Arbeitslosenmarsch

Arbeitslosenmarsch
Text und Melodie des "Arbeitslosenmarschs" stammen von Mordechaj Gebirtig, wobei
Gebirtig ein "Künstlername" ist und der tatsächliche Nachname Bertig lautet. Im Brotberuf
war Gebirtig Tischler in Krakau (Polen), wo er auch 1877 geboren wurde. Gebirtig, der ab
der Jahrhundertwende auch in der Sozialdemokratie politisch aktiv war, war ein reiner
Autodidakt: er "komponierte" seine Melodien auf einer einfachen Flöte, niedergeschrieben
wurden sie dann von Freunden. Seine Texte verfasste er alle in jiddischer Sprache. Rund
90 Lieder hat Gebirtig hinterlassen, die Palette reicht vom Kinderlied bis zum proletarischsozialistischen Kampflied. Gebirtigs Relevanz als Künstler und Autor hat gewissermaßen
einen Doppelcharakter: einerseits war Gebirtig ein proletarischer Künstler von größter
Authentizität, anderseits hat er als jiddischsprachiger Künstler eine besondere Bedeutung
für eben diese Sprache. - Mordechaj Gebirtig wurde im Juni 1942 in Krakau auf offener
Straße von Nazis erschossen.
Wie gesagt verfasste Gebirtig seinen "arbetslosen-marsch" (oder auch "arbetlosemarsch") also in jiddischer Sprache. Diese aus sprachwissenschaftlicher Sicht zwar
germanische Sprache wurde und wird allerdings mit hebräischen Buchstaben (und von
rechts nach links) niedergeschrieben - daher ist der unten links wiedergegebene Text eine
Transkription in die lateinische Schrift, wobei Transkriptionen aus dem Jiddischen im
Wesentlichen einer Lautschrift ähneln. Allein im deutschen Sprachraum gibt es zudem
jedoch zwei bis drei anerkannte und verwendete Transkriptionssysteme, daher ist unsere
Transkription nur eine Möglichkeit, neben der andere Möglichkeiten mit gleicher
Berechtigung stehen (z.B. "ejnß, zwej..." statt "ejns, tswej..."). Die Übersetzung, die rechts
neben dem jiddischen Text steht, ist übrigens nur eine Übersetzung und nicht mehr - d.h.
sie nimmt weder Rücksicht auf den Takt des Liedes noch reimt sie sich: diese deutsche
Übersetzung von uns selbst ist also kein Alternativtext und daher nicht zum Singen
geeignet. Hingegen gibt es eine relativ bekannte deutsche Nachdichtung, die "inhaltlich"
aber nur noch den Titel und damit das Grundsatzthema mit Gebirtigs Original gemein hat
(und eben die Melodie) - diese längere und aktuelle Version dieses Liedes, die von
Christof Hoyler (geb. 1958) stammt, folgt weiter unten, im Anschluss daran die Noten.
"arbetlose-marsch"
"Arbeitslosenmarsch" (deutsche
Übersetzung)
ejns, tswej, draj, fir,
Eins, zwei, drei, vier,
arbetlose senen mir,
Arbeitslose sind wir,
nischt gehert chadoschim lang
nicht mehr gehört haben wir Monate lang
in farbrik dem hammer-klang,
in der Fabrik der Werkzeuge Klang,
's lign kejlim kalt, fargesn,
es liegen die Geräte kalt, vergessen,
's nemt der sschawer sej schojn fresn,
es beginnt sie schon der Rost zu fressen,
gejen mir arum in gas,
wir gehen umher auf der Straße,
wi di gwirim pust-un-pas,
wie die Reichen ohne Beschäftigung,
wi di gwirim pust-un-pas.
wie die Reichen ohne Beschäftigung.
ejns, tswej, draj, fir,
Eins, zwei, drei, vier,
arbetlose senen mir,
Arbeitslose sind wir,
on a beged, on a hejm,
ohne Kleidung, ohne Heim,
undser bet is erd un lejm,
unser Bett besteht aus Erde und Lehm,
hat noch wer wos tsu genisn,
hat noch jemand was zu essen,
tajt men sich mit jedn bisn,
teilt man sich jeden Bissen,
waser wi di gwirim wajn
Wasser wie die Reichen den Wein
gisn mir in sich arajn,
schütten wir in uns hinein,
gisn mir in sich arajn.
schütten wir in uns hinein.
ejns, tswej, draj, fir,
Eins, zwei, drei, vier,
arbetlose senen mir,
Arbeitslose sind wir,
jornlang gearbet schwer,
jahrelang haben wir schwer gearbeitet
un geschaft alts mer un mer,
und haben immer mehr geschaffen,
hajser, schleser, schtet un lender
Häuser, Schlösser, Städte und Länder
far a hojfele farschwender.
für ein Häuflein Verschwender.
unser lojn derfar is wos?
