LESEPROBE Jennifer Bernard: Volltreffer für die Liebe Band 25915 Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH Originaltitel: All of Me (Love Between the Bases #1) Übersetzer: Christian Trautmann Caleb nickte und übergab ihm den Baseball. Es kam ihm vor, als würde er ihm ein Stück seines Herzens überreichen. Er brauchte den Ball, brauchte das Werfen. Seine einzige Chance im Leben würde sich in Luft auflösen, wenn er diesen Ball losließ. Auf dem Weg zum Unterstand hörte er ein „Hak’s einfach ab“ vom Third Baseman, außerdem Buhrufe von der Tribüne. Sein Ersatzmann, Dan Farrio, rannte aus der Aufwärmzone aufs Feld. Farrio war, theoretisch, sein Rivale um einen Pitcher-Posten bei den Friars. Doch nach dem heutigen Tag war diese Rivalität vermutlich Geschichte. Aus dem Radio von irgendjemandem ertönte die Stimme des für die Statistiken zuständigen Kokommentators: „Wir schauen gerade in die Geschichtsbücher, doch der einst so hoch gehandelte Caleb Hart hatte möglicherweise den schlimmsten Einstand, den ein Spieler der Minor League je hingelegt hat. Man hätte ihn gleich nach dem zweiten Durchgang auswechseln müssen, doch die Ersatzbank der Catfish sieht zerfleddert aus wie die Schmusedecke meines Kindes. Wenn der Plan war, mit Caleb Hart frischen Schwung in die Pitchertruppe zu bringen, hätte man sich wohl eher für eine Schlaftablette entscheiden sollen. Jede Wette, dass Crush Taylor schon die Zitrone für seinen Drink ausquetscht.“ Bei der Erwähnung des Besitzers der Catfish stöhnte Caleb. Niemand interessierte sich dafür, was die meisten Minor-League-Besitzer dachten, denn die wichtigen Entscheidungen wurden in der Major League getroffen. Allerdings war Crush Taylor eine Legende, ein Werfer, der es in die Hall of Fame geschafft hatte und kurz nach dem Ende seiner Karriere die Catfish gekauft hatte. Ganz zu schweigen davon, dass er Calebs Kindheitsidol war. Caleb hatte also gerade einen rekordverdächtig grauenhaften Start für das Team hingelegt, das seinem Kindheitsidol gehörte. Und ein Shortstop, der frisch von der Highschool kam, hatte ihm einen Vortrag gehalten. Konnte es noch schlimmer werden? Er erreichte die Ersatzbank und schnappte sich eine Wasserflasche aus der Kühlbox. Mann, war es heiß heute. Er wollte nur noch unter die Dusche und so schnell wie möglich raus aus diesem Stadion. Aber da es sein erstes Spiel war, sollte er lieber dableiben und sein Team unterstützen. Doch noch ehe er sich auf die Bank sinken lassen konnte, entließ ihn Duke mit einer Kopfbewegung in Richtung Clubhaus. Die erste Pause an diesem Tag. Caleb beschloss, sich diese Chance nicht entgehen zu lassen, und marschierte aus dem Unterstand. Seine CatfishTeamkollegen würde er später näher kennenlernen, wenn ihm nicht mehr danach war, irgendwem den Kopf abzureißen. Sobald er das Labyrinth aus Gängen, die durch das Stadion führten, betreten hatte, löste seine so mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung sich auf. Er zerrte sich das verschwitzte Trikot vom Leib, als könnte er damit auch gleich das Gefühl der Niederlage loswerden. „Verdammt“, stieß er hervor und boxte gegen die Wand. „Reiß dich am Riemen, Hart.“ Normalerweise hielt er seine Emotionen unter Verschluss, aber diesmal … so ein Mist. Wenn er das hier vermasselte, würde er seine Schwester und Brüder im Stich lassen, und die hatten schon genug durchgemacht. Seine ganze Familie verließ sich auf ihn, und er hatte der gegnerischen Mannschaft gerade sechs Homeruns in ungefähr fünf Minuten geschenkt. Seine Frustration kochte über. „Was zur Hölle ist los mit dir? Du kannst dir keine Scheiße mehr erlauben.“ Als er um die Ecke kam und aufs Clubhaus der Catfish zulief, wäre er beinah mit jemandem zusammengestoßen, der vor der Doppeltür stand und den Eingang bewachte. Dieser Jemand rammte ihm den Ellbogen in den Magen, sodass ihm die Luft wegblieb. Es war kein harter Stoß, vermutlich nur aus Versehen, aber dennoch nicht das, was ihn für gewöhnlich auf dem Weg unter die Dusche erwartete. Er rang nach Luft – und um Fassung –, dann schnappte er sich den Angreifer. Eine Frau, eine junge. Noch hatte er sie gar nicht näher betrachten können, doch sie fühlte sich zart und wohlgeformt an. „Du meine Güte, du solltest besser aufpassen, wohin du läufst.