MAXI OBEXER ILLEGALE HELFER Hörspiel INHALTLICHE UND KÜNSTLERISCHE MITARBEIT: LARS STUDER Vorbemerkung: Die Aussagen der Figuren sind auf der Basis von Interviews mit verschiedenen Personen entstanden; ein Teil von ihnen war bereits mehrfach straffällig und wurde wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Illegalen Einwanderung angeklagt. Andere könnten, wenn ihre Aktivitäten bekannt würden, angeklagt werden. Der Dank gilt all den Vielen, die uns mit ihren Berichten in die verborgene Welt der Menschlichkeit geführt haben. 2 Personen: Gesetzgeber Genner: Österreicher, ca. 70 Lukas: Deutsch-Schweizer, ca. 45 Ulrike: Schweizerin, ca. 80 Florian: Deutscher, Student, 25 Lehrerin: ca. 55 Verwaltungsrichter: ca. 60 Aktivistin: ca. 50 Susanna: ohne legalen Status, ca. 30 Aktivist: Österreicher, 40, im Rollstuhl Rechtsanwalt: ca. 35 Jahre 3 INTRO Genner: Zivilcourage ist heute notwendiger denn zuvor, denn es kann ja gelingen, Abschiebungen zu verhindern! Wenn ein Asylwerber einen Asyl-Antrag eingebracht hat und er ist von der Abschiebung bedroht in einen anderen EU-Staat. In einen angeblich so sicheren, wo wir ganz genau wissen, dass er dort wieder eingesperrt wird, gefoltert wird, unmenschlich behandelt und möglichst sogar weitergeschoben wird ins Herkunftsland. Und er nimmt dieses Schicksal nicht hin und er taucht unter lasst sich 18 Monate nicht erwischen, dann darf er da bleiben – sogar nach der Dublin-Verordnung. Nur 18 Monate sind eine lange Zeit. Wo soll er hin in dieser Zeit? Audio-Collage aus Making-Of-Material: Ansage: - Okay, können wir den Absatz noch mal haben? - Da waren so n paar Sachen, die verschluckt waren oder so? - Oje - Ah, das noch weiter meinst du? - Von vorne wieder an, ja - Das haben wir ja schon gelesen, ja? - (räuspern) nächste Seite - Das hatten wir ja schon, alles klar, - aber ich kann den noch mal machen Illegale Helfer Hörspiel von Maxi Obexer. Mitarbeit: Lars Studer Regie: Martin Zylka 4 1. Szene Lukas: Ich hatte mit meinen Kindern eine Zeit auf der Alp bei meinem Freund Jonas verbracht. Er bewirtschaftet einen Wald und mehrere Wiesen in den südlichsten Ausläufern der Schweizer Alpen im Tessin, direkt an der Grenze zu Italien. Wir helfen beim Melken, machen Käse, heuen, und in jenem Frühjahr, an Ostern, waren wir gerade dabei, den schmalen Saumpfad auszubessern, der von der Alp zum Tal führt. Wir schleppten große Granitsteine aus dem nahen Bachbett zum Weg und bauten eine Stützmauer in einer engen Kurve. Ein kühler Vormittag war's, als die beiden Hirtenhunde plötzlich anschlugen. Ein groß gewachsener, kräftiger Mann von vielleicht Mitte zwanzig kam den Saumpfad herunter, gestützt auf zwei Stöcke. Er sprach uns freudig an, in einem fast unverständlichen Englisch, strahlte und fragte er, ob er hier in der Schweiz sei. Wir bejahten. Der Mann war dankbar, begeistert eigentlich, die Schweiz! Der Traum geht in Erfüllung, und er fragte weiter, ob, wenn er diesem Weg ins Tal folgen würde, er zu einem Dorf käme. Ja, sagten wir. Ich spürte, wie es mich freute, ihm auf diese Weise helfen zu können. Er überbot sich mit Segnungen, God bless You, sagte er, ich glaube er nahm meine Hand, ich glaube auch, er berührte meinen Kopf. Genner: Und da ist die Zivilbevölkerung ist verpflichtet, so stell ich mir das vor, Schutzräume zur Verfügung zu stellen, in denen Schutzbedürftige, u. Schutzwürdige Traumatisierte, Folteropfer untertauchen können, so lange bis die 18 Monate um sind. Bis dahin müssen die Menschen irgendwo bleiben und es gibt ja auch Menschen guten Willens, Privatpersonen, Klöster, Kirchen, Gemeinden, Bauern - es gibt ja viele! Lukas: Ja, er hat sich gefreut, gestrahlt. Er hat uns umarmt. Er hat immer wieder Schweiz gesagt. Das ist der Weg ins Dorf, haben wir gesagt. 5 Genner: Vor jedem ehrlichen Schlepper, der saubere Arbeit macht, der seine Kunden sicher aus dem Land des Elends und des Hungers, des Terrors und der Verfolgung herausführt, der sie sicher hereinbringt, den Grenzkontrollen zum Trotz, in unser ‘freies’ Europa, habe ich Achtung. Er ist ein Dienstleister, der eine sozial nützliche Tätigkeit verrichtet und dafür auch Anspruch hat auf ein angemessenes Honorar. Lukas: Ja. Wir schickten ihn womöglich direkt ins Verderben. Denn im Dorf unten wachen die Nachbarn über die Straße, in großer Angst vor den Flüchtlingen. Früher war dieser Weg die Hauptroute der Schmuggler und Flüchtlinge. Eine solche Angst hatten die Leute im Dorf, dass sie die unteren Fenster vergittert und sich Schrotflinten angeschafft haben. Einmal kam ein Nachbar, der früher auf den Weltmeeren unterwegs war, nachts nach Hause. Als er die Tür öffnete, blickte er in den Lauf des geladenen Gewehres, das seine Frau ihm direkt ins Gesicht hielt. Sie vermutete Ausländer, die sich an der Tür zu schaffen machten. Diese Nachbarn waren sicher die ersten, die den jungen Mann den Behörden gemeldet haben. In Chiasso gibt es ein Auffanglager. Als er weg war, fuhr es mir wie ein Blitz durch die Knochen. Wir hätten ihn dabehalten sollen, auf der Alp! Ihn schützen. Wir hätten ihm drei Tage schenken sollen, ihn in Decken wickeln, ein Huhn schlachten und ihm eine Suppe machen können. Mit ihm diese unglaublich genauen Schweizer Karten studieren und mit meiner Tante Ulrike telefonieren, die seit über 20 Jahren Flüchtlingen hilft. Hätte er eine Chance gehabt? Wir hätten ihm einfach helfen können. War das nicht unterlassene Hilfeleistung? Gesetzgeber: RICHTLINIE zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt. 1) Eines der Ziele der Europäischen Union ist der schritt- weise Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts; 6 dies bedeutet unter anderem, dass die