eingangs einer der bedeutendsten deutschen Kunstsammlungen platziert. Die Sammlung des Museums mit
ihrem Wesensgehalt tritt damit als besonders schützenswert hervor. Doch geht die
Aussage des Kunstobjektes über den bloßen Wiedererkennungswert des Schutzzeichens hinaus. Adi Hoesle drückt das folgendermaßen aus: „Ich (das Zeichen)
stehe selbst unter Sonderschutz von UNESCO, mich kann man weder durch copyright-Rechte angreifen, noch zerstören!“ Es entspinnt sich ein intellektuelles Spiel um
die tiefere Bedeutung des Zeichens. Es erhält dadurch eine Selbständigkeit und Unabhängigkeit, die seine Position und Aussage als konzeptuelles Kunstwerk stärken.
Mit diesem Kunstobjekt ist Hannover, vor allen anderen Kunststädten in Deutschland,
tives Gedächtnis einsteht.
Denn Museen haben nicht nur die Aufgabe den ökonomischen und ideellen Wert
eines Kunstwerkes zu sichern, sondern auch seinen geistigen. Sie stellen eine Art
„Versicherungsunternehmen“ für allgemein als Kulturgüter bezeichnete Gegenstände
dar. Sie konservieren das Wissen aus der Forschung, der Geschichte, der Technologie, Soziologie – eben die materialisierte Form der Auseinandersetzung eines Künstlers mit dem Zeitgeist und der Ästhetik seiner Epoche. Angesichts der zunehmenden
Digitalisierung und Virtualisierung unserer Welt stellt sich die Frage, wie das Museum
künftig auf die in Veränderung begriffene Wahrnehmung des Menschen von Wirklichkeit und der herkömmlichen Kunst überhaupt reagieren wird.
In einem Interview der dpa mit Chris Dercon, dem ehemaligen Direktor der Londoner
Tate Modern, bestätigt der Allrounder, dass Internet und digitale Welten die Perzeption von Kunst verändern. Das Museum sei, so Dercon, ein Forum von Öffentlichkeit
geworden, „für die wir die Gesetze und Regeln neu schreiben müssen“. Denn es
habe in seiner ganzen Organisation auf ein Publikum zu reagieren, dass sich
aufgrund der digitalen Informationswelt verändere. Ein Ort des Sammelns und Bewahrens allein zu bleiben, trage dieser Entwicklung keine Rechnung. Vielmehr müsse die Verlagerung des Ortes an einen virtuellen Schauplatz ebenso mitbedacht werden wie auch die zunehmend ephemere und teils nur noch digital vorliegende Kunst.
Auf einer ganz anderen Ebene spricht der Schweizer Kurator und Kunstkenner
Jean-Christophe Ammann (*1939) die Immaterialität von Kulturwerten an, wenn er
festhält, dass die Beschäftigung mit Kunst als eine anthropologische Konstante zu
verstehen ist. Damit interpretiert er den Kunstort als ein Feld geistiger Arbeit. Aus
Sicht der Kognitionswissenschaft und der Neurobiologie sind Museen und Kunstorte
Räume, in denen verdichtete Interaktionen der Gehirn-Umwelt durch die Betrachtung
determiniert die Kultur das Gehirn. Es sind also ganz und gar zerebrale und noch viel
mehr geistige, also immaterielle Prozesse, die beim Besuch im Museum zu schwingen beginnen. Folglich könnte das Kunstwerk als materialisierter Auslöser, als Attraktor und Katalysator für geistige Interaktionen betrachtet werden.
Die Interpretation der Statements lassen nur eine Schlussfolgerung zu, dass sich
die oppositionellen Grenzen - analoges versus virtuelles Kunstwerk - und - Musemateriellen Rückbaus, ebenso wie das Museum selbst. Beides transformiert in einer
zunehmend medialen und virtuellen Welt in die Immaterialität und in eine digitale
Omnipräsenz.
