Musikfestival Freitag 04.03.2016 Nostalgie und Überraschungen: BScene-Präsidentin Jennifer Jans über die Jubiläumsausgabe. Seite Nr. 10 Fr. 5.– HAPPY BIRTHDAY BSCENE ANZEIGE Foto: Nils fisch Unternehmenssteuerreform III Eva Herzog über den Kampf um den Wirtschaftsstandort Basel. Seite 6 36 Basel erleben mit dem Pro Innerstadt Geschenkbon Einkaufen, staunen und geniessen proinnerstadtbasel.ch INHALT 3 Unternehmenssteuerreform III Foto: istock/nils fisch Steuerparadiese locken Schweizer Firmen. Eva Herzog erklärt, wie Basel vorsorgt, damit die USR III die grossen Unternehmen nicht vom Rhein wegtreibt. Durchsetzungsinitiative Foto: keystone Georg Kreis: Wir sollten uns nicht an politischen Schmutz gewöhnen. Iris Müller Bestattungen Kulturflash Kultwerk Zeitmaschine Wochenendlich Sie, er, es Impressum TagesWoche10/16 Seite 6 Wahlen Baden-Württemberg Foto: keystone Seite 26 S. 4 Grosser Rat S. 30 S. 41 S. 43 S. 44 S. 45 S. 46 S. 46 Der grüne Ministerpräsident hat sogar bei der CDU Anhänger. Seite 31 Ein halbes Jahr vor den Wahlen wechselt das Grüne Bündnis die halbe Fraktion aus. Die Rochade in letzter Minute soll den Neuen den Seite Bisherigen-Bonus bescheren. 14 EDITORIAL PORTRÄT Was fehlt, ist die Sicht aufs Ganze Christian Degen Chefredaktor Iris Müller Z uerst die gute Meldung: Der Schweizer Wirtschaft geht es nicht schlecht. Sie ist letztes Jahr um 0,9 Prozent gewachsen. Dies obwohl sie den «Frankenschock» verdauen musste. Das deutet darauf hin, dass unsere Wirtschaft solide aufgestellt ist. Und nun die weniger gute Nachricht: Der Wirtschaftsstandort steht unter Druck. Das Verhältnis zur EU ist ungeklärt, der Franken wird nicht über Nacht schwächer und das Vertrauen ins Staatswesen durch extreme Forderungen wie die Durchsetzungsinitiative untergraben. Die Sorge um den Standort teilen viele Politiker. In der laufenden Parlaments-Session soll deshalb eine Sonderdebatte dazu stattfinden. Doch die braucht es nicht wirklich. Statt reaktiv in Aktionismus zu verfallen, sollten die Volksvertreter lieber vorausschauend und ganzheitlich die Problemstellen des Standorts angehen. Wohin es führt, wenn wir zu lange warten, zeigt die Unternehmenssteuerreform III. Sie ist staubtrocken, aber enorm wichtig. Es geht im Grundsatz um Folgendes: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) übt seit Längerem Druck aus, die Steuerprivilegien für Grosskonzerne wie Roche oder Novartis abzuschaffen. Die Schweiz hat dies wie schon beim Bankgeheimnis so lange ignoriert, bis der Druck zu gross geworden ist. Um den Standort attraktiv zu halten, hat man nun ein neues Privilegiensystem entwickelt, um wichtigen Firmen eine Alternative zu bieten. Der Nationalrat diskutiert diese aufgezwungene Reform am 16. März. Doch bereits im Vorfeld lobbyiert fast jeder Politiker für seine Auftraggeber und will da und dort eine Sondervergünstigung herausholen. Es geht aber nicht um Einzelinteressen oder Parteipolitik, sondern um die Attraktivität der Schweiz als Wirtschaftsstandort. Hier ist die Sicht aufs Ganze gefragt. tageswoche.ch/+oi3b9× 4 von Olivier Joliat Ein gutes Buch macht für Iris Müller nicht bloss sein Inhalt hinaus. In ihrem Kleinbasler Buchladen verlegt sie deshalb literarische Perlen, die auf alle Sinne wirken. A m Anfang ihres Traums stand ein Schock: Erst musste für lange Zeit jeder Kleinbasler über den Rhein, wenn er ein Buch kaufen wollte. Und dann, als Iris Müller ihren Buchladen «Müller Palermo» an der Bärenfelserstrasse aufmachte, eröffnete zur selben Zeit gleich ums Eck ein zweiter Laden: der «Kosmos» an der Klybeckstrasse. Ein Kampf um Kundschaft sollte dennoch nicht aufkommen. «Schnell realisierten wir beide, dass sich unsere Nischenangebote perfekt ergänzen», sagt Müller. Die Nähe des «Kosmos» entpuppte sich für sie gar als glücklicher Zufall: «Die Kundschaft der vielen kleinen Modegeschäfte und Plattenläden hier im Quartier geniesst es ja auch, zwischen den ausgewählten Angeboten zu stöbern. Das regt an und weckt die Lust, Neues zu entdecken.» Weiterlesen, S. 6 Wie Basel um seine Firmen kämpft tageswoche.ch/ +w2bxj Wie Mode aus Papier Im Laden ist in ihren Augen Mode und Literatur sowieso fast dasselbe. «Auch meine Kunden sind vor allem an Neuheiten interessiert», sagt Müller. «Ein Buch, das lange liegt, kann man verramschen.» Mit seinen luftig gefüllten Regalen im lichtdurchfluteten Raum passt «Müller Palermo» denn auch zu den trendigen Shops im Quartier. Viel mehr jedenfalls als zu nostalgisch verbrämten Erinnerungen an muffelige Schmökerstuben. Was sie hier auslegt, sei ausschliesslich ihre «persönliche Auswahl» an Büchern. Belletristik, ein paar Sachbücher und einige besonders schöne Neuauflagen. Müller weiss zu jedem Buch viel zu erzählen, und zwar nicht nur über den Inhalt. Die neue Ausgabe von Michael Glawoggers «69 Hotelzimmer» etwa, die ein Berliner Kleinverlag herausgegeben hat: dieser Satz, dieser Farbverlauf! – da kommt die gelernte Typografin ins Schwärmen. Für sie ein gelungenes Beispiel, warum sich das digitale Buch nie vollends durchsetzen wird. Stimmt das Papier, ist für Müller schon das Blättern ein Genuss. Für manche mag Papier bloss ein Buchstabenträger sein. Für die studierte Papierkuratorin ist es Kunst. Einzigartig sei das, «was die Japaner in Handarbeit aus und mit Papier machen». Dort achte man das Material so sehr, dass die Verpackung für ein kleines Geschenk, TagesWoche10/16 Iris Müller ist bis in die letzte Faser in schöne Bücher vernarrt. so kunstvoll gefalzt und umhüllt, oft weit wertvoller sei als das Geschenk selbst: «Die Wertschätzung für den Beschenkten wird dort über die Verpackung kommuniziert», erzählt sie, «nicht über den Inhalt.» Gespräche mit Geschenkejägern Eine Auswahl solch exquisiter Papierschöpfungen hat Müller von ihrem letzten Japanbesuch mit- und ins Angebot genommen. Praktisch für jeden Geschenkejäger – laut Müller rund ein Drittel ihrer Kunden. Kundschaft, die sie schätzt, nicht nur wegen der festen Kaufabsicht: «Mit ihnen entwickeln sich immer tolle Gespräche, wenn sie das passende Buch suchen.» Und genau darum hat sie damals «Müller Palermo» eröffnet. «Hier will ich meine Leidenschaft für Bücher weitervermitteln.» TagesWoche10/16 Ihr Geld verdient Müller von Montag bis Mittwoch als Bibliothekarin im Kunstmuseum. Dann wird umgeblättert. «Wenn ich donnerstags Richtung Laden ziehe, gehe ich nicht zur Arbeit. Es fühlt sich mehr an, als würde ich nun zu meinen Büchern gehen und dort tolle Leute treffen.» So wird bei den Gesprächen auch mal ein Kaffee aus der Maschine gedrückt oder eine Flasche Nero d’Avola entkorkt, die sie im untersten Tablar der letzten Gestellecke lagert. Der Wein ist die einzige offensichtliche Reminiszenz an das P alermo im Namen – aber nicht die unsympathischste. In ihrem «zweiten Wohnzimmer» verbringt Müller nun alle Wochenenden. Am Sonntag läuft immer viel, «wahrscheinlich weil die Leute dann Musse für Bücher und Gespräche haben.» Und immer regelmässi- Foto: Nils Fisch ger organisiert sie am Weekend literarische Anlässe aller Art in ihrem Laden. Da fehlt ihr hie und da fast die Zeit, um selbst mal wieder entspannt ein Buch im Bett zu lesen. Und die beiden Töchter müssen ihre Mutter nun halt im Laden besuchen. «Als sie ausgezogen sind, musste ich mich neu orientieren. Nach kurzer Krise wurde mir klar, dass ich jetzt aktiv die Buchwelt antreiben will – und nicht wie bislang nur als Rädli darin drehe.» Es gibt Bücher, die haben Müllers Leben geprägt, manche sogar verändert. Doch auch wenn es für sie beim Lesen «fast schon religiöse Momente» gebe, die Lösung für ihren jüngsten Lebenswandel hat sie nicht in einem Ratgeber gefunden. «So was lese ich nicht.» tageswoche.ch/+o4zer × TagesWoche10/16 Unternehmenssteuerreform III Die Unternehmenssteuerreform III krempelt den Wirtschaftsstandort Basel um. Der Kanton plant deshalb bereits für die Zeit nach der Mega-Reform. WIE BASEL UM SEINE FIRMEN KÄMPFT Kommt die Reform, geht dann die Roche? Der Kanton will seine Firmen nicht an Steueroasen wie Irland verlieren. TagesWoche10/16 foto: nils Fisch von Jeremias Schulthess die USA, heute die OECD, der Zusammen- Unternehmen mit der TagesWoche darüschluss der Industrieländer, die Druck auf ber sprechen wollte. Einzig der Steuerchef as Finanzdepartement bereitet die Schweiz ausüben. eines grossen Pharma-Unternehmens erden Umbau von Basel vor. Es Die Reform schafft Steuerprivilegien klärt sich zu einem Hintergrundgespräch geht nicht um Hochhäuser oder ab – und führt gleichzeitig neue Privilegien bereit. Strassen, sondern um ein neues ein, damit grosse Konzerne nicht abwanSteuersystem. Eines, das den Wirtschafts- dern. Bei bestimmten Unternehmen kann standort Basel und damit die ganze Stadt das dazu führen, dass sie nach der Reform umkrempelt. mehr Steuern bezahlen. Andere zahlen hinZum Team, das im Finanzdepartement gegen weniger. Unter dem Strich verlieren den Umbau organisiert, gehört auch Sven Bund und Kantone j edoch nach aktuellem Michal. Als akademischer Mitarbeiter Stand 1,4 bis 2 Milliarden Franken. durchpflügt er die Datenberge der SteuerVon der USR III betroffen sind Holdings, verwaltung und jagt Simulationen durch Domizil- und gemischte Gesellschaften, den Rechner. Immer mit der Frage: Was be- die heute einen steuerlichen Sonderstatus deutet die Unternehmenssteuerreform III haben. Die Privilegien für diese Unterneh(USR III) für Basel? men sind historisch gewachsen. Die gewaltige Reform wird derzeit im Diskretion um Sonderstatus Nationalrat behandelt. Noch ist sie zwar D weit davon entfernt, eingeführt zu werden. Trotzdem beschäftigt sie schon heute unzählige Mitarbeitende bei den Steuer- und Finanzbehörden. Es hat bislang zum Erfolgsmodell der Schweiz gehört, Firmen mit Steuerprivilegien anzulocken. Das soll sich nun ändern. Die USR III ist eine Zäsur, vergleichbar mit dem Fall des Bankgeheimnisses. Was 2009 über Nacht geschah, zieht sich dieses Mal über mehrere Jahre hin. Damals waren es Welche Unternehmen einen Sonderstatus haben, ist indes nicht öffentlich bekannt. Die Steuerverwaltung Basel-Stadt rückt diese Daten nicht heraus, die Interessenverbände bemühen sich um Diskretion. Bei einigen Unternehmen ist allerdings klar, dass sie einen Sonderstatus haben. Zum Beispiel Roche, Novartis und Syngenta. Bei anderen ist es anzunehmen. Das Thema scheint delikat zu sein. So delikat, dass keines der angeschriebenen Wenn die Privilegien wegfallen, müssten Konzerne wie Roche theoretisch bis zu doppelt so viel Steuern bezahlen. Doch so weit wird es nicht kommen. Es sollte jedoch ein Gespräch werden, das keinerlei Hintergründe beinhaltet. Als ich mein Smartphone auf den Tisch lege, fragt der Steuerchef forsch, was ich da mache. Danach schielt er alle zwei Minuten zur Pressesprecherin rüber, die alles pro tokolliert. Der Steuerchef bleibt auf Allgemeinplätzen, erklärt die Grundzüge der Reform. Und am Ende heisst es dann doch, die AusTagesWoche10/16 9 Schöne Steuerprivilegien gäbe es auch in Delaware. sagen sollten besser nicht in der Zeitung stehen. Der Konzern wolle sich nicht politisch exponieren. Aus dem Gespräch geht aber hervor: Das Unternehmen verfolgt die politische Entwicklung sehr genau. Man steht in engem Kontakt mit Finanzdirektorin Eva Herzog und ihrem Departement. Verständlich: Es geht um Millionen- Beträge, die das Unternehmen jedes Jahr an den Kanton zahlt. Basel-Stadt nahm von 2009 bis 2011 zirka 700 Millionen Gewinnsteuern pro Jahr ein, ungefähr 400 davon kamen von ganz wenigen privilegierten Unternehmen. Rund 15 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Kantons bezahlen also allein Roche, Novartis und Co. Wenn die Steuerprivilegien wegfallen, müssten grosse Pharma-Konzerne wie Roche oder Novartis bis zu doppelt so viel Steuern abliefern – theoretisch. Denn so weit wird es nicht kommen. Würden diese Firmen wegziehen und ihre Steuererträge wegfallen, fehlt Geld für Lehrer, Polizisten und Sozialarbeiter. Was passiert, wenn ein Kanton seine Ausgaben zurückfährt, lässt sich exemplarisch im Kanton Baselland betrachten. TagesWoche10/16 «Unser Ziel ist, dass die betroffenen nternehmen nach der UnternehmensU steuerreform III in etwa gleich viel Steuern zahlen wie vorher», sagt Finanzdirektorin Eva Herzog. Sie ist diejenige, die sich in der kantonalen Finanzdirektorenkonferenz für einen neuen Mechanismus stark machte, der die Unternehmen in der Schweiz halten soll: die Patentbox, die bereits viele euro päische Länder kennen und die international akzeptiert ist (siehe Box). Die internationalen Konzerne sind in Basel-Stadt meist Pharma-Unternehmen, die von der Patentbox profitieren würden. Deshalb bestehe hier ein enger Zusammenhang zwischen Neu-Privilegierten und AltPrivilegierten, sagt Herzog. Ordentliche Steuersätze senken Neue Privilegien als Kompensation für alte Privilegien – das stimmt jedoch nur bedingt. Denn die USR III wird kein Nullsummenspiel. Vielmehr wird sie bei Bund und Kantonen zu Steuerausfällen führen. Die Höhe der Ausfälle hängt von den Elementen ab, die am Schluss drinstehen werden. Wie hoch die Steuerausfälle in BaselStadt sein werden, ist unter anderem von foto: istock/nils fisch Sven Michal und seinen Kolleginnen und Kollegen im Finanzdepartement abhängig. Aufgrund ihrer Berechnungen entscheidet die Finanzdirektorin, welche Massnahmen sie nach der Reform trifft. Die Kantone dürfen die Gewinnsteuersätze autonom fest legen, auch die Dividendenteilbesteuerung könnten die Kantone erhöhen. Fest steht bereits heute: Die ordentlichen Steuersätze für Unternehmen werden sinken. Damit will Herzog erreichen, dass die grossen, bislang privilegierten Unternehmen nicht massiv mehr Steuern zahlen. Die Finanzdirektorin nimmt in Kauf, dass damit alle Unternehmen weniger Steuern zahlen und ein Loch in der Kantonskasse entsteht. Das Dilemma der linken Finanz- Die Patentbox ist ein steuerliches Instrument, über das die Erträge aus geistigem Eigentum (Patenten) tiefer besteuert werden. Unternehmen, die Patente im Inland erworben haben, zahlen damit weniger Gewinnsteuern. Länder wie Belgien, Frankreich, England und Italien kennen diese Steuerabzüge bereits. direktorin geht so: Entweder sie senkt die Steuersätze und verliert Einnahmen, oder sie belässt die Sätze und riskiert, dass diejenigen Unternehmen abwandern, die am meisten Geld in die Kantonskassen spülen. «Zentral ist für uns, ob ein Unternehmen viele Arbeitsplätze bei uns hat, ob Wertschöpfung entsteht», sagt Herzog. «Wenn eine Briefkastenfirma verschwindet, spielt das für den Standort keine grosse Rolle. Davon gibt es in Basel-Stadt ohnehin nur wenige.» Noch offen ist, was der Nationalrat mit der USR III anstellt. Die vorberatende Kommission hat die Reform bereits auf den Kopf gestellt. Eine Kommissionsmehrheit hat Änderungen vorgeschlagen, die Steuerausfälle bis zu zwei Milliarden Franken nach sich ziehen würden. Am 16. März entscheidet der Nationalrat. Gut möglich, dass die bürgerliche Mehrheit die Änderungen gutheisst. falschen Rädchen im Steuersystem, ein Grosskonzern, der Basel verlässt – und das Wirtschaftswachstum stagniert oder geht zurück. Was das Finanzdepartement da organisiert, ist nichts weniger als die Zukunft von Basel. × Statt Unternehmensreform III verstehen Sie immer noch nur Bahnhof? Dann schauen Sie sich online das Erklärvideo zur Mega-Reform an: · tageswoche.ch/+w2bxj Wohlstand der Zukunft Dann wäre ein Referendum von SP und Grünen wahrscheinlich. Die Mega-Reform würde vertagt, die Steuerprivilegien aber dennoch abgeschafft, indirekt von den OECD-Ländern, sagt Herzog (wie das geht, erklärt sie im Interview auf Seite 12). Michal sagt: «Die Reform ist ein wichtiges Element, das die Wirtschaftsentwicklung der nächsten zehn oder zwanzig Jahre prägen wird.» Ein Fehltritt, ein Drehen am USR III Reform um Reform – eine Chronologie 1997 Unternehmenssteuerreform I Bundesrat und Parlament führten eine Reihe von Steuererleichterungen für Unternehmen ein, um den Wirtschaftsstandort attraktiver zu machen. Zum Beispiel schafften sie die Kapitalsteuer ab und führten Steuererleichterungen für Holdinggesellschaften ein. 2008 Unternehmenssteuerreform II Auch die zweite Reform sollte Unternehmen entlasten. Linke kritisierten indes, es seien in erster Linie Grossaktionäre, die von dem Paket profitierten. Im Zentrum stand die Besteuerung von Dividenden, die gesenkt werden sollte. Die Stimm bevölkerung sagte im Februar 2008 an der Referendumsabstimmung äusserst knapp Ja zu der Vorlage. Während der Lieber am Rhein als in Neuseeland: Damit damalige FDP-Finanzminister Hans- Rudolf Merz im Vorfeld der Abstimmung von 80 Millionen Franken Steuerausfällen gesprochen hatte, lagen die effektiven Mindereinnahmen in Milliardenhöhe. 2009–2014 Steuerstreit mit der EU Die EU rügte die Schweiz wegen ihrer Spezialregeln für bestimmte Gesellschaften. Kritikpunkt war der Sonderstatus von Unternehmen (zum Beispiel Holdinggesellschaften), die nach Auffassung der EU-Länder ordentlich besteuert werden müssten. Es drohten Steuerausfälle von mehreren Milliarden Franken. Allein in Basel-Stadt hätten Ausfälle in Höhe von bis zu 400 Millionen gedroht, erklärte die Finanzdirektorin Eva Herzog 2012. Das Thema dominierte die Treffen und Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Schliesslich willigte die Schweiz ein, die Steuerprivilegien für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften abzuschaffen. 2012 OECD schreitet ein Die OECD, der Zusammenschluss der westlichen Industriestaaten, brachte das Projekt Beps (Base Erosion and Profit Shifting) auf den Weg, das Steuervermeidungstricks internationaler Grosskonzerne einen Riegel schieben sollte. Firmen wie Apple oder Starbucks gerieten in die Kritik, dass sie ihre Gewinne ins Ausland verlagerten und so kaum Steuern zahlten. Apple versteuerte seine Gewinne mit rund 2 Prozent, wo sonst Steuern im zweistelligen Prozentbereich üblich sind. Beps wollte Steuerschlupflöcher auf internationaler Ebene schliessen. 2014 September: Vernehmlassung zur Unternehmenssteuerreform III Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf schickte den Entwurf zur USR III in die Vernehmlassung. Darin gab sie die grundsätzliche Richtung vor: Die Privilegien für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften sollten abgeschafft, dafür die Patentbox eingeführt werden. Im Paket enthalten waren unter anderem folgende Massnahmen: die zinsbereinigte Gewinnsteuer, die Anpassung der Kapitalsteuer, die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital und eine Kapitalgewinnsteuer auf Wertschriften. Mit dem Bündel an Massnahmen versuchte Widmer-Schlumpf in einem ersten Schritt, die Haltung von Kantonen und Verbänden zu eruieren. Die Steuerausfälle beim TagesWoche10/16 11 Novartis bleibt, nimmt SP-Finanzdirektorin Eva Herzog auch ein Loch in der Kantonskasse in Kauf. Bund bezifferte der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt auf 1,7 Milliarden Franken. 