Interview Horst Evers Er war Eilzusteller bei der Post, Taxifahrer, Nachhilfelehrer oder Meinungsforscher – alles wunderbare Tätigkeiten, um die Menschen gut kennenzulernen. Noch besser kennenzulernen. Und dass Horst Evers ein Menschenkenner ist, das wissen seine Fans. Seit 1993 hat sich der Studienrat für Deutsch und Sozialkunde nämlich ganz für das Schreiben entschieden, den Job bei der Post gekündigt, um sich ganz seinen Geschichten über diese seltsame, unvernünftige, chaotische und liebenswerte Spezies widmen, die Mensch heißt. Die Bühne ist sein Ding – er liebt den Auftritt und die Interaktion mit seinem Publikum. Und das Publikum liebt ihn – wobei zu Publikum natürlich auch die Radiohörer oder die zahlreichen Leser seiner Bücher gehören. Nun ist „Für Eile fehlt mir die Zeit“ erschienen – und wir haben Horst Evers aus diesem Anlass ein paar Fragen gestellt. Frage: Ihre Podcasts werden mit der Untertreibung eingeleitet: Sie hören nun den lustigsten Mann der Welt. Sonst noch irgendwelche benennbaren Probleme außer Größenwahn? Horst Evers: Größenwahn gilt in Berlin nicht als Problem, sondern mehr als savoir-vivre. Oder mal kurz im Ernst: Ich mache, bzw. produziere die Podcasts nicht selbst. Ich stelle nur die Bänder mit den Texten zur Verfügung. Alles Weitere machen Freunde, auch die Einleitung. Seinerzeit habe ich ihnen dafür Pressestimmen und Kritiken gegeben, damit sie sich was raussuchen können. Das haben sie sich raus gesucht. Frage: Kölner Karneval: Sie müssen sich verkleiden und wollen unbedingt den Preis für das beste Kostüm bekommen. Sie treten ja sonst nur mit rotem Hemd und schwarzer Hose auf – doch mit dieser Kombi können Sie hier nicht punkten. Was ziehen sie an oder aus? Horst Evers: Ich denke, ich würde als Brad Pitt gehen, da erkennt mich keiner. Frage: „Besser er schreibt, als dass er kellnert“ – so ähnlich hat sich Günter Grass über Sie geäußert als Sie ihm bei einer Leseveranstaltung erst Ihren Platz überlassen und dann auch noch Kaffee serviert haben. Haben Sie sich über diese Äußerung wirklich gefreut? Und lesen Sie eigentlich Grass gerne, bedeutet er Ihnen als Autor etwas? Horst Evers: Ich habe mich sehr gefreut, weil ich mich über jeden Menschen mit Humor freue. Also mit einem feinen Humor, denn Humor ist praktisch die einzige Sache bei der ich keinen Spaß verstehe. Ich wäre Deutschlehrer geworden, daher kam ich um die zentralen Werke von Günter Grass nicht herum. Er gehört nicht zu meinen bevorzugten Autoren, aber ich habe allergrößte Achtung vor ihm als Person und seinem literarischen Werk. Frage: Hat Ihnen der Job bei der Post, den Sie 1993 aufgegeben haben, eigentlich Spaß gemacht? Gab da sicher auch viele schöne Erlebnisse – erinnern Sie sich für uns an eines und erzählen es? Horst Evers: Ich habe meinen Job bei der Post geliebt. Ich habe eigentlich den gesamten öffentlichen Dienst geliebt. Meine schönste Erinnerung ereignete sich an einem sehr, sehr heißen Samstagnachmittag. Mit drei anderen Eilzustellern saß ich im Aufenthaltsraum. Wir warteten darauf, dass endlich mal für irgendjemanden in Berlin ein Telegramm, eine Geldanweisung oder ein Eilpaket käme. Rund 30 Minuten sagte niemand etwas, unsere einzige Beschäftigung war schwitzen, als plötzlich Kollege Rudolph aus dem Nichts feststellte: "Also wenn die mir kein Geld dafür zahlen würden, würde mir das hier vermutlich