Landtag von Baden-Württemberg Antrag Stellungnahme

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7324
15. Wahlperiode
20. 08. 2015
Antrag
der Abg. Georg Wacker u. a. CDU
und
Stellungnahme
des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Wird das Gymnasium durch den neuen Bildungsplan
auf sechs Jahre gekürzt?
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welchen Stellenwert sie einem eigenständigen und durchgehenden Bildungsplan ab Klasse fünf für das baden-württembergische Gymnasium beimisst;
2. weshalb die Bildungspläne der baden-württembergischen Schularten in den
Orientierungsstufen der Klassen fünf und sechs nach ihren Plänen künftig über
die gleiche Lerngeschwindigkeit verfügen müssen;
3. worin sich im Konkreten das erweiterte Niveau in der Orientierungsstufe der
Klassen fünf und sechs vom Basisniveau inhaltlich unterscheidet, zumal beide
Niveaustufen über die gleiche Lerngeschwindigkeit verfügen sollen;
4. über welche spezifischen Charakterzüge eines gymnasialen Unterrichtsniveaus
die Orientierungsstufe der Klassen fünf und sechs der Gymnasien nach dem
neuen Bildungsplan verfügen soll;
5. ob aufgrund der einheitlichen Lerngeschwindigkeit in den Orientierungsstufen
der Klassen fünf und sechs aller allgemeinbildenden Schularten ein echtes
gymnasiales Lernen an den Gymnasien im Land erst ab Klassenstufe sieben beginnen kann;
6. aus welchen Gründen sie nicht mit einem vollständig eigenständigen Bildungsplan für das baden-württembergische Gymnasium ab Klasse fünf plant und ein
echtes gymnasiales Lernen – aufgrund der im Gleichschritt gesetzten Orientierungsstufe der Klassen fünf und sechs aller Schularten – erst in Klasse sieben
zulässt;
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Eingegangen: 20. 08. 2015 / Ausgegeben: 22. 09. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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Drucksache 15 / 7324
7. inwieweit nach dem neuen Bildungsplan in den Klassenstufen fünf und sechs
an den baden-württembergischen Gymnasien auch weiterhin ein echtes gymnasiales (bzw. erweitertes) Niveau unterrichtet und gewährleitstet werden soll
und welche Inhalte dies konkret umfasst;
8. welche heutigen Inhalte der Klassenstufen fünf und sechs (Bildungsplan 2004)
auf nachfolgende Jahrgangsstufen im künftigen Bildungsplan verteilt werden
und welche Inhalte aufsteigender Klassenstufen im Gegenzug in die Jahrgangsstufen fünf und sechs eingefügt wurden.
18. 08. 2015
Wacker, Wald, Viktoria Schmid, Traub, Röhm CDU
Begründung
Mit der Bildungsplanreform 2016 sollen auch einschneidende Veränderungen an
den baden-württembergischen Gymnasien vorgenommen werden. Unter dem Vorwand, die Durchlässigkeit zwischen den Schularten zu steigern, wird von der
grün-roten Landesregierung für das Gymnasium kein ganzheitliches Bildungskonzept entwickelt. Für die Gymnasien bedeutet dies, dass sie keinen durchgängig eigenständigen Bildungsplan ab der Klassenstufe fünf bekommen sollen.
Zentrales Anliegen ist es nämlich, dass die Bildungspläne aller allgemeinbildenden Schularten in der Orientierungsstufe der Klassen fünf und sechs die gleiche
Lerngeschwindigkeit besitzen. Das erweiterte bzw. gymnasiale Niveau verfügt
damit über die gleiche Lerngeschwindigkeit wie das Basisniveau der Hauptschule.
Für die Antragssteller stellt sich somit die Frage, ob zukünftig ein echtes gymnasiales Lernen an den Gymnasien im Land erst mit der Klassenstufe sieben beginnen soll. Damit würde ein immenser Niveauverlust für das hervorragende baden-württembergische Gymnasium einhergehen; Grün-Rot würde de facto aus
dem G8 ein G6 machen. Für die Schüler würde der Lernstoff in den Klassen sieben bis zwölf verstärkt verdichtet.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 10. September 2015 Nr. 32-6615.00/137/1 nimmt das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welchen Stellenwert sie einem eigenständigen und durchgehenden Bildungsplan ab Klasse fünf für das baden-württembergische Gymnasium beimisst;
Die Landesregierung misst einem eigenständigen, von Klasse 5 bis 12 durchgängigen, Bildungsplan für das allgemein bildende Gymnasium in Baden-Württemberg einen hohen Stellenwert bei.