2015 Juni: Bundesrat legt Botschaft vor Nach den Stellungnahmen der Kantone und Verbände passte der Bundesrat die Vorlage an und legte am 5. Juni die Botschaft vor. Das Grundgerüst blieb gleich, einzelne Massnahmen fielen jedoch aus der Vorlage raus. So die Kapitalgewinnsteuer, die etwa 300 Millionen Franken in die Bundeskasse gespült hätte. Des Weiteren wollte der Bundesrat die Dividendenteilbesteuerung erhöhen – von 50 auf 70 Prozent, gedacht als Kompensation für die Steuerausfälle. Und die zinsbereinigte Gewinnsteuer strich der Bundesrat aus der Vorlage als Reaktion auf Klagen der Kantone, dadurch würden zu hohe Steuerausfälle entstehen. Die Ausfälle beim Bund hätten sich laut Schätzung des Bundesrats nun auf 1,3 Milliarden Franken belaufen. 2015 Dezember: Ständerat behandelt die Reform Am Grundgerüst rüttelte der Ständerat nicht. Kurz vor Legislaturende brachte TagesWoche10/16 er – noch in der alten Zusammensetzung – nur wenige Änderungen an: Die Kantone sollten etwas mehr Einnahmen vom Bund erhalten (zusätzlich etwa 153 Millionen Franken pro Jahr) als Kompensation dafür, dass sie die Unternehmenssteuern senken müssten. Die Dividenden-Teil besteuerung setzte der Ständerat von 70 auf 50 Prozent hinunter. Unter dem Strich hätten die Beschlüsse des Ständerats den Bund etwa 25 Millionen Franken zusätzlich gekostet. 2016 Februar: Nationalratskommission berät die Reform Die Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrats (WAK-N) stellte die Vorlage auf den Kopf. Die Kommission schlug vor, die zinsbereinigte Gewinnsteuer in die Vorlage aufzunehmen. Diese Massnahme ermöglichte Steuerrabatte für Unternehmen, die sich in Ausfällen für den Bund in Höhe von 270 Millionen niederschlagen würden. Ausserdem schlägt die Kommission vor, die Emissionsabgabe auf Eigenkapital abzuschaffen (Stempelsteuer), was beim Bund zu Steuerverlusten von etwa 230 Millionen führen würde. Dieser Teil soll jedoch in einer separaten Vorlage behandelt werden. Zudem hat die Kommission eine Tonnage-Tax in das Paket aufgenommen, foto: istock/nils fisch die in der Schweiz ansässige Schifffahrtsgesellschaften entlasten würde. Über die Inputförderung sollen die Kantone in Zukunft auch Forschungsinvestitionen im Ausland als Steuerabzüge geltend machen, so die Haltung der WAK. Um zu verunmöglichen, dass Unternehmen gar keine Gewinnsteuern bezahlen, schlägt die Kommission eine Entlastungsbremse vor, welche die Kumulation der Steuervorteile auf 20 Prozent begrenzen würde. Die zusätzlichen 153 Millionen für die Kantone lehnt die Kommission ab. Mit diesen Massnahmen würden die gesamten Steuerausfälle beim Bund auf etwa 1,45 Milliarden Franken steigen. 2016 März: Nationalrat behandelt die Reform Am 16. März wird der Nationalrat die Vorschläge der WAK-N behandeln. Wenn die Änderungsvorschläge durchkommen, geht das Geschäft zurück in den Ständerat zur Differenzbereinigung. tageswoche.ch/+ 79fbs × Unternehmenssteuerreform III 12 Regierungsrätin Eva Herzog kämpft an vorderster Front für die Reform. Im Interview sagt sie, wie weit sie dafür gehen würde. «Ein Scheitern der Reform wäre übel» von Jeremias Schulthess E va Herzog ist im Dilemma: Die linke Finanzdirektorin vertritt eine Reform, die Bürgerliche ver mehrt für ihre liberale Agenda nutzen. Denn Herzog hat die Unterneh menssteuerreform III (USR III) massge bend mitgeprägt. Jetzt ist der Nationalrat daran, Steuerentlastungen in das Paket ein zubauen, die zu massiven Ausfällen bei Bund und Kantonen führen würden. Dennoch sei die Reform wichtig, sagt Herzog, gerade für Basel-Stadt, wo viele Steuererträge von internationalen Firmen stammen, meist aus der Pharma-Branche. Die Firmen, welche die Reform betrifft, machen mehr als 50 Prozent der Gewinn steuererträge in Basel-Stadt aus. «Wenn sich die Welt auf ein neues Steuersystem einigt, kann die Schweiz nicht so tun, als ob sie nicht dazugehört.» Frau Herzog, durch die USR III sollen der Schweiz bis zu zwei Milliarden Franken Steuereinnahmen entgehen. Ist das für Sie noch vertretbar? Wenn wir nur einen Teil des Pakets um setzen würden, nämlich die Statusgesell schaften abschaffen, dann müssten diese ordentlich besteuert werden. Das würde für die betroffenen Unternehmen eine massiv höhere Steuerrechnung bedeuten – Sie können sich vorstellen, was dann passiert. Die Unternehmen würden ihren Standort ins Ausland oder in andere Kantone verlegen. Jedenfalls können wir das nicht riskie ren. Also, was tun? Es gibt zwei Möglich keiten. Entweder wir führen neue privile gierte Besteuerungen ein, zum Beispiel eine Patentbox. Oder man senkt die Steuer sätze. Ich meine, wenn wir die allgemeinen Steuersätze senken, führt das zu Einnahme ausfällen. Denn dann bezahlen alle weniger Steuern, auch das KMU von nebenan. Ich finde, es sollte eine Mischung sein. Einer seits Gewinnsteuersätze senken, anderer seits neue und international anerkannte Privilegien einführen, die den Forschungs standort auf lange Frist attraktiv belassen. Und das Austarieren muss so sein, dass die öffentliche Hand ihre Aufgaben weiterhin finanzieren kann. Wie kommen denn die hohen Steuerausfälle zustande? Die Mindereinnahmen kommen nicht von jenen Unternehmen, die heute privile giert sind. Diese zahlen zum Teil sogar etwas mehr nach der Reform. Die Steuer ausfälle resultieren daraus, dass die Sätze für alle gesenkt werden und beispielsweise ordentlich besteuerte KMU plötzlich weni ger Steuern zahlen. Nun hat die Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrats weitere Massnahmen in die Reform eingebaut, die weitere Steuerausfälle bei Bund und Kantonen verursachen würden. Was sagen Sie dazu? Akzeptabel finde ich es nicht, was die Kommission beschlossen hat. Noch ist es aber zu früh, das zu bewerten, noch ist das Paket nicht definitiv. Die Kommission hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer in das Paket aufgenommen. Diese habe ich immer bekämpft. Dafür ist andererseits auch eine Entlastungsbegrenzung drin. Das war ein Vorschlag der Kantone: Die Kumulation von Steuervorteilen bei Unternehmen dürfen nicht zu einer zu tiefen oder gar zu einer Null-Besteuerung führen. Diese Massnahme ist immerhin drin, damit konnten wir das Schlimmste verhindern. Ist das Ihre rote Linie? Falls die Entlastungsbegrenzung rausfällt, würden Sie auch ein Referendum gegen die Reform befürworten? Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen, ob ich ein Referendum unter stützen würde oder nicht. Zuerst muss ich das Gesamtpaket kennen. Die Parteien dro hen damit. Zum Beispiel Ihre eigene Partei, die SP. Richtig. Die Entlastungsbegrenzung muss drin bleiben. Für mich ist das ein wesentlicher Punkt, der gegen ein Referen dum spricht. Eine gewisse Entschlackung der Vorlage muss zudem noch stattfinden. Der Ständerat hat sich bereits in einigen Punkten annehmbarer zur Reform geäus sert. Nun hoffe ich noch auf die Differenz bereinigung zwischen Nationalrat und Ständerat. Was passiert, wenn das Referendum kommt und die Reform an der Urne scheitert? Das wäre übel. Die Statusgesellschaften werden ohnehin abgeschafft, da die OECD, also die Gemeinschaft der Industriestaaten, diese Privilegien nicht mehr toleriert. Für die Abschaffung braucht es uns eigentlich gar nicht. TagesWoche10/16 13 Eva Herzog will nicht riskieren, dass Pharmafirmen abwandern – etwa ins steuergünstige Luxemburg. Inwiefern kann die OECD diese Privilegien im Schweizer Steuersystem abschaffen? Die Unternehmen werden diesen Status nicht mehr wollen, wenn sie im internationalen Umfeld Nachteile daraus ziehen. Im Ausland würden sie dann einfach höher besteuert, da die OECD-Länder das Steuerprivileg nicht mehr akzeptieren. Der internationale Druck könnte so weit zunehmen, dass sie den Status von sich aus aufgeben. Anders gesagt: Wenn sich die Welt auf ein neues Steuersystem einigt, kann die Schweiz nicht so tun, als ob sie nicht dazugehört. « Was klar ist: Wenn wir nichts tun, dann verlieren wir sowieso.» Was würde das für Basel bedeuten? Wenn die Steuerstatus wegfallen, müssten wir die heute privilegierten Unternehmen ordentlich besteuern. Zunächst würden sie eine befristete Übergangslösung, einen sogenannten Step-up, erhalten. Das heisst, sie zahlen uns eine Zeit lang immer noch gleich viel Steuern. Jedoch: Als Nebenwirkung, die noch wenig beachtet wird, müssten wir in den Nationalen Finanzausgleich als Kanton viel mehr einzahlen als TagesWoche10/16 heute. Ergo würden sich die Belastungen erhöhen, nicht aber die Steuereinnahmen. Kurz: Für uns wäre es finanziell gesehen sehr schlimm, wenn die Reform scheitert. Man müsste sofort eine neue Vorlage auf Bundesebene durchführen, das allerdings würde einen Moment dauern. Wie kann man verhindern, dass die Reform scheitert? Im Moment will jeder dem anderen den Schwarzen Peter zuspielen. Die Bürgerlichen sagen, die Linke sei schuld, wenn sie das Referendum ergreift. Gleichzeitig überladen sie die Reform mit unnötigen Massnahmen – wie zum Beispiel die Tonnage Tax, die nun völlig am Ziel vorbei schiesst. Zudem will die Kommission die Forschung im Ausland subventionieren, hat die zinsbereinigte Gewinnsteuer wiederaufgenommen, auch soll die Emissionsabgabe in einer Parallelvorlage abgeschafft werden, und das Paket enthält kein einziges Element der Gegenfinanzierung. Damit provozieren die Bürgerlichen ein Referendum der Linken. Es wäre so einfach gewesen, ein sachlich gutes Paket durchzubringen. Und nun dieser Übermut der bürgerlichen Mehrheit in der Wirtschaftskommission. Wie hoch werden die Steuerausfälle in Basel-Stadt sein, wenn die Reform eingeführt ist? Eine genaue Angabe ist nicht möglich, da das Paket noch gar nicht feststeht. Wir foto: istock/nils fisch rechnen mit Steuerausfällen. Diese hängen jedoch stark davon ab, wie viel Kompensationszahlungen wir vom Bund erhalten. Was können Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt sagen? Wir erstellen statische Berechnungen, führen Simulationen durch. Zum Beispiel wie hoch die Steuereinnahmen sind, wenn wir die Steuersätze um so und so viel senken. Diese Simulationen machen aber erst dann wirklich Sinn, wenn wir alle Elemente der Vorlage kennen. Im Falle der internationalen Firmen sind die dynamischen Effekte enorm. Diese Firmen können ihre Investitionsentscheide so fällen, dass einmal Basel begünstigt ist, dann wieder Boston oder Schanghai oder auch Zug. In diesem Feld bewegen wir uns. Stellen wir die Weichen richtig, gewinnen wir als Kanton und als Standort viel. Stellen wir sie falsch, dann geht es in die umgekehrte Richtung, in ein Negativszenario. Was jedoch klar ist: Wenn wir nichts tun, dann verlieren wir sowieso. Was ist also zu tun? Unsere Zielvorgabe lautet deshalb, die Unsicherheit nehmen und die Steuerbelastung der grossen Firmen, die unsere Region prägen, etwa gleich belassen. Vielleicht zahlen sie nach der Reform sogar etwas mehr – wesentlich ist, dass sie und ihre Arbeitsplätze hier bleiben. tageswoche.ch/+ ab5su × 14 Wahlen BS 2016 Beim Grünen Bündnis kommt es im Basler Parlament vor den Gesamterneuerungswahlen zur grossen Rochade. Beinahe die halbe Fraktion wird ausgewechselt. Alles neu beim Grünen Bündnis im Grossen Rat von Yen Duong S esselrücken beim Grünen Bündnis: Vor den Gesamterneuerungswahlen im Herbst kommt es in der 13-köpfigen Grossratsfraktion zu markanten Veränderungen. Denn gemäss Kantonsverfassung gilt für den Grossen Rat eine Amtszeitbeschränkung von vier Legislaturen, wobei eine angebrochene Legislatur als ganze gezählt wird. Politiker, die das Maximum erreicht haben, müssen anschliessend vier Jahre aussetzen. Wer also vor Februar 2005 dazukam, ist dieses Jahr nicht mehr wählbar. Besonders heftig trifft es die BastA!. Für sie kommt diese Regelung einem Aus im Grossen Rat gleich: Bei den Wahlen am 23. Oktober dürfen gleich vier von total fünf Grossratsmitgliedern nicht mehr für das Basler Parlament kandidieren. Über die Klinge springen müssen Brigitta Gerber, Patrizia Bernasconi, Heidi Mück und Urs Müller. Einzig Nationalrätin Sibel Arslan dürfte nochmals kandidieren – sie will aber nicht. Somit springen bei der BastA! alle Aushängeschilder über Bord. Bei den Grünen darf Eveline Rommerskirchen wegen der Amtszeitbeschränkung nicht mehr antreten, zudem tritt Mirjam Ballmer aus persönlichen Gründen zurück. «Es verlassen insgesamt sieben Personen den Grossen Rat, die sehr viel für Rot-Grün geleistet haben», sagte Tonja Zürcher, o-Präsidentin der BastA!, am Dienstag vor C den Medien. Die kommenden Grossratswahlen werden für die BastA! kein Spaziergang. Das weiss auch Co-Präsidentin Heidi Mück: Seit über einem Jahr beschäftige man sich mit der Frage, wie es mit der Partei im Grossen Rat weitergehen soll, sagte sie. Zwei Frauen, vier Männer Die Strategie: Bis auf Brigitta Gerber werden sämtliche BastA!-Parlamentarier vorzeitig aus dem Grossen Rat zurücktreten und für Nachrückende Platz machen. Dies, damit die Neuen im Herbst mit dem Label «bisher» antreten können, was die Nachrücker: Beat Leuthardt, Raphael Fuhrer, Tonja Zürcher, Harald Friedl, Beatrice Messerli und Daniel Spirgi (v.l.) foto: Yen Duong TagesWoche10/16 Wahlchancen erhöht. Bei den Grünen tritt Eveline Rommerskirchen Ende Mai zurück, Mirjam Ballmer Ende März. Und so sehen die Wechsel im Detail aus: – Für Sibel Arslan rückt im März Beatrice Messerli (1952) nach. Sie ist Erziehungs rätin und Gewerkschaftlerin. Ihre Schwerpunkte sieht sie in Bildung, Gleichstellung und Gewerkschaft. – Auf Urs Müller folgt Beat Leuthardt (1956) im April. Er ist Co-Geschäftsleiter des Mieterinnen- und Mieterverbandes Basel-Stadt und erst seit einem halben Jahr Mitglied der BastA!, sieht sich je doch nicht als «Parteisoldat». «Ich trete in grosse Fussstapfen und bin unbere chenbar beim Politisieren», sagt er. – Für Mirjam Ballmer rückt im April Tonja Zürcher (1983) nach. Sie ist Ge schäftsleiterin des WWF Aargau und Co-Präsidentin der BastA!. Ihre Schwer punkte: Umwelt, Verkehr, Stadtentwick lung und Wohnungsnot. Sie kandidierte vor vier Jahren auf der Liste des Jungen Grünen Bündnisses. – Auf Patrizia Bernasconi folgt Daniel Spirgi (1962) Anfang Juni. Er ist Experte in Gesundheitsfragen und arbeitete un ter anderem für die Caritas und Ärzte ohne Grenzen. Seine Schwerpunkte: Gesundheit, Migration, Soziales. – Heidi Mück macht Anfang Juni Platz für Harald Friedl (1972), der Vizepräsident der Grünen Basel-Stadt und Leiter der Fachstelle ABC-Vorsorge Basel-Stadt ist. Seine Schwerpunkte: Umwelt, Gewerk schaft, Soziales. – Auf Eveline Rommerskirchen folgt Anfang Juni Raphael Fuhrer (1986), Doktorand und wissenschaftlicher Mit arbeiter an der Professur für Verkehrs planung der ETH Zürich. Seine The men: Umwelt, Verkehr, Sozialpolitik. Er kandidierte vor vier Jahren auf der Liste des Jungen Grünen Bündnisses. BastA! zeigt sich optimistisch «Wir haben grosse Wechsel vor uns. Ich finde aber, dass uns die Nachfolgeregelung gelungen ist», so Mück. Dass die Rücktritte erst jetzt kurz vor Ende der Legislatur folgen, begründet die potenzielle Regierungsratskandidatin damit, dass die Klärung der Nachfolgeregelung so lange gedauert habe. Ob die Linksaussenpartei mit dieser Strategie ihre fünf Sitze im Grossen Rat halten kann, ist fraglich, zumal die Nach rückenden nicht viel Zeit haben, sich im Grossen Rat einen Namen zu machen – und der Partei infolge des Verzichts von Sibel Arslan Zugpferde fehlen. Im schlimmsten Fall droht der BastA! nach den Wahlen der Fall in die Bedeutungslosigkeit. Tonja Zürcher mag gar nicht erst daran denken: «Wir werden eher zulegen als verlieren. Der vergangene Abstimmungssonntag hat gezeigt, dass das Potenzial von Rot-Grün in Basel noch nicht ausgeschöpft ist.» tageswoche.ch/+76b9q× TagesWoche10/16 15 Wahlen BS 2016 Wer mit dem «bisher»-Label antritt, ist so gut wie gewählt. Frühzeitige Rücktritte zahlen sich für die Parteien deshalb aus. Bisherige haben viel grössere Wahlchancen von Andrea Fopp I nsgesamt 7 ihrer 13 Vertreterinnen und Vertreter im Grossen Rat wechseln die Grünen und Basta! im Grossen Rat aus (siehe Seite 14). Alles Grossräte, die eigentlich bis Ende Legislatur gewählt wären und noch bis im Januar 2017 weiter politisieren dürften. Doch mit Ausnahme von Brigitta Gerber tun alle von ihnen das, was Politiker zumindest in solchen Fällen gerne tun: Sie treten zurück, und zwar bereits jetzt. Für sie dürfen weniger bekannte Politikerinnen und Politiker aus den eigenen Reihen nachrücken. Der Vorteil davon ist der: Die Nachrückenden erhalten an den Wahlen im Herbst den Zusatz «bisher» auf den Wahlzetteln. Im Jahr 2012 schafften 78 von 85 Bisherigen die Wiederwahl. Von den Neulingen wurden nur 3 Prozent gewählt. Dass diese Strategie durchaus Sinn macht, zeigt eine Auswertung des Statistischen Amtes Basel-Stadt: Bisherige haben viel grössere Chancen gewählt zu werden als Neulinge. Bei den Wahlen 2012 wählte die Basler Stimmbevölkerung 100 Grossräte. Damals traten 85 Bisherige zur Wiederwahl an, 78 davon wurden gewählt, erklärt Nathalie Grillon vom Statistischen Amt. Neulinge bleiben meist draussen Neulinge haben dagegen viel geringere Chancen, den Sprung in den Grossen Rat zu schaffen. Im Jahr 2012 gelang nur drei Prozent der Kandidaten ohne bisheriges Mandat der Sprung ins Parlament. Auch bei den Grossratswahlen im Jahr 2008 hatten Bisherige deutlich grössere Chancen. Damals wurden über drei Viertel der Bisherigen wiedergewählt. Von den Neuen schafften es nur zwei Prozent. Die Wahlen von 2008 und 2012 sind allerdings nicht direkt vergleichbar, da im Jahr 2008 mehr Bisherige antraten. Der Grund: Auf die 2009 beginnende Legislatur hin wurde das Parlament von 130 auf 100 Sitze verkleinert und die Amtszeit von drei auf vier Legislaturperioden erhöht. Rücktritt lohnt sich Dennoch zeigen die Zahlen klar: «Die mit Abstand grössten Aussichten auf einen Wahlerfolg haben Bisherige, die zur Wiederwahl antreten.» So steht es im Bericht des Statistischen Amts. Für Parteien lohnt es sich also, wenn Grossräte am Ende ihrer Amtszeit vorzeitig zurücktreten und Neulingen Platz machen, die ohne Wahl nachrücken. Und das wird auch fleissig gemacht. Von den 85 bisherigen Kandidaten war bei der Wahl 2012 ein Viertel seit weniger als vier Jahren im Grossen Rat – und demnach bereits während der Legislatur nachgerückt. tageswoche.ch/+bevy1× Süsse Versuchung: Frittiertes Hefegebäck tritt mit hübscher Fassade gegen den Trend zum Gesund-Food an. Fast Food Dunkin’ Donuts