Adi Hoesles Fragestellungen und Auseinandersetzungen mit Kunst liegen da ganz
im Trend der Zeitentwicklung. Der Pionier im Grenzdenken zwischen Kunst und
Wissenschaften, der sich seit mehr als zehn Jahren immer wieder der Frage stellt,
„Wo entsteht Kunst?“ hat sich dem Geheimnis des schöpferischen Prozesses, der
Entstehung des Gedankens zur Generierung eines Kunstwerkes durch die digitale
Technologie angenähert. Im Zentrum seiner performativen und konzeptuellen Vorgehensweise stehen künstlerische Aspekte, die er mit neurophysiologischen und wissenschaftlichen Untersuchungen sowie modernsten technologischen Möglichkeiten
(Brain-Computer Interfaces) verbindet. Zwischen 2004 und 2014 initiierte er in diesem Kontext diverse Ausstellungen, Workshops und Forschungsprojekte, wie „pingo
ergo sum – Das Bild fällt aus dem Hirn“ und „Malen dank der Kraft der Gedanken
– brainpainting“. Es waren interdisziplinäre Aktionen, die die Entstehung von Kunst
und ihre Unabhängigkeit von der materiellen Form bewiesen.
Im Zuge der Neueröffnung des Sprengel Museums und der Präsentation des immateriellen Sonderschutzzeichens von Adi Hoesle werden die herkömmlichen Wege der
Besucherinformation in Form von materiellen, schriftlich gehaltenen Booklets verlassen und primär auf den QR Code gesetzt.
Dieses virtuelle Medium (Katalog) kann der Besucher über sein Handy scannen. Eine
Prämiumkarte in Gold trägt nicht nur das Symbol des QR Codes, sondern auch das
Label des immateriellen Sonderschutzzeichens, das der Besucher mit sich führt und
damit selbst aktiv Repräsentant der geistigen Kulturgutschutzidee wird.
In weiteren Akten wären auch andere Museen, Institutionen und Sammlungen in
Hannover und Umgebung zu gewinnen, um unter dem corporate branding des immateriellen Sonderschutzzeichens eine tragende geistige Zusammenbindung der interdisziplinären Güter unserer Kultur zu erreichen.
Dr. Ulrike Kvech-Hoppe
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Bild 1: Entwurf ZKM, Karlsruhe, 20012
Bild 2: Realisierung ZKM, Karlsruhe 2014
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Bild 1: „Kunstorte als Orte Immateriellen Kulturgutes,
Installation, Sprengel Museum, Hannover, 2015
Bild 2: Detail
Bild 3: QR Code für digitalen Katalog
Adi Hoesle
Künstler, Retrogradist
seit Anfang der 90er Jahre Beschäftigung mit Rückbildungsmassnahmen im Kunstund Kulturbetrieb sowie in Forschung und Wirtschaft
1998
seit 2004
Gründung der Arbeitsgemeinschaft Retrograde Strategien 1998
Kooperation mit dem Institut für med. Psychologie und
Verhaltensneurobiologie,Universität Tübingen, Prof. Birbaumer
2005 – 2009 Mitinitiator des Projektes >Artists for Tichy – Tichy for Artists<,
Zürich, CH
2005 – 2009 Kurator der Stiftung Tichy Ocean, CH
seit 2008
Kooperationen mit dem Institut für Psychologie I der Universität
Würzburg
seit 2010
Kooperation mit der Universität Rostock, Informatik, Prof.