“ Ihre Stimme hatte einen heiseren Beiklang, und dem Akzent nach stammte sie von hier. Hastig befreite sie sich aus seinem Griff und drehte sich zu ihm um. Er musterte sie: dunkle, wachsame Augen und einen nachlässig gebundenen Pferdeschwanz. Caleb war einen Meter fünfundneunzig groß, dennoch überragte er diese Frau nicht so wie die meisten anderen. Er schätzte sie auf mindestens einen Meter fünfundsiebzig, mit einer schlanken Figur sowie langen Armen und Beinen. In der Hand hielt sie eine Mappe, aus der Papiere zu fallen drohten. „Du musst einer dieser verrückten CatfishSpieler sein.“ „Wie kommst du bloß darauf? Wegen des Trikots oder des übermäßigen Gebrauchs an Kraftausdrücken?“ Er lächelte reumütig bei der Erinnerung an sein Fluchen vorhin. Er hätte wohl warten sollen, bis er im Clubhaus war. Nur hatte er ja nicht damit gerechnet, hier jemandem zu begegnen. Schon gar nicht jemandem wie dieser Frau. In ihren Augen lag ein Funkeln, und ihre Lippen zuckten. „Tja, es werden wohl die Kraftausdrücke gewesen sein, da ich von einem Trikot nicht mehr viel sehe.“ Sie betrachtete seinen freien Oberkörper. Erst da fiel ihm wieder ein, dass er sein Trikothemd ausgezogen hatte. „Ja, also … ich musste Dampf ablassen.“ „Dann warst du das, der da so herumgeflucht hat? Ich hatte schon Angst, gleich niedergetrampelt zu werden.“ „Kein Niedertrampeln, versprochen.“ Dem Ausdruck in ihren Augen nach zu urteilen, neckte sie ihn nur. Dennoch wich er vorsichtshalber einen Schritt zurück. Erneut glitt ihr Blick über seine nackte Brust, als könnte sie nicht anders. „Keine Sorge, ich werde dir auch sonst nicht zu nahe treten. Zu verschwitzt. Aber wenn du warten willst, bis ich geduscht habe ...“ Er hatte das hauptsächlich gesagt, um sie auf die Palme zu bringen, denn irgendwie hatte er das Gefühl, es könnte richtig Spaß machen, sie ein bisschen zu ärgern. Doch ihre Miene veränderte sich, das übermütige Funkeln erlosch. Sie schritt etwas zurück und musterte ihn misstrauisch. „Nein, das will ich nicht. Ich will diese Nachricht überbringen und danach wieder verschwinden. Könntest du mir sagen, wo ich Mr Ellington finde?“ Ellington, das war Dukes Nachname. Die meisten Baseballtypen hatten Spitznamen, allerdings waren nur wenige nach Jazzgrößen benannt. Was wollte diese Frau von Duke? „Der ist damit beschäftigt, Baseballspieler zu schikanieren. Ich kann dir garantieren, dass er momentan bestimmt nicht gestört werden will.“ Caleb verschränkte die Arme vor der Brust. Ausgezeichnet. Jetzt musterten diese lebhaften dunklen Augen seine Unterarme ebenso wie seinen Oberkörper. Üblicherweise signalisierte eine Frau an diesem Punkt auf irgendeine Art ihre Bereitschaft, intime Zeit mit dem Starpitcher zu verbringen, der eine halbe Million Dollar für seine Unterschrift bei den Twins erhalten hatte. Aber diese Frau nicht. „Okay. Du willst also schwierig sein, was laut dieser Unterlagen hier wohl auch zu erwarten war.“ Sie tippte auf die Mappe. „Fein. Damit wir vorankommen – was in deinem Fall wohl bedeutet, unter die Dusche und dann zu einem Sixpack und einem Groupie –, gib mir doch einfach einen Tipp, wo Mr Ellingtons Büro sein könnte. Ich werde dort auf ihn warten.“ Oh Mann. Die hatte Haare auf den Zähnen. Er beobachtete ihr Mienenspiel, während sie redete. Sie strahlte mit jeder Faser Lebendigkeit und Bewegung aus. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig, und sie hatte etwas von einer Studentin, die überdies anscheinend gern lachte … und redete und Witze riss. Sie trug ein enges weißes T-Shirt, das ihre vollen Brüste umschmiegte, dazu einen geblümten Rock, der knapp über den Knien endete. Vervollständigt wurde das Outfit durch rote Cowboystiefel. Verdammt. Wie sollte er denn roten Cowboystiefeln widerstehen? Diese Dinger gehörten verboten. Er riss ihr die Akte aus der Hand. „Hast du einen Stift? Du siehst aus wie eine Frau, die einen Kugelschreiber mit sich herumträgt.