Die Konzernspitze muss dazu ermutigen, neue Wege zu gehen

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Fotos: Unternehmen, Xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Mit Weitsicht hat
Stefan Semmelroth
gehandelt, als er von
den Mediaagenturen
Transparenzverträge
einforderte. Im
W&V-Interview erzählt
er, warum und wie
AGENTURBEZIEHUNG
W&V e
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Debat
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Transp
im
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Media
„Billig ist
schnell
zu teuer“
Volle Transparenz von der
Mediaagentur? Der Marketingchef
von Jack Wolfskin weiß: Das geht.
Stefan Semmelroth über kleine
Budgets und große Bequemlichkeiten.
Ein Vertrag mit Vorbildcharakter
I NTERVI EW: Jud i th P fa nne nmü l l e r
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die Agentur uns rät, muss sich ausschließlich
an den Zielen des Unternehmens ausrichten.
Das erfordert Transparenz in den Beziehun­
gen zur Agentur. Die Offenlegung muss so
weitreichend sein, dass wir beurteilen können,
ob die vorgeschlagene Strategie unseren Un­
ternehmenszielen dient, oder ob die Agentur
noch weitere, eigene Ziele damit abdeckt. Als
Unternehmen muss man dafür die entspre­
chenden Rahmenbedingungen schaffen.
Das klingt so einfach. Gerade Mittelständler wissen aber oft nicht, wie sie von ihren
Mediaagenturen Transparenz vertraglich
einfordern können. Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben uns externe Berater an die Seite
geholt, uns zunächst mit der Zielsetzung be­
schäftigt und dann überlegt, welche Faktoren
wichtig sind, um unsere Marketingziele zu
erreichen. Schon in der Sondierungsphase
haben wir den Agenturen angekündigt, dass
uns Transparenz, Offenlegung der Bücher und
Fair­Share­Prinzip sehr wichtig sind. Mit den
Agenturen, die wir beim nächsten Schritt mit­
nehmen wollten, haben wir eine Transparenz­
vereinbarung getroffen – und zwar bevor wir
ihnen ein Briefing gegeben haben. So konnten
wir sehen, ob Agenturen bereit sind, das
Transparenzversprechen, das sie abgeben,
auch vertraglich umzusetzen. Diese Grund­
voraussetzung musste erfüllt sein, bevor wir
überhaupt angefangen
haben, über Inhalte zu
sprechen.
Derzeit wird wieder
heftig um Transparenz
im Mediageschäft
debattiert. Zu Recht?
Auf jeden Fall, das The­
ma bewegt gerade uns
als Mittelständler. Media
ist ein sehr relevanter
und wichtiger Bereich.
Schließlich fließt ein
großer Teil unser Mar­
ketinginvestitionen dort
hinein.
2015 haben Sie Ihren
Mediaetat neu
ausgeschrieben. Auf
was kam es Ihnen
dabei an?
Sämtliche Vorteile, die
die Agentur generiert,
auch über Drittfirmen,
müssen dem Kunden
transparent gemacht, an
ihn weitergeleitet und
von ihm oder einem ex­
ternen Partner über­
prüft werden dürfen.
Das ist noch lange nicht
überall üblich. Oft wird
das, was die Holding an
Einkaufskonditionen
generiert, dem Kunden
nicht transparent ge­
macht. Das war für uns
aber eine zentrale Vor­
aussetzung dafür, damit
eine Agentur überhaupt
in die Endauswahl kam.
Das heißt, es gab
Agenturen, die, was
die Einkaufsvorteile
ihrer Holding anbelangt, keine Transparenz gewähren
wollten, obwohl sie
von Ihnen nachgefragt wurde?
Wir waren auf der Suche
nach einer neuen Strate­
gie, um die Marke Jack
Wolfskin weiterzuentwi­
ckeln. Uns kam es vor
allem darauf an, sicher­
zustellen, dass wir eine
unabhängige Strategie
bekommen. Unabhän­
gigkeit heißt: Alles, was
Manchmal ist es so, dass
eine Agentur gerne
transparent sein will,
Effektiv, nicht billig heißt das Kampagnenziel (Kreation: Intention, Media: Pilot)
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Was sind denn die
Eckpunkte einer
solchen Transparenzvereinbarung?
