Lb 03.11.2015: Dr. Steiner, der Firmengründer

Lokalgeschichte
Der Landbote
Dienstag, 3. November 2015
Thema
3
Apotheker, Eigenbrötler und Zeichner –
Dr. Steiner war eine schillernde Figur
entdeckung Caesar Steiner war Gründer der Adler-Apotheke
am Untertor und kein einfacher Zeitgenosse. Und er war –
auch das wird jetzt bekannt – ein Botaniker und Maler, der
ein Werk mit über 2300 Pflanzenaquarellen hinterlassen hat.
Es gibt eigentlich drei Geschich­
ten zu erzählen. Da ist einmal die
historische Figur des Apothekers
Dr. Caesar Heinrich Steiner (1812
bis 1894). Er lebte und arbeitete in
Winterthur, starb in Frauenfeld
und muss eine eigenwillige Per­
sönlichkeit gewesen sein. Dann
ist zweitens die Geschichte des
Frauenfelder Buchantiquars An­
dré Viard zu erzählen, der bei
einer Hausräumung auf das bis­
her unbekannte zeichnerische
Werk ebendieses Caesar Steiner
stiess und nicht lockerliess, bis
er eine Person fand, die mit sei­
nem einmaligen Fund etwas an­
zufangen wusste. Und die dritte
Geschichte ist jene dieses Bücher­
freundes, der mit einer Nachfah­
rin des Winterthurer Apothekers
verheiratet ist und der dessen
Werk in anregender Form aufbe­
reitet und jetzt veröffentlicht hat.
Teil 1: Des Antiquars Fund
Beginnen wir im Jahr 2005. Der
Antiquar André Viard hatte die
Aufgabe, in einem Privathaus in
Frauenfeld eine Bibliothek zu
räumen. Wie immer fand er Wert­
loses, einiges Interessantes und
dann 17 grössere und 2 kleine le­
dergebundene Bände, auf deren
Rücken in Goldlettern geschrie­
ben steht «Pflanzen der Schweiz.
Gemalt von Dr. Caesar Steiner».
Die 19 Bücher enthalten über
2000 Aquarelle von Blumen, Bäu­
men und Gräsern, alle detailge­
treu gezeichnet und koloriert und
mit den lateinischen Pflanzen­
bezeichnungen versehen. Oft ist
auch der Fundort angegeben.
Schnell wurde dem Antiquar
aufgrund der Fundorte klar, dass
er in der Region oder in der Stadt
Winterthur nach Spuren dieses
Steiner suchen musste. Und der
einzige Steiner mit Vornamen
Caesar, den er fand, war der Grün­
der jenes Winterthurer Geschäfts,
das seit geraumer Zeit Adler­Apo­
theke heisst.
Strebsamer Jungapotheker
Caesar Heinrich Steiner wurde
1812 in eine alteingesessene Win­
terthurer Familie hineingeboren.
Sein Grossvater hatte es mit dem
Bedrucken von Baumwollstoffen
zu Geld und Ansehen gebracht,
sein Vater war als Textilfarben­
händler dann aber weniger erfolg­
reich. Der Familiensitz, das gros­
se Haus «Zum Maulbeerbaum»
neben dem Untertor, musste in
Wohnungen aufgeteilt und teil­
weise fremdvermietet werden.
Nach der Schule wurde Caesar
Lehrling in einer Apotheke und
als 24­Jähriger bestand er das
pharmazeutische Vorexamen, im
Jahr darauf auch die Hauptprü­
fung. Der junge Apotheker war
offenbar sehr wissbegierig, ging
nach Giessen an die Universität,
um Chemie zu studieren, und
kam mit einem Doktortitel zu­
rück in die Heimat. Datum des
Doktordiploms: 30. Juni 1838.
Im Jahr darauf richtete er im
Haus am Untertor seine «Apothe­
ke v. C. Steiner»
ein. Der Be­
zirksarzt und
zwei hohe Her­
ren aus Zürich
schauten sich
die Sache an,
waren zufrie­
den und erteilten die amtliche Be­
willigung.
Ein schwieriger Mensch
Zur gleichen Zeit wurde Steiner
auch zum Kantonsapotheker ge­
wählt, was den anderen Pharma­
zeuten in Winterthur indes gar
nicht gefiel. Sie wollten nicht,
dass der neue Konkurrent sie
kontrollieren konnte und Ein­
blick in ihre Rezepturen hatte.
Steiner blieb dann auch nicht sehr
lange Oberapotheker. Schon ein
paar Jahre später war er selber
der Kontrollierte und unzufrie­
den mit den Kontrolleuren. Er
wurde offenbar ausfällig, das Pro­
tokoll der Visitation spricht von
«unstatthaften und beissenden
Gegenbemerkungen» Steiners.
Eine spätere Inspektion rügte die
Reinlichkeit, und Steiner hatte
eine Busse von 100 Franken zu be­
zahlen – viel Geld zu jener Zeit.
Caesar Steiner, das geht aus den
wenigen Quellen hervor, muss ein
eher schwieriger Charakter und
ein Einzelgänger gewesen sein.
Beruflich aber hatte er Erfolg: Er
verkaufte mehr Arzneien als die
lokalen Konkurrenten, und von
der Weltausstellung 1855 in Paris
brachte er eine Medaille für seine
Präparate mit nach Hause sowie
ein Ehrendiplom, persönlich un­
terzeichnet von Napoléon III.