illegale Einwanderung bekämpft werden muss. Der Rat der Europäischen Union HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN: Artikel 1: Allgemeiner Tatbestand: Jeder Mitgliedstaat legt angemessene Sanktionen für diejenigen fest, die: a) einer Person, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates ist, vorsätzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates über die Einreise oder die Durchreise von Ausländern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen. Lukas: Warum hab ich ihn einer Staatsgewalt überlassen, von der ich weiß, dass sie nicht auf seiner Seite steht, ich nicht auf ihrer. Warum hab ich zugesehen, wie er davon ging? Hatte ich Angst? Genner: Menschen verschwinden in die Schubhaft. Und wir wissen nichts. Wir erfahren es nur, wenn ein Mensch, ein Freund, ein Verwandter, ein Bruder, ein Vater, ein Onkel zu uns kommt und sagt: er wurde abgeholt. Lukas: Haben die Gesetze mich gehindert? Mich zögern lassen? Gesetze, die meine Hilfe bestrafen würden? Gesetzgeber: Artikel 2: Anstiftung, Beteiligung und Versuch Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass die in Artikel 1 genannten Sanktionen auch für diejenigen gelten, die im Falle einer der in Artikel 1) aufgeführten Handlungen: a) Anstifter sind oder b) als Gehilfen beteiligt sind oder c) versuchen, eine solche Handlung zu begehen. 7 Genner: Wir gehen dann ins Gefängnis, wir lassen uns eine Vollmacht erteilen und vertreten sie dann. Wir haben auch schon wieder welche zurückgebracht, die mitten im Abschiebevollzug waren. Gesetzgeber: Artikel 3: Sanktionen Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass die in den Artikeln 1 und 2 genannten Handlungen Gegenstand wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen sind. Lukas: Genner, was für ein Mensch bist du eigentlich? Genner: Ich berate und vertrete Asylwerber im Asylverfahren. Ich schreibe für sie Berufungen. Begleite sie zu den Einvernahmen. Ich bringe ihre Fälle an die Öffentlichkeit. Ich decke die Missstände auf. Lukas: Ja, aber abgesehen davon. Warum machst du das? Genner: Ich bin seit meinem 18. Lebensjahr politisch tätig. Ich war in der 68bewegung, ich war bei Jugendorganisation Spartakus, die den Kampf gegen die Erziehungsheime geführt hat. Lukas: Und persönlich? Oder privat? Genner: Die Arbeit, die ich jetzt mache, ist der wichtigste Teil meines politischen Lebensweges. Lukas: Du wirst angegriffen. Bedroht. Angezeigt. Bürgerrechtsvereinigungen behängen dich mit Medaillen für couragiertes Handeln. Von der Staatsanwaltschaft aber wirst du pausenlos vorgeladen. Du bist ein Straffälliger, weil du Gesetze verletzt, während du anderen hilfst - die Gesetze verletzen musst!, um helfen zu können. Du bist bettelarm, weil die Arbeit für Asylsuchende nichts abwirft. Wie muss einer wie du sein, um das alles in Kauf zu nehmen? Bist du ein Altruist? 8 Genner: Die Kraft meine oft sehr aufreibende Arbeit zu tun, schöpfe ich aus mehreren Beweggründen und Quellen: Lukas: Oder leidest du unter einem Helfersyndrom? Genner: Das eine ist der Hass. Lukas: Der Hass!? Genner: Der Hass gegen das Unrecht und gegen diejenigen, die Unrecht tun. Und das andere ist der Wunsch, Menschen zu helfen, ich freue mich über jeden Flüchtling, der durch mich Asyl erhalten hat. Ich freue mich auch über die wenigen Schweine, die wir aus dem Apparat herausschießen konnten. Sind viel zu wenige, aber manche sind es doch. Lukas: Verstehe ... Gab es einen Moment, einen allerersten Anlass... - der dich diesen Weg einschlagen ließ, einen Funken, der übersprang, der dich persönlich zu dem machte, der du heute bist? Genner: Ich komme aus einer Familie, die in der Nazizeit politisch und auch rassisch verfolgt wurde, das hat mich geprägt. Ist das ein Anlass, oder ein Funke, den du suchst? Audio-Collage aus Making-Of-Material: - Deine Stimme ist wunderschön, klingt auf den Aufnahmen… - Ich kann den Text aber nicht auswendig - Nein, ich finde das ja auch schön, wenn sie das erzählen - Ach, das weiß ich jetzt nicht ganz genau - Wir probieren einfach ein bisschen rum - Also so ein bisschen nachdenklich? - So ein bisschen mehr Gefühlslage? 2. Szene Ulrike: Schweizerin, eine ältere Frau, sehr ruhig, langsam, konzentriert 9 Ich muss vielleicht der Reihe nach anfangen: Der allererste kam aus Bangladesh, Mamun, ein noch nicht volljähriger, knapp 16jähriger junger Mann, der zweite junge Mann, Tarek, kam aus Afghanistan, der hatte ein abgeschlossenes Studium, dann kam der dritte, der Batha, das war ein Eritreer, ein großer Sportler mit zum Teil hohen Gewinnen, früher,. Sie waren alle drei allein gereist. Das war so der Anfang. Und es wurde noch mehr daraus. Lukas: Wie kamt ihr darauf, das zu tun? Ulrike: Ach, man kann sagen, sie haben uns einfach gefallen, ich fand sie sympathisch, ein bisschen verloren, auch, der kleine Mamun, der Junge, das war ja fast noch ein Kind. Lukas: Eigentlich ein sehr einfacher Einstieg in eine Geschichte. Ulrike: Ja, und es sind alles große Geschichten geworden, und sind‘s immer noch. Sie haben unser Leben sehr verändert. Da gings um die harten Kämpfe der Aufenthaltsbewilligungen, wir haben Anwälte eingesetzt oder je nachdem kirchliche Stellen gesucht. Wir kamen so richtig hinter die Kulissen dieser Asylpolitik, wie zufällig da Vieles ist, und wie machtlos man ist. Manchmal total wütend. Das war schlimm, manchmal sehr schlimm. Ich hab manchmal nicht geschlafen deswegen. TRENNER SOUND Ulrike: Also der Mamun, der Bangladeshi, der hatte das zehnte Schuljahr gemacht, davor noch ein Vorbereitungsjahr aufs zehnte Schuljahr, das zehnte Schuljahr, dann die Aufnahmeprüfung an die Berufsschule, er war ein sehr guter Schüler, und