Fotos: Unternehmen
D
er Wind blies Jack Wolfskin zuletzt
ganz gehörig um die Ohren. Die
wirtschaftliche Lage verlangte nach
einer Justierung der Marke, und so hat der
Mittelständler im vergangenen Jahr alles hin­
terfragt – auch die Mediastrategie. Um die
10 Mio. Euro gab die Outdoormarke im ver­
gangenen Jahr laut Ebiquity für Media aus. Bei
einem derart schmalen Budget muss Brand­
marketing­Chef Stefan Semmelroth sicher­
stellen, dass das Geld gut angelegt ist. Dem
39­Jährigen war früh klar, dass er seine Media­
agentur vertraglich zur Transparenz verpflich­
ten muss, damit sie eine unabhängige Strategie
für seine Marke liefert und nicht zusätzlich
eigene Einkommensinteressen verfolgt. Im
Pitch ging es zuallererst
um eine verbindliche
Transparenzvereinba­
rung, erst danach um
Inhalte und faire Ho­
norierung. Das Beispiel
Jack Wolfskin zeigt,
wie Mittelständler ihre
Mediaagentur steuern
können, statt ihr hilflos
gegenüberzustehen.
aber nicht garantieren kann, dass innerhalb
der Holding und ihrer Einkaufs- und anderer
Tochtergesellschaften alle Prozesse so transparent sind, dass sie selbst darüber Bescheid
weiß und eine Garantie abgeben könnte. Ich
kann mir vorstellen, dass da mancher Agentur
innerhalb eines Networks die Hände gebunden sind.
Ein wichtiger Punkt ist die Honorierung
der Agentur. Die Agenturen klagen, sie
seien gezwungen, zusätzliche Einkommensquellen bei den Medien zu erschließen, da die Kunden ihre Leistung nicht
angemessen vergüten. Wie gehen Sie vor?
Wir sind grundsätzlich gewillt, eine Leistung
fair zu honorieren. Wir wollen aber nicht im
Hinterkopf haben, dass eine Agentur anderswo noch dazuverdient und wir deswegen augenscheinlich die bestmöglichen Konditionen
bekommen. Denn das bedeutet ja nicht, dass
man dafür auch die beste Leistung bekommt.
Billig kann sehr schnell zu teuer werden, nämlich dann, wenn die Marketinginvestitionen
am Ende zwar vermeintlich wirtschaftlich,
aber nicht mehr effektiv sind. Wir wollen Wirkung erzielen. Für uns ist eine Kampagne
dann zu teuer, wenn wir damit unsere Ziele
nicht erreichen. Das ist eine andere Beurteilungsgrundlage für die Agenturleistung und
den Preis, den wir zu zahlen bereit sind.
Das heißt, Sie bezahlen mehr als üblich?
Einige Agenturen waren erstaunt, dass es nicht
um einen reinen Konditionenpitch ging. Wir
wurden gefragt, ob das unser Ernst sei, denn
so würde normalerweise im Markt nicht
agiert.
Können Sie etwas konkreter werden?
Manche Kunden zahlen nur 1 Prozent vom
Budget, andere sagen, 15 Prozent des
Budgets wären eine faire Honorierung.
Zu den Vertragsdetails kann ich nichts sagen.
Aber ein faires Miteinander bedeutet auch,
dass die Agentur ihrer Leistung entsprechend
honoriert wird. Wir haben nicht von vornherein Grenzen gesetzt. Wir haben die Agentur
gebeten, fair zu bewerten, was ihre Leistung
wert ist, und uns ein Angebot zu machen. Darüber haben wir uns dann unterhalten. Ob am
Ende ein Modell herauskommt, das sich am
Stundenaufwand orientiert, oder Teile der
Honorierung an das Erreichen bestimmter
Leistungsmerkmale geknüpft werden – es gibt
verschiedene Spielvarianten, sodass die Agentur am Ende nicht zu kurz kommt.
Abenteuerlust muss bei der Mediaplanung nicht sein
In vielen Unternehmen bestimmt das Procurement den Mediaeinkauf. Der Erfolg
wird daran gemessen, ob Media günstiger
eingekauft werden kann. Wie viel Überzeugungsarbeit mussten Sie leisten, um
Einkaufskriterien durchzusetzen, die auf
dem Papier zunächst teurer erscheinen?