hat in Basel die erste Filiale in der Schweiz eröffnet. KFC will bald nachstossen. Doch Branchenkenner räumen amerikanischem Fast Food schlechte Chancen ein. Rosa ist nur der Zuckerguss von Renato Beck E s ist das vielleicht bizarrste Kulturphänomen unserer Zeit: Lässt sich irgendwo eine Weltmarke nieder, schlägt eine irritierend grosse Anzahl Menschen vor den Pforten ihr Lager auf, um vor allen anderen im Laden zu stehen. In Basel geschah das l etztmals, als der Apple Store an der Freien terkaffee angestossen haben: Zahlreiche Strasse aufging. Und nun also auch, als Medien veröffentlichten Bilder der WarteDunkin’ Donuts die angekündigte Schweiz- schlange. Bessere Promo geht nicht. Dass die Macher der frittierten Teigkringel die Offensive in Basel einläutete. Die drei Jungunternehmer hinter Dun- Leute mit einer Aktion geködert hatten – kin’ Donuts Schweiz dürften abends eher die ersten Kunden erhielten eine Jahresmit Schampus als mit dem hauseigenen Fil- ration Donuts kostenlos – ging dabei unter. TagesWoche10/16 17 (auf mittlerweile 160) stabil. Burger King Schweiz veröffentlicht keine Zahlen, dürfte aber mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Leo Egloff hat die Systemgastronomie der Verpflegungskette Marché aufgebaut und war in der Konzernleitung von Möven pick. Heute berät er Gastrofirmen in der Schweiz. Egloff sagt: «Dunkin’ Donuts wird in Ruhe dahinsterben. Darauf hat in der Schweiz keiner gewartet. Vielleicht finden das die Jungen im ersten Moment originell, doch gegen Kafi und Gipfeli haben Donuts mittelfristig keine Chance.» Food-Angebote stetig wachsen. Gesunde und vollwertige Lebensmittel, bei denen Herkunft und Herstellung nachvollzogen werden können, sind auch im Fast-FoodBereich immer mehr gefragt.» «Wer seinen Betrieb professionell führt, hat in Basel Chancen.» Maurus Ebneter Sprecher Basler Wirteverband Wie verzweifelt ist McDonald’s? Auch Kentucky Fried Chicken (KFC) plant den Eintritt in den Schweizer Markt. Man sei in verschiedenen Städten die Lage am sondieren, teilten die US-Hähnchen panierer, die ihre Produkte gerne kübel weise an den Konsumenten bringen, un längst mit. Erst 2004 hatte sich KFC genau wie Pizza Hut noch wegen Erfolglosigkeit aus der Schweiz zurückgezogen. Für bewährte ausländische Fast-FoodKetten sei es schwierig, im gesättigten Schweizer Markt Fuss zu fassen: «Zahlrei che neue Konzepte, die den Bedürfnissen der Gäste nach gesundem Essen Rechnung tragen, bringen Bewegung in den FastFood-Markt und erhöhen den Konkurrenz druck.» Gemindert werden die Erfolgs aussichten durch einen grundsätzlich rückläufigen Markt. Von Jahr zu Jahr würden die Schweizer weniger Geld für auswärtiges Essen ausgeben. Dieselbe Beobachtung hat auch Maurus Ebneter gemacht, Sprecher des Basler Wirteverbands: «Die Besucherfrequenz an gewöhnlichen Tagen ist stark gesunken. Das ist nur an Toplagen anders, aber Astrid Haida, Sprecherin Gastrosuisse dort sind die Mietpreise kaum bezahlbar.» Den neuen Fast-Food-Importen räumt Egloff glaubt auch jetzt nicht an einen er gleichwohl Chancen ein. «Wer seinen Erfolg von KFC: «Die Leute, die das planen, Betrieb professionell führt und mit einem kennen offenbar den Schweizer Markt klaren Konzept operiert, hat in Basel nicht. Die Konsumenten hier wollen Quali durchaus Chancen.» tät, sie wollen frische, eigene Produkte und tageswoche.ch/+f1tpw× nichts, das vom Band kommt.» Erkannt hat das Vorreiter McDonald’s, der in der Schweiz seit einigen Jahren auf Racletteburger, Buletten im Bürli und ähnlich eidgenössisch angehauchte neue Produkte setzt. Ob damit der Niedergang gestoppt werden kann, bleibt fraglich. Egloff meint: «Das ist eine Verzweiflungstat. Damit werden die Prinzipien der System gastronomie – überall dasselbe in der der ANZEIGE selben Qualität – gebrochen.» Dazu kommt, dass im Fast-Food-Seg ment neue Anbieter Raum gewinnen, die mit Eigenkreationen und ohne vorbelas tetes Image einer US-Billigmarke authen Fr 04.03. / Sa 05.03. je 20:00 tischer auftreten können. Hier sieht Egloff Schwerpunkt Musiktheaterformen Chancen für neue Restaurants: «Wer krea «Moby_D. Eine Männermelancholie» tiv ist und eine hohe Qualität garantieren Wolfgang Heiniger kann, wer vom Kaufmännischen eine Ahnung hat, aber auch von der Gastro So 06.03. / Mo 07.03. je 20:00 nomie, dem stehen in der Schweiz die «Ville étrange» – Ensemble Phœnix Basel Türen offen. Es gibt einige Schweizer, die Mi 09.03. 20:00 machen das sackstark.» Der Start ist Dunkin’ Donuts geglückt, doch leuchtend rosa sind nur die zucker überzogenen Backwaren, die Zukunft ist es eher nicht. Bis 2022 will die US-Kette 30 Filialen in der ganzen Schweiz eröffnen. Spruchreif sind erst mal drei, und die Geld geber dürften genau hinschauen, wie sich diese entwickeln, bevor sie weitere Millio nen in die Hand nehmen. «Donuts haben gegen Kafi und Gipfeli keine Chance.» Leo Egloff, Gastroberater 1990 standen noch Tausende Menschen im ersten McDonald’s hinter dem frisch gelüfteten Eisernen Vorhang in Moskau an, um in die grosse Freiheit zu beissen. Heute versprechen die einstigen Kultur exportschlager aus den USA vor allem einen erhöhten Cholesterinspiegel, Karies Auch Fast Food soll heute gesund sein und ein steigendes Diabetesrisiko. In den USA kämpfen fast alle Fast-FoodÄhnlich beurteilt das der Branchenver Klassiker, von McDonald’s über Dunkin’ band Gastrosuisse. Zwar essen immer Donuts bis zu Kentucky Fried Chicken, mit mehr Schweizer in Schnellrestaurants – sinkenden Marktanteilen. In der Schweiz der Anteil stieg von 16,6 Prozent 2012 auf ist das nicht anders. Die Besucherzahlen 17,9 Prozent 2014 –, profitieren würden aber des Branchenführers McDonald’s waren eher nicht die globalen Multis, sagt Gastro 2014 rückläufig, der Umsatz blieb nur dank suisse-Sprecherin Astrid Haida: «Tatsache einem weiteren Ausbau des Filialnetzes ist, dass die Ansprüche der Gäste an FastTagesWoche10/16 «MAGMAHolliger» – Swiss Chamber Concerts Do 10.03. 20:00 • Reihe «Von Zeit zu Zeit» «Hommage à György Kurtág» klavierduo huber/thomet www.garedunord.ch foto: carol engler T 061 683 13 13 «Die Ansprüche der Gäste an Fast-Food-Angebote wachsen stetig.» 18 Mustermesse Die Muba wird 100. Die Massen zieht sie nicht mehr an. Trotzdem soll die Traditionsmesse weiterleben. Ein Bundesrat kommt jedes Jahr Einst ein Publikumsmagnet: Muba 1957. foto: Staatsarchiv Basel/Privatarchiv MCH Group von Dominique Spirgi E s ist eine spezielle Geschichte: Mitten im Ersten Weltkrieg initiierte der damalige Direktor der Allgemeinen Gewerbeschule, der belgische Künstler Jules de Praetere, die Gründung einer Warenmesse für die kriegsgeplagte Schweizer Wirtschaft. 1917 schlug damit die Geburtsstunde der Schweizer Mustermesse, die in diesem Jahr ihre 100. Ausgabe feiern kann. 100 Jahre sind ein stolzes Jubiläum, das die Messe-Verantwortlichen auch standesgemäss begehen möchten. Sie werden dies an der Muba selber tun, deren Eröffnung dieses Jahr auf den 15. April fallen wird. Und sie taten dies bereits jetzt mit der Vernissage zum schön aufgemachten und anregend zu lesenden Jubiläumsbuch mit dem Titel «Im Takt der Zeit» und zu einer Plakatausstellung in der Innenstadt. Die Messe-Verantwortlichen, das sind an vorderster Front die MCH Group, aber auch der Kanton Basel-Stadt, der vor hundert Jahren massgebliche Geburtshilfe geleistet hat. 100 Jahre sind auch ein beachtliches Alter, das man dem eigentlichen Geburtstagskind Muba ansieht, während die Unter- 19 nehmensgruppe, die daraus entstanden ist, blendend aufgestellt ist. Seit Jahren schon ist der ideelle Status der «Mutter aller Messen» um einiges höher als ihre wirtschaftliche Bedeutung. «Eine Konsumgütermesse wie die Muba hat heute längst nicht mehr die Bedeutung, die sie einst hatte», sagt Ueli Vischer, langjähriger Verwaltungsratspräsident der MCH Group AG. «Die Güter, für die man früher an die Muba pilgerte, sind heute im Internet oder in gängigen Einkaufszentren günstiger und einfacher zu bekommen.» Messe-CEO René Kamm bezeichnet die Muba im Jubiläumsbuch als «Anachronismus». «Mit Messeveranstaltungen, die exakt auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten sind, erreichen wir unsere Kundschaft viel besser», ergänzt er gegenüber der TagesWoche. Die lukrativen Bereiche ausgelagert Musterbeispiel für eine auf eine spezifische Zielgruppe zugeschnittene Veranstaltung ist die Weltmesse Baselworld. Als Schweizer Uhrenmesse und später Europäische Uhren- und Schmuckmesse war sie lange integrierter Teil der Muba und später eine parallel dazu geführte Messe. Heute ist sie das klar von der Muba abge- trennte Flagschiff der MCH Group, dem sich alle anderen Veranstaltungen quasi unterzuordnen haben. Neben der Uhren- und Schmuckmesse verlor die Muba mit der Zeit auch weitere Fachbereiche – etwa die Swissbau und die Internationale Fachmesse für die Holzbearbeitung «Holz». Institution, die wir uns auch aus Imagegründen leisten können und wollen», gibt Kamm im Jubiläumsbuch zu Protokoll. Auf Anfrage der TagesWoche sagt der Messe-CEO, dass doch noch mehr als nur Nostalgie hinter der Weiterführung der Mustermesse steckt. «Es kommen weit über 100 000 Besucherinnen und Besucher, solange dies anhält, wird es die Muba auch Die Muba heute weiterhin geben», erklärt Kamm. Ob die Die Muttermesse ist von ihren Kindern Muba dereinst auch ihren 125. Geburtstag übertrumpft worden und in der Hierarchie wird feiern können, wollte Kamm aber der Messeveranstaltungen weit nach unten nicht sagen. gerutscht. Was sich alleine schon daran «Noch immer erscheint jedes Jahr ein zeigt, dass sie im Kalender regelmässig hin- Bundesrat zu Eröffnung», ergänzt Verwalund hergeschoben wird. tungsratspräsident Vischer. Und fügt pragDer grosse Publikumsmagnet ist die matisch hinzu, dass die MCH Group unter «anachronistische» Mustermesse also dem kommerziellen Aspekt in einer Woche, längst nicht mehr. Ihre erste Ausgabe, die in der sonst nichts los ist, eine Messehalle im Stadtcasino und einer Halle des Badi- füllen könne. schen Bahnhofs stattfand, vermochte noch Nur noch die Rundhofhalle 300 000 Besucherinnen und Besucher anzulocken. 2015 waren es noch rund 132 000, Es handelt sich dabei um die Rundhofüber 30 000 Besucherinnen und Besucher halle oder Halle 2, welche die Muba, die sich einst über das gesamte Messeareal weniger als im Jahr zuvor. Die Verantwortlichen wollen die gute erstreckte, heute noch belegt. Und den alte Mustermesse aber trotzdem nicht ab- Messeplatz, wie Muba-Kommunikationsschreiben. Noch nicht zumindest. «Rein leiter Simon Dürrenberger ergänzt. Es finanziell rechnet sich die Muba kaum wird die letzte Messe sein, die Dürrenbermehr. Aber die Muba ist eine Tradition und ger begleiten wird. Im Oktober 2015 teilte die MCH Group mit, dass sich Dürren berger und die Messeleiterin Kay Schmid, die nur gerade zwei Jahre im Amt war, verabschieden. Wer Schmids Nachfolge übernehmen wird, wollte Dürrenberger noch nicht sagen. «Die Nachfolge für die Leitung der Muba konnte verpflichtet werden und startet am 1. April. Auf Wunsch des aktuellen Arbeitgebers, der den personellen Abgang erst im Laufe des Monats März kommunizieren wird, können wir die Neubesetzung noch nicht bekannt geben», sagt er. Organisiert wurde die Jubiläumsaus gabe von einem achtköpfigen Team unter Claudia Guyaz, der Leiterin der Fach- und Publikumsmessen am Standort Basel. Ein leichtes Spiel war dies offensichtlich nicht. «Man spürt in der Akquisition für die Muba 2016, dass die Firmen verschiedener Branchen unter Druck sind und Marketing ausgaben sehr genau abgewogen und überdacht werden», so Dürrenberger. «Unser Team ist jedoch mit Hochdruck und guten Argumenten daran, die wenigen noch verfügbaren Flächen zu verkaufen.» tageswoche.ch/+ cfyh6 × ANZEIGE Noch keine Lehrstelle 2016? Drohender Lehrabbruch? Jetzt anrufen und Lehrvertrag sichern! Tel. 078 614 14 40 stiftung-fbj.ch Grösse max. 2-spaltig, Höhe nach Ergebnis 20 Religion Die Basler Landeskirchen erleben einen Exodus von biblischem Ausmass. Es laufen ihnen die Schäfchen in Scharen davon. Das Schweizer Mekka der Konfessionslosen von Dominique Spirgi D ie traditionellen Landeskirchen verlieren Mitglieder. Das ist von Basel bis Chiasso und von St. Gallen bis Genf der Fall. Aber in keinem Kanton ist der Anteil an Konfessionslosen so gross wie im Kanton Basel-Stadt. Weil hier ein ländliches Umfeld fehlt, verwundert das nicht weiter. Doch auch im Städtevergleich nimmt Basel eine einsame Spitzenposition ein. Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik für das Jahr 2014 zählen 45 Prozent der Baslerinnen und Basler über dem 15. Altersjahr zu den Konfessionslosen. In absoluten Zahlen: 65 622 Menschen. Mit 38,6 und 32 Prozent weisen die Städte Genf und Zürich weniger Konfessionslose aus. Und noch tiefer liegen diese Zahlen in der Stadt Bern (26 Prozent) sowie in Luzern und Winterthur mit jeweils 23 Prozent. Die beiden Landeskirchen verlieren in Basel Jahr für Jahr zahlreiche Mitglieder. Die Evangelisch-reformierte Kirche verlor innert zehn Jahren über 8000 Schäfchen: So sank ihr Mitgliederbestand zwischen 2005 und 2015 von 36 872 auf 28 581 Gläubige. Bei der Römisch-katholischen Kirche siehts kaum besser aus, wo der Bestand im selben Zeitraum von 32 715 auf 27 481 sank. Bei der Römisch-katholischen Kirche sind die Steuern nach Auskunft des Informationsbeauftragten Matthias Schmitz im schweizerischen Vergleich niedrig. Trotzdem hat auch die Römisch-katholische Kirche viele Austritte zu verzeichnen. «Ein Grund dafür könnte sein, dass die Kirchensteuern in Basel deutlicher ins Auge fallen als anderswo in der Schweiz», sagt Schmitz. «Basel-Stadt ist nämlich einer der wenigen Schweizer Kantone, in dem die Kirchensteuer durch die Kirchen selber und nicht im Rahmen der normalen Steuerrechnung von den kantonalen oder kommunalen Behörden erhoben werden.» Konfessionslos ist nicht gottlos Auch Thiriet glaubt, dass der Kirchenaustritt in Basel dadurch rein äusserlich leichter fällt als in anderen Kantonen: Weil hier die öffentlich-rechtliche Kirche seit der Trennung von Kirche und Staat von 1911 nur noch mit separater Rechnung Steuern einziehen dürfe, könne sich heute jeder und jede überlegen, «ob er mit diesem Betrag nicht doch lieber 14 Tage Badeferien in Teneriffa machen will», sagt er. Der hohe Anteil an Konfessionslosen bedeutet aber nicht, dass diese Menschen nicht an Gott glauben oder gar keine reliAbschreckende Rechnung giöse Orientierungen hätten. Das nationaRoger Thiriet, Informationsbeauftrag- le Forschungsprogramm «Religiöse Geter der Evangelisch-reformierten Kirche meinschaften, Staat und Gesellschaft» kam Basel-Stadt, führt den hohen Anteil an Kon- 2011 zum Schluss, dass es in der Schweiz fessionslosen vor allem darauf zurück, dass nicht viele sogenannte säkulare Personen Basel-Stadt ein Stadtkanton ist: «Wenn gibt, also Menschen, die mit Religion überStädte ein ländliches Hinterland haben, in haupt nichts am Hut haben. dem die Kirchenzugehörigkeit noch stärDafür aber sei der Anteil der Menschen ker verankert ist, senkt das im kantonalen am Anwachsen, die ein distanziertes VerSchnitt die Zahl der Konfessionslosen.» hältnis zur Religion haben. «Ob katholisch, Fehlendes Umland sorgt laut Thiriet reformiert oder konfessionslos: Für diese auch für wirtschaftliche Problemlagen: Distanzierten, wie sie die Forschenden «Die reformierte Kirche Basel-Stadt muss nennen, ist die Religion zwar meist ein Teil höhere Kirchensteuern einfordern als die des Lebens, spielt aber keine wichtige RolKirche in einem landgestützten Kanton, le», heisst es im Themenheft zur «Religiowas dann auch vermehrt zu Austritten sität der Christen in der Schweiz». führt», sagt er. tageswoche.ch/+ll5fz× 21 Flüchtlinge Der Staat greift durch: In der Matthäuskirche wurden am Donnerstagmorgen acht Asylsuchende festgenommen. Polizei beendet Besetzung von Michel Schultheiss und Jeremias Schulthess D ie Polizei nahm am Donnerstagmorgen acht Asylsuchende fest, die sich in der Matthäuskirche aufhielten. Die Gruppe «Wir bleiben», bestehend aus Aktivisten und Asylsuchenden, hatte sich vor vier Wochen in der Kirche niedergelassen. Die Polizeiaktion kommt einer Räumung gleich. Um etwa 8.30 Uhr seien mindestes 16 Polizisten in die Kirche eingedrungen und hätten acht Asylsuchende festgenommen, schreiben die Aktivisten in einer Medienmitteilung. «Den anwesenden Unterstützenden verweigerten die Beamten jegliche Informationen.» Das Justizdepartement schreibt, die Kontrollen seien «ruhig und ohne Zwischenfälle» verlaufen. Sechs Personen seien Asylsuchende gewesen, die nach dem Dublin-out-Verfahren behandelt werden. Das bedeutet, dass diese Personen ausgeschafft werden, da sie in einem anderen Dublin-Staat bereits registriert wurden und ihren Asylantrag dort stellen müssen. Die beiden weiteren Festgenommenen hatten keine gültigen Identitätspapiere bei sich. Das Migrationsamt nehme in diesen Fällen weitere Abklärungen vor. Drei Schweizerinnen und Schweizer, die ebenfalls kontrolliert wurden, «droht eine Verzeigung wegen Diensterschwerung», teilt das Justizdepartement mit. Breite Bewegung ausgelöst Matthäuskirche: Die einen laufen den Kirchen davon, die anderen werden im foto: keystone Gotteshaus verhaftet. Nach den Festnahmen beriefen die Aktivisten von «Wir bleiben» eine Medienkonferenz ein. Dort zeigten sich die Unterstützer enttäuscht über den Kirchenrat. Dieser habe «den Ball an die Behörden weitergespielt». Es sei ihnen jedoch klar, dass der Kirchenrat mit seiner Unterstützung nicht viel hätte bewirken können. Eine der Aktivistinnen betonte, es gehe nicht darum, eine Auseinandersetzung mit der Kirche zu suchen: «Der Konflikt besteht nicht so, wie dies in den Medien dargestellt wird.» Zudem habe es im Unterstützerkreis einige Leute mit kirchlichem Hintergrund. Christoph Albrecht, Leiter der katholischen Universitätsgemeinde, der als Sympathisant vor Ort war, sagt: «Obschon es kein Kirchenasyl mehr gibt, sollte es doch auf symbolischer Ebene respektiert werden.» Das Kirchenasyl sei ein ungeschriebenes Gesetz. Die Aktivisten sagen: «Wir wollen weiterhin auf solidarische Alternativen aufmerksam machen.» Die Besetzung habe eine «breite Bewegung» ausgelöst. Über 100 Sympathisanten seien beteiligt gewesen. Ein engerer Kreis von etwa 50 Menschen sei regelmässig vor Ort gewesen, beispielsweise, um Essen zu bringen. Ob die Unterstützer auch nach dem Polizeieinsatz in der Kirche bleiben werden, lassen sie noch offen. Sie lassen aber durchblicken, dass dies keinen Sinn mehr machen würde. tageswoche.ch/+wjnoy× Nachtleben Hipster statt Huren von Yen Duong D as Basler Rotlichtmilieu ist im Wandel: Nach der Etablierung