nach dem ersten Jahr so richtig integriert und da kam der Negativbescheid. Einfach so. Mit Ausreisetermin. Da blieb ihm nichts anderes übrig, als unterzutauchen. Jetzt ist er in guten Händen, jetzt ist er sicher und es geht ihm gut. TRENNER-SOUND Ulrike: Helfen, Es ist mehr das Selbstverständliche. Man tut im Moment, was getan werden muss, man macht sich gar nicht viele Gedanken dabei. Es ist einfach notwendig, dass man’s macht. Lukas: Du warst Lehrerin, 10 dein Mann verbeamtet, war das ganze nicht gefährlich? Ulrike: Manchmal, es gab Situationen, da war es sehr gefährlich. Davon erzähl ich jetzt näher lieber nichts. Aber aufgrund der Menschenrechte muss man auch in solchen Situationen einfach handeln. Es geht nicht anders. Man muss mit der Wahrheit ein bisschen flexibel umgehen. Ein Beispiel dazu: Wenn man aus Italien in die Schweiz kommt, muss man damit rechnen als Flüchtlich sofort wieder nach Italien zurückgeschickt zu werden. Deswegen muss man hier auf die Wahrheit verzichten und sagen: ‚Es tut mir schrecklich leid. Ich hab keine Ahnung, aus welchem Land ich eingereist bin. Und wenn sie nicht zufällig nicht einen Daumenabdruck gemacht haben an der Grenze, kann auch niemand das Gegenteil beweisen. Gesetzgeber: Die Dublin III Verordnung sieht vor, dass nur ein Asylantrag gestellt werden kann und regelt, welcher Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Grundsätzlich ist der Staat vorgesehen, in dem der Asylbewerber zuerst eingereist ist und wo per Fingerabdruck der europäischen Zentraldatenbank Eurodac seine Daten aufgenommen wurden. Versucht der Asylsuchende in einem anderen Land als dem von Dublin zwei vorgesehenen Asyl zu beantragen, wird er in das dafür zuständige Land rücküberstellt. Ulrike: Mein Mann und ich waren uns immer einig, wo und wie wir helfen wollen. Das war sehr schön. Auch für uns. Und das ist so eine Art Adoptivfamilie geworden. Eigentlich ungeplant. Es hat sich so entwickelt. Wie lange wir noch zusammenbleiben werden, das können wir nicht planen, das geht irgendwann auch mal zu Ende, aber es ist eine schöne Zeit. Audio-Collage aus Making-Of-Material: - Sol lich jetzt hier einfach den Florian…genau - So n bisschen in ne lebhafte Erzählung rein 11 - So n paar Wochen her, das hab ich jetzt nicht mehr im Kopf, ich habs jetzt nicht auswendig gelernt. - Nee, nee, darum geht’s ja nicht - Also eher nach innen? - Okay, nur den letzten Satz oder wo soll ich anfangen? - Oder sollen wir das ganze noch mal? - Dat gefällt mir auch net: nachts wird… (ungelesen weitergelesen) - Wie du es sagen würdest… - Ich kann’s so oft lesen, wie du willst, das ist jetzt kein Thema 3. Szene Lehrerin: Ich hab denen vom Jugendamt gesagt: "Wenn dem Jungen jetzt etwas passiert, dann liegt die Verantwortung ganz bei euch! Und nicht nur bei euch, sondern bei jedem einzelnen von euch!“ Der Junge war keine 15 Jahre alt, aber das Jugendamt hat ihn auf 18 eingeschätzt, was in der Regel ziemlich üblich ist, weil es ja nur heißt ‚nach in-Augenschein-Nahme‘ so kommte das Jugendschutzgesetzt nicht mehr zum Tragen, und man kann ihn abschieben. Seine Eltern wurden bei einem Anschlag zerfetzt. Danach ist er nach Griechenland geflohen, was er erzählt hat, hat er fürchterliche Dinge dort erlebt, danach ist er weiter nach Deutschland, dort lebt ein Onkel von ihm und der war bereit, ihn aufzunehmen! Nach der DublinVerordnungaber sollte er zurück nach Griechenland abgeschoben werden. Ja, da musst du dir dann was einfallen lassen, musst du erfinderisch werden. Der Junge hatte dann irgendwann gesagt: "Wenn ich nach Griechenland soll, dann hätte das alles keinen Zweck mehr", für mich war das dann das Stichwort und mir wurde drastisch klar: er ist suizidgefährdet! Das hab ich so oft bei den Jugendamtsvertretern gesagt, bis es im Jugendamt zu Panik führte. Sie überließen mir den Jungen, den ich dann in die Kinder- und Jugendpsychiatrie gebracht habe, und dort fand ich einen Arzt, auf den ich mich verlassen konnte. Er behielt ihn dann sechs Wochen auf der Station. Und in diesen sechs Wochen, 12 ich hatte gerade Schulferien,, hatte ich Zeit, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um ihm zu helfen, z.B. politische Kontakte, die gingen bis in den Bundestag. Und geholfen haben mir auch oft Menschen, die die entsprechenden treffenden Formulierungen für irgendwelche Schreiben nennen konnten, die man in bestimmten Schreiben anwenden muss, um bestimmte Erfolge dann eventuell dann auch erzielen zu können. Diesem Jugendlichen wurde nach acht Wochen beschieden, dass er hier bleiben konnte. Und das war das erste Mal, dass die Bundesrepublik einen Selbstvertretungsanspruch, den es ja nach der Dublin-Verordnung gibt, geltend gemacht hat. Gesetzgeber: Artikel 17 ERMESSENSKLAUSELN. Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedsstaat beschließen, einem bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Asylantrag zu prüfen, auch wenn er nach den in der DublinVerordnung festgelegten Kriterien, nicht für die Prüfung zuständig ist. 4. Szene Florian: Der Mann ist zusammengebrochen, als er erfahren hat, in welches Land er abgeschoben werden sollte. Dann ging alles blitzschnell, binnen Sekunden haben wir entschieden, der muss er aus dem Land raus, kurzes Schweigen, wer macht's? Ich mach's, hab ich gesagt. Innerhalb von einer halben Stunde war alles organisiert, ein Auto und ein Mittelsmann, der hielt den Kontakt zu den Leuten, bei denen er untertauchen konnte. Keine Stunde und wir saßen im Auto. Bis 19:30 mussten wir über der Grenze sein, dann wäre die Fahndung durch alle Computer gelaufen, mit Bild und allen Daten. Angst hatte ich eigentlich nicht, ich brauchte ja nur den Kopf nach rechts drehen um zu sehen, wer da Angst hatte; ich glaube, so im Nachhinein, weil ich mich um den Mann kümmern musste, hatte ich überhaupt keine Zeit, selbst Angst zu haben. Und dann waren wir drüben. 