Patientenverfügung

„Patientenverfügung“
Seminar Quadrimed
Montana
28.01.2016
Prof. Gregor Schubiger
Co-Leitung Ethik-Forum Luzerner Kantonsspital
Dialog Ethik Zürich
INTERDISZIPLINÄRES INSTITUT FÜR ETHIK IM GESUNDHEITSWESEN
FALL-Vignette:
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Herr B., 64-jährig, leidet an einem vor vier Monaten diagnostizierten BronchusCarcinom. Aktuell steht er unter einer Erstlinien-Chemotherapie, weitgehend
ambulant. Auf Anraten seiner Frau hat er eine Patientenverfügung verfasst und eine
Kopie bei der letzten Konsultation bei seinem Hausarzt deponiert.
Akut ist er an einer bilateralen Pneumonie erkrankt: Hochfebril, sauerstoffabhängig,
zeitliche und örtlich desorientiert, zeitweise somnolent. Vital ist er nicht akut bedroht.
Die Spitaleinweisung ist unumgänglich.
Eine antibiotische Therapie wird begonnen und Herr B. wird unter Sauerstoff-Zufuhr
auf die Abteilung verlegt.
In den nächsten Tagen verbessert sich sein Zustand nicht. Er wird zunehmend
ateminsuffizient und ist kaum ansprechbar. Die Frage der Intubation/Beatmung stellt
sich. Die Ehefrau zeigt dem zuständigen Arzt folgende unterschriebene
Patientenverfügung:
„Ich will
- bei Verschlechterung keine lebensverlängernden Massnahmen
- nicht auf einer Intensivstation sterben“
Tochter und Sohn sagen, der Vater hätte stets einen starken Lebenswillen gehabt, sie
wüssten nichts von dieser Patientenverfügung.
Rolle der
Patientenverfügung
?
Dilemma!
Jeder Entscheid verletzt ein ethisches Grundprinzip
Focus: Patientenverfügung
• Warum entstand in diesem Fall überhaupt eine
Dilemmasituation?
• Wo hätte man die Weichen anders stellen
können/müssen?
Rolle des
Onkologen?
Rolle des
Hausarztes?
FALL-Vignette:
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Rolle des
Spitalarztes?
Herr B., 64-jährig, leidet an einem vor vier Monaten diagnostizierten BronchusCarcinom. Aktuell steht er unter einer Erstlinien-Chemotherapie, weitgehend
ambulant. Auf Anraten seiner Frau hat er eine Patientenverfügung verfasst und eine
Kopie bei der letzten Konsultation bei seinem Hausarzt deponiert.
Akut ist er an einer bilateralen Pneumonie erkrankt: Hochfebril, sauerstoffabhängig,
zeitliche und örtlich desorientiert, zeitweise somnolent. Vital ist er nicht akut bedroht.
Die Spitaleinweisung ist unumgänglich.
Eine antibiotische Therapie wird begonnen und Herr B. wird unter Sauerstoff-Zufuhr
auf die Abteilung verlegt.
In den nächsten Tagen verbessert sich sein Zustand nicht. Er wird zunehmend
ateminsuffizient und ist kaum ansprechbar. Die Frage der Intubation/Beatmung stellt
sich. Die Ehefrau zeigt dem zuständigen Arzt folgende unterschriebene
Patientenverfügung:
Urteils„Ich will
fähigkeit?
- bei Verschlechterung keine lebensverlängernden Massnahmen
-nicht auf einer Intensivstation sterben“
Tochter und Sohn sagen, der Vater hätte stets einen starken Lebenswillen gehabt, sie
wüssten nichts von dieser Patientenverfügung.
Wer
entscheidet?
Inhalt
der PV?
Inputs:
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
2. Wann ist man „urteilsfähig“ wann „-unfähig“?
3. Wie läuft ein Entscheidungsprozess bei
Urteilsunfähigkeit und fehlender Verfügung?