der Hipsterbar «Renée» im Klingental 18 zieht es nun auch die Macher des «Grenzwerts» ins Milieu-Areal. Sie werden im Sommer an der Ochsengasse 17 eine weitere Location eröffnen. Das bestätigt Cécile Grieder, Betreiberin des «Grenzwerts». Geplant sind eine Bar und ein Restaurant mit 40 bis 50 Plätzen. «Der Name des Lokals und die Details stehen noch nicht fest. Wir arbeiten derzeit noch am Konzept», so Grieder. Die Eröffnung sei jedoch auf Anfang Juni geplant. In der Liegenschaft an der Ochsengasse 17 war bis vor Kurzem die Kontaktbar «Venezia» beheimatet. Darüber befindet sich ein Bordell, allerdings nicht mehr lange: Der Liegenschaftsbesitzer plant eine Umnutzung und will aus dem Bordell möblierten Wohnraum machen. Mit der Renovation soll Anfang 2017 begonnen werden. Geplant war die Expansion laut Grieder nicht. «Wir haben nicht aktiv nach einer weiteren Location gesucht, vielmehr hat es sich einfach so ergeben.» Der Besitzer der Liegenschaft an der Ochengasse sei auf sie zugekommen. «Wir mussten schon dreimal überlegen, ob wir wirklich etwas im Milieu eröffnen wollen. Die Vorteile überwiegen aber – und eine Vergrösserung kann nicht schaden.» Sie freue sich, ein neues Projekt aufgleisen zu können, sagt Grieder, die erst letzten Sommer das «Grenzwert» an der Rheingasse 17 neu eröffnet hat. Ein zweites «Grenzwert» soll es aber nicht geben. «Es wird etwas komplett Neues, auch wenn man sicher unseren Stil erkennen wird», sagt Grieder. So werde es «garantiert» keine weissen Wände geben. Mit der geplanten Umnutzung der Liegenschaft an der Ochsengasse 17 verlieren die Sexarbeiterinnen innert kurzer Zeit im Milieu eine weitere Bleibe. Derzeit wird das Gebäude im Klingental 18 in eine «normale Nutzung überführt», nachdem sich Anwohner immer mehr an den Prostituierten gestört hatten. Die acht Wohnungen im oberen Geschoss werden renoviert und zu Wohnraum umgenutzt. Prostitution wird verlagert Da der Konkurrenzdruck gestiegen ist, buhlen die Sexarbeiterinnen zunehmend aggressiv um Kunden – teilweise auch ausserhalb der erlaubten Zone Ochsengasse, Webergasse und Teichgässlein. Beim Kanton ist man schon seit Längerem um eine «wohnverträgliche Situation» im Milieu bemüht. Laut Viky Eberhard von Aliena, der Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, sind Umnutzungen unerfreulich für die Arbeiterinnen, da sie ihren Platz verlören. Die Prostitution werde durch die Umnutzung nicht abnehmen, sondern nur verlagert. tageswoche.ch/+o4l0n× Zahl der Woche 22 227 von TagesWoche D ie Basler Kantonalbank (BKB) hat den Konzerngewinn im vergangenen Jahr deutlich um rund 13 Prozent auf 227,1 Millionen Franken gesteigert. Ohne die einmaligen Kosten für die Einigung im Steuerstreit mit Deutschland wäre das Ergebnis noch höher ausgefallen. Denn diese Einigung belastet das Ergebnis mit knapp 39 Millionen Euro. Der Geschäftserfolg liegt mit 118,4 Millionen Franken deshalb um 4 Prozent tiefer als im Vorjahr. Ohne diesen Sondereffekt wäre das operative Ergebnis mit 158,3 Millionen Franken um rund 28 Prozent höher ausgefallen als 2014. Vom guten Geschäftsergebnis profitieren auch die Kapitalgeber der BKB. Mit einer Ablieferung an den Kanton BaselStadt von 70 Millionen Franken leistet die Bank einen um 9,4 Prozent höheren Beitrag als im Vorjahr. Auch die Inhaber von BKBPartizipationsscheinen kommen bei einer konstant hohen Dividende von 3,10 Franken in den Genuss einer attraktiven Dividendenrendite von 4,5 Prozent. tageswoche.ch/+44pjp× Gesehen von Tom Künzli Tom Künzli ist als Illustrator für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. Der 41-Jährige wohnt in Bern. TagesWoche10/16 Historisches Museum Kutschen müssen WC weichen von Karen N. Gerig V ier Jahre ist es her, da erreichte uns die Nachricht, dass das Historische Museum Basel (HMB) sein «Museum für Pferdestärken», das damals offiziell und im heutigen Volksmund immer noch Kutschenmuseum heisst, aus Kostengründen geschlossen werden müsse. Ein privater Verein namens Hü-Basel sprang damals in die Bresche, damit die Kutschensammlung in der alten Scheune im Botanischen Garten in Brüglingen bleiben konnte. Und nun das: Die Christoph Merian Stiftung (CMS) meldet im Zuge der Umbaupläne in Brüglingen Eigenbedarf für die Ein gewichtiger Posten auf der Haben-Seite: Breel Embolo. Foto: keystone Scheune an. 35 Jahre lang hatte die CMS dem HMB das Ausstellungsgebäude für die FC Basel Team im Achtelfinal. Und damit das VermöPräsentation der Sammlung unentgeltlich gen entscheidend einbricht, müssten beispielsweise durch schwere Verletzungen zur Verfügung gestellt. Per 31. Januar 2017 die Marktwerte der Spieler in den Keller müssen die rund 50 ausgestellten Schlitten fallen. Denn die Transferrechte machen und Kutschen nun definitiv ihren Platz in als stille Reserven den grössten Teil des den Meriangärten räumen. Vermögens aus. Hü-Basel sucht neuen Standort Um auf die Zahl von 81,9 Millionen zu kommen, braucht Werthmüller den SportInfrastrukturanpassungen seien nötig, sagt Toni Schürmann, Mediensprecher der chef Georg Heitz, der die Spieler einschätzt. CMS, da im Süden des Areals bestehende von Samuel Waldis «Nicht zu konservativ», teilt Werthmüller Gebäude nach den Umbauarbeiten nicht den rund zwei Dutzend Presseleuten mit, mehr zur Verfügung stünden. Im Klartext: ie Bühne gehört an diesem Montag- «aber auch nicht zu euphorisch», präzisiert In die Scheune kommen WCs und Duschen nachmittag Stephan Werthmüller. Heitz von den hinteren Reihen des Medienfür die Angestellten der Meriangärten Dem Mann, der mitverantwortlich zentrums. sowie Unterbringungsmöglichkeiten für dafür ist, dass andere eine Bühne auf dem Embolo tiefer eingestuft Rasen haben. Als Finanzchef bringt er OrdGerätschaften. Ab Oktober 2016 werden deshalb die nung in die Geldflüsse der FC Basel 1893 AG Die Transfersumme, die der Finanzchef Fahrzeuge des Historischen Museums und präsentiert die Zahlen des Geschäfts für Breel Embolo eingesetzt hat, sei jedennicht mehr zugänglich sein. Rund 16 000 jahres 2015. «Mit einem Lachen, was nicht falls weniger hoch als die Spekulationen. Besucher hatte das Museum zuletzt jähr- selbstverständlich ist», wie er sagt. Sprich: tiefer als die Zahl von 30 Millionen, Selbstverständlich vielleicht nicht, aber die für den 19-jährigen Nationalspieler lich gezählt. Die Objekte werden den notwendigen konservatorischen Massnah- dass die Zahlen auch heuer beeindrucken, herumgereicht wird. men unterzogen und ins Museumsdepot überrascht kaum. Werthmüller kann nach Trotzdem ist Embolo der gewichtigste den 105 Millionen aus dem Jahr 2014 zwar Posten in den Transferrechten und damit überführt, meldet das HMB. Der Verein Hü-Basel, so das HMB weiter, keinen weiteren Rekordumsatz präsentie- mitverantwortlich dafür, dass der Kuchen mache sich auf privater Basis für einen neu- ren: 13 Millionen weniger, also 92 Millionen einmal mehr grösser geworden ist. en Standort zur Präsentation und Belebung Franken, hat der FCB im vergangenen Jahr Schon 2011 sorgte die eigene Jugend der Fahrzeuge stark. Das letzte Wort eingenommen. Doch die Zufriedenheit des abteilung für einen Ausschlag nach oben scheint also noch nicht geschrieben und 59-Jährigen rührt ohnehin von einer ande- (42,7 Millionen), als Xherdan Shaqiri und ren Grösse: Noch nie hatte der FCB so viel Granit Xhaka im Kader standen, bevor sie gehört. 2012 in die Bundesliga wechselten. 2013 tageswoche.ch/+1g6bq× Vermögen wie 2015. 101,3 Millionen Franken stehen auf der erreichte der FCB mit 66,7 Millionen FranHaben-Seite. Sie setzen sich zusammen aus ken den nächsten Rekord. Vor allem dank zwei realen Grössen – dem Eigenkapital Mohamed Salah, der 2014 für geschätzte (10 Millionen) und den Rückstellungen 20 Millionen zum FC Chelsea transferiert (9,4) – sowie dem geschätzten Umfang der wurde. Transferrechte (81,9). Diese Grössen seien Dass die Vermögenswerte nach einem für ihn «extrem wichtig», sagt Werthmüller, Rekordjahr jeweils leicht sinken, ist für «weil sie aufzeigen, welche Kraft wir haben, Werthmüller nicht entscheidend. Für ihn ein schlechtes Jahr aufzufangen. Auch ist erfreulich, dass die Tendenz steigend wenn 2016 alles schiefgehen sollte, wäre ist, und dafür gibt es einen Grund: «Wir das für uns noch immer kein Drama.» konnten uns immer international präsenEs wird kaum alles schiefgehen. Die tieren, deswegen ist der Wert der Spieler Meisterschaft verläuft einseitig zugunsten gestiegen», erklärt er. des FCB, in der Europa League steht das tageswoche.ch/+02ahh× So wertvoll war das Kader noch nie D TagesWoche10/16 Bildstoff 360° tageswoche.ch/360 Tokio Wofür der Spinosaurus seinerzeit jene Dornfortsätze der Rückenwirbel brauchte, weiss man 65 Millionen Jahre nach seinem Aussterben noch immer nicht genau. Ist fürs Zusammensetzen aber auch nicht so wichtig. Hauptsache keine Ikea-Anleitung. Reuters/Yuya Shino Genf Darf der moderne Mann einer Schönheit noch einen Drink spendieren? Unbedingt, glaubt offenbar Ferrari, und baut entsprechend weiterhin auf grosszügige Gentlemen. Und so trinkt das jüngste Modell auch noch nach alter Schule: 15 Liter auf 100 Kilometer. Reuters/ Denis Balibouse Durban Im Südosten von Südafrika gabs mal einen See. Bald weiss das keiner mehr. Der letzte Zeuge ist vor nicht allzu langer Zeit verstorben. Reuters/ Rogan Ward Hollywood Die Oscar-Trophäe ist 34,29 cm gross, wiegt 3,856 Kilo und glänzt mit ihrer 24-karätigen dünnen Goldhaut fast so sehr wie der alte Rocky als Nebendarsteller: in «Creed» oder auf dem roten Teppich. Reuters/ Lucas Jackson Delhi Die indische Metropole ist auch Smoghauptstadt. Im Januar brachte sie es auf Werte, die sogar die von Peking übertrafen. Und weil schlechte Vorbilder rasch Nachahmer finden, denkt sich dieser Affe jetzt: Wozu brauchen wir schon Bäume? Reuters/ Cathal McNaughton TagesWoche10/16 Nach dem 28. Februar Die ewigen Ausländer-Vorlagen lenken von inneren Problemen ab, die uns mehr beschäftigen sollten. Rechte Störmanöver 26 von Georg Kreis K önnen wir nun mit dem Ausgang der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative zufrieden sein? Ja und nein. Das Ja braucht eigentlich keine längere Begründung. Positive Würdigung ist in inhaltlicher wie prozeduraler Hinsicht möglich. Die positiven Inhalte hat Justizministerin Sommaruga am Sonntagabend auf den Punkt gebracht: Verteidigung des Rechtsstaats, schützender Einbezug «unserer» Secondos und Secondas, Relativierung der Reichweite von Volksvoten. Der «Souverän» darf nicht auch noch Parlament und Gericht spielen. Aus lokaler Sicht kann man mit Genugtuung feststellen, dass es der Zeitung, die den Namen der Region Basel beansprucht, einmal mehr nicht gelungen ist, mit einer Kampagne die Haltung der Region zu bestimmen. Basel-Stadt stand mit 70,2 Prozent Nein-Stimmen – Somm hin oder her – an der Spitze der Ablehnung. Die Initiativen der SVP verschandeln nicht nur das Panorama, sondern auch die politische Landschaft der Schweiz. foto: keystone 27 Beim Prozeduralen ist zu würdigen, dass sich die Zivilgesellschaft und vor allem jüngere Mitbürgerinnen und Mitbür ger – endlich – gegen die rechtsnationalen Zumutungen zur Wehr gesetzt und dass wichtige Exponenten der Wirtschaft – ebenfalls endlich – gemerkt haben, dass Verteidigung der Individualrechte auch von wirtschaftlichem Interesse ist. Höchst erfreulich ist die Erfahrung, dass die traditionelle und zugleich fort schrittliche Schweiz siegen und dass der r evolutionäre Rechtspopulismus in Schach gehalten werden kann; dass nun der Bann gebrochen ist und die rechtschaf fene Schweiz nicht mehr wie ein gelähmtes Kaninchen vor der SVP-Schlange kauert. Die sogenannte Volkspartei hat kein Abo auf den sogenannten Volkswillen. Der Bezeichnung «revolutionärer Rechtspopulismus» ist noch beizufügen: Ein SRF-Kommentator hat den 28. Februar als Sieg der liberalen Kräfte über die konservativen Kräfte gedeutet. «Liberal» mag stimmen, aber «konservativ» ist ein deutig falsch und eine nicht untypische Fehleinschätzung. Es gab zu viel billiges Lob auf den Gottesdienst der gelebten direkten Demokratie. Gerade Altkonservative hatten starke Gründe, eine derart das gegebene Staatsge füge und die Menschenrechte missachten de Initiative abzulehnen. Zudem verhalten sich auch Rote, Grüne, farbige Regen bogen-Menschen konservativ, wenn sie die guten Errungenschaften von gestern und vorgestern verteidigen. Warum jetzt nicht rundum zufrieden, ja glücklich sein? Durchaus berechtigt ist die etwas martialisch daherkommende Mah nung, dass nur eine Schlacht und nicht der Krieg gewonnen sei. Es gab aber auch zu viel selbstgefälliges Schulterklopfen und billiges Lob auf den Gottesdienst der geleb ten direkten Demokratie. Auf zu leichte Weise beruhigt und sich an der schönen Stimmbeteiligung orientie rend, kamen viele gerne zum Schluss: Siehe da, unser System funktioniert doch präch tig! Trotz des Resultats vom vergangenen Wochenende braucht es aber die von den staatspolitischen Kommissionen beider Räte vorgeschlagenen Reformen!* Getrübte Freude Die derzeitige Zufriedenheit geht teil weise in die von der SVP vorgespurte Rich tung, dass es nichts Besseres gebe als ein kräftiges Volksvotum. So betrachtet, müss te man der SVP fast dankbar sein, dass sie der Schweiz zu einer erfreulichen Mobili sierung verholfen hat: zur «höchsten Stimmbeteiligung seit 23 ½ Jahren» oder zur «höchsten Stimmbeteiligung in diesem Jahrhundert» (das noch ziemlich am An TagesWoche10/16 fang steht). Diesem Frohsinn sind drei len sie in Aussicht – wenn es nötig erscheint beziehungsweise passt –, mit weiteren • Erstens wäre es sehr zu wünschen ge Durchsetzungsinitiativen aufzuwarten. wesen, wenn diese Bewährungsprobe gar Wir sollten uns auch einen kurzen histo nicht nötig gewesen wäre, wenn die SVP rischen Rückblick leisten: Noch im März ihre Finger davon gelassen und wenn ins 2014 wollte der Nationalrat mit Hilfe der besondere das Parlament die Initiative gar FDP- und CVP-Kräfte die Ausschaffungsnicht erst zugelassen hätte. Jetzt musste initiative voll um- oder durchsetzen, das eine Volksmehrheit den Job machen, den heisst ohne Härtefallklausel. Es brauchte eigentlich die Eidgenössischen Räte hätten den als konservativ eingestuften Ständerat, um dies zu verhindern. übernehmen müssen. • Zweitens muss man sehen, dass die Aus schaffungsinitiative der SVP zu einem Ge setz mit teils fragwürdigen Bestimmungen geführt hat. Insbesondere der Sozialhilfebe trug, sofern nicht von Inländern b egangen, kann ein Ausschaffungsgrund sein, man erwartet jetzt allgemein und ungerührt 4000 Ausschaffungen pro Jahr statt 500. • Drittens hat das vergiftende Gerede von den «kriminellen Ausländern» leider über Für das damalige Fehlverhalten der haupt nicht aufgehört. Noch am Abstim politischen Mitte gab und gibt es zwei Erklä mungsabend und in den darauf folgenden rungen: Entweder glaubte sie in ihrer Fehl Tagen konnte man insbesondere von den einschätzung, den jetzt sich ganz anders Abstimmungsverlierern, aber auch von den offenbarenden Volkswillen respektieren zu beflissenen Abstimmungssiegern gebets müssen. Oder das Fehlen der Härtefallklau mühlenhaft hören, dass Ausländer-Mörder, sel hat sie, weil sie innerlich SVP-infiziert Ausländer-Vergewaltiger, Ausländer-Ein war, einfach zu wenig gestört. Vielleicht brecher die ganze Härte des neuen Geset finden diese Kräfte nach dem 28. Februar zes zu spüren bekämen. Bezeichnender wieder auf den richtigen Pfad zurück. weise stellte FDP-Präsident Philipp Müller Wir sollten uns auch daran erinnern: eine «pfefferscharfe» Umsetzung des neu Vor dem 28. Februar gab es die dem CVPen Ausländer-Strafgesetzes in Aussicht. Ständerat Pirmin Bischof zugeschriebene Es zeigt sich, dass unabhängig vom nun Äusserung, dass es gar nicht so schlecht sei, als historisch bezeichneten Sieg über die wenn ein Grossteil der Bevölkerung «mit ausländerfeindliche Vorlage der auslän dem Bauch» abstimme. Denn: «So verhin derfeindliche Diskurs weiterläuft und dert sie, dass die Elite mit einer falschen die Verlierer diesbezüglich die Gewinner Idee in eine falsche Richtung rennt.» sind. Das war im Übrigen bereits vor dem Das ist SVP-Gerede aus CVP-Mund. 28. Februar für die Initianten ein «positiver» Ausser dem uns allen wichtigen Bauch gibt Ertrag des Abstimmungskampfes. Die Aus es auch noch das Herz und einen Kopf mit länder werden generell problematisiert, Sinn für Verhältnismässigkeit. Übrigens und die Ausländerfeinde dienen sich bei muss man sich fragen: Wie kann einer der ihrer Gefolgschaft generell als Wächter letztes Wochenende in Einsiedeln versam der Nation an – was sich bei den nächsten melten SVP-Mannen die Hoffnung aus Wahlen wieder auszahlen wird. sprechen, dass die im nahen Kloster domi zilierte Maria auf seiner Seite stehe? Sieger sind die Verlierer So erfreulich das Resultat vom 28. Feb Dem SVP-Präsidenten ist leider zuzu ruar ist, die Schweiz sollte ohne solche stimmen, wenn er frohlockt: «Wir haben Siege auskommen. Man bedenke, wie viel schon vor dem Abstimmungssonntag viel Energie und Ressourcen in diesen Kampf erreicht.» Was der Brunner Toni aber nicht gesteckt werden mussten und wie viel gesagt hat: Dass er dies mit einer Hasskam Schaden die Vorlage angerichtet und bei pagne erreicht hat und mit dem fortgesetz uns eine ungute Gewöhnung an den politi ten Schüren negativer Vorurteile gegenüber schen Schmutz (man denke auch an die einem festen Teil der Wohnbevölkerung, Plakate) gebracht hat. der zugleich doch ein anständiger und vita Vielleicht nicht beabsichtigt, aber im ler Teil des Landes ist. Effekt darauf hinauslaufend, lenken diese Ungetrübt kann die Freude bei genau ewigen Ausländer-Vorlagen auch von unse em Hinschauen nicht sein: Die absoluten ren inneren Problemen ab, zum Beispiel Zahlen der Ja-Stimmen sind kaum zurück vom kaum vom Fleck kommenden Land gegangen, in 12 Kantonen hat die Zahl der schaftsschutz, von der «brennenden» Ener Befürworter sogar zugenommen. Und die giefrage, von der schwachen Harmonisie se Kräfte werden sich jetzt nicht einfach in rung des zu föderalistischen Bildungs Luft auflösen. Die Verlierer haben es präch wesens und so weiter und so weiter. tig verstanden, ihre Niederlage in einen tageswoche.ch/+tu1sh× Sieg umzudeuten. Sie fordern laut, dass man ihrer momen * Soeben erschienen von Georg Kreis tanen Minderheitenposition voll Rech (Hg.): «Reformbedürftige Volksinitiative. nung trage, und tun damit das, was sie ihren Verbesserungsvorschläge und GegenGegnern nicht einräumen, wenn diese in argumente», NZZ-Libro, Zürich 2016, der Minderheit sind. Und unbelehrbar stel 156 Seiten. Tatsachen entgegenzuhalten: So erfreulich das Resultat auch ist, die Schweiz sollte ohne