BERUF & KARRIERE 82 04/08 DER RASTLOSE PORTRÄT CHRISTIAN JOHNER Christian Johner ist Experte für Gesundheits-IT und Hochschullehrer. Aber nicht irgendeiner. Er gehört zu jenen in Deutschland seltenen Professoren, die sich wirklich um ihre Studenten kümmern und dafür von denen nur allerbeste Noten erhalten. Damit seine Kurse wirklichkeitsnah bleiben, aber auch zum eigenen Vergnügen, arbeitet Johner neben der Hochschule an der Entwicklung und Qualitätssicherung von Software. hristian Johner ist immer pünktlich und nach allem, was man über ihn hört, unglaublich diszipliniert. Anders ist auch kaum zu erklären, dass er Lehraufträge an nicht weniger als vier verschiedenen Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Forschungsarbeit und Onlinelehrtätigkeit an seinem Institut für IT im Gesundheitswesen und C 04/08 nebenbei auch noch umfangreiche Beratungstätigkeit unter einen Hut bringt. Jedenfalls führt seine Disziplin dazu, dass er E-Mails regelmäßig auch noch nachts gegen ein Uhr verschickt. Zu Hause ist Johner in Freiburg im Breisgau. Dort, in direkter Nachbarschaft zum Elsass, schätzt man Kultur, Essen und Trinken. Aber für sein Stu- dium sucht er sich etwas ganz Hartes aus. Johner studiert Physik, lernt strukturiertes Denken. „Das Studium ist eine Hirnschule. Ansonsten brauche ich von dem gelernten Stoff heute eigentlich nichts mehr.“ Strukturieren und Probleme lösen, „rechteckig denken“, wie er es nennt, das ist ihm wichtig. Schon der Student entwickelt einen ungewöhnlichen Arbeitseifer, arbeitet 83 BERUF & KARRIERE „Ich bin kein Hasardeur, aber Langeweile wäre mir ein zu hoher Preis für Sicherheit.“ nebenher als Medizinphysiker, plant Bestrahlungen und darf sogar CT und Diagnostik machen. „Das hat mir Spaß gemacht“, sagt er. Die Physik alleine hätte ihm nicht gereicht. Ebenfalls nebenher besucht er eine der „schönsten Lehrveranstaltungen meines Lebens“ zum Thema Rechner, Rechnerarchitektur und Programmierung. „Das fand ich sensationell.“ So stellt Johner früh für sich fest, dass Medizin, Gesundheitswesen und IT seine Welt sind. Er schreibt seine Promotion und zieht nebenher eine Firma hoch, die für niedergelassene Ärzte das Qualitätsmanagement für Röntgengeräte übernimmt. „Ich habe schon immer gerne und viel gearbeitet“, sagt er lapidar. „Das Studium und die Promotion, das ist so durchgerutscht.“ Das Studium beendet er mit der Abschlussnote 1,0, für die Promotion erhält er die Bewertung summa cum laude. Für Johner gibt es keine Trennung zwischen beruflich und privat. Er sagt, er mache immer das, wozu er Lust hat, und man glaubt es ihm. Er wirkt stets so, als sei er ganz mit sich im Reinen. „Wenn ich nicht mehr in meinem Wohlfühlbereich bin, dann gehe ich“, sagt er. In so einer Situation hat er sein damaliges Angestelltenverhältnis bei Fresenius Medical Care gekündigt. Das fand er nach mehr als zehn Jahren „nicht mehr ganz so lustig“. Dabei hatte er sich viel davon versprochen. Direkt nach dem Studium beginnt Johner bei Fresenius als wissenschaftlicher Mitarbeiter und will Karriere machen: „Ich hab‘ mich mit Aktenköfferchen, Anzug und Krawatte durch die Gegend reisen gesehen, das fand ich eine supertolle Vorstellung“, grinst er heute, weil er 84 ZUR PERSON Christian Johner wurde 