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
Eigene Vorsorge für den Fall von Urteilsunfähigkeit
ZGB 360ff / 370ff
Vorsorgeauftrag
• Vermögen
• Betreuung
• Wohnsituation
• ….
Formal geregelt
• analog Testament
Patientenverfügung
•Medizinische Massnahmen
•Stellvertreter
•Organspende
•….
Formal offen
• Datum / Unterschrift
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
Eigene Vorsorge für den Fall von Urteilsunfähigkeit
ZGB 370ff
Vorsorgeauftrag
• Vermögen
• Betreuung
• Wohnsituation
• ….
Patientenverfügung
•Medizinische Massnahmen
•Stellvertreter
•Organspende
•….
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
Situationen der Urteilsunfähigkeit
Urteilsfähigkeit
+
akute
Lebensgefahr
Demenz
terminale
Erkrankung
Umfang der Patientenverfügung
Stellvertretung
spezifische Anweisungen
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
ZGB Art. 370 ff: Patientenverfügung
Stellvertretung (St.V.)
spezifische Anweisungen
Man bestimmt eine Person, die stellvertretend entscheiden soll.
Man gibt konkreten Vorstellungen, wie die
Ärzte sich zu verhalten haben, Ausdruck.
Verfasser will, dass in seinem Sinne und
nach seinen Wertvorstellungen
entschieden wird.
Verfasser will sich meist grundsätzlich
vor invasiver Behandlung am Lebensende
schützen.
Funktioniert, wenn
Funktioniert, wenn
• enges Vertrauensverhältnis zu St.V.
• für eine konkreter Situation verfasst wurde
• St.V. bereit, Verantwortung zu übernehmen • ein Beratungsgespräch vorausgeht
•Informationskette gut organisiert ist, d.h. Verfügung verfügbar!
• Gültigkeit periodisch überprüft wird
1. Macht eine Patientenverfügung überhaupt Sinn?
Modern heisst das das Stichwort für die Personensorge
advance care planning
Vorausschauende Betreuungsplanung bedeutet
• Jede und Jeder soll sich -unabhängig von Alter und Gesundheitszustandmit dem Lebensende oder einer Urteilsunfähigkeit auseinandersetzen,
• eigene Wertvorstellungen mit einem oder mehreren „Interpretern“ diskutieren,
• Allenfalls Fachperson/Hausarzt involvieren,
• Gültigkeit getroffener Anordnungen regelmässig überprüfen.
Das macht Sinn!
„persönlich“
Stellvertreterin + Stellvertreter II + Stellvertreter III
+
• Bei zunehmender Lebensschwäche begleitet von einem weitgehenden
Verlust an Selbstständigkeit sollen Reanimationsversuche
unterlassen werden oder allenfalls rasch abgebrochen werden.
Das bedeutet, dass im Fall der Betreuung in einem Spital oder einer
Institution der „Rea-Status“ mit „Nein“ verordnet werden kann.
• Ich möchte nicht länger als 4 Monate in einem
Wachkoma ohne Kommunikationsfähigkeiten liegen,
allenfalls Abbruch der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr unter
palliativen Begleitmassnahmen.
2. Wann ist man „urteilsfähig“?
juristisch:
Gemäss Art. 16, ZGB, wird Urteilsfähigkeit vermutet, wenn nicht die
aufgezählten Einschränkung nachgewiesen werden:
• Kindesalter
(aber auch unmündige können urteilsfähig sein)
• Geisteskrankheit
• Trunkenheit
• Mangelnde Fähigkeit, vernunftmässig zu handeln ….
(vernunftmässig heisst nicht unbedingt vernünftig)
Im Gesetz als negative Umschreibung
„= Ausschlussdiagnose“
2. Wann ist man „urteilsfähig“?
Schweizerische Akademie der medizinischen
Wissenschaften formuliert positiv!