solche Siege auskommen. Online tageswoche.ch/ themen/ Georg Kreis Abstimmung 28. Februar 28 Nach dem knappen Nein zur Ehe- und Familien-Initiative der CVP werden bereits neue Lösungen herumgereicht. Gibt es bald separate Steuern für Ehepartner? von Jeremias Schulthess D ie Überraschung des Abstimmungssonntags ging beinahe unter: Die CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe wurde knapp abgelehnt, nachdem Umfragen über Wochen ein stabiles Ja vorausgesagt hatten. Basel-Stadt lehnte die Initiative gar mit 61 Prozent ab – kein anderer Kanton sagte so deutlich Nein. Das Problem, dass bestimmte Ehepaare schlechtergestellt sind als unverheiratete Paare, bleibt vorerst bestehen. Was passiert nun? Finanzminister Ueli Maurer kündigte bereits vor der Abstimmung an, dass der Bundesrat eine Vorlage ausarbeiten werde, die sich dieses Problems annimmt. Wie das gehen könnte, deutete er bereits an: via Individualbesteuerung. Das würde bedeuten, dass Ehepaare nicht mehr gemeinsam Steuern zahlen, sondern separat. Für die Baselbieter CVP-Nationalrätin lisabeth Schneider-Schneiter ist das keine che Einkünfte fliessen welchem Partner zu, E Option. «Die Individualbesteuerung wäre die Beseitigung krasser Ungleichheiten ein Bürokratiemonster und wird von den zwischen Einverdiener- und ZweiverdieKantonen abgelehnt.» nerpaaren – alles Fragen, die nicht leicht zu Die Kantone äusserten sich bereits beantworten sind.» kritisch gegenüber dem Modell. Mit dem Die Aargauer SP-Nationalrätin Yvonne neuen System müssten sie für alle Ehepaare Feri findet, diese Fragen könnten im Detail die Steuererklärungen doppelt erledigen. beantwortet werden, wenn das Modell erst Ausserdem müssten die Steuererklärungen einmal auf dem Tisch liege. «Die Indivigenauer überprüft und abgeglichen wer- dualbesteuerung ist der einzig richtige Weg, den, um zu verhindern, dass b eispielsweise zu einem gerechten Steuersystem zu gelanKinderabzüge bei Ehepartnern doppelt gen, das die heutigen Familienrealitäten verbucht werden. abbildet.» Verheiratete Paare sollen nicht einfach «Der einzig richtige Weg» als Paket, sondern individuell besteuert Auch CVP-Ständerat Peter Hegglin sieht werden, so Feri. Der administrative Aufin der Individualbesteuerung neue Proble- wand, den die separaten Steuererklärunme, die zu lösen wären. «Zum Beispiel: gen mit sich brächten, könne problemlos Wo werden Kinderabzüge zugewiesen, wie bewältigt werden. «Die Steuererklärungen regelt man eine Gütertrennung, was pas- werden bereits heute vielfach elektronisch siert mit selbstständig Erwerbenden, wel- ausgewertet, das wird in Zukunft noch zunehmen.» Der Basler SVP-Nationalrat Sebastian Die Individualbesteuerung könnte das Problem der Heiratsstrafe lösen. foto: keystone Frehner hat die Initiative gegen die Heiratsstrafe unterstützt. Er denkt aber, dass «es nun langfristig in Richtung Individual besteuerung gehen» werde. «Es gibt kein Modell, das für alle gerecht ist. Deshalb muss es darum gehen, möglichst die gesellschaftliche Realität zu berücksichtigen.» Ob die Individualbesteuerung gerecht ist oder nicht, hänge vom Modell ab. «Ich kann es heute noch nicht beurteilen», sagt Frehner. Der Nationalrat berät die Individualbesteuerung bereits am 10. März. Die Finanzkommission hat eine entsprechende Motion eingereicht. Die Individualbesteuerung bleibt ein Modell, das die Heiratsstrafe aus dem Weg räumen könnte. Bei der bürgerlichen Mehrheit im Nationalrat hat das Modell jedoch einen schweren Stand. tageswoche.ch/+x0o7l× TagesWoche10/16 29 Politik und Prominenz Viele Promis vermeiden politische Aussagen, um niemanden zu verprellen. Knackeboul will aber wissen, was Musiker, Sportler und Moderatoren zu aktuellen Fragen zu sagen haben. aktiv. Wenn das so weitergeht, erleben wir hier eine Rückkehr zur tatsächlich gelebten direkten Demokratie. D Wie viel Politik verträgt die Kunst? Diese Entwicklung ist unter anderem abhängig von öffentlichen Personen, die sich äussern. Ich wurde kürzlich gefragt: Wie viel Politik verträgt die Kunst? Ich antwortete mit: Die Frage ist eher: Wie wenig verträgt sie? Doch viele sehen das anders. Wenn ich mich auf Facebook oder sonst wo politisch äussere, heisst es immer öfter: «Blib du gschider bi dire Musig!» Dieser Satz macht mich doppelt wütend. Knackeboul ist Rapper, Beatboxer Erstens, weil jeder, der meine Musik auch nur ansatzweise kennt, weiss, dass ich darund Publizist. in schon immer politische und geselltageswoche.ch/+rngvl schaftliche Themen behandelte. Und zweitens, weil hier so eine klare Schublade Teil will Bligg, der Erfinder der «Volks «Musik» gemacht wird. Ein Musiker macht musigg» und mehrfacher Platin-Alben- Musik, etwas mit Melodie und so, und Besitzer, nicht verlieren. Deshalb rettet er damit hat es sich. Wehe, er verlässt den für sich in der Live-Sendung, in der er die Fra- Musiker festgelegten Bereich! ge gestellt kriegt, mit einer Notlüge oder einer zuvor mit dem Management abgesprochenen Salamitaktik. er Rapper Bligg hat Ende Januar in einem Interview in der Sendung «Glanz & Gloria» auf die Frage, was er von der Durchsetzungsinitiative hält, geantwortet: «Ich habe mich zu wenig mit der Materie befasst und somit keine Meinung dazu.» Viele Leute reagierten empört, andere fanden die Empörung über diese Antwort schockierend. Ein Künstler könne sich schliesslich selbst entscheiden, ob er sich politisch äussern wolle oder nicht. Viele fanden sogar, es sei lästig, wenn Künstler und andere öffentliche Personen sich zu politischen Themen äussern. Nun, so wie es Bliggs gutes Recht ist, seine Meinung nicht zu äussern, ist es mein gutes Recht, dieses Verhalten feige zu finden. Bligg ist ein Musiker und ein Texter. Songs leben davon, dass der Künstler PhäVerhaltensgestörte Prominenz nomene beobachtet und diese in Text und Ton wiedergibt, deutet, vereinfacht, verOder noch besser: Cervelat-Promi-Takschleiert, romantisiert, spiegelt und insze- tik. Es handelt sich dabei um eine Verhalniert. Viele Künstler sind wie Schwämme, tensstörung, die grosse Teile der nationadie Tag für Tag Impressionen aufsaugen len Prominenz befallen hat. Profisportler und sich dann nachts in schummrigen dürfen sich nicht äussern, weil sie ihre Räumen in Songs, Bildern, Texten und Per- Sponsoren verärgern könnten, Moderatoren dürfen sich nicht äussern, weil sie das formances ausdrücken. Publikum nicht beeinflussen sollen, Leute aus dem Dienstleistungs-Sektor dürfen sich nicht äussern, weil ihr Arbeitgeber keine Kunden verlieren will, und der normale Bürger sollte sich nicht äussern, weil er keine Ahnung von Politik hat. Das Problem ist: Politik ist Alltag, Politik Bligg konnte die Diskussionen, die Pla- bestimmt über das Wertesystem unserer kate, den Streit gar nicht ignorieren. Natür- Gesellschaft oder umgekehrt. Sie hat mit lich hat er sich mit dem Thema befasst. uns ganz persönlich zu tun, mit unseren Natürlich hat er sich eine Meinung gebildet. Mitmenschen und unseren Nachfahren. Das Problem ist also nicht die fehlende Gerade in Zeiten globaler Instabilität und Meinung oder die Weigerung, sie zu äus- grassierender Verunsicherungen würde sern, sondern die Lüge, keine Meinung zu ich gerne wissen, was meine Mitmenschen, haben. (Fairnesshalber: Nachdem ihn ein meine Vorgesetzten, meine Vorbilder denModerator des Jugendsenders Joiz auf ken. Und zwar ehrlich. Facebook angegriffen hatte, reagierte Bligg Wenn sich niemand äussert, weil er niebeleidigt, stellte aber klar: «Du weisst genau, manden verärgern will, ist das äusserst dass ich Nein stimmen werde.») ärgerlich, eigenartig oder sogar verantwortungslos. Spätestens während des AbstimNotlügen aus Marketing-Kalkül mungskampfs zur DSI hat ein Wandel stattWieso wollte Bligg zunächst nicht ver- gefunden. Die Leute haben gemerkt, dass raten, wo er steht? Meine Vermutung: Mar- die Politik ganz konkreten Einfluss auf ihr keting! Ein erschreckend grosser Teil der Leben und das ihrer Mitmenschen hat. Schweizer hat die Durchsetzungsinitiative Deshalb übernehmen immer mehr Menund andere fragwürdige Vorstösse der so- schen aus der Bevölkerung Verantwortung, genannten Volkspartei befürwortet. Diesen äussern sich und sind dadurch politisch Ich würde gerne wissen, was meine Mitmenschen denken. Und zwar ehrlich. TagesWoche10/16 Überlassen wir die Kommentarspalten nicht den beleidigten Leberwürsten. Lassen wir uns nicht von diesem Quatsch beirren! Musiker, Bäcker, Pilotinnen und alle anderen: Lasst uns diskutieren und streiten – öffentlich, am Küchentisch und auf dem Stimmzettel. Überlassen wir das Politisieren nicht den Polterern und die Kommentarspalten nicht den beleidigten Leberwürsten. Solange wir Rassismus, Sexismus und Xenophobie nicht mit Meinung verwechseln, sollte jeder seine Ansichten äussern. Ich persönlich finde sogar: In Zeiten schrecklicher Kriege und von Menschen in Not in unserer Nähe müssten sich öffentliche Personen für Solidarität mit diesen Menschen aussprechen und plumpen Rassismus anprangern. Also, lieber Bligg, wieso nächstes Mal nicht ungefähr so antworten? «Ich finde, jeder sollte sich seine Meinung selbst bilden, aber ich persönlich stimme bei dieser wichtigen Initiative …» × 30 Bestattungsanzeigen Basel-Stadt und Region Basel, Trauerfeier im engsten Kreis. Chenaux-Müller, Frieda, von Ecuvillens/FR, 17.06.1930– 21.02.2016, St. JohannsRing 122, Basel, wurde bestattet. Cortese, Elisa, aus Italien, 31.05.1933– 28.02.2016, Riehenring 105, Basel, Trauerfeier: Arlesheim Mittwoch, 09.03., Saladin-Kunz, Lucie, 13.30 Uhr, Friedhof von Duggingen/BL, am Hörnli. 03.11.1921–29.02.2016, Bromhübelweg 15, Coster-Walliser, Ruth Stiftung Obesunne, Bertha, von Basel/BS, Arlesheim, Trauer18.10.1939–15.02.2016, feier: Dienstag, 08.03., Horburgstr. 54, Basel, 14.00 Uhr, AbdanTrauerfeier: Freitag, kungshalle Friedhof 04.03., 10.30 Uhr, Bromhübel, ArlesFriedhof am Hörnli. heim. Eckert, Roland, von Basel/BS, Leibstadt/ Basel AG, 07.05.1958– Armbruster-Eggli, 26.02.2016, GrellingerTheo, von Basel/BS, 07.09.1931–20.02.2016, str. 78, Basel, Urnenbeisetzung: Freitag, Horburgstr. 54, Basel, 04.03., 14.40 Uhr, Trauerfeier: Freitag, 04.03., 13.30 Uhr Fried- Friedhof am Hörnli. hof am Hörnli. Gubler-Kummer, Frieda, von Bäretswil/ Ashkuri-Heck, Sabah ZH, 04.06.1932– Yousif, von Küss18.02.2016, Hirzbrunnacht/SZ, 07.10.1936– nenstr. 50, Basel, 27.02.2016, Kleinwurde bestattet. hüningeranlage 23, Basel, wurde bestattet. Haag, Ruth Margrit, von Neuhausen am Baud-Bader, Maria, Rheinfall/SH, von Basel/BS, 15.09.1925–19.02.2016, 16.12.1919–21.12.2015, Nonnenweg 3, Basel, Alemannengasse 42, Basel, wurde bestattet. wurde bestattet. Hofer, Francine Erika, Biener-Allemann, von Basel/BS, Silvia Hulda, von 13.03.1946–16.02.2016, Basel/BS, 17.02.1938– Steinentorstr. 13, 20.02.2016, RudolfBasel, wurde bestattet. str. 15, Basel, wurde bestattet. Hüppi, Anton Othmar, von St. Gallenkappel/ Böhm, Gudrun, von SG, 02.05.1930– Basel/BS, 20.11.1939– 22.02.2016, Rixheimer- 26.02.2016, St. Johanns-Ring 122, str. 15, Basel, Trauerfeier im engsten Kreis. Basel, Trauerfeier im engsten Kreis. Bolzern-Pfister, Alfred, von Kriens/LU, Jakob, Robert, von 15.05.1940–22.02.2016, Langnau im Emmental/BE, 05.10.1950– Burgfelderstr. 67, Basel, wurde bestattet. 17.02.2016, Pfeffingerstr. 35 , Basel, wurde Borgeaud, Oscar bestattet. Joseph, von CollomJeck-Weingartner, bey-Muraz/VS, 03.07.1935–23.02.2016, Sonja, von Basel/BS, 20.11.1930–29.02.2016, Rixheimerstr. 35, General GuisanBasel, Trauerfeier: Str. 44, Basel, TrauerDienstag, 08.03., feier: Dienstag, 08.03., 15.00 Uhr, christkath. 14.00 Uhr, PaulusDorfkirche Allschwil. kirche. Buri-Prandi, Cristina, Jutzeler, Monique von Basel/BS, 13.09.1920–23.02.2016, Georgette, von Därstetten/BE, St. Alban-Vorstadt 83, Basel, wurde bestattet. 23.04.1927–18.02.2016, St. Jakobs-Str. 201, Ceramella, Pia, von Basel, wurde bestattet. Basel, 09.03.1953– 26.02.2016, Wattstr. 12, Allschwil Axt, Edmund Erwin, von Basel/BS, 29.06.1914–20.02.2016, Lerchenweg 54, Allschwil, Trauerfeier und Beisetzung: Freitag, 04.03., 14.00 Uhr, Besammlung Kapelle Friedhof Allschwil. Leupi-Pasteur, Simone Aline, von Luzern/LU, 29.02.1924–25.02.2016, Rosentalstr. 56, Basel, wurde bestattet. Leuzinger, Maja Gisela, von Glarus/GL, Netstal/GL, 18.06.1950–21.02.2016, Dorfstr. 26, Basel, wurde bestattet. LindenmannLehmann, Johann Adolf, von Basel/BS, 25.05.1923–06.02.2016, Birmannsgasse 19, Basel, wurde bestattet. Lüönd-Maurer, Gaston Josef, von Basel/BS, 07.12.1927– 26.02.2016, St. JohannsRing 122, Basel, wurde bestattet. Mergenthaler, Lilly, von Rheinfelden/AG, 04.03.1932–21.02.2016, Röschenzerstr. 21, Basel, wurde bestattet. Mittelmann-Denzer, Oskar, von Basel/BS, 26.08.1913–23.02.2016, Leimenstr. 67, Basel, wurde bestattet. Müller, Gaudenz, von Basel/BS, Bubendorf/BL, 22.11.1965– 22.02.2016, Müllheimerstr. 41, Basel, wurde bestattet. Rohde-Vögelin, Eberhard, von Basel/ BS, 16.07.1938– 20.02.2016, Kannenfeldplatz 5, Basel, wurde bestattet. Rossini, Carla Maria, von Valcolla/TI, 04.10.1950–26.02.2016, Sternengasse 27, Basel, wurde bestattet. Rufener-Heinzelmann, Eugen, von Blumenstein/BE, 12.02.1937–22.02.2016, Gundeldingerstr. 431, Basel, wurde bestattet. Schacht-Flaig, Hannelore, von Basel/BS, 20.05.1935–01.03.2016, Rudolfstr. 39, Basel, Trauerfeier: Montag, 07.03., 11.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. Stähelin-Kistler, Charlotte Gertrud, von Basel/BS, 02.03.1919–18.02.2015, Alemannengasse 107, Basel, wurde bestattet. Stalder-Baur, Edeltraud, von Basel/BS, 08.01.1951–24.02.2016, Rosentalstr. 29, Basel, Trauerfeier im engsten Kreis. Stebler-Aegerter, Heidi, von Basel/BS Zullwil/SO, 17.04.1931– 24.02.2016, Im Rankhof 4, Basel, wurde bestattet. Steiner-Hirth, Johanna, von Dürrenäsch/AG, 26.12.1928– 18.02.2016, Zürcherstr. 143, Basel, wurde bestattet. Stocker-Gietl, Maria Walburga, von Basel/ BS, 04.10.1938– 24.02.2016, Im Burgfelderhof 35, Basel, Trauerfeier: Freitag, 04.03., 15.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. Strahm, Helena Margherita, von Basel/BS, 10.04.1957–20.02.2016, Davidsbodenstr. 42, Basel, wurde bestattet. Tenger-Doppler, Alfred, von Basel/BS, 29.04.1924–20.02.2016, Gellertstr. 138, Basel, wurde bestattet. Thommen-Teuscher, Elisabeth, von Basel/ BS, 06.06.1917– 23.02.2016, St. AlbanVorstadt 85, Basel, wurde bestattet. Urban-Ramseier, René Emil, von Basel/ BS, 25.07.1944– 29.02.2016, Rudolfstr. 39, Basel, Trauerfeier: Dienstag, 08.03., 10.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. Wild-Rohrer, Rita Rosa, von Basel/BS, 18.12.1925–21.02.2016, Dornacherstr. 37, Basel, wurde bestattet. Wyss-Monnier, Elsbeth, von Basel/BS, 14.05.1925–19.02.2016, Hebelstr. 47, Basel, Trauerfeier: Freitag, 04.03., 14.00 Uhr, St. Margarethenkirche, Binningen. Zinck-Senn, Robert, aus Frankreich, 27.01.1943–25.02.2016, Rämelstr. 3, Basel, Trauerfeier: Dienstag, 08.03., 11.30 Uhr, Friedhof am Hörnli. Birsfelden Christener-Stoffel, Virginia, von Oberdiessbach/BE, 26.08.1922–23.02.2016, Fröschenweg 8, Birsfelden, Abdankung: Freitag, 04.03., 14.00 Uhr, Besammlung Friedhof Birsfelden. Muttenz Geleick, Horst, von Muttenz/BL, 29.08.1920–25.02.2016, Tramstr. 83, APH Zum Park, Muttenz, Urnenbeisetzung: Freitag, 04.03., 14.00 Uhr, Friedhof Muttenz. Widemair, Markus, von Lausen/BL, 21.03.1960–20.02.2016, Hofackerstr. 2, Muttenz, wurde bestattet. Ormalingen Nussbaum, Max, von Mirchel/BE, 13.02.1928–28.02.2016, Hauptstr. 65, Ormalingen, Bestattung: Mittwoch, 09.03., 14.30 Uhr, Friedhof Ormalingen. Reinach Bohny, Philippe, von Frenkendorf/BL, 07.05.1955–17.02.2016, Sonnenhofring 14, Reinach, wurde beigesetzt. de Lange-Tschanz, Heidi, von Sigriswil/ BE, 17.07.1935– 26.02.2016, Keltenweg 46, Reinach, Trauerfeier und Urnenbeisetzung: Mittwoch, 09.03., 10.30 Uhr, Friedhof Fiechten, Reinach. Dettli-Spillmann, Heidi, von Sufers/GR, 07.09.1926–26.02.2016, Aumattstr. 79, Reinach, Trauerfeier und Urnenbeisetzung: Mittwoch, 09.03., 14.00 Uhr, Friedhof Fiechten, Reinach. Feigenwinter-Faller, Anna, von Reinach/ BL, 05.05.1924– 27.02.2016, Aumattstr. 79, Reinach, Trauerfeier und Urnenbeisetzung: Dienstag, 08.03., 14.00 Uhr, Friedhof Fiechten, Reinach. Gschwind-Tscheppe, Paul, von Therwil/BL, 22.12.1940–23.02.2016, Neueneichweg 6, Reinach, Urnenbeisetzung im engsten Familienkreis. Ramuz-Rohrer, Martha, von Sullens/ VD, 11.10.1928– 23.02.2016, (Aufenthalt in Reigoldswil, APH Moosmatt), Reinach, Urnenbeisetzung im engsten Familienkreis. Walt, Werner, von Eichberg/SG, 23.08.1938–29.02.2016, Aumattstr. 11, Reinach, Urnenbeisetzung im engsten Familienkreis. Riehen Eppenberger-Wehrle, Fritz Walo, von Basel/ BS, 17.01.1939– 23.02.2016, Chrischonaweg 113, Riehen, Trauerfeier: Freitag, 04.03., 14.00 Uhr, Kapelle Wolfgottesacker. Müller, Kurt Erwin, von Basel/BS, 22.03.1939–19.02.2016, Lörracherstr. 108, Riehen, wurde bestattet. Nussbaumer, Regina, von LüterkofenIchertswil/SO, 25.11.1923–26.02.2016, Schützengasse 66, Riehen, Trauerfeier: Montag, 07.03., 14.00 Uhr, Gemeinde der Mennoniten Schänzli, Pestalozzistr. 4, Muttenz. Zils, Nina Marianne, aus Deutschland, 29.04.1924–16.02.2016, Inzlingerstr. 