LEGENDS OF STEEL BENGT STILLER PA S S I O N V I N TA G E : R E N N E N, R Ä D E R U N D ROULEURE DELIUS KLASING VERLAG Inhalt 13 Vorwort 16 Masi 34 Herr S. 52 L’Eroica 80 Lino 98 In Velo Veritas 114 Pelizzoli 130 Moulton Bicycles 144 Michael Zappe 162 Paris–Roubaix 12 Vorwort VERY VERY HUNGRY Als ich mir in den Kopf setzte, ein Buch über alte Stahlrenner zu machen, habe ich mir vorgenommen, nicht vom sogenannten Glück auf zwei Rädern zu schreiben. Haben schon so viele vor mir exzellent getan. Nur: Man kann es drehen und wenden, wie man will – beim Stahlrenner kommt man am Glück nicht vorbei. Wird Ihnen jedes Sammlerherz bestätigen können! Zu Anfang hatte ich noch nicht viel Material beisammen. Genauer genommen hatte ich nur die grobmaschige Idee. Und ein Rad. Und meine Kamera. Und ein wenig Glück, näher ranzukommen und tiefer in eine Szene einzudringen, die Europa bis heute elektrifiziert. Um jenseits des Hypes nach genau den Leuten zu suchen, die das Rennrad nicht als modisches Accessoire nutzen, sondern von etwas anderem angetrieben werden. Ich wollte rausfinden, was das Besondere war. Welcher Wahnsinn einen nicht aufhören lässt, immer weiter nach diesen vielen einen Teilen zu graben. Ein Sog, der einen so einnehmen muss, dass man nie ein Ende sieht. Kein Ende sehen will. Mich haben im Leben immer die Freaks interessiert. Die, die immer ein wenig abseits standen. Etwas versteckt, aber voll da. Mit einer Hingabe bei dem, was sie verfolgen – oder verfolgt es sie? 13 Mein Anspruch bestand auch nicht darin, einen klaren Überblick über die europäische Szene zu geben. Ein unmögliches Unterfangen. Man bedenke nur allein den Fakt, dass das Rad einmal das schnellste Fortbewegungsmittel war und bis heute das meist gefahrene der Welt ist! Das Thema ist so vielfältig, ich hatte teilweise gar keine andere Chance, als an der Oberfläche zu kratzen. Um dann jedoch wieder ganz tief hineinzutauchen. Es waren Zufall und Glück, die mich zu vielen der Protagonisten geführt haben. Genau so wollte ich an die Sache rangehen. Länder nahmen nebensächliche Bedeutung ein. Unterhalten musste ich mich mit Händen und Füßen, da ich entweder die Sprache nicht beherrschte oder das in der Schule Gelernte so lange her war, dass einfach kein vernünftiges Wort über meine Lippen kommen wollte. Musste es aber auch nicht. Meist reichte ein Lächeln. Bengt Stiller M as i Hier kommt keine Schraube heimlich davon. Signore Masi! Wie inmitten einer Medititationsübung scheint er hier in aller Präzision die Position des Vorbaus zum Vorderrad zu fixieren. 16 Mailand 17 30 M&Ms! Einmal roh, einmal auf dem Weg der Besserung: Daraus soll einmal das Herzstück eines tollen Rades werden. Doch Masi fängt nur an zu löten, wenn Vize Angelo an dem Rohling bis zur Perfektion gefeilt und geschliffen hat. Angelo meint: Der Weg sei noch lang! 31 Masi Doch auch nachdem der Großmeister mit einer kurzen Verabschiedung auf seinem klapprigen Damenrad davongerollt ist, der Kittel wieder sauber auf seinem Montageständer hängt – der Geist Masis ist noch immer spürbar. Ein kleines Stück Magie! ist er einfach nur Masi. Sauber aufgereiht, wie beim Zahnarzt, liegt sein Werkzeug da – jeder Abstand zentimetergenau. Daneben Karteikarten mit den Bestellungen seiner Kunden. Jeder Wunsch, von Modell, Ausstattung, Einstellwinkel bis zur Sitzposition, ist in penibler Handschrift auf diesen Karten vermerkt. Maßgeschneiderte Einzelstücke! Mithilfe von Assistent Angelo als Übersetzer unterhalten wir uns. Dafür lässt Masi die Arbeit für einen Moment liegen und nimmt seine Brille ab. Es ist ruhig in der Werkstatt, Kunden kommen nur mit Termin vorbei – die Auftragsbücher sind ohnehin voll. Masi greift mit gezieltem Griff einen Bildband von einem der vielen Bücherstapel und beginnt zu blättern. Dabei scheint er die alten Erfolge noch einmal zu durchleben. Still. Schweigend. Plötzlich wird mir noch einmal richtig bewusst, wo ich mich hier befinde: in der Rahmenschmiede so vieler Fahrradlegenden wie Fausto Coppi, Fiorenzo Magni, Louison Bobet, Vittorio Adorni und, wie schon erwähnt, Eddy Merckx. Viele Sammler würden große Opfer bringen, um ein Rad dieses Mannes zu besitzen. Ein Masi, das ist so ungefähr der Maybach der Radrennszene. Nun bin ich also hier, doch meine Hoffnung, einen Raum weiter zu gehen und den Bereich der Werkstatt zu sehen, um bestenfalls sogar den sagenhaften Rahmenbau in Aktion zu erleben, bleibt ein unerfüllter Wunschtraum. »Komm du auf deinem eigenen Masi vorgefahren, dann öffnen wir dir auch die hinteren Tore!