“ „Was soll das denn heißen? Und ja. Aber nein. Warum?“ „Möchtest du irgendetwas davon näher erklären?“ Er versuchte verstohlen, in die Mappe zu spähen. Das Schreiben darin begann mit den Worten: Wir, die Einwohner von Kilby County … Sie nahm ihm die Akte wieder weg. „Ja, ich habe einen Stift. Und nein, du kannst nicht auf dieser Petition unterschreiben. Und wieso willst du das überhaupt?“ Er blickte sie gekränkt an. „Ich wollte dir eine Karte zeichnen. Diese Gänge hier können superverwirrend sein. Es ist absolut nachvollziehbar, dass du dich verlaufen hast und plötzlich dort landest, wo die Männer sich ausziehen.“ Er zwinkerte ihr zu und bemerkte, wie Röte in ihre Wangen schoss. Ja, es machte definitiv Spaß, sie auf die Palme zu bringen. Erst da drangen ihre Worte in sein Gehirn. „Petition? Was für eine Petition?“ Er versuchte die Mappe wieder an sich zu bringen, doch sie hielt sie außerhalb seiner Reichweite. Beinahe hätte er stattdessen ihre Brust erwischt. Bevor er sich entschuldigen konnte, stieß sie einen verärgerten Laut hervor und wich zurück. „Da, schon wieder. Ihr Catfish-Jungs seid wirklich eine Gefahr für die Gesellschaft. Genau wie es in der Petition steht.“ „Was?“ „Ganz recht.“ Sie wedelte mit der Akte. „Hier steht, dass ihr völlig außer Kontrolle seid.“ Caleb hatte das Gerede über die Catfish auch gehört. Die feierten ein bisschen zu gern und liebten Barschlägereien. Andererseits, sie waren junge Baseballspieler, die sich amüsieren wollten. Was sollte man da schon erwarten? Allerdings war es nicht sein Problem. Er hatte die Absicht, Kilby so schnell wie möglich nur noch im Rückspiegel zu sehen. „Keine Ahnung. Kann auch nicht behaupten, dass es mich interessiert.“ „Dann sind die Geschichten also wahr? Habt ihr Jungs wirklich das Schwimmbad der Gemeinde mit Gummifischen gefüllt? Die Seniorenschwimmgruppe soll einen ziemlichen Schrecken bekommen haben, und man musste einen Krankenwagen rufen.“ Er schnaubte verächtlich. Traurig schüttelte sie den Kopf. „Die Dinge haben sich gewaltig geändert, seit ich als Kind zu den Spielen gekommen bin. Und ich dachte, es sei hier sicher für ein nettes, zivilisiertes Mädchen wie mich. Nächstes Mal bringe ich einen Bodyguard mit.“ Einen Bodyguard? Jetzt übertrieb sie aber ein bisschen … Er bemerkte ihren belustigten Blick. Ja, er hatte recht gehabt. Sie zog ihn tatsächlich auf. Ob es an der unglaublichen Frustration der letzten zwei Stunden lag und der ewigen Sorge um seine Familie, oder was sonst auch der Grund sein mochte – in diesem Moment überwältigten ihn seine Emotionen jedenfalls. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr und baute sich so dicht vor ihr auf, dass sie gegen die Wand gedrängt wurde. Er beugte sich vor und raunte ihr ins Ohr, wobei seine Lippen fast ihre zarte Haut berührten: „Es gibt nur eine Möglichkeit, herauszufinden, ob die Geschichten wahr sind. Aber du musst es schon wollen. Sehr. Du musst so scharf drauf sein, dass du mir nachläufst und drum bettelst. Dann musst du erst noch beweisen, dass du damit klarkommst. Nimm das in deine Petition mit auf.“ Sie starrte ihn an, mit so geweiteten Pupillen, dass ihre Augen komplett schwarz wirkten, nur mit einem leuchtenden bernsteinfarbenen Rand. Ihre Halsschlagader pulsierte. Plötzlich war er so hart, dass seine Sicht verschwamm. Wow, dachte Caleb. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Sie war ja nicht einmal sein Typ. Im Gegenteil, sie gehörte zu den Frauen, über die man sich nur aufregen konnte. Er wich von ihr zurück, als wäre sie eine Handgranate, die jeden Moment explodieren konnte. „Dukes Büro findest du den Gang entlang auf der rechten Seite.“ Er stieß die Tür zum Clubhaus auf und ging auf direktem Weg zu den Duschen. Es würde eine kalte werden müssen.
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