Lokalen Handel online stärken

Titelthema im September
Lokalen Handel online stärken
Das Internet zur regionalen Information nutzen
Der traditionelle stationäre Facheinzelhandel steht seit langem unter Druck: erst
durch die großen Fachmärkte und Einkaufszentren, dann durch die Filialketten
und letztlich durch das Internet. Keiner
kann mehr so arbeiten wie in der Vergangenheit, das gesellschaftliche und
wirtschaftliche Umfeld hat sich radikal
gewandelt. Wer erfolgreich tätig sein
will, muss die neuen Möglichkeiten nutzen. Dies bedeutet keinesfalls, alte Werte
und Traditionen aufzugeben. Gerade
diese werden immer wichtiger. Sie müssen aber mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts kommuniziert werden. Was
nutzt der schönste Laden mit den interessantesten Produkten, dem besten Service, wenn ihn keiner kennt? Und ihn
auch immer weniger beim Stadtbummel
entdecken, da kaum noch in die Stadt
gegangen wird?
Die anfängliche Faszination des Internets, die ständige Verfügbarkeit aller
gewünschten Artikel, hat sich in Normalität - und zwar im Sinne von Selbstverständlichkeit - gewandelt. Es ist eine Ent-
wicklung hin zu einem gleichberechtigten Nebeneinander von realer und virtueller Einkaufswelt zu erkennen. Menschen wollen aber mit Menschen kommunizieren, sie wollen nicht nur "Knöpfe
drücken". Auch werden die Produkte immer anspruchsvoller, so dass sie Erklärungen brauchen, die nicht alleine über
YouTube-Videos gegeben werden können.
Mobiles Internet fördert
stationären Handel
Das "weltweite Netz" wird auch im direkten Umfeld immer wichtiger. Besonders durch die rasante Ausbreitung des
mobilen Internets werden unterwegs Informationen zu Angeboten jeder Art in
der näheren Umgebung gesucht. Google hat erst kürzlich die Parameter für
die Listung in der Suchmaschine dahingehend geändert, dass für mobile Geräte optimierte Webseiten in der Liste weiter vorne erscheinen. Auch Facebook
ermöglicht es inzwischen, lokale Werbung (local awareness ads) zu schalten.
Erreicht werden sollen
nur die potentiellen
Kunden, die sich in der
Nähe des Geschäftes
aufhalten.
Mehr Informationen
unter www.facebook
.com/Business/a/
local awareness
Aktuelle Studien
In den letzten Wochen
veröffentlichte das IfH,
Köln, zwei Studien, die
sich mit dem stationären Einzelhandel beschäftigen. Sie zeigen
einerseits, dass Kunden
grundsätzlich nicht auf
den lokalen Handel
verzichten wollen. Die
Studie in Zusammenarbeit mit dem Mittelstandsverbund, die die
generelle Bereitschaft
von Verbrauchern sowie die nötigen Voraus-
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setzungen zur Nutzung eines lokalen
Marktplatzes erforscht, zeigt andererseits aber auch, dass Kunden eine Präsenz des stationären Händlers im Internet erwarten. Der inhabergeführte lokale
Handel muss seine Stärken deutlich über
alle Kanäle kommunizieren. Über alle
Produktgruppen hinweg spielt eine hohe
Produktqualität und die Fachkompetenz
des Personals die wichtigste Rolle bei
der Händlerwahl. „Die Konsumenten
sind mittlerweile mehrheitlich selektive
Online-Shopper, die nicht nur mal
online, mal offline einkaufen, sondern
auch im Kaufprozess die Kanäle wechseln. Um diese Zielgruppe bereits während des Informationsprozesses auf sich
aufmerksam machen zu können, ist eine
Online-Präsenz auch für den inhabergeführten lokalen Einzelhandel unumgänglich“, betont Bettina Seul, Leiterin
Research Experts am IfH Köln. Auch
Cross-Channel-Services gehören demnach ins Angebot lokaler Marktplätze.
So wird z. B. die Online-Reservierung
von Produkten und Rückmeldung bei
Wiederverfügbarkeit von 84% der
Befragten positiv bewertet.