Und die dritte Geschichte …
Alle diese Details recherchiert hat
Dieter Siegenthaler – womit wir
bei der dritten Geschichte wären,
die es zu erzählen gibt. Als der
Frauenfelder Antiquar André Vi­
ard für seinen Fund, ebendiese
Aquarellbände des Apothekers,
Interessenten suchte, stiess er auf
Caesar Steiners Nachfahren, die
Geschwister Annemarie Schütt­
Baeschlin, Kaspar Baeschlin und
Therese Siegenthalter­Baeschlin.
Der pensionierte Arzt Dieter
Siegenthaler und seine Frau woh­
nen in Frauenfeld. Er hatte zuvor
schon andere Teile der Baeschlin­
Familiengeschichte recherchiert
und dokumentiert. Mit seinen Er­
kundigungen über Caesar Steiner
setzte er dort an, wo Viard auf­
gehört hatte. «Spurensuche war
schon immer eine Leidenschaft
von mir», begründet Siegenthaler
seine Lust an der Recherche:
«Mein erster Berufswunsch war
Archäologe.» Im umfangreichen
Familienarchiv der Steiner/Gam­
per/Baeschlin, hoch oben im
Haus «Zum Maulbeerbaum», fan­
den sich zwar das Doktordiplom
und die Pariser Auszeichnung,
aber keine Briefe oder andere per­
sönliche Dokumente Steiners.
Mehr Erfolg hatte Siegenthaler
andernorts, zum Beispiel im
Staatsarchiv Zürich. «Wenn ich
fündig werde», sagt er, «ist es
spannend für mich, diese Mosaik­
steinchen in den Kontext einzu­
bauen.»
Mehr als Familiengeschichte
Aus den vielen Mosaiksteinchen
und den prächtigen Pflanzenbil­
dern Steiners ist jetzt ein 48­
seitiges, reich illustriertes Buch
geworden, das lokalhistorisch
mehr ist als nur ein Stück Fami­
liengeschichte. 400 Exemplare
hat Siegenthaler in der Druckerei
Mattenbach herstellen lassen.
Viele Exemplare gehen an die ver­
zweigte Familie, und auch in den
Winterthurer Buchhandlungen
ist das hübsche Werk erhältlich.
Ach ja. Eine Frage ist noch zu
klären: Wie kam Steiners «Her­
bar» nach Frauenfeld? Caesar
Steiner selber zog nach seiner
Apothekerzeit dorthin, pflegte
Kontakte zu anderen Pflanzen­
forschern und starb auch dort.
Das Haus, wo der Schatz bis zur
Wiederentdeckung 2005 überleb­
te, war das der Tochter eines die­
ser Botaniker.
Martin Gmür
Das Herbar des Winterthurer
Apothekers Caesar Steiner, Autor:
Dieter Siegenthalter, erscheint
ohne Verlag. 48 Seiten, vielfach
illustriert, in lokalen Buchhand-
CAeSAr SteinerS HerBAr
2351 Blumen, Gräser und Bäume
Steiners botanisches Werk ist
eine ungeheure Fleissarbeit
und fachlich herausragend.
2351 Pflanzen hat Caesar Stei­
ner gezeichnet, koloriert und
mehr oder weniger detailliert be­
schrieben. Es ist eine Sammlung,
die über das hinausgeht, was ein
Apotheker zu seiner Zeit wissen
musste und für Rezepturen ver­
wendete. Es ist die Arbeit eines
Botanikers und Pflanzenfreunds.
Steiner ordnete seine Blätter
nach Pflanzenordnungen, die
sich an den Verwandtschaften
orientierten.
Seine Streifzüge führten Stei­
ner an heute noch vertraute Stel­
len. Als Fundorte seiner Pflan­
zen nennt er etwa den Brühlberg
und Hoh­Wülflingen, Hettlingen
und Wiesendangen, den Irchel
und das Hörnli, aber auch den
Pfäffikersee und die Kartause
Ittingen. Dann muss er auch wei­
tere Exkursionen unternommen
haben ins Bündnerland, nach
Bern, Basel oder ins Welsche.
Gelegentlich gab er Schweden,
Russland und sogar Nordafrika
oder China als Pflanzenstandort
an. Der Autor des Buches aber
nimmt an, dass Caesar Steiner
«wohl kaum in diese Länder ge­
reist» war.
feinem Pinsel, mit Farbstift oder
Tusche die Farben auf. Seine auf
losen Blättern gemalten Pflan­
zenbilder liess er maschinell bin­
den, wahrscheinlich erst wenige
Jahre vor seinem Tod. Die ma­
schinelle Fadenheftung war erst
ab 1890 möglich. Die erste der­
artige Fadenheftmaschine baute
die Firma Martini in Frauenfeld.
Beim Binden wurden die Bogen
teilweise beschnitten, wodurch
Teile der Beschriftungen wegfie­
len.
Die Zeichnungen hat Steiner
meist auf helles Papier gemalt;
sind die Blüten oder andere
wichtige Pflanzenteile weiss
oder von heller Farbe, weicht er
auf graues oder braunes Papier
aus. Er zeichnete offenbar mit
dem Bleistift vor und trug mit
recherchiert wurde all dies vom
früheren Arzt und Hobbyhistori­
ker Dieter Siegenthaler. Seine
Lieblingsblume unter Steiners
2351 Pflanzen ist der Gemeine
Erdrauch, Fumaria officinalis,
im «Herbar» ist es das Blatt 105
im Band 1. mgm
Der Apotheker war auch Maler: Er zeichnete und kolorierte die «Chrottepösche» (Taraxacum officinale) ebenso
präzis wie den Gemeinen Erdrauch (Fumaria officinalis), des Buchautors Lieblingsbild unter den 2351 Pflanzen. pd