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2. weshalb die Bildungspläne der baden-württembergischen Schularten in den
Orientierungsstufen der Klassen fünf und sechs nach ihren Plänen künftig über
die gleiche Lerngeschwindigkeit verfügen müssen;
Leitlinie der Bildungsplanreform 2016 in Baden-Württemberg sind die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK). Im Rahmen der Bildungsplanreform 2016 erfolgt ein systematischer Abgleich mit allen vorliegenden KMKBildungsstandards. Bildungspläne mit Bildungsstandards legen hierbei fest, über
welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt
verfügen sollen, so z. B. am Ende der Orientierungsstufe (Ende Klasse 6). Bildungsstandards machen grundsätzlich keine Aussagen über die jeweilige Lerngeschwindigkeit, mit der Schülerinnen und Schüler diese Kompetenzen erreichen.
Die methodisch-didaktische Umsetzung zur Erreichung der Bildungsstandards,
die individuelle Zugänge, Lerngeschwindigkeiten, Arbeitsformen, Lernvoraussetzungen etc. berücksichtigt, obliegt der einzelnen Schule bzw. der jeweils zuständigen Lehrkraft.
3. worin sich im Konkreten das erweiterte Niveau in der Orientierungsstufe der
Klassen fünf und sechs vom Basisniveau inhaltlich unterscheidet, zumal beide
Niveaustufen über die gleiche Lerngeschwindigkeit verfügen sollen;
Die Standards für inhaltsbezogene Kompetenzen im Gemeinsamen Bildungsplan
Sekundarstufe I unterscheiden zwischen grundlegendem, mittlerem und erweitertem Niveau (G-, M- und E-Niveau). Das E-Niveau der Klassen 5 und 6 ist so gestaltet, dass es eine mit den Anforderungen der höheren Klassen abgestimmte
Grundlage für einen gymnasialen Bildungsgang mit dem Ziel der Abiturprüfung
darstellt. Die Differenzierungen zwischen dem E-Niveau und den anderen Niveaustufen erfolgen auf unterschiedlichen Wegen: Im E-Niveau sind mehr oder
anspruchsvollere Inhaltsaspekte in den Teilkompetenzen verbindlich vorgegeben.
Höher sind auch die Erwartungen an Abstraktionsfähigkeit, an den Grad der
Selbstständigkeit bei der Strukturierung oder Reflexion von Inhalten sowie an das
Beherrschen von Fachsprache. Auch die Operatoren (handlungsleitende Verben)
spielen bei der unterschiedlichen Graduierung der Niveaustufen eine wichtige
Rolle. Operatoren, die einen höheren Abstraktionsgrad intendieren, finden im
E-Niveau häufiger Verwendung.
Dazu wird im Folgenden ein Beispiel aus dem Fachplan Deutsch im Kompetenzbereich Literarische Texte dargestellt.
G-Niveau
E-Niveau
Die Schülerinnen und Schüler können
mit handlungs- und produktionsorientierten
Die Schülerinnen und Schüler können mit handlungs- und produktionsorientierten Verfahren ein
Verfahren ihr Textverständnis herausarbeiten (z. B. Texte weiterschreiben, Texte
plausibles Textverständnis herausarbeiten (z. B.
Texte weiterschreiben, Perspektivwechsel vor-
szenisch umsetzen, Dialoge verfassen,
einen Text bildlich und klanglich übertragen)
nehmen und ausgestalten, Texte szenisch umsetzen, Dialoge, Briefe und Tagebucheinträge und
innere Monologe verfassen, Texttransformationen
vornehmen, Textvorträge ausgestalten)
Im Übrigen wird auf Ziffer 2 verwiesen.
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4. über welche spezifischen Charakterzüge eines gymnasialen Unterrichtsniveaus
die Orientierungsstufe der Klassen fünf und sechs der Gymnasien nach dem
neuen Bildungsplan verfügen soll;
Das allgemein bildende Gymnasium vermittelt den Schülerinnen und Schülern in
acht Jahren eine breite und vertiefte Allgemeinbildung, die zur allgemeinen
Hochschulreife führt. Das Gymnasium befähigt die Schülerinnen und Schüler
dazu, theoretische Erkenntnisse nachvollziehen, schwierige Sachverhalte geistig
durchdringen sowie vielschichtige Zusammenhänge durchschauen, ordnen und
verständlich vortragen und darstellen zu können. Auf dieses Ziel hin ist auch die
Orientierungsstufe am Gymnasium in altersgerechter Weise ausgerichtet.