Urteilsfähigkeit bedeutet medizinisch:
• Fähigkeit, Informationen in Bezug auf die zu fällende Entscheidung verstehen;
 zeitliche und inhaltliche Relativität
• Fähigkeit, die Situation und die Konsequenzen, die sich aus
alternativen Möglichkeiten ergeben, richtig abzuwägen;
 kognitive und emotionale Schwankungen
• Fähigkeit, die erhaltenen Informationen im Kontext eines kohärenten
Wertsystems rational zu gewichten;
 zu hohe Anforderung?
• Fähigkeit, die eigene Wahl zu äussern.
 „Spiegelung“ der erhaltenen Information
……“urteilsfähig“ ist man, „urteilsunfähig“ wird man erklärt (normativ)
3. Wie läuft ein Entscheidungsprozess bei Urteilsunfähigkeit und fehlender Verfügung?
Autonomieverständnis nach Erwachsenenschutzgesetz (2013):
Die Ärzte machen eine Behandlungsvorschlag, der
im Fall von Urteilsunfähigkeit der Patientin oder des Patienten,
von der gesetzlichen Stellvertretung nach dem mutmasslichen
Willen akzeptiert oder verworfen werden muss.
Abwehrrecht
 Einforderungsrecht (z.B. Reanimation in aussichtsloser Situation)
Wie ist die „gesetzliche Stellvertretung“ geregelt?
Folgende Personen sind berechtigt einen urteilsunfähigen Patienten
zu vertreten (Art. 378 ZGB):
1. die in einem Vorsorgeauftrag ernannte Vertretung
2. Beistand mit Vertretungsrecht bei med. Massnahmen
3. der Ehegatte bzw. die eingetragene Partnerin/partner mit der die
urteilsunfähige Person einen Haushalt führt oder ihr Beistand leistet
4. die Person mit der die urteilsunfähige Person einen gemeinsamen
Haushalt führt
5. die Nachkommen
6. die Eltern
7. die Geschwister
sofern sie der urteilsunfähigen
Person Beistand leisten
End-of-life-Entscheidungen USA
Analyse von 3746 Todesfällen bei > 60-jährige
davon war bei 42% eine Diskussion über die Behandlungsart nötig
davon 70% waren zu diesem Zeitpunkt nicht urteilsfähig
davon hatten 45% eine Pat.-Verfügung
und 21% bestimmten nur eine Stellvertretung
(613/660) 93% wünschten "limited care"
4000
3746
3500
confort care
some limits
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
nur 10:
all care possible
1536
999
445
613
215
NEJM 2010;362:1211-8.
„Take home“
“advance care planning”
= das Unplanbare planen
bedeutet:
… Patientinnen und Patienten auf eine
Patientenverfügung ansprechen
… und sich selbst dazu ebenfalls
Gedanken zu machen!
Quellen / Vorlagen-Beispiele:
www.dialog-ethik.ch
www.caritas-luzern.ch/vorsorge/
www.fmh.ch/services/patientenverfuegung.html
www.prosenectute.ch/de/ratgeber/finanzen-vorsorge/docupass.html
www.krebsliga.ch/de/leben_mit_krebs/patientenverfugung
Dokumentierter Wunsch/Wille des
Patienten oder seiner StV.
zur Reanimation
Verordnung
REA Nein
REA Ja
REA
Nein *
REA
Ja
Ja
REA
Nein
DISSENS
Nein
Reanimation ist
medizinisch-ethisch
sinnvoll
Konsens
erreicht
Gespräch
mit
Pat/StV.
Kaderarzt mit dokumentierter
Begründung und Bezug auf
SAMW-Guidlines °
DISSENS
besteht weiter
Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde am Herkunftsort des
Patienten involvieren
* Allenfalls spezielle Aufklärung/Reevaluation vor Operation/Anästhesie
Information, dass Rea aus med.
Gründen in der gegebenen Situation
nicht gefordert werden kann.
Option: Zweitmeinung/ev.Verlegung