Es war entscheidend, herauszuarbeiten, warum es die Transparenzkriterien und gewisse
Rahmenbedingungen braucht, wenn wir sicherstellen wollen, eine unabhängige Beratung zu bekommen, die unsere Marke weiterbringt. Man muss erklären, was der Mehrwert
einer solchen Strategie ist, und umgekehrt,
was die negativen Folgen sein können, wenn
ich nur auf den Preis achte. Das ist die Kernaufgabe. Dazu braucht es natürlich auch die
Offenheit der Konzernspitze.
Warum lassen Sie sich extern beraten?
Es war uns von Beginn an wichtig, den Blick
möglichst weit aufzumachen. Dazu haben wir
„Wir wollen
nicht ständig im
Hinterkopf
haben, dass
die Agentur
anderswo noch
dazuverdient“
uns externe Berater mit ins Boot geholt. Die
Experten von Ants Communications bringen
Media-Know-how in den Prozess hinein, das
unsere Sichtweise ergänzt. Sie haben nicht
nur den Auswahlprozess begleitet, sondern
auch wichtige strategische Impulse geliefert.
Sie stehen immer als Sparringspartner zur
Verfügung, wenn Fragen auftauchen oder es
Vorschläge zu bewerten gilt, die uns von der
Agentur vorgelegt werden. Wenn man verstanden hat, wie wichtig das Thema Transparenz ist und wo der Mehrwert liegt, fällt es
leichter, solche Entscheidungen in die Organisation hineinzutragen.
Gerade mittelständische Kunden glauben,
sie könnten sich das nicht leisten, und
überlassen ihren Mediaagenturen deswegen die gesamte Verantwortung.
Jeder kann sich Fachwissen dazuholen, um
bessere Entscheidungen zu treffen. Das hängt
nicht von der Größe des Unternehmens oder
des Budgets ab, sondern einzig und allein von
der Bereitschaft des Marketingentscheiders
und der Rückendeckung der Geschäftsführung. Man muss sich aber schon darüber im
Klaren sein, dass dieser Prozess für alle Beteiligten mit Aufwand und zunächst auch Kosten
verbunden ist. Meiner Meinung nach ist es
aber ein größeres Risiko, aus Bequemlichkeit
blindlings seiner Agentur zu vertrauen.
Überprüfen Sie, ob sich Ihre Agentur tatsächlich an die Transparenzvereinbarungen hält, und wie oft müssen Sie kontrollierend eingreifen?
Unsere Durchgriffsrechte sind so weitreichend, dass unser Agenturverhältnis auf guten, partnerschaftlichen Beinen steht. Es ist
deswegen nicht zwingend erforderlich, dass
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Wie externe Mediaexperten helfen können
wir unserer Agentur permanent auf die Finger
schauen. Aber wir werden sie in regelmäßigen
Abständen überprüfen.
Intransparenz wird vor allem rund um das
Thema Trading diskutiert, wo die Agentur selbst als Händler von Werbeflächen
auftritt. Klammern Sie das aus?
Wir schauen uns immer wieder Tradingvolu­
mina an, entscheiden aber in jedem einzelnen
Fall, ob und in welchem Umfang wir sie ein­
setzen wollen. Dazu müssen wir wissen und
verstehen, welche Kontakte wir damit einkau­
fen, wie die Konditionen zustande kommen
und ob die Leistung, die wir bekommen, tat­
sächlich unseren Zielen dient. Es bringt uns
nichts, wenn wir ein Tradingvolumen für
vermeintlich sehr gute Konditionen kaufen,
aber am Ende eine Fehlstreuung haben. In der
Regel steigen wir mit einem Test ein, den wir
„Kampagnen
sind für uns
dann zu teuer,
wenn sie unsere
Ziele nicht
erreichen“
jederzeit wieder beenden können. Wir prüfen
auch, ob die Menge des eingesetzten Trading­
volumens überhaupt eine unabhängige Bera­
tung zulässt und zielführend ist.
Wie gehen Sie dabei mit dem Thema
Datenmanagement um? Mediaagenturen
erheben ja gerne Anspruch auf die Daten,
die mit einer Kampagne auflaufen.