13 Am Bahnhof, wo wir uns verabredet hatten, gab mir der Mittelsmann per SMS zu verstehen, dass ich mich weiter von dem Mann entfernen sollte. Ich ging also ein paar Meter zurück, er war sehr nervös. Wir wussten ja beide nicht, an welche Leute er übergeben werden sollte. Ich bekam noch eine SMS, ich war noch immer zu nah an ihm dran. Ich sollte mich entfernen. Das hab ich dann auch gemacht. Und als ich mich dann noch mal umdrehte, da war er dann schon weg. Lehrerin: Du gehst sehr weit, ja. Du musst dir sehr viel abverlangen. Und natürlich gehst du auch Risiken ein. In meinem Fall würde das bedeuten, wenn ich mich illegal verhalte, um einem anderen zu helfen, dass ich noch größere Probleme bekomme, wegen meines Beamtenstatus. Aber ich kenne mich, und ich weiß: Du musst kämpfen und handeln, nur mit Reden erreichst du nichts. Mein Vater war ein Deserteur. Er war der Volksverräter. Darüber gesprochen hat er nie und er war auch nie stolz darauf. Ich aber wollte auf ihn stolz sein, für mich war er derjenige, der richtig gehandelt hat. Florian: Später habe ich erfahren, dass sie ihm geraten haben, seine Fingerkuppen abzuschleifen, damit er nicht identifizierbar war. Als er selbst nicht in der Lage war, das zu tun, haben sie es übernommen. Ich fragte mich, was grausamer war: in irgendein Land abgeschoben zu werden, oder sich die Fingerkuppen abzuhobeln? Was heißt es, nichts mehr an sich zu haben, das dich als dich ausweist? Ist es das wert? Dass jemand die letzten Spuren seiner Identität auslöscht? Welchen Preis hatte diese Rettung letztendlich? Ist er nicht zu hoch? Ich weiß nicht, ob ich die Fahrt gemacht hätte, wenn ich das vorher gewusst hätte. Irgendwann musste ich dann einsehen, dass ich das nicht wieder tun konnte. Auch wenn ich heute noch sagen würde: das war vielleicht das Richtige. 5. Szene 14 Verwaltungsrichter: Während des Zweiten Weltkrieges, gleich nach dem Beschluss der Endlösung für die Juden, gab es in Warschau einen portugiesischen Diplomaten, der fing an, Visa für die jüdische Einreise nach Portugal auszustellen, so viele wie er konnte, und noch als er die Weisung von Portugal bekam, keine Visa mehr auszustellen, hörte er nicht auf, seine Unterschrift und den Stempel der portugiesischen Botschaft auf ein Stück Papier zu hauen, das ihnen die Flucht ermöglichte. Für Tausende war das die Rettung. Wenn seine Hand nicht mehr konnte, massierte sie ihm seine Frau, seine Kinder schleppten das Papier herbei, er unterschrieb, was er konnte, vierundzwanzig Stunden am Tag, Visum für Visum. Und meine Unterschrift? Zerstört Tausenden von Menschen wenn nicht ihr Leben, so doch ihren Entwurf. Florian: Sie duzen sie, schreien sie an, belehren sie, sie öffnen ihre Briefe, ich schäme mich dafür, dass so ein Hanswurst von der Ausländerbehörde, dem alles - auch das Persönlichste der Menschen, scheißegal ist, dass der sich alles erlauben kann und niemand reagiert. Am liebsten wär ich zur Polizei gegangen, aber die hätten natürlich auch nichts getan. Verwaltungsrichter: Ich hatte nie vor, die Grenzen des Gesetzes zu verlassen. Ich glaube ja an ihren Sinn. Und ich werde dafür bezahlt, dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden. Während der Fahrt im Auto dachte ich, das überleb ich nicht; Ich tu, was Schlepper tun! Ich schmuggele eine Person über die Grenze nach Italien, ich, ein Richter, Hüter der Rechts und der Gesetze. Wenn ich aber über den Rückspiegel auf die Frau sah, die vertrauensvoll schlief, oder mit weit geöffneten Augen die Gegenden bestaunte, durch die wir fuhren, schien es mir ohne Arg und etwas, was die Menschen ständig tun: sie reisen. Florian: Hätte meine Freundin nicht gesagt: Mach weiter, bleib dran, ich kenn dich, du machst dich nur unglücklich, wenn du aufhörst, ich hätte 15 dem Ganzen vielleicht schon den Rücken gekehrt. Verwaltungsrichter: Die Frau war am Frankfurter Flughafen aufgegriffen worden. Kein Mensch wusste woher sie war, und es war auch nicht herauszubekommen; alles, wohin sie wollte, war zu ihrer Tochter nach Rom. Der reguläre Weg wäre gewesen, sie vom Sammellager ins Asylbewerberheim zu schicken, sie alle bürokratischen Prozesse durchlaufen zu lassen, bis sie zuletzt im Ausreisezentrum gelandet wäre, wo die ohne Papiere hinkommen und wo sie oft jahrelang bleiben. Mit großem Glück, und wegen ihres Alters, hätte man sie irgendwann für abschiebeunfähig erklärt, sie wäre geduldet worden, ohne Anspruch auf irgendwas, in einem Land, in dem sie ja gar nicht leben wollte. Eine alte Frau - was soll schon sein, lasst sie doch zu ihrer Tochter, wenn das alles ist, was sie sich wünscht. Florian: Ich machte weiter. Ich fing an, ihnen sehr genau auf die Finger zu schauen. Denn mir war aufgefallen, dass die Vollzugsbeamten so Manches tun, was gar nicht erlaubt ist. Ich schau mir die Abschiebebescheide an, und wenn ich sehe, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen oder gegen die Menschenrechte, dann müssen sie mit Widerstand rechnen - rechtlich, über die Presse, und auch politisch. Ich gehe an die Öffentlichkeit, schreibe Petitionen, ich kontaktiere den Bürgermeister. Zum Beispiel bei einer jungen Familie. Der Familienvater sollte abgeschoben werden, da hab ich dann auf eine Petition verwiesen und darauf, dass niemand abgeschoben werden darf, solange eine Petition für ihn läuft. Da wurde das Abschiebekommando gestoppt. Das war ganz einfach. Ein paar Wochen später bekamen wir auch die Härtefallregelung für ihn und seine