Die zweite Studie „Stadt, Land, Handel
2020“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Handel,
Verbraucher, Städte und Regionen. Sie
zeigt, dass der Strukturwandel im Handel im vollen Gange ist. Die Digitalisierung beeinflusst Flächen und Anzahl stationärer Geschäfte. Die Studie zeichnet
umfassend die Einflussgrößen auf die
Handelsentwicklung nach, zeigt auf, wie
Städte an Attraktivität gewinnen können
und wie sich der stationäre Handel in
einzelnen Regionen entwickeln wird.
Die IfH-Modellrechnung ergibt für das
Jahr 2020 einen Online-Umsatzanteil
am Einzelhandel insgesamt zwischen
11,9 und 15,3% – ohne Güter des täglichen Bedarfs liegt dieser 2020 sogar
bei bis zu 25,3%. Durch die dadurch
entstehenden Kannibalisierungseffekte,
könnten in den nächsten fünf Jahren
rund 45.000 stationäre Geschäfte vor
dem Aus stehen. Das bedeutet: Bis 2020
droht mehr als jedem zehnten Ladengeschäft die Schließung. Daneben beeinflusst vor allem die BevölkerungsentwickZHH-Info 9/2015
Titelthema im September
lung die Handelslandschaft: Schrumpft
die Bevölkerung, sinken auch die Einzelhandelsumsätze.
Für die Prognose der Handelsentwicklung haben die IfH-Experten zwei TrendSzenarien errechnet: Das Online-Szenario fällt mit einer Umsatzentwicklung des
stationären Einzelhandels bis 2020 von
minus 11,5% recht pessimistisch aus. In
diesem Szenario liegt die prognostizierte Bandbreite der Einzelhandelsentwicklung auf Ebene der Stadt- und Landkreise
zwischen minus 27% und minus 1%.
Attraktive Innenstädte punkten mit Gestaltung, Ambiente, Erlebnischarakter
und Angebots- bzw. Sortimentsvielfalt.
Während in Sachen Erlebnis und Ambiente vor allem positive Akzente gesetzt
werden können, führen Defizite im Warenangebot aus Konsumentensicht zu
drastischen Einbußen der Attraktivität.
Vor allem kleinere Städte haben hier vielfach Handlungsbedarf. „Damit sich
auch kleinere Städte für die Zukunft attraktiv aufstellen können, muss ein Umdenken erfolgen. Noch kann der Wandel aktiv gestaltet werden. Auch Kooperationen von Standorten oder ein strategisch angelegter prozessualer Rückbau
können eine Chance sein“, rät Boris
Hedde, Geschäftsführer des IfH Köln.
Buy Local
Seit 2012 gibt es die bundesweite,
branchenübergreifende Initiative "Buy
local". Dieser eingetragene Verein mit
Förderpartnern aus der Industrie versteht
sich als "offensive Imagekampagne für
die Besten". Sie kämpft für den Erhalt
der Kaufkraft vor Ort und will den Facheinzelhandel und das Handwerk stärken. Im Mai 2015 hatte der Verein rund
550 Mitglieder, Ende des Jahres sollen
es 1.000 sein. Wer Mitglied werden
will, muss sich an bestimmten Qualitätsstandards orientieren. Buy local will mit
Qualität und Service überzeugen und
versteht sich nicht als "Tropf für kranke
Unternehmen".
Der örtliche stationäre Handel soll mit
einer guten Prise Humor auf sich aufmerksam machen und das Internet nicht
verteufeln. Der Verein gibt Hilfestellung,
um Angebote, Veranstaltungen und Services zu vermarkten. Es werden Werbemittel und Vorlagen für die Pressearbeit
zur Verfügung gestellt. Mitglieder sind
Teil eines Netzwerkes. Sie bekommen
die Möglichkeit, eine eigene Profilseite
ins Netz zu stellen und erhalten InformaZHH-Info 9/2015
tionen zu verschiedenen Beratungesangeboten der IHK und anderen.
Buy local macht auf den Zusammenhang
von persönlichem Einkaufsverhalten und
leeren Innenstädten aufmerksam. Jeder
einzelne ist mit dafür verantwortlich,
dass unsere Innenstädte lebendig bleiben. Der Ansatz dieser Aufklärungskampagne ist positiv. Es sollen Alternativen
zum schnellen, vorgeblich anonymen Internetkauf durch den stationären Handel
in der Stadt aufgezeigt werden.