Was ist unser Lohn dafür?
hunger, nojt un arbetlos,
Hunger, Not und Arbeitslosigkeit,
hunger, nojt un arbetlos.
Hunger, Not und Arbeitslosigkeit.
ejns, tswej, draj, fir,
Eins, zwei, drei, vier,
ot asoj marschirn mir,
so marschieren wir,
arbetlose, trit noch trit,
Arbeitslose, Schritt für Schritt,
un mir singe sich a lid
und wir singen uns ein Lied
fun a land, a welt a naje,
von einem Land, einer neuen Welt,
wu es lebn mentschn fraje,
wo freie Menschen leben,
arbetlos is kejn schum hant
arbeitslos ist keine einzige Hand
in dem najen frajen land,
in dem neuen freien Land,
in dem najen frajen land.
in dem neuen freien Land
Der Text der deutschen Nachdichtung des "arbetslosen-marsches" von Christof Hoyler:
"Arbeitslosenmarsch"
Eins, zwei, drei, vier / Arbeitslose, das sind wir: / Wehrlos, stumm muss man anhör'n, /
wenn sie voll Mitgefühl beschwör'n: / "Leider müssen wir mitteilen, / dass Sie nicht mit der
Zeit miteilen; / Sie sind in unserm Ziel zuviel" / Ich aber frage: "Welches Ziel?" / Ich aber
frage: "Welches Ziel!"
Fünf, sechs, sieben, acht, / arbeitslos und ausgelacht: / Der Lebenslauf, der sei ein Witz /
und wegen Alters abgenützt. / Doch was wärt ihr, die Arbeit habt, / so komisch das jetzt
klingen mag, / wär'n wir nicht für euch Arbeit los, / an eurer Stelle arbeitslos, / an eurer
Stelle arbeitslos!
Neun, zehn, elfe, zwölfe / Arbeitslose unter Wölfen: / Nur Hunde, die mit Wölfen heulen, /
holen sich die fett'sten Keulen, / mit Rationalisierungshetz, / mit Aktienkurs und Dax-Index.
/ Ene mene, du bist draus: / Die Börse feiert Leichenschmaus. / Die Börse feiert
Leichenschmaus!
Hundert, tausend, abertausend / Arbeitslose stehen draußen, / warten auf Gelegenheit, /
warten aus Verlegenheit, / wo's längst nichts mehr zu warten gibt, / weil brach das Feld
der Arbeit liegt, / dann heißt's noch, ihr seid selber schuld / es reißt der Faden der Geduld,
/ es reißt der Faden der Geduld!
Vier, drei, zwei, eins / Wär'n Arbeitslose sich mal eins: / Manchmal träume ich davon, / ein
dicker Hammer wär' es schon; / der schlüge dann in eure Fressen, / ihr die mit uns so
ganz vermessen / Götter spielt und selbstgerecht / uns die Zeche zahlen lässt, / uns die
Zeche zahlen lässt!
Tausendfach, millionenfach, / Arbeitslose schlagen Krach. / Es ist ein stiller, stummer
Schrei, / an jene Wichtigtuerei, / derer die das eingebrockt, / geifernd, fleddernd
abgezockt, / doch mit Judaslohn und Silberstück / strickt ihre euch den eig’nen Strick, /
strickt ihr euch den eig’nen Strick!
Eins, zwei, drei, vier / Arbeitslose waren wir. / Denn heute sag' ich laut und klar: / Es ist
gelogen, ist nicht wahr. / Ich denke, also bin ich noch, / ich bin noch, also denk' ich noch: /
Was glaubt ihr denn, ihr Herrn der Welt, / das wahre Nichtstun liegt im Geld, / das wahre
Nichtstun liegt im Geld!