Familie durchgesetzt. Verwaltungsrichter: In Verona brachte ich die Frau zum Bahnhof. Sie löste einen Fahrschein, sie stieg in den Zug, und als der langsam anrollte und sie uns am Fenster von ihrem Platz aus zuwinkte, da empfand ich seit langem wieder einmal Stolz. Ja, ich war stolz auf mich. Ich ging in ein Lokal und ich trank vier Gläser Whisky auf Ex. 16 Spätestens in fünfzig Jahren wird uns das als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgelegt werden, wie wir heute mit Asylsuchenden umgehen. Wir tun es mit offenen Augen, mit Kugelschreibern, Paragraphen, mit Vollzugsbeamten und manchen abscheulichen Tricks, wir schauen weg und sie wissen, was sie zu tun haben. Eines Tages wird das vors Menschengericht kommen, und unsere Kinder oder Enkelkinder werden entsetzt sein. Und wir werden sagen: ausdrücklich genehmigt war das von unserer Seite ja nicht. Und wenn sie weiterfragen, sollen wir dann auch sagen: wir haben nur unsere Arbeit getan? 6. Szene: Lehrerin: Da war ein kleiner Innenhof beim Pfarrhaus. Drumherum war eine Mauer, und da stand ich off nachts mit dem Kind im Arm, unter dem wunderschönen Sternenhimmel. Ich dachte, wenn sie etwas akzeptieren, dann vielleicht diese Mauer. Die Abschiebungen passieren ja immer nachts. Tagsüber bekäme die Öffentlichkeit es ja auch mit. Es war grauenhafte Nächte, voller Warten, bei jedem Geräusch wachst du auf, und du fängst schon irgendwie an, zu spinnen, gehst dann wieder alles durch: Wenn die kommen, haust du dann ab? Mit dem kleinen Kind? Verwaltungsrichter: Wieder zurück ging es weiter mit dem Ablehnen von Anträgen. Vierundsechzig Tausend Anträge werden in Deutschland gestellt, und nur zwei Prozent werden akzeptiert. Zwei Prozent. Von Tausenden. Man kann sich ausrechnen, was meine Hand den ganzen Tag tat. Lehrerin: Wie gehst du damit um, wenn sie doch kommen und die Familie abholen? Auch im Kirchenasyl ist das schon mehrfach passiert. Was ist wenn? Du steigerst dich hinein, du musst dich beruhigen, dass es ja nicht um dich geht. Aber die Angst ist da. Mich aber macht Angst nicht fertig, sie macht mich eher wütend, und aus der Wut heraus 17 handle ich und mein Kopf wird dann ganz klar und ich versuche, Strategien zu entwickeln. Aber mit so einem kleinen Kind? Verwaltungsrichter: Eines Tages wollte meine Hand nicht mehr. Oder sie konnte nicht mehr. Ich hatte noch viele schlaflose Nächte. Bis ich eines Tages um die Versetzung bat. Die natürlich keine Beförderung war. Ich hadere noch immer. Es fällt mir schwer, gegen das Gesetz zu verstoßen. Dennoch verstoße ich inzwischen regelmäßig dagegen. Lehrerin: Ich hab oft abends mit dem Kind im Innenhof gestanden. Die Kleine konnte ja nie ans Tageslicht oder in die Sonne. Alles, was im ersten Lebensjahr geschah, hatte in diesem einen Raum stattzufinden. Nachts also bin ich mit ihr rausgegangen. Und da ist mir aufgefallen, wie ein schön ein Sternenhimmel sein kann. Und dann hat sie irgendwann, als ich da draußen mit ihr stand, das erste Wort gesagt: und das war ‚Mond’. Es gab ja sonst nichts anderes, was sie von der Welt sah. Von da an hat sie immer ‚Mond’ gesagt. Und wenn wir den Mond gesehen haben, dann sind wir rausgegangen in den Sternenhimmel. Audio-Collage aus Making-Of-Material: - Also hier würde ich sagen, das ist auch… - Ich würd mir trotzdem vorstellen, das man es so ein bisschen an Leute richtet – Ja. - Aber das ist vielleicht ganz schön, wenn du das genau mit der Haltung, mit diesem Lacher – Ja, OK - Dann erzählt man darüber dann viel - Dann würde ich eher sagen: - OK 18 7. Szene Lukas: Mein Leben ist schön, ich lebe in Frieden, die Kinder sind untergebracht, in der Schule, beim Fußball, im Tanzunterricht, in der Selbstverteidigung und im Trompetenkurs, ich gönne mir einen Aperitif, sitze vor dem Café mit Menschen, die nichts fürchten müssen, keinen Anschlag, keine Festnahme, kein Gefängnis, keine Folter, wir haben unseren Ausweis dabei und unsere Rechte, mit denen uns an den zuständigen Ämtern Genüge getan wird, mithilfe von Leuten, die in den Ämtern dafür bezahlt werden, dass unseren Rechten Genüge getan wird. Unser Daseinsrecht ist verbürgt. So kann der Himmel blau sein und der Frühling kann kommen, und der Sommer mit den Ferien, und vorher noch die blühenden Kastanien und die gute Laune in den Parks. Dieses Leben halt. Nicht immer nur ein leichtes, aber manchmal eben schon. Plötzlich rennen mir vier, fünf junge Männer über den Weg, sie springen wie die Wahnsinnigen in die Büsche, über die Böschung hinunter zum Teich, am Teich entlang auf die Straße und weg sind sie. Die Polizei hinter ihnen her. Jeder guckt amüsiert, wie mühsam sie in ihren prallen Uniformhosen den sportlichen Jungs hinterherjapsen. Aktivistin: Also, als in den 90ern die rassistischen Übergriffe immer härter und lebensbedrohlicher waren, das waren Hoyerswerda, Lichtenwerda, Rostock, Solingen, im selben Zeitraum ist das Asylrecht verschärft worden, und da sind wir dann hingefahren nach Hoyerswerda u. haben gefragt, wie können wir euch helfen? Wie können wir euch unterstützen? Sie wollten nur weg. Und sind sie mit uns nach Berlin gekommen. Lukas: Die Türen der Polizeiwannen fliegen auf, Polizisten schwärmen in allen Richtungen auseinander, sekundenschnell ist alles wie weggefegt, keine Reggae-Musik aus Handys, keine sich rege unterhaltenden jungen Männergruppen, im Nu ist der Park leer, leer wie am Oranienplatz, nachdem sie dort das Flüchtlingscamp geräumt hatten. Ein Politiker verstieg sich zu dem Satz: 'Wir wollen sie restlos zum Verschwinden bringen.' Keine zwei Stunden danach war 19 Rollrasen über den Platz gelegt worden, der ihn aussehen ließ, als sei nichts gewesen. Aktivistin: Wir haben dann die Räume in der TU besetzt und sind wieder rausgeflogen, danach gab’s ein Asyl in der Kirche. Parallel liefen immer die Verhandlungen mit dem Senat. Es ging um die Verlegung des Asylverfahrens von Hoyerswerda nach Berlin, um Berlin als Zweitflucht anerkennen zu lassen, damit sind wir elendig gescheitert. Der Senat hat sich auf nichts eingelassen. Und dann wurde einzeln entschieden. Einige sind zurück nach Hoyerswerda, viele sind in die Illegalität und einige haben auch geheiratet. Die politische Situation ist zeitgleich immer beschissener geworden. Und wir haben verloren auf allen Ebenen! Lukas: Nach zwei Jahren, in denen mittags das Geschirr klapperte und abends in ihren Zelten die Lichter ausgingen; ein Platz voller Menschen, sichtbar, hörbar, bemerkbar, ein Getümmel, jetzt glänzt grüner Rollrasen. Aktivistin: Ok, wenn es auf politischer Ebene so schwierig ist, dann müssen wir individuelle Lösungen auch in Erwägung ziehen. Wir haben Broschüren gemacht. Und da ging es darum, wie geht man mit Scheinehen um, wie verhält man sich auf der Ausländerbehörde auftritt, was macht man bei Kontrollbesuchen und wie verhält man sich bei getrennten Befragungen? Drei von uns aus der Gruppe, drei Frauen, haben dann junge Männer aus Ghana geheiratet, mit denen wir über Jahre zu tun hatte. Das waren Freddy, Samuel und Nikolas. Sie haben alle drei dann einen unbefristeten Aufenthalt bekommen nach fünf Jahren, nach sieben haben wir uns wieder scheiden lassen. Lukas: Inzwischen patrouillieren sie stündlich, der Park ist totalüberwacht, das macht ihn zum Geisterpark. 20 Es ist ein seltsames Dasein, ich bestelle mir einen zweiten Aperitif und sehe zu, wie sie Jagd auf Flüchtlinge machen. Aktivistin: Das regelt natürlich nicht alles, alle drei haben keine besseren Jobs gefunden: Freddy beispielsweise ist in der Küche geblieben, in der er auch vorher auch schon gearbeitet hat, aber ihm hat das nicht so viel bedeutet; Nikolas dagegen war weiter politisch engagiert, sehr engagiert, er wurde dann aber später in der Frankfurter U-bahn von Wachleuten zusammengeschlagen, das hat ihn für lange Zeit gebrochen. Samuel hat sich einen Traum erfüllt, er ist DJ, das ist das, was er sein wollte hier in Deutschland. Lukas: Was, wenn mein Staat nicht menschlich ist?! Und wir aufhören, menschlich zu empfinden?! Und wir es gar nicht bemerken? Dass wir aufgehört haben. 8. Szene Susanna: Du wohnst, du arbeitest, du besorgst dir dein Essen, du tust, was andere Menschen auch tun, dennoch ist alles, was du tust, illegal, solange du nicht über einen Ausweis dazugehörst. Ohne legalen Status kannst du dir kein Hotelzimmer buchen. Du kannst dich auf keine Parkbank setzen. Dennoch: für mich gibt es Schlimmeres, als ohne legalen Status zu sein, nämlich in einem Asylbewerberheim untätig dem Leben zuzusehen, wie es vergeht. Aktivistin: Über den individuellen Weg hatten wir inzwischen alles ausgereizt, dennoch mussten wir uns sagen: politisch kommen wir so keinen Schritt weiter. Wir müssen politische Forderung und die Unterstützung, die ganz konkrete Unterstützung zusammenbringen! Susanna: Der Staat ist dein täglicher Gegner. Denn der Staat ist vergesslich, wenn es um die Menschenrechte geht, aber sehr penibel, wenn es um seine Gesetze geht. Du, die Illegale, die es gar nicht geben 21 dürfte, musst ihm die Paragraphen zeigen und erzwingen, dass sie eingehalten werden. Aktivistin: Aus den Gesprächen mit den Flüchtlingen, vor allem mit den Illegalisierten, dass die medizinische Versorgung das Wichtigste ist. Damit steht und fällt für sie alles. Und vor alle dann, wenn sie ins Krankenhaus müssen. Die Situation im Krankenhaus ist so, dass das Krankenhaus fordert vom Sozialamt die Kosten ein. Das Sozialamt stellt fest: Der Mensch hat keinen Aufenthaltsstatus, ist illegal und schaltet dann womöglich die Ausländerbehörde ein. Die sagen: 'Ok, wenn der gesund ist, wird er abgeschoben!' Susanna: Resolution 217 A der Generalversammlung der Vereinten Nationen: "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Artikel 9: Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden." Aktivistin: Gut, haben wir gedacht, also müssen wir jetzt Strukturen aufbauen, die die Illegalisierten nutzen können. Und wir haben angefange, Ärzte anzusprechen, Hebammen, Krankengymnasten, alles, was im medizinischen Bereich wichtig ist, Zahnärzte,, um eine Behandlung ohne Krankenschein zu ermöglichen. Wir haben viele gefunden. Viele, viele Ärzte waren bereit und haben mitgemacht. Und wir haben auch Krankenhäuser gefunden, die eingestiegen sind und mit uns zusammengearbeitet haben. Wir kriegen beispielsweise eine Geburt für 240 Euro. Und auch für Abtreibungen haben wir feste Sätze vereinbart. Susanna: "Artikel 23 der Menschenrechte: Absatz 1: Jeder hat das Recht auf Arbeit. Absatz 2: Jeder hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Auf eine Unfallversicherung, auf Krankengeld, auf Urlaub und auf freie Tage. 22 Aktivistin: Die Rechnungen begleichen wir, und wir haben das Geld über Spenden. Paragraphen gibt es nicht, für das was wir tun, das ganze spielt sich in einer Grauzone ab. Am Anfang war es eine hoch brenzlige Situation für uns. Und wir hatten für den Fall der Fälle, dass die Polizei kommt, noch die Alarm-Sirene unterm Tisch. Susanna: Der illegale Sektor ist die Schattenwelt der Arbeits- und Wirtschaftswelt, sie lebt von uns, den Illegalen, und so, wie wir von ihr abhängig sind, ist sie es von uns. Du hast mich bei dir arbeiten lassen, aber nicht bezahlt? Okay, wir schicken dir vom Anwalt einen Brief und dann funktioniert das meistens. Wenn nicht, ziehen wir vors Arbeitsgericht. Ich kann vor Gericht klagen, auch ohne legalen Status. Der Arbeitsrichter ist nicht verpflichtet, es zu melden. So haben wir manchmal Erfolg, wo es zuerst fast unmöglich erscheint. 