«, wird mir mit einem Lächeln geantwortet. Diskussion beendet. Ein bisschen erweichen lässt sich der Maestro dann aber doch. Er holt ein Oberrohr aus dem hinteren Raum und zeigt mit den Worten »Puntina! Puntina!« die für Masi so typischen Gravuren, die mit einem Punziereisen eingetrieben werden. Ein Foto darf ich machen, dann verschwindet das Teilchen aber auch gleich wieder. So, nun muss er aber auch wieder los. Familiäre Verpflichtungen. Irgendein Kaffeetrinken zum Geburtstag, wenn ich das richtig verstehe. Ciao. Arrivederci. Doch auch nachdem der Großmeister mit einer kurzen Verabschiedung auf seinem klapprigen Damenrad davongerollt ist, der Kittel wieder sauber auf seinem Montageständer hängt und es noch stiller ist als zuvor – der Geist Masis ist noch immer spürbar. Ein kleines Stück Magie! 32 33 L’ E ROI C A Klassisch. Vintage. Heldensaft. 52 Toskana 53 58 L’ E r o i c a Der Tag verdrängt die Nacht. Die letzten Wolken ziehen dahin. Es wird wieder ein warmer Tag werden im Oktober in der Toskana. Die Piste zieht sich wie ein Band durch die Hügel. Dank des Regens am Vortag wirbeln die Räder auf den Strada Bianca kaum Staub auf. Es regnet seit 18 Stunden. Pausenlos. Ich liege in meinem Ein-Mann-Zelt auf einem kleinen Grünstreifen in einer Buskehre und schaue auf die Uhr: 1 Uhr. Wann soll das Rennen genau beginnen – wirklich um 5 Uhr in der Früh? Nicht im Ernst! Besserung scheint nicht in Sicht. Es schüttet wie aus Kübeln! Dann zieht ein Gewitter auf, und an Schlaf ist gar nicht mehr zu denken. Die Blitze peitschen so heftig, dass man bei geschlossenen Augen das Gefühl hat, an einem Schweiß-Kurs teilzunehmen. Das soll also dieses legendäre Rennen werden! Nee, is klar. Ich bin bereits vor fünf Tagen aus Wien angereist. Hatte mein Rad zerlegt, in Frischhaltefolie gewickelt, um es als Gepäckstück im Zug zu transportieren, und war nach vier Mal Umsteigen endlich in der Toskana gelandet. Genauer gesagt in Gaiole, einem kleinen Ort, in dem 51 Wochen im Jahr wirklich überhaupt nichts los ist. Und dann kommt die L’Eroica. Platt bin ich, aber aufgeregt. In ein paar Tagen will ich mich auf die 209 Kilometer lange Schotterpistenstrecke wagen. Mit Stahlrahmen, Körbchen statt Klickern und Wäscheleinen am Lenker. Die frühe Anreise hat sich gelohnt. Die ersten Besucher trudeln langsam ein. Im Ort bauen die Verkäufer ihre Stände auf, begrüßen sich und schauen neugierig, was der Nachbar so im Angebot hat. Sammler können auch noch das eine oder andere Ersatzteil ergattern. Teile, Teile, Teile! Das ist die andere Seite der L’Eroica. Ob es nun Holzfelgen, Vintage-Wolltrikots, Lederschuhe aus allen Epochen, Karbidlampen oder spezielle Komponenten aus der ganzen Welt sind, es gibt scheinbar alles! Der Preis ist dann immer noch ein ganz eigenes Thema. Umso näher das Rennen rückt, desto voller wird das Dorf. Eine Metamorphose. Der Sportplatz wird zum Campingplatz, der Hauptplatz zur Startrampe. In jedem Hauseingang öffnet plötzlich ein kleines Geschäft. Der Dorfschuster verpasst alten Lederschuhen neuen Halt im Pedal. Der hiesige Radladen macht wohl im ganzen Jahr nicht so viele Notfall-Reparaturen wie in diesen Tagen. Jeder will halt gut vorbereitet starten. Schließlich fährt man den ganzen Tag lang immer wieder über die weißen Schotterpisten der Toskana. Egal ob man sich für die 38, 75, 135 oder 209 Kilometer lange Strecke entscheidet. Und was ist für diese Region noch typisch? Richtig, die Berge. Rauf und runter geht es – da ist es schön, wenn die Bremsen zumindest ein bisschen ihren 59 66 L’ E r o i c a Durstige Kehlen, schmerzende Glieder, keinen Sinn mehr für die Schönheit des Augenblicks – nach 210 langen Kilometern einfach nur ins Ziel! Nur noch wenige Meter. Schluss. Aus. Finito! Schneller, Schneller, immer Schneller! Mit Vollgas über Stock und Stein, durch abgesperrte italienische Innenstädte 67 71 L’ E r o i c a 78 79
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