Die Datenhoheit muss ganz klar auf Kunden­
seite liegen. Das beinhaltet auch das laufende
Kampagnenreporting. Das sind unsere Infor­
mationen, die wollen wir für unsere Kam­
pagnen nutzen. Das Thema spielt insofern
eine immer wichtigere Rolle, als wir immer
datengetriebener einkaufen, und weil wir in
Zukunft mit immer mehr Daten unsere
Marketingkommunikation zielgerichteter
gestalten.
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Wer keine eigene Mediaabteilung
hat, muss Know-how einkaufen. Jack
Wolfskin holte sich Ants Communications als Sparringspartner
Die Gründer der Mainzer Mediaberatungsfirma Ants Communications sind
bereits lange im Mediageschäft tätig.
Sie kennen die Praktiken der Mediaagenturen aus eigener Anschauung.
Matthias Süßlin, 56, war 15 Jahre lang
bei der damaligen Mediaagentur HMS
Carat dabei. Sein Partner Ulrich
Schulze-Eckel, 60, wirkte unter
anderem als Geschäftsführer des
Hamburger Ablegers von Universal
McCann. Seit 2009 beraten die
Partner mit ihrer eigenen Agentur
Kunden, die auf der Suche nach
externer Mediakompetenz sind. Sie
überprüfen bestehende Vertragsgestaltungen, beraten strategisch,
kontrollieren Pläne und Medialeistung
von bestehenden Kampagnen, führen
Financial Audits durch oder unterstützen Kunden mit ihrem Fachwissen
beim Aufbau hauseigener Mediaabteilungen. Den Mittelständler Jack
Wolfskin begleitete Ants Communica-
Der automatisierte Einkauf wird zunehmen. Wie gelingt es Ihnen als mittelständisches Unternehmen, mit den digitalen
Entwicklungen Schritt zu halten?
Das ist die größte Herausforderung. Es ist ent­
scheidend, als Kunde Wissen aufzubauen, um
die Chancen und Risiken beurteilen zu kön­
nen, die diese neuen Instrumente ins Spiel
bringen. Dazu muss man den Kontakt zu ex­
ternen Experten halten und suchen, da spielt
auch die Agentur eine wichtige Rolle. Man
kann es nur wiederholen – die Kernaufgabe
für jedes Unternehmen heißt, sich mit allen
Facetten von Media zu beschäftigen, damit
man beurteilen kann, was eine Leistung am
Ende wert ist – oder eben nicht.
Manch ein Marketingentscheider scheut
Veränderungen, weil er befürchtet, eingestehen zu müssen, in der Vergangenheit
Fehler gemacht zu haben.
Die Konzernspitze muss dazu ermutigen, neue
Wege zu gehen. Gesunde Unternehmenskul­
turen halten Fehler aus, um Entwicklungen zu
machen. Es braucht eine Kultur, die Fehler als
Teil des Fortschritts definiert. Vor allem die
tions in einem mehrere Monate andauernden Agenturauswahlverfahren.
Im Frühjahr 2015 wurden erste Gespräche mit zehn Mediaagenturen geführt,
darunter der damaligen Jack-WolfskinAgentur Mindshare. Nur Agenturen,
die gewillt waren, in einem ersten
Schritt umfassende Transparenzver-
Mediamann
Matthias
Süßlin kennt
die Tricks der
Mediaagenturen – er war
15 Jahre lang
bei HMS
Carat
einbarungen zu unterschreiben, kamen
in die nächste Runde: Das waren vier
Mediaagenturen. Sie bekamen das
Briefing und pitchten auf Basis der
Transparenzvereinbarung um die beste
Mediastrategie. Am Ende ging Pilot
Hamburg als Sieger aus einem Kopfan-Kopf-Rennen hervor.
Konzernspitze muss das vorleben und die
Toleranz, eine gewisse Risikobereitschaft und
auch Mut mitbringen, um Veränderungen
mitzutragen.
Jack Wolfskin ist ausgerechnet in einer
sehr schwierigen Phase einen neuen Weg
gegangen. Ein Vorteil?
Ein Unternehmen muss sich kontinuierlich
an die Entwicklungen im Markt anpassen,
weil sich daraus immer neue Chancen erge­
ben, sich zu verbessern. Vielleicht fängt man
gerade dann, wenn der Wind etwas rauher
weht, an, auch mal in eine andere Richtung zu
schauen.
j u p @ wu v.d e