5. ob aufgrund der einheitlichen Lerngeschwindigkeit in den Orientierungsstufen
der Klassen fünf und sechs aller allgemeinbildenden Schularten ein echtes
gymnasiales Lernen an den Gymnasien im Land erst ab Klassenstufe sieben beginnen kann;
Von einer „einheitlichen Lerngeschwindigkeit in den Orientierungsstufen der
Klassen fünf und sechs aller allgemeinbildenden Schularten“ kann keine Rede
sein. Wie der Bildungsplan für die Sekundarstufe I erkennen lässt, bestehen im
Bereich der inhaltsbezogenen Kompetenzen Unterschiede zwischen den drei
Niveaustufen. Eine weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Bildungsplan
für das Gymnasium und dem E-Niveau des gemeinsamen Bildungsplans für die
Sekundarstufe I ist im Interesse der horizontalen Durchlässigkeit. In beiden Fällen
ist ein gymnasiales Unterrichtsniveau abgebildet.
6. aus welchen Gründen sie nicht mit einem vollständig eigenständigen Bildungsplan für das baden-württembergische Gymnasium ab Klasse fünf plant und ein
echtes gymnasiales Lernen – aufgrund der im Gleichschritt gesetzten Orientierungsstufe der Klassen fünf und sechs aller Schularten – erst in Klasse sieben
zulässt;
7. inwieweit nach dem neuen Bildungsplan in den Klassenstufen fünf und sechs an
den baden-württembergischen Gymnasien auch weiterhin ein echtes gymnasiales (bzw. erweitertes) Niveau unterrichtet und gewährleitstet werden soll und
welche Inhalte dies konkret umfasst;
Für das Gymnasium gibt es einen eigenständigen Bildungsplan. Zur Beziehung
zwischen dem Bildungsplan für das Gymnasium und dem E-Niveau des gemeinsamen Bildungsplans für die Sekundarstufe I wird auf die Antwort zu Ziffer 5
verwiesen. Das gymnasiale Lernen beginnt mit der Klasse 5, konkrete Inhalte
sind fachspezifisch und ergeben sich aus den jeweiligen Fachplänen.
8. welche heutigen Inhalte der Klassenstufen fünf und sechs (Bildungsplan 2004)
auf nachfolgende Jahrgangsstufen im künftigen Bildungsplan verteilt werden
und welche Inhalte aufsteigender Klassenstufen im Gegenzug in die Jahrgangsstufen fünf und sechs eingefügt wurden.
Die Bildungsplankommissionen hatten bei der Erstellung der neuen Fachpläne
den Auftrag, die seit der vergangenen Bildungsplanreform verabschiedeten KMKStandards – wo vorhanden – vollständig zu implementieren.
Bei der Erstellung der neuen Bildungspläne für das Gymnasium wurde darauf geachtet, dass das im Unterricht zu erarbeitende Pensum gleichmäßiger als im Bildungsplan aus dem Jahr 2004 auf die Klassen 5 bis 12 (in der Gemeinschaftsschule bis Klasse 13) verteilt werden kann.
Beispielsweise betreffen im Fach Englisch die damit verbundenen inhaltlichen
Verschiebungen den Bereich der Grammatik und entsprechen aktuellen lernpsychologischen Erkenntnissen ebenso wie dem aktuellen Stand der gymnasialen
Fachdidaktik: Einzelne grammatische Phänomene wurden von den Klassen 5, 6 in
die Klassen 7, 8 verschoben. Beispiele: Die Kontrastierung des „simple past“ und
des „present perfect“ (Funktion) und des „going to future“ und des „will future“
(Funktion). Durch die gleichzeitige Verlagerung anderer grammatischer Inhalte
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von den Klassen 7, 8 in die Klassen 9, 10 (z. B. die produktive Beherrschung von
Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen) wurde eine Überfrachtung der Klassen 7
und 8 vermieden. Zudem wurden einzelne – ehemals in der Grammatik aufgeführte – Inhalte auch in den Klassen 5 und 6 in den Wortschatz verlagert. Dies hat
den Vorteil, dass damit mehr Zeit für das Training der kommunikativen Kompetenzen zur Verfügung steht.
Stoch
Minister für Kultus,
Jugend und Sport
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