Zitterpartie im Antragsstau Eltern bangen um Schulbegleiter Nach Schulbeginn in Thüringen läuft noch nicht alles rund. Nicht alle Kinder mit Handicap haben einen Schulbegleiter an ihrer Seite, obwohl sie ihn brauchen. Das meinen zumindest die Eltern. Sozial- und Jugendämtern aber prüfen genau, welche Art von Hilfe zur Eingliederung nötig ist. von Corinna Ritter-Kallwitz Lukas mit Schulbegleiterin Annerose Streit in seiner Klasse Ein Schulbegleiter soll dann helfen, wenn ihn das Kind braucht. Ein Motto nicht nur der Sozial- oder Jugendämter, die für die Kosten aufkommen müssen. Auch Janet Viktor plädiert für so viel Selbständigkeit wie möglich, aber auch für die Unterstützung, die es braucht um das Leben meistern zu können. Sie ist Mutter eines behinderten Jungen und auch Schulbegleiterin an einer Grundschule in Pößneck. Ihr Sohn Lukas hat Trisomie 21, das Down-Syndrom. Diesen Gendefekt erklärt sie Kindern so: "Lukas Körper hat einen Baustein zu viel, der anders macht." Der 16-Jährige besucht die Regelschule und hier habe er viel Spaß, sagt seine Mutter. Sie ist froh darüber, dass Lukas der Sprung vom integrativen Kindergarten in die Grundschule Ranis gut gelungen ist. Das war 2006 und Janet Viktor ist so etwas wie eine Pionierin des inklusiven Lernens. Ein Jahr lang führte sie Gespräche mit Ärzten, der Direktorin der Grundschule und dem Sozial- oder Jugendamt und stellte einen Antrag auf Eingliederungshilfe, so der offizielle Begriff. Kurz vor Schulbeginn kam die Bewilligung, erinnert sich Lukas Mutter. "Damals gab es noch keinen Pool von Schulbegleitern", erzählt sie. "Ich musste mich selbst auf die Suche machen". Und so ist von Anfang an Annerose Streit die Schulbegleiterin von Lukas. Sie unterstützt ihn zum Beispiel beim Sport oder in den Pausen und bringt ihn zum Schulbus. Freie Träger bangen Heute gibt es zahlreiche freie Träger, die Schulbegleiter beschäftigen. Jeder kann sich als Schulbegleiter bewerben, eine Ausbildung ist nicht gefordert, sagt Anja Kuschick-Büttner. Als Geschäftsführerin des Behindertenverbandes Saale-Orla-Kreis beschäftigt sie Schulbegleiter, von denen sie einigen immer in den Sommerferien kündigen muss, weil es für sie in dieser Zeit kein Geld vom Landratsamt gibt. Sie kritisiert wie ihre Kollegen, dass die Schulbegleiter oft erst in der letzten Ferienwoche von ihrer Weiterbeschäftigung erfahren und teilweise weniger Stunden arbeiten können. Bei Schulanfängern oder beim Wechsel von der Grundschule in Regelschule oder Gymnasium entscheiden die zuständigen Ämter manchmal erst im Oktober, ob das Kind die Hilfe eines Schulbegleiters bewilligt bekommt. "Im Fall eines Kindes mit seelischer Behinderung haben wir einen Schulbegleiter beauftragt zu helfen, auch wenn der Bescheid auf sich warten lässt." Unsicherheit bei Folgeanträgen MDR THÜRINGEN JOURNAL Kompetente Begleitung durch die Schulzeit 31.08.2015, 19:00 Uhr | 02:34 min Allein bei den Mitgliedsorganisationen der freien Wohlfahrtspflege des PARITÄTISCHEN Thüringen sind fast 200 Schulbegleiter betroffen gewesen. Die Eltern, der von Ihnen betreuten Kinder, haben die nötigen Folgeanträge zwar gestellt, in einigen Fällen haben die Ämter noch nicht entschieden. Und so warten thüringenweit nach Schulbeginn noch