9. Szene Aktivist: Ich habe den Geist der Revolution nie geatmet, aber dem Bestehenden so viel wie möglich entgegenzusetzen, das empfinde ich als dringliche Notwendigkeit. Ich gebe ihnen Lebensmittelgutscheine, die ich von Lebensmittelfirmen organisiere. Ich geb ihnen die Nummern von Ärztinnen und Ärzten, die sie anrufen können. Und ich organisiere ihnen den Briefkasten, damit sie Post bekommen können. Manchmal ist es Hilfe, wenn ich ihnen sage, dass sie verschwinden sollen, eine Zeitlang, das bringt fast niemand auf, jeder will ihnen Hoffnung machen. Aber wenn sie erstmal im Schubhaft sind, ist es zu spät. In der Schubhaft kannst du keinen Asylantrag mehr stellen, daher sag ich: geh jetzt! Das ist jetzt das Ende und es geht jetzt nicht mehr weiter. Du kannst dich noch von zehn weiteren Leuten beraten lassen, du kannst zu Anwälten gehen, du kannst Briefe schreiben lassen, Bittgesuche tippen, Anträge stellen - sie werden dir alle ein bisschen Mut machen und alle ein wenig Geld abknöpfen. Hast du einen Plan 23 B? Dann hol ihn jetzt raus. Du musst jetzt gehen, bevor sie dich holen. Und sie werden es tun. Sie nutzen die Zeit, in der du haderst, in der du dich nicht lösen kannst, in der du dich nicht entscheiden kannst, die meisten trifft es, weil sie sich nicht losreißen können. Und wenn ich dann nicht gleichzeitig öffentlich auftrete und sage: Es braucht einen rechtlichen Status für die, die nirgends hinkönnen, dann hab ich das Gefühl, ich arbeite dem System auch noch in die Hände. Audio-Collage aus Making-Of-Material: - Womit fangen wir an? Mit den Texten vom Rechtsanwalt? - Ah ja, ich war irritiert, weil ich glaube, diesen letzten Satz habe ich gar nicht vorgelesen - Ist es ein bisschen zu aggressiv? Soll ich ein bisschen lockerer sprechen? - Okay, ich mach noch mal den Absatz 10. Szene (Rechtsanwalt spricht im Hintergrund in der Atmo) Lukas: Ich nehme an einem Workshop teil, der es mir ermöglichen soll, Asylbewerbern bei ihrer Vorbereitungen auf die Anhörung zu beraten. Rechtsanwalt: Die erste Anhörung ist meistens auch die letzte, sie entscheidet über das ganze weitere Schicksal! Aber: Sie ist voller Fallstricke und Fallen! Lukas: Werd ich das jemals können? Und die anderen? Eine syrische Juristin, die sich um ihre Landsleute kümmern will, eine Studentin, die bei Amnesty hospitiert, ein junger Mann, der in einem Auffanglager arbeitet, zwei weitere Frauen die vorhaben, unbegleiteten Minderjährigen zu helfen... 24 Rechtsanwalt: Zuallererst, vergesst nie: Ein freundliches Auftreten stimmt auch die Beamten freundlich, sie haben es gerne ruhig und aufgeräumt. Lukas: Und da ist noch diese hochgeschminkte Frau, die so gerade dasitzt, als würde sie meditieren, ihre zu einem dunklen Strich gezupften Augenbrauen machen den Eindruck, als sei sie immerzu erstaunt. Rechtsanwalt: Asyl bekomm ich nur aufgrund von politischer Verfolgung, ich muss genau sagen, wo, wie und warum ich politisch verfolgt wurde. Lukas: Sie kam mit einem weißen Audi-Coupé angefahren, schien sich aber nicht zu genieren, im schneeweißen Audi-Coupé hier anzufahren, ins kleinste Büro der Welt, wo der eine aufstehen muss, wenn der andere zur Tür herein will. Rechtsanwalt: Wenn ich in einer Partei organisiert war, muss ich meine gehobene Position betonen. Nur in der Basis einer Partei aktiv gewesen zu sein, zählt nicht! Lukas: Das ist das Reich von José, dem deutsch-spanischen Anwalt, der diese Workshops gibt. Er hat seine feste Anstellung in einer gut laufenden Wirtschaftskanzlei aufgegeben und ist ins Asylrecht übergewechselt, wo er sich in dieser Mini-Büro-Zelle niedergelassen hat, die wahrscheinlich nicht größer ist als die Besenkammer seiner früheren Kanzlei. Für die Schulung hat er einen Sitzungssaal angemietet, wir können freiwillig spenden. Rechtsanwalt: Wenn sich im Dorf oder innerhalb der Familie Schreckliches zugetragen hat - Familienfehden, Racheakte, Morddrohungen, so, zählt das nicht. Es zählen nur politische Verfolgungen. Es gibt wenige Ausnahmen, zum Beispiel Minderjährige, die auch wegen sexueller Gewalt Asyl beantragen können. Lukas: Die Augenbrauen der Frau gehen nach oben. Rechtsanwalt: Die Verfolgung muss individuell sein. Das hat mit der westlichen Tradition zu tun, die nur die individuelle Verfolgung zulässt, nicht die einer ganzen Gruppe. Wenn man beispielsweise sagt, dass das eigene Dort in einem Bürgerkrieg bombardiert wurde, dafür bekommt man garantiert kein Asyl. Im Mittelpunkt muss die eigene persönliche Geschichte stehen, und zwar ausführlich, mit präzisen Hintergründen, die gesamte Erzählung bis zum Tag der Ausreise, vollständig und 25 ohne Widersprüche. Tränenausbruch ist okay. Auch Wunden können während des Interviews gezeigt werden. Lukas: Wenn jemand traumatisiert ist? Rechtsalwalt: Ja, dann muss er zum Psychologen gehen, damit er über seine Verletzungen und Traumata sprechen kann. Was nicht gesagt wird, zählt nicht. Lukas: Wenn er so traumatisiert ist, dass er nicht weiß, was während der Verfolgung mit ihm passiert ist? Rechtsanwalt: Dann muss er auch das sagen. Denn die Flucht, die wir vortragen, die muss eine begründete Flucht sein, keine subjektiv empfundene. Auch die schrecklichste Erfahrung darf nicht subjektiv wahrgenommen, sondern muss objektiv beschrieben werden. Vor allem: Nicht nachlassen, denn Deutschland will dir grundsätzlich kein Asyl gewähren. Lukas: Diesmal gehen ihre Augenlider nach unten. Rechtsanwalt: Nochmal! Was sind die Maximen? Lukas: Du darfst reden, solange du das möchtest und für richtig findest. Bis du alles gesagt hast. Und wenn es vierundzwanzig Stunden dauert. Wenn du unterbrochen wirst, nimm danach den Faden in aller Ruhe wieder auf. Und vergiss nie: sie sind nicht auf deiner Seite. Das heißt! Kein vertrauensseliges Verhältnis zu dem Menschen, mit dem ich gerade spreche, denn der hat kein vertrauensseliges zu mir. Du bleibst freundlich, ruhig und aufgeräumt. Plötzlich hebt die Frau den Kopf, sie blickt in die Runde und sagt: Aber die haben ja gar keine Chance! Alle schauen sie an, erstaunt, dass sie das erst jetzt so sieht. Und dann sagt die Frau in aller Aufgeräumtheit: Man wird ja immer wütender. 