230, Riehen, wurde bestattet. laufend aktualisiert: tageswoche.ch/todesanzeigen TagesWoche10/16 Um gegen Kretschmann (rechts) zu punkten, müsste Guido Wolf (CDU) sich von Parteichefin Merkel distanzieren. foto: keystone Wahl in Baden-Württemberg In Baden-Württemberg will die CDU zurück an die Macht. Das wird ihr kaum gelingen, denn der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann kommt sogar in der Union gut an. Die CDU hat schon fast verloren von Franz Schmider A m Ende kommt es ganz hart für Guido Wolf, den Spitzenkandidaten der CDU. Mehr als eine Stunde lang haben zwei Redakteure der «Badischen Zeitung» ihn befragt und versucht, ihn auf Positionen festzu legen. Wolf hat sich routiniert aus der TagesWoche10/16 Affäre gezogen, war elegant im Ungefähren geblieben. Dann meldet sich das Publikum zu Wort: «Was soll ich wählen, wenn ich mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel nicht einverstanden bin?», will eine Frau wissen. Anschliessend erhebt sich ein Mann: «Was soll ich wählen, wenn ich Frau Merkels olitik unterstützen will?» Das Publikum P lacht, der befragte Politiker schluckt leer. Dass Guido Wolf auf beide Fragen die gleiche Antwort gibt – «natürlich CDU pur» – erstaunt nicht. Es ist Wahlkampf und Wolf will in die Villa Reitzenstein in Stuttgart, wo 32 der Ministerpräsident des Landes residiert und wo nach Wolfs Überzeugung ein Christdemokrat amten sollte. Dass sich dort seit fünf Jahren ein Grüner breitmacht, ist für einen aufrechten Unionsmann ein Betriebsunfall der Geschichte, der korrigiert werden muss. Die nächste Chance dazu kommt am 13. März, dann wird der Landtag neu gewählt. Den Grünen loszuwerden wird allerdings nicht einfach. Zumal da dieses leidige Flüchtlingsthema in der Welt ist und dazu die Bundeskanzlerin mit ihrer Wirschaffen-das-Politik. In Angela Merkel, jahrelang das Zugpferd der Union, sehen viele in der Partei zunehmend eine Belastung. Sich von der eigenen Parteivorsitzenden zu distanzieren verbietet sich für einen loyalen Menschen wie Wolf, zumal angesichts der Verdienste Merkels. und verlässlich. Er strahlt weniger den Willen zur Macht aus, als dass er die Last verkörpert, welche die Verantwortung mit sich bringt. Wenn das Modewort authentisch auf jemanden in der Politik zutrifft, dann auf Kretschmann. Gefragt, ob Marokko, Tunesien und Algerien nicht doch zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollten, sagt Kretschmann: «Ich weiss es nicht, ich muss das prüfen und bewerten und mal in Ruhe darüber nachdenken. Denn das hat ja Konsequenzen.» Da ist einer, der es sich nicht leicht macht. Wie Teufel ist Kretschmann in seiner Wertehaltung eher konservativ, aus seiner studentischen Kampfzeit beim Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) hat er sich bewahrt, keinem Streit aus dem Weg zu gehen. Er legt sich mit alten Weg gefährten wie der Lehrergewerkschaft Der Grüne betet für Merkel oder den Gegnern des neuen Stuttgarter Aber es rumort an der Basis, auch das ist Hauptbahnhofes ebenso an wie mit jenen Wolf nicht entgangen. Er spüre die wach- Naturschützern, die Fledermäuse und sende Ungeduld, sagt er. Seither setzt er Auerhähne gegen den Bau von Windrädern sich vorsichtig von der Bundeskanzlerin ab. in Stellung bringen. Zuletzt forderte er Kontingente für die Einreise von Flüchtlingen, eine Obergrenze – also genau das, was Merkel ablehnt. Das Grundrecht auf Asyl kenne keine Obergrenze, lautet ihr Bekenntnis. Das verbindet Merkel mit Winfried Kretschmann, dem grünen Amtsinhaber in Baden-Württemberg. Er bete jeden Tag für sie, bekannte der bekennende Katholik unlängst. Er werde sie nach Kräften unterstützen, sagt er. Das ist natürlich ein Stich ins Herz vieler Christdemokraten. Sie nennen «Wenn wir den Klimawandel nicht verKretschmann mittlerweile einen Stalker hindern, gibt es hier überhaupt keinen und haben jetzt sogar die Kanzlerin aufge- Lebensraum mehr für Auerhühner», konfordert, sich vom grünen Ministerpräsi- terte er bei einer Diskussion einen Vogelschützer. Solche Auftritte bringen ihm denten zu distanzieren. Die Politik steht Kopf in Deutschland in Respekt ein, auch bei Konservativen. Bei diesen Wochen, ganz besonders gilt dies alledem regiert er mit ruhiger Hand. (Mehr für Baden-Württemberg, wo die Nervosität zu Kretschmann lesen Sie im Porträt auf nochmals grösser ist. Bei der Landtagswahl der Seite gegenüber.) 2011 sackte die CDU nach 58 Jahren DauerIm Herbst beschloss die CDU deshalb herrschaft auf 39 Prozent ab und verlor die an einer Strategiesitzung, der Name Regierungsmehrheit im Parlament an die Kretschmann solle im Wahlkampf im besvon den Grünen geführte Koalition. ten Fall gar nicht fallen. Das geht nun nicht. Bei den Christdemokraten schrieb man Denn in diesem Wahlkampf wird nicht über das den besonderen Umständen jener Wo- die Politik des Landes debattiert, sondern chen zu: Der Streit um den Stuttgarter über die Flüchtlingskrise gestritten. Und Bahnhofsneubau war gerade eskaliert, es dabei ist Kretschmann für die Bundeskanzgab hässliche Bilder eines Polizeieinsatzes lerin ein verlässlicher Gesprächspartner, gegen Bürger, in Fukushima brannten zwei Unterstützer und Brückenbauer zu andeWochen vor der Wahl auch noch ein paar ren Milieus. Atomreaktoren durch. Die Flüchtlingsfrage dominiert Zudem führte 2001 mit Stefan Mappus ein konfrontativer Dickkopf die Regierung, Dabei steht am 13. März nicht zur Entder die Sehnsucht nach einem Landesvater scheidung an, wie das Land künftig mit so gar nicht bediente. Die nun ablaufende Flüchtlingen umgehen wird. Denn es beLegislatur war für die CDU eine Phase der trifft nicht die Kompetenz der Länder. Die Besinnung und Neuaufstellung, um 2016 sind zuständig für Bildungspolitik und wieder den angestammten Platz an den Polizei, für Hochschulen und Teile des VerSchalthebeln der Macht einzunehmen. kehrs, für Naturschutz und Energie, den Und jetzt das: Winfried Kretschmann Bau von Gefängnissen und Krankenhäuerfreut sich mit einer Zustimmungsquote sern. Es fehlt nicht an Themen in der Lanvon 72 Prozent einer Beliebtheit im Land, despolitik. Doch all dies tritt zurück hinter dass gegen ihn keine Wahl zu gewinnen ist. die Flüchtlingsfrage. Die Gründe dafür sind vielfältig. KretschDas führt auch dazu, dass aus dem Wettmann ist ruhig und besonnen, verbindlich streit der vier im Landtag vertretenen Par- Die CDU beschloss, der Name Kretschmann solle im Wahlkampf gar nicht fallen. Doch das geht nun nicht. Weiterlesen Eine Auslegeordnung zu den Parlamentswahlen in BadenWürttemberg finden Sie online: tageswoche.ch/ +owzzv teien sowie der Linken und der AfD ein Zweikampf zweier Spitzenkandidaten geworden ist. Auch sackt die SPD nach dem historisch schlechten Abschneiden vor fünf Jahren mit 23 Prozent weiter ab, sie darf laut Umfragen noch mit etwa 16 Prozent rechnen. Und die FDP wird zwar wieder die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, aber von einem zweistelligen Resultat wie noch 2006 kann sie nur träumen. Konsequenzen für ganz Deutschland Die Wahl in Baden-Württemberg könnte weitreichende Konsequenzen haben. Zum einen ist nicht mehr ausgeschlossen, dass die Grünen die CDU überholen und erstmals in einem Landesparlament stärkste Kraft werden. Damit müsste die CDU als Juniorpartner in eine Koalition eintreten – was Wolf bereits ausschloss. Da alle Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen, könnte die Regierungsbildung schwer werden. Zudem wird am 13. März auch in Rheinland-Pfalz gewählt. Schafft es die CDU nicht mindestens in einem der Länder, wieder den Ministerpräsidenten zu stellen, könnte es innerparteilich sehr eng werden für Angela Merkel. tageswoche.ch/+4viy2× Spezielle Ethik der Verantwortung: Winfried 33 Wahl in Baden-Württemberg Der freie Mensch habe die Pflicht, sich in den Lauf der Dinge einzumischen: «Die einzige Verabredung, die unsere Freiheit mit der äusseren Welt hat, ist das Jetzt.» Die Geschichte kennen, aber nicht darin weiterleben. Und nicht von der Zukunft schwärmen, sondern die Gegenwart gestalten. Nicht dass diese Rede in Deutschland gross beachtet worden wäre. Aber in ihr legt Kretschmann dar, wofür er steht. Er hat gegen den Bau des Tiefbahnhofes in Stuttgart gekämpft. Aber nachdem die Volksabstimmung anders ausgefallen war, legte er der Bahn keine Steine mehr in den Weg. Dafür musste er sich von einstigen Weggefährten böse Worte gefallen lassen. Er sehe sich in seinem Amt auch an Beschlüsse gebunden, die er nicht teile, sagt Kretschmann. Das gilt auch für ein Thema, das bei seivon Franz Schmider ner Klientel besonders emotional diskutiert wird. Das Land hat im vergangenen Jahr ätten die Bürgerinnen und Besuch in der Schweiz hat Kretschmann an doppelt so viele abgelehnte Asylbewerber Bürger in Baden-Württemberg der Universität Zürich eine Rede gehalten, abgeschoben wie im Jahr 2014. Lokale Initidie Möglichkeit, den Minister- die auf besondere Weise deutlich macht, ativen werfen der grün-roten Regierung präsidenten direkt zu wählen, was ihn bewegt, was ihn zur Politik ge- Verrat an alten Idealen vor. Kretschmann die Sache wäre gelaufen: 72 Prozent der bracht hat und was die Grundlage seines hält dagegen, er sei dem Rechtsstaat verMenschen sähen den amtierenden Win- Handelns ist. Es ist seine spezielle Ethik der pflichtet. Zugleich setzt er ein Zeichen und fried Kretschmann gerne weiter im Amt. Verantwortung. holt 1000 jesidische Frauen nach BadenDer erste grüne Ministerpräsident in Württemberg, die von IS-Terroristen drangKünftigen Generationen verpflichtet Deutschland findet nicht nur im rot-grünen saliert und missbraucht wurden. Alle KosMilieu Unterstützung. Selbst ansonsten Kretschmann setzte sich in dem Vortrag ten, auch für die psychologische Betreuung, treue CDU-Wähler unterstützen ihn. mit der Schweizer Philosophin Jeanne übernimmt das Land. Wer diese enorme Zustimmung verste- Hersch auseinander, mit ihrem Begriff von Kretschmann ist selbst Lehrer und hen will, muss nach Zürich schauen. Dort Freiheit, ihrem Verständnis von der Verant- Gewerkschafter. Aber mit keiner Gruppe hat Kretschmann im September 2012 eine wortung des Einzelnen für das Gemein geriet er so über Kreuz wie mit ihnen. Er Art Regierungserklärung abgegeben. Nicht wesen, aber auch den Pflichten, die sich aus könne nun mal den Landeshaushalt nicht im Sinne eines Arbeitsprogramms, dessen der Freiheit ergeben. «Es gibt keine Freiheit in Ordnung bringen und Schulden abbauVorstellung gehört in das Parlament. Beim ohne Verantwortung», zitierte er Hersch. en und den grössten Posten, die Gehälter, aussparen. Und er könne bei den Gehältern Kretschmann setzt auch Beschlüsse um, die gegen seinen Willen fielen. foto: keystone nichts kürzen, wenn er die grösste Gruppe, die Lehrer, ausnehme. Dafür wurde er bei Gewerkschaftstagen ausgepfiffen. Er lenkte zwar in einigen Punkten ein, blieb aber seiner Linie treu: Das sei seine Pflicht gegenüber künftigen Generationen. Ministerpräsident Kretschmann geniesst in der Bevölkerung grossen Rückhalt. Das verdankt er vor allem seinem Rückgrat. Das Volk würde den Unverbiegbaren wählen H Lokale Initiativen werfen der grün-roten Regierung Verrat an alten Idealen vor. Kretschmann hält dagegen, er sei dem Rechtsstaat verpflichtet. Diese Grundhaltung hat dem Ministerpräsidenten im Laufe der Jahre viel Respekt und Wertschätzung eingebracht. Wertschätzung auch in dem Sinne, dass da jemand regiert, der über ein solides Wertefundament verfügt, über einen Kompass. Und der sich danach richtet – ohne sich durch kurzfristige Stimmungen von seinem Kurs abbringen zu lassen. Und da dieser Kurs zudem eher grün-konservativ ist, scheint er für die Mehrheit besonders gut zu dem Land zu passen. tageswoche.ch/+fr00z× 34 Netflix Einst ein Start-up, heute der Retter des Fernsehens? Netflix wagte ein Experiment, und fast alle haben gewonnen. Wie und warum, schildert unser Autor. Die Revolution des Fernsehens hat einen Namen Im Pantheon: «House of Cards» brachte Netflix einen Grosserfolg. foto: keystone von Nik Frankenberg I m Fernsehen läuft aktuell das beste Programm aller Zeiten. Das liegt nicht etwa daran, dass bei den Sendern plötzlich Mut und Kreativität aus den Wänden sickern. Vielmehr hat der Begriff «Fernsehen» den Rahmen der raumdominierenden Flimmerkiste gesprengt und bedeutet heute etwas ganz anderes. Wir sitzen zwar immer noch mit glasigem Blick vor einem Bildschirm und ignorieren jegliche Forschungsergebnisse zur Wichtigkeit von ausreichendem Schlaf. Aber wir haben ein gewisses Mass an Freiheit zurückgewonnen. Wir bestimmen, was läuft, wann es läuft und auf welchem Gerät, haben eine immense Auswahl an hochwertiger Unterhaltung und müssen dabei nicht einmal Werbung ertragen. Serien erobern den Thron Grossen Anteil daran hat Netflix, der Streaming-Dienst mit Sitz im kalifornischen Los Gatos. 1997 gegründet, baute das Start-up-Unternehmen einen florierenden DVD-Postverleih auf und setzte zehn Jahre später auf das Streamen von Filmen übers Internet per Flatrate. Einige Fehlentscheide später darf man auch dank der glücklich schlafenden Konkurrenz resümieren, dass insgesamt das meiste richtig gemacht wurde: Heute verfügt Netflix über 74 Millionen Abonnenten, 44 Millionen davon in den USA, der Rest in bald 200 Staaten weltweit. Optimistischen Prognosen zufolge, werden die Nicht-USAbonnenten 2017 in der Überzahl sein. TagesWoche10/16 35 Im Gegensatz zur Musikbranche, die nach wie vor mit der unentgeltlichen Verfügbarkeit ihres Produktes hadert, nahm die Filmindustrie die innovativen Verbreitungstechnologien des Internets ernst und sass an den Verhandlungstisch. Netflix konnte sich so schon früh die Senderechte an einem umfangreichen Film- und Serienkatalog sichern. Von den grossen TV-Netzwerken noch gnädig belächelt, etablierte sich Netflix rasch als Archiv abgelaufener Staffeln aktueller Serien. Und siehe da: die Emanzipation des Kunden lohnte sich, offenbar zahlt man durchaus gerne für Inhalt auf dem Netz, sofern der Preis für Benutzerfreundlichkeit tiefer ist als der empfundene Stress beim mühsamen Suchen in den dubiosen Hinterhöfen des Internets. Bald machte Netflix 30% des Downstream-Internetverkehrs der USA aus, rund doppelt so viel wie Youtube. Danach begann man, das Feld auch künstlerisch von hinten her aufzurollen. Illegale Downloads und eine hilflos innovationsfeindliche Hollywood-Industrie hatten das Kino des westlichen Kulturkreises im neuen Jahrtausend in eine kreative Sackgasse getrieben. Unter der heimlichen Führung des Pay-TV-Senders HBO erkämpften sich Serien zunehmend den Thron packenden Storytellings und holten punkto Bildqualität und Spezialeffekte zunehmend auf. Im Gegensatz zur Musikbranche nahm die Filmindustrie die neuen Technologien ernst. Spannungsbögen zogen sich nun über 5 x 12 Stunden statt 90 Minuten und kamen vermehrt als ganzes Paket daher, sei es nach Ablauf der regulären, klassisch wöchentlichen Ausstrahlungs- Frequenz in einer DVD-Box oder illegal aus dem Netz. Wer zum Beispiel die Urmutter aller Super-Serien, die «Sopranos», verpasst hatte oder als Nicht-Amerikaner gar nicht erst angeboten bekam, fand die kompletten sechs Staffeln entweder bald bei Ex Libris oder auf diversen Downloadportalen. Eine Woche später kroch man mit geröteten Augen ins Tageslicht zurück und bemühte sich standhaft, den neu angeeigneten NewJersey-Slang wieder loszuwerden. Und so ging es weiter mit der Bestatterfamilie von «Six Feet Under», der Baltimore-Parabel auf die hässliche Seite des amerikanischen Traums in «The Wire», Jack Bauers brachialem Antiterrorkampf in «24», «Breaking Bad», «Mad Men», «Homeland» und so weiter. Netflix hatte aufgepasst, sich seine Notizen gemacht und beschloss ein neues Wagnis: die erste eigene Grossproduktion. Für den Preis eines mittleren HollywoodBlockbusters wurden zwei Staffeln von «House of Cards» quasi im Sack gekauft TagesWoche10/16 und nach Produktionsende jeweils komplett ins Netz gestellt. Das unmässige «Binge-Watching» (Komaglotzen) hatte auf einmal den Segen des Urhebers und wurde endgültig salonfähig. Dass die David Fincher/Kevin SpaceyKollaboration von Publikum und Kritikern prompt in den Pantheon der besten Serien aller Zeiten erhoben wurde, war nicht nur Glück: Netflix bewies ungewohntes Vertrauen und überliess den Machern den Final Cut. Mit ein Grund, warum diese mit ihrem Projekt nicht bei einem anderen Mitbieter landeten. Netflix bleibt werbefrei Netflix hatte ein Echtzeit-Legalisierungs-Experiment durchgeführt, und (fast) alle hatten gewonnen: Die Zuschauer bekamen tolle Unterhaltung ohne Werbeun terbrechung, kreative Köpfe konnten ihre Ideen verwirklichen und Netflix selbst wurde zu einem ernstzunehmenden Player der Unterhaltungsindustrie. Überspitzt gesagt: Dieser Coup verdeutlichte, wie Fernsehen nach fast drei Jahrzehnten des allgemein akzeptierten, aber auch hilflos beobachteten Niedergangs wieder anfing, Sinn und Spass zu machen. Als Neo-Produzent sieht sich Netflix heute mit neuen Konkurrenten konfrontiert. Hulu, das Kooperations-Videoportal von NBC, ABC und FOX, oder Amazon Prime, das die Unterhaltungs-Flatrate als Bonus im Premium-Liefer-Abo integriert. Vor allem aber ist es der bereits erwähnte Pay-TV-Kanal HBO («Game of Thrones», «True Blood», «Homeland»), der mit doppelt so vielen Global-Abonnenten und neuerdings vergleichbaren Streaming-Angeboten ein ähnliches Portfolio mitbringt, angesiedelt irgendwo zwischen Produzent und Verteiler. Um inhaltlich mitzuhalten, investiert Netflix massiv in neue Produktionen. Dank dem Frauenknast-Drama «Orange Is the New Black», Kokain-Papst Pablo Escobars halb in Spanisch gesprochener Biografie «Narcos», der True-Crime-Doku «Making A Murderer» oder der etwas nervigen Westcoast-Hipster-Romanze «Love» hält sich das Image eines Unterhaltungs-Davids, dem Qualität und Experimentierfreudigkeit am Herzen liegen und der anders ist. Tatsächlich pfeift Netflix auf die altertümlichen Instrumente seiner Goliath-Konkurrenz: Es bleibt werbefrei und veröffentlicht keine Einschaltquoten (Ratings). Irritierendes Quoten-Embargo Auch HBO spielte in seinen Anfangsjahren den «No ratings, just content»-Underdog. Manche Mitarbeiter sollen hinter vorgehaltener Hand jenen Zeiten nachtrauern, als man selbst noch anders war als der Rest. Bei den klassischen Networks wie ABC, NBC, CBS oder FOX haben Ratings eine wirtschaftliche Kontrollfunktion, mit direkter Wirkung auf den weiteren Verlauf einer Serie. Gute Ratings treiben Werbeeinnahmen nach oben und erhöhen damit den Markt- wert einer Serie, ihrer Schauspieler und ihrer Entwickler. Die Schattenseiten dieses Systems: wirtschaftlicher Erfolgsdruck, der eine gelobte Serie nach einer Staffel unter den Erwartungen rasch ins Archiv befördert, oder Werbekunden, die inhaltlichen Einfluss nehmen, um ihre Zielgruppe nicht zu vergraulen. Ganz offiziell verweigert Netflix just aus diesem Grund den eigenen Filmemachern den Ratings-Einblick. Chief Content Officer Ted Sarandos sagt dazu, man wolle die kreative Arbeit nicht mit unnötigem Druck belasten. Die Ratings-Verweigerung irritiert die Branche, weil alle Mitwirkenden davon abhängig sind, dass ihre Arbeit wirtschaftlich quantifiziert werden kann. Im Allgemeinen akzeptiert man das Verhalten aber noch: Es handle sich um eine noch junge Verbreitungstechnologie, die sich mit steigender Etablierung sowieso irgendwann den üblichen Vorgängen zu unterwerfen habe. Netflix verweigert Regisseuren den RatingsEinblick, um sie nicht mit Zahlen zu belasten. Vereinzelt wird geunkt, Netflix halte mit der Schweigetaktik auch seine scheinbar schiefen Finanzen geheim. Medienanalyst Michael Pachter sieht eine tickende Zeitbombe, es werde zu viel investiert. Ohne eine markante Preiserhöhung drohe ein Rückgang der hochgelobten OriginalProduktionen. Der wahre Kern des Quoten-Embargos liegt aber wohl im Wert der Viewerdaten für Netflix selbst: Neue Produktionen werden anhand konkreter Zahlen in Auftrag gegeben und sollen massgeblich dafür verantwortlich sein, dass praktisch jede Eigenproduktion der letzten Jahre zu einem Hit wurde. Es klingt logisch: Lass die Leute selber bestimmen, was sie schauen wollen, und dann gib ihnen mehr davon. Darin liegt diese Revolution des Fernsehens, die eigentlich keine sein sollte. Bleibt zu hoffen, dass dieser Balanceakt zwischen Innovation und Massentauglichkeit nachhaltig funktioniert und das Angebot vielseitig und mutig bleibt. tageswoche.ch/+bvxp0× 36 20 Jahre BScene Was hat die Jubiläumsausgabe zu bieten? Vereinspräsidentin Jennifer Jans und der Medienverantwortliche Fabio Gfeller über Club- und Bandauswahl, Festivalstrategie und Konzertgagen. «Wir wollten den Nostalgiefaktor erhöhen» von Marc Krebs W as 1997 mit dem Untertitel «Songtage der Region Basel» begann, ist zum festen Bestandteil der hiesigen Festivallandschaft gewachsen. BScene steht für zwei Nächte, in denen jeweils ein paar Tausend vorwiegend jüngere Menschen an Konzerte pilgern. Was hat die Jubiläumsausgabe zu bieten? Wie positioniert sich das Festival? Und wie kommt die Auswahl zustande? Das haben wir Jennifer Jans (28 Jahre, Programmleiterin und Vereinspräsidentin) und Fabio Gfeller (23 Jahre, Medienverantwortlicher) gefragt. 