einige Eltern von behinderten Kindern auf die Bewilligung eines Schulbegleiters. Betroffen sind insbesondere die Eltern von Schulanfängern. Sie sind "Neulinge" und haben deshalb möglicherweise ihren Antrag beim richtigen Amt etwas zu spät abgegeben, vermutet eine Teamleiterin von "Querwege e.V." Jena. 74 Schulbegleiter haben bis zu den Ferien im Auftrag des Vereins Kinder mit Behinderung betreut. Aktuell sind es nur noch 70, erzählt eine Teamleiterin. Vier Kollegen haben sich schon wegen der Unsicherheit einen anderen Job gesucht, andere warten, wie viele Stunden Betreuungszeit sie bewilligt bekommen. Noch Probleme bei Schulbegleitern in Thüringen | Audio Die Aufgaben eines Integrationshelfers, wie er offiziell genannt wird, reichen je nach Behinderungsgrad vom Abholen und Bringen des Kindes, Anziehen, die Pausen- und Hortbetreuung, das Sortieren der Schulmaterialien und die Körperpflege. Pädagogische Tätigkeiten übernehmen sie nicht, auch keine Hilfe bei den Hausaufgaben. Der Weg zum Schulbegleiter Eltern müssen einen Antrag beim Sozial- oder Jugendamt stellen. Die Mitarbeiter prüfen für jedes Kind, ob seelisch, geistig oder körperbehindert, welche Hilfe die richtige ist. Das kann auch ein Heimaufenthalt sein, Förderunterricht oder das Lernen in einer Förderschule. Jeder Fall ist anders und das macht es den Prüfern schwer, bittet Elisabeth Rau um Verständnis für ihre Kollegen. Die Sprecherin des Landratsamtes des Saale-Orla-Kreises weiß, wie aufwendig das Verfahren ist. "Es müssen Stellungnahmen von Ärzten eingeholt werden, die Direktoren und Lehrer füllen Fragebögen aus und auch die Eltern werden befragt." Die Mitarbeiter der zuständigen Ämter beobachten die Kinder im Unterricht und in den Pausen, um ihre Stärken und Schwächen kennenzulernen und so ihren Förderbedarf einschätzen zu können. Aktuell werden 58 Kinder betreut – der Bedarf steigt. Lagen die Kosten im vergangenen Jahr bei rund 420.000 Euro, rechnet das Landratsamt für dieses Jahr mit etwa 710.000 Euro. Jetzt kommt Kriterienkatalog Weil das alles so schwierig ist und manche Eltern auch Widerspruch gegen den Bescheid einlegen, hoffen die Mitarbeiter der Jugend- und Sozialämter schon lange auf Rechtshilfe vom Land. Am kommenden Mittwoch soll die Arbeitshilfe auf einer Tagung präsentiert werden, verspricht Christine Kascholke vom Landesjugendamt. Auf 30 Seiten bekommen Schulämter sowie Sozial- und Jugendämter Empfehlungen an die Hand, wie Kinder mit Handicap beim Lernen unterstützt werden könnten. Dazu zählen beispielsweise Möglichkeiten der sonderpädagogischen Förderung, aber auch Leistungen der Krankenkassen wie Physiotherapie, Ergo- und Sprachtherapie. Das Land hat die Arbeitshilfe gemeinsam mit Vertretern der Kommunen erarbeitet. “Die Arbeitshilfe ist keine gesetzliche Vorgabe“, sondern versucht eine "Marschrichtung“ vorzugeben, um die Bescheide einheitlicher zu gestalten, sagt Christine Kascholke. "Letztendlich entscheidet aber das Sozial- oder Jugendamt und nicht das Land." Alle Beteiligten hoffen, dass sich künftig weniger Eltern über einen Bescheid beschweren müssen, weil sie die Entscheidung besser nachvollziehen können. Zuletzt aktualisiert: 31. August 2015, 20:24 Uhr
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