26 Rechtsanwalt: Manchmal gelingt auch ein positiver Bescheid. Ihr könnt als Berater vieles erreichen, indem er eine Art Lobbying betreibt. Denn auch unter den Befragern gibt es solche und solche. Es gibt die, die den Dolmetscher zur Seite nehmen und ins Ohr flüstern, was sie angesichts der aktuellen politischen Lage hören müssen, und was man besser nicht sagt. Lukas: Lobbying betreiben? Gemeinsame Sache machen? Wir blicken fragend und etwas unbehaglich in die Runde. Rechtsanwalt: Achtet auf den Dolmetscher, besprecht euch mit ihm, bringt ihm persönlich den Fall näher, je mehr der Dolmetscher weiß, umso besser ist es. Vorher aber müsst ihr herausfinden, wer von den Dolmetschern etwas taugt, viele übersetzen ja bewusst schlampig. Und sowieso. Die Dolmetscher wissen, dass die Entscheider nicht auf der Seite der Asylbewerber stehen – ja, nicht stehen sollen; wenn sie schlampig und im Sinne des Entscheiders übersetzen, stimmen sie ihn günstig für weitere Aufträge. Der Übersetzer wird ja pro Anhörung bezahlt. Mit dem Dolmetscher kann alles zunichte gehen. Oder er ist auf deiner Seite. Dann kann er dein Retter sein. Lukas: Er stockt. Mir wird langsam klar, dass das Bereitstellen einer Hühnersuppe zwar wärmt, aber noch kein Leben rettet. Rechtsanwalt: Das Asylverfahren ist ein hartes Geschäft. Da kann es schon eine große Rolle spielen, wieviel Geld die verschiedenen Asylbewerber in der Tasche haben. Reiche Asylbewerber, die gut vernetzt sind, können sich zum Beispiel einen teuren Anwalt leisten. Oder sie können Menschen in ihrem Herkunftsland organisieren, um Beweise zu bekommen und sie nach Deutschland zu schicken. Arme Asylbewerber werden einfach mit ihrer Geschichte allein gelassen. 27 11. Szene Florian: In einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung erhob sich eine Frau und sie fing an, aus ihrem Leben zu erzählen, das seit Jahren von der Abschiebung bedroht war. Ihre Stimme brach immer wieder ab, es wühlte ja auf, vor so vielen Leuten über den eigenen Fall zu sprechen. Und als sie fertig war, war es kurz still, dann so ein Beamter von der Ausländerbehörde, der im Publikum saß, gab sich gerührt und meinte: "Kommen Sie doch mal bei mir vorbei!" Ich hab sie dann zu ihm begleitet. Als wir in sein Zimmer rein sind, konnte er sich schon nicht mehr an sie erinnern. Dann fragte er nach ihrem Namen, er gab ihn ein und sagte dann: "Aber Sie sind doch schon abgeschoben worden!?" Ja, und eine Woche später kam der Bescheid. Er muss gleich nach unserem Gespräch die Abschiebung veranlasst haben. Nachweisen kann ich nichts, und auch wenn ich's könnte: ich es würde nichts helfen; die Abschiebung ist ja vollzogen worden. Ich hab mich an dem Abend dann ziemlich abgeschossen. Lukas: Arbeitsgruppen haben sich aus dem Workshop von José gebildet. Ich bekomme hunderte Mails der verschiedenen Gruppen. Einmal hab ich mich zurück gemeldet. Noch bin ich nicht hingegangen in die Erstaufnahmelager und Flüchtlichsheime, um sie für die Anhörung zu trainieren. Auch zu den weiteren Besprechungen in den Privatwohnungen bin ich nicht mit. Noch nicht. Epilog Florian: Alle Ängste, Nachteile und Zweifel, die ich hatte, alles Negative was mein Engagement mit sich brachte – das sind doch eigentlich Nichtigkeiten. Es ist eben nicht der Stoff, wo du so ein Helden-Epos draus strickst. Es läuft eigentlich so ab: Man beschäftigt halt sich ein paar Stunden am Tag mit Menschen, die all diese beschissenen existenziellen Gefühle durchlaufen: Sei es jetzt. Angst, Wut, Hass, Sorge, Desillusionierung. Und ja: Das nimmt einen mit. Das lässt nicht kalt. Aber man selbst ist eben nicht davon betroffen. Ich kann mir immer noch abends schön die Birne wegknallen oder sonst wie aus diesem Problem-Kontext aussteigen. Die Betroffenen nicht. Das hat nichts mit dem Widerstand zu tun, wie ich ihn verstehe. Damit 28 verbinde ich vor allem Menschen, die während der NS-Zeit anderen geholfen haben. Für mich ist dieser Begriff für diese Leute reserviert. Ich würde ihn auch zulassen für andere, die viel riskieren um solidarisch zu sein. Aber das hab ich ja gar nicht. Mein politisches Engagement hat für mich marginale negative Konsequenzen gehabt. Selbst wenn es damals irgendwie dumm gelaufen wäre und ich bei dieser Fahrt erwischt worden wäre: Die Konsequenzen wären nicht so gewesen, dass ich mich davon nicht hätte erholen können. ABSAGE: "Illegale Helfer" Hörspiel von Maxi Obexer Mitarbeit: Lars Studer Regie: Martin Zylka "Illegale Helfer" Hörspiel von Maxi Obexer Mitarbeit: Lars Studer Mit Michael Genner Dagi Knellessen Íñigo Valdenebro Ulrike B. Renate S. Florian T. und Lars Studer sowie Martin Brambach als Verwaltungsrichter Baharak Alizadeh als Aktivistin mit illegalem Status und Bernhard Bauer als Aktivist Technische Realisation: Gertrudt Melcher, Jens Peter Hamacher und Jonas Bergler 29 Regieassistenz: Simon Kamphans Regie: Martin Zylka Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks, Köln 2015 Dramaturgie: Isabel Platthaus - ENDE- 30
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