so gut wie gar keinen Spaß machen." Diesen Satz, finde ich, könnte man eigentlich direkt in Zinnwandteller gravieren. Frage: Schreibblockade: was fällt Ihnen dazu ein? Horst Evers: Nichts. Viel schlimmer, als eine Schreibblockade ist übrigens, wenn man plötzlich nur noch Müll schreibt. Manchem Autor oder mancher Autorin würde ich zu seinem/ihrem eigenen Schutz eigentlich manchmal eine Schreibblockade wünschen. Frage: Kennen Sie das: eigentlich sollten Sie endlich schreiben, die Zeit läuft Ihnen davon – und immer ist alles andere wichtiger... der Staub auf dem Bücherregal, das außerdem natürlich unbedingt und sofort geordnet werden muss (wie die CD oder Plattensammlung), der Müll muss runter und der Fahrradreifen aufgepumpt werden... und wieder ist ein Tag rum. Wie sieht das Schreib-Vermeidungsprogramm bei Horst Evers aus – oder gibt es gar keins? Horst Evers: An meinem völlig chaotischen, unaufgeräumten, ja zugefüllten Arbeitszimmer kann man sehr schön sehen, was für ein disziplinierter Schreiber ich doch bin. Meine Königsvermeidungsstrategie ist nach wie vor das schlichte Wegdösen, das auch schon mal ins Einschlafen lappen kann. Frage: Flirtfaktor 10 – bei der Vorlesebühne „Der Frühschoppen“ (jeden Sonntag, 13 Uhr, im Schlot, Chausseestr. 18, Berlin-Mitte) geht es also auch im Publikum zwischenmenschlich hoch her. Wie schaffen Sie das nur, dieses Prickeln hinzubekommen...? Horst Evers: Aus Höflichkeit unserem Publikum gegenüber, bemühen wir uns, nicht ganz so gut auszusehen wie im Privatleben. Neben uns kann man daher sehr leicht attraktiv wirken. Alles andere ergibt sich dann. Frage: Für 2011 prognostizieren Sie Happenings an Berliner S-Bahnhöfen. Wartende feiern zusammen, grillen, Menschen aus anderen Bundesländern reisen an und wollen mitwarten. An welcher S-Bahn-Station warten Sie am allerliebsten und warum? Horst Evers: Am Alexanderplatz, weil man da die meisten und die lautesten Mitwartenden hat. Frage: Spaßmacher, Kleinkünstler, Pausenclown, Komiker, Kabarettist, - welcher Titel kommt Ihnen am nächsten? Horst Evers: Erzähler oder Geschichtenerzähler Frage: Keiner plaudert gern Berufsgeheimnisse aus. Aber wie viel ich Ihren Geschichten ist wirklich erlebt und wie viel ausgedacht, oder netter formuliert, irgendwo gehört, gelesen und dann weitergedreht, überspitzt, neu angebaut etc.? Sagen Sie jetzt nicht: alles erlebt. Das kann einfach nicht sein, so viele schräge Dinge erlebt kein einzelner Mensch. Horst Evers: In praktisch jeder Geschichte gibt es einen wahren Kern, ein tatsächliches Erlebnis oder Ereignis, aus welchem ich dann die Geschichte entwickele. Allerdings gilt bei mir immer "Geschichte geht vor tatsächlich Passiertem", also das tatsächlich Geschehene hat sich einer guten Geschichte unterzuordnen. Mit Wahrheit hat das zumeist nichts zu tun. Eine ausgedachte Geschichte kann natürlich sehr viel wahrer sein, als eine absurde Begebenheit. Häufig sind übrigens gerade die skurrilsten Teile einer Geschichte, genau die, die auch tatsächlich so geschehen sind. Frage: Was machen Sie in zehn Jahren? Irgendwelche Visionen, Wünsche, Hoffnungen? Horst Evers: Hoffentlich etwas, woran ich genau so große Freude habe, wie das, was ich im Moment mache. Aber vermutlich nicht genau das, was ich im Moment mache. Interview: Literaturtest, Ulrike Bauer
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