Lars Schwabe
2012
Gründung des Art Research Lab (ARL)
Ausstellungen / Projekte u.a.:
2015
„Auf der Suche nach der Eigenrealität des Bildes“ Galerie P103, Berlin
„Brain Painting“, Performance, Bern, Schweiz
„Kunstorte als Orte Immateriellen Kulturgutes“, Sprengel Museum, Hannover
2014
- UNPAINTED Messe, München
- Krapperupskonsthall, Schweden (zusammen mit Margret Eicher, Isabel Ker
kermeier)
- „Medicine Show“, Museum Wiesbaden (Kooperation mit Ben Patterson)
- „Immaterielles Kulturgut“, ZKM Karlsruhe
2013
- Die Biberacher Rückgabe, Museum Biberach
- VERE, BCI-Application, Pisa, Italien (2. Gewinner)
- Brain Dancing, Universität Rostock
2012
- „Rostocker Synapse – pingo, ergo sum“,
Kunsthalle Rostock, Rostock, Deutschland, Ars Electronica Center, Linz, Österreich
- „Brain Drawing“, Ars Electronica Festival, Ars Electronica Center, Linz, Österreich
- Brain Painting Performance, anlässlich des Zukunftsforscherkongresses, Wolfsburg
- „STYX“, Multimediainstallation, Hack Museum, Ludwigsburg
2011
- Aktionslehrstück „Mantelsaumsätze nach Pascals «Memorial» – Bürger trainieren
den Ewigkeitssinn“ (Kooperation mit Bazon Brock), HdBK Karlsruhe
- „Satte Farben vor Schwarz“, Galerie Strümpfe, Mannheim (mit M. Eicher)
2010
- „Brain Painting“, „Brain Drawing“, Information and Communication,Technology –
TOBI, Brüssel, Belgien
2009
- „Kometenschweif und Fluchtgepäck“, Installation im Rahmen des Projektes
„Marsch durchs Theoriegelände“ mit Bazon Brock, u. a. ZKM Karlsruhe, Haus der
Kunst München, Sammlung Falckenberg, Hamburg
2008
- „In 4. Generation“, Ausstellung, Volkskundemuseum Oberschönenfeld, Augsburg
- AG Retrograde Strategien, Ausstellung Galerie Müller-Roth, Stuttgart
2007
- „Reg dich nicht auf“, Gruppenausstellung, Netwerk, Aalst, Belgien (mit B. Friess)
- I`m surprised of red, yellow and blue“, Künstlerbund, Tübingen
2006
- „Der Grosse Rückbau“, Hamburger Bahnhof, Berlin/Kunstverein Heilbronn,
2001/2006
2004
- „The appearance of cerebration“, SIGGGRAPH, Los Angeles, USA
- „Subduktive Maßnahmen – ZBO SdM / 052004“ Kunsthalle Bonn/Oberried/Freiburg
2003
- „EEG Measurements during reception“, Ars Electronica Festival, Linz, Austria
2002
- „Visitation WKV2002“, Württembergischer Kunstverein, (AG Retrograde Strategien),
Stuttgart, Germany
2001
- „Der Große Rückbau“, Hamburger Bahnhof, Berlin, (AG Retrograde Strategien),
Germany
- „Der Stille Rückbau“, Kunsthalle Hamburg, Hamburg, (AG Retrograde Strategien)
- „Kopfnicker“, WKV Stuttgart, 2002
- „Anleitung EEG Anwendung“, 2004
- STYX, 2011
Veröffentlichungen u.a.:
- Die Biberacher Rückgabe, Ausstellung, 2013
- Pingo ergo sum, Katalog, Ausstellung Kunsthalle Rostock, AEC Linz, 2012
- Culture insurance no title no reception, Salon Verlag, Köln, 2006
Presse u.a.
- Brandeins „Der Rohstoff Arbeit“, Dirk Böttcher, 11. Jahrgang Heft 09, 2009
- „Was mein Hirn so alles ausmalt“, Sarah Elsing, FAZ, 8. 5. 2010
- Wissen „Den Gedanken auf der Spur“, Alice Natter, 13. 3. 2010
- BIO spektrum, „Mein Gehirn ist meine Leinwand“, Adi Hösle, 14. Jahrgang,
07 11. 2008
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,726767,00.html
- „Pingo, ergo sum“, Bio Spektrum7/2008
Film/TV u.a.
- Pingo ergo sum, ZDF heute journal, 2012, ARTE Metropolis 2012, ARD Kul
turnacht, 2012
- „Brain Painting“, 3SAT Kulturzeit, Aspekte ARD, 2009
- „Subduktive Maßnahmen-ZBO/052004“, ZDF heute journal, ARD Tagesthemen,
2004
Stipendien:
- Arbeitsstipendium Kunstfonds Bonn e.V., 2006
- Verlags- und Publikationsstipendium Kunstfonds Bonn e.V., 2005
Websites:
www.retrogradist.com
www.verschluckung.de
www.brain-painting.com
www.pingo-ergo-sum.de
www.ag-retrograde-strategien.com