Die Kosten für die Mitgliedschaft sind
überschaubar: pro Monat zehn Euro und
100 Euro für ein Starterpaket, das Leitfäden, ein Onlineprofil, Werbemittel und
ein Zertifikat beinhaltet.
Der Verein arbeitet seit Ende letzten Jahres auch mit der Wuppertaler Initiative
Online City Wuppertal (OCW) zusammen.
Mehr Informationen unter www.buylocal.de oder unter www.youtube.
com/watch?v=-SalTB58RR0
Online City Wuppertal (OCW)
Im November vergangenen Jahres
wurde durch die Wuppertaler städtische
Wirtschaftsförderung die Online City
Wuppertal (OCW) ins Leben gerufen. Es
handelt sich um einen Internetmarktplatz
für die örtlichen Einzelhändler, der diesen Einzelhändlern eine relativ einfache
Möglichkeit gibt, im Internet präsent zu
sein. OCW kopiert, was globale Anbieter wie Amazon & Co. erfolgreich vorgemacht haben - ohne allerdings mit den
Preisen konkurrieren zu wollen. Die teilnehmenden Händler werden umfassend
geschult, sowohl in Bezug auf allgemeines Wissen über Online- und Crosschannel-Handel als auch in Bezug auf ihre
eigenen Onlineaktivitäten. Die Händlerseiten werden so aufbereitet, dass sie in
den Suchmaschinen weit oben erscheinen und das Konzept ist kompromisslos
kundenorientiert: Wer bspw. bis 16:30
Uhr bestellt, bekommt die Ware am selben Tag geliefert oder kann sie im
Geschäft abholen.
Noch ist die Plattform im Aufbau begriffen, rund 70 Händler unterschiedlicher
Branchen beteiligen sich bislang daran,
aber das bundesweite Interesse an diesem Konzept ist groß. Die Teilnehmer,
die 20 Euro pro Monat an Beitrag zahlen sowie 8% des Nettowarenwertes an
Atalanda beim Onlineverkauf, verzeichnen Umsatzzuwächse, nicht nur im
Online-Bereich, sondern auch im Laden.
Die Kunden kommen in die Geschäfte,
die sie im Netz gefunden haben.
Die Kontakte der Wirtschaftsförderung
Wuppertal zu den Händlern sind persönlich, vieles läuft über Mund-zu-MundPropaganda, aber auch die "neuen Medien" sind integriert. Für den Austausch
der Händler untereinander gibt es bspw.
eine geschlossene Facebook-Gruppe.
Im Aufbau ist ein Abholladen für bestellte Waren aus den teilnehmenden Geschäften mit einem Drive-In-Schalter. In
diesen Räumen werden auch weitere
Möglichkeiten gezeigt, wie stationärer
und online Handel verknüpft werden
können.
Das Pilotprojekt erhält staatliche Unterstützung. Die Stadt finanziert die Händlerschulungen für drei Jahre mit
115.000 Euro, danach soll OCW alleine laufen.
Die Plattform wird von Atalanda aus Bad
Reichenhall zur Verfügung gestellt. Das
Online-Einkaufsportal ist mit einem eigenen Logistikangebot verknüpft, um same
day delivery (Lieferung am selben Tag)
zu gewährleisten. Zur Zeit haben rund
130 Städte Interesse an diesem Angebot.
Am 3. November 2015 wird die OCW
den ersten deutschen Local Commerce
Kongress in Wuppertal veranstalten.
Hier werden das Projektmanagement,
die beteiligten Händler und Partner ausführlich von ihren Erfahrungen berichten.
Mehr Informationen unter
www.onlinecity-wuppertal.de.
Mönchengladbach bei eBay
Ein ähnliches Angebot wie die OCW
startet im Herbst in Mönchengladbach.
Ortsansässige Händler werden ihre Produkte über die Plattform „Mönchengladbach bei eBay“ auch zur Abholung im
Laden anbieten. Zur Zeit laufen die ersten Schulungen mit interessierten Händlern. Ziel ist es, den lokalen stationären
Einzelhandel der Stadt besser mit dem
Online-Handel zu verknüpfen. eBay arbeitet hier mit der Wirtschaftsförderung
Mönchengladbach und der Hochschule
Niederrhein zusammen.
Mehr Informationen unter
http://www.wfmg.de.
Weitere allgemeine Informationen
können Sie in der Geschäftsstelle
bekommen: [email protected]
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