20 Jahre BScene: Das weckt Erwartungen. Ist das Programm spezieller als sonst? Jans: Ich glaube schon, ja. Nebst mehreren Plattentaufen jüngerer Künstler präsentieren wir in diesem Jahr auch einige Bands, die Teil der langen Geschichte der BScene sind. Zum Beispiel die Lovebugs, die schon beim allerersten Festival auf traten. Sie geben an der BScene ihr erstes Konzert seit ungefähr zwei Jahren und werden nebst Klassikern auch ein paar neue Songs ihres kommenden Albums spielen, was uns sehr freut. Auch zu erwähnen wären Shilf, die ebenfalls 1997 erstmals an der BScene auftraten. Heisst das, dass nicht nur eine Jury die Musik ausgewählt hat, sondern auch der Vereinsvorstand? Jans: Genau. Wir haben speziell für das 20. Jubiläum eine Wunschliste erstellt und die Bands direkt angefragt. Für den runden Geburtstag der BScene wollten wir g ewisse Bands unbedingt dabeihaben. Welche Aufgabe hatte denn die Jury? Jans: Keine leichte – sie musste aus 430 Anmeldungen eine Auswahl treffen. In den ersten BScene-Jahren war die Anzahl der Bewerbungen noch bei 140. Das heisst, immer mehr Musiker und Bands möchten an der BScene spielen. Jans: Ja, genau. Am Anfang war das Festival nur mit lokalen Acts programmiert. Dass Sie heute mehr Anmeldungen erhalten, erklärt sich sicher auch durch die Öffnung des Festivals. Jans: Richtig. Heute erhalten wir Bewerbungen aus der ganzen Schweiz und auch TagesWoche10/16 «Hätte die goldenen Zeiten gern miterlebt.» Bei der Erstausgabe der BScene war Jennifer Jans erst achtjährig. TagesWoche10/16 Foto: nils fisch 38 Online Was, wann, wo? Orientierungshilfe im BSceneProgramm finden Sie online: tageswoche.ch/ 2kjha Jans: Im Vergleich zu anderen Festivals zahlen wir eine sehr gute Gage. Was heisst das, eine sehr gute Gage? Jans: BScene begann mit Gratis-Gagen, mittlerweile zahlen wir im Schnitt 100 Franken pro Musiker. Natürlich könnte man sich noch mehr wünschen. Es geht dabei aber um die Plattform und nicht darum, viel Geld zu machen. Aber Sie machen ja auch grosse Einnahmen an den Kassen. Jans: Doch muss man sehen, dass wir dafür auch sehr grosse Auslagen haben. Der Vereinsvorstand arbeitet zwar ehrenamtlich, aber wir betreiben eine Geschäftsstelle, kommen nebst Gagen auch fürs Catering, die passende Technik oder eine Clubpauschale auf. Alles, was eingenommen wird, investieren wir in die nächste Ausgabe des Festivals. Was bringt die Geschäftsstelle? Gfeller: Eine Professionalisierung des Festivals und der Vereinstätigkeit. Läuft das Festival durch die Professionalisierung nicht Gefahr, weniger zu überraschen? Jans: Wir versuchen, immer wieder zu überraschen. In diesem Jahr etwa gibt es einen grossen BScene-Chor, der sich aus dem Basler Stimmbänder Chor, dem Beizenchor, dem Singvoll Chor und weiteren singfreudigen Personen zusammensetzt. Sie haben A-cappella-Versionen von Basler Popsongs einstudiert. Ihr Auftritt in der Kasernen-Reithalle ist der grosse Opener des Festivals. Jennifer Jans und Fabio Gfeller: «Die BScene ist heute ein Begriff.» Foto: Nils fisch Zu den beständigen Programmpunkten gehört der Grand Beatbox Battle. von internationalen Bands. Der Grossteil Ein Politikum ist noch immer die Jans: Richtig. Dieses Jahr findet er im der Anmeldungen kommt aber noch Ausweitung des Programmes auf Volkshaus statt. Die Beatboxer sind ja eine internationale Bands. immer aus der Region. verschworene Gemeinschaft … Gfeller: Wir haben dieses Jahr bewusst Jans: Die letzten Jahre haben gezeigt, Gfeller: Das ist ein riesiger Event, nebst mehr regionale Musiker engagiert als in dass wir mit dieser Strategie auf dem richti- den Weltmeisterschaften der grösste Anden Vorjahren. Hinzu kommt, dass sich gen Weg sind, dass die Durchmischung lass für diese Szene. Und auch für Aussenstehende sehr interessant mitzuverfolgen. auch immer mehr regionale Bands bei der auch vom Publikum begrüsst wird. BScene bewerben. Früher liessen sich Aber notwendig wäre das nicht. Auf Youtube erreicht BScene dadurch eine manche Bands bitten oder verpassten es, Festivals gibt es viele, einzigartig grosse Ausstrahlung, der grösste Teil der Anmeldefristen einzuhalten. Das hat sich macht die BScene die lokale Szene. internationalen Besucher kommt für zum Positiven verändert. Jans: Und auf die möchten wir auch nie diesen Beatbox Battle. Aber wir hoffen Die Bands sind zuverlässiger verzichten. Von den 60 Slots sind nur vier natürlich, dass auch Szenenfremde dort g eworden? an internationale und zehn an nationale reinschauen, das Volkshaus liegt ja an der Jans: Könnte man daraus schliessen, Acts gegangen. Der Rest ist regionaler BScene-Street. ja. BScene ist heute allen ein Begriff – und Herkunft. Wir möchten einen Austausch Was meinen Sie mit der «BScenedie Plattform möchten viele Bands gerne ermöglichen. Street»? nutzen. Gfeller: Wir wollten in diesem Jahr eine Sie müssen keinen Kniefall mehr Strecke schaffen, die acht Bühnen beinhalmachen bei einigen Bands? tet. Vom Hirscheneck bis zur Lady Bar, die Jans (lacht): Nein, nicht wirklich. Wobei wir vor ihrem Ende noch einbinden wollten. Im Vergleich zu früheren Ausgaben die BScene das auch nie wirklich machen verzichten wir dafür auf Satelliten. Ziel ist musste, so weit ich weiss. es, den Besuchern kurze Wege zwischen Aber es gab schon Bands, die sich im Jahr 2016 bitten liessen? den Lokalitäten zu ermöglichen. Das FestiJans: Klar. Aber wer das war, ist nicht von val-Feeling, dass von Club zu Club gepilgert grosser Bedeutung. Jennifer Jans wird, wollten wir wieder verstärken. Ach, kommen Sie! Sind die Leute denn nicht mehr so lauffreudig? Nein. Gfeller: Und das Publikum anregen, das Wie ist denn das Verhältnis von Anfraso Basler Bands entdeckt. Und umgekehrt. Gfeller: Ich bin zu jung, um das mit den gen und Eingaben? Aber wenn Sie auf die internationalen ersten zehn Jahren BScene vergleichen zu Bands verzichten würden, könnten Sie können. Aber es ist sicher so, dass es nicht Gfeller: Mehr als die Hälfte der Bands den regionalen Bands, die das Herz wurde von der Jury ausgewählt, die Minderimmer einfach war, die Leute dazu zu kriedes Festivals bilden, bessere Gagen heit haben wir vom Vereinsvorstand direkt gen, nicht den ganzen Abend im gleichen zahlen. Oder nicht? kontaktiert. Club zu bleiben. «Von 60 Slots sind nur vier an internationale und zehn an nationale Acts gegangen.» TagesWoche10/16 39 Popförderung Sie haben die Kleinbasler Achse erwähnt, von der Lady Bar bis zum Hirschi. Das Union aber ist heuer nicht Teil der BScene. Warum nicht? Gfeller: Es wäre bezüglich der Kapazität zu viel gewesen. Das Union hat einen gros sen Saal, ebenso die Kaserne und das Volks haus. Wir wollten uns da nicht überneh men. Dafür ist der Jazzcampus Club wieder dabei. Jans: Ebenso die 8Bar, die auch schon BScene-Stätte war. Die Lady Bar ist zum ersten und gleich auch letzten Mal dabei. von Marc Krebs Und nicht zu vergessen ist das Atlantis, das ein Comeback feiert. m Montagabend wurden sich die Dass das Atlantis wieder Teil der Mitglieder des regionalen Musi BScene ist, gehört zu den schönen kernetzwerks und Förderers Überraschungen. RFV bewusst, warum es diesen Gfeller: Das war auch unser Ziel. Wir 1994 gegründeten Verein braucht: Klar, da wollten damit den Nostalgiefaktor erhö sind die Bandbusse, mit denen Musiker hen. Schon mein Vater ging jeweils ins Tausende Kilometer zurücklegen, da sind Atlantis. die Beiträge an Album- und Videoproduk Jans: Wir hätten die goldenen Zeiten na tionen und Tourneen. Aber da ist auch die türlich gerne miterlebt. Und als wir uns ganze Arbeit im Hintergrund – und der überlegten, wie wir das Nachtigallenareal gute Draht ins Rathaus. mit der Kaserne verbinden könnten, da Geschäftsführer Tobit Schäfer schilder kam uns das Atlantis in den Sinn. te an der Jahresversammlung in der Kuppel, wie man sich letztes Jahr gegen eine Kür zung der Gelder wehren musste. Der Regie rungsrat hatte vor, dem RFV künftig pro Jahr 25 000 Franken weniger zu überweisen. Diesen Betrag hatte der RFV bislang ans einstige Tochterfestival BScene gespendet. Da BScene neu direkt vom Swisslos Fonds unterstützt wird, dachte sich der Regie rungsrat wohl, diese Sparmassnahme wür Fabio Gfeller de wenig Staub aufwirbeln. Doch hatte man die Rechnung ohne die Gfeller: Und die Atlantis-Geschäftsleite Pop-Lobbyisten gemacht: Mit Tobit Schä rin Claudia Danuser war sehr motiviert und fer (SP) ist der RFV im Grossen Rat vertre hatte Lust, mitzumachen. ten, mit Daniel Stolz (FDP) sitzt zudem ein Ihr müsst aber eure Generation für den ebenso gut vernetzter, bürgerlicher PoliAbstecher ins -tis begeistern können. tiker im RFV-Vorstand. Jans: Ich glaube nicht. Von der Kuppel Schäfer empörte sich über das Vorzur Kaserne liegt das Atlantis ja mehr oder haben der Regierung, bei einer verhältnis weniger auf dem Weg. Und ich glaube, dass mässig schwach finanzierten Kultursparte viele in unserem Alter wissen, dass das den Sparstift anzusetzen. Und veranschau ein Kultschuppen ist und eben gerade neu lichte dies den Mitgliedern mit einem Ver gierig darauf sind, dort einmal ein Konzert gleich: Während der RFV in den letzten Jah zu erleben. ren stets mit gleich wenig Geld operieren Gibt es auch im Handling Neuerungen musste, sei das Kulturbudget Basel-Stadt im Jahr 2016? von 2011 bis 2014 um insgesamt fünf Millio Jans: Ja, wir haben das Kassensystem nen Franken gestiegen. hinterfragt und den ganzen Abwicklungs Erfolg im Lobbying für Fördergelder prozess verbessert, sodass die Leute nicht mehr lange Schlange stehen müssen. Im Er amüsierte die Anwesenden mit einer letzten Jahr konzentrierten wir die Kassen Grafik, die zeigte, dass städtische Popför noch aufs Kleinbasler Kasernenareal, nun dergelder gerade mal 0,3 Prozent der ge gibt es unter anderem auch am Claraplatz samten Kulturausgaben ausmachen: Der eine Kasse, vis-à-vis des Volkshauses. RFV erhält von Basel-Stadt jährlich 390 000, Gfeller: Und man kann jetzt in jedem die anderen Institutionen mehr als 120 Mil Club das Vorverkaufsticket gegen ein Bän lionen Franken. «Aber ausgerechnet bei uns wollte der Basler Regierungsrat spa deli umtauschen. tageswoche.ch/+g0bb4× ren», kommentierte Tobit Schäfer. «Das konnte zum Glück abgewendet werden.» Schäfer lobbyierte erfolgreich und konnte im Stadtbasler Parlament einen grossen Erfolg für einen verhältnismässig kleinen Betrag verbuchen. 83 von 100 Grossrätinnen und -räten stellten sich auf die Seite der Poplobby und stimmten gegen die geplante Kürzung. Der RFV beweist Muskeln im Lobbying und verstärkt den Vorstand mit Musikern. Gehör für Hip-Hop und Techno A «Wir wollten den Besuchern kurze Wege zwischen den Lokalitäten ermöglichen.» TagesWoche10/16 Dadurch kann der RFV mit 25 000 Fran ken neue Projekte in Angriff nehmen. Wel che dies sind, will der Verein nun bei einem Mitgliederworkshop im April evaluieren. Der Vorstand erhofft sich Inputs aus der Szene zu bestehenden und allenfalls erwünschten neuen Angeboten. Damit bestätigt der RFV den Eindruck, dass er offen ist für Anregungen von innen und aussen – und auch für Kritik. So setzte er sich doch 2015 auf den heissen Stuhl, um zu Vorwürfen und Vorurteilen Stellung zu nehmen. Neu bestimmten DJs den Takt mit Einen Denkanstoss gab Cla Nett vor ei nem Jahr am gleichen Ort. Damals ergriff der Gründer der Lazy Poker Blues Band das Mikrofon und bemerkte ein bisschen besorgt, dass von sieben Vorstandsmitglie dern des RFV nur noch zwei aktive Musiker seien, der Rest Funktionäre. Tatsächlich waren die Musiker im Jahr 2015 stark unter vertreten, seit der Kündigung von Dänu Siegrist auch auf der Geschäftsstelle. Der Einwand von Nett stiess auf offene Ohren: Da mit Tino Krattiger (Veranstalter Im Fluss) und Esther Roth (Kulturmanage rin) zwei Vorstandsmitglieder ihren Rück tritt gaben, nutzte der Vorstand die Mög lichkeit, um zwei Aktivposten in der Basler Musikszene ins Ehrenamt zu hieven: Mit Isabella Zanger, als Musikerin bekannt unter ihrem Pseudonym Herzschwester, ist erstmals eine DJane im RFV-Vorstand ver treten. Und mit Tobias Gees, der als DJ Johny Holiday unter anderem bei Brand härd an den Tellern steht, hat neu auch der Hip-Hop eine Stimme im Verein. Gees hatte in der jüngeren Vergangen heit den RFV für seine Rock-Schlagseite kritisiert. Nun wird er in die Pflicht genom men. Gut so. Bei seiner Vorstellung koket tierte er denn auch damit, was sein Ziel sei: Aus dem RFV einen Rap-Förderverein zu machen. Der warme Begrüssungsapplaus für die beiden neuen Vorstandsmitglieder zeigte, dass die stilistische Auffrischung auf Wohl wollen stösst. Ebenfalls Grund zur Freude bietet die Frauenquote, sind doch nun drei von sieben Vorstandsmitgliedern weiblich. tageswoche.ch/+g39wb× Missbrauch in der Kirche 40 In der gleichen Nacht, in der ein Film über M issbrauch in der katholischen Kirche den Oscar gewinnt, muss sich einer der höchsten Vatikanvertreter zum g leichen Thema verantworten. Das Drama hinter dem Oscar Hartnäckige Recherche: «Spotlight» zeigt die Aufdeckung eines Missbrauchsskandals in der Diözese Boston. von Julius Müller-Meiningen F ilmproduzent Michael Sugar wählte bei der Oscar-Preisverleihung in Los Angeles deutliche Worte: «Papst Franziskus, es ist Zeit, Kinder zu schützen und das Vertrauen wiederherzustellen!» Sugars Drama «Spotlight» über die Aufklärung Dutzender Fälle von Missbrauch und ihrer Vertuschung in der Diözese Boston hatte da gerade den Oscar als bester Film gewonnen. «Das ist das grösste Geschenk, das wir bekommen konnten», sagte David Ridsdale darauf in Rom und meinte damit die Aufmerksamkeit für sein Lebensthema. Ridsdale ist selbst ein Missbrauchs-Betroffener. Als Kind war er in Australien von seinem Onkel, einem Priester, vergewaltigt worden. «Null Toleranz» Mit einem knappen Dutzend anderer Betroffener ist Ridsdale nach Rom gekommen, um die Aussagen von Kardinal George Pell vor einer australischen Regierungskommission mitzuverfolgen. 2013 wurde Pell von Papst Franziskus zum Präfekten des neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats sowie in einen neunköpfigen Kardinalsrat berufen. Damit ist er einer der ranghöchsten Vertreter in der Vatikanhierarchie. Nun sagte er per Videoschaltung in einem römischen Hotel aus. Pell wird vorgeworfen, foto: © Open Road Films Betroffene missachtet und Missbrauchstäter, darunter den Onkel Ridsdales, gedeckt zu haben. Der ehemalige Erzbischof von Melbourne und Sydney, der laut ärztlichem Attest herzkrank ist und deshalb nicht nach Australien fliegen kann, bestreitet diese Vorwürfe. Seine Aussage ist aber auch im Hinblick auf die jüngst wiederholte Ankündigung von Papst Franziskus von Bedeutung, beim Thema Missbrauch «null Toleranz» walten zu lassen. Franziskus sagte erst vor wenigen Tagen, ein Bischof, der einen des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen überführten Priester in eine andere Pfarrei versetze, sei verantwortungslos. «Es ist besser, dass er zurücktritt», sagte der Papst. Konkret wird Pell vorgeworfen, in seiner Zeit als Priester und Vikar in der australischen Diözese Ballarat (1973–1984) sowie später als Weihbischof von Melbourne seine Hand schützend über Missbrauchstäter gehalten zu haben. David Ridsdale behauptet, Pell, der gut mit seinem Onkel Gerald Ridsdale befreundet war, habe ihm seinerzeit Schweigegeld angeboten. Pell bestreitet das. Bei seiner ersten Aussage räumte Pell «enorme Fehler» der Kirche in Australien beim Umgang mit Missbrauchstätern aus dem Klerus ein. Teilweise gestand der 74-Jährige auch eigene Nachlässigkeiten. Er sei früher geneigt gewesen, eher einem Priester zu glauben, wenn dieser den Vorwurf des Missbrauchs dementiert habe. Er wolle «nicht das Unhaltbare verteidigen», sagte Pell, welcher der australischen Regierungskommission für die Aufklärung von sexuellem Missbrauch zugeschaltet war. Der Kardinal sagte unter Eid aus und machte auf konkrete Nachfragen Gedächtnislücken geltend. Über die Haltung der Kirche sagte er jedoch: «Der Instinkt war damals, die Institution, die Gemeinschaft der Kirche vor Schande zu schützen.» Pell bestritt allerdings, von Priesterversetzungen zur Vertuschung von Missbrauch erfahren zu haben. Angekündigtes Vatikan-Tribunal Insgesamt liegen der australischen Regierungskommission 853 Anzeigen gegen die Priestervereinigung der Christian Brothers vor, die vor allem in Bildungseinrichtungen tätig waren. 281 Mitglieder dieser Gemeinschaft wurden beschuldigt. Die Fälle trugen sich vor allem in den Staaten Tasmanien oder Victoria zu. Missbrauchs-Betroffene zweifelten zuletzt öffentlich am Aufklärungs-Willen des Papstes. Peter Saunders, wegen seiner öffentlichen Kritik beurlaubtes Mitglied in der päpstlichen Kommission für Kinderschutz, warf Franziskus eine «PR-Kampagne» vor. Saunders kritisierte insbesondere, dass das im vergangenen Juni angekündigte Vatikan-Tribunal für die Verurteilung von Bischöfen, die Missbrauch vertuschen, bis heute nicht existiere. tageswoche.ch/+jpwc5× KULTUR FLASH Musikfilm Vom Lärm zum Klang «Die Schweiz ist bekannt für Pünktlichkeit, Höflichkeit und leises Auftreten – nicht für bombastische Töne und chaotische Stadtkompositionen. Trotzdem oder gerade deshalb ist es erstaunlich, wie viele innovative Klangkünstler hier leben», meint die Regisseurin Gitta Gsell zu ihrem neuen Film «The Melody of Noise». Sie muss es wissen: Monatelang reiste sie durch die Schweiz und spürte Geräuschetüftler auf, die mit selbst gebauten Instrumenten neue Musikwelten erforschen. Im kult.kino atelier kann man an der Vorpremiere die Protagonisten gleich persönlich kennenlernen und mit der Regisseurin diskutieren. × Sonntag, 6. März, 11.15 Uhr. kult.kino atelier, Theaterstrasse 7, Basel. www.melody-of-noise.ch Lesung Flüchtlinge im Literaturhaus Das Literaturhaus Basel startet eine Reihe, die sich der Flüchtlingsthematik literarisch nähert: Mit ausgewählten Erzählungen bieten die Lesungen mit dem «Tatort»- bekannten Schauspieler Thomas Sarbacher Einblicke in die Kultur und Gesellschaft jener Menschen, die bei uns unter dem Begriff Flüchtling einseitig wahrgenommen werden. Den Anfang machen Erzählungen aus dem Band «Frühling in der Asche» von Sakarija Tamer aus Syrien. × Lesung mit Thomas Sarbacher, Mittwoch, 9. März, 19 Uhr. Literaturhaus Basel, Barfüssergasse 3, Basel. www.literaturhaus-basel.ch 41 BASEL Steinenvorstadt 36 Kinoprogramm •DEADPOOL FR: 21.00 CAPITOL 12.45—SA/SO: 10.15 •ZOOMANIA – 3D [6/4 J] •GLORIA kitag.com 13.00/15.30—FR/SO/DI: 18.00— SA: 15.00 E/d D [16/14 J] 14.00/17.15/20.30 E/d/f •THE REVENANT E/d/f [16/14 J] 14.00/17.15/20.30 Basel und Region 04. bis 10. März KULT.KINO ATELIER Theaterstr. 7 kultkino.ch •KEEPER FR/SA/MO-MI: 12.00 F/d [12/10 J] •WHEREE/dTO INVADE NEXT [ 12/10 J] ANZEIGEN 12.10 •MELODY OF NOISE [10/8 J] FR/SA/MO-MI: 12.15 Dialekt/d/f SO: 11.15 SO: MIT GITTA GELL, BRUNO SPÖRRI UNTER DER LEITUNG VON ERIC FACON •JANIS: LITTLE GIRL BLUE E/d/f [12/10 J] FR/SA/MO-MI: 12.20 •THE DANISH GIRL [12/10 J] FR/SA/MO-MI: 13.45—FR: 21.30— E/d/f SA-MI: 20.30 •DAS TAGEBUCH DER [12/10 J] ANNE FRANK 14.00—FR-DI: 18.15/20.45— MI: 19.00 D MI: 19.00 ANSCHL. GESPRÄCH MIT YVES KUGELMANN (STIFTUNGSRAT ANNE FRANK FONDS BASEL) UND B. BONJOUR (GESCHICHTSLEHRER) •SUFFRAGETTE [12/10 J] FR/SA/MO-MI: 14.00/20.40— FR/SA/MO/DI: 18.20— SO: 13.30/18.00/20.15 E/d/f •LA LOIF/dDU MARCHÉ [16/14 J] 14.15 •HEIDI Dialekt [0/0 J] 14.30 •NICHTS PASSIERT [14/12 J] 16.00 D •SCHELLEN-URSLI [6/4 J] FR/SA/MO-MI: 16.10 SO: 15.45 Dialekt •CHOCOLAT [12/10 J] 16.15/18.45/21.10 F/d •VIRGINIsländisch/d MOUNTAIN [12/10 J] 16.30 •HAIL, CAESAR! [8/6 J] 16.45/21.00 E/d •THE CHINESE LIVES OF [0/0 J] ULI SIGG Ov/d/f PATHE PASS 40. / MONAT Konditionen an der Kinokasse und online erhältlich. pathe.ch/basel •LE COLONEL CHABERT F/d SA: 17.30 •HUSBANDS E/d [12/10 J] SA: 20.00 •RIEN SURF/dROBERT SA: 22.30 •SHADOWS E/f [12/10 J] SO: 13.30 •L’ARBRE, LE MAIRE ET LA MÉDIATHÈQUE F/e SO: 15.15 [6 J] •MINNIE &E/fMOSKOWITZ [ 16/14 J] SO: 17.30 •CONFIDENCES TROP INTIMES F/d [14/12 J] •LOVE STREAMS E/e [12/10 J] •A WOMAN UNDER THE INFLUENCE E/d/f [12/10 J] SO: 20.00 MO: 21.00 MI: 18.00 •ALCESTE À BICYCLETTE F/d [10/8 J] MI: 21.00 STUDIO CENTRAL Gerbergasse 16 kitag.com •SPOTLIGHT 14.30/17.15/20.00 E/d/f [12/10 J] FRICK MONTI •13 HOURS: THE SECRET SOLDIERS [16/14 J] Kaistenbergstr. 5 fricks-monti.ch OF BENGHAZI 14.00—FR/SO/DI: 17.00— •SCHELLEN-URSLI [6/4 J] D Dialekt FR: 23.00—SA/MO/MI: 20.00 FR: 18.00 FR/SO/DI: 20.00— •ZOOMANIA – 3D [6/4 J] SA/MO/MI: 17.00—SA: 23.00 E/d/f FR-MO: 20.15—SO: 13.30 D •DER GEILSTE TAG [12/10 J] •ZOOMANIA [6/4 J] 15.10—FR/SO-MI: 17.45/20.20— SA: 13.30 D SA: 20.30 D •ALVIN UND DIE CHIPMUNKS: •L’ABBIAMO FATTA GROSSA [6/4 J] ROAD CHIP [10/8 J] SA/SO: 16.00 D FR: 20.20—SA: 18.10—SO: 13.00 I •DER GROSSE SOMMER [6/4 J] •THE REVENANT E/d/f [16/14 J] SA: 18.00 Dialekt FR: 22.45—SA: 23.00 •HEIDI [0/0 J] •POINT BREAK – 3D [12/10 J] SO: 10.30 Dialekt FR/SA: 23.00 D •ICH BIN DANN MAL WEG [8/6 J] •ZOOLANDERD 2 [12/10 J] SO: 18.00 D FR/SA: 23.30 •CHOCOLAT [12/10 J] •BIBI & TINA – MO: 18.00 D MÄDCHEN GEGEN JUNGS [0/0 J] SA/SO: 10.30—SA/SO/MI: 15.30 D LIESTAL ORIS oris-liestal.ch SA: 11.00— SA/SO/MI: 13.30/15.45 D Steinentorstr. 8 pathe.ch [16/14 J] •THE REVENANT [16/14 J] SO: 11.30 FR/SO/DI: 13.50/20.15— •LES SAISONS [6/4 J] MO/MI: 17.00 E/d/f SO: 14.00 D •THE HATEFUL EIGHT [16/14 J] FR/SO/DI: 17.00—FR: 23.20— KULT.KINO CAMERA SA: 14.30/22.20— E/d/f Rebgasse 1 kultkino.ch MO/MI: 13.50/20.15 •ZOOMANIA – 3D [6/4 J] E/d/f •DER GROSSEDialekt SOMMER [6/4 J] SA: 17.45 D 14.00/18.30 SA: 20.00 •MUSTANG Ov/d/f [12/10 J] REX 14.15/18.45 •TRUMBO E/d/f [12/10 J] Steinenvorstadt 29 kitag.com 16.00/20.30 CHF [12/10 J] [16/14 J] FR/SA/MO-MI: 18.00 D •ALS DIE SONNE •ZOOMANIA – 3D [6/4 J] – 3D [0/0 J] FR-SO: 20.30—MI: 15.30 D [12/10 J] •ROBINSON CRUSOE VOM HIMMEL FIEL SA/SO/MI: 13.30 D SO: 10.40 D/Jap/d/f •ZOOMANIA [6/4 J] •Opera – •BE AWARED AND SHARE SA/SO: 15.30—MO-MI: 20.30 D Metropolitan Opera New York: •ALVIN UND DIE CHIPMUNKS: SO: 11.00 ANSCHLIESSEND GESPRÄCH [0/0 J] ROAD CHIP MANON LESCAUT [6/4 J] MIT TEILNEHMERN DES SA: 18.55 E SA/SO/MI: 13.30 D HILFSPROJEKTS, REGISSEUR •UNSERE WILDNIS [6/4 J] •THE DANISH GIRL [12/10 J] OMID TASLIMI UNTER DER LEITUNG SO: 11.00 D SO: 11.00 E/d/f VON S. HOFER. DIE HÄLFTE •HEIDI Dialekt [0/0 J] DER EINNAHMEN GEHT PATHÉ PLAZA SO: 18.00 AN DAS HILFSPROJEKT. FR: 19.15—SA-MI: 18.00 •EL ABRAZO DE LA SERPIENTE Ov/d UNLIMITIERTES KINOVERGNÜGEN BASEL MI STADT PATHE MI KINO FR: 22.50—SA/SO: 10.40— SA: 23.00—MO/MI: 20.30 D FR/SO/DI: 20.30—SA/SO: 11.30— MO/MI: 18.00 E/d/f •SPOTLIGHT [12/10 J] FR/MO/DI: 12.50— FR/SO/DI: 15.30/20.50— MO/MI: 18.10 D FR/SO/DI: 18.10— SA/MO/MI: 15.30/20.50 E/d/f •CHOCOLAT [12/10 J] 15.30—FR/MO/DI: 13.00— FR/SO-MI: 20.30—SA/SO: 10.30— SA-MI: 18.00 D FR: 18.00 F/d •HAIL, CAESAR! [8/6 J] FR/SA/MO-MI: 13.00— FR/DI: 15.30—FR/SA: 22.45— SA/MO/MI: 18.00—SO: 20.20— DI: 20.30 D FR/SO/DI: 18.00—SA/MO: 20.20— MO: 15.30—MI: 20.30 E/d/f •DEADPOOL [16/14 J] 13.20/15.45—FR/SO/DI: 18.10— FR: 22.50—SA/SO: 11.00— SA/MO/MI: 20.30 D FR/SO/DI: 20.30— SA/MO/MI: 18.10—SA: 22.50 E/d/f •DIRTY GRANDPA [16/14 J] 18.10/20.30— FR/MO/DI: 13.30/15.45— FR/SA: 22.45—SA/SO/MI: 13.00 D Kanonengasse 15 •ALVIN UND DIE CHIPMUNKS: [6/4 J] •DEADPOOL •ABOVE AND BELOW E/d[12/10 J] ROAD CHIP 19.00—SO: 12.30 EXKLUSIVE VORTEILE SCHWEIZWEIT GÜLTIG F/d SPUTNIK Poststr. 2 palazzo.ch •NICHTS PASSIERT D [14/12 J] •CHOCOLAT F/d [12/10 J] FR: 18.00 20.15 •DER GROSSE SOMMER [6/4 J] Dialekt SA: 13.00—SO: 15.30 •DIE SCHWALBE Ov SA: 15.30 [10/8 J] •MUSTANG [12/10 J] SA-MO: 18.00 Ov/d •SWING IT KIDS [6/4 J] SO: 11.00—MI: 15.30 Dialekt •AN – VON KIRSCHBLÜTEN UND •DAS TAGEBUCH DER [12/10 J] ANNE FRANK •SCHELLEN-URSLI [6/4 J] [6/4 J] ROTENJap/d/f BOHNEN 14.30/17.30/20.45 D SO: 13.00 Dialekt 16.15 •ZOOTROPOLIS – 3D [6/4 J] •SUFFRAGETTE [12/10 J] •DIE DUNKLE SEITE D DI/MI: 18.00 E/d [12/10 J] 15.00/17.45 DES MONDES D •BROOKLYN [4/4 J] 20.45—SO: 12.15 E/d/f SISSACH PALACE •DIE SCHWALBE [10/8 J] 21.00 D/d/f •KITAG CINEMAS Opera Live: SO: 12.00 Felsenstrasse 3a palacesissach.ch [4/4 J] THE MAGIC FLUTE •SPOTLIGHT [12/10 J] MI: 23.45 E/d NEUES KINO 18.00 E/d/f Klybeckstr. 247 neueskinobasel.ch STADTKINO •ZOOTROPOLIS [6/4 J] D •POSSESSED – POS ESO Klostergasse 5 stadtkinobasel.ch 20.30 Sp/e •ZOOTROPOLIS – 3D [6/4 J] FR: 21.00 •LES FEMMES DU 6E ÉTAGE [9/12 J] SA/SO/MI: 14.00 D FR: 16.15—MO: 18.30 F/d PATHÉ KÜCHLIN •HEIDI [0/0 J] [12/10 J] SA/SO/MI: 16.00 Dialekt Steinenvorstadt 55 pathe.ch •FACES FR: 18.30 E/d •CHOCOLAT [12/10 J] •ZOOMANIA [6/4 J] •LE GENOU DE CLAIRE [12/10 J] SO: 10.30 F/d TagesWoche10/16 andere seiner Frauengeschichten. Als die Platte 1968 erschien, war die Affäre bereits vorbei, aber ihr Duft schwebte noch umher. Vor allem in «Bonnie and Clyde», einem Film, der die Geschichte des Gangsterpaares als amour fou par excellence modellierte. Daneben schaffte es mit der CharlestonNummer «Comic Strip» nur ein weiteres Duett der beiden auf das Album. Bardots Rolle in «Comic Strip», die kaum über Kiekslaute hinausgeht, deutet an, dass ihr Gesangstalent für kaum mehr als erotisiertes Hauchen ausreicht – in Solonummern wie «Harley Davidson», die Gainsbourg für die blonde Schönheit schrieb, wurde es überdeutlich. Erster zensierter Nummer-eins-Hit «Bonnie and Clyde»: Schauspielern lag Bardot mehr als singen. foto: getty images Kultwerk #220 Serge der Grosse: Das französische Chanson wäre nicht dasselbe ohne seine Meisterwerke wie «Initials B. B.». Das orgiastische Duett zweier Ikonen von Andreas Schneitter C hansons schreiben, die starke Wahrlich eine Geschichte aus schüchFrauen schmachten lassen. So ternen Bubenträumen, die aber in Gainsmeisselte der französische bourgs Leben seine Erfüllung fand. Comic-Zeichner Joann Sfar vor Eine Amour fou par excellence sechs Jahren sein märchenhaftes Filmdenkmal für den vielleicht grössten, sicher Bevor er selbst zum Star wurde, schneiaber ikonischsten aller Chansonniers. ten ihm seine Chansons Mitte der 1960erVom Knaben Lucien Ginsburg, der Jahre Brigitte Bardot in die Laken, «BB», schon als Kind ein ungewöhnliches Interes- die aufregendste aller Männerfantasien se an erwachsenen Frauen zeigte, bis zu sei- jenes Jahrzehnts. «Mein Liebster, setz dich nen Gefährtinnen Jane Birkin und Bambou, ans Piano und schreib mir das schönste die seine Töchter hätten sein können, zeigte aller Liebeslieder», sagt sie in Sfars Film zu Sfars Film Gainsbourg als Meister der aph- ihm. Und Gainsbourg erhebt sich nackt aus rodisierendsten aller Künste. Ein anfäng- dem Bett und tut wie ihm geheissen. lich aufgrund seiner Physiognomie kom«Initials B. B.» heisst das Album, das aus plexbeladenes musikalisches Genie, das an der Bindung Bardot–Gainsbourg erwuchs, den Klaviertasten zum Frauenheld wurde. die sich ebenso wenig verfestigte wie viele TagesWoche10/16 Meister Gainsbourg machte sich diesen Mangel zunutze – und rückte mit einem Chanson raus, das wie kein anderes mit ihm verwuchs: «Je t’aime … moi non plus». Bekannt und berüchtigt wurde das Lied mit der schunkeligen Gitarre und der vor Süsse schmelzenden Orgelmelodie erst 1969 mit Jane Birkin, die Bardot als Duettpartnerin sowohl im Bett wie am Mikrofon beerbte und die Ballade mit jenen Stöhnlauten verzierte, die das Lied zum Skandal und schliesslich zu Gainsbourgs grösstem internationalem Erfolg werden liess. «Je t’aime … moi non plus» war die erste zensierte Nummer eins der britischen Charts. Geschrieben allerdings hatte Gainsbourg das Lied für sich und Bardot – und nur weil sich das Supermodel in jenen Jahren in einer Ehe mit dem Jetsetter Gunter Sachs befand, die es zu retten galt, blieb die Originalversion der Ballade fast 20 Jahre unter Verschluss. Erst 1986 war Bardots Liebeszischen erstmals zu hören, als sie sich bereits seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. So kam das Album «Initials B. B.» ohne das spektakulärste Produkt der Affäre zweier französischer Ikonen aus. Die Platte bildete als wichtigstes Scharnier im Übergang von Gainsbourgs Jazz-Anfängen hin zum Pop dennoch ein Schlüsselwerk in der musikalischen Entwicklung des Chansonniers. «Bonnie and Clyde» fand sich 1994 im frankophonen Hip-Hop wieder, als MC Solaar es für seinen stilbildenden Hit «Nouveau Western» sampelte. Mit «Bloody Jack» bewies Gainsbourg, wie offen er für die neuen Rhythmen des Rock war, das Titelstück mit der erhebenden Dvorak-Melodie ist noch heute eines seiner einflussreichsten Lieder, das zuletzt in der Person von Iggy Pop einen der unwahrscheinlichsten Anhänger fand. Ein Punkpate, der sich dem Grandseigneur des Chansons zuwendet – wenig könnte stärker verdeutlichen, wie anschlussfähig Gainsbourg auch 25 Jahre nach seinem Tod am 2. März 1991 noch ist. tageswoche.ch/+3dbnt× 43 44 Zeitmaschine Als die Fernsehnächte noch ein offizielles Ende hatten, hatte auch der Tag danach eine Chance. Das unbeliebteste Bild der Fernsehgeschichte von Hans-Jörg Walter W em ist das noch nie passiert? Man angelt sich spätabends durchs Fernsehprogramm, bleibt an einer interessanten Sache hängen und verpasst es, am Ende abzuschalten oder weiterzuzappen. Es folgen dümmliche Werbespots, man steckt sie weg, die schlecht moderierte Nachrichtensendung ebenso. Und schon stolpert man um ein Uhr nachts in einen dieser Filme. Könnte womöglich schon auch noch spannend sein. Und ist das nicht der, den ich schon seit einer Ewigkeit end lich einmal schauen wollte? Irgendwo zwischen Halbschlaf und Nirwana gerät die Ausschalttaste nun kom plett aus dem Bereich des Erreichbaren. Zu müde, um die Glotze auszuschalten, zu schlaff, um die Zähne zu putzen, aber doch wach genug für die schmerzende Gewiss heit: Ei, was wird das morgen für ein mise rabler Tag. Vor 30 Jahren wurde man vor solchen nächtlichen Unglücken programmgemäss verschont. Die Fernsehanstalten machten mitternachts zu, am Wochenende um zwei. Fertig Programm. Aus und Ende. Nur noch eine Kalibrierungstafel mit Senderkürzel. Frühstücks-TV: Im Schweizer Farbfern Obendrein ein penetranter Sinuston in sehen fliegt man endlos im Kampfjet über Mono, der einen zum sofortigen Abschal die Alpen oder kurvt als Lokführer kreuz ten summte. Oder zum Umschalten. Nur, und quer durch die Eidgenossenschaft. um auf einem anderen Sender noch rasch Pausenlose Freiheit die Landeshymne zu erwischen, bevor auch dieser Kanal in einem verpixelten Im Bayerischen Rundfunk läuft die «Space Night», wo Weltraumaufnahmen Testbild erstarrte. Gewiss, die Nachteulen unter den Fern aus Nasa- und ESA-Beständen zu elektroni sehkonsumenten wussten sich schon da scher Musik dahinflimmern. Und auf ei mals ins Elend zu stürzen. Sie spulten sich nem anderen deutschen Sender darf sogar mit Videokassetten durch die Nacht. ein dummes Brot mit einer eigenen Sen dung Nacht und Nerven töten. Das Ende der Nachtruhe Inzwischen steht längst wieder eine In jedem Quartier gab es eine Videothek, technische Revolution auf dem Programm. wo man für eine Handvoll Fränkli ein paar Das klassische Fernsehen ereilt das Schick Filme ausleihen konnte. Oder man schaute sal der Quartiervideotheken. Jeder schaut Sendungen, die man aufgenommen hatte, nur noch, was er will und wann er will. Die nicht selten inklusive Sendeschluss. Und Konserven, mit denen die Fernsehsender so findet sich heute auf Youtube so man jeweils die Zeitlücken zwischen den Liveches Nachtprogramm vergangener Tage. Sendungen füllten, sucht und findet der Zu Mit dem Aufkommen des Privatfern schauer im sozialen Netzwerk seiner Wahl, sehens Mitte der Achtzigerjahre hatte aber auf Netflix und artverwandten Internet auch der Sendeschluss langsam sein Ende plattformen. Und somit dürfte bald wirk erreicht. Das Nachtprogramm war geboren. lich Sendeschluss sein für die Sender. Eben, Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender ex Senderschluss. perimentierten jetzt mit der Zeit bis zum tageswoche.ch/+7q0ro× Gute Nacht: Dieses Bild half einst vielen rechtzeitig ins Bett. TagesWoche10/16 45 Holzhaus auf dem Weg zum Lauenensee. foto: jeremias schulthess Wochenendlich in Turbach Oberhalb des Nobel-Ski-Resorts Gstaad befindet sich das Bauerndorf Turbach. Der Ort versprüht Kuhromantik abseits von Promis in Pelzmänteln. Alpkäse und High Society von Jeremias Schulthess D as Restaurant Sunne-Stübli, ein Dorflädeli und etwa zehn Häuser – mehr ist da nicht im Dorfkern von Turbach. Es ist die Antithese zum Highlife-Resort Gstaad, das nur zehn Minuten Autofahrt entfernt ist. Während internationale Promis unten in Gstaad von einem Luxusgeschäft zum nächsten promenieren, liegt oben in Turbach der Käse vor dem Bauernhaus – mit der Aufschrift «Selbstbedienung». Das «Büssli» fährt neunmal täglich hoch. Wer den Fahrer um Rat fragt, erhält eine Antwort in urchig-melodischem Kauderwelsch, das nur berndeutsche Muttersprachler in Gänze verstehen. Kein Wunder, sind doch ausländische Gäste – Basler, Zürcher oder Stadtberner – hier eher selten und werden zuweilen beäugt, als seien sie mehr geduldet als erwünscht. Einschränkung des Bustaktes haben sich die Turbacher erfolgreich gewehrt – es sind Probleme, die viele Bergdörfer kennen. Nach dem Znacht führen uns die Gastgeber durchs Haus. Im Keller lagern Käselaibe («Jaja, auf die Mäuse müssen wir aufpassen»), im Wohnzimmer hängt der Familien-Stammbaum («Und das war der Ur-ur-Grossätti»). Nach einem Abstecher in den Stall riechen Jacke und Kleider nach Kuhmist – auch noch eine Woche später. Am nächsten Tag fahren wir nach Lauenen, wo sich der, auch dank einem Lied der Band Span bekannte, «Louenesee» befindet. Unterwegs überholen uns zwei Pferdeschlitten. Russische Touristen prosten uns im Vorbeifahren mit Weisswein zu. Der Schnee glänzt, im wärmenden Sonnenlicht plumpsen Eiszapfen von den Felsen. Der See ist auch bei zwei Grad plus zu gefroren. Eingekesselt von steilen BergEin Abstecher in den Stall hängen, bleibt er meist im Schatten. Eine Doch wer das Glück hat, Einheimische dicke Schneeschicht verdeckt das Eis. Wer näher kennenzulernen, der spürt viel Herz- es nicht besser weiss, könnte denken, hier lichkeit und Gastfreundschaft. Wir sind liege ein Fussballfeld. bei einem Bauern-Ehepaar eingeladen, das Am Abend besuchen wir ein Dancing wir von regelmässigen Ferienaufenthalten in Gstaad. Über die Bildschirme flackern kennen. Der Mann erzählt, wie man mit Fotos von Gästen, die vor einer Promovereinten Kräften die Schliessung des Dorf- Leinwand posieren. Frauen tragen lädelis verhindern konnte. Auch gegen die High Heels, Männer tief ausgeschnittene TagesWoche10/16 T-Shirts. Das Publikum ist international, aber auch die Dorfjugend trifft sich hier zum Tischfussball und Billard. Der Club wurde soeben in die Liste der 200 «World’s Finest Clubs» aufgenommen. Und so bleibt uns von diesem Ort eine Mischung aus Bauernromantik und HighSociety-Flair in Erinnerung – hier wächst zusammen, was nicht zusammengehört. tageswoche.ch/+el5sl× Ausschlafen In Turbach gibt es kein Hotel, aber Ferienwohnungen zu mieten. Auskosten Das «Chesery» in Gstaad bietet gehobene Küche (18 Gault-MillauPunkte) – zu gehobenen Preisen (Fünf-Gänge-Menü für 165 Franken). Der Club zieht internationale DJs an. Abfahren Eine Tageskarte für das Skigebiet Gstaad-Saanen-Schönried-Saanenmöser kostet für Erwachsene 66 Franken und deckt alle Bereiche ab. Es gibt verschiedene Schlittelpisten (Wispile, Eggli und Zweisimmen). Impressum TagesWoche 6. Jahrgang, Nr. 10; verbreitete Auflage: 10 800 Exemplare (prov. Wemfbeglaubigt, weitere Infos: tageswoche.ch/+sbaj6), Gerbergasse 30, 4001 Basel Herausgeber Neue Medien Basel AG Redaktion Tel. 061 561 61 80, [email protected] Die TagesWoche erscheint täglich online und jeweils am Freitag als Wochenzeitung. Chefredaktion/ Geschäftsleitung Christian Degen Digitalstratege Thom Nagy Creative Director Hans-Jörg Walter Redaktion Karen N. Gerig (Stv. 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MATHEMATIK Ich bin Jasmin aus Liesberg Dorf, bin in der 6. Klasse und brauche Unterstützung in der Mathematik. 1 SCHRANK ENTSORGEN IN BASEL Ein Schrank (klein) muss bei Lottner in Basel entsorgt werden. Der Schrank ist bereits demontiert und es geht nur um den Transport zu Lottner von meiner Wohnung aus. PW muss also mitgebracht werden. UMZUG BOTTMINGEN (BL) NACH ZÜRICH Schachteln, Möbel etc. werden eingeladen und in Zürich im 1. Stock mit Lift ausgeladen (grosse Möbel müssen getragen werden).
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