1967 in Freiburg geboren. Er ist Dozent an der Donau-Universität Krems und an der Universität von St. Gallen und hat zwei Professuren inne, in Neu-Ulm und Konstanz. Johner ist studierter Physiker, ist Gründer und Leiter des Instituts für IT im Gesundheitswesen und betreibt ein Beratungsunternehmen für die Entwicklung und Qualitätssicherung medizinischer Software. inzwischen weiß, dass ihm genau das so gar nicht entspricht. Bei Fresenius erwischt ihn die Jahrtausendwende. Die Riesenhysterie geht auch an Johner nicht vorbei; er gründet wieder eine Firma, die Calcucare AG. „Das war etwas größenwahnsinnig, gleich eine Aktiengesellschaft zu gründen, aber damals spielte Geld einfach keine Rolle.“ Die Kapitalgeber gaben Millionen für kleinste Anteile. Johner ist in den USA unterwegs und baut nun schon mit IBM an Lösungen. „Wir haben uns auf Ketten von kleineren Krankenhäusern spezialisiert, auch wegen meines Fresenius-Hintergrundes, wo ich immer noch angestellt war. Fresenius hatte zu diesem Zeitpunkt bereits rund 2.000 Dialysekliniken und -praxen, die unsere Kunden waren.“ Johner bietet eine Software an, die der heutigen elektronischen Patientenakte ähnlich ist und die obendrein sämtliche Arbeitsabläufe steuerte. Die Firma wird schnell größer und erfolgreich. Aber wie bei vielen Startup-Unternehmen dieser Zeit ist die Luft auch schnell wieder heraus, die Aufbruchstimmung weg, die externen Kapitalgeber kollabieren und sind nicht mehr da. Johner wird von Fresenius abhängig, wodurch er seinen Gestaltungsraum eingeschränkt sieht. Er ist jetzt nur noch Teil eines Konzerns, und das gefällt ihm nicht: „Ich fand es fad.“ Er will seine Freiheit zurück, weil ihn dieses „Pärchen Freiheit und Verantwortung reizt“. Und er hat kein Problem damit, auch einmal gnadenlos zu scheitern. Wichtig ist es, sagt er, es probiert zu haben: „Ich bin kein Hasardeur, aber Langeweile wäre mir ein zu hoher Preis für Sicherheit.“ Nach dieser Maxime scheint Johner in allen Lebensbereichen zu handeln: Seine Frau lebt in Würzburg, er hat je eine Wohnung in Konstanz und in Freiburg. Während der Woche sehen sie sich selten, am Wochenende fast immer. „Wir müssen nicht sieben Tage zusammen sein, der Wechsel macht unser Leben spannend!“ Absolute Freiheit gehört dazu, sagt er, absolutes Vertrauen und inzwischen auch Teamarbeit: Johner und seine Frau, die vom Theater kommt, organisieren gemeinsam Events. Schon der erste Versuch wird ein großer Erfolg. Für sein Freiburger Institut haben sie einen „Institutstag“ ausgerichtet, eine Mischung aus Tagung, Examensfeier und Kultur. „Uns war wichtig, nicht den 500. E-Health-Kongress mit immer wieder denselben Sprechern zu machen und ein weiteres Mal darüber zu diskutieren, ob die Gesundheitskarte nun gut oder schlecht ist.“ Das Ehepaar Johner organisiert eine Art Fest mit vielen Künstlern, großem Bühnenaufbau 04/08 Rastlos: Urlaub sei für ihn kein Thema, sagt Johner. „Zu einem Kind sagt man ja auch nicht, komm Du hast genug gespielt, jetzt mach mal Urlaub.“ Immerhin geht er regelmäßig abends Joggen und hin und wieder setzt er sich ein wenig ans Klavier. und zum Abschluss einer Operngala. „Die Leute waren begeistert und haben verstanden, was ich wollte: Zeigen, dass E-Health auch ein schöner Teil des Lebens ist.“ Die nächste Veranstaltung gestalten sie am 29.und 30. Oktober in Bad Homburg für Fresenius. Zum seinem zweiten Institutstag am 3. und 4. Juli muss er schon nicht mehr einladen; die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Studenten reicht aus. Überhaupt seine Studenten. Johner will Wissen vermitteln, natürlich, deshalb seine vielen Lehraufträge. Aber es geht ihm um mehr: „Ich will Menschen fördern, im Leben und im Beruf.“ Als er beispielswiese an seinem Institut beobachtet, dass seine Studenten nicht besonders gut Vorträge halten können, führt er kurzerhand ein Rhetorikseminar ein. „Außerdem begleitet mittlerweile ein Coach die Studenten, der normalerweise für Führungskräfte bei Banken arbeitet.“ Die Studierenden sollen mit ihm rechtzeitig herausfinden, wo es eigentlich im Leben mit ihnen hingehen soll. Das kommt gut an. Johner ist sehr stolz darauf, wie seine Studenten ihn beurteilen. In einem ProfessorenRanking im Internet liegt er mit der Spitzennote sehr gut auf Platz eins unter den Informatikern. Seine Studenten möchte Johner auch davon überzeugen, wie wichtig es ist, Netzwerke zu spinnen und Brücken zu bauen. Zwischen Menschen, vor allem aber auch zwischen Professionen: „Zurzeit gibt es einen deutlichen Bruch zwischen den IT-Anwendern und denjenigen, die Programme und Geräte produzieren. Die ITler sieht man eigentlich nur im Keller sitzen, Pizza essen und Pickel haben. Das ist ein großes Problem. IT muss viel näher beim Anwender und zu seinem Nutzen entwickelt und produziert werden.“ Für den neuen Branchentreff Conhit, der als Nachfolger der Iteg vom 8. bis 10. April in Berlin stattfinden wird, hat Johner das Akademie-Programm entwickelt. Auch hierbei standen die Nähe zum Anwender und der intensive Erfahrungsaustausch im Mittelpunkt. Seit dem Jahr 2006 betreibt Johner auch noch ein Beratungsunternehmen. Spezialität: die Entwicklung, Validierung und Zulassung medizinischer Geräte und Software als Medizinprodukte. Viele Unternehmen wissen nicht, wie das funktioniert. „Man kann mit Software nicht, wie es früher bei vielen Geräten üblich war, zum Tüv gehen und um Vermessung bitten. Für Software gelten andere Regeln, da gibt es keine Fehler mehr, die man erkennen könnte – also muss man sich den Entwicklungsprozess ansehen. Es interessiert nicht mehr primär das Produkt, sondern wie man zu dem Produkt gekommen ist. Das ist ein komplexer Prozess, den wir beratend begleiten.“ Nicht nur im beruflichen Leben, auch privat überlässt Christian Johner nichts dem Zufall. „Ich strebe Glück ganz bewust an“, sagt er, und untersucht deshalb kontinuierlich, was er für sich noch besser machen könnte. Auch in seiner Ehe läuft das so: Die Johners sind sicherlich nicht in Gefahr, sich der Gewohnheit oder dem Alltag hinzugeben. Dafür besuchen sie auch schon mal gemeinsam ein Seminar, das „Erfüllte Partnerschaft“ heißt. << Sara Stern Fotos: Volkmar Otto 3 KALIERBARKEIT&UNKTIONSTIEFE"ENUTZERFREUNDLICHKEIT4ECHNOLOGIE)NTEGRATION $AS+)3MIT:UKUNFT (EUTEBEREITSAN-ORGENDENKEN-ITDEMSKALIERBAREN)NFORMATIONSSYSTEM -##ENTSCHEIDEN3IESICHF~REININNOVATIVESUNDINVESTITIONSSICHERES+)3 UNDDAMITF~RDIE:UKUNFT